Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Mi 9. Jun 2010, 13:40

darwin upheaval hat geschrieben:Mehr als festzustellen, dass Myron sich außerhalb meiner Definition bewegt, kann ich nicht.

Eintrag ins LogBuch: wir sind uns einig ;->
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Mi 9. Jun 2010, 13:47

El Schwalmo hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Mehr als festzustellen, dass Myron sich außerhalb meiner Definition bewegt, kann ich nicht.

Eintrag ins LogBuch: wir sind uns einig ;->


Wir sollten uns besser darin einig sein, dass es kein Argument sein kann, eine Definition via "default" zu erzwingen.

Darf ich auch in diesem Punkt Deine Zustimmung ins LogBuch eintragen? Oder sollen wir erst noch ein paar Konstruktivisten mitdiskutieren lassen? ;->
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon smalonius » Mi 9. Jun 2010, 17:07

El Schwalmo hat geschrieben:schon, aber die zentralen Punkte waren absoluter Raum und absolute Zeit.

Das ist deine Auslegung. Für mich ist der zentrale Punkt eher, daß Newtons Bewegungsgesetze immer noch gelten. (Muß ich sie aufzählen?) Newtons Modell von Raum und Zeit wurde über den Haufen geworfen, aber das hat die Newtonschen Bewegungsgesetze nicht beeindruckt.

Zentral an Newtons Erkenntnissen war auch, daß man über F = ma und über s = vt integrieren kann und dann zum Beispiel Keplers Gesetze herausbekommt.

El Schwalmo hat geschrieben:Schau beispielsweise bei Kant, wie sich diese Prämissen auswirkten.

Da war Kant wohl etwas voreilig.

Newton selbst war ziemlich schnell klar, daß sein Modell falsch sein mußte. Wenn die Nachwelt das vergißt, kann man es weder Newton noch seinem Modell anlasten.

Im Übrigen, wissenschaftsgeschichtlich ist die Idee von absolutem Raum und absoluter Zeit viel älter als Newton. Ich weiß nicht, warum man die Idee auf Newton bezieht. Bestimmt hatten schon Aristoteles und Galilei dieselbe Vorstellung.

Insofern ist Newton ein ganz schlechtes Beispiel für Irrglauben an falsche Modelle.

darwin upheaval hat geschrieben:Schon, aber die Diskusison verliefe eine Ebene abstrakter: Gibt es "Wissen" ohne Wahrheit und ohne Sicherheit?

Das ist mir zu abstrakt. :ka: Das ist ein semantisches Problem. Welchen Unterschied macht, es ob man die Frage: Gibt es "Wissen" ohne Wahrheit und ohne Sicherheit? mit ja oder mit nein beantwortet?

darwin upheaval hat geschrieben:Sicher. Aber es gäbe, abgesehen von ein paar niederrangigen Beobachtungsaussagen vielleicht, in der Wissenschaft so gut wie überhaupt kein Wissen, weil die übliche Definition bezüglich Wahrheit und Sicherheit Anforderungen an "Wissen" stellt, die die Naturwissenschaften üblicherweise nicht erbringen können.

"Niederrangige Beobachtungsaussagen" :mg: Ein Gegenbeispiel kann ganze Theorien einstürzen lassen - ich würde das nicht als niederrangig abwerten. Tatsächlich ist eine Beobachtung höherwertig als Modellwissen. (Jetzt fange ich auch schon an mit Semantik. :pfeif:)

Ich glaube, du, alle hier, gebrauchen "Wissen" zu monolithisch. Das wird den verschiedenen Arten des Wissens, die wir haben, nicht gerecht.

- Messergebnisse. Sie können Modelle bestätigen, im Sinne von Bayes, sie können Modelle falsifizieren und sie können völlig neue Ergebnisse sein - Zufallsfunde, über die vorher nie jemand nachgedacht hatte.
- Gleichungen. Myron nennt sie immer Naturgesetzaussagen. Sie sind wahr im Rahmen der Messgenauigkeit. Das reicht, damit Flugzeuge nicht vom Himmel fallen.
- Modelle und Theorien - in diesem Sinne scheint Wissen hier im Thread hauptsächlich verwendet zu werden. Dabei ist das die schwächste Form des Wissens.

Zumindest in jungen Wissenschaften oder in jungen Wissenschaftszweigen würde ich nicht auf Modelle wetten. Manches Modell aber, das in Würde gealtert ist, kann man für bare Münze nehmen. Wer wollte noch an Plattentektonik zweifeln?

darwin upheaval hat geschrieben:Wenn man dann auch noch Newtons Theorie als "falsch" deklariert, nur weil sie imperfekt ist, dann ist auch dieses Wissen letztlich nur Scheinwissen.

Dafür wäre es aber sicheres Wissen, daß Newtons Theorie falsch ist. ;-)

Kann es sein, daß ihr negatives Wissen nicht als wahres Wissen durchgehen laßt?

darwin upheaval hat geschrieben:Komisch nur, dass dann Flugzeuge überhaupt in der Luft bleiben, wurden diese doch offensichtlich nach falschen Gleichungen bzw. Scheinwissen konstruiert.

Sie könnten jederzeit anfangen, herunterzufallen. Das beweist gar nichts. :veg: :pfeif:

(Kleiner, präemptiver Scherz, bevor jemand anders das Argument ernsthaft bringt. :mg: )

darwin upheaval hat geschrieben:Nach meiner unmaßgeblichen Meinung muss es also zwischen "schwarz" und "weiß" (falsch und wahr) noch ein paar Grau-, wenn nicht sogar Farbabstufungen geben. Oder anders gesagt, die Newtonsche Mechanik ist weder völlig falsch noch völlig wahr, sie ist partiell wahr, weil sie in bestimmter Hinsicht eben doch mit etlichen Fakten korrespondiert.

