Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 6. Jan 2012, 17:19

ganimed hat geschrieben:Könnte Person B, wenn der immer gleiche Tag abgespult wird, auswählen zwischen vier verschiedenen Alternativen, wäre sie für meine Begriffe deutlich freier als A, der jeden Tag immer das gleiche macht.

Aber auch Person A wählt im Beispiel aus den vier Alternativen aus. Und entscheidet sich aus (voraussetzungsgemäß immer denselben Gründen) immer für eine bestimmte Alternative. B wählt letztlich grundlos mal die und mal eine andere Alternative. Was mE B nicht freier macht als A.

ganimed hat geschrieben:Wenn einem Tombolagewinner gesagt wird, er hätte die freie Wahl zwischen 10 verschiedenen Preisen. Dann wäre für dich diese Wahl nur dann frei, wenn der Gewinner die Preise sehen kann. Sind sie alle eingepackt, dann wäre es für dich unfrei, weil der Gewinner ja nicht nach seinen Kriterien wählen könnte. Und genau dieses Festmachen des Freiheitsbegriffes an technischen Feinheiten finde ich total entgegen meiner eigenen Intuition. Bei meiner freien Wahl kommt es nur darauf an, dass man aus mehr als einem Preis auswählt, egal wie gut die gewählten Preise dem Gewinner danach gefallen.

Stimmt, bzw. genauer gesagt wäre sie meiner Ansicht nach freier. Wende Dein Tombola-Beispiel doch mal auf andere Sachverhalte an, einen Freund finden, die Gültigkeit einer Argumentation feststellen, einen Berufsweg einschlagen, ein Menü im Restaurant wählen. All dies wäre in der Tat meiner Ansicht nach freier, wenn man jeweils Informationen über die zur Verfügung stehenden Optionen hätte.

Ich meine nicht, dass das eine "technische Feinheit" sei. Und auch nicht, dass daran etwas "verklausuliert" ist.

Ich kann dazu noch ein passendes Zitat von John Locke anbieten:

Jocn Locke hat geschrieben:Verdient es den Namen Freiheit, wenn man die Freiheit besitzt, den Narren zu spielen und sich selbst in Schande und Unglück zu stürzen? Wenn Freiheit, wahre Freiheit, darin besteht, daß man sich von der Leitung der Vernunft losreißt und von allen Schranken der Prüfung und des Urteils frei ist, die uns vor dem Erwählen und Tun des Schlechteren bewahren, dann sind Tolle und Narren die einzig Freien; allein ich glaube, keiner, der nicht schon toll ist, wird um einer solchen Freiheit willen wünschen, toll zu werden. Das stete Verlangen nach Glück und der Zwang, den es uns auferlegt, um seinetwillen zu handeln, wird meines Erachtens niemand als eine Schmälerung der Freiheit ansehen oder wenigstens nicht als eine Schmälerung, die zu beklagen wäre.

Also unsere Intuitionen unterscheiden sich nun offensichtlich. Allerdings glaube ich ebensowenig wie Du, dass ich bei einem solchen Test (Überprüfung, welche Intuitionen verbreiteter sind) verlieren würde.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 6. Jan 2012, 17:46

ganimed hat geschrieben:Zu klären wäre diese Frage, wer hat die intuitivere Intuition, wohl wirklich nur, wenn wir eine Umfrage machen könnten um festzustellen, ob deine oder meine Intuition gebräuchlicher ist. Nach allem was ich über die Welt zu wissen glaube, kann ich mir nicht vorstellen bei einem solchen Test zu verlieren. Deinen Freiheitsbegriff halte ich eher für technisch und verklausuliert als für intuitiv.


Mir scheint das Problem hier tatsächlich zu sein, dass die Freiheit, die Du als intuitiv bezeichnest kaum in einem deterministischen Universum zu erklären ist. Wenn man vom Determinismus ausgeht (und das tun wir meistens sogar dann automatisch, wenn wir den Zufall trotzdem gedanklich zulassen, weil doch zumindest alles determiniert erscheint auf unserer Wahrnehmungsebene und wir aufgrund dieser Ebene die meisten unserer Begriffe bilden), ist diese Freiheit nicht ausgeschlossen, sondern tatsächlich leer, weil es keine Möglichkeit gibt, einfach zu beschreiben, worin diese Freiheit eigentlich genau liegt. Wir können sie nur negativ beschreiben, indem wir sie als indeterminiert beschreiben, also diese Freiheit eben genau als Begriff verwenden für „Das, was nicht determiniert ist (aber determinieren kann)“, was Heidegger wohl eben auch meinte, als er sagte, dass die Freiheit vor dem Satz vom zureichenden Grund und nicht danach steht.

Was mir nicht einleuchtet ist, dass eine Negativdefinition nicht gültig sein soll. Auch in anderen Bereichen sind wir darauf angewiesen, mit Negativdefinitionen zu arbeiten. Wenn Freiheit also nichts weiter bedeuten sollte als nicht determiniert zu sein, dann bedeutet das noch lange nicht, das man auch in der Lage sein muss, positiv erklären zu können, wie dann Freiheit überhaupt zustanden kommen kann.
Kompatibilismus ist also dementsprechend eigentlich gar nichts anderes als harter Determinismus, der versucht, das Wort Freiheit zu retten.

Vollbreit hat geschrieben:Meine Motivation zu diskutieren ziehe ich zu einem guten Teil aus dem Wunsch neue Erkenntnisse zu gewinnen.


Interessant … ich würde bei mir sagen, dass meine Motivation ist, es irgendwann zu schaffen, mich selbst zu erklären. Anders gesagt, ich meine, dass ich mich selbst irgendwann in Sprache verloren habe und jetzt die Sprache so viel weiterbringen muss, bis ich mich darin wieder finden kann. Also such ich eigentlich nach alten Erkenntnissen.

Vollbreit hat geschrieben:Ich steige aus Diskussionen eigentlich nie aus, wenn gute Gegenargumente kommen (das wäre irgendwie auch der dämlichste Moment), eher, wenn ich das Gefühl habe, dass man von Thema völlig abgekommen (woran ich zugegeben nicht immer unschuldig bin, ich habe selbst einen etwas assoziativen Schreibstil) und der Gaul totgeritten ist oder die Standpunkte unünberbrückbar sind.


Das Assoziative solltest Du nicht so abwerten. Es mag erstmal den Anschein haben, dass es Dich von etwas wegbringt, wenn Du es aber zulässt, bringt es Dich erst wirklich in die Tiefe der Dinge.

Vollbreit hat geschrieben:Tatsächlich habe ich aber keinen einzigen Punkt gefunden, der mich (bei der neuerlichen Willensfreiheitsdiskusssion) ins Grübeln gebracht hat, was aber daran liegen kann, dass ich diese Position bis vor noch nicht allzu langer Zeit selbst halbwegs leidenschaftlich vertreten habe und mir das meiste also noch aus meinem eigenen Denken bekannt ist, wofür von Euch niemand etwas kann.


Mich wundert, dass Dich meine Frage, wie man sich als Kompatibilist erklärt, warum überhaupt etwas ist und nicht nichts, auch nichts ins Grübeln bringt, obwohl ich diesbezüglich keine Antwort von Dir erhalten habe (von AgentProvocateur auch nicht). Denn vom Satz vom zureichenden Grund ausgehend müsste die Existenz selbst leer sein (oder braucht etwas, das außerhalb steht als Begründung, aber wie soll das aussehen und wenn es das gibt, wieso soll dann nicht auch genau so was dem Menschen eine über den Determinismus hinausgehende Freiheit ermöglichen?).

Vollbreit hat geschrieben:Ich sehe das Problem auch darin, dass von Eurer Seite eigentlich kaum wirkliche Argumente oder die gewünschten Definitionen kommen (die Agent reichlich zu bieten hat), aber Du hast ja die Möglichkeit, das mit Agent weiterzudiskutieren, der ist bei dem Thema ohnehin bewanderter als ich es bin.


„Eurer Seite“ ist gut, wer argumentiert denn hier noch mit Dialektik? ;-) Das Problem ist nur, dass Dialektik eben auch mit reinen Negationen arbeiten kann und in dem Sinne hat Freiheit dann eine reine Negativdefinition, die aber gültig ist.
Die Forderung nach immer positiven Definitionen/Alternativen/Vorschlägen ist ein empirisch positivistischer Fehlschluss, der irgendwie ziemlich in Mode gekommen ist (merke ich ja auch jedes Mal bei politischen Diskussionen, jede Kritik wird damit versucht, abzuschmettern, indem man fordert, dass man ja auch Alternativen haben müsste, als wäre nicht die Negation nicht schon selbst die Alternative).

Vollbreit hat geschrieben:Mit der Variante die in Richtung harter Determinismus geht hatte ich noch nie was am Hut, von Beginn an fand ich diesen ganzen Neurodeterminismuskram völlig absurd. Eher wäre ich also ein moderater Libertarier gewesen, aber mit der (aus meiner heutigen Sicht, falschen) Intention (durch den Libertarismus) die Willensfreiheit zu verteidigen (- wohl auch Stamers Intention, auf den ich mich auch berufen habe) . Ich dachte, der Kompatibilismus sei so ein klammheimlicher Versuch die Willensfreiheit auszuhebeln, er erschien mir auf jeden Fall als zu spröde und zu wenig und so habe ich mich stark gegen die Möglichkeit gewehrt, dass der freie Wille und der Determinismus irgendwie zusammenpassen könnten.


Was ist Deine Motivation, die Willensfreiheit zu verteidigen? Falls Willensfreiheit für Dich tatsächlich lediglich bedeutet, erkennen und reflektieren zu können (was, wie mir inzwischen aufgefallen ist, bedeutet, dass auch eine Spiegelreflexkamera einen freien Willen hat), dann sehe ich sie durch Determinismus auch nicht bedroht, ich frage mich aber, wie man von dieser Willensfreiheit zum Beispiel auf moralische Verantwortlichkeit schließen kann (da diese ja immer schon aus der Moral und nicht aus der Natur der Dinge begründet, also folglich ohnehin tautologisch ist).

Vollbreit hat geschrieben:Warum ich die Fronten gewechselt habe, habe ich versucht genau darzustellen, natürlich ein wenig mit der Hoffnung verbunden, dass der eine oder andere sich darin wiedererkennen möge, was aber offensichtlich nicht der Fall war.


Ich kann es gut verstehen, weil ich nachvollziehen kann, dass für diesen Freiheitsbegriff (den ich aber eben weiterhin nicht teile) Determinismus kein Hindernis darstellt. Aber was soll aus dieser Freiheit noch folgen?

