Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Di 14. Jan 2014, 12:30

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber Du willst doch argumentieren, dass Determinismus und Freiheit sich ausschließende Gegensätze seien; dass, wenn unsere Welt determiniert sei, es darin keine freien Entscheidungen geben könne. Nicht? Und dafür musst doch mindestens ein einziges Argument vorbringen können.


Ich habe nun hier ein Argument gefunden, das am ehesten das beschreibt, was ich sagen will und es sehr schön auf den Punkt bringt:
"In letzter Zeit ist ein weiteres wichtiges Argument für den Inkompatibilismus ins Feld geführt worden – das Konsequenz-Argument Peter van Inwagens (Van Inwagen 1983): Wenn der Determinismus wahr ist, ergibt sich jede meiner Entscheidungen mit logischer Notwendigkeit aus vorhergehenden Ereignissen und den geltenden Naturgesetzen. Für diese vorhergehenden Ereignisse gilt ebenso, dass sie sich mit logischer Notwendigkeit aus anderen noch weiter zurück liegenden Ereignissen und den geltenden Naturgesetzen ergeben, usw. Wenn der Determinismus wahr ist, gilt letzten Endes also: Alle meine Entscheidungen ergeben sich mit Notwendigkeit aus Ereignissen, die vor meiner Geburt stattfanden, und den geltenden Naturgesetzen. Ich habe aber weder Macht über Ereignisse, die vor meiner Geburt stattgefunden haben, noch über die geltenden Naturgesetze. Also habe ich auch keine Macht über meine Entscheidungen."

Konsequenter harter Determinismus bedeutet also für mich, dass auch dann, wenn wir bewusst, rational und reflexiv überlegen, unsere Entscheidungen ihre Ursachen in der Vergangenheit haben und den geltenden Naturgesetzen gehorchen. Diese Ursachen und die Naturgesetze "spüren" wir aber oft nicht - und deshalb "fühlen" wir uns meistens frei bei unserem Denken, Entscheiden und Handeln. Im praktischen Leben hat es nun meiner Ansicht nach keine große Bedeutung, ob wir jetzt unausweichlich festgelegt sind oder nicht, weil wir uns offensichtlich als frei sehen und auch meistens rational begründen können, warum wir so und nicht anders gehandelt haben.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » Di 14. Jan 2014, 15:56

ice hat geschrieben:Ich habe aber weder Macht über Ereignisse, die vor meiner Geburt stattgefunden haben, noch über die geltenden Naturgesetze. Also habe ich auch keine Macht über meine Entscheidungen."

Was bedeutet es denn überhaupt für dich, "Macht" zu haben und inwiefern kann jemand "Macht über seine Entscheidungen haben", wenn das eine Loslösung des Ichs von der Existenz seines physischen (determinierten) Körpers implizierte? Wie soll es funktionieren, dass meine Entscheidungen beeinflusse? Das würde ja bedeuten, dass das, was "ich" bin und das, was meine Entscheidungen trifft, etwas unterschiedliches sind. Denn Beeinflussung oder Macht über etwas [Anderes] haben, bedeutet, dass eine Subjekt-Objekt-Beziehung vorliegt, und das ist hier nicht der Fall, da "ich" und der Denkapparat identisch sind.

Auch bedeutet, das will ich nochmal verdeutlichen, eine "freie Entscheidung" nicht eine "zufällige Entscheidung". Sind die Ausgangsbedingungen identisch, würde man also einen bestimmten Abschnitt der Realität immer und immer wieder mit denselben Anfangsbedingungen wiederholen, so müsste ein darin existierendes Individuum sich natürlich immer wieder identisch entscheiden, denn es entscheidet ja frei, aber mit Begründung. Da die Präferenzen der Person, die Informationen, die sie zur Verfügung hat, und die Argumente, die sie kennt, in jeder Versuchsanordnung identisch wären, würde der Entscheidungsprozess auch identisch ausfallen, wäre also determiniert. Dabei muss man auf Feinheiten achten, die mir in dieser Diskussion manchmal zu schnell preisgegeben werden (Motto: "Ist doch eh alles dasselbe."). Es wäre z.B. zu beachten, dass "gezwungen sein" und "so handeln, wie man aus den Bedingungen heraus eben [determiniert] handelt", eindeutig nicht dasselbe ist. Zwang, das wäre wie bei der "Beeinflussung des Körpers durch den Geist", setzt eine Subjekt-Objekt-Beziehung voraus, also dass jemand auf jemand Anderen Einfluss ausübt. Wenn Subjekt und Objekt aber zusammenfallen ("Ich" und mein Entscheidungsorgan sind identisch), fällt auch der Zwingende weg bzw. wird eins mit dem Gezwungenen, wodurch es überhaupt keinen Sinn mehr ergibt, von Zwang zu sprechen.
Dass Ursachen in der Vergangenheit den Weg für spätere Entscheidungen bereitet haben, ist richtig, aber ich sehe das Skandalöse daran nicht. Das Absurde wäre doch andersherum: Dass Entscheidungen zufallsbedingt geschehen und unnachvollziehbar wären. Das würde bedeuten, ich könnte eine Präferenz für Schokoladeneis haben und mich dann aber stattdessen im Schraubenladen für das Leasing eines Wiener Schnitzels entscheiden, weil es keine konsistenten, aufeinander aufbauenden Ursache-Wirk-Beziehungen mehr gäbe, im Sinne von "Wenn ich Schokoeis sehr haben will, dann gehe ich zur Eisdiele und kaufe Schokoeis; dass ich das kann, darin besteht meine Freiheit."

Ich sehe solche Vorstellungen als dualistische Residuen, die du (und Andere hier) aus ihren Weltanschauungen nicht konsequent verbannt haben, woraus der Scheinwiderspruch entsteht, Freiheit und Determinismus schlössen sich aus. Mein Eindruck ist, dass du zwar einen physikalischen Monismus vertrittst bzw. vertreten willst, dabei aber ererbte Vorstellungen aus der substanzdualistischen Welt mit einmischt, die davon ausging, dass es einen immateriellen Geist (das "Ich", die "Seele") gibt, der die Entscheidungen für den Körper trifft und von außen auf ihn einwirkt, so dass neben den physischen Einwirkungen eine weitere Einwirkungsart bestehen würde (das wäre dann das "Macht über die eigenen Entscheidungen haben" oder genauer gesagt: Als Geist den Körper beherrschen, ohne andersherum durch Einwirkungen der physischen Welt determiniert zu sein). Der Monismus, der ja in der Philosophie mittlerweile weihtin recht konkurrenzlos akzeptiert wird, verbannt solche Möglichkeiten zwar aus der Welt, aber offensichtlich bleiben die Vorstellungen doch noch tief in vielen Weltbildern verankert. Dadurch, meine persönliche Vermutung, kommt es dann im Rahmen einer unabgeschlossenen Transformation des eigenen Weltbilds zu einer Integration von monistisch-deterministischen und dualistisch-indeterministischen Vorstellungen. Insbesondere den Freiheitsbegriff haben du und Andere hier - meines Erachtens - nicht erfolgreich übertragen, so dass ihr immer noch mit einem Freiheitsbegriff aus der substanzdualistischen Welt operiert, der natürlich im Reich des monistischen Determinismus vollkommen deplatziert wirkt. Denn letztlich definiert ihr Freiheit auf eine Weise, der ein Kompatiblist auf keinen Fall folgen würde, zeigt dann den Widerspruch auf, wobei ihr damit eigentlich nur die Reste der eigenen dualistischen Vorstellungen demontiert.