Und das ist dann die Bayessche Sicht auf Wahrheit. Wurde bereits erwähnt. Mir gefällt das.
Zuletzt geändert von smalonius am Mi 9. Jun 2010, 17:16, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Mi 9. Jun 2010, 17:14

smalonius hat geschrieben:Newton selbst war ziemlich schnell klar, daß sein Modell falsch sein mußte. Wenn die Nachwelt das vergißt, kann man es weder Newton noch seinem Modell anlasten.

okay. Dann war Newtons Modell falsch, weil Engelein Planeten schieben mussten.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Mi 9. Jun 2010, 22:14

darwin upheaval hat geschrieben:Nix Knoten, im Bungeschen System ist alles konsistent.


Sieht aber nicht danach aus:

"Wenn jemand eine Aussage p weiß, dann impliziert dies weder, daß p wahr ist, noch daß er oder sie weiß, daß p wahr ist."

(Mahner, Martin, und Mario Bunge. Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin: Springer, 2000. S. 128)

Leider ist "Wenn jemand eine Aussage p weiß" schlechtes Deutsch, aber ich nehme an, dass "Wenn jemand weiß, dass p" gemeint ist, da die Bedeutung "Wenn jemand die Aussage p kennt" den ganzen Satz trivialisieren würde. Denn daraus, dass ich eine Aussage einfach nur kenne, folgt selbstverständlich nicht, dass sie wahr ist, oder dass ich weiß, dass sie wahr ist. Also geht es wohl um den folgenden Satz:

"Wenn jemand weiß, dass p, dann impliziert dies weder, dass p wahr ist, noch dass er oder sie weiß, dass p wahr ist."

Nun besteht aber folgende, nicht ernsthaft leugbare Äquivalenz:

p <–> Wp

Das bedeutet, dass "Jemand weiß, dass p" und "Jemand weiß, dass p wahr ist" äquivalent sind, was zur Folge hat, dass der obige Satz äquivalent ist zu diesem:

"Wenn jemand weiß, dass p wahr ist, dann impliziert dies weder, dass p wahr ist, noch dass er oder sie weiß, dass p wahr ist."

Aufgeteilt in zwei Sätze:

1. "Es ist nicht notwendigerweise der Fall, dass wenn jemand weiß, dass p wahr ist, p wahr ist."
2. "Es ist nicht notwendigerweise der Fall, dass wenn jemand weiß, dass p wahr ist, sie/er weiß, dass p wahr ist."

Beide Sätze sind ganz offensichtlich falsch, und wer sie dennoch für wahr hält, der hat zweifellos einen logischen Knoten im Kopf!

darwin upheaval hat geschrieben:Wenn ein Ding x nur als Ding y erkannt wird, häufen wir streng genommen Wissen über y an. Z. B. "weiß" nach Deiner Definition niemand, …


Worauf beziehst du "nach deiner Definition"?
Auf die infallibilistische oder die kontextualistische Definition?

darwin upheaval hat geschrieben:…ob Neutrinos existieren, die Wirklichkeit "präsentiert" sich uns nur so, als gäbe es Neutrinos. Neutrinos sind sozusagen "Konstrukte", also mathematische Behelfslösungen, mit der wir die Wirklichkeit erklären.


Wenn es Neutrinos gibt, dann sind sie keine theoretisch-mathematischen Konstrukte, sondern physikunabhängige physische Objekte.

darwin upheaval hat geschrieben:Wir können also durchaus Wissen über Neutrinos anhäufen, obwohl es sie möglicherweise gar nicht gibt.


Wenn es keine Neutrinos gibt, was macht dann Sätze der Form "Neutrinos haben die physikalische Eigenschaft X" wahr?

Unser "Wissen" über den fiktiven Sherlock Holmes ist eigentlich nichts weiter als literaturwissenschaftliches Wissen darüber, was in Conan Doyle's Büchern über ihn steht. Denn streng genommen sind Sätze über fiktive Objekte oder Personen wie "Sherlock Holmes ist ein Detektiv" falsch, da Sherlock Holmes nicht existiert; und was nicht existiert, hat keine Eigenschaften.

darwin upheaval hat geschrieben:Jemand, der den ontologischen Realismus ablehnt (z. B. ein "Erlanger Konstruktivist"), wird sogar bestreiten, dass es sie gibt!


Frei nach Asterix & Obelix: Die spinnen, die Konstruktivisten! :^^:
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Mi 9. Jun 2010, 22:24

darwin upheaval hat geschrieben:Nicht, dass ich für die Position etwas übrig hätte, aber sie beweist, dass die Materie doch etwas kontroverser diskutiert wird, als es Myron darstellt.


Nix für ungut, aber das erinnert mich an die tatsachenverdrehende Behauptung der Kreationisten, dass die darwinistische Evolutionstheorie doch etwas kontroverser diskutiert werde, als es die Biologen darstellen.

"The JTB Analysis of Knowledge:
S knows that p iff

i. p is true;
ii. S believes that p;
iii. S is justified in believing that p.

Condition (i), the truth condition, has not generated any significant degree of discussion. It is overwhelmingly clear that what is false cannot be known. …[T]he truth-condition enjoys nearly universal consent[.]"


(http://plato.stanford.edu/entries/knowledge-analysis)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Mi 9. Jun 2010, 23:39

Myron hat geschrieben:(Mahner, Martin, und Mario Bunge. Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin: Springer, 2000. S. 128)

Leider ist "Wenn jemand eine Aussage p weiß" schlechtes Deutsch, aber ich nehme an, dass "Wenn jemand weiß, dass p" gemeint ist, da die Bedeutung "Wenn jemand die Aussage p kennt" den ganzen Satz trivialisieren würde. Denn daraus, dass ich eine Aussage einfach nur kenne, folgt selbstverständlich nicht, dass sie wahr ist, oder dass ich weiß, dass sie wahr ist. Also geht es wohl um den folgenden Satz:

"Wenn jemand weiß, dass p, dann impliziert dies weder, dass p wahr ist, noch dass er oder sie weiß, dass p wahr ist."