Vollbreit hat geschrieben:Nun habe ich eigentlich alles gesagt und mein Pulver verschossen und könnte mich nur endlos wiederholen.


Das können wir uns sparen, da ich ja jetzt weiß, warum Deine Freiheit kompatibel ist.

Vollbreit hat geschrieben:Meine letzte Bastion war übrigens, dass ich schon anerkennen konnte/musste, dass der Kompatibilismus in dem skizzierten Gedankenexperiment zwar recht hat, aber darauf bestanden habe, dass die Welt ja tatsächlich nicht so (also vollkommen determiniert) konzipiert ist, was ich übrigens in der Tat bis heute glaube.
Von diesem Teilerfolg (von dem ich zuerst dachte, es sei einer) ausgehend, wusste ich aber wieder nicht, was ich damit anfangen sollte, denn im Grunde habe ich mir damit ein wenig (echten) Zufall erkämpft, der eine deterministische Welt durchzieht.
Schön und gut, wenn es so ist, aber warum der Zufall dann die Freiheit noch ein wenig vergrößert, dafür hatte ich dann auf einmal, genau wie ihr, keine Argumente…


Wie „ihr“ ist wieder gut. Ich habe ja welche genannt und kann die auch noch vertiefen. So langsam habe ich auch ein immer klareres Bild im Kopf, wenn Dir irgendwas beim Verständnis fehlt (so wie AgentProvocateur, der sagte, dass er Schwierigkeiten hat, mir bei der Stelle mit Heidegger zu folgen), dann kann ich gerne versuchen, das auf andere Arten zu erklären, da bin ich erstens auch sehr geduldig und zweitens finde ich es sogar gut, es genauer erklären zu müssen, Fragen zu kriegen und so, weil ich dadurch wie oben gesagt meinen Gedanken, also einem Teil von mir selbst auch sprachlich näher komme.

Vollbreit hat geschrieben:(Was die anderen Threads angeht, antworte ich Dir dort, oder werde zumindest begründen, warum ich nicht geantwortet habe.)


Danke, es war jetzt auch nicht so dramatisch, wie es sich vielleicht las, aber es hatte mir doch kurz etwas Sorgen gemacht. Ich freue mich jedenfalls sehr darauf, weiter mit Dir zu diskutieren.

@ AgentProvocateur

Zu der Position von Locke schreibe ich später noch was, muss jetzt erstmal weg.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 6. Jan 2012, 18:00

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Also, um das mal festzuhalten: frei ist man Deiner Auffassung nach genau dann, wenn irgendwo eine neue Kausalkette entsteht, oder anders gesagt: wenn es hypothetisch möglich ist, dass die bestenden Kausalketten mal so und so verlaufen können. Ist das soweit korrekt?

Im Rahmen sinnvoller Möglichkeiten, ja. Ich erwarte da nichts, das einfach mal eben alle Naturgesetze verändert.
Um das mit meinem Schachspielmodell, das ich hier schon mal hatte, zu sagen (das finde ich am geeignetsten): Frei bin ich dann, wenn ich Bauer A2 auf A3 aber genauso gut Bauer B2 auf B3 bewegen kann. Ich erwarte nicht, dass ich den Bauern beliebig platzieren können muss (also die Spielregeln verletzen), aber ich sollte mehrere Möglichkeiten zur Auswahl haben innerhalb vorgegebener Regeln und diese dann auch ohne weiteren Grund, als dass ich es einfach entscheide, durchführen können. Je nachdem, welchen Zug ich mache, verändert sich der weitere Ablauf des Spiels. Meine Freiheit kann sich aber auch dadurch erweitern, dass ich die Spielregeln verändern kann (ich entscheide also andere sinnvolle neue Regeln). Das wäre dann mehr Freiheit. Das kann zum Beispiel der Schachcomputer nicht, allerdings liegt das daran, dass seine Programmierung beschränkt ist.

Okay, soweit sehe ich noch keinen großen Dissens zwischen uns, was mir allerdings noch nicht klar ist, wieso jemand ohne weiteren Grund sinnlose Züge beim Schach macht, bzw. was das mit Freiheit zu tun hat. Ein Schachspieler, der immer den seiner Ansicht nach zum Erreichen seines Zieles (zu gewinnen) besten Zug macht, wäre der Deiner Ansicht nach unfreier als ein anderer Schachspieler, der ab und zu mal absichtlich einen als schlecht erkannten Zug macht?

Teh Asphyx hat geschrieben:Deinen Computer, der nur zufällig irgendwelche Wörter ausspucken kann, deren Sinn er aber nicht versteht, halte ich nicht für frei, weil das, was er ausspuckt nicht sinnvoll ist und deswegen auch keinen Effekt hat (bzw. ist der so minimal, dass er zu vernachlässigen ist, die Freiheit ist also äußerst gering). In dem Maße wie er die Sprache, die er ausspuckt verstehen kann, ist er freier.

Gut, auch an dieser Stelle haben wir dann wohl eine Übereinstimmung: wir halten beide bestimmte Fähigkeiten als notwendige Bedingung für Freiheit, (z.B. Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit). Oder nicht?

Teh Asphyx hat geschrieben:Nur ist es für meinen Freiheitsbegriff weiterhin wichtig, dass er zwar die Bedingungen kennt, um einen sinnvollen Satz zu bilden, das Resultat allerdings nicht determiniert ist, sondern offen bis zu dem Zeitpunkt, wo es manifest ist.

Aber an der Stelle unterscheiden sich unsere Freiheitsbegriffe. Nach meinem ist es nur wichtig, dass ein Akteur seine Entscheidung nicht kennt, bevor er sie getroffen hat.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Warum die Kausalketten aber mal diesen und mal diesen Weg einschlagen, ist Deiner Ansicht nach unwichtig, spielt keine Rolle. Richtig?

Es muss von einem Akteur ausgehen, damit der Akteur als frei zu bezeichnen ist. Das wäre noch die Bedingung. Dieser kontingente Akt muss also wirklich dem Akteur entspringen.

Die Gründe für diesen Punkt verstehe ich noch nicht so recht. (Hattest Du jetzt übrigens dem two-stage-Modell zugestimmt? Weiter oben hattest Du das ja abgelehnt).

Nun können wir uns vorstellen, dass es einen zufälligen Vorschlagsgenerator im Gehirn gibt, wir könnten den aber auch nach draußen verlagern. Der Akteur besitzt ein externes Gerät, das er an seinen Kopf halten kann. Oder es gibt ein zentrales Gerät, sagen wir, einen Sendemast, der zufällige Signale aussendet, die (minimal) die Entscheidungen von Menschen beeinflussen, so dass diese prinzipiell unvorhersagbar werden.

Ab wann wäre das nicht mehr okay für Freiheit in Deinem Sinne und warum nicht?

Teh Asphyx hat geschrieben:Eine Kausalkette aus dem Nichts heraus halte ich eher für unwahrscheinlich.

Ja, ich meinte auch nicht Kausalketten aus dem Nichts. Es geht mir um die Verzweigungen von Kausalketten, die im Indeterminismus auftreten.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wofür würdest Du den Akteur als verantwortlich ansehen: für das Ergebnis des Zufallsgenerators oder für seine determiniert erfolgende Abwägung und Entscheidung und darauf folgende Handlung?

[...] Das Problem ist jetzt also für mich folgendes: Verantwortung stammt ja tatsächlich aus der Juristik. Es bedeutet also eben nicht, dass ich mit den natürlichen Konsequenzen einer Handlung leben muss (oder andere), sondern dass ich mit den Konsequenzen, die mir das positive Recht irgendeiner Herrschaft vorschreibt, leben muss. Und dafür sehe ich keine Rechtfertigung, in keinem Fall. Selbst wenn ich jetzt einfach den kompatibilistischen und nicht-dialektischen Freiheitsbegriff annehme, dann sehe ich dafür immer noch keine Rechtfertigung.

Hm, das Problem ist ein bisschen, dass Du unter 'Verantwortung' anscheinend etwas anderes verstehst als ich. Wir sollten daher diesen Begriff lieber mal beiseite stellen, wir können statt dessen auch den von Dir hier verwendeten Begriff 'Rechtfertigung' nehmen.

Also dann die Frage nochmal neu: wofür kann und soll sich ein Akteur Deiner Ansicht nach rechtfertigen: für das Ergebnis des Zufallsgenerators oder für die (im two-stage-Modell determiniert) erfolgende Abwägung und Entscheidung und Handlung?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 6. Jan 2012, 18:38

Teh Asphyx hat geschrieben:Was mir nicht einleuchtet ist, dass eine Negativdefinition nicht gültig sein soll. Auch in anderen Bereichen sind wir darauf angewiesen, mit Negativdefinitionen zu arbeiten. Wenn Freiheit also nichts weiter bedeuten sollte als nicht determiniert zu sein, dann bedeutet das noch lange nicht, das man auch in der Lage sein muss, positiv erklären zu können, wie dann Freiheit überhaupt zustanden kommen kann.
Kompatibilismus ist also dementsprechend eigentlich gar nichts anderes als harter Determinismus, der versucht, das Wort Freiheit zu retten.

Eine positive Darlegung des vertretenen Freiheitsbegriffes wäre sehr hilfreich, um den überhaupt verständlich machen zu können. Wird der nur im Nebel gelassen, dann sieht mir das verdächtig danach aus, dass der verwendete Begriff leer ist, also logisch unmöglich miteinander vereinbarende implizite Voraussetzungen enthält.

Übrigens: mir erscheint es viel plausibler, dass Indeterminismus (also Zufall) Freiheit nicht herstellen kann, (weil zu meinem Freiheitsbegriff Kontrolle gehört und Zufall unkontrollierbar ist), als dass Determinismus Freiheit ausschließt. (Siehe dazu auch hier.)

Wobei zumindest wir beiden uns einig sind, (dachte ich zumindest), ist doch aber, dass Freiheit nicht lediglich bedeutet, indeterminiert zu sein, oder?

