Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 18. Jan 2014, 08:56

Lumen hat geschrieben:also Computational Theory of Mind als Wegweiser, bzw. Society of Mind


Marvin Minsky: The Society of Mind, Seite 308 hat geschrieben:What magical trick makes us intelligent?
The trick is that there is no trick. The power of intelligence stems from our vast diversity, not from any single, perfect principle.“


Das glaube ich nun wiederum so nicht (ohne Minsky wirklich zu kennen). Die Diversität ist ja auch ohne Intelligenz gegeben. Worauf es m.E. mehr ankommt, ist die Plastizität dieses Systems. Es kommt auf Kreativität an - nämlich das Vermögen, neues Entstehen zu lassen. Und es kommt auf Kritik an, nämlich das Vermögen, die Inhalte dieses Systems zu revidieren. Das sind schon einigermaßen "perfeke" Sachen ;-).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 18. Jan 2014, 09:15

Ich glaube, dass man kein kontextunabhängiges Ich annehmen muss, noch kann, aber im Grunde kenne ich auch kaum Forscher, die diese Position (heute noch) ernsthaft vertreten.

Für mich hängen Freiheit, Verantwortung, Ich und Verstehen (wer man ist, was man will, warum man sagt und tut, was man sagt und tut) untrennbar zusammen.
Ein rundimentäres Ich muss, als synthetische Einheit gedacht, aller Erfahrung in der Weise vorausgehen, dass es in der Lage ist, die emprischen Erfahrungen mit Welt zu ordnen, was ja der Fall ist.

Das Ich in dem Maße, wie es meist gemeint ist – als reflexive Instanz, die über sich und seine Motive nachdenken kann – entsteht über gut beschriebene Stufen, so dass ein Ich nicht frei vom Gedanken der Entwicklung zu denken ist, das Ich ist dynamisch, das uns dies aber nicht berechtigt so zu tun, als gäbe es kein Ich, denn noch einmal ein emprisches Argument: liegt ein völliger Ichverlust in Form einer Psychose vor, betrachtet man das als Notfall und auch Laien merken, dass hier jemand mindestens “irgendwie komisch” wirkt, wenn er nicht den klarer Eindruck macht, “völlig verrückt” zu sein.


Für das Verständnis des Ich ist m.E. der Punkt wichtig, an dem sich das mehr oder weniger automatisierte Abspulen von durch Imitation, Konsitionierung und Vererbung eingebrachte Programmen in eine verstehende Anwendung übergeht.

Das ist durchaus nicht so leicht, denn es könnte sein, dass ein Grundschulkind von den Eltern eingetrichtert bekommen hat, wie es sich auf dem Schulweg verkehrsgerecht zu verhalten hat und es ist zu erwarten, dass, wenn man so ein Kind fragt, warum es vor dem Zebrastreifen wartet und nach links und recht schaut ob ein Auto kommt, die richtige Antwort gibt, dass Autos gefährlich sind und man unbedingt aufpassen muss und sonst tot sein kann – ohne dass der kritische Beobachter unterscheiden könnte, ob dieses Kind, was sich a) richtig im Verkehr verhält und b) die richtigen Antworten gibt auch c) ein wirklich umfassendes Verständnis der Gefahren, des Todes und so weiter besitzt um die Lage in der es sich befindet wirklich angemessen beurteilen zu können.

Versteht das Kind nun, warum es tut, was es tut?
(Dieses Problem spiegelt sich m.E. auch bei Harry Frankfurt wieder, denn wie und woran entscheiden wir, ob jemand wirklich anders wollen würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte? Wir müssen ein Kriterium finden, an dem uns klar wird, dass jemand sagt, was er meint und meint, was er sagt und an dem der Beobachter keinen guten Grund findet - nicht einen paper doubt, einen Zweifel um des Zweifels Willen -, ihm diese Berechtigung abzusprechen.)
Zuletzt geändert von Vollbreit am Sa 18. Jan 2014, 09:27, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 18. Jan 2014, 09:26

ujmp hat geschrieben:Das glaube ich nun wiederum so nicht (ohne Minsky wirklich zu kennen). Die Diversität ist ja auch ohne Intelligenz gegeben. Worauf es m.E. mehr ankommt, ist die Plastizität dieses Systems. Es kommt auf Kreativität an - nämlich das Vermögen, neues Entstehen zu lassen. Und es kommt auf Kritik an, nämlich das Vermögen, die Inhalte dieses Systems zu revidieren. Das sind schon einigermaßen "perfeke" Sachen ;-).

Ja, und ich möchte hinzufügen: auf eine bestimmte Art von Lernfähigkeit.
Ohne sich darüber streiten zu müssen, ob nun Kreativität ein intuitiver Akt ist oder ein Zufallstreffer: gelingt ein kreativer Akt, ist es wichtig, ihn demnächt in ein integriertes Gesamtkonzept an der richtigen Stelle einzubauen. Der Glückstreffer verpufft ja, wenn er nicht als solcher bemerkt und fortan benutzt wird.
Das aber erfordert eine verstehende Aufmerksamkeit.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 18. Jan 2014, 10:01

Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube, dass man kein kontextunabhängiges Ich annehmen muss, noch kann, aber im Grunde kenne ich auch kaum Forscher, die diese Position (heute noch) ernsthaft vertreten.


Was ich meine (ich hab es schon paar Mal versucht, es zu erklären) lässt sich evtl. so verständlich machen: Ein Kaffeeautomat wird konstant mit Energie versorgt. Das ist eine einfache Konstante. Die Funktion des Automaten selbst ist aber weniger einfach, weniger kontinuierlich. Es stimmt zwar, dass es komplett von der Energiezufuhr abhängt, ob der Automat funktioniert, aber nicht wie er funktioniert, und das hängt eben nicht von diesem Kontext ab. Das eigentlich Interessante am "Ich" ist daher für mich nicht der konstante Kontext (z.B. Sprache, Organismus), sondern das Wie des Ichs.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 18. Jan 2014, 10:50

ujmp hat geschrieben:Das eigentlich Interessante am "Ich" ist daher für mich nicht der konstante Kontext (z.B. Sprache, Organismus), sondern das Wie des Ichs.
Was macht ein Ich aus Deiner Sicht denn aus?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » Sa 18. Jan 2014, 15:51

AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Meine Frage ist: Woran macht man den "Irrtum" fest, wenn nicht an dem Empfinden, dass ein Einfluss hinderlich war für eine freie Entscheidung?
Welche objektiven Kriterien wendest du bei der Einteilung "Zwang" oder "kein Zwang" eines Einflusses an?

Gegenfrage: welche objektiven Kriterien wendest Du an bei der Frage, ob eine Aussage wahr oder unwahr ist?
[...]
fopa hat geschrieben:Mir ist noch nicht klar, inwiefern die Bewertung, ob ein Einfluss hinderlich für eine freie Entscheidung ist oder nicht, ein objektives Kriterium darstellen soll.

Und mir ist noch nicht klar, wieso die Bewertung, dass eine Aussage wahr sei, ein objektives Kriterium für die Wahrheit der betreffenden Aussage sein soll.
Bei Gefühlen und Empfindungen können keine objektiven Kriterien angesetzt werden. Sicher kann man Körperzustände messen und mit Gefühlen korrelieren, sodass man als außenstehender Beobachter angeben kann, was ein Proband höchstwahrscheinlich gerade empfindet. Aber anders herum kann man einem Menschen, der beispielsweise Trauer empfindet, diese Empfindung nicht absprechen, weil sein körperlicher Zustand nicht in das "Trauer-Messmuster" passt. Denn die objektiv messbaren Muster werden ja überhaupt erst durch Korrelation mit Äußerungen und Beschreibungen der Probanden als Empfindungen konstituiert.

