Also auf eine neue Runde im lustigen Kreisdrehen
AgentProvocateur hat geschrieben:Man kann sich zu einem konkreten Zeitpunkt darüber irren, dass man Kontrolle über seine Entscheidung hatte. Und (eine gewisse) Kontrolle ist grundsätzliche Bedingung für eine freie Entscheidung, oder so gesagt: es muss eine eigene Entscheidung sein. Wir könnten uns nun einen genialen Hirnchirurgen (oder auch: Hypnotiseur) vorstellen, der einem eine Entscheidung induzierte und auch das Gefühl, diese Entscheidung sei eine eigene Entscheidung. Wäre es dann aber nicht.
AgentProvocateur hat geschrieben:Die Person kann sich irren darüber, dass sie frei entschieden/gehandelt hat. Ich sehe Dein Problem dabei nun nicht.
Meine Frage ist: Woran macht man den "Irrtum" fest, wenn nicht an dem Empfinden, dass ein Einfluss hinderlich war für eine freie Entscheidung?
Welche
objektiven Kriterien wendest du bei der Einteilung "Zwang" oder "kein Zwang" eines Einflusses an?
AgentProvocateur hat geschrieben:Einen Freiheitsbegriff, der dies bedeutete: "eine Person ist genau dann in ihrer Entscheidung und Handlung frei, wenn sie zum Zeitpunkt der Entscheidung/Handlung meint, sie sei frei" ergibt mE so wenig Sinn, wie Wissen so zu definieren: "P weiß X zum Zeitpunkt t, wenn P zu t davon überzeugt ist, X zu wissen". [...] Würdest Du "Wissen" analog definieren, (siehe oben)? Und/oder "Wahrheit"? Wenn nicht: warum nicht?
Wissen bzw. Erkenntnis muss nachvollziehbar sein, und zwar nach möglichst objektiven Kriterien. Mir ist noch nicht klar, inwiefern die
Bewertung, ob ein Einfluss hinderlich für eine freie Entscheidung ist oder nicht, ein objektives Kriterium darstellen soll. Um das Beispiel mit dem Hirnchirurgen aufzugreifen: Ja, das würde man im Allgemeinen als Zwang bezeichnen - als
außenstehender Betrachter! Was empfindet aber die Person? Sie empfindet ihre Entscheidungen und Handlungen als frei. Wenn wir von einem deterministischen Weltbild ausgehen, sind aber objektiv gesehen alle Einflüsse und Reaktionen wertfrei und damit qualitativ gleichwertig. Es macht qualitativ keinen Unterschied, ob eine Manipulation des Gehirns oder mediale oder gesellschaftliche Beeinflussung oder eine genetische Prädisposition oder irgendein körperliches Bedürfnis zu einer Entscheidung oder Handlung führen. Wir als betrachtende und empfindende Subjekte bewerten sie nur unterschiedlich und sehen sie als Zwänge an oder eben nicht.
Damit meine ich also nicht, dass eine Hirnmanipulation
für uns gleichwertig zu einem Blick in eine Zeitung wäre. Aber objektiv betrachtet sind beides Einflüsse, die sich auf unsere Entscheidungen auswirken, auch wenn wir uns ihrer nicht bewusst werden. Die Hirnmanipulation mag quantitativ stärker sein als andere Einflüsse. Aber erst unsere Bewertung auf Basis unseres Empfindens lässt sie uns als Zwang erscheinen. Dieses subjektive Empfinden wird innerhalb einer Spezies oder einer Gesellschaft sicher oft geteilt. Aber schon wenn wir unsere westliche Welt verlassen, glauben wir Manipulationen und Zwänge festzustellen, beispielsweise religiöse Beeinflussung ("Indoktrination"). Die von uns so als unfrei betrachteten Menschen mögen sich aber als frei empfinden. Anders herum könnten sie uns als unfrei ansehen, weil wir (aus ihrer Sicht) von unseren Medien manipuliert werden. Außerirdische hätten wieder eine andere Perspektive.
Da sehe ich den Unterschied zu Wissen. Wissen lässt sich unabhängig von gesellschaftlicher oder sozialer Prägung, Moralvorstellungen oder persönlichem Empfinden nachvollziehen. Die Einteilung eines Einflusses in "Zwang" oder "nicht Zwang" kann meines Erachtens nur auf subjektivem Empfinden begründet sein - dem der entscheidenden/handelnden Person oder dem des außenstehenden Betrachters.