Mag schon sein, dass der Kompatibilismus versucht, den Begriff "Freiheit" zu retten. Was bedeutet: ihn so zu erklären, dass er logisch möglich ist und so gut wie möglich mit den verbreiteten Intuitionen vereinbar ist. Was ich für eine gute Sache halte, für eine wertvolle Aufgabe der Philosophie: unscharf im Alltagsgebrauch verwendete Begriffe zu analysieren und zu präzisieren.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mich wundert, dass Dich meine Frage, wie man sich als Kompatibilist erklärt, warum überhaupt etwas ist und nicht nichts, auch nichts ins Grübeln bringt, obwohl ich diesbezüglich keine Antwort von Dir erhalten habe (von AgentProvocateur auch nicht). Denn vom Satz vom zureichenden Grund ausgehend müsste die Existenz selbst leer sein (oder braucht etwas, das außerhalb steht als Begründung, aber wie soll das aussehen und wenn es das gibt, wieso soll dann nicht auch genau so was dem Menschen eine über den Determinismus hinausgehende Freiheit ermöglichen?).

Ich meine, die Frage, warum etwas ist und nicht nichts, führt ganz gewaltig vom Thema weg. Ich brauche keine weitere Begründung für meine Existenz, wir erkennen uns offensichtlich beide gegenseitig als existierend an. (Wenn Du aber meine Existenz in Frage stellen willst, dann kannst Du das gerne machen, die Begründung dafür würde mich interessieren. Aber nicht hier.)

Und dann geht es mir ja darum, zu eruieren, ob Euer Begriff von Freiheit leer ist oder nicht. Das halte ich für eine wichtige Frage, davon hängt Einiges hier ab.

Der Begriff "Existenz" ist aber nicht leer, zumindest hattest Du derartiges bisher nicht behauptet und ich sehe nicht, wieso wir uns zusätzlich zu unserem schwierigen Thema auch noch über Unstrittiges streiten sollten.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 6. Jan 2012, 20:16

AgentProvocateur hat geschrieben:Okay, soweit sehe ich noch keinen großen Dissens zwischen uns, was mir allerdings noch nicht klar ist, wieso jemand ohne weiteren Grund sinnlose Züge beim Schach macht, bzw. was das mit Freiheit zu tun hat. Ein Schachspieler, der immer den seiner Ansicht nach zum Erreichen seines Zieles (zu gewinnen) besten Zug macht, wäre der Deiner Ansicht nach unfreier als ein anderer Schachspieler, der ab und zu mal absichtlich einen als schlecht erkannten Zug macht?


Na ja, hier könnte man jetzt sagen, dass wenn der andere absichtlichen als schlecht erkannte Züge macht, er ja genauso handelt, um sein Ziel zu erreichen (vielleicht will er verlieren?), wenn man annimmt, dass eine Absicht auch ein Ziel braucht. Da kommen wir irgendwie nicht weiter, denke ich. Zumal ich auch nicht wirklich immer beurteilen kann, was jetzt freier ist und was nicht, weder nach meinem noch nach Deinem Freiheitsbegriff, weil die Abstufungen zu nach beieinander liegen und es dann nur noch auf den Blickwinkel ankommt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Gut, auch an dieser Stelle haben wir dann wohl eine Übereinstimmung: wir halten beide bestimmte Fähigkeiten als notwendige Bedingung für Freiheit, (z.B. Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit). Oder nicht?


Ja, jedenfalls für Freiheit, die ich auf ein Wesen anwenden kann.
Es ist natürlich schon vorstellbar, dass es mal ein reines indeterministisches Chaos gab (wobei man hier schlecht irgendwelche Begriffe anwenden kann, die mit Existenz zu tun haben, so wie wir sie erleben können) und dadurch, dass ein Zufall etwas sinnvolles produziert hat, sich daraus das Sinnvolle irgendwie vermehrt/kopiert hat (sonst wäre eben nichts gewesen) und wir nur dieser Tatsache verdanken, dass wir existieren. Das wäre dann eine totale Freiheit, die aber nicht sinnvoll auf existierende Wesen anwendbar ist.
Inwiefern aber eine solche Freiheit als Teil eines Wesens bestehen kann, ja sogar die Wesenheit ausmachen kann (im Unterschied zur unbelebten Materie wie ein Stein), finde ich interessant zu erörtern (dazu haben Du und Vollbreit mich hier angestiftet, vorher hatte ich nie so weit darüber nachgedacht, das finde ich toll).

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber an der Stelle unterscheiden sich unsere Freiheitsbegriffe. Nach meinem ist es nur wichtig, dass ein Akteur seine Entscheidung nicht kennt, bevor er sie getroffen hat.


In einer deterministischen Welt müsste aber ein Wesen, je komplexer es denken kann, mehr in der Lage sein, eigene Entscheidungen vorher schon kennen zu können (bei manchen eher trivialen Dingen ist der Mensch dazu auch in der Lage, würde ich sagen). Dadurch würde der Mensch ja wieder unfreier werden, wenn ich das richtig sehe.

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Gründe für diesen Punkt verstehe ich noch nicht so recht. (Hattest Du jetzt übrigens dem two-stage-Modell zugestimmt? Weiter oben hattest Du das ja abgelehnt).


Ich würde das two-stage-Modell wohl eher umstülpen, so ergibt das für mich gar keinen Sinn. Was sollen das für zufällig generierte Sachen sein, die ich aber determiniert wollen kann? Wer generiert sie und wie? Und wie kann ein Wille dazu determiniert sein, wenn das, was ich determiniert wollen kann, erst zufällig generiert wird? Selbst wenn das, was ich will, nur imaginär ist, muss es sinnvoll sein.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun können wir uns vorstellen, dass es einen zufälligen Vorschlagsgenerator im Gehirn gibt, wir könnten den aber auch nach draußen verlagern. Der Akteur besitzt ein externes Gerät, das er an seinen Kopf halten kann. Oder es gibt ein zentrales Gerät, sagen wir, einen Sendemast, der zufällige Signale aussendet, die (minimal) die Entscheidungen von Menschen beeinflussen, so dass diese prinzipiell unvorhersagbar werden.

Ab wann wäre das nicht mehr okay für Freiheit in Deinem Sinne und warum nicht?


Nehmen wir an, anstatt dass meine Improvisation an der Gitarre durch mich/mein Gehirn entschieden wird, tut es dieses externe Gerät. Dafür muss das Gerät intelligent genug sein, dass es ebenso wissen kann, was nötig ist, um die Improvisation sinnvoll durchzuführen. In dem Moment benutzt es nur noch meinen Körper, ich bin in dem Sinne aber selbst nicht mehr frei, sondern das Gerät wäre dann der freie Akteur (der meinen Körper benutzt, weil er ihn kontrolliert). Ich würde aber niemals behaupten, dass mein Gehirn mich kontrolliert, wenn es von mir kommt, da Gehirn und Körper unmittelbar verwoben sind und zusammen eins ergeben, nämlich die Person als ganzes. Deswegen ist es für mich schon wichtig, dass es innerhalb dieser Person als ganzes stattfindet, damit ich die Person als frei bezeichne.

AgentProvocateur hat geschrieben:Hm, das Problem ist ein bisschen, dass Du unter 'Verantwortung' anscheinend etwas anderes verstehst als ich. Wir sollten daher diesen Begriff lieber mal beiseite stellen, wir können statt dessen auch den von Dir hier verwendeten Begriff 'Rechtfertigung' nehmen.


Was ist hier genau der Unterschied?

AgentProvocateur hat geschrieben:Also dann die Frage nochmal neu: wofür kann und soll sich ein Akteur Deiner Ansicht nach rechtfertigen: für das Ergebnis des Zufallsgenerators oder für die (im two-stage-Modell determiniert) erfolgende Abwägung und Entscheidung und Handlung?


Also im Artikel zum two-stage-Modell steht ja folgendes:
P2. If determinism is true, we are not free.
P3. If indeterminism is true, our decisions are random and we lack responsibility.


Meines Erachtens nach, wäre aber folgendes richtig:
P2. If determinism is true, we are not free and we lack responsibility.
P3. If indeterminism is true, our decisions are random and we lack responsibility.


Oder:
P2. If determinism is true, we are not free.
P3. If indeterminism is true, our decisions are random.


Da es keinen wirklichen Zusammenhang aus dem einen oder anderen gibt. Der einzige wirklich Zusammenhang ergibt sich dadurch, dass man eine Handlung überhaupt einer Person zuordnen kann. In diesem Sinne kann ich auch den Trauermückenlarven die Verantwortung dafür geben, dass meine Pflanzen eingegangen sind (ich kann mich nur blöderweise nicht mit ihnen verständigen).

Ich wollte ja noch was zu Locke sagen, das passt hier ganz gut hin.

John Locke hat geschrieben:Verdient es den Namen Freiheit, wenn man die Freiheit besitzt, den Narren zu spielen und sich selbst in Schande und Unglück zu stürzen?


Ja. Es geht Locke einen Dreck an, wer sich selbst in „Schande und Unglück“ stürzt, weil er das möchte.

John Locke hat geschrieben:Wenn Freiheit, wahre Freiheit, darin besteht, daß man sich von der Leitung der Vernunft losreißt und von allen Schranken der Prüfung und des Urteils frei ist, die uns vor dem Erwählen und Tun des Schlechteren bewahren, dann sind Tolle und Narren die einzig Freien;


Die Schlussfolgerung ist wirklich arm. So was finde ich sogar schon richtig dummdreist. Natürlich kann man auch die Freiheit haben, die Vernunft zu wählen, wenn man frei wählen kann.

John Locke hat geschrieben:allein ich glaube, keiner, der nicht schon toll ist, wird um einer solchen Freiheit willen wünschen, toll zu werden.


Das will ich auch schwer hoffen, dass allein er das glaubt. Was mich hier echt stört, ist dass der Herr meint, beurteilen zu können, wie es wäre, „toll“ zu sein. Das kann er aber gar nichts, also sollte er nicht von seinen Wünschen auf andere schließen. Ich hasse solche Verallgemeinerungen. Ich halte es hier mit William Blake: To Generalize is to be an Idiot. :mg:

John Locke hat geschrieben:Das stete Verlangen nach Glück und der Zwang, den es uns auferlegt, um seinetwillen zu handeln, wird meines Erachtens niemand als eine Schmälerung der Freiheit ansehen oder wenigstens nicht als eine Schmälerung, die zu beklagen wäre.


Na, da spricht aber der bürgerliche Liberale. Da hab ich sogar noch mal was passendes von Huisken zum Thema Glück: http://www.fhuisken.de/downloadable/gegenrede19.pdf Ist ziemlich neu und trifft es dieser Hinsicht perfekt. Ich fühle mich jedenfalls sehr frei, wenn ich mich nicht für das Verlangen nach irgendwelchem Glück, das mir irgendwo versprochen wird, Zwängen unterwerfe. Auch ein Grund, warum ich auf Religionen und ähnliches allergisch reagiere, die irgendwelches Glück versprechen.