AgentProvocateur hat geschrieben:Allgemeiner gesagt: alle Geschmacksurteile, alle ästhetischen Urteile sind Gegenbeispiele für meine Behauptung.
Ja, genau! Wir kommen der Sache näher. :up:
AgentProvocateur hat geschrieben:Die Frage wäre nun wohl, ob "Zwang" (ein für Freiheit wesentlicher, d.h. diese einschränkender Zwang) in dieselbe Kategorie fällt wie ästhetische Urteile, also ob sich P darüber irren kann, ob aktuell ein Zwang vorliegt oder nicht.
[... Beispiele ...]
Harry Frankfurt hat dazu diesen Lösungsvorschlag gemacht: es gibt nach Frankfurt Wünsche erster Ordnung (Franz will im Gefängnis bleiben, Karla will ihr Heroin, Frieda will den Vertrag unterschreiben) und Wünsche zweiter Ordnung (Franz würde, wenn er das könnte, lieber nicht im Gefängnis sein, kann das aber nicht realisieren; Karla würde gerne von ihrer Heroinsucht wegkommen, schafft es aber nicht; Frieda würde, wenn sie mehr Informationen hätte, den Vertrag nicht unterschreiben wollen).
Ich denke, diese Beispiele bringen uns ein gutes Stück voran.
Das was Frankfurt als Wünsche zweiter/dritter Ordnung bezeichnet, sind ja, wenn sie den Wünschen erster Ordnung widerstreben, gerade Anzeichen für Zwänge, nämlich innere. Zumindest trifft das auf die Heroin-süchtige Karla zu, die ja diesen inneren Zwang selbst spürt, wenn sie sich (im Grunde wider Willen) einen Schuss geben muss. Bei den anderen beiden sehe ich das etwas anders: würde Franz eigentlich gerne anders wollen, als im Gefängnis bleiben zu wollen? Dann stünde er unter einem inneren Zwang; beispielsweise würde ihn die Angst vor dem Unbekannten, der Selbstverantwortung etc. daran hindern, seinem eigentlichen Wunsch nach einem Leben außerhalb des Gefängnisses nachkommen zu können. Wenn Franz jedoch aus Bequemlichkeit oder wegen der Freundschaft zu Mithäftlingen gerne bleiben möchte und in keinem inneren Konflikt dabei steht, würde ich es nicht als Zwang ansehen - weil Franz es selbst nämlich nicht so empfindet.
Bei Frieda sehe ich zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung überhaupt keinen Zwang - weder innerlich noch äußerlich. (Wobei natürlich die Frage ist, was ihre Motivation für den Vertragsabschluss ist.) Der Freiheitsbegriff, der hier Gegenstand ist, ist ein anderer als der der Willensfreiheit. Es geht wohl eher um Vertragsfreiheit und gesetzlichen Schutz vor Betrug. Man könnte also sagen, Frieda habe sich frei entscheiden können, allerdings in Unkenntnis der Gesetzeslücke, die ihr Notar ausnutzen würde. Aber Unkenntnis ist meines Erachtens keine Einschränkung von Entscheidungsfreiheit. Wir kennen ja nie alle Konsequenzen, die sich aus einer Entscheidung ergeben werden, und wir kennen auch nie alle Umstände, die wir prinzipiell bei einer Entscheidung berücksichtigen könnten. Das hindert uns aber nicht daran, frei entscheiden zu können.

Noch mal zu deinem vorherigen Beitrag...
AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Wenn wir von einem deterministischen Weltbild ausgehen, sind aber objektiv gesehen alle Einflüsse und Reaktionen wertfrei und damit qualitativ gleichwertig. Es macht qualitativ keinen Unterschied, ob eine Manipulation des Gehirns oder mediale oder gesellschaftliche Beeinflussung oder eine genetische Prädisposition oder irgendein körperliches Bedürfnis zu einer Entscheidung oder Handlung führen.
Nun, das sehen die meisten Menschen wohl anders, sie sehen es als qualitativen Unterschied an, ob ihre Entscheidung auf ihrem Mist gewachsen ist oder sonstwie entstanden sind, (was aber noch nichts nichts mit Determinismus zu tun hat).
Deswegen spreche ich ja auch vom Empfinden dieser Menschen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Noch 'ne Frage: Du behauptest doch, dass Freiheit eine Illusion sei, (oder habe ich das jetzt falsch in der Erinnerung)?

Falls nein: dann betrachte meine folgende Frage als gegenstandslos.
Falls aber ja: wie kann das sein, dass, wenn Du "Freiheit" und "Gefühl von Freiheit" als identisch ansiehst, da eine Illusion vorliegt, wie ist das zu verstehen?
Es kommt darauf an, was du mit Illusion und was du mit Freiheit meinst. Ein Gefühl oder eine Empfindung an sich ist keine Illusion, denn es/sie ist ja real - nämlich als Zustand des Körpers, speziell des Gehirns. Wer Trauer fühlt, ist auch traurig - keine Illusion. Eine Illusion liegt erst dann vor, wenn man von "Etwas" glaubt, es sei, obwohl es nicht ist. Wenn ich glaube, meine Frau betrüge mich, also "das Gefühl habe", sie betrüge mich, dann ist das Gefühl real (denn ich habe ja das Gefühl), jedoch der Betrug eine Illusion, da nicht existent.

Ich meine, dass die Willensfreiheit im Sinne des Kompatibilismus sich nur über die Empfindung von Freiheit definieren kann - sei es nun das individuelle subjektive Empfinden oder eine intersubjektive Norm (die sich ja wiederum aus subjektiven Empfindungen ableitet). Diese Empfindung von Freiheit ist real und als Begriff nicht weniger wert als der Begriff von Freiheit. So wie das Gefühl von Trauer nicht weniger wert ist als Traurigkeit. Aber Traurigkeit kann man nicht an objektiven Kriterien festnageln, mit denen man einem Trauer fühlenden Menschen seine Traurigkeit absprechen könnte. Ebensowenig kann man mMn einem Menschen sein Gefühl einer freien Entscheidung absprechen, wenn man meint, diese erfülle irgendwelche Kriterien nicht.

Dabei gilt es sauber zu trennen zwischen dem, was ein Mensch empfindet und dem, was ein Mensch darüber äußert. Bloß weil Karla behauptet, sie entscheide sich aus freien Stücken zu einer Heroin-Spritze, muss das nicht stimmen - wenn sie nämlich einen inneren Zwang dazu verspürt, der ihrem eigentlichen Wunsch, damit aufzuhören, zuwiderläuft. Für einen Außenstehenden ist es aber nicht ersichtlich, ob sie diesen eigentlichen Wunsch überhaupt verspürt, oder ob sie sich nicht tatsächlich vollkommen willentlich die Spritze setzt - dann läge nämlich kein innerer Zwang vor, und ihre Entscheidung wäre damit frei. Ein Einwand könnte sein, dass sich Menschen auch selbst belügen können. Das ist wohl richtig, aber dafür ist erforderlich, dass sie insgeheim irgendwo in ihrem Innersten die Wahrheit kennen - um sich dann selbst etwas vorzugaukeln. Dieser innere Widerspruch wäre dann ein Zwang, der einen an einer freien Entscheidung hindern könnte. Aber wieder: als Außenstehender kann man das meist nicht erkennen. Und: man könnte es auch nur erkennen, wenn es tatsächlich da wäre. Gute Empathen können innere Zwäge aufdecken, bevor die Betroffenen selbst es tun, sicher. Aber es macht keinen Sinn, einem Menschen einen inneren Zwang nachzusagen, wenn dieser gar nicht existiert.

AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Wissen bzw. Erkenntnis muss nachvollziehbar sein, und zwar nach möglichst objektiven Kriterien.

