AgentProvocateur hat geschrieben:Okay, soweit sehe ich noch keinen großen Dissens zwischen uns, was mir allerdings noch nicht klar ist, wieso jemand ohne weiteren Grund sinnlose Züge beim Schach macht, bzw. was das mit Freiheit zu tun hat. Ein Schachspieler, der immer den seiner Ansicht nach zum Erreichen seines Zieles (zu gewinnen) besten Zug macht, wäre der Deiner Ansicht nach unfreier als ein anderer Schachspieler, der ab und zu mal absichtlich einen als schlecht erkannten Zug macht?
Na ja, hier könnte man jetzt sagen, dass wenn der andere absichtlichen als schlecht erkannte Züge macht, er ja genauso handelt, um sein Ziel zu erreichen (vielleicht will er verlieren?), wenn man annimmt, dass eine Absicht auch ein Ziel braucht. Da kommen wir irgendwie nicht weiter, denke ich. Zumal ich auch nicht wirklich immer beurteilen kann, was jetzt freier ist und was nicht, weder nach meinem noch nach Deinem Freiheitsbegriff, weil die Abstufungen zu nach beieinander liegen und es dann nur noch auf den Blickwinkel ankommt.
AgentProvocateur hat geschrieben:Gut, auch an dieser Stelle haben wir dann wohl eine Übereinstimmung: wir halten beide bestimmte Fähigkeiten als notwendige Bedingung für Freiheit, (z.B. Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit). Oder nicht?
Ja, jedenfalls für Freiheit, die ich auf ein Wesen anwenden kann.
Es ist natürlich schon vorstellbar, dass es mal ein reines indeterministisches Chaos gab (wobei man hier schlecht irgendwelche Begriffe anwenden kann, die mit Existenz zu tun haben, so wie wir sie erleben können) und dadurch, dass ein Zufall etwas sinnvolles produziert hat, sich daraus das Sinnvolle irgendwie vermehrt/kopiert hat (sonst wäre eben nichts gewesen) und wir nur dieser Tatsache verdanken, dass wir existieren. Das wäre dann eine totale Freiheit, die aber nicht sinnvoll auf existierende Wesen anwendbar ist.
Inwiefern aber eine solche Freiheit als Teil eines Wesens bestehen kann, ja sogar die Wesenheit ausmachen kann (im Unterschied zur unbelebten Materie wie ein Stein), finde ich interessant zu erörtern (dazu haben Du und Vollbreit mich hier angestiftet, vorher hatte ich nie so weit darüber nachgedacht, das finde ich toll).
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber an der Stelle unterscheiden sich unsere Freiheitsbegriffe. Nach meinem ist es nur wichtig, dass ein Akteur seine Entscheidung nicht kennt, bevor er sie getroffen hat.
In einer deterministischen Welt müsste aber ein Wesen, je komplexer es denken kann, mehr in der Lage sein, eigene Entscheidungen vorher schon kennen zu können (bei manchen eher trivialen Dingen ist der Mensch dazu auch in der Lage, würde ich sagen). Dadurch würde der Mensch ja wieder unfreier werden, wenn ich das richtig sehe.
AgentProvocateur hat geschrieben:Die Gründe für diesen Punkt verstehe ich noch nicht so recht. (Hattest Du jetzt übrigens dem two-stage-Modell zugestimmt? Weiter oben hattest Du das ja abgelehnt).
Ich würde das two-stage-Modell wohl eher umstülpen, so ergibt das für mich gar keinen Sinn. Was sollen das für zufällig generierte Sachen sein, die ich aber determiniert wollen kann? Wer generiert sie und wie? Und wie kann ein Wille dazu determiniert sein, wenn das, was ich determiniert wollen kann, erst
zufällig generiert wird? Selbst wenn das, was ich will, nur imaginär ist, muss es sinnvoll sein.