Das Problem bei Locke ist, dass er nach einem Freiheitsbegriff sucht, der seine Ansicht darüber, was ein „richtiges“ Leben ist, verabsolutiert.
Ich mein, dass man „Verrückte“ nicht als Schuldfähig ansieht, heißt ja nicht, dass man sie „frei“ agieren lässt, im Gegenteil, mit ihnen wird sowieso schon viel schlimmer verfahren. Wenn man den Gedanken mit der Schuldfähigkeit weiterspinnt, kommt man eh irgendwann darauf, dass eigentlich jeder, der irgendwas tut, was nicht dem Gesetz entspricht, verrückt sein muss. Es ist schon extrem weit fortgeschritten, dass jegliche Form von nicht legitimierter Gewalt in der Psychologie schon pathologisiert wird (nur die Gewaltbereitschaft eines Polizisten oder Soldaten z.B. nicht). Ich denke tatsächlich, dass es darauf hinzielt, dass es irgendwann kein Schuld-Strafe-System mehr gibt, aber es geht in die falsche Richtung.
Meine Sympathie hat die kompatibilistische Position auf jeden Fall deswegen, weil sie darauf beharrt, dass Menschen Gründe für ihre Aktionen haben (das tu ich nämlich auch). Alles weitere dazu aber im entsprechenden Thread.

AgentProvocateur hat geschrieben:Eine positive Darlegung des vertretenen Freiheitsbegriffes wäre sehr hilfreich, um den überhaupt verständlich machen zu können. Wird der nur im Nebel gelassen, dann sieht mir das verdächtig danach aus, dass der verwendete Begriff leer ist, also logisch unmöglich miteinander vereinbarende implizite Voraussetzungen enthält.


Vielleicht verschwindet die Freiheit aber auch im Licht und ist nur in der Dunkelheit zu erfahren? Ich weiß, das macht es jetzt nicht besser.
Mein Vorschlag wäre eher dahingehend, zu untersuchen, wie Freiheit positiv formuliert werden kann, so wie ich (und viele andere) sie intuitiv erfassen mit der Grundvoraussetzung, nicht determiniert zu sein. Ich denke, dass es möglich ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Übrigens: mir erscheint es viel plausibler, dass Indeterminismus (also Zufall) Freiheit nicht herstellen kann, (weil zu meinem Freiheitsbegriff Kontrolle gehört und Zufall unkontrollierbar ist), als dass Determinismus Freiheit ausschließt. (Siehe dazu auch hier.)


Nein, der Zufall ist nicht unkontrollierbar. Ein absoluter Zufall natürlich schon, aber davon sollten wir nicht ausgehen, genauso wenig wie von absoluter Freiheit, wenn wir etwas Sinnvolles als Ergebnis haben wollen. Der Zufall wird ja dadurch kontrolliert, dass er sich im Rahmen von Notwendigkeiten bewegen muss (sonst kann es aus dem Zufall keine Handlung geben).
Bei dem Artikel wird wie so oft sowohl Hegels als auch Heideggers Position unterschlagen, nur so nebenbei bemerkt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wobei zumindest wir beiden uns einig sind, (dachte ich zumindest), ist doch aber, dass Freiheit nicht lediglich bedeutet, indeterminiert zu sein, oder?


Das würde höchstens auf eine absolute Freiheit zutreffen, die ich aber wie gesagt nur deshalb formuliere, um einen grundsätzlichen Standpunkt für die dialektische Position habe. Die Freiheit eines Akteurs ist schon im Bereich der Synthese (Zufall und Notwendigkeit müssen sich schon begegnet sein), also bedeutet Freiheit in diesem Sinne für mich mehr, ja.

AgentProvocateur hat geschrieben:Mag schon sein, dass der Kompatibilismus versucht, den Begriff "Freiheit" zu retten. Was bedeutet: ihn so zu erklären, dass er logisch möglich ist und so gut wie möglich mit den verbreiteten Intuitionen vereinbar ist. Was ich für eine gute Sache halte, für eine wertvolle Aufgabe der Philosophie: unscharf im Alltagsgebrauch verwendete Begriffe zu analysieren und zu präzisieren.


Dazu fällt mir das berühmte 11. These über Feuerbach von Marx ein, die ich für richtig halte: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine, die Frage, warum etwas ist und nicht nichts, führt ganz gewaltig vom Thema weg.


Nein, denn wenn Du sagst, dass Indeterminismus keine Freiheit herstellt, was soll dann der Existenz überhaupt zugrunde liegen? Es könnte dann ja nichts existieren.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich brauche keine weitere Begründung für meine Existenz, wir erkennen uns offensichtlich beide gegenseitig als existierend an. (Wenn Du aber meine Existenz in Frage stellen willst, dann kannst Du das gerne machen, die Begründung dafür würde mich interessieren. Aber nicht hier.)


Die will ich nicht in Frage stellen. Ich brauche an sich auch keine weitere Begründung, nur wenn ich die Frage nach Freiheit erörtern will, komme ich nicht drumrum, sie an der Existenz selbst zu prüfen, damit die Antwort gültig sein kann.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und dann geht es mir ja darum, zu eruieren, ob Euer Begriff von Freiheit leer ist oder nicht. Das halte ich für eine wichtige Frage, davon hängt Einiges hier ab.


Stimmt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Begriff "Existenz" ist aber nicht leer, zumindest hattest Du derartiges bisher nicht behauptet und ich sehe nicht, wieso wir uns zusätzlich zu unserem schwierigen Thema auch noch über Unstrittiges streiten sollten.


Unter der Voraussetzung, dass ein Freiheitsbegriff, der auf den Zufall aufbaut, leer sei, wie kann Existenz dann trotzdem existieren? Wenn Du das schlüssig erklären kannst, dann würde ich akzeptieren, dass man Deinen Freiheitsbegriff als den einzig logisch möglichen ansehen kann. Wenn aber Existenz überhaupt erst unter der Voraussetzung existiert, dass es irgendwas gibt, das sich dieser Logik entzieht, dann darf die Freiheit sich ebenso dieser Logik entziehen und dementsprechend auch auf der Basis erörtert werden.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 6. Jan 2012, 21:56

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:[...] was mir allerdings noch nicht klar ist, wieso jemand ohne weiteren Grund sinnlose Züge beim Schach macht, bzw. was das mit Freiheit zu tun hat. Ein Schachspieler, der immer den seiner Ansicht nach zum Erreichen seines Zieles (zu gewinnen) besten Zug macht, wäre der Deiner Ansicht nach unfreier als ein anderer Schachspieler, der ab und zu mal absichtlich einen als schlecht erkannten Zug macht?

Na ja, hier könnte man jetzt sagen, dass wenn der andere absichtlichen als schlecht erkannte Züge macht, er ja genauso handelt, um sein Ziel zu erreichen (vielleicht will er verlieren?), wenn man annimmt, dass eine Absicht auch ein Ziel braucht.

Ja, aber mein Punkt hier ist: Du sagtest oben: "[...] ich sollte mehrere Möglichkeiten zur Auswahl haben innerhalb vorgegebener Regeln und diese dann auch ohne weiteren Grund, als dass ich es einfach entscheide, durchführen können[...]".

Von mir unbestritten ist, dass das Ziel, zu gewinnen, nur ein persönliches in einer bestimmten Situation ist (keineswegs das einzig wahre / vernünftige / wie auch immer) und unbestritten kann es auch Situationen geben, in denen man auch verlieren will. Dann ergibt ein schlechter Zug einen Sinn.

Aber mir schien, Du fordertest als grundlegende Bedingung für echte Freiheit, dass man eben auch manchmal sinnlose Dinge tun sollte. Vielleicht aber habe ich da was falsch verstanden?

Der Punkt ist: wenn meine Entscheidung von meinem momentanen Ziel abhängig ist, dann kann sie mE dennoch frei sein. Ganimed scheint das anders zu sehen (weil er anscheinend die simple Gleichung: "abhängig ungleich frei" zugrunde legt), und wie Du das siehst, ist mir noch nicht so ganz klar, da Du ja eben sagtest, man solle manchmal auch grundlos entscheiden, sonst könne man nicht frei sein, (zumindest hatte ich das da reinintrpretiert).

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Gut, auch an dieser Stelle haben wir dann wohl eine Übereinstimmung: wir halten beide bestimmte Fähigkeiten als notwendige Bedingung für Freiheit, (z.B. Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit). Oder nicht?

[...] Inwiefern aber eine solche Freiheit als Teil eines Wesens bestehen kann, ja sogar die Wesenheit ausmachen kann (im Unterschied zur unbelebten Materie wie ein Stein), finde ich interessant zu erörtern [...]

Ja, naja, ich zumindest rede hier nur über Freiheit von Wesen, das ist, was mich interessiert. Vielleicht könnte man auch einen Freiheitsbegriff für Sonstiges, vielleicht einen Schuh oder einen Planeten, finden, das fände ich aber wenig interessant, (wobei ich mit "Wesen" nicht nur Menschen meine, das können - zumindest theoretisch - auch Maschinen oder Tiere oder Aliens sein).

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber an der Stelle unterscheiden sich unsere Freiheitsbegriffe. Nach meinem ist es nur wichtig, dass ein Akteur seine Entscheidung nicht kennt, bevor er sie getroffen hat.

In einer deterministischen Welt müsste aber ein Wesen, je komplexer es denken kann, mehr in der Lage sein, eigene Entscheidungen vorher schon kennen zu können (bei manchen eher trivialen Dingen ist der Mensch dazu auch in der Lage, würde ich sagen). Dadurch würde der Mensch ja wieder unfreier werden, wenn ich das richtig sehe.

Naja, wenn man seine Entscheidung schon exakt kennte, dann bräuchte man sie ja nicht mehr zu treffen. Da ich z.B. weiß, dass ich am Montag zu einem Termin mit einem meiner Klienten gehen werde, gibt es dahingehend nichts weiter zu entscheiden. Gäbe es nur, wenn etwas Neues, d.h. von mir jetzt noch nichts Berücksichtigtes eintreten wird. Vielleicht fällt am Montag der gesamte Nahverkehr aus und vielleicht geht auch mein Auto kaputt oder es gibt wegen der Nahverkehrsstörung einen Riesenstau in der ganzen Stadt. Dann würde ich neu überlegen. Aber sonst nicht. Aber deswegen bin ich nicht unfrei, die Entscheidung ist gefallen, ich kenne die Gründe dafür und ich halte sie für richtig.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Die Gründe für diesen Punkt verstehe ich noch nicht so recht. (Hattest Du jetzt übrigens dem two-stage-Modell zugestimmt? Weiter oben hattest Du das ja abgelehnt).