Welches sind dabei die möglichst objektiven Kriterien?
Ist eine Aussage schon alleine deswegen wahr, weil man (viele oder gar alle) meint, die sei wahr?
Ob eine Aussage überhaupt als wahr bezeichnet werden kann oder nicht, ist eine schwierige epistemologische Frage. Zumindest sollte aber keine allgemein nachvollziehbare Beobachtung gegen sie sprechen, und sie sollte keine unnötigen Annahmen beinhalten. Ich sehe meine Position in wissenschaftstheoretischer Sicht am ehesten bei Karl Popper, wobei ich die Methoden des Empirismus aber als Fundament zu Wissens- und Erkenntnisgewinn ansehe. Ohne Beobachtung besteht auch kein Grund zu Theoriebildung.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Sa 18. Jan 2014, 17:25

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Selbstverständlich sage ich im Alltag öfters "Du bist schuld, weil das oder das geschehen ist" - aber da meine ich "Schuld" eher als Ursache.

Mein übliches Gegenbeispiel dazu ist dieses: angenommen, A hasste C derart, dass A C töten wolle. Nun befänden sich A und C in einer U-Bahn-Station, nahe des Gleises. A schubste nun, mit der Absicht, C zu töten, einen unbeteiligten Passanten B auf C, so dass C unter die einfahrende U-Bahn geräte und stürbe. Was wäre in dem Falle die direkte kausale Ursache für C's Tod? Doch wohl B, B wäre kausal verantwortlich für C's Tod. Wäre B nicht auf C gefallen, dann wäre C nicht unter die U-Bahn geraten, (wenn wir andere Umstände mal ausklammern, dass z.B. C gestolpert wäre und so unter die U-Bahn geraten wäre).

Ist aber nun B moralisch verantwortlich für C's Tod, weil B die direkte kausale Ursache war? Oder ist A moralisch verantwortlich für C's Tod, weil A zwar nicht die direkte kausale Ursache für den Tod von C war, aber B mit voller Absicht so geschubst hat, dass B auf C fiel, und C daraufhin starb?

Soll man hier nur die kausale Verantwortung (= direkte Ursache) in Betracht ziehen (also B und nicht A für verantwortlich halten) oder besser die moralische Verantwortung (also A für verantwortlich und B nicht für verantwortlich halten)?


Bei dieser Ursachenkette meine ich natürlich auch (wie jeder Richter), dass A für C's Tod verantwortlich und B unschuldig ist, weil er ja nur ein unbeteiligter Passant war, der angeschubst wurde. Die juristische und moralisch/ethische Sachlage ist bei diesem Beispiel relativ klar. D.h. es reicht oft nicht, nur die direkte Ursache zu berücksichtigen, sondern man muss immer auch eine mögliche Ursachenkette untersuchen. Das ergibt sich je nach Ereignis aus dem (manchmal komplizierten) Zusammenhang.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 18. Jan 2014, 22:01

Vollbreit hat geschrieben:Versteht das Kind nun, warum es tut, was es tut?
(Dieses Problem spiegelt sich m.E. auch bei Harry Frankfurt wieder, denn wie und woran entscheiden wir, ob jemand wirklich anders wollen würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte? Wir müssen ein Kriterium finden, an dem uns klar wird, dass jemand sagt, was er meint und meint, was er sagt und an dem der Beobachter keinen guten Grund findet - nicht einen paper doubt, einen Zweifel um des Zweifels Willen -, ihm diese Berechtigung abzusprechen.)

Hm, man kann doch einfach die Leute fragen: "Franz, würdest Du lieber außerhalb des Gefängnisses leben, wenn Du Dir das zutrauen würdest? Karla, würdest Du gerne vom Heroin loskommen wollen? Frieda, hättest Du den Vertrag unterschieben, wenn Du gewusst hättest, dass Dich der Vertragspartner hereinlegen wollte?"

Auch bei einem Kind kann man durch eine Befragung hinreichend herausfinden, ob dieses versteht, was es tut. Das wären zwar keine letztgültigen Beweise, sondern nur Indizien, man kann sich dabei auch irren, aber letztgültige Beweise gibt es mE eh nur in der Mathematik.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 18. Jan 2014, 22:53

fopa hat geschrieben:Bei Gefühlen und Empfindungen können keine objektiven Kriterien angesetzt werden.

Hm, ich verstehe wohl immer noch nicht, was Du mit "objektiven Kriterien" meinst. Nehmen wir mal einen Kriminalfall. Frau Müller sei erstochen worden. Nun gäbe es einige Verdächtige, alle Indizien sprächen jedoch nach einiger Zeit gegen Herrn Meier. Herr Meier legt ein Geständnis ab und wird verurteilt. Wurden dann Deiner Ansicht nach objektive Kriterien angelegt? Oder nehmen wir Fritz, der sagte: "ich liebe Inge". Fritz beleidigte nun Inge laufend und verletzte sie sogar mehrfach körperlich, aber zeigte sonst kein wahrnehmbares Interesse an Inge. Wäre es dann vermessen, anzunehmen, dass Fritz Inge nicht liebt? Weil es keine objektiven Kriterien gibt, um das festzustellen?

fopa hat geschrieben:Das was Frankfurt als Wünsche zweiter/dritter Ordnung bezeichnet, sind ja, wenn sie den Wünschen erster Ordnung widerstreben, gerade Anzeichen für Zwänge, nämlich innere. Zumindest trifft das auf die Heroin-süchtige Karla zu, die ja diesen inneren Zwang selbst spürt, wenn sie sich (im Grunde wider Willen) einen Schuss geben muss.

Im Beispiel wurde nichts darüber gesagt, wie Karla darüber denkt.

fopa hat geschrieben:Bei den anderen beiden sehe ich das etwas anders: würde Franz eigentlich gerne anders wollen, als im Gefängnis bleiben zu wollen? Dann stünde er unter einem inneren Zwang; beispielsweise würde ihn die Angst vor dem Unbekannten, der Selbstverantwortung etc. daran hindern, seinem eigentlichen Wunsch nach einem Leben außerhalb des Gefängnisses nachkommen zu können. Wenn Franz jedoch aus Bequemlichkeit oder wegen der Freundschaft zu Mithäftlingen gerne bleiben möchte und in keinem inneren Konflikt dabei steht, würde ich es nicht als Zwang ansehen - weil Franz es selbst nämlich nicht so empfindet.

Man könnte mit Franz reden und ihm Lösungsvorschläge für ein ihm vorstellbares Leben außerhab des Gefängnisses machen, die er bisher noch nicht bedacht/in Erwägung gezogen hatte und Franz könnte daraufhin seine Meinung ändern. Das würde mE die Freiheit von Franz erhöhen.

fopa hat geschrieben:Bei Frieda sehe ich zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung überhaupt keinen Zwang - weder innerlich noch äußerlich. (Wobei natürlich die Frage ist, was ihre Motivation für den Vertragsabschluss ist.) Der Freiheitsbegriff, der hier Gegenstand ist, ist ein anderer als der der Willensfreiheit.

Bei Frieda liegt Manipulation vor, sie soll etwas tun, was sie nicht tun würde, wenn sie die Manipulation erkennen würde. Nun gelingt eine Manipulation nur, wenn der Manipulierte das nicht mitbekommt. Bekäme er es mit und würde sich dennoch entscheiden, das zu tun, was der Manipulateur will, wäre das wohl nicht als Zwang und nicht als Freiheitseinschränkung zu werten. Aber wenn er es nicht mitbekommt, dann würde ich das sehr wohl als Freiheitseinschränkung ansehen. Ob man nun Manipulation als "Zwang" bezeichnen will oder nicht, ist hier nebensächlich.