AgentProvocateur hat geschrieben:Nun können wir uns vorstellen, dass es einen zufälligen Vorschlagsgenerator im Gehirn gibt, wir könnten den aber auch nach draußen verlagern. Der Akteur besitzt ein externes Gerät, das er an seinen Kopf halten kann. Oder es gibt ein zentrales Gerät, sagen wir, einen Sendemast, der zufällige Signale aussendet, die (minimal) die Entscheidungen von Menschen beeinflussen, so dass diese prinzipiell unvorhersagbar werden.
Ab wann wäre das nicht mehr okay für Freiheit in Deinem Sinne und warum nicht?
Nehmen wir an, anstatt dass meine Improvisation an der Gitarre durch mich/mein Gehirn entschieden wird, tut es dieses externe Gerät. Dafür muss das Gerät intelligent genug sein, dass es ebenso wissen kann, was nötig ist, um die Improvisation sinnvoll durchzuführen. In dem Moment benutzt es nur noch meinen Körper, ich bin in dem Sinne aber selbst nicht mehr frei, sondern das Gerät wäre dann der freie Akteur (der meinen Körper benutzt, weil er ihn kontrolliert). Ich würde aber niemals behaupten, dass mein Gehirn mich kontrolliert, wenn es von mir kommt, da Gehirn und Körper unmittelbar verwoben sind und zusammen eins ergeben, nämlich die Person als ganzes. Deswegen ist es für mich schon wichtig, dass es innerhalb dieser Person als ganzes stattfindet, damit ich die Person als frei bezeichne.
AgentProvocateur hat geschrieben:Hm, das Problem ist ein bisschen, dass Du unter 'Verantwortung' anscheinend etwas anderes verstehst als ich. Wir sollten daher diesen Begriff lieber mal beiseite stellen, wir können statt dessen auch den von Dir hier verwendeten Begriff 'Rechtfertigung' nehmen.
Was ist hier genau der Unterschied?
AgentProvocateur hat geschrieben:Also dann die Frage nochmal neu: wofür kann und soll sich ein Akteur Deiner Ansicht nach rechtfertigen: für das Ergebnis des Zufallsgenerators oder für die (im two-stage-Modell determiniert) erfolgende Abwägung und Entscheidung und Handlung?
Also im Artikel zum two-stage-Modell steht ja folgendes:
P2. If determinism is true, we are not free.
P3. If indeterminism is true, our decisions are random and we lack responsibility.Meines Erachtens nach, wäre aber folgendes richtig:
P2. If determinism is true, we are not free and we lack responsibility.
P3. If indeterminism is true, our decisions are random and we lack responsibility.Oder:
P2. If determinism is true, we are not free.
P3. If indeterminism is true, our decisions are random.Da es keinen wirklichen Zusammenhang aus dem einen oder anderen gibt. Der einzige wirklich Zusammenhang ergibt sich dadurch, dass man eine Handlung überhaupt einer Person zuordnen kann. In diesem Sinne kann ich auch den Trauermückenlarven die Verantwortung dafür geben, dass meine Pflanzen eingegangen sind (ich kann mich nur blöderweise nicht mit ihnen verständigen).
Ich wollte ja noch was zu Locke sagen, das passt hier ganz gut hin.
John Locke hat geschrieben:Verdient es den Namen Freiheit, wenn man die Freiheit besitzt, den Narren zu spielen und sich selbst in Schande und Unglück zu stürzen?
Ja. Es geht Locke einen Dreck an, wer sich selbst in „Schande und Unglück“ stürzt, weil er das möchte.
John Locke hat geschrieben:Wenn Freiheit, wahre Freiheit, darin besteht, daß man sich von der Leitung der Vernunft losreißt und von allen Schranken der Prüfung und des Urteils frei ist, die uns vor dem Erwählen und Tun des Schlechteren bewahren, dann sind Tolle und Narren die einzig Freien;
Die Schlussfolgerung ist wirklich arm. So was finde ich sogar schon richtig dummdreist. Natürlich kann man auch die Freiheit haben, die Vernunft zu wählen, wenn man frei wählen kann.