Ich würde das two-stage-Modell wohl eher umstülpen, so ergibt das für mich gar keinen Sinn. Was sollen das für zufällig generierte Sachen sein, die ich aber determiniert wollen kann? Wer generiert sie und wie?

Hm, ich habe das - viel weiter oben - versucht aus meiner Sicht explizit darzustellen, wie ich das verstehe. Du kannst aber gerne auch dort nochmal nachlesen, da gibt es vielleicht noch andere Sichtweisen / Erklärungen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nun können wir uns vorstellen, dass es einen zufälligen Vorschlagsgenerator im Gehirn gibt, wir könnten den aber auch nach draußen verlagern. Der Akteur besitzt ein externes Gerät, das er an seinen Kopf halten kann. Oder es gibt ein zentrales Gerät, sagen wir, einen Sendemast, der zufällige Signale aussendet, die (minimal) die Entscheidungen von Menschen beeinflussen, so dass diese prinzipiell unvorhersagbar werden.

Ab wann wäre das nicht mehr okay für Freiheit in Deinem Sinne und warum nicht?

Nehmen wir an, anstatt dass meine Improvisation an der Gitarre durch mich/mein Gehirn entschieden wird, tut es dieses externe Gerät. Dafür muss das Gerät intelligent genug sein, dass es ebenso wissen kann, was nötig ist, um die Improvisation sinnvoll durchzuführen. In dem Moment benutzt es nur noch meinen Körper, ich bin in dem Sinne aber selbst nicht mehr frei, sondern das Gerät wäre dann der freie Akteur (der meinen Körper benutzt, weil er ihn kontrolliert).

Nein, nein, da gibt es jetzt noch ein großes Missverständnis. Das Gerät ist überhaupt nicht intelligent und kann fast gar nichts - außer indeterminierte Sequenzen zu produzieren, die wiederum einen (absolut minimalen) Einfluss auf Deine Überlegungen und Entscheidungen haben. Darum geht es Euch Inkompatibilisten doch: dass irgendwo ein kleines Stückchen Zufall in die hier angenommen grundsätzlich determinierte Welt kommt. Das Gerät ist also mitnichten ein Akteur, alles, was es tut, ist, soviel Zufall zu erzeugen, dass der Laplace'sche Dämon prinzipiell unmöglich wird.

Meine Frage ist nun: wieso darf das kein Gerät sein, sondern muss ein biologischer Teil des Gehirnes sein? Wieso reichten nicht auch zentrale Sendemaste mit indeterminierten Signalen, die aufs Unterbewusstsein aller Menschen (minimal) einwirkten und diese somit prinzipiell unberechenbar machten?

Eure Anforderung besteht doch nur darin, dass Menschen prinzipiell unberechenbar sein müssten, um frei zu sein, oder etwa nicht? Die Sendemaste würden eben das gewährleisten. Mit denen könnte man auf einen Schlag alle Menschen im Lande frei machen - mal angenommen, unsere Welt sei determiniert und es gelänge, indeterminierte Strahlung, die per Sendemasten verbreitet werden kann, herzustellen. es spielt doch überhaupt keine Rolle, ob der Zufall im Gehirn, durch ein kleines externes im persönlichen Besitz befindlichen Gerät oder durch zentrale Sendemasten erzeugt würde - so oder so oder so hätte man keinen Einfluss darauf. Oder meinetwegen, wenn Du der Gesellschaft nicht über den Weg traust, dann können die in kleinerem Maßstab in der Nachbarschaft aufgestellt werden.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Hm, das Problem ist ein bisschen, dass Du unter 'Verantwortung' anscheinend etwas anderes verstehst als ich. Wir sollten daher diesen Begriff lieber mal beiseite stellen, wir können statt dessen auch den von Dir hier verwendeten Begriff 'Rechtfertigung' nehmen.

Was ist hier genau der Unterschied?

Meiner Ansicht nach gibt es keinen wesentlichen Unterschied, daher habe ich die Frage ja auch flugs umformuliert. Mir schien aber, dass es Deiner Ansicht nach wesentliche Unterschiede gäbe, die ich aber hier nicht behandeln möchte. Mir reicht völlig aus, über Rechtfertigung zu reden, wenn Du Verantwortung nur als Werkzug der Herrschenden, als reines Unterdrückungswerkzeug sehen willst.

Teh Asphyx hat geschrieben:Der einzige wirklich Zusammenhang ergibt sich dadurch, dass man eine Handlung überhaupt einer Person zuordnen kann. In diesem Sinne kann ich auch den Trauermückenlarven die Verantwortung dafür geben, dass meine Pflanzen eingegangen sind (ich kann mich nur blöderweise nicht mit ihnen verständigen).

Ja, das ist auch meiner Ansicht nach hier die grundlegende Frage: wann kann man eine Handlung einer Person / einem Wesn zuordnen? Und auch: was sieht man überhaupt als Handlung an? Unterscheiden sich Handlungen von einem reinen Geschehen, bzw. einem Verhalten? Sind Handlungen etwas Intentionales, Absichtliches, Kontrollierbares? Ich meine ja. Daher können Trauermückenlarven keine Handlungen ausführen und sie können sich offensichtlich auch nicht für etwas rechtfertigen. Das liegt aber nicht an Dir, das liegt daran, dass den Trauermückenlarven bestimmte Fähigkeiten fehlen.

Zum Locke-Zitat: ich meine, Deine Äußerungen dazu laufen ins Leere. Es geht Locke - so wie uns auch - darum, an Intuitionen zu appellieren. Es geht ja immer noch darum, zu eruieren, welcher Freiheitsbegriff sinnvoll, verständlich und zustimmungsfähig ist. Ich habe Locke mitnichten so verstanden, dass er anderen ein als von ihm als richtig angesehenes Leben vorschreiben wolle. Es geht ihm - so wie ich das verstehe und auch so sehe - nur darum, den absoluten Freiheitsbegriff ("Du bist nur dann frei, wenn Du jederzeit jeden Scheiß tun kannst und sei er noch so idiotisch" - Freiheit sei also nur, wenn etwas von allem völlig unabhängig sei, also auch völlig unabhängig von Sinn und Verstand) zu dissen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich mein, dass man „Verrückte“ nicht als Schuldfähig ansieht, heißt ja nicht, dass man sie „frei“ agieren lässt, im Gegenteil, mit ihnen wird sowieso schon viel schlimmer verfahren. Wenn man den Gedanken mit der Schuldfähigkeit weiterspinnt, kommt man eh irgendwann darauf, dass eigentlich jeder, der irgendwas tut, was nicht dem Gesetz entspricht, verrückt sein muss. Es ist schon extrem weit fortgeschritten, dass jegliche Form von nicht legitimierter Gewalt in der Psychologie schon pathologisiert wird (nur die Gewaltbereitschaft eines Polizisten oder Soldaten z.B. nicht). Ich denke tatsächlich, dass es darauf hinzielt, dass es irgendwann kein Schuld-Strafe-System mehr gibt, aber es geht in die falsche Richtung.

Ja, das ist übrigens ein Punkt, der mich auch umtreibt. Es ist meiner Ansicht nach nicht richtig, zu meinen, wie das viele harte Deterministen tun, dass, wenn man allen Menschen abspricht, freie Akteure sein zu können, das in irgend einer Weise etwas verbessern würde. Daraus folgt nur, dass man alle als kranke Idioten ansieht, mit denen man deswegen beliebig verfahren dürfte, z.B. sie wegen eines vagen Verdachtes sicherungsverwahren, ohne ihnen die Rechte zu gewähren, die als verantwortlich angesehenen Akteuren zugestanden wird - z.B. bei ihnen auf den Grundsatz: "keine Strafe ohne Schuld" zu verzichten. Sie nennen es einfach nicht mehr "Strafe" - aber das ändert rein gar nichts daran, dass die Sicherungsverwahrten eingesperrt sind. Das ist reine Begriffskosmetik. Wenn ich X (Strafe) nicht mehr X, sondern Y (Sicherungsverwahrung) nenne, dann ändert das in der Praxis gar nichts. Knast ist Knast. Wie eben schon zu beobachten ist, diese Entwicklung ist bereits im Gange, eine besorgniserregende Entwicklung, wie ich finde. Nicht, dass ich harten Deterministen vorwerfen wollen würde, dass sie das beabsichtigten. Nein, ich nehme ihnen ihre hehren Motive ab. Aber sie sind einfach auf dem Holzweg, mir ist unklar, wie die so blind sein können.

Teh Asphyx hat geschrieben:Vielleicht verschwindet die Freiheit aber auch im Licht und ist nur in der Dunkelheit zu erfahren? Ich weiß, das macht es jetzt nicht besser.
Mein Vorschlag wäre eher dahingehend, zu untersuchen, wie Freiheit positiv formuliert werden kann, so wie ich (und viele andere) sie intuitiv erfassen mit der Grundvoraussetzung, nicht determiniert zu sein. Ich denke, dass es möglich ist.

Mein Problem ist, dass ich diese Grundvoraussetzung nicht unbesehen / unbegründet akzeptieren kann. Die mag zwar auf den ersten Blick eine gewisse Plausibilität besitzen, aber auf den zweiten Blick nicht mehr und auf den dritten und allen darauf folgenden Blicken verliert sie ihre Plausibilität komplett. Dabei wäre es aber für Deinen Standpunkt / für Deine Ansicht (und auch für den des harten Deterministen) ein Riesen-Erfolg, wenn Du eine positive, logisch mögliche Realisierung Deines Freiheitsbegriffes in einer logisch möglichen Welt darlegen könntest, der offensichtlich / allgemein zustimmungsfähig, intutiv viel besser ankommt als der kompatibilistische Freiheitsbegriff. Es scheint mir aber so, dass eben dies einfach nicht gelingen will.

Teh Asphyx hat geschrieben:Nein, der Zufall ist nicht unkontrollierbar. Ein absoluter Zufall natürlich schon, aber davon sollten wir nicht ausgehen, genauso wenig wie von absoluter Freiheit, wenn wir etwas Sinnvolles als Ergebnis haben wollen. Der Zufall wird ja dadurch kontrolliert, dass er sich im Rahmen von Notwendigkeiten bewegen muss (sonst kann es aus dem Zufall keine Handlung geben).