Und Manipulation ist nun nicht einfach dasselbe wie Unkenntnis. Natürlich kennen wir die Zukunft nicht exakt, können uns in vielerlei Hinsicht irren. Aber bei Manipulation kommt hinzu, dass wir vor den Karren anderer gespannt werden sollen, als Mittel zum Zwecke der Erreichung der Interessen der Manipulatoren verwendet werden. Was mE eine Freiheitseinschränkung ist und zwar eine kategoriell andere Freiheitseinschränkung als die ledigliche Unkenntniss der Zukunft. Denn Letzteres ist wohl nicht anders denkbar, (gegeben unsere Welt), Ersteres jedoch schon.

fopa hat geschrieben:Noch mal zu deinem vorherigen Beitrag...
AgentProvocateur hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Wenn wir von einem deterministischen Weltbild ausgehen, sind aber objektiv gesehen alle Einflüsse und Reaktionen wertfrei und damit qualitativ gleichwertig. Es macht qualitativ keinen Unterschied, ob eine Manipulation des Gehirns oder mediale oder gesellschaftliche Beeinflussung oder eine genetische Prädisposition oder irgendein körperliches Bedürfnis zu einer Entscheidung oder Handlung führen.
Nun, das sehen die meisten Menschen wohl anders, sie sehen es als qualitativen Unterschied an, ob ihre Entscheidung auf ihrem Mist gewachsen ist oder sonstwie entstanden sind, (was aber noch nichts nichts mit Determinismus zu tun hat).
Deswegen spreche ich ja auch vom Empfinden dieser Menschen.

Oh, dann anders ausgedrückt: es ist mE sehr wohl ein wesentlicher Unterschied, ob etwas einem einfach so geschieht oder ob sich jemand für eine bestimmte Handlung entscheidet und die daraufhin durchführt. Siehe mein Beispiel oben mit dem U-Bahn-Schubser: es gibt mE einen wesentlichen Unterschied zwischen A und B.

fopa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Noch 'ne Frage: Du behauptest doch, dass Freiheit eine Illusion sei, (oder habe ich das jetzt falsch in der Erinnerung)?

Falls nein: dann betrachte meine folgende Frage als gegenstandslos.
Falls aber ja: wie kann das sein, dass, wenn Du "Freiheit" und "Gefühl von Freiheit" als identisch ansiehst, da eine Illusion vorliegt, wie ist das zu verstehen?
Es kommt darauf an, was du mit Illusion und was du mit Freiheit meinst. Ein Gefühl oder eine Empfindung an sich ist keine Illusion, denn es/sie ist ja real - nämlich als Zustand des Körpers, speziell des Gehirns. Wer Trauer fühlt, ist auch traurig - keine Illusion. Eine Illusion liegt erst dann vor, wenn man von "Etwas" glaubt, es sei, obwohl es nicht ist. Wenn ich glaube, meine Frau betrüge mich, also "das Gefühl habe", sie betrüge mich, dann ist das Gefühl real (denn ich habe ja das Gefühl), jedoch der Betrug eine Illusion, da nicht existent.

Ja.

Was ist nun genau illusionär daran, falls jemand glaubt, er habe in einer bestimmten Situation frei entschieden und gehandelt? Was glaubt derjenige, was sei, aber tatsächlich nicht der Fall ist?

fopa hat geschrieben:Ebensowenig kann man mMn einem Menschen sein Gefühl einer freien Entscheidung absprechen, wenn man meint, diese erfülle irgendwelche Kriterien nicht.

Ja, aber kann man nicht dennoch ihn davon überzeugen, dass er von falschen Voraussetzungen ausging, z.B. Frieda oben, die fälschlich meinte, sie habe die Sachlage hinreichend überblickt?

fopa hat geschrieben:Dabei gilt es sauber zu trennen zwischen dem, was ein Mensch empfindet und dem, was ein Mensch darüber äußert. Bloß weil Karla behauptet, sie entscheide sich aus freien Stücken zu einer Heroin-Spritze, muss das nicht stimmen - wenn sie nämlich einen inneren Zwang dazu verspürt, der ihrem eigentlichen Wunsch, damit aufzuhören, zuwiderläuft. Für einen Außenstehenden ist es aber nicht ersichtlich, ob sie diesen eigentlichen Wunsch überhaupt verspürt, oder ob sie sich nicht tatsächlich vollkommen willentlich die Spritze setzt - dann läge nämlich kein innerer Zwang vor, und ihre Entscheidung wäre damit frei.

Für Außenstehende sind mE gewisse Dinge sehr wohl ersichtlich, siehe ganz oben mein Beispiel mit Fritz, der angeblich Inge liebt. Eine absolute Gewissheit kann es dabei zwar nicht geben, man kann sich immer irren, aber eine absolute Gewissheit zu fordern ist mE irrational, setzte die Möglichkeit einer Letztbegründung voraus. Beweise im strengen Sinne gibt es nur in der Mathematik.
Zuletzt geändert von AgentProvocateur am Sa 18. Jan 2014, 23:11, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 18. Jan 2014, 23:06

ice hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Selbstverständlich sage ich im Alltag öfters "Du bist schuld, weil das oder das geschehen ist" - aber da meine ich "Schuld" eher als Ursache.

Mein übliches Gegenbeispiel dazu ist dieses: [...]

Bei dieser Ursachenkette meine ich natürlich auch (wie jeder Richter), dass A für C's Tod verantwortlich und B unschuldig ist, weil er ja nur ein unbeteiligter Passant war, der angeschubst wurde. Die juristische und moralisch/ethische Sachlage ist bei diesem Beispiel relativ klar. D.h. es reicht oft nicht, nur die direkte Ursache zu berücksichtigen, sondern man muss immer auch eine mögliche Ursachenkette untersuchen. Das ergibt sich je nach Ereignis aus dem (manchmal komplizierten) Zusammenhang.

Woraus folgt, dass Du mit (juristischer und moralischer/ethischer) "Schuld" nicht einfach nur (direkte) "Ursache" meinen kannst. Nicht?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 19. Jan 2014, 01:01

Vollbreit hat geschrieben:Das Ich in dem Maße, wie es meist gemeint ist – als reflexive Instanz, die über sich und seine Motive nachdenken kann – [...]

Der Begriff "das Ich" ist kein Bestandteil der Umgangssprache. Kannst Du ganz einfach testen: frage mal mehrere beliebige Menschen auf der Straße, was ihr "Ich" sei. Du wirst sicher großteils nur Unverständnis ernten. Frage die Leute jedoch, was sie sind, wie sich selber sehen, was sie als Teil von sich ansehen und was nicht: da wirst Du sicher viele Antworten erhalten. Der Begriff "das Ich" mag zwar - aber auch nur vielleicht (ich habe jedenfalls keine Verwendung dafür) - in bestimmten akademischen Kontexten als Fachbegriff dort eine Bedeutung haben und sinnvoll sein; im Zusammenhang mit der Frage, ob es einen freien Willen gibt, (insbesondere dann, wenn man diesen Begriff auf seine landläufige Bedeutung untersuchen will), ist er aber überhaupt nicht sinnvoll, stiftet nur unnötige Verwirrung.

Es gibt kein "das Ich" als eigenständige Entität, darüber müssen sich alle Naturalisten einig sein, wer was anderes meint, ist ein Substanz-Dualist. (Siehe übrigens dazu auch diesen Kommentar aus dem von Lumen oben verlinkten Artikel.)

Für die Diskussion über den freien Willen wäre mE sehr viel gewonnen, wenn man das einsehen könnte. Man sollte den unseligen irreführenden Begriff "das Ich" hier streichen und stattdessen von "ich" reden. Dann fallen alle Behauptungen derart: "in Wirklichkeit steuert Dein Gehirn, Deine Gene, Deine Neurone (whatever) Deine Entscheidungen und Dein Verhalten" einfach in sich zusammen. Ich bin mein Körper, mein Gehirn, meine Gene, meine Neuronen etc., all das ist Teil von mir, es ergibt daher schlicht von Vorneherein gar keinen Sinn, zu sagen, "Du bist nicht frei, weil Dein Gehirn Deine Gedanken hervorbringt, Du kannst nicht unabhängig von Deinem Gehirn entscheiden und Abhängigkeit bedeutet Unfreiheit".