Nun besteht aber folgende, nicht ernsthaft leugbare Äquivalenz:

p <–> Wp

Das bedeutet, dass "Jemand weiß, dass p" und "Jemand weiß, dass p wahr ist" äquivalent sind, was zur Folge hat, dass der obige Satz äquivalent ist zu diesem:

"Wenn jemand weiß, dass p wahr ist, dann impliziert dies weder, dass p wahr ist, noch dass er oder sie weiß, dass p wahr ist."

Aufgeteilt in zwei Sätze:

1. "Es ist nicht notwendigerweise der Fall, dass wenn jemand weiß, dass p wahr ist, p wahr ist."
2. "Es ist nicht notwendigerweise der Fall, dass wenn jemand weiß, dass p wahr ist, sie/er weiß, dass p wahr ist."

Beide Sätze sind ganz offensichtlich falsch, und wer sie dennoch für wahr hält, der hat zweifellos einen logischen Knoten im Kopf!


Ad nauseam, Du schmuggelst ständig Deine Wissens-Definition ("Wissen setzt notwendigerweise Wahrheit voraus") in das Bungesche System ein, in der Wahrheit eben kein Kriterium ist, um dann den Schluss zu ziehen, dass deren Definition logisch inkonsistent sei, weil Wissen nach ihrer Definition problemlos auch falsch sein kann. Anders gesagt: Du erklärst Wissen zur Wahrheit und kramst dann, welch Wunder!, den messerscharfen Schluss, Wissen über p impliziere, dass p notwendigerweise wahr sei, aus Deinem Aussagensystem hervor wie der Zauberer das Kaninchen aus dem Zylinder. Das beweist nur nichts, weil du nur hervorholst, was du vorher schon in Deinen Zylinder hineingesteckt hast.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Wenn ein Ding x nur als Ding y erkannt wird, häufen wir streng genommen Wissen über y an. Z. B. "weiß" nach Deiner Definition niemand, …


Worauf beziehst du "nach deiner Definition"?
Auf die infallibilistische oder die kontextualistische Definition?


"nach deiner Definition" bezieht sich auf Deine Wahrheitsdefinition, wonach Wissen über x notwendigerweise die Existenz von x und notwendigerweise "Wahrheit" voraussetzt.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:…ob Neutrinos existieren, die Wirklichkeit "präsentiert" sich uns nur so, als gäbe es Neutrinos. Neutrinos sind sozusagen "Konstrukte", also mathematische Behelfslösungen, mit der wir die Wirklichkeit erklären.


Wenn es Neutrinos gibt, dann sind sie keine theoretisch-mathematischen Konstrukte, sondern physikunabhängige physische Objekte.


Ob es sie gibt, das ist doch gerade die Frage! Du sagst, man könne nur etwas über Neutrinos wissen, wenn diese auch existierten. Die Fraktion der Anti-Realisten lehnt sich bezüglich Existenzfragen gar nicht erst aus dem Fenster; für sie sind "Neutrinos" einfach nur "viable Konstrukte". Sie behaupten also weder, dass das theoretische Wissen, das auf Neutrinos rekurriert, notwendigweise wahr sei, noch dass es so etwas wie Neutrinos tatsächlich gäbe. Sie sagen nur, dass das Wissen brauchbar (viabel) sei.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Wir können also durchaus Wissen über Neutrinos anhäufen, obwohl es sie möglicherweise gar nicht gibt.


Wenn es keine Neutrinos gibt, was macht dann Sätze der Form "Neutrinos haben die physikalische Eigenschaft X" wahr?


Gar nichts. Die Wahrheitsbedingung macht, um es noch einmal zu wiederholen, aus anti-realistischer Perspektive keinen Sinn. Neutrinos haben hier keine Eigenschaften, sondern existieren nur in Form mathematischer Terme, die die Funktion haben, bei bestimmten Formen radioaktiver Zerfälle die Energiebilanz zu schließen.

Das ist, um es klarzustellen, nicht meine Position; ich bin wie Du ontologischer Realist. Ich habe das Beispiel nur angeführt, weil es zeigt, dass der Gebrauch des Begriffs "Wissen" nicht notwendigerweise Wahrheit voraussetzt, und auch nicht die Existenz dessen, worüber etwas gewusst wird.


Myron hat geschrieben:Unser "Wissen" über den fiktiven Sherlock Holmes ist eigentlich nichts weiter als literaturwissenschaftliches Wissen darüber, was in Conan Doyle's Büchern über ihn steht. Denn streng genommen sind Sätze über fiktive Objekte oder Personen wie "Sherlock Holmes ist ein Detektiv" falsch, da Sherlock Holmes nicht existiert; und was nicht existiert, hat keine Eigenschaften.


Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass es auch falsches Wissen gibt. Selbstverständlich kann man etwas über fiktive Objekte wissen! Donald Duck ist eine sprechende Ente und hat nie geheiratet, das weiß ich, und das ist sogar intersubjektiv gültiges Wissen. Und trotzdem ist das Wissen, wie Du selbst so schön dargelegt hast, falsch, weil die Existenz nur eine fiktive ist... :^^:


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Jemand, der den ontologischen Realismus ablehnt (z. B. ein "Erlanger Konstruktivist"), wird sogar bestreiten, dass es sie gibt!


Frei nach Asterix & Obelix: Die spinnen, die Konstruktivisten! :^^:


Das wissen wir beide, aber das weiß der Konstruktivist nicht. Und wenn er es wüsste, wäre das Wissen in seinen Augen nicht notwendigerweise wahr ;-)

Aber was der eigentliche Clou ist: Konstruktivisten können trotzdem Wissenschaft betreiben und dabei sogar Wissen anhäufen! :winkgrin2:
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Do 10. Jun 2010, 00:03

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Nicht, dass ich für die Position etwas übrig hätte, aber sie beweist, dass die Materie doch etwas kontroverser diskutiert wird, als es Myron darstellt.