John Locke hat geschrieben:allein ich glaube, keiner, der nicht schon toll ist, wird um einer solchen Freiheit willen wünschen, toll zu werden.
Das will ich auch schwer hoffen, dass allein er das glaubt. Was mich hier echt stört, ist dass der Herr meint, beurteilen zu können, wie es wäre, „toll“ zu sein. Das kann er aber gar nichts, also sollte er nicht von seinen Wünschen auf andere schließen. Ich hasse solche Verallgemeinerungen. Ich halte es hier mit William Blake:
To Generalize is to be an Idiot. John Locke hat geschrieben:Das stete Verlangen nach Glück und der Zwang, den es uns auferlegt, um seinetwillen zu handeln, wird meines Erachtens niemand als eine Schmälerung der Freiheit ansehen oder wenigstens nicht als eine Schmälerung, die zu beklagen wäre.
Na, da spricht aber der bürgerliche Liberale. Da hab ich sogar noch mal was passendes von Huisken zum Thema Glück:
http://www.fhuisken.de/downloadable/gegenrede19.pdf Ist ziemlich neu und trifft es dieser Hinsicht perfekt. Ich fühle mich jedenfalls sehr frei, wenn ich mich nicht für das Verlangen nach irgendwelchem Glück, das mir irgendwo versprochen wird, Zwängen unterwerfe. Auch ein Grund, warum ich auf Religionen und ähnliches allergisch reagiere, die irgendwelches Glück versprechen.
Das Problem bei Locke ist, dass er nach einem Freiheitsbegriff sucht, der seine Ansicht darüber, was ein „richtiges“ Leben ist, verabsolutiert.
Ich mein, dass man „Verrückte“ nicht als Schuldfähig ansieht, heißt ja nicht, dass man sie „frei“ agieren lässt, im Gegenteil, mit ihnen wird sowieso schon viel schlimmer verfahren. Wenn man den Gedanken mit der Schuldfähigkeit weiterspinnt, kommt man eh irgendwann darauf, dass eigentlich jeder, der irgendwas tut, was nicht dem Gesetz entspricht, verrückt sein muss. Es ist schon extrem weit fortgeschritten, dass jegliche Form von nicht legitimierter Gewalt in der Psychologie schon pathologisiert wird (nur die Gewaltbereitschaft eines Polizisten oder Soldaten z.B. nicht). Ich denke tatsächlich, dass es darauf hinzielt, dass es irgendwann kein Schuld-Strafe-System mehr gibt, aber es geht in die falsche Richtung.
Meine Sympathie hat die kompatibilistische Position auf jeden Fall deswegen, weil sie darauf beharrt, dass Menschen Gründe für ihre Aktionen haben (das tu ich nämlich auch). Alles weitere dazu aber im entsprechenden Thread.
AgentProvocateur hat geschrieben:Eine positive Darlegung des vertretenen Freiheitsbegriffes wäre sehr hilfreich, um den überhaupt verständlich machen zu können. Wird der nur im Nebel gelassen, dann sieht mir das verdächtig danach aus, dass der verwendete Begriff leer ist, also logisch unmöglich miteinander vereinbarende implizite Voraussetzungen enthält.
Vielleicht verschwindet die Freiheit aber auch im Licht und ist nur in der Dunkelheit zu erfahren? Ich weiß, das macht es jetzt nicht besser.
Mein Vorschlag wäre eher dahingehend, zu untersuchen, wie Freiheit positiv formuliert werden kann, so wie ich (und viele andere) sie intuitiv erfassen mit der Grundvoraussetzung, nicht determiniert zu sein. Ich denke, dass es möglich ist.
AgentProvocateur hat geschrieben:Übrigens: mir erscheint es viel plausibler, dass Indeterminismus (also Zufall) Freiheit nicht herstellen kann, (weil zu meinem Freiheitsbegriff Kontrolle gehört und Zufall unkontrollierbar ist), als dass Determinismus Freiheit ausschließt. (Siehe dazu auch
hier.)