Sinn ergäbe es zwar, zu sagen: "diese Entscheidung war weniger frei, weil Dir nicht bewusst war, was das für Auswirkungen hatte, Du zu wenig Wissen um die Umstände hattest". Aber um das sagen zu können, ist der Begriff "das Ich" völlig überflüssig. Ich wünschte, der Begriff "das Ich" würde nie wieder (zumindest nicht außerhalb eines passenden akademischen Kontextes, in dem klar wäre, was damit gemeint ist) verwendet werden.

Nun ist zwar die Verwendung des Personalpronomens "ich" kontextabhängig, nicht ohne Kontext eindeutig bestimmbar, aber dennoch für eine Diskussion über Willensfreiheit sehr viel geeigneter. Wenn ich sage: "ich habe einen freien Willen", dann meine ich damit mitnichten, dass ein ominöses "mein Ich" einen freien Willen habe. Ebenso meine ich nicht, wenn ich sage: "Herr Müller hat eine freie Entscheidung getroffen", dass Herr Müllers "Ich" eine freie Entscheidung getroffen habe. Das ergäbe auch keinen Sinn, sowenig wie es Sinn ergäbe, zu sagen, dass Herr Müllers "Ich" gestern nach Hamburg gefahren sei oder dass Herr Müllers "Ich" stottern würde oder dass Herr Müllers "Ich" freundlich und/oder geizig sei.

Wie gesagt: ich will nicht behaupten, dass der Begriff "das Ich" nicht irgendwo seine Berechtigung haben könne, (vielleicht im Bereich der Psychologie, von der ich keine Ahnung habe). Aber hier in diesem Kontext hat er keine Berechtigung und auch keinen Nutzen, ganz im Gegenteil sogar: er ist ein großer Hemmschuh für dieses Thema, vernebelt nur Standpunkte, die klar dargestellt werden sollten.

Ich bin mAn (mal ganz grob gesagt) mein Körper inkl. der darin ablaufenden Prozesse, daher erscheint es mir auch so absurd, annehmen zu sollen, Determinismus würde mich irgendwie machtlos machen, zu einem Zuschauer in dieser Welt degradieren. Falls jemand das anders sieht, sich selber lediglich als bestimmten von seinem Gehirn erzeugten bewussten Prozess ansieht, (z.B. das Hier-Und-Jetzt-Erleben), dann ist das nicht mehr absurd, sondern folgerichtig. Aber eben das müsste geklärt werden, die unscharfe Rede von einem ungebräuchlichen und somit unverständlichen "das Ich" verkleistert und vernebelt das nur.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 19. Jan 2014, 09:39

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Begriff "das Ich" ist kein Bestandteil der Umgangssprache. Kannst Du ganz einfach testen: frage mal mehrere beliebige Menschen auf der Straße, was ihr "Ich" sei. Du wirst sicher großteils nur Unverständnis ernten. Frage die Leute jedoch, was sie sind, wie sich selber sehen, was sie als Teil von sich ansehen und was nicht: da wirst Du sicher viele Antworten erhalten.
Genau so geht die Psychologie ja vor.
Ich finde aber nicht, dass jemand mit der Benutzung des normalenTerminus „Ich“ überfordert ist, jeder benutzt das ständig und jeder weiß auch grob was damit gemeint ist.
„Das Ich“ meint ja nicht mich, sondern eine Verallgemeinerung, die den meisten geläufig sein wird, wie „der Mensch“, der ja auch nicht Dich oder mich meint, bei aller Unschärfe aber doch Pinguine ausschließt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Begriff "das Ich" mag zwar - aber auch nur vielleicht (ich habe jedenfalls keine Verwendung dafür) - in bestimmten akademischen Kontexten als Fachbegriff dort eine Bedeutung haben und sinnvoll sein; im Zusammenhang mit der Frage, ob es einen freien Willen gibt, (insbesondere dann, wenn man diesen Begriff auf seine landläufige Bedeutung untersuchen will), ist er aber überhaupt nicht sinnvoll, stiftet nur unnötige Verwirrung.
Finde ich nicht. Wer will denn etwas, wenn nicht ich? Es ist ja gerade dieser absurde Mist im Fahrwasser des Neurosprech, der Menschen argumentieren lässt, ihr Hirn hätte entschieden, der Arm hätte zugegriffen, die Augen hätten es beobachtet aber sie selbst – ihr Ich – hätte nur zuschauen können.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt kein "das Ich" als eigenständige Entität, darüber müssen sich alle Naturalisten einig sein, wer was anderes meint, ist ein Substanz-Dualist. (Siehe übrigens dazu auch diesen Kommentar aus dem von Lumen oben verlinkten Artikel.)

Für die Diskussion über den freien Willen wäre mE sehr viel gewonnen, wenn man das einsehen könnte. Man sollte den unseligen irreführenden Begriff "das Ich" hier streichen und stattdessen von "ich" reden.
Ja, so wird es aber doch auch gemacht.
Du führst doch an mehreren Stellen aus, was ein Strohmann Argument ist, dies ist ein klassisches.
Wie Du richtig sagst, im Alltag sagt man „Ich gehe jetzt joggen“ und alle wissen, was gemeint ist. Und auch in der Psychologie und der Philosophie wo mit „das Ich“ (und seinen Subsystemen) gearbeitet wird, ist niemand so blöd sich darunter ein Männchen im Hirn vorzustellen, weshalb die Verkündung man habe ein solches nicht gefunden, auch so fruchtlos ist.
Wie schon öfter erwähnt, entstammen alle Ideen des Homunkulus der Neuzeit den anatomischen Darstellungen der Neurobiologen, an denen sie sich dann selbst abarbeiten.
Ich habe den Begriff erst durch die aggressive Zurückweisung der Position des Homunkulus (denn das sei ja Dualismus und ginge nicht) überhaupt kennengelernt und zuvor nur im Rahmen der Neurobiologie (als diese noch nicht gehypet wurde) gesehen, wie hier:
Bild
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File: ... nculus.png