Vollbreit und Agent haben die wesentlichen Punkte eigentlich schon mehrfach erläutert und versucht, Missverständnisse bzw. inkonsistente Defintionen auszuräumen. Ich würde empfehlen, nochmal hier und da zurückzublättern und den ein oder anderen Beitrag nochmal zu lesen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Di 14. Jan 2014, 16:39

ice hat geschrieben:Konsequenter harter Determinismus bedeutet also für mich, dass auch dann, wenn wir bewusst, rational und reflexiv überlegen, unsere Entscheidungen ihre Ursachen in der Vergangenheit haben und den geltenden Naturgesetzen gehorchen.
Davon gehen auch Kompatibilisten aus.

ice hat geschrieben:Diese Ursachen und die Naturgesetze "spüren" wir aber oft nicht - und deshalb "fühlen" wir uns meistens frei bei unserem Denken, Entscheiden und Handeln. Im praktischen Leben hat es nun meiner Ansicht nach keine große Bedeutung, ob wir jetzt unausweichlich festgelegt sind oder nicht, weil wir uns offensichtlich als frei sehen und auch meistens rational begründen können, warum wir so und nicht anders gehandelt haben.
Auf der theoretischen Ebene sieht es aber nicht anders aus.
Etwas was determiniert ist, Ursachen hat, kann nicht gleichzeitig frei sein, meine ich da immer noch zu hören.

Wenn Du mal erklärst, warum das nicht sein kann, wirst Du höchst wahrscheinlich feststellen, dass Du keine wirkliche Erklärung findest.
Mein Wunsch Bier zu trinken hat beliebig viele Ursachen. Sag mir mal warum 1000 davon oder 17 oder auch nur eine meinen an sich klaren Wunsch: „Ich will jetzt Bier trinken“ irgendwie plausibler macht. Du kannst die Kausalkette starten lassen, bei meinem ersten Kontakt mit Bier oder bei der antiken Quelle der Braukunst, in den Genen meines Großvaters oder beim Urknall.
Wenn ich Bier will und weder süchtig bin, noch mit der Pistole dazu gezwungen werde, dann ist das doch ein klar artikulierter Wunsch.
Weiß man wo der „herkommt“, ist der Wunsch dann weg oder anders oder gar unfrei? Wieso?
Ich habe auch vor gleich noch spazieren zu gehen. Das wird nicht frei von Ursachen sein, eine ist, dass ich gerne spazieren gehe.
Die eigentliche Frage ist doch mit welchem guten Grund mal jemandem der sagt „Ich will ...“ genau das absprechen darf oder kann?
Innerer und äußerer Zwang sind solche Gründe, liegen die nicht vor, müssen die Gründe jemandem seine prima facie Berechtigungen abzusprechen gravierend sein und können nicht so lapidar daher gesagt sein.
Denn zu jeder Theorie über die „wahren Ursachen“ kommen unendlich viele andere Theorien über „wahre Ursachen“ dazu. Welche soll nun die richtige sein oder nach welcher Hierarchie wollen wir die vielen gewichten?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Di 14. Jan 2014, 21:03

ujmp hat geschrieben:Evtl. kann man sagen, dass der Wille frei von allem ist, außer von der Vernunft des Organismus, in dem er sich befindet. Diese Vernunft ist dabei aber ein hundertprozentig determinierter Prozess.


Bild

Eine kleine Illustration: Die Entscheidung, ob die Kugel 2 nach links oder nach rechts fällt, hängt nicht von der Schwerkraft ab, sondern nur von ihrer Position. In diesem Sinn ist diese Entscheidung - also der ausschlaggebende Parameter für links oder rechts- gegenüber der Schwerkraft autonom. Die menschliche Vernunft oder das Ich oder wie auch immer man es nennt, ist in diesem Sinn ein autonomer physikalischer Prozess. Sicher unterliegt das Gehirn, in dem dieser Prozess stattfindet, der Schwerkraft, aber das beeinflusst diesen Prozess nicht. Eben diese Autonomie erleben wir als Freiheit.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Di 14. Jan 2014, 21:32

Bedeutet Freiheit demnach Zufall für Dich?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Di 14. Jan 2014, 22:01

Vollbreit hat geschrieben:Bedeutet Freiheit demnach Zufall für Dich?

Wie kommst du darauf?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Di 14. Jan 2014, 22:20

Weil diese Autonomie gegenüber der Schwerkraft für mich wie Zufall aussieht.
Du wolltest doch den Aspekt der Freiheit daran verdeutlichen oder habe ich das falsch gesehen?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 15. Jan 2014, 01:58

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:"P nimmt fälschlich an, dass er Kontrolle über die Situation habe, diese steuern könne, es (zu einem großen Teil) an ihm läge, was weiterhin geschieht, dass es von seiner Entscheidung abhinge, was im Folgenden passiere".
Kein logischer Widerspruch weit und breit.

Begründe bitte das "fälschlich".

Habe ich doch oben beispielhaft gemacht: das Beispiel des Hypnotisierten, der fälschlich meint, der Wunsch, seine Schuhe auszuziehen und auf den Tisch zu stellen, sei auf seinem Mist gewachsen.

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, das liegt nicht nur in meinem Empfinden, das ist entweder tatsächlich der Fall oder nicht. Egal, ob ich das gerade erkennen kann oder nicht.

Dann erkläre doch bitte noch mal, was "Zwang" zu einem konkreten Zeitpunkt bedeutet - und am besten auch, worin der Unterschied zwischen "Zwang" und dem "Gefühl des Gezwungen-Werdens" zu einem konkreten Zeitpunkt besteht.

Mal so aus dem hohlen Bauch heraus: a) Zwang zu einem bestimmten Zeitpunkt: jemand tut etwas aufgrund von Umständen, die er falsch einschätzt, etwas, das seinem eigentlichen Willen/seinen Absichten/seinen Wünschen/seinen Präferenzen widerspricht und was er (wesentlich) anders gemacht hätte, falls er die Umstände richtig erkannt hätte. Und/oder: b) jemand entscheidet/tut etwas gegen seinen Willen/(etc.) aufgrund von Umständen, die er zwar hinreichend richtig einschätzt, die er aber nicht beeinflussen kann, etwas, das er (wesentlich) anders gemacht hätte, falls er die diese Umstände hätte beeinflussen können.

Der Unterschied zwischen "Zwang" und "Gefühl des Gezwungen-Werdens" findet sich in a), insbesondere, wenn hierbei Manipulation durch Dritte ins Spiel kommt, die man zum Zeitpunkt der Entscheidung/Handlung nicht durchschaut, sie man sich nicht zu eigen machen würde, wenn man sie durchschaute.

fopa hat geschrieben:Es geht um Begriffe. Kann Entscheidungsfreiheit bzw. Zwang aus Sicht des Determinismus anders beschrieben werden als durch die Empfindungen des handelnden/entscheidenden Subjekts?