Nein, der Zufall ist nicht unkontrollierbar. Ein absoluter Zufall natürlich schon, aber davon sollten wir nicht ausgehen, genauso wenig wie von absoluter Freiheit, wenn wir etwas Sinnvolles als Ergebnis haben wollen. Der Zufall wird ja dadurch kontrolliert, dass er sich im Rahmen von Notwendigkeiten bewegen muss (sonst kann es aus dem Zufall keine Handlung geben).
Bei dem Artikel wird wie so oft sowohl Hegels als auch Heideggers Position unterschlagen, nur so nebenbei bemerkt.
AgentProvocateur hat geschrieben:Wobei zumindest wir beiden uns einig sind, (dachte ich zumindest), ist doch aber, dass Freiheit nicht lediglich bedeutet, indeterminiert zu sein, oder?
Das würde höchstens auf eine absolute Freiheit zutreffen, die ich aber wie gesagt nur deshalb formuliere, um einen grundsätzlichen Standpunkt für die dialektische Position habe. Die Freiheit eines Akteurs ist schon im Bereich der Synthese (Zufall und Notwendigkeit müssen sich schon begegnet sein), also bedeutet Freiheit in diesem Sinne für mich mehr, ja.
AgentProvocateur hat geschrieben:Mag schon sein, dass der Kompatibilismus versucht, den Begriff "Freiheit" zu retten. Was bedeutet: ihn so zu erklären, dass er logisch möglich ist und so gut wie möglich mit den verbreiteten Intuitionen vereinbar ist. Was ich für eine gute Sache halte, für eine wertvolle Aufgabe der Philosophie: unscharf im Alltagsgebrauch verwendete Begriffe zu analysieren und zu präzisieren.
Dazu fällt mir das berühmte 11. These über Feuerbach von Marx ein, die ich für richtig halte: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine, die Frage, warum etwas ist und nicht nichts, führt ganz gewaltig vom Thema weg.
Nein, denn wenn Du sagst, dass Indeterminismus keine Freiheit herstellt, was soll dann der Existenz überhaupt zugrunde liegen? Es könnte dann ja nichts existieren.
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich brauche keine weitere Begründung für meine Existenz, wir erkennen uns offensichtlich beide gegenseitig als existierend an. (Wenn Du aber meine Existenz in Frage stellen willst, dann kannst Du das gerne machen, die Begründung dafür würde mich interessieren. Aber nicht hier.)
Die will ich nicht in Frage stellen. Ich brauche an sich auch keine weitere Begründung, nur wenn ich die Frage nach Freiheit erörtern will, komme ich nicht drumrum, sie an der Existenz selbst zu prüfen, damit die Antwort gültig sein kann.
AgentProvocateur hat geschrieben:Und dann geht es mir ja darum, zu eruieren, ob Euer Begriff von Freiheit leer ist oder nicht. Das halte ich für eine wichtige Frage, davon hängt Einiges hier ab.
Stimmt.
AgentProvocateur hat geschrieben:Der Begriff "Existenz" ist aber nicht leer, zumindest hattest Du derartiges bisher nicht behauptet und ich sehe nicht, wieso wir uns zusätzlich zu unserem schwierigen Thema auch noch über Unstrittiges streiten sollten.
Unter der Voraussetzung, dass ein Freiheitsbegriff, der auf den Zufall aufbaut, leer sei, wie kann Existenz dann trotzdem existieren? Wenn Du das schlüssig erklären kannst, dann würde ich akzeptieren, dass man Deinen Freiheitsbegriff als den einzig logisch möglichen ansehen kann. Wenn aber Existenz überhaupt erst unter der Voraussetzung existiert, dass es irgendwas gibt, das sich dieser Logik entzieht, dann darf die Freiheit sich ebenso dieser Logik entziehen und dementsprechend auch auf der Basis erörtert werden.