Bisher hast du mich zumindest noch nicht davon überzeugen können, dass es objektive Kriterien dafür gibt. Ich bin aber (glaube ich) offen dafür, mich von solchen überzeugen zu lassen.
AgentProvocateur hat geschrieben:Es kann nun logischerweise schlicht nicht sein, dass ein beliebiges X ausschließlich davon abhängt, ob P zum Zeitpunkt t glaubt, dass X.
Du formulierst eine All-Aussage. Ich hatte aber eine Existenz-Aussage behauptet.
Wenn ich behaupte, Zwang hinge ausschließlich davon ab, dass eine Person Zwang empfindet, bezieht sich diese Behauptung nur auf "Zwang" und nicht auf ein beliebiges X.
Wenn du behauptest (A), es gölte: "Folgende Aussage ist falsch: Für alle x gilt: Aus der Empfindung von x folgt x", dann ist das eine Aussage, die aber
nicht äquivalent ist zu (B): Es gilt: für alle x ist die Aussage "Aus der Empfindung von x folgt x" falsch.
Erstere (A) lässt also die Existenz eines x zu, für das gilt: "aus der Empfindung von x folgt x", und behauptet die Existenz eines x, für das
nicht gilt: aus der Empfindung von x folgt x. (A) ist eine Negiation einer Allaussage.
Letztere (B) ist eine Allaussage einer Negation, lässt also kein x zu, für das gilt: aus der Empfindung von x folgt x. Dies lässt sich umformulieren zu: Es gibt kein X, für das gilt: X hängt davon ab, dass eine Person X empfindet.
Dies kann ich widerlegen, indem ich ein Gegenbeispiel bringe. Beispielsweise kann das Wort "Hass" nur durch das Gefühl von Hass definiert sein. Sicher kann man aus objektiver Sicht bestimmte Muster von Hormonausschüttung und Hirnaktivität benennen, die "Hass" entsprechen. Aber ohne die subjektive Empfindung von Hass wären diese objektiven Muster aussagelos. Man könnte sie weiter als "Hass" bezeichnen, aber das wäre dann ein Begriff wie "HM#04763" und nur für wissenschaftliche Arbeitsabläufe sinnvoll. Eine Bedeutung bekommen die Muster erst durch Empfindung und - darauf aufbauend - durch Bewertung.
Damit sehe ich die Behauptung (B) als widerlegt an. Der Behauptung (A) stimme ich jedoch zu. Nur ein Konstruktivist würde sie anzweifeln.
Natürlich ist auch das "Gefühl des Gezwungen-Werdens" objektiv vorhanden - in Form eines materiellen Musters im Körper/Gehirn. Ist dieses Gefühl nicht da, so auch nicht das Muster - oder umgekehrt. Wie @ujump sagte: das Ich ist der Monitor. (Ich bin noch nicht sicher, ob diese Metapher so gut ist.) Ein Gefühl und das entsprechende materielle (objektive) Muster sind kongruent - ein und dasselbe - bedingen sich gegenseitig - definieren einander - ...
AgentProvocateur hat geschrieben:Denn dann wäre X undefiniert, hätte keinerlei Bedeutung, wäre sinnfrei. Wenn aber X hinreichend definiert ist (damit ein X vorliegt, muss das und das und das der Fall sein; folgende notwendigen und hinreichenden Bedingungen erfüllt sein: A, B, C ...), dann ist X unabhängig davon, ob P meint, dass diesé hinreichenden und notwendigen Bedingungen erfüllt sind. P kann sich dann irren, fälschlich meinen, etwas sei der Fall gewesen, was aber nicht der Fall war.
Ist dieses Problem damit geklärt? Theoretisch könnte man materielle Muster für das Gefühl des "Gewungen-Werdens" identifizieren und bei Probanden feststellen oder nicht. Das Vorhandensein dieser Muster ist aber äquivalent zu der Empfindung des Probanden. Es kann also gar nicht vorkommen, dass man diese Muster feststellt, ohne dass der Proband das entsprechende Gefühl empfindet. Es ist ein und dasselbe.
Freue mich auf die nächste Runde