Diese Frage ist hier irrelevant, hat nämlich nichts mit Deiner Ursprungsbehauptung zu tun, dass Entscheidungsfreiheit bzw. Zwang ausschließlich vom zum Zeitpunkt der Entscheidung/Handlung vorhandenen Empfindungen abhinge, man sich daher auch nicht irren könnte darüber, ob man in einer konkreten Situation frei entschieden habe/keinen Zwängen unterlag.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 15. Jan 2014, 02:23

ice hat geschrieben:Ich habe nun hier ein Argument gefunden, das am ehesten das beschreibt, was ich sagen will und es sehr schön auf den Punkt bringt:
"In letzter Zeit ist ein weiteres wichtiges Argument für den Inkompatibilismus ins Feld geführt worden – das Konsequenz-Argument Peter van Inwagens (Van Inwagen 1983): Wenn der Determinismus wahr ist, ergibt sich jede meiner Entscheidungen mit logischer Notwendigkeit aus vorhergehenden Ereignissen und den geltenden Naturgesetzen. Für diese vorhergehenden Ereignisse gilt ebenso, dass sie sich mit logischer Notwendigkeit aus anderen noch weiter zurück liegenden Ereignissen und den geltenden Naturgesetzen ergeben, usw. Wenn der Determinismus wahr ist, gilt letzten Endes also: Alle meine Entscheidungen ergeben sich mit Notwendigkeit aus Ereignissen, die vor meiner Geburt stattfanden, und den geltenden Naturgesetzen. Ich habe aber weder Macht über Ereignisse, die vor meiner Geburt stattgefunden haben, noch über die geltenden Naturgesetze. Also habe ich auch keine Macht über meine Entscheidungen."

Prima, das Konsequenz-Argument, das ist in der Tat mit Abstand das beste Argument der Inkompatibilisten.

Aber: ist es nun nicht so, dass das Konsequenzargument einfach alle zwischenliegenden Elemente in der Kausalitätskette einfach stillschweigend unterschlägt, so tut, als ob Entscheidungen und Handlungen direkt auf Vorkommnisse auf unserer Geburt zurückführbar wären, so, als ob momentane Erkenntnisse und Überlegungen auswirkungslos für unsere Entscheidungen und Handlungen wären? Macht es wirklich keinen Unterschied für meine Freiheit, ob ich bei meinen Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen bestimmte Umstände erkennen kann und die so berücksichtigen kann oder nicht? Ob ich diese Fähigkeit habe, mag zwar letztlich von mir nicht beeinflussbaren Umständen abhängen, aber - der andere Einwand gegen das Konsequenzialitätsargument - wie wäre das auch anders auch nur im Ansatz überhaupt denkbar? Oder mal so gesagt: es ist sicher wenig strittig, dass sich niemand voraussetzungslos aus dem Nichts erschaffen kann, dass jeder vielfältigen Einflüssen unterliegt, über die er keine Kontrolle hatte. Aber wieso folgt daraus, dass wir unfrei seien? Nach welchem Freiheitsbegriff? Nach einem, der erfordert, dass wir uns wie Phönix aus der Asche absolut voraussetzungslos selber erschaffen? Aber der wäre erstens unplausibel, weil logisch unmöglich und zweitens glaubt doch kein Mensch ernsthaft, dass Menschen derartige Fähigkeiten hätten. Oder?

ice hat geschrieben:Konsequenter harter Determinismus bedeutet also für mich, dass auch dann, wenn wir bewusst, rational und reflexiv überlegen, unsere Entscheidungen ihre Ursachen in der Vergangenheit haben und den geltenden Naturgesetzen gehorchen. Diese Ursachen und die Naturgesetze "spüren" wir aber oft nicht - und deshalb "fühlen" wir uns meistens frei bei unserem Denken, Entscheiden und Handeln.

Du setzt hier mal wieder voraus, dass "sich frei fühlen" bedeute, man würde meinen, man wäre unabhängig von allen nicht beeinflussbaren Umständen - egal, ob die determiniert oder indeterminiert sind, der Punkt ist doch dabei gar nicht "determiniert" oder "indeterminiert", der ausschlaggebende Punkt ist vielmehr: keine Kontrolle.

ice hat geschrieben:Im praktischen Leben hat es nun meiner Ansicht nach keine große Bedeutung, ob wir jetzt unausweichlich festgelegt sind oder nicht, weil wir uns offensichtlich als frei sehen und auch meistens rational begründen können, warum wir so und nicht anders gehandelt haben.

Hier unterschlägst Du nun den Unterschied zwischen: "unsere Entscheidungen und Handlungen sind unausweichlich auch durch unsere Wünsche/Absichten/Überlegungen/Ansichten/Meinungen festgelegt" und "unsere Entscheidungen und Handlungen sind unausweichlich festgelegt, aber unsere Wünsche/Absichten/Überlegungen/Ansichten/Meinungen spielen dabei keine Rolle".

Das aber scheint mir nun ein sehr wesentlicher Unterschied zu sein. Wenn unsere Entscheidungen unausweichlich festgelegt sind und dabei unsere Wünsche/Absichten/Überlegungen/Ansichten/Meinungen eine große Rolle spielen, dann ist prima facie wenig einsichtig, was daran dann unfrei sein sollte. Es fällt auch schwer, zu sehen, wie eine bessere Alternative für einen plausiblen Freiheitsbegriff aussehen könnte. Schwer vorstellbar, inwiefern Zufall und/oder Irrationalität notwendige Bedingungen für einen Freiheitsbegriff, der etwas mit Verantwortung zu tun hat, sein könnten.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 15. Jan 2014, 02:40

ujmp hat geschrieben:Eine kleine Illustration: Die Entscheidung, ob die Kugel 2 nach links oder nach rechts fällt, hängt nicht von der Schwerkraft ab, sondern nur von ihrer Position.

Es gibt dabei aber keine Entscheidung.

ujmp hat geschrieben:In diesem Sinn ist diese Entscheidung - also der ausschlaggebende Parameter für links oder rechts- gegenüber der Schwerkraft autonom.

Aber da gibt es immer noch keine Entscheidung.

ujmp hat geschrieben:Die menschliche Vernunft oder das Ich oder wie auch immer man es nennt, ist in diesem Sinn ein autonomer physikalischer Prozess. Sicher unterliegt das Gehirn, in dem dieser Prozess stattfindet, der Schwerkraft, aber das beeinflusst diesen Prozess nicht. Eben diese Autonomie erleben wir als Freiheit.

Nein, ganz sicher nicht. Wir haben gar keine Sinnesorgane/Sensoren, die uns so etwas erleben lassen könnten.

Ich behaupte nun: wir erleben und verstehen Autonomie so: eine (relative) Unabhängigkeit von der Umwelt, als die Fähigkeit dazu, Umstände erkennen und darauf reagieren zu können, nicht lediglich (nicht immer nur, wiewohl manchmal auch) Getriebene von äußeren Umständen zu sein, sondern (zumindest manchmal) Akteure im Weltgeschehen, die etwas bewegen/gestalten können.

Das, was Du hier wohl meinst, würde ich "Willkürfreiheit" nennen, (ungefähr so: in Situationen, in denen mehrere Alternativen als gleich gut angesehen werden, ohne weiteren Grund eine davon auszuwählen). Aber Freiheit beschränkt sich nun nicht auf eine solche Willkürfreiheit und ich möchte auch behaupten, dass wir Willkürfreiheit als eher unwesentlich ansehen, Willkürfreiheit ist z.B. keine notwendige Bedingung für als gerechtfertigt angesehene Verantwortungszuweisung.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Mi 15. Jan 2014, 07:59

(auch @Vollbreit)
AgentProvocateur hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Eine kleine Illustration: Die Entscheidung, ob die Kugel 2 nach links oder nach rechts fällt, hängt nicht von der Schwerkraft ab, sondern nur von ihrer Position.