Nix für ungut, aber das erinnert mich an die tatsachenverdrehende Behauptung der Kreationisten, dass die darwinistische Evolutionstheorie doch etwas kontroverser diskutiert werde, als es die Biologen darstellen.

"The JTB Analysis of Knowledge:
S knows that p iff

i. p is true;
ii. S believes that p;
iii. S is justified in believing that p.

Condition (i), the truth condition, has not generated any significant degree of discussion. It is overwhelmingly clear that what is false cannot be known. …[T]he truth-condition enjoys nearly universal consent[.]"


(http://plato.stanford.edu/entries/knowledge-analysis)


Komisch. Immer dann, wenn es bei Dir heißt, es sei etwas "nicht ernsthaft leugbar", werde ich bei dem, was dann kommt, besonders misstrauisch...

Du verweist offenbar gerne und üppig auf das manipulierende argumentum e consensu gentium. ("Aber, aber, jeder Schulbub weiß doch, dass Wissen notwendigerweise Wahrheit voraussetzt und dass Verbrennungen notwendigerweise Flammen erzeugen, sonst wäre ersteres kein Wissen und letzeres keine Verbrennung! Und wer etwas anderes behauptet, der ist dümmer als ein Schulbub - setzen, sechs!" :klugscheisser:)

Würdest Du Dich logischer Schlussfolgerungen befleißigen, um Deine Argumentation wasserdicht zu machen, könnte man dagegen auch nichts sagen. Aber Du möchtest nichts weiter als eine Definition (!) als Standard setzen, und hier greifen keine Wahrheiten und Argumente, weil Definitionen eine Frage der Konvention sind. Kein Wunder, dass Du auf Autoritätsbeweise und andere rhetorische Mittel zurückgreifen musst.

Wie "die tatsachenverdrehenden Behauptungen der Kreationisten", möchte ich fast sagen :santagrin:
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Do 10. Jun 2010, 00:22

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Nix für ungut, aber das erinnert mich an die tatsachenverdrehende Behauptung der Kreationisten, dass die darwinistische Evolutionstheorie doch etwas kontroverser diskutiert werde, als es die Biologen darstellen.

"The JTB Analysis of Knowledge:
S knows that p iff

i. p is true;
ii. S believes that p;
iii. S is justified in believing that p.

Condition (i), the truth condition, has not generated any significant degree of discussion. It is overwhelmingly clear that what is false cannot be known. …[T]he truth-condition enjoys nearly universal consent[.]"


(http://plato.stanford.edu/entries/knowledge-analysis)


BTW, das Zitat geht noch weiter, mit einem Einwand von Nicholas Maxwell...

"Although the truth-condition enjoys nearly universal consent, let us nevertheless consider at least one objection to it. According to this objection, Newtonian Physics is part of our overall scientific knowledge. But Newtonian Physics is [aus meiner Sicht: partiell, d.u.] false. So it's possible to know something false after all."

http://plato.stanford.edu/entries/knowledge-analysis :applaus:


Der Autor versucht den Einwand zwar zu entkräften, allerdings scheint er sich dabei etwas zu verheben:

"In response, let us say that Newtonian physics involves a set of laws of nature {L1, L2,…, Ln}. When we say we know Newtonian physics, this could be interpreted as saying we know that, according to Newtonian physics, L1, L2,…, Ln are all true. And that claim is of course true. "

Wenn wir also sagen, wir wissen über die astrologischen Gesetze {A1, A2,…, An} bescheid, lässt sich das so interpretieren, dass gesagt wird, wir wissen, dass die Gesetze A1, A2,..., An nach Maßgabe der Astrologie wahr sind. Und diese Behauptung ist selbstverständlich wahr, und damit haben wir ein Stück Wissen... :explodieren:


"Additionally, we can distinguish between two theories, T and T*, where T is Newtonian physics and T* updated theoretical physics at the cutting edge. T* does not literally include T as a part, but absorbs T by virtue of explaining in which way T is useful for understanding the world, what assumptions T is based on, where T fails, and how T must be corrected to describe the world accurately. So we could say that, since we know T*, we know Newtonian physics in the sense that we know how Newtonian physics helps us understand the world and where and how Newtonian physics fails."

Mit anderen Worten, das Wissen der Newtonschen Physik ist Wissen in dem Sinne, dass sich heute sagen lässt, wo das Wissen der Newtonschen Physik richtig und wo es falsch ist. Hier scheinen nicht nur ein logischer Knoten, sondern gleich mehrere zusammenzukommen...
Zuletzt geändert von darwin upheaval am Do 10. Jun 2010, 00:47, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Do 10. Jun 2010, 00:47

darwin upheaval hat geschrieben:Ad nauseam, Du schmuggelst ständig Deine Wissens-Definition ("Wissen setzt notwendigerweise Wahrheit voraus") in das Bungesche System ein, in der Wahrheit eben kein Kriterium ist, um dann den Schluss zu ziehen, dass deren Definition logisch inkonsistent sei, weil Wissen nach ihrer Definition problemlos auch falsch sein kann.


Mahner&Bunge definieren den Wissensbegriff in einer derart idiosynkratischen Weise um, dass es besser wäre, wenn sie statt "Wissen" einen anderen Begriff verwenden würden. ("Glauben" eignet sich ja nicht, wobei ich mich allerdings frage, was ihren Wissensbegriff davon noch unterscheidet, wenn es nicht der Wahrheitsaspekt ist, der den Unterschied ausmacht.)

darwin upheaval hat geschrieben:"nach deiner Definition" bezieht sich auf Deine Wahrheitsdefinition, wonach Wissen über x notwendigerweise die Existenz von x und notwendigerweise "Wahrheit" voraussetzt.


Jawohl, das ist meine Auffassung: Wissen ist wahrheitsabhängig und Wahrheit ist wirklichkeitsabhängig.

darwin upheaval hat geschrieben:Die Fraktion der Anti-Realisten lehnt sich bezüglich Existenzfragen gar nicht erst aus dem Fenster; für sie sind "Neutrinos" einfach nur "viable Konstrukte".