Wo ist Dir denn mal ein Homkulusrekurs begegnet, sagen wir in den Werken von Philosophen oder Psychologen zwischen 1900 und 1990?
Welcher Psychologe oder Philosoph der letzten 200 Jahre ist denn überhaupt noch klassischer Substanzdualist? Der Trend in der Philosophie geht doch längst dahin die Kants und Hegels in soozialperspektivische Lesart umzuschreiben, was Kants Generaleinwand, der von Sellars und Brandom aufgenommen wurde dennoch nicht überflüssig macht.
Die Einzelteile als solche sortieren sich nicht von selbst und selbst der Verweis auf evolutionär Entstandenes und Angeborenes verschleiert in der Lückenbüßerformulierung der 1000 kleinen Schritte der Evolution, dass hier natürlich eine stabile Instanz vererbt wird und es ist ein qualitativer Unterschied diese zu haben oder nicht zu haben.
Freud, der Nervenarzt, der ja mit inneren Instanzen arbeitete, war immer überzeugt, die Psychoanalyse sei eine Subdisziplin der Neurologie, die nur so lange Bestand haben würde, bis die Neurologie, die zu Freuds Zeit natürlich gering entwickelt war, offene Fragen vernünftig zu klären in der Lage sein würde (eine Einstellung die Habermas freilich als Freuds Selbstirrtum bezeichnet hat), aber da zeigt sich, dass Freud das Reich der Biologie nie verlassen hat und inbesondere die moderne Psychoanalyse ist bestrebt dieses biologische Erbe wieder aufzunehmen und tut das seit Jahrzehnten mit großen Erfolg.
Das man dort ständig mit Spaltung, Es, Ich, Über-Ich, Subpersönlichkeiten, Identitätsdiffussion und so weiter traktiert wird, hat (erkenntnis)theoretische Gründe, ist aber nie ontologisch gemeint und hier nach dem Homunkulus zu suchen, ist so sinnvoll wie bei „Raum der Gründe“ nach der Wandfarbe zu fragen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Dann fallen alle Behauptungen derart: "in Wirklichkeit steuert Dein Gehirn, Deine Gene, Deine Neurone (whatever) Deine Entscheidungen und Dein Verhalten" einfach in sich zusammen. Ich bin mein Körper, mein Gehirn, meine Gene, meine Neuronen etc., all das ist Teil von mir, es ergibt daher schlicht von Vorneherein gar keinen Sinn, zu sagen, "Du bist nicht frei, weil Dein Gehirn Deine Gedanken hervorbringt, Du kannst nicht unabhängig von Deinem Gehirn entscheiden und Abhängigkeit bedeutet Unfreiheit".
Du machst hier aber nun auch fröhliche Schlenker von der Sprache des Straße in den akademischen Bereich und zurück.
Denn die „zwei Seelen, ach, in meiner Brust“ (und 1000 Variationen davon), wirst Du „auf der Straße“ problemlos finden, ob der Verweis nun in Richtung Geoethe oder Wolfgang Petry geht, ist da einerlei.
Denn ganz dumm ist die Idee, jemand oder etwas übernähme da (mitunter und zum Teil) das Regiment ja dann doch nicht. Die Psychoanalyse ist letztlich auf so zumutungsreichen Umwegen unterwegs, dass an der Theorie schon was dran sein sollte, will sie überhaupt jemanden heilen und die öffentlichen Diskreditierungsversuche stehen im scharfen Kontrast zu dem, was man analystisch (umd mit analysenahen Derivaten) heute therapeutisch erreicht, ich kann mich da nur vor dem Genie eines Otto Kernberg verneigen.
Aber auch die Idee der egoistischen Gene, der Sprache (Heidegger) und der sozialen Systeme (Luhmann) sind ja, als etwas was das Ich in Besitz nimmt, nicht so schlecht, dass sie nichts erklären, ihr Problem ist aus meiner Sicht nur, dass „das Ich“ im Allgemeinen und damit das jedes einzelnen, eben regelmäßig bis zum Epiphänomen degradiert wird und dann beginnt der theoretische Ärger und hört auch so schnell nicht mehr auf. (Aber ich habe das Gefühl, dass wir hier zwar von entgegengesetzten Ende kommen, aber im Ergebnis nicht weit von einander entfernt sind.)

Natürlich ist man immer alles, aber es ist ja durchaus eine Lebenserfahrung, dass man in bestimmten Situationen auf Halbautomatik schaltet, bei langen Autofahrten, Routinehandlungen und dergleichen, es manchmal gut und richtig ist, einfach nur zu „funktionieren“ und wenn man nach Hause kommt ist man als anderer Mensch gefragt und gefordert, d.h. man steigt immer wieder in neue und andere Rollen ein, ist aber in der Lage, diese auch (in Eigenregie) zu verlassen, geht nicht völlig in diesen Rollen auf.
Das unterscheidet psychologisch ein reifes Ich von einem unreifen (Regel-/Rolle)-Ich und m.E. liegt der Unterschied nicht in der Absolutheit – ein reifer Mann kann problemlos im Stadion zum „Triebtäter“ werden und vollkommen normal das Stadion wieder verlassen – sondern in der prinzipiellen Fähigkeit, sich aus Situationen herauszubefördern und in den Reflexionsmodus zu gehen, was Libet mal mit der meiner Ansicht nach treffenden Bezeichnung der Veto-Funktion des Ich bezeichnet hat.

AgentProvocateur hat geschrieben:Sinn ergäbe es zwar, zu sagen: "diese Entscheidung war weniger frei, weil Dir nicht bewusst war, was das für Auswirkungen hatte, Du zu wenig Wissen um die Umstände hattest". Aber um das sagen zu können, ist der Begriff "das Ich" völlig überflüssig. Ich wünschte, der Begriff "das Ich" würde nie wieder (zumindest nicht außerhalb eines passenden akademischen Kontextes, in dem klar wäre, was damit gemeint ist) verwendet werden.
Warum? Du bist doch da alles andere als unflexibel. Der Verwirrung kommen m.E. nicht durch die hineien, die aus „dem Ich“ und „der Welt“ eine erkenntistheoretische Zweiheit machen, sondern durch die, die das mit Ontologie verwechseln oder – denn das ist es, was m.E. in Wirklichkeit passiert ist – die, auf theoretisch furchtbarem Niveau, meinten den Arzt spielen zu müssen und mit der Beschreibung das sei ja Dualismus und das ginge gar nicht, aus einer starren Dualismusphobie (die Erkenntnistheorie und Ontologie gerade nicht trennt) einem in der Konsequenz geradezu grotesken Monismus dar Wort redeten, der dann alles erklären sollte und nichts erklären konnte.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun ist zwar die Verwendung des Personalpronomens "ich" kontextabhängig, nicht ohne Kontext eindeutig bestimmbar, aber dennoch für eine Diskussion über Willensfreiheit sehr viel geeigneter. Wenn ich sage: "ich habe einen freien Willen", dann meine ich damit mitnichten, dass ein ominöses "mein Ich" einen freien Willen habe.
Schon klar.
Aber darauf ist ja in der Psychologie reagiert worden, z.B. hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ich-Entwicklung
Und selbst klasssisch analytischen Ichkonzepte sind da sehr ähnlich, z.B. hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Stufenmode ... ntwicklung

AgentProvocateur hat geschrieben:Ebenso meine ich nicht, wenn ich sage: "Herr Müller hat eine freie Entscheidung getroffen", dass Herr Müllers "Ich" eine freie Entscheidung getroffen habe. Das ergäbe auch keinen Sinn, sowenig wie es Sinn ergäbe, zu sagen, dass Herr Müllers "Ich" gestern nach Hamburg gefahren sei oder dass Herr Müllers "Ich" stottern würde oder dass Herr Müllers "Ich" freundlich und/oder geizig sei.

Ich kann nur immer wieder fragen, wer das Deiner Meinung nach denn meint?
Auch Forscher wie der Neurologe Thomas Fuchs machen ja auch den Umstand aufmerksam, dass die (bottom up) Einflussnahme auf das Hirn durch Medikamente ein anderer Weg ist, als die (top down) Einflussnahme durch Argumente, was m.E. fraglos richtig ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wie gesagt: ich will nicht behaupten, dass der Begriff "das Ich" nicht irgendwo seine Berechtigung haben könne, (vielleicht im Bereich der Psychologie, von der ich keine Ahnung habe). Aber hier in diesem Kontext hat er keine Berechtigung und auch keinen Nutzen, ganz im Gegenteil sogar: er ist ein großer Hemmschuh für dieses Thema, vernebelt nur Standpunkte, die klar dargestellt werden sollten.
Ich finde es nicht so störend, aber mit der Darstellung „Ich will x“ ist auch m.E. alles gesagt und gerade Wittgenstein hat ja immer wieder (wenngleich nicht gerade leicht lesbar für meinen Geschmack) darauf hingewiesen, dass vieles reine Bedeutungsverdopplung ist und dass zwischen „Ich habe Schmerzen“ und „Ich bin mir bewusst, dass ich Schmerzen habe“ kein Unterschied ist. Wittgenstein wendet das tatsächlich auuch gegen Freuds Rede vom Unbewussten und sagt, so etwas wie unbewusste Wünschen oder Motive könne es logisch gar nicht geben.
Das ist irgendwie so billig richtig, wie letztlich unüberzeugend, weil hier ein logischer Schachzug (ein Wunsch/Motiv kann nicht unbewusst sein, sonst kann man ihm nicht folgen - stimmt) an einer Theorie vorbei argumentiert.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich bin mAn (mal ganz grob gesagt) mein Körper inkl. der darin ablaufenden Prozesse, daher erscheint es mir auch so absurd, annehmen zu sollen, Determinismus würde mich irgendwie machtlos machen, zu einem Zuschauer in dieser Welt degradieren.
Das sehe ich auch als absurd an, nur kommt das Absurde m.E. gerade von der anderen Seite ins Spiel, wie oben ausgeführt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Falls jemand das anders sieht, sich selber lediglich als bestimmten von seinem Gehirn erzeugten bewussten Prozess ansieht, (z.B. das Hier-Und-Jetzt-Erleben), dann ist das nicht mehr absurd, sondern folgerichtig. Aber eben das müsste geklärt werden, die unscharfe Rede von einem ungebräuchlichen und somit unverständlichen "das Ich" verkleistert und vernebelt das nur.
Es reicht doch völlig sich einzugestehen – und das meine ich ohne jede Häme – dass die Neurobiologie und über das Ich und nahezu alle relevanten Fragen, die es betreffen nichts Neues zu erzählen vermag, davon abgesehen, dass bildgebende Verfahren in der Psychologie seit Jahrzehnten zum Standard gehören.
Ich bin erfreut über die neuen Impulse, das Wissen um die Neuroplastizität, den Nachweis, dass Therapie das Hirn umstrukturiert und dergleichen mehr, aber von einer Theorie des Ich (oder was „ich will“ heißen könnte) und so weiter ist man noch weit entfernt. Andere Theorien der Psychologie und Philosophie liegen ja vor.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 19. Jan 2014, 09:43