Es gibt dabei aber keine Entscheidung.


ujmp hat geschrieben:In diesem Sinn ist diese Entscheidung - also der ausschlaggebende Parameter für links oder rechts- gegenüber der Schwerkraft autonom.

Aber da gibt es immer noch keine Entscheidung.


Das Beispiel war offenbar schlecht gewählt. Es geht nur darum, dass es physikalische Prozesse gibt die voneinander unabhängig, also autonom ablaufen. Das Ergebnis, welches z.B. ein Taschenrechner ausgibt, ist nicht von der Schwerkraft oder von der Temperatur, von seiner Geschwindigkeit, seiner Position im Raum usw. abhängig. Die Kalkulation ist in diesem Sinn frei von diesen Einflüssen, das macht ihre Freiheit aus. Die Kalkulation hängt nur von den in diesem Fall hartkodierten Programmen ab, die in ihm laufen. Klar, wenn es draußen so heiß wird, dass der Taschenrechner schmilzt, geht er kaputt. Das ist aber kein Einwand gegen die Autonomie seiner Berechnungen unter normalen Betriebsbedingungen.

Bild

Man kann nun leicht die Analogien herstellen, dass z.B. eine Tastatureingabe eine Wahrnehmung ist. Etwas schwieriger ist die Analogie, dass sein Display sein Bewusstsein ist. Man kann auch die Kalkulation selbst als sein autonomes Bewusstsein ansehen, das ist nur nicht so anschaulich.

Beim menschlichen Bewusstsein kommt dann noch dazu, dass es sich selbst Programmieren kann - aber nicht unabhängig von seinen eigenen Gesetzen.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Die menschliche Vernunft oder das Ich oder wie auch immer man es nennt, ist in diesem Sinn ein autonomer physikalischer Prozess. Sicher unterliegt das Gehirn, in dem dieser Prozess stattfindet, der Schwerkraft, aber das beeinflusst diesen Prozess nicht. Eben diese Autonomie erleben wir als Freiheit.

Nein, ganz sicher nicht. Wir haben gar keine Sinnesorgane/Sensoren, die uns so etwas erleben lassen könnten.

Ich behaupte nun: wir erleben und verstehen Autonomie so: eine (relative) Unabhängigkeit von der Umwelt, als die Fähigkeit dazu, Umstände erkennen und darauf reagieren zu können, nicht lediglich (nicht immer nur, wiewohl manchmal auch) Getriebene von äußeren Umständen zu sein, sondern (zumindest manchmal) Akteure im Weltgeschehen, die etwas bewegen/gestalten können.

Im Prinzip ist das ja das, was ich sage, ich bin nur konkreter darin, was ich mit "relativ" meine. Der der Verstand ist nahezu unabhängig von allem, außer von sich selbst. Wir nehmen außerdem unser Handeln sehr wohl als frei war, was auch immer das "Organ" dafür ist. Die Frage ist nur, ob es diese Freiheit wirklich gibt und was sie beinhaltet. Man könnte da besser von Freiheitsgraden sprechen, ihre Grenzen sind die persönliche Vernunft selbst.

AgentProvocateur hat geschrieben:Das, was Du hier wohl meinst, würde ich "Willkürfreiheit" nennen, (ungefähr so: in Situationen, in denen mehrere Alternativen als gleich gut angesehen werden, ohne weiteren Grund eine davon auszuwählen). Aber Freiheit beschränkt sich nun nicht auf eine solche Willkürfreiheit und ich möchte auch behaupten, dass wir Willkürfreiheit als eher unwesentlich ansehen, Willkürfreiheit ist z.B. keine notwendige Bedingung für als gerechtfertigt angesehene Verantwortungszuweisung.

Nein, das war nicht mein Thema. Probleme können u.U. aber auch unentscheidbar im Sinne der Vernunft sein, so dass durch andere Ereignisse determiniert werden. Oder die Vernunft kommt gar nicht erst zum Zuge.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 15. Jan 2014, 09:31

ujmp hat geschrieben:Das Beispiel war offenbar schlecht gewählt. Es geht nur darum, dass es physikalische Prozesse gibt die voneinander unabhängig, also autonom ablaufen. Das Ergebnis, welches z.B. ein Taschenrechner ausgibt, ist nicht von der Schwerkraft oder von der Temperatur, von seiner Geschwindigkeit, seiner Position im Raum usw. abhängig. Die Kalkulation ist in diesem Sinn frei von diesen Einflüssen, das macht ihre Freiheit aus. Die Kalkulation hängt nur von den in diesem Fall hartkodierten Programmen ab, die in ihm laufen. Klar, wenn es draußen so heiß wird, dass der Taschenrechner schmilzt, geht er kaputt. Das ist aber kein Einwand gegen die Autonomie seiner Berechnungen unter normalen Betriebsbedingungen.
Ich verstehe, was Du meinst und gebe Dir recht. Auch wenn in die Kausalkette des Taschenrechners irgendwie die Entstehung des Siliziums gehört und eine paar alte Griechen die über Mathemathik nachdachten, so bringt uns das hier nicht weiter.
Es gibt einfach keinen Grund das kausale Fenster so weit zu öffnen, wenn wir wissen wollen, was die Wurzel aus 37 ist.

ujmp hat geschrieben:Man kann nun leicht die Analogien herstellen, dass z.B. eine Tastatureingabe eine Wahrnehmung ist. Etwas schwieriger ist die Analogie, dass sein Display sein Bewusstsein ist. Man kann auch die Kalkulation selbst als sein autonomes Bewusstsein ansehen, das ist nur nicht so anschaulich.

Beim menschlichen Bewusstsein kommt dann noch dazu, dass es sich selbst Programmieren kann - aber nicht unabhängig von seinen eigenen Gesetzen.

Beim menschlichen Bewusstsein kommt noch eine Menge mehr dazu. Mit dem Taschenrechner wird von der Herstellung bis zur Bedienung immer etwas gemacht. Der Mensch ist aber von Beginn an aktiver Gestalter seiner Welt. Er agiert und zwar aus eigenem Antrieb.
Aber das beißt sich ja nicht mit Deinem Autonomiegedanken, wenn ich das richtig sehe.

Das Ich ist ja physikalisch nie getrennt von der Welt, denn seine Entstehung erwächst direkt aus den physikalischen Bedingungen der Welt und verändert natürlich auch diese, wenn das Ich als Akteur aktiv wird. Seine Autonomie liegt gerade darin, dass es Welt nicht passiv über sich ergehen lassen muss sondern zum intentionalen (und zwar erfolgreich intentionalen) Akteur wird. So ein Ich kann sich zum Ziel setzen eine Flasche Bier zu trinken oder ein Hochschulstudium zu absolvieren und kann sein Ziel durchaus erreichen. Warum man ihm nun sagen sollte, dieses Ziel sei gar nicht sein wahres Ziel gewesen, wenn es dieses klar formuliert, angestrebt und zufrieden erreicht hat ist erklärungsbedürftig. Mit welchem Recht darf man sagen Nannas wahres Ziel sei gar nicht Politik zu studieren oder Richard Dawkins sei gar kein Atheist? Der erstbeste kleine Zweifel reicht nicht, um Menschen ihre Motive abzusprechen, da muss schon mehr kommen.