Apropos, muss man als Naturalist eigentlich Anti-Idealist sein?
(Ich denke ja.)

darwin upheaval hat geschrieben:Das ist, um es klarzustellen, nicht meine Position; ich bin wie Du ontologischer Realist.


Na endlich sind wir uns mal einig! :umarmen:

darwin upheaval hat geschrieben:Selbstverständlich kann man etwas über fiktive Objekte wissen! Donald Duck ist eine sprechende Ente und hat nie geheiratet, das weiß ich, und das ist sogar intersubjektiv gültiges Wissen.


Aus logischer Sicht ist der Satz "Donald Duck ist eine sprechende Ente" falsch, weil es weder Donald Duck noch sprechende Enten gibt. Wahr ist hingegen der Satz "Donald Duck wird (in Comic-Heften) als sprechende Ente dargestellt". Denn aus "x wird als Y dargestellt (repräsentiert)" folgt weder "x existiert" noch "Ye existieren".
Auch nichtexistente Objekte oder Personen können sprachlich oder bildlich soundso dargestellt werden.

darwin upheaval hat geschrieben:Aber was der eigentliche Clou ist: Konstruktivisten können trotzdem Wissenschaft betreiben und dabei sogar Wissen anhäufen!


Da fällt mir eine lesenswerte Kritik am Konstruktivismus ein, die ich vor Jahren gelesen habe:

* Hacking, Ian. Was heißt 'soziale Konstruktion'? Zur Konjunktur einer Kampfvokabel in den Wissenschaften. Übers. v. J. Schulte. Frankfurt a. M.: Fischer, 1999.

P.S.:
Dieser Text könnte dich interessieren:
"Naturalistic Approaches to Social Construction"
http://plato.stanford.edu/entries/socia ... turalistic
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Do 10. Jun 2010, 01:03

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Ad nauseam, Du schmuggelst ständig Deine Wissens-Definition ("Wissen setzt notwendigerweise Wahrheit voraus") in das Bungesche System ein, in der Wahrheit eben kein Kriterium ist, um dann den Schluss zu ziehen, dass deren Definition logisch inkonsistent sei, weil Wissen nach ihrer Definition problemlos auch falsch sein kann.


Mahner&Bunge definieren den Wissensbegriff in einer derart idiosynkratischen Weise um, dass es besser wäre, wenn sie statt "Wissen" einen anderen Begriff verwenden würden. ("Glauben" eignet sich ja nicht, wobei ich mich allerdings frage, was ihren Wissensbegriff davon noch unterscheidet, wenn es nicht der Wahrheitsaspekt ist, der den Unterschied ausmacht.)


Sagen wir, die Definition entspricht nicht dem mainstream...

Nach dem ganzen Hin-und-Her glaube ich fast, es wäre besser (weil weniger missverständlich) gewesen, "Denken" nicht mit "Wissen" gleichzusetzen. Mit der Auffassung, dass Wissen begründeter Glaube ist, könnte ich mich durchaus anfreunden. Nur nicht mit der Verknüpfung von Wissen und Wahrheit, weil wir eben auch sehr viel (partiell) Falsches wissen, wie eben z.B. die Newtonsche Mechanik.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Die Fraktion der Anti-Realisten lehnt sich bezüglich Existenzfragen gar nicht erst aus dem Fenster; für sie sind "Neutrinos" einfach nur "viable Konstrukte".


Apropos, muss man als Naturalist eigentlich Anti-Idealist sein?
(Ich denke ja.)


Ein konsequenter Naturalist muss das wohl, aber ich würde den Anti-Idealismus streng genommen nicht dem Naturalismus, sondern dem Materialismus zuordnen. Popper beispielsweise war Naturalist, hat aber trotzdem eine "Welt 3" vertreten. (Kurioserweise verstieß er damit gegen seine eigene Methodologie, denn die Existenz einer Welt 3 ist nicht falsifizierbar...)


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Das ist, um es klarzustellen, nicht meine Position; ich bin wie Du ontologischer Realist.


Na endlich sind wir uns mal einig! :umarmen:


Ja, das ist doch auch mal schön :^^:


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Selbstverständlich kann man etwas über fiktive Objekte wissen! Donald Duck ist eine sprechende Ente und hat nie geheiratet, das weiß ich, und das ist sogar intersubjektiv gültiges Wissen.


Aus logischer Sicht ist der Satz "Donald Duck ist eine sprechende Ente" falsch, weil es weder Donald Duck noch sprechende Enten gibt. Wahr ist hingegen der Satz "Donald Duck wird (in Comic-Heften) als sprechende Ente dargestellt". Denn aus "x wird als Y dargestellt (repräsentiert)" folgt weder "x existiert" noch "Ye existieren".
Auch nichtexistente Objekte oder Personen können sprachlich oder bildlich soundso dargestellt werden.


Beachte bitte, dass Du hier streng genommen nur von "Wahrheit" sprichst (mit Deiner Analyse bin ich einverstanden), was aber den Wissensbegriff nicht ausschließt. Du verfügst ja über bestimmtes Wissen über Donald Duck - unabhängig davon, ob er existiert oder nicht.

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Aber was der eigentliche Clou ist: Konstruktivisten können trotzdem Wissenschaft betreiben und dabei sogar Wissen anhäufen!


Da fällt mir eine lesenswerte Kritik am Konstruktivismus ein, die ich vor Jahren gelesen habe:

* Hacking, Ian. Was heißt 'soziale Konstruktion'? Zur Konjunktur einer Kampfvokabel in den Wissenschaften. Übers. v. J. Schulte. Frankfurt a. M.: Fischer, 1999.


Danke, der Titel klingt interessant, ich werde mir die Arbeit besorgen. Ich selbst kenne diesbezüglich nur:

Wendel, H.J. (1990) Moderner Relativismus, Mohr Siebeck.