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Das eigentlich Interessante am "Ich" ist daher für mich nicht der konstante Kontext (z.B. Sprache, Organismus), sondern das Wie des Ichs.
Was macht ein Ich aus Deiner Sicht denn aus?

Gute Frage. Sagen wir mal: es ist das Ding, dass sich gerade bewusst entschieden hat, dir zu Antworten. ;-)

Natürlich kann ich es auch nicht genau sagen. Wenn man aber mal auf Begriffe wie "Ich", "Bewusstsein" usw. verzichtet, bei denen sich jeder etwas anderes vorstellt, kann man m.E. doch ein Ding finden, das kontinuierlich genug ist, um einen Namen zu beanspruchen. Und dieses Ding erlebe ich in dem oben geschilderten Sinn als frei.

Eine gängige wissenschaftliche Methode ist, den Einfluss von Größen zu messen, indem man sie variiert und dabei alle anderen Variablen des Systems, welches man untersucht, möglichst konstant hält. Im Bezug auf die Größe Sprache könnte man fragen, was an diesem Ding unverändert bleibt, wenn man die Sprache variiert. Anders gesagt, man untersucht, worauf die Sprache keinen Einfluss hat. Bei Farbbezeichnungen kann man z.B. bekanntlich feststellen, dass der Farbraum von Sprache zu Sprache unterschiedlich eingeteilt wird. Was aber unabhängig von den variierenden Farbbezeichnungen konstant bleibt, ist die Farbbeurteilung, d.h. ob zwei Farben gleich sind oder nicht, oder ob drei verschiedene Farben gleich ähnlich sind. Dieses Urteil beruht dann offensichtlich auf sprachunabhängiger Wahrnehmung.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 19. Jan 2014, 11:36

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Was macht ein Ich aus Deiner Sicht denn aus?

Gute Frage. Sagen wir mal: es ist das Ding, dass sich gerade bewusst entschieden hat, dir zu Antworten. ;-)

Natürlich kann ich es auch nicht genau sagen. Wenn man aber mal auf Begriffe wie "Ich", "Bewusstsein" usw. verzichtet, bei denen sich jeder etwas anderes vorstellt, kann man m.E. doch ein Ding finden, das kontinuierlich genug ist, um einen Namen zu beanspruchen.
Welche Kontinuitäten hast Du denn da im Blick?
Die merkwürdige Situation ist ja die: Wenn Du ein Foto Deiner Einschulung siehst, ist keine Zelle in Deinem Körper mehr der entsprechend, die diser Junge einst hatte (und selbst die Nervenzellen sind stoffwechseltechnisch umgebaut). Sehr viele Deiner Einstellungen, Hoffnungen, Ängste und Wünsche heute entsprechen nicht denen, des Jungen auf dem Foto.
Und doch identifizieren wird uns ja nicht nur, mit unserem jetzigen Ich, sondern habe auch ein Gefühl für eine historische Kontinuität.

ujmp hat geschrieben:Und dieses Ding erlebe ich in dem oben geschilderten Sinn als frei.
Kann man problemos tun.

ujmp hat geschrieben:Eine gängige wissenschaftliche Methode ist, den Einfluss von Größen zu messen, indem man sie variiert und dabei alle anderen Variablen des Systems, welches man untersucht, möglichst konstant hält. Im Bezug auf die Größe Sprache könnte man fragen, was an diesem Ding unverändert bleibt, wenn man die Sprache variiert. Anders gesagt, man untersucht, worauf die Sprache keinen Einfluss hat. Bei Farbbezeichnungen kann man z.B. bekanntlich feststellen, dass der Farbraum von Sprache zu Sprache unterschiedlich eingeteilt wird. Was aber unabhängig von den variierenden Farbbezeichnungen konstant bleibt, ist die Farbbeurteilung, d.h. ob zwei Farben gleich sind oder nicht, oder ob drei verschiedene Farben gleich ähnlich sind. Dieses Urteil beruht dann offensichtlich auf sprachunabhängiger Wahrnehmung.

Ja, es verbacken ja zwei Kommunikationssysteme miteinander, das Affektsystem der Säugetiere mit dem sprachpragmatischen System der Menschen.
Antriebe und Wahrnehmungen habe alle Kinder von Geburt an, eine Ichempfindung ist vermutlich angeboren oder wird sehr schnell (noch im präverbalen Raum) erworben.
Und dennoch verändert die Sprache noch einmal alles sehr gründlich.

Die Geschichte des Ichs ist die Geschichte hinzugewonnener Kompetenzen, von der die diversen Stufenmodelle von Morals, Ich-Entwicklung, Psychosozialem, Psychosoxuellem, Emotionalem, Ästehtischem, Spirituellen, des Glaubens, der Kommunuikation, Selbstbild, Bild wichtiger anderer, Körperbild und so weiter künden.
Nicht alle entwickeln sich hübsch parallel, einige sehr unabhängig von anderen, Körperkoordination und mathematisches Verständnis korrelieren nicht so stark, Selbstbild und Moral schon stärker.
Manche Entwicklungen stagnieren, andere laufen immer weiter, die Mixtur macht auch hier unsere Individualität und Einzigartigkeit aus, die Chomsky schon allein auf der Ebene der Sprache erkennt.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » So 19. Jan 2014, 12:44

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mein übliches Gegenbeispiel dazu ist dieses: [...]

Bei dieser Ursachenkette meine ich natürlich auch (wie jeder Richter), dass A für C's Tod verantwortlich und B unschuldig ist, weil er ja nur ein unbeteiligter Passant war, der angeschubst wurde. Die juristische und moralisch/ethische Sachlage ist bei diesem Beispiel relativ klar. D.h. es reicht oft nicht, nur die direkte Ursache zu berücksichtigen, sondern man muss immer auch eine mögliche Ursachenkette untersuchen. Das ergibt sich je nach Ereignis aus dem (manchmal komplizierten) Zusammenhang.

Woraus folgt, dass Du mit (juristischer und moralischer/ethischer) "Schuld" nicht einfach nur (direkte) "Ursache" meinen kannst. Nicht?


Ja, ich erkenne aber im Alltag durchaus, wenn nur eine direkte Ursache oder eine Ursachenkette vorliegt - und gehe mit einer "Schuld"-Zuweisung dementsprechend vorsichtig um.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 19. Jan 2014, 20:53

Vollbreit hat geschrieben:Ich finde aber nicht, dass jemand mit der Benutzung des normalenTerminus „Ich“ überfordert ist, jeder benutzt das ständig und jeder weiß auch grob was damit gemeint ist.