ujmp hat geschrieben:Im Prinzip ist das ja das, was ich sage, ich bin nur konkreter darin, was ich mit "relativ" meine. Der der Verstand ist nahezu unabhängig von allem, außer von sich selbst.
Nein, das ist er nicht? Du denkst doch deutsch, oder? Oder gelegentlich auch spanisch? Dein Wissen ist doch nicht vom Himmel gefallen, sondern Eltern, Schule, Freunde, Bücher, Internet... das übliche. Du denkst auch nach bestimmten logischen Mustern, nach denen zu denken bei uns üblich, aber nicht zwingend ist.
Der Verstand ist wesentlich davon abhängig, wie komplex eine Sprache, die ihn umgibt.
Drückt mal ein zukünfitges Wollen aus, wenn es in Deiner Sprache keine Möglichkeitsformen gibt. Da liegt der Verstand an der Kette und selbst wenn hier und da ein Genie aufblitzt, stirbt es, ist sein Wissen beerdigt, wenn die Sprache als kumulationsfähiges Medium fehlt. Wir profitieren ja gerade davon, dass die Einsteins und Kants und wie sie alle heißen immer wiedeer „übersetzt“ und gewendet werden, so dass wir dann und wann auch was davon verstehen – und das klappt überraschend gut.
Aber unabhängig ist der Verstand nun gerade nicht und was dem wirklich unabhängigen blüht, erklärt wieder Wittgenstein, er verliert seine Mitspieler.

ujmp hat geschrieben:Wir nehmen außerdem unser Handeln sehr wohl als frei war, was auch immer das "Organ" dafür ist. Die Frage ist nur, ob es diese Freiheit wirklich gibt und was sie beinhaltet. Man könnte da besser von Freiheitsgraden sprechen, ihre Grenzen sind die persönliche Vernunft selbst.
Ob es diese Freiheit wirklich gibt und was sie beinhaltet, ist ja gerade nicht das Rätsel, aus Sicht des Kompatibilisten.
Ja, es gibt sie und sie beinhaltet die Fähigkeit frei von inneren und äußeren Zwängen auf dem Boden eigener Prämissen selbst zu entscheiden.
Graduell kann die Freiheit dennoch sein, weil viele Lebenssituationen Mischformen sind und nicht alle Entscheidungen rational getroffen werden, hängt aber auch davon ab, welcher Modell der Freiheit man unterstellt. Bei Sartre ist man zur Freiheit verdammt, bei Freud gibt es noch „wahrere“ Motive, beide Sichtweise haben was für sich.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Mi 15. Jan 2014, 09:42

Nanna hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Ich habe aber weder Macht über Ereignisse, die vor meiner Geburt stattgefunden haben, noch über die geltenden Naturgesetze. Also habe ich auch keine Macht über meine Entscheidungen."

Was bedeutet es denn überhaupt für dich, "Macht" zu haben und inwiefern kann jemand "Macht über seine Entscheidungen haben", wenn das eine Loslösung des Ichs von der Existenz seines physischen (determinierten) Körpers implizierte? Wie soll es funktionieren, dass meine Entscheidungen beeinflusse? Das würde ja bedeuten, dass das, was "ich" bin und das, was meine Entscheidungen trifft, etwas unterschiedliches sind. Denn Beeinflussung oder Macht über etwas [Anderes] haben, bedeutet, dass eine Subjekt-Objekt-Beziehung vorliegt, und das ist hier nicht der Fall, da "ich" und der Denkapparat identisch sind.


Es ist zwar nicht meine Formulierung - ich habe ja nur zitiert - aber ich will einmal versuchen, das Missverständnis aufzuklären. Unter "Macht" verstehe ich in diesem Zusammenhang Einfluss/Kontrolle. Ich kann zB sagen, dass ich jetzt einen Beitrag hier im Forum schreibe, indem ich mit meinen Fingern auf eine Tastatur tippe und am Schluss den Absendeknopf am Bildschirm mit der Maus anklicke. Ich habe also "Macht" im Sinne von Einfluss/Kontrolle über dieses Ereignis - von der bewussten Entscheidung bis zur Durchführung. Die Entscheidung ist aber determiniert u.a. durch mein Motiv, hier im Forum über ein Thema zu schreiben, das mich interessiert und ich auf Beiträge von anderen eingehen und antworten will. Der Vorgang des Schreibens läuft weitgehend unbewusst ab, während ich in Gedanken die Sätze formuliere. Mein "Ich"/Gehirn ist also der Akteur des ganzen Vorgangs. Mein subjektiver Körper (in diesem Fall meine Hände und Finger) und mein objektiver Computer mit Internetzugang sind die "Werkzeuge". Siehst Du bei dieser Trennung von "Ich" als Kontrollorgan und Körper als Ausführungsorgan irgendein Problem?

Nanna hat geschrieben:Auch bedeutet, das will ich nochmal verdeutlichen, eine "freie Entscheidung" nicht eine "zufällige Entscheidung".


Ja, "zufällige Entscheidungen" sind hier nicht das Thema.

Nanna hat geschrieben:Es wäre z.B. zu beachten, dass "gezwungen sein" und "so handeln, wie man aus den Bedingungen heraus eben [determiniert] handelt", eindeutig nicht dasselbe ist. Zwang, das wäre wie bei der "Beeinflussung des Körpers durch den Geist", setzt eine Subjekt-Objekt-Beziehung voraus, also dass jemand auf jemand Anderen Einfluss ausübt. Wenn Subjekt und Objekt aber zusammenfallen ("Ich" und mein Entscheidungsorgan sind identisch), fällt auch der Zwingende weg bzw. wird eins mit dem Gezwungenen, wodurch es überhaupt keinen Sinn mehr ergibt, von Zwang zu sprechen.


Ja, "Ich" und mein Entscheidungsorgan sind identisch. Ich sehe das grundsätzlich so: Menschen haben ein sehr komplexes Gehirn, mit dem sie wahrnehmen, fühlen, denken und reflektieren. Unser Bewusstsein bzw. unsere Psyche ist eng an unser Gehirn und den gesamten Körper gebunden. Wir erleben irgendwie unsere Gehirnaktivitäten und nennen dieses subjektive Gefühl (Ich-)Bewusstsein. Unser (Ich-)Bewusstsein ist aber nach allen Erkenntnissen der Hirnforschung nicht vom Gehirn losgelöst oder körperlos. Im Gegenteil - Gehirnprozesse auf neuronaler Ebene steuern ständig unser (Ich-)Bewusstsein.

Nanna hat geschrieben:Dass Ursachen in der Vergangenheit den Weg für spätere Entscheidungen bereitet haben, ist richtig, aber ich sehe das Skandalöse daran nicht. Das Absurde wäre doch andersherum: Dass Entscheidungen zufallsbedingt geschehen und unnachvollziehbar wären.


Ja klar, aber kein Mensch redet hier von etwas Skandalösem.