Ich behaupte aber, dass überhaupt kein Zufall kontrollierbar ist. Es sei denn, Du könntest zeigen, wie das möglich wäre, das ist mir immer noch unvorstellbar, ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wie das gehen könnte. Es spielt überhaupt keine Rolle, in welchem Rahmen sich der Zufall bewegt. Entweder ist dieser Rahmen determiniert oder er ist zufällig. Es gibt einfach nichts Drittes hier.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wobei zumindest wir beiden uns einig sind, (dachte ich zumindest), ist doch aber, dass Freiheit nicht lediglich bedeutet, indeterminiert zu sein, oder?

Das würde höchstens auf eine absolute Freiheit zutreffen, die ich aber wie gesagt nur deshalb formuliere, um einen grundsätzlichen Standpunkt für die dialektische Position habe. Die Freiheit eines Akteurs ist schon im Bereich der Synthese (Zufall und Notwendigkeit müssen sich schon begegnet sein), also bedeutet Freiheit in diesem Sinne für mich mehr, ja.

Ja, wie gesagt, liegt mein Interesse hier aber auch nur darin, über die Freiheit von Akteuren zu reden. Die Freiheit von Schbnürsenkeln interessiert mich schlicht nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mag schon sein, dass der Kompatibilismus versucht, den Begriff "Freiheit" zu retten. Was bedeutet: ihn so zu erklären, dass er logisch möglich ist und so gut wie möglich mit den verbreiteten Intuitionen vereinbar ist. Was ich für eine gute Sache halte, für eine wertvolle Aufgabe der Philosophie: unscharf im Alltagsgebrauch verwendete Begriffe zu analysieren und zu präzisieren.

Dazu fällt mir das berühmte 11. These über Feuerbach von Marx ein, die ich für richtig halte: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“

Ist das eine andere Variante des moralischen Vorwurfes: "in Afrika verhungern Kinder und Ihr macht XY?"

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine, die Frage, warum etwas ist und nicht nichts, führt ganz gewaltig vom Thema weg.

Nein, denn wenn Du sagst, dass Indeterminismus keine Freiheit herstellt, was soll dann der Existenz überhaupt zugrunde liegen? Es könnte dann ja nichts existieren.

Wenn das ein Argument sein soll, dann verstehe ich es nicht. Ich verstehe noch nicht mal, worauf es abzielen könnte. Wir, Du und ich, wir existieren. Warum wir existieren, ist hier mE völlig ohne Belang. Denn wir reden doch hier darüber, ob der freie Wille existiert, bzw. (zuerst mal) darüber, was freier Wille überhaupt ist, was wir darunter verstehen und was man darunter verstehen kann und was man darunter verstehen sollte, damit andere das anerkennen können.

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Der Begriff "Existenz" ist aber nicht leer, zumindest hattest Du derartiges bisher nicht behauptet und ich sehe nicht, wieso wir uns zusätzlich zu unserem schwierigen Thema auch noch über Unstrittiges streiten sollten.

Unter der Voraussetzung, dass ein Freiheitsbegriff, der auf den Zufall aufbaut, leer sei, wie kann Existenz dann trotzdem existieren? Wenn Du das schlüssig erklären kannst, dann würde ich akzeptieren, dass man Deinen Freiheitsbegriff als den einzig logisch möglichen ansehen kann. Wenn aber Existenz überhaupt erst unter der Voraussetzung existiert, dass es irgendwas gibt, das sich dieser Logik entzieht, dann darf die Freiheit sich ebenso dieser Logik entziehen und dementsprechend auch auf der Basis erörtert werden.

Verstehe ich auch nicht. Man kann gar nichts diskutieren, wenn man nicht die Geltung der Logik implizit voraussetzt. Verzichteten wir darauf, dann kann ich Dir alles beweisen. Dass Gott existiert, dass er gleichzeitig nicht existiert, dass ich Gott bin und der Papst und dass ich nicht Gott bin und nicht der Papst. Und Du könntest mir dann auch alles und das Gegenteil davon beweisen. Ich glaube aber nicht, dass das besonders erquicklich wäre oder dass das irgendwie weiterführen könnte.

Und ich verstehe auch immer noch nicht, wieso ich mich hier der Frage: "warum existiert etwas und nicht nichts?" widmen sollte. Ich meine, wir haben hier ein anderes Thema.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Dissidenkt » So 8. Jan 2012, 13:16

AgentProvocateur hat geschrieben:
Dissidenkt hat geschrieben:Was ich hier immer wieder zu erklären versuche, aber niemand wirklich nachvollziehen kann, ist der Fakt, dass es keine "Freiheit" im absoluten Sinne und auch kein "freies" Irgendwas gibt. Nichts ist absolut frei.

Niemand hat dergleichen hier behauptet. Du kämpfst gegen Windmühlen, Strohmänner, Chimären, Pappkameraden. So wie z.B. MSS das auch tut.


Ganz und gar nicht. Ich habe dir oben ein Beipiel von vielen gegeben, in dem du auch so tust, als gebe es eine absolute Freiheit.
Darauf gehst du gar nicht ein und bestätigst damit, was ich bereits sagte, dass die meisten Menschen sich an den seit der Muttermilch aufgesaugten Freiheitsbegriff klammern, der aber irrational ist und deshalb das Denken verwirrt.

Es gibt weder eine "freie Entscheidung", noch eine "freie Handlung".
Es gibt zwar das Wörtchen "frei", aber selbst das ist nicht einmal "frei" von falschen Vorstellungen. :mg:
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » So 8. Jan 2012, 15:33

Dissidenkt hat geschrieben:Ganz und gar nicht. Ich habe dir oben ein Beipiel von vielen gegeben, in dem du auch so tust, als gebe es eine absolute Freiheit.
Darauf gehst du gar nicht ein und bestätigst damit, was ich bereits sagte, dass die meisten Menschen sich an den seit der Muttermilch aufgesaugten Freiheitsbegriff klammern, der aber irrational ist und deshalb das Denken verwirrt.


Würdest Du sagen, dass es trotzdem eine Möglichkeit gibt, Freiheit zu bestimmen? Oder ist der Begriff für Dich an sich schon absurd?

@ AgentProvocateur

Auf Deinen Beitrag werde ich natürlich auch noch eingehen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Dissidenkt » So 8. Jan 2012, 17:50

Teh Asphyx hat geschrieben:
Dissidenkt hat geschrieben:Ganz und gar nicht. Ich habe dir oben ein Beipiel von vielen gegeben, in dem du auch so tust, als gebe es eine absolute Freiheit.
Darauf gehst du gar nicht ein und bestätigst damit, was ich bereits sagte, dass die meisten Menschen sich an den seit der Muttermilch aufgesaugten Freiheitsbegriff klammern, der aber irrational ist und deshalb das Denken verwirrt.


Würdest Du sagen, dass es trotzdem eine Möglichkeit gibt, Freiheit zu bestimmen? Oder ist der Begriff für Dich an sich schon absurd?


Wenn der Begriff "Freiheit" in einem absoluten Sinne, also ohne konkreten Bezug und Einschränkung gebraucht wird, ist er absurd.

"Freier Wille" = Blödsinn
"Ein Wille, weitestgehend frei von krankhaften Zwängen ist" = Sinnvoll

"Freie Handlung" = Blödsinn
"Eine Handlung, frei von Fesseln" = Sinnvoll

Es ist tatsächlich ein sprachliches Problem, dass das Denken in eine vollkommen falsche Richtung zwingt.
Dieses Denken sitzt so tief, dass man sich nur schwer davon lösen kann.
Freiheit kann man nur durch die Abwesenheit von Zwängen definieren und dadurch eine relative Freiheit beschreiben.
Absolute Freiheit ist weder möglich, noch denkbar und deshalb auch kein Ideal.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 8. Jan 2012, 18:14

Dissidenkt hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
Dissidenkt hat geschrieben:Was ich hier immer wieder zu erklären versuche, aber niemand wirklich nachvollziehen kann, ist der Fakt, dass es keine "Freiheit" im absoluten Sinne und auch kein "freies" Irgendwas gibt. Nichts ist absolut frei.

Niemand hat dergleichen hier behauptet. Du kämpfst gegen Windmühlen, Strohmänner, Chimären, Pappkameraden. So wie z.B. MSS das auch tut.

Ganz und gar nicht. Ich habe dir oben ein Beipiel von vielen gegeben, in dem du auch so tust, als gebe es eine absolute Freiheit.
Darauf gehst du gar nicht ein und bestätigst damit, was ich bereits sagte, dass die meisten Menschen sich an den seit der Muttermilch aufgesaugten Freiheitsbegriff klammern, der aber irrational ist und deshalb das Denken verwirrt.

Du sagtest oben, (an mich gerichtet):

Dissidenkt hat geschrieben:Beispiel (von dir): "Es stimmt zwar, dass ich keine exakte Grenze angeben kann, wann jemand frei ist und wann nicht, aber dennoch sehe ich darin kein Argument."

Der Satz ist unsinnig, weil niemand (in dem absoluten Sinne, in dem du es hier verwendest) "frei" sein kann. Er ergäbe nur dann Sinn, wenn du das "frei" konkretisiert, also eingeschränkt hättest.

Ich verwende den Begriff "Freiheit" mitnichten in einem absoluten Sinne. Aus dem Zusammenhang ergibt sich doch wohl eindeutig, dass ich Freiheit vielmehr als gleitendes Kontinuum ansehe und eben nicht in einem absoluten Sinne.

Aber egal, Du willst nur das sehen, was Du sehen willst. Was Leute sagen und meinen, ist Dir anscheinend völlig gleichgültig, Du meinst, besser zu wissen, was sie sagen und meinen, weil Du Dich anscheinend auf einer höheren Stufe der Erkenntnis siehst als die anderen Leute. Und was nicht dazu passt, wird passend gemacht. Du siehst einfach alles als Bestätigung an: Zustimmung ebenso wie Ablehnung ebeso wie Ignorierung. Aber eine Ablehnung Deiner Behauptung kann wahr sein, eine Ignorierung kann auch daran liegen, dass sie absurd und unbegründet ist. Du solltest diese Möglichkeiten zumindest mal theoretisch ins Auge fassen. (Und selbst eine Zustimmung stellt noch keine Wahrheit her.)

Ich habe mich in dieser Diskussion darum bemüht, meine Begriffe zu konkretisieren. Daher sehe ich überhaupt keinen Sinn darin, einen von Dir aus dem Kontext gegriffenen Satz umzufomulieren, nur weil Du den so verstehst, wie Du ihn verstehen willst. Obgleich man den eigentlich gar nicht so verstehen kann, erst recht nicht, wenn man den im Kontext, in dem er geäußert wurde, sieht.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 11. Jan 2012, 19:15

Dissidenkt hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
Dissidenkt hat geschrieben:Gäbe es tatsächlich Grenzen, dann hätten sie selbst auch Grenzen, die wiederum auch Grenzen hätten, etc....
Sie sind also nur ein Konstrukt unserer Wahrnehmung.