Der Stoff ist vergleichsweise trocken und über weite Strecken nicht leicht verdaulich.
Zuletzt geändert von darwin upheaval am Do 10. Jun 2010, 01:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Do 10. Jun 2010, 01:04

darwin upheaval hat geschrieben:Würdest Du Dich logischer Schlussfolgerungen befleißigen, um Deine Argumentation wasserdicht zu machen, könnte man dagegen auch nichts sagen. Aber Du möchtest nichts weiter als eine Definition (!) als Standard setzen, und hier greifen keine Wahrheiten und Argumente, weil Definitionen eine Frage der Konvention sind. Kein Wunder, dass Du auf Autoritätsbeweise und andere rhetorische Mittel zurückgreifen musst.


Auch wenn es keine wahren oder falschen Definitionen gibt, so gibt es doch adäquate und inadäquate Definitionen.
Und die Wissensdefinition von M&B ist u.a. deshalb inadäquat, weil sie extrem vom gängigen Sprachgebrauch abweicht.
Fast alle Leute würden auf eine Äußerung wie "Es regnet zwar nicht, aber Peter weiß, dass es regnet" folgendermaßen reagieren: "Häh…, wie soll denn das gehen?!"

"When philosophers offer definitions of, e.g., ‘know’ and ‘free’, they are not being stipulative: a lack of fit with existing usage is an objection to them."

(http://plato.stanford.edu/entries/definitions)

Und wenn es um ein Axiom geht, dann kann ich natürlich nur logisch-rationale Intuitionen ins Feld führen.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Do 10. Jun 2010, 01:07

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Würdest Du Dich logischer Schlussfolgerungen befleißigen, um Deine Argumentation wasserdicht zu machen, könnte man dagegen auch nichts sagen. Aber Du möchtest nichts weiter als eine Definition (!) als Standard setzen, und hier greifen keine Wahrheiten und Argumente, weil Definitionen eine Frage der Konvention sind. Kein Wunder, dass Du auf Autoritätsbeweise und andere rhetorische Mittel zurückgreifen musst.


Auch wenn es keine wahren oder falschen Definitionen gibt, so gibt es doch adäquate und inadäquate Definitionen.
Und die Wissensdefinition von M&B ist u.a. deshalb inadäquat, weil sie extrem vom gängigen Sprachgebrauch abweicht.


Einverstanden. Dagegen kann man wiederum einwenden, dass wir auch viel partiell Falsches wissen (s.o.)...

So, jetzt muss ich aber ins Bett. Hast Du Urlaub, oder warum kannst Du um 4 Uhr noch Antworten schreiben?
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Do 10. Jun 2010, 01:34

darwin upheaval hat geschrieben:BTW, das Zitat geht noch weiter, mit einem Einwand von Nicholas Maxwell...


Den habe ich übrigens schon vor einer Woche zitiert:

viewtopic.php?p=66730#p66730

darwin upheaval hat geschrieben:Der Autor versucht den Einwand zwar zu entkräften, allerdings scheint er sich dabei etwas zu verheben:

"In response, let us say that Newtonian physics involves a set of laws of nature {L1, L2,…, Ln}. When we say we know Newtonian physics, this could be interpreted as saying we know that, according to Newtonian physics, L1, L2,…, Ln are all true. And that claim is of course true. "

Wenn wir also sagen, wir wissen über die astrologischen Gesetze {A1, A2,…, An} bescheid, lässt sich das so interpretieren, dass gesagt wird, wir wissen, dass die Gesetze A1, A2,..., An nach Maßgabe der Astrologie wahr sind. Und diese Behauptung ist selbstverständlich wahr, und damit haben wir ein Stück Wissen...


Natürlich können Sätze der Form "Laut der Theorie T ist es wahr, dass A" wahr sein und damit gewusst werden.
Aber:

"[W]hat exists only according to some false theory just does not exist at all."

(Lewis, David. On the Plurality of Worlds. Oxford: Blackwell, 1986. p. 3)

Und natürlich gilt auch:

What is true only according to some false theory just is not true at all.

darwin upheaval hat geschrieben:"…So we could say that, since we know T*, we know Newtonian physics in the sense that we know how Newtonian physics helps us understand the world and where and how Newtonian physics fails."

Mit anderen Worten, das Wissen der Newtonschen Physik ist Wissen in dem Sinne, dass sich heute sagen lässt, wo das Wissen der Newtonschen Physik richtig und wo es falsch ist. Hier scheinen nicht nur ein logischer Knoten, sondern gleich mehrere zusammenzukommen...


Ich gebe zu, dass die obige Aussage nicht ganz klar ist. Meint der Autor etwa, dass uns die falsche Newton'sche Theorie so beim Weltverstehen hilft wie nichtdokumentarische, aber realistische Romane oder Spielfilme?
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Myron
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Do 10. Jun 2010, 02:06

darwin upheaval hat geschrieben:Nach dem ganzen Hin-und-Her glaube ich fast, es wäre besser (weil weniger missverständlich) gewesen, "Denken" nicht mit "Wissen" gleichzusetzen.


1. Das bloße Denken, dass A, ist sowohl glaubens-, wissens- als auch wahrheitsunabhängig.
2. Das Glauben, dass A, ist sowohl wissens- als auch wahrheitsunabhängig.
3. Das Wissen, dass A, ist sowohl glaubens- als auch wahrheitsabhängig.

darwin upheaval hat geschrieben:Mit der Auffassung, dass Wissen begründeter Glaube ist, könnte ich mich durchaus anfreunden. Nur nicht mit der Verknüpfung von Wissen und Wahrheit, weil wir eben auch sehr viel (partiell) Falsches wissen, wie eben z.B. die Newtonsche Mechanik.