Nanna hat geschrieben:Ich sehe solche Vorstellungen als dualistische Residuen, die du (und Andere hier) aus ihren Weltanschauungen nicht konsequent verbannt haben, woraus der Scheinwiderspruch entsteht, Freiheit und Determinismus schlössen sich aus. Mein Eindruck ist, dass du zwar einen physikalischen Monismus vertrittst bzw. vertreten willst, dabei aber ererbte Vorstellungen aus der substanzdualistischen Welt mit einmischt, die davon ausging, dass es einen immateriellen Geist (das "Ich", die "Seele") gibt, der die Entscheidungen für den Körper trifft und von außen auf ihn einwirkt, so dass neben den physischen Einwirkungen eine weitere Einwirkungsart bestehen würde (das wäre dann das "Macht über die eigenen Entscheidungen haben" oder genauer gesagt: Als Geist den Körper beherrschen, ohne andersherum durch Einwirkungen der physischen Welt determiniert zu sein). Der Monismus, der ja in der Philosophie mittlerweile weihtin recht konkurrenzlos akzeptiert wird, verbannt solche Möglichkeiten zwar aus der Welt, aber offensichtlich bleiben die Vorstellungen doch noch tief in vielen Weltbildern verankert. Dadurch, meine persönliche Vermutung, kommt es dann im Rahmen einer unabgeschlossenen Transformation des eigenen Weltbilds zu einer Integration von monistisch-deterministischen und dualistisch-indeterministischen Vorstellungen.


Hm, vielleicht hast du Recht. Aber vielleicht konnte ich durch obige Ausführungen meine Position klarer darstellen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Mi 15. Jan 2014, 10:01

Vollbreit hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Konsequenter harter Determinismus bedeutet also für mich, dass auch dann, wenn wir bewusst, rational und reflexiv überlegen, unsere Entscheidungen ihre Ursachen in der Vergangenheit haben und den geltenden Naturgesetzen gehorchen.
Davon gehen auch Kompatibilisten aus.


Okay.

Vollbreit hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Diese Ursachen und die Naturgesetze "spüren" wir aber oft nicht - und deshalb "fühlen" wir uns meistens frei bei unserem Denken, Entscheiden und Handeln. Im praktischen Leben hat es nun meiner Ansicht nach keine große Bedeutung, ob wir jetzt unausweichlich festgelegt sind oder nicht, weil wir uns offensichtlich als frei sehen und auch meistens rational begründen können, warum wir so und nicht anders gehandelt haben.
Auf der theoretischen Ebene sieht es aber nicht anders aus.
Etwas was determiniert ist, Ursachen hat, kann nicht gleichzeitig frei sein, meine ich da immer noch zu hören.


Nein, ich kenne und akzeptiere das "Gefühl" der Freiheit, obwohl ich vermute, dass ich vollständig determiniert bin.
Ob ich jetzt dieses "Gefühl" der Freiheit, das jeder in seinem praktischen Alltag erlebt, in der theoretischen Diskussion Freiheit an sich, absolute Freiheit oder bedingte Freiheit nenne, ist meiner Ansicht nach nur mehr ein Streit um Begriffe.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 15. Jan 2014, 10:53

ice hat geschrieben:Nein, ich kenne und akzeptiere das "Gefühl" der Freiheit, obwohl ich vermute, dass ich vollständig determiniert bin.
Ob ich jetzt dieses "Gefühl" der Freiheit, das jeder in seinem praktischen Alltag erlebt, in der theoretischen Diskussion Freiheit an sich, absolute Freiheit oder bedingte Freiheit nenne, ist meiner Ansicht nach nur mehr ein Streit um Begriffe.


Hier müssen wir aufpassen, denn auf der theoretischen Ebene sind Gefühle erst mal uninteressant.
Philosophie ist immer Streit um Begriffe, aber damit keinesfalls bedeutngslos.
An dieser Stelle geht es darum, dass man keinerlei Gefühl braucht um für die Existenz der Freiheit des Willens zu argumentieren.

Was Determinismus ist, ist oft einigermaßen klar, der Einfachheit halber macht man keine halben Sachen, sondern denkt sich – als Gedankenexperiment, ohne Anspruch darauf, dass es wirklich so ist – dass die Welt zu 100% determiniert ist, was in der Konsequenz heißt, dass mit dem Urknall bereits feststand, dass ich Dir jetz genau diese Antwort schreibe. Mehr Determinismus geht also nicht. Das ist der eine Strang.

Den anderen hatten wir bereits: Freiheit ist, gemäß der eigenen Prämissen und ohne Zwang entscheiden zu können.
Ob ich es also wichtig finde Dir zu antworten und wie ich meine Worte wähle, ist meine Entscheidung, ich sitze ja hier und überlege, was ich, wie, formulieren kann.
Und weil ich nicht allwissend bin – dann wüsste ich, ob ich mich nicht doch irre, oder was genau ich schreiben muss, damit Du exakt verstehst, was ich sagen will und so weiter – probiere ich rum, nach bestem Wissen und Gewissen, jedes mal neu.
Und trotzdem, kann all mein Bemühen und der weitere Verlauf der Diskussion bereits minutiös feststehen, aber ich weiß das nicht, Du auch nicht und auch sonst niemand.
Gott könnte es wissen, aber unabhängig ob es ihn gibt oder nicht, auch davon hätten wir ja nichts.
Also wurschteln wir rum, gewinnen immer mehr Einsichten, an guten Tagen und das ist erst mal unser „Schicksal“ aber zugleich unsere Freiheit. Wir probieren, so wie wir es wollen, wenn wir scheitern, probieren wir anders, mal geben wir auf, mal haben wir Erfolg, mal sind wir gelangweilt.
Ob wir Erfolg haben oder scheitern, steht seit 13,7 Milliarden Jahren felsenfest, aber dieses Wissen können wir nicht anzapfen, also versuchen wir es mit dem Ausschnitt, den wir überblicken und „unser Wissen“ nennen. Frei, aber determiniert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Mi 15. Jan 2014, 11:01

AgentProvocateur hat geschrieben:Macht es wirklich keinen Unterschied für meine Freiheit, ob ich bei meinen Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen bestimmte Umstände erkennen kann und die so berücksichtigen kann oder nicht? Ob ich diese Fähigkeit habe, mag zwar letztlich von mir nicht beeinflussbaren Umständen abhängen, aber - der andere Einwand gegen das Konsequenzialitätsargument - wie wäre das auch anders auch nur im Ansatz überhaupt denkbar? Oder mal so gesagt: es ist sicher wenig strittig, dass sich niemand voraussetzungslos aus dem Nichts erschaffen kann, dass jeder vielfältigen Einflüssen unterliegt, über die er keine Kontrolle hatte. Aber wieso folgt daraus, dass wir unfrei seien? Nach welchem Freiheitsbegriff? Nach einem, der erfordert, dass wir uns wie Phönix aus der Asche absolut voraussetzungslos selber erschaffen? Aber der wäre erstens unplausibel, weil logisch unmöglich und zweitens glaubt doch kein Mensch ernsthaft, dass Menschen derartige Fähigkeiten hätten. Oder?


Ich bestreite ja gar nicht, dass wir es so etwas wie Freiheit gibt. Vielleicht könnten wir sie bedingte Freiheit nennen - das wäre eine Bezeichnung, mit der ich als harter Determinist einverstanden wäre.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Konsequenter harter Determinismus bedeutet also für mich, dass auch dann, wenn wir bewusst, rational und reflexiv überlegen, unsere Entscheidungen ihre Ursachen in der Vergangenheit haben und den geltenden Naturgesetzen gehorchen. Diese Ursachen und die Naturgesetze "spüren" wir aber oft nicht - und deshalb "fühlen" wir uns meistens frei bei unserem Denken, Entscheiden und Handeln.