Ist eigentlich, Deiner Meinung nach, all unsere Wahrnehmung ein Konstrukt?


Zweifellos! All unsere Wahrnehmungen sind Konstrukte unseres Gehirns (und das Gehirn ist - im evolutionären Prozess - ein Konstrukt unserer Wahrnehmungen). Viele Wahrnehmungen, die wir mit den Sinnen erfassen, haben reale Entsprechungen (Apfelbaum), andere sind nur abstrakt (Stammbaum) oder gar Hilfskonstrukte, wozu ich die Grenzen zählen würde. Eine Grenze ist also keine Wahrnehmung unserer Sinne, sondern die Unterscheidung zweier unterschiedlicher Wahrnehmungen.


Der Apfelbaum hat ja auch Grenzen. Woran erkennst Du, wo er beginnt und endet, warum gehört der Vogel der ruhig in den Ästen sitzt nicht dazu?


Wie unterscheidest Du den Wahrheitswert verschiedener Konstrukte?
Meine Frage bezieht sich darauf, dass Du an anderer Stelle schreibst:
Dissidenkt hat geschrieben:1. Eine absolute Freiheit gibt es nicht. Das ist ein geistiges Konstrukt, mehr nicht.
Die Benutzung des Wortes "Freiheit" oder "frei" in einem absoluten Sinn ist also unzulässig, weil irrational.
Deshalb ist auch "der freie Wille" ein irrationaler Begriff.

Hier hört es sich so an, als sei ein geistiges Konstrukt im Grunde nicht viel wert.

Fall Du das meinst. Das Gehirn ist nach Deiner Definition ein Wahrnehmungskonstrukt, so real wie ein Apfelbaum. Dem Gehirn sieht man aber nicht an, dass es denkt, darauf kommt man allein durch logische Schlussfolgerungen (übrigens auch nicht durch bildgebende Verfahren).
Logische Schlussfolgerungen sind aber das was Du „geistiges Konstrukt“ nennst. Auch Urteile über die Aktivität von Gehirnen sind geistige Konstrukte.
Wenn Dein Einwand gegen den freien Willen der ist, dass es sich dabei um ein geistiges Konstrukt handelt, dann kannst Du Dich dabei nicht auf die interpretieren Daten der Hirnforschung berufen, da dies ebenfalls geistige Konstrukte sind.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Dissidenkt » Di 17. Jan 2012, 17:36

Vollbreit hat geschrieben:Der Apfelbaum hat ja auch Grenzen. Woran erkennst Du, wo er beginnt und endet, warum gehört der Vogel der ruhig in den Ästen sitzt nicht dazu?


Nein, hat er nicht. Der Mensch schreibt ihm nur ein geistiges Konstrukt zu, das er Grenze nennt. Dieses hat aber weder eine Ausdehnung, noch irgendeine andere wahrnehmbare Eigenschaft und ist somit nur ein Hilfskontrukt und kein reales Phänomen.Wo der Baum anfängt und aufhört siehst du mit deinen Augen oder fühlst es mit den Händen. Das sind reale Wahrnehmungen. Der Vogel ist ein anderes reales Konstrukt, weil er - anders als ein Ast oder ein Blatt - eine von dem Konstrukt "Baum" völlig unabhängige Existenz hat.

Vollbreit hat geschrieben:Wie unterscheidest Du den Wahrheitswert verschiedener Konstrukte?
Meine Frage bezieht sich darauf, dass Du an anderer Stelle schreibst:
Dissidenkt hat geschrieben:1. Eine absolute Freiheit gibt es nicht. Das ist ein geistiges Konstrukt, mehr nicht.
Die Benutzung des Wortes "Freiheit" oder "frei" in einem absoluten Sinn ist also unzulässig, weil irrational.
Deshalb ist auch "der freie Wille" ein irrationaler Begriff.


Hier hört es sich so an, als sei ein geistiges Konstrukt im Grunde nicht viel wert.


Die geistigen Kontrukte kann und muss man doch von einander unterscheiden. Zum Beispiel dadurch, ob sie wahrnehmbare materielle Entsprechungen in der Realität haben oder nicht. Das sagt ja nichts über die Wertigkeit aus, sondern nur etwas über ihre physikalische Existenz.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn Dein Einwand gegen den freien Willen der ist, dass es sich dabei um ein geistiges Konstrukt handelt, dann kannst Du Dich dabei nicht auf die interpretieren Daten der Hirnforschung berufen, da dies ebenfalls geistige Konstrukte sind.


Mein Einwand gegen den "freien Willen" ist nicht der, dass es sich um ein geistiges Konstrukt handelt, sondern der, dass es sich NUR um ein geistiges Konstrukt handelt, ohne jede Entsprechung in der Realität und obendrein per definition eine Unmöglichkeit darstellt, weil absolut NICHTS frei sein kann.

Das Konstrukt "frei" ergibt nur dann einen Sinn und hat deshalb nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn es in einem Kontext benutzt wird, aus dem eindeutig hervorgeht, WOVON irgendetwas "frei" ist.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Di 17. Jan 2012, 19:22

Dissidenkt hat geschrieben:Mein Einwand gegen den "freien Willen" ist nicht der, dass es sich um ein geistiges Konstrukt handelt, sondern der, dass es sich NUR um ein geistiges Konstrukt handelt, ohne jede Entsprechung in der Realität und obendrein per definition eine Unmöglichkeit darstellt, weil absolut NICHTS frei sein kann.

Das Konstrukt "frei" ergibt nur dann einen Sinn und hat deshalb nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn es in einem Kontext benutzt wird, aus dem eindeutig hervorgeht, WOVON irgendetwas "frei" ist.


Bingo! Wenn überhaupt irgendetwas völlig frei war, dann vielleicht die Entstehung von allem am Ursprung.
Deswegen habe ich hier auch die Frage an die Kompatibilisten gestellt, wie nach ihrer Logik überhaupt möglich sein soll, dass überhaupt etwas existiert, aber anstatt die Frage zu beantworten wird nur in Frage gestellt, welche Relevanz das hätte. Es wäre einfacher die Frage zu beantworten – nur müsste man das eben auch können und genau dann würde man meiner Argumentation, dass Freiheit eben außerhalb und nicht innerhalb des Systems im Satz vom zureichenden Grund steht, recht geben.

So, um das Ding jetzt ein für alle Male klarzustellen, hier noch eine schöne Definition aus der französischen Wikipedia:
Le libre arbitre est la faculté qu’aurait l'être humain de se déterminer librement et par lui-seul, à agir et à penser, par opposition au déterminisme ou au fatalisme, qui affirment que la volonté est déterminée dans chacun de ses actes par des « forces » qui l’y nécessitent. « Se déterminer à » ou « être déterminé par » illustrent l’enjeu de l’antinomie du destin ou de la « nécessité » d'un côté et du libre arbitre de l'autre.
(„Der freie Wille ist die Fähigkeit eines Menschen, sich durch sich selbst frei zu bestimmen in seinen Handlungen und seinem Denken, im Gegensatz zum Determinismus oder zum Fatalismus, die behaupten, dass der Wille in jeder Handlung durch bestimmte [äußere] «Kräfte» bestimmt ist. «Zu etwas determiniert sein» oder «durch etwas determiniert sein» illustrieren das Thema der Widersprüchlichkeit zwischen Schicksal und «Notwendigkeit» auf der einen Seite und freier Wille auf der anderen.“)
Man bedenke, dass im Französischen hier der Bezug zwischen Mensch und freier Wille in Konditionalform geschrieben ist (also wenn der Mensch einen freien Willen hätte, dann …). Ich finde das nur schwierig zu übersetzen. Es muss also nicht zwingend notwendig sein, dass der Mensch tatsächlich einfach so „durch sich selbst“ seine Handlung entscheiden kann, aber könnte er es, dann wäre genau dies der freie Wille.

Warum Willkür und freier Wille identisch sind, erkläre ich auch noch mal kurz.
Kür = Wahl und Wille = Wille, d.h. Willkür ist die Wahl des Willens, also der freie Wille. Lässt sich in jedem brauchbaren etymologischen Lexikon nachschlagen. Da will ich nicht als Gegenargument hören, dass irgendwer das für Unsinn hält, denn was irgendwer für irgendwas hält ist mir gelinde gesagt scheißegal, da ich mich auf konkrete Begründungen stütze. Wer das also noch mal bringt, disqualifiziert sind und den nehme ich nicht mehr ernst in dieser Diskussion (hab nämlich auch besseres zu tun als sturen Rechthabern, die einfach die Hälfte meiner Beiträge ignorieren, irgendwie noch Futter für ihr Ego zu geben).
Wer einen Begriff vom freien Willen hat, der nicht mit Willkür verträglich ist, muss seinen Begriff einfach mal überdenken, da dann irgendwas da schief gewickelt ist.

Als nächstes: Freiheit darf nicht so definiert werden, dass sie mit Verantwortung kompatibel sein muss. Verantwortung ist – und das erkläre ich jetzt auch zum letzten Mal – ein juristischer Begriff. Juristik ist komplett ein geistiges Konstrukt, deren reale Entsprechung erst nach dem geistigen Konstruieren etabliert wurde. Daraus kann man absolut gar nichts begründen, sondern die Begründung muss umgekehrt erfolgen. Erst nach der Definition von Freiheit kann man überhaupt erfragen, ob eine Verantwortung dann überhaupt dem Menschen zuzusprechen ist.
Kommt mir nicht damit, dass es Verantwortung auch außerhalb der Juristik gibt, denn es geht mir darum, dass es daher kommt und schon immer daraus begründet ist und deswegen unbrauchbar. Wenn es woanders unreflektiert verwendet wird, dann umso schlimmer dafür.
Dementsprechend ist Lockes Argumentation völlig ungültig und unbrauchbar und außerdem liefert er kein wirkliches Argument dafür, warum jemand, der ein „Narr“ oder „toll“ ist, nicht frei sein sollte, außer die, dass er es nicht für wünschenswert hält. Was er sich gewünscht hat interessiert mich nicht, weil es nicht um Wünsche geht.