Dass ein Glaube gut begründet, gerechtfertigt ist, ist noch keine hinreichende Bedingung für Wissen.
Wenn du Lotto spielst, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines Sechsers 1:13.983.816 = 0,0000000715 = 0,00000715%. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass du einen Sechser haben wirst, ist verschwindend gering. Damit ist dein Glaube, dass du keinen Sechser haben wirst, in höchstem Maße gerechtfertigt – besser geht's kaum. Aber weißt du damit auch, dass du keinen Sechser haben wirst? Meine Intuition sagt nein, denn solange die Sechserwahrscheinlichkeit nicht genau 0 ist, besteht ja de facto die Möglichkeit, dass du doch einen Sechser haben wirst. Das Lottobeispiel legt also den Schluss nahe, dass kein noch so gut begründeter Glaube per se als Wissen gelten kann.
Jeder realistische Lottospieler rechnet nicht mit einem Sechser, aber kein Lottospieler weiß, dass er keinen Sechser haben wird.
Das Lottobeispiel stellt den Fallibilismus vor große Probleme.

darwin upheaval hat geschrieben:Popper beispielsweise war Naturalist, hat aber trotzdem eine "Welt 3" vertreten.


Was wieder die Frage aufwirft, ob der Naturalismus mit dem Platonismus, also mit dem Glauben an Abstrakta vereinbar ist.

darwin upheaval hat geschrieben:Du verfügst ja über bestimmtes Wissen über Donald Duck - unabhängig davon, ob er existiert oder nicht.


Ich verfüge lediglich über Wissen bezüglich der Art und Weise, wie der fiktive DD von den Autoren in den Comic-Heften dargestellt wird, d.h. über Wissen bezüglich des Inhalts von Comic-Heften.

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:* Hacking, Ian. Was heißt 'soziale Konstruktion'? Zur Konjunktur einer Kampfvokabel in den Wissenschaften. Übers. v. J. Schulte. Frankfurt a. M.: Fischer, 1999.

Danke, der Titel klingt interessant, ich werde mir die Arbeit besorgen.


Bei GoogleBooks kannst du einen Blick ins Original werfen:

"The Social Construction of What?"
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Fr 11. Jun 2010, 20:28

Myron hat geschrieben:"Wenn jemand eine Aussage p weiß, dann impliziert dies weder, daß p wahr ist, noch daß er oder sie weiß, daß p wahr ist."
(Mahner, Martin, und Mario Bunge. Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin: Springer, 2000. S. 128)

Leider ist "Wenn jemand eine Aussage p weiß" schlechtes Deutsch, aber ich nehme an, dass "Wenn jemand weiß, dass p" gemeint ist, da die Bedeutung "Wenn jemand die Aussage p kennt" den ganzen Satz trivialisieren würde. Denn daraus, dass ich eine Aussage einfach nur kenne, folgt selbstverständlich nicht, dass sie wahr ist, oder dass ich weiß, dass sie wahr ist. Also geht es wohl um den folgenden Satz:
"Wenn jemand weiß, dass p, dann impliziert dies weder, dass p wahr ist, noch dass er oder sie weiß, dass p wahr ist."


Dacht' ich's mir doch, das ist eine schlechte Übersetzung aus dem Englischen:

"[A]n individual's knowledge of a proposition p neither implies that p is true nor that he or she knows that p is true."

(Foundations of Biophilosophy, S. 131)

Falls "kennt die Aussage A" nur soviel bedeutet wie "hat gelernt, dass A", dann habe ich an diesem Satz nichts auszusetzen.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon smalonius » Fr 11. Jun 2010, 21:47

Das Eichhörnchen-Beispiel kennt vielleicht der eine oder andere.

Ein Wanderer im Wald sah ein Eichhörnchen an einem Baumstamm sitzend. Neugierig, wie der Wanderer war, wollte er das Eichhörnchen aus der Nähe betrachten. Das Eichhörnchen jedoch war wachsam und wich dem Blick des Wanderers aus, immer wenn der Wanderer sich bewegte, wich das Eichhörnchen auf die gegenüberliegende Seite des Baumstammes aus.

Es geschah, daß zwei Philosophen hinzukamen und den Vorgang betrachteten.

Da sagte der eine Philosoph: "Schau, der Wanderer hat das Eichhörnchen umrundet"
Worauf der andere sagte: "Hat er nicht. Wie kommst du darauf?"
Sagte der erste: "Er ist von Ost nach Süd nach West nach Nord und zurück nach Ost gegangen und hat somit das Eichhörnchen umrundet."
Sagte der zweite: "Mitnichten. Der Wanderer hat das Eichhörnchen nie von der Seite, von hinten und von der anderen Seite gesehen. Das ist aber wesentlich für eine Umrundung."

Man kann lange darüber streiten, was eine Umrundung ist, und welcher der beiden Philosphen Recht hatte; man kann lange darüber streiten, was die geeignete Definition von Wissen ist.

Streitereien um Definitionen von Umrundung oder Wissen lenken nur von der Frage ab, war's ein Grauhörnchen oder ein Rothörnchen?
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Fr 11. Jun 2010, 22:29

Myron hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:"Wenn jemand eine Aussage p weiß, dann impliziert dies weder, daß p wahr ist, noch daß er oder sie weiß, daß p wahr ist."
(Mahner, Martin, und Mario Bunge. Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin: Springer, 2000. S. 128)

Leider ist "Wenn jemand eine Aussage p weiß" schlechtes Deutsch, aber ich nehme an, dass "Wenn jemand weiß, dass p" gemeint ist, da die Bedeutung "Wenn jemand die Aussage p kennt" den ganzen Satz trivialisieren würde. Denn daraus, dass ich eine Aussage einfach nur kenne, folgt selbstverständlich nicht, dass sie wahr ist, oder dass ich weiß, dass sie wahr ist. Also geht es wohl um den folgenden Satz:
"Wenn jemand weiß, dass p, dann impliziert dies weder, dass p wahr ist, noch dass er oder sie weiß, dass p wahr ist."


Dacht' ich's mir doch, das ist eine schlechte Übersetzung aus dem Englischen:

"[A]n individual's knowledge of a proposition p neither implies that p is true nor that he or she knows that p is true."