Du setzt hier mal wieder voraus, dass "sich frei fühlen" bedeute, man würde meinen, man wäre unabhängig von allen nicht beeinflussbaren Umständen - egal, ob die determiniert oder indeterminiert sind, der Punkt ist doch dabei gar nicht "determiniert" oder "indeterminiert", der ausschlaggebende Punkt ist vielmehr: keine Kontrolle.


Wir haben ja Kontrolle über unser Denken, Entscheiden und Handeln. Das habe ich in obigen Beitrag an @Nanna versucht zu beschreiben.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Im praktischen Leben hat es nun meiner Ansicht nach keine große Bedeutung, ob wir jetzt unausweichlich festgelegt sind oder nicht, weil wir uns offensichtlich als frei sehen und auch meistens rational begründen können, warum wir so und nicht anders gehandelt haben.

Hier unterschlägst Du nun den Unterschied zwischen: "unsere Entscheidungen und Handlungen sind unausweichlich auch durch unsere Wünsche/Absichten/Überlegungen/Ansichten/Meinungen festgelegt" und "unsere Entscheidungen und Handlungen sind unausweichlich festgelegt, aber unsere Wünsche/Absichten/Überlegungen/Ansichten/Meinungen spielen dabei keine Rolle".

Das aber scheint mir nun ein sehr wesentlicher Unterschied zu sein. Wenn unsere Entscheidungen unausweichlich festgelegt sind und dabei unsere Wünsche/Absichten/Überlegungen/Ansichten/Meinungen eine große Rolle spielen, dann ist prima facie wenig einsichtig, was daran dann unfrei sein sollte. Es fällt auch schwer, zu sehen, wie eine bessere Alternative für einen plausiblen Freiheitsbegriff aussehen könnte. Schwer vorstellbar, inwiefern Zufall und/oder Irrationalität notwendige Bedingungen für einen Freiheitsbegriff, der etwas mit Verantwortung zu tun hat, sein könnten.


Wie ich an @Vollbreit schon geschrieben habe: ich kenne und akzeptiere das "Gefühl" der Freiheit, obwohl ich vermute, dass ich vollständig determiniert bin. Es sieht zwar auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aus - aber dieses "Gefühl" der Freiheit lässt sich nicht aus der Welt schaffen. Das will ich es auch gar nicht. Ich habe auch keine Alternative für einen plausiblen Freiheitsbegriff. Ich sehe ihn wahrscheinlich genauso wie Du und andere hier: Freiheit bedeutet für mich, ohne innere und äußere Zwänge denken, entscheiden und handeln zu können. Dieser Freiheitsbegriff ist plausibel und alltagstauglich. Dass es sich dabei immer nur um eine bedingte Freiheit handeln kann, ist, denk ich, allen hier klar, oder?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Mi 15. Jan 2014, 11:35

Vollbreit hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Nein, ich kenne und akzeptiere das "Gefühl" der Freiheit, obwohl ich vermute, dass ich vollständig determiniert bin.
Ob ich jetzt dieses "Gefühl" der Freiheit, das jeder in seinem praktischen Alltag erlebt, in der theoretischen Diskussion Freiheit an sich, absolute Freiheit oder bedingte Freiheit nenne, ist meiner Ansicht nach nur mehr ein Streit um Begriffe.


Hier müssen wir aufpassen, denn auf der theoretischen Ebene sind Gefühle erst mal uninteressant.
Philosophie ist immer Streit um Begriffe, aber damit keinesfalls bedeutngslos.
An dieser Stelle geht es darum, dass man keinerlei Gefühl braucht um für die Existenz der Freiheit des Willens zu argumentieren.


Ich setze ja hier das Wort "Gefühl" vorsichtig unter Anführungszeichen, weil es nicht mit anderen Gefühlen, die wir haben, vergleichbar ist. Wenn Du von der Freiheit des Willens sprichst, dann brauchen wir wirklich keinerlei Gefühl, um dafür zu argumentieren.

Vollbreit hat geschrieben:Was Determinismus ist, ist oft einigermaßen klar, der Einfachheit halber macht man keine halben Sachen, sondern denkt sich – als Gedankenexperiment, ohne Anspruch darauf, dass es wirklich so ist – dass die Welt zu 100% determiniert ist, was in der Konsequenz heißt, dass mit dem Urknall bereits feststand, dass ich Dir jetz genau diese Antwort schreibe. Mehr Determinismus geht also nicht. Das ist der eine Strang.


Okay.

Vollbreit hat geschrieben:Den anderen hatten wir bereits: Freiheit ist, gemäß der eigenen Prämissen und ohne Zwang entscheiden zu können.
Ob ich es also wichtig finde Dir zu antworten und wie ich meine Worte wähle, ist meine Entscheidung, ich sitze ja hier und überlege, was ich, wie, formulieren kann.
Und weil ich nicht allwissend bin – dann wüsste ich, ob ich mich nicht doch irre, oder was genau ich schreiben muss, damit Du exakt verstehst, was ich sagen will und so weiter – probiere ich rum, nach bestem Wissen und Gewissen, jedes mal neu.
Und trotzdem, kann all mein Bemühen und der weitere Verlauf der Diskussion bereits minutiös feststehen, aber ich weiß das nicht, Du auch nicht und auch sonst niemand.
Gott könnte es wissen, aber unabhängig ob es ihn gibt oder nicht, auch davon hätten wir ja nichts.
Also wurschteln wir rum, gewinnen immer mehr Einsichten, an guten Tagen und das ist erst mal unser „Schicksal“ aber zugleich unsere Freiheit. Wir probieren, so wie wir es wollen, wenn wir scheitern, probieren wir anders, mal geben wir auf, mal haben wir Erfolg, mal sind wir gelangweilt.
Ob wir Erfolg haben oder scheitern, steht seit 13,7 Milliarden Jahren felsenfest, aber dieses Wissen können wir nicht anzapfen, also versuchen wir es mit dem Ausschnitt, den wir überblicken und „unser Wissen“ nennen. Frei, aber determiniert.


Deine Formulierungskunst war erfolgreich: ich verstehe exakt, was Du meinst und sehe das genau so.
Bin ich jetzt Kompatibilist in Deinen Augen?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 15. Jan 2014, 13:33

ice hat geschrieben:Deine Formulierungskunst war erfolgreich: ich verstehe exakt, was Du meinst und sehe das genau so.
Bin ich jetzt Kompatibilist in Deinen Augen?

Ja, ich hoffe, Du empfindest das nicht als Makel. (Meine ich nicht ironisch, ich bin mit dem Kompatibilismus auch lange nicht richtig warm geworden.)
Eine gute Vertiefung:
http://www.philosophieverstaendlich.de/freiheit
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Mi 15. Jan 2014, 14:14

Vollbreit hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Deine Formulierungskunst war erfolgreich: ich verstehe exakt, was Du meinst und sehe das genau so.
Bin ich jetzt Kompatibilist in Deinen Augen?

Ja, ich hoffe, Du empfindest das nicht als Makel. (Meine ich nicht ironisch, ich bin mit dem Kompatibilismus auch lange nicht richtig warm geworden.)


Nein, überhaupt nicht. Es ist ja "nur" eine Bezeichnung für eine philosophische Position. Was mir wichtig ist, dass ich dabei Determinist bleiben kann, weil ich denke/vermute, dass der Determinismus in unserer mesokosmischen Lebenswelt zu 100% richtig ist.