Also ich erwarte, dass man entweder mal auf meine Einwände eingeht und nicht einfach so tut als wären sie unbedeutend, nur weil das die eigene Ansicht widerlegen könnte … vor allem frage ich mich, warum man sich dann so schwer damit tut, die Fragen zu beantworten. Und ich erwarte, dass man nicht mehr behauptet, man hätte 100 Mal nach einer Begründung gefragt, wenn man gleichzeitig die 200-fache Begründung einfach ständig ignoriert, indem man auf das, was einem nicht passt, einfach nicht eingeht. Ich bin auf alles eingegangen und ich kann auf alles eingehen. Nur habe ich langsam keine Lust mehr auf diese Spielchen. Ich könnte mir mal eben Schopenhauers „Eristische Dialektik“ schnappen und Euch genau die Punkte zeigen, die ihr hier anwendet, wenn es sein muss, aber um ehrlich zu sein habe ich da keine Lust drauf.
Ich bin nur allmählich dafür, dass man mal verbindliche Denkgesetze einführt, wenn eh schon alles ein Gesetz haben muss …

Tut mir leid, aber ich komme mir einfach langsam hier enorm verarscht vor und ich glaube das hatten wir hier schonmal.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Gandalf » Di 17. Jan 2012, 20:37

Teh Asphyx hat geschrieben:Als nächstes: Freiheit darf nicht so definiert werden, dass sie mit Verantwortung kompatibel sein muss. Verantwortung ist – und das erkläre ich jetzt auch zum letzten Mal – ein juristischer Begriff.


..hmm - ausgehend davon, das ich 10 Seiten dieser Diskussion übersprungen hab und gar nicht weis ob das überhaupt hier reinpasst, - möchte ich dem einfach mal widersprechen. ;-)

Verantwortung:
Wie kann etwas, das eine Begründung für eine Handlung in Form einer Antwort liefert ein "juristischer Begriff" sein? Eine "juristischer Begriff" wurde erst dann daraus gemacht, als diese Antwort zur Begründung nicht konform mit dem jeweiligen Moral- und Herrschaftsmodell der Gesellschaft stand!?

Recht:
Recht wurde erst gesprochen 'nachdem' ein 'Bedürfnis nach Gerechtigkeit' vorhanden war und individuelle (kraft- und existenzraubende) Erfahrungen zu (kraftschonenden) Gewohnheiten und diese widerum zu allgemein akzeptierten (widerstandsunterdrückenden) Ritualen geronnen sind, die man letzlich nur noch als "Recht" in Buchstabenform giesen musste um es zu ent-individualisieren!?

Ich denke es geht beim Freiheitsbegriff letzlich wieder um den Punkt:
kritischer Rationalismus vs konstruktivistisch Rationalismus
Freiheit ist imho nur in einer 'zieloffene Gesellschaft' möglich, bei dem 'das Leben' im Multiversum als "Wissen sammelnde Materie" den entscheidenden Teil dazu beiträgt.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Di 17. Jan 2012, 20:50

Gandalf hat geschrieben:Verantwortung:
Wie kann etwas, das eine Begründung für eine Handlung in Form einer Antwort liefert ein "juristischer Begriff" sein? Eine "juristischer Begriff" wurde erst dann daraus gemacht, als diese Antwort zur Begründung nicht konform mit dem jeweiligen Moral- und Herrschaftsmodell der Gesellschaft stand!?


Verantwortung bedeutete Ursprünglich „Sich vor Gericht verteidigen“. Und es steckt ja auch „Antwort“ drin. Das gleiche ist auch in anderen Sprachen zu finden (habe Englisch und Französisch überprüft). Es ist tatsächlich so, dass es erst das (positive) Recht gab und dann der Begriff Verantwortung da heraus gefunden wurde und nicht umgekehrt.
Die tatsächliche Begründung für eine Handlung muss also eine andere sein.
Wie das Recht entstanden ist, wird wohl nicht geklärt werden können. Irgendein Bedürfnis da vorauszusetzen finde ich schwierig.
Deine Erklärung (für das Recht) hat allerdings durchaus seine Plausibilitäten, ich bin da halt nur in letzter Instanz Skeptiker, das ist alles.

Was die Freiheit in der Gesellschaft angeht, so denke ich da auch ähnlich. Fragt sich halt aber immer noch, wie man so eine Gesellschaft etablieren kann, aber das wäre wohl wieder ein anderes Thema.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 18. Jan 2012, 20:37

Dissidenkt hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Der Apfelbaum hat ja auch Grenzen. Woran erkennst Du, wo er beginnt und endet, warum gehört der Vogel der ruhig in den Ästen sitzt nicht dazu?


Nein, hat er nicht. Der Mensch schreibt ihm nur ein geistiges Konstrukt zu, das er Grenze nennt. Dieses hat aber weder eine Ausdehnung, noch irgendeine andere wahrnehmbare Eigenschaft und ist somit nur ein Hilfskontrukt und kein reales Phänomen. Wo der Baum anfängt und aufhört siehst du mit deinen Augen oder fühlst es mit den Händen.


Woher weiß ich denn, das die Amsel im Baum nicht zum Baum gehört, wenn ich nicht ei Konzept voin Amsel (oder Vogel) bereits in meinem Bewusstsein habe?

Das sind reale Wahrnehmungen. Der Vogel ist ein anderes reales Konstrukt, weil er - anders als ein Ast oder ein Blatt - eine von dem Konstrukt "Baum" völlig unabhängige Existenz hat.


Ah, und das sieht man?


Dissidenkt hat geschrieben:Die geistigen Kontrukte kann und muss man doch von einander unterscheiden. Zum Beispiel dadurch, ob sie wahrnehmbare materielle Entsprechungen in der Realität haben oder nicht. Das sagt ja nichts über die Wertigkeit aus, sondern nur etwas über ihre physikalische Existenz.


Das geht durcheinander.
Physikalische Existenz der Konstrukte oder ihrer Repräsentanten?
Ist die Regel, dass Haupt- und Nebensatz durch Komma getrennt werden weniger real, als ein Baum oder als Sauerstoff (ich habe nie welchen gesehen), oder als ein Vakuum? Warum?

Dissidenkt hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wenn Dein Einwand gegen den freien Willen der ist, dass es sich dabei um ein geistiges Konstrukt handelt, dann kannst Du Dich dabei nicht auf die interpretieren Daten der Hirnforschung berufen, da dies ebenfalls geistige Konstrukte sind.


Mein Einwand gegen den "freien Willen" ist nicht der, dass es sich um ein geistiges Konstrukt handelt, sondern der, dass es sich NUR um ein geistiges Konstrukt handelt, ohne jede Entsprechung in der Realität und obendrein per definition eine Unmöglichkeit darstellt, weil absolut NICHTS frei sein kann.


Dass nichts frei sein kann ist ja nur ein dogmatische Behauptung.
Ich setze dagegen, dass es etwas gibt, das frei sein kann. Und nun?
Und das Konstrukt „freier Wille“ ist ebenso sehr eines die das Konstrukt „es gibt keinen freien Willen“. Beides sind Behauptungen, nicht mehr, nicht weniger.

Dissidenkt hat geschrieben:Das Konstrukt "frei" ergibt nur dann einen Sinn und hat deshalb nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn es in einem Kontext benutzt wird, aus dem eindeutig hervorgeht, WOVON irgendetwas "frei" ist.


Frei von Zwang, Irrationalität, Zufall und Willkür.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Mi 18. Jan 2012, 21:08

Vollbreit hat geschrieben:Frei von Zwang, Irrationalität, Zufall und Willkür.

Frei von Zufall? Das bist du nicht mal bem nächsten Tastendruck deiner Antwort. Ein gewisses Freiheitsgefühl stellt sich wohl ein, wenn man Zufälle die der eigenen handlung zu wider laufen würden relativ selten sind. Frei bist du davon aber nie.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 18. Jan 2012, 22:48

Es ging darum, dass man bei der Definition dessen, was kompatibilistische Freiheit ausmacht, auf diese Zutaten verzichten kann.
Man kann unter Zwang stehen, auch als Kompatiblist, dennoch ist der Freiheitbegriff einer der auf die genannten Elemente verzichtet.
Bei den meisten Definitionen von Freiheit - die den Kompatibilsimus als zu eng ansehen - kommt unterm Strich heraus, dass das was noch dazu kommen müsste, so etwas wie Zufall, oder Willkür ist.

In meiner Entscheidung frei bin ich dann nicht, wenn ich Schokoeis bestelle, weil ich gerne Schokoeis mag, sondern viel freier sollte ich nach dieser Auffassung sein, wenn ich Bananeneis bestellen könnte, was ich ekelhaft finde, statt Schokoeis, was ich lecker finde. Mir will aber nicht einleuchten, was daran fei ist, mir erscheint das irrational und willkürlich.
Oder wenn ich Schokoeis liebe, aber per Zufall eine Mischung aus Nuss-, Erdbeer- und Kiwieis kriege, soll das auch ein Ausdruck größerer Freiheit sein, was ich ebenfalls nciht verstehe.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Do 19. Jan 2012, 09:37

Schon blöd, wenn man was kritisieren muss, was man gar nicht verstanden hat … da geht man dann am besten gleich auf Strohmänner los.

Ich will mich nur mal eben von Vollbreits Beispiel distanzieren, weil es nicht meiner Sicht entspricht, er es mir aber implizit unterstellt. Meine Sicht habe ich klar dargelegt, wenn das hier ein wenig untergeht, dann liegt das leider daran, dass hier einige die Taktik fahren, alles wesentliche zu untergraben und so endlos ihren Kram zu wiederholen, dass es in ihren Wortschwallen völlig untergeht.

Ich kann es aber gerne noch mal kurz erklären:
In meiner Entscheidung bin ich dann frei, wenn ich frei von totaler Determinierung bin (und das ist eine genauso gültige Aussage, wenn die Aussage, dass man frei vom Zufall sein kann, gültig ist).
Und Willkür bedeutete im Ursprung nichts anderes als diese Freiheit des Willens, das steckt ja sogar noch im Wortlaut. Negativ behaftet ist das Wort deswegen, weil der freie Wille von der Herrschaftsseite her überhaupt nicht erwünscht ist, außer in soweit, dass man Menschen dann dafür strafen kann, dass sie anders wollen als die Herrschaft es will.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Do 19. Jan 2012, 14:41

Einfach formuliert biegt sich also Kompatibilismus alle Zwänge und Vorgaben denen wir unterworfen sind so zu Recht, das man trotzdem frei ist, weil wir frei sein wollen und das kompatibel mit der Welt machen möchten. Was gibt es dann noch zu diskutieren?
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