(Foundations of Biophilosophy, S. 131)

wenn ich richtig informiert bin, wurde das Werk nicht übersetzt, sondern umgeschrieben. Beide Bücher sind nicht identisch. Die englische Ausgabe ist für den amerikanischen Leserkreis bestimmt und unterscheidet sich auch im Umfang des Inhalts von der deutschen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nur die englische Ausgabe 'from cover to cover' gelesen habe, die deutsche nur bei aktuellem Bedarf passagenweise.

Myron hat geschrieben:Falls "kennt die Aussage A" nur soviel bedeutet wie "hat gelernt, dass A", dann habe ich an diesem Satz nichts auszusetzen.

Mhmmmm, ich sehe den großen Unterschied zwischen "Wenn jemand eine Aussage p weiß" und "[A]n individual's knowledge of a proposition p" nicht. Die Bedeutung 'hat gelernt, dass A' könnte man meiner Meinung nach beiden Sätzen unterstellen.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon El Schwalmo » Fr 11. Jun 2010, 22:35

smalonius hat geschrieben:Streitereien um Definitionen von Umrundung oder Wissen lenken nur von der Frage ab, war's ein Grauhörnchen oder ein Rothörnchen?

ich bin mir nicht sicher, ob die Sache so einfach ist. Wenn ich es richtig sehe, argumentiert Myron als Philosoph im üblichen Sinn. Das, was hier 'Definition' ist, basiert auch auf der Verwendung von Begriffen in der Umgangssprache. Die Analyse scheint mir eine vollkommen andere Ebene zu betreffen als die, um die es Darwin Upheaval (eigentlich Mahner) geht. Mahners Werk heißt 'Biophilosphy', Mahner ist promovierter Biologe. Da scheint mir schon mehr auf dem Spiel zu stehen als eine Definition, die man als Werkzeug willkürlich definieren könnte.

Implizit erhebt Darwin Upheaval einen Geltungsanspruch. Er fordert ein, dass seine Definition Standard sein soll, weist darauf hin, dass Myron eine veraltete Definition vertritt und so weiter. Man könnte nun nach Gründen suchen, warum das so ist. Damit warte ich aber ab, bis die Diskussion zu Ende ist.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon smalonius » So 13. Jun 2010, 23:42

El Schwalmo hat geschrieben:ich bin mir nicht sicher, ob die Sache so einfach ist. Wenn ich es richtig sehe, argumentiert Myron als Philosoph im üblichen Sinn. Das, was hier 'Definition' ist, basiert auch auf der Verwendung von Begriffen in der Umgangssprache.

Schon so einfach.

"Umgangssprache" ist das Schlüsselwort hier. Je nachdem, wie man Wissen verstehen will, hat entweder Myron recht und Darwin Upheaval liegt falsch, oder umgekehrt. Ihr Streit hat nur semantische Bedeutung, aber keine faktische.

Von meiner Warte aus: formalisiertes Wissen läßt sich als semantisches Netz und als regelbasiertes System darstellen. Also zum Beispiel:

- Ein Auto hat einen Treibstofftank.
- Ein Treibstofftank hat einen Füllstand.
- Wenn der Treibstofftank leer ist, dann fährt ein Auto nicht.


Sinnvolle Aussagen zeichnen sich dadurch aus, daß sie mit anderen Aussagen verknüpft sind und zu Konsequenzen führen. Als Beispiel für eine unverknüpfte Aussage: "Gar elump war der Pluckerwank", das ist keine sinnvolle Aussage im obigen Netz. Ebenso sind folgende Aussagen bedeutungslos:

Abstrakta sind real oder nicht.
"Wissen ist, was begründet ist" vs. "Wissen ist, was richtig ist."


Ganz egal wie man diese Fragen beantwortet, es folgt nichts aus ihnen. :ka: Denke ich, Gegenbeispiele willkommen.


El Schwalmo hat geschrieben:Mahners Werk heißt 'Biophilosphy', Mahner ist promovierter Biologe. Da scheint mir schon mehr auf dem Spiel zu stehen als eine Definition, die man als Werkzeug willkürlich definieren könnte.

Jetzt hast du versäumt zu sagen, was auf dem Spiel steht. ;-)

Hab mal kurz in ein Kapitel hineingeschaut.

3.1 "Erkennen und Wissen":
DEFINITION 3.3 Das Wissen (oder die Erkenntnis) eines Tiers zu einer bestimmten Zeit ist die Menge aller (i) sensomotorischen Fähigkeiten oder (ii) perzeptiven Fähigkeiten und Wahrnehmungen oder (iii) Begriffe und Aussagen, die es bis dahin gelernt und behalten hat.

Mit anderen Worten: Das Wissen eines Lebewesens ist die Menge aller Veränderungen (Prozesse) in seinem plastischen neuronalen Gesamtsystem, einschließlich der Fähigkeit, diese Prozesse wieder ablaufen zu lassen. Dementsprechend können Organismen ohne Nervensystem, wie Pflanzen, Einzeller oder Schwämme, kein Wissen besitzen. Das gilt erst recht für Nichtorganismen wie computer.

http://books.google.com/books?id=pLAgce ... ie&f=false

Die Definition selbst scheint mir OK, wenn ich sie wohlwollend lese. Beim Nachsatz allerdings habe ich meine Zweifel. Das widerspricht meinem umgangssprachlichen Verständnis von "Wissen".

Von quorum sensing unter Einzellern habt ihr vielleicht schon gehört. Einzeller senden Botenstoffe aus. Wird ein Schwellenwert an vorhandenen Botenstoffen überschritten, ändert sich das Verhalten der Einzeller.

Es läßt sich sicher lange und vortrefflich darüber streiten, ob die quorum-verstehenden Einzeller "tatsächlich" etwas wissen oder nicht. Das ist aber nebensächlich, wichtig ist die Tatsache, daß es sowas wie quorum-sensing gibt.

Übrigens: daß "Nichtorganismen wie computer" prinzipiell nichts wissen können, ist geradezu albern, nachdem Wissen vorher als "wahrnehmen, erkennen und behalten" definiert wurde.
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