Vollbreit hat geschrieben:Eine gute Vertiefung:
http://www.philosophieverstaendlich.de/freiheit


Danke noch Mal - Du hast mir den Link-Tip in Deinem ersten Beitrag in diesem Thread schon gegeben.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » Mi 15. Jan 2014, 14:26

AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:"P nimmt fälschlich an, dass er Kontrolle über die Situation habe, diese steuern könne, es (zu einem großen Teil) an ihm läge, was weiterhin geschieht, dass es von seiner Entscheidung abhinge, was im Folgenden passiere".
Kein logischer Widerspruch weit und breit.
Begründe bitte das "fälschlich".
Habe ich doch oben beispielhaft gemacht: das Beispiel des Hypnotisierten, der fälschlich meint, der Wunsch, seine Schuhe auszuziehen und auf den Tisch zu stellen, sei auf seinem Mist gewachsen.
Aber welche Entscheidungen sind denn "auf unserem Mist gewachsen"? "Vollkommen unabhängige" Entscheidungen kannst du damit ja nicht meinen, denn wir stimmen ja überein, dass es so etwas nicht gibt. Eine Beeinflussung gibt es immer. Die Frage ist nur, ob diese Beeinflussung wahrgenommen wird, und wenn ja, ob sie als hinderlich für eine freie Entscheidung empfunden wird.
Aber wie definierst du dies genau?
Wenn eine Beeinflussung nicht als hinderlich für eine freie Entscheidung wahrgenommen wird, ist sie es wohl auch nicht (in diesem Moment). Damit ist keine allgemeine logische Implikation gemeint, aus Empfindungen würden Tatsachen folgen. Sondern es ist eine Äquivalenz für diesen konkreten Begriff, weil sich ein tatsächlicher Zwang (etwas zu tun, was man nicht will) überhaupt erst durch das Empfinden definiert.

AgentProvocateur hat geschrieben:a) Zwang zu einem bestimmten Zeitpunkt: jemand tut etwas aufgrund von Umständen, die er falsch einschätzt, etwas, das seinem eigentlichen Willen/seinen Absichten/seinen Wünschen/seinen Präferenzen widerspricht und was er (wesentlich) anders gemacht hätte, falls er die Umstände richtig erkannt hätte.
(Hervorhebung von mir.)
Du verlässt wieder den konkreten Zeitpunkt. Von "hätte" kann man erst in der Retrospektive sprechen. Zu einem konkreten Zeitpunkt kennt man aber nur die Umstände, die man kennt, und kann auch nur auf Basis dieser zu einer (bewussten) Entscheidung kommen. Sieht man in diesem Moment in keinem dieser bekannten Umstände einen Zwang, was sollte dann an der Entscheidung unfrei sein können?
Was du mit "eigentlich" meinst, verstehe ich nicht ganz. Meinst du damit den Willen, von dem die Person zu einem späteren Zeitpunkt glaubt, sie hätte ihn zum Zeitpunkt der Entscheidung gehabt? Wenn wir bei einem konkreten Zeitpunkt bleiben, können wir auch vom aktuellen Willen sprechen.

AgentProvocateur hat geschrieben:b) jemand entscheidet/tut etwas gegen seinen Willen/(etc.) aufgrund von Umständen, die er zwar hinreichend richtig einschätzt, die er aber nicht beeinflussen kann, etwas, das er (wesentlich) anders gemacht hätte, falls er die diese Umstände hätte beeinflussen können.
Wieder "hätte". Aber im Grunde bin ich einverstanden: Zwang ist, wenn jemand derart entscheidet oder handelt, dass es seinen aktuellen Wünschen/Bedürfnissen (seinem aktuellen Willen) entgegensteht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Unterschied zwischen "Zwang" und "Gefühl des Gezwungen-Werdens" findet sich in a), insbesondere, wenn hierbei Manipulation durch Dritte ins Spiel kommt, die man zum Zeitpunkt der Entscheidung/Handlung nicht durchschaut, sie man sich nicht zu eigen machen würde, wenn man sie durchschaute.
Ich versuchte bereits anzudeuten, dass diese Erkenntnis (wenn es denn eine ist) erst im Nachhinein auftreten kann (aber nicht muss!). Wenn die handelnde Person niemals erfährt, dass sie manipuliert wurde, wird sie für immer den Eindruck haben, sich frei entschieden haben zu können. Wenn der Person aber beispielsweise eine Lügengeschichte erzählt wird, die beschreibt, die Person wäre manipuliert worden, so wird die Person im Nachhinein glauben, unter Zwang gehandelt zu haben. Aber hat sie das?
Es wäre auch folgendes Szenario denkbar: Eine Person trifft eine bewusste (und freie) Entscheidung und ist sich dabei einiger Einflüsse bewusst, wertet sie aber zu diesem Zeitpunkt nicht als hinderlich (bzw. Zwang). Später überdenkt die Person ihre führere Entscheidung und kommt zu einer neuen Bewertung der damaligen Einflüsse (die ihr ja bewusst waren) und wertet sie nun als Zwang in Bezug auf die Entscheidung. War ihre damalige Entscheidung deswegen unfrei?

AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Es geht um Begriffe. Kann Entscheidungsfreiheit bzw. Zwang aus Sicht des Determinismus anders beschrieben werden als durch die Empfindungen des handelnden/entscheidenden Subjekts?
Diese Frage ist hier irrelevant, hat nämlich nichts mit Deiner Ursprungsbehauptung zu tun, dass Entscheidungsfreiheit bzw. Zwang ausschließlich vom zum Zeitpunkt der Entscheidung/Handlung vorhandenen Empfindungen abhinge, man sich daher auch nicht irren könnte darüber, ob man in einer konkreten Situation frei entschieden habe/keinen Zwängen unterlag.
Die Fragen sind ein und dieselbe, bloß in unterschiedlichen Worten gestellt. Um Missverständnisse zu vermeiden, schreibe ich die "Ursprungsbehauptung", die du wiedergegeben hast, noch einmal präzise:
Beh. 1a hat geschrieben:Entscheidungsfreiheit bzw. Zwang einer Entscheidung hängen ausschließlich von der zum Zeitpunkt der Entscheidung/Handlung vorhandenen Empfindung ab, nämlich ob die Entscheidung als frei oder unfrei empfunden wurde.
Demnach definiert sich Freiheit und Zwang aus der Empfindung des Subjekts zum Zeitpunkt dieser Empfindung.

Um dir entgegenzukommen, könnte ich auch folgende Behauptung aufstellen:
Beh. 1b hat geschrieben:Entscheidungsfreiheit bzw. Zwang einer Entscheidung hängen ausschließlich von der aktuell vorhandenen Empfindung ab, ob die Entscheidung als frei oder unfrei empfunden wird.
Dies kann auch für die Retrospektive gelten. Demnach könnte eine vormals als frei empfundene Entscheidung nach Neubewertung der Einflüsse als unfrei empfunden werden. Nach Beh.1b ist die damalige Entscheidung dann unfrei. Sie war zum früheren Zeitpunkt jedoch frei.
Diese Sichtweise behagt mir nicht so sehr, weil mit ihr die Vergangenheit neu definiert und im Sprachverständnis verändert wird. Wenn du damit besser zurecht kommst, könnte ich aber in den sauren Apfel beißen.

Letztlich ist für mich immer noch unklar, wie du die Freiheit bzw. Gezwungenheit anders definieren willst, als über die Empfindung der entscheidenden Person bzw. deren Bewertung der (bekannten) Einflüsse.
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