Das stimmt mE nicht: im Alltag benutzt das kaum niemand, (ich kann mich nun nicht erinnern, dass mir der Begriff schon mal im Alltag untergekommen wäre). Oder schaue mal bei Google News, wie oft "das Ich" (substantiviert!) dort erscheint. (Außer in Artikeln über die Wllensfreiheit.)

Vollbreit hat geschrieben:Es ist ja gerade dieser absurde Mist im Fahrwasser des Neurosprech, der Menschen argumentieren lässt, ihr Hirn hätte entschieden, der Arm hätte zugegriffen, die Augen hätten es beobachtet aber sie selbst – ihr Ich – hätte nur zuschauen können.

Warum verwendest Du nicht einfach das unproblematische "sie selbst" anstatt das mE problematische, weil missverständliche "ihr Ich", wenn das dasselbe aussagen soll?

Vollbreit hat geschrieben:Wie schon öfter erwähnt, entstammen alle Ideen des Homunkulus der Neuzeit den anatomischen Darstellungen der Neurobiologen, an denen sie sich dann selbst abarbeiten.

Der Vorteil dabei, den Begriff "das Ich" zu vermeiden, wäre, sich von Vorneherein viele Diskussionen über einen Homunkulus sparen zu können.

Vollbreit hat geschrieben:Das man dort [in der modernen Psychoanalyse] ständig mit Spaltung, Es, Ich, Über-Ich, Subpersönlichkeiten, Identitätsdiffussion und so weiter traktiert wird, hat (erkenntnis)theoretische Gründe, ist aber nie ontologisch gemeint und hier nach dem Homunkulus zu suchen, ist so sinnvoll wie bei „Raum der Gründe“ nach der Wandfarbe zu fragen.

Das mag ja sein und will auch nicht der modernen Psychoanalyse einen dort als sinnvoll angesehehen internen Fachbegriff wegnehmen, (ich habe gar keine Ahnung von Psychoanalyse und kann daher dazu schlicht nichts sagen), ich wende mich jedoch dagegen, dass dieser hier in diesem Kontext verwendet wird, weil er mE hier nur in die Irre führt, keine Klarheit bringt, sondern nur vernebelt.

Vollbreit hat geschrieben:(Aber ich habe das Gefühl, dass wir hier zwar von entgegengesetzten Ende kommen, aber im Ergebnis nicht weit von einander entfernt sind.)

Denke ich auch.

Vollbreit hat geschrieben:Natürlich ist man immer alles, aber es ist ja durchaus eine Lebenserfahrung, dass man in bestimmten Situationen auf Halbautomatik schaltet, bei langen Autofahrten, Routinehandlungen und dergleichen, es manchmal gut und richtig ist, einfach nur zu „funktionieren“ und wenn man nach Hause kommt ist man als anderer Mensch gefragt und gefordert, d.h. man steigt immer wieder in neue und andere Rollen ein, ist aber in der Lage, diese auch (in Eigenregie) zu verlassen, geht nicht völlig in diesen Rollen auf.

Ja, und um all das zu beschreiben, ist der Begriff "das Ich" offensichtlich nicht notwendig, Du hast ihn ja hier nicht verwendet.

Vollbreit hat geschrieben:Das unterscheidet psychologisch ein reifes Ich von einem unreifen (Regel-/Rolle)-Ich und m.E. liegt der Unterschied nicht in der Absolutheit – ein reifer Mann kann problemlos im Stadion zum „Triebtäter“ werden und vollkommen normal das Stadion wieder verlassen – sondern in der prinzipiellen Fähigkeit, sich aus Situationen herauszubefördern und in den Reflexionsmodus zu gehen, was Libet mal mit der meiner Ansicht nach treffenden Bezeichnung der Veto-Funktion des Ich bezeichnet hat.

Du kannst hier problemlos überall da, wo Du "Ich" sagst, einfach "Mensch" einsetzen. Das wäre erstens verständlicher und zweitens wäre damit die Homunkulus-Konnotation verschwunden.

Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Sinn ergäbe es zwar, zu sagen: "diese Entscheidung war weniger frei, weil Dir nicht bewusst war, was das für Auswirkungen hatte, Du zu wenig Wissen um die Umstände hattest". Aber um das sagen zu können, ist der Begriff "das Ich" völlig überflüssig. Ich wünschte, der Begriff "das Ich" würde nie wieder (zumindest nicht außerhalb eines passenden akademischen Kontextes, in dem klar wäre, was damit gemeint ist) verwendet werden.

Warum?

Weil ich in der Diskussion über die Willensfreiheit (ich hatte die schon ein paar Mal) schon oft die Erfahrung gemacht habe, dass ein Inkompatibilist mit dem Begriff "das Ich" eine Art Homunkulus verbindet. Was aber jedes Mal wieder sehr, sehr schwierig war, das überhaupt erst mal herauskristallisieren, das hat viel Mühe gekostet. Und diese Mühe sehe als als unnötig an, hätte mir das komplett sparen können, wenn schlicht der Begriff "das Ich" nicht verwendet worden wäre, sondern man einfach statt dessen sagte "ich will X" oder "Frieda will X". Wer kann Träger eines freien Willen/einer freien Entscheidung/einer freien Handlung sein? Menschen, vielleicht auch Tiere, Aliens und Maschinen, aber nicht ein wie auch immer konstruiertes "Ich".
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 19. Jan 2014, 21:09

ice hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Woraus folgt, dass Du mit (juristischer und moralischer/ethischer) "Schuld" nicht einfach nur (direkte) "Ursache" meinen kannst. Nicht?

Ja, ich erkenne aber im Alltag durchaus, wenn nur eine direkte Ursache oder eine Ursachenkette vorliegt - und gehe mit einer "Schuld"-Zuweisung dementsprechend vorsichtig um.

Welche Kriterien legst Du dabei an? Die üblichen (z.B. jemand hat etwas absichtlich und kontrolliert gemacht) oder noch andere, die irgendwie was mit Determinismus zu tun haben?

Noch was: Verantwortung kann nach üblicher Auffassung auch dann vorliegen, wenn jemand nicht Teil einer Kausalkette war, d.h.: keine (direkte oder indirekte) Ursache für ein Geschehen war. Ich möchte nun keine exakte Definition für Kausalität und Ursache vorlegen, es reicht hier, wenn wir uns darauf einigen können, dass eine kausale Ursache nur etwas sein kann, das in der Kausalkette notwendig vorkommt; anders (und abstrakt) gesagt: X kann keine kausale Ursache für das Auftreten des Ereignisses E sein, falls E genauso auch aufgetreten wäre, falls - ansonsten alles gleich - es X nicht gegeben hätte.

Konkretes Beispiel: P lässt einen unmündigen Schutzbefohlenen S, der sich nicht selber versorgen kann, verhungern. In dem Falle wäre P weder eine direkte noch eine indirekte kausale Ursache für den Hungertod von S. Dennoch aber würde man P als moralisch verantwortlich für den Tod von S ansehen.

Würdest das in einem solchen Falle anders sehen als gewöhnlich: dass P nicht moralisch verantwortlich für den Tod von S wäre, weil P kein Teil der Kausalkette war, die zu S Tod geführt hat?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 19. Jan 2014, 21:50

Vollbreit hat geschrieben:Und doch identifizieren wird uns ja nicht nur, mit unserem jetzigen Ich, sondern habe auch ein Gefühl für eine historische Kontinuität.

Ich identifiere mich nicht mit einem jetzigen "Ich", ich identifiziere mich mit (bestimmen Aspekten von) mir. (Mit anderen weniger.)

Und ich würde sagen: "der Junge auf dem Foto bin ich", (oder: "sieh mal, das bin ich, als ich 2 Jahre alt war"). Und ich habe zwar ein Gefühl für eine Kontinuität von mir, aber keinerlei Gefühl für eine Kontinuität eines zu mir irgendwie zusätzlichen, von mir verschiedenen "Ichs".

Vollbreit hat geschrieben:Die Geschichte des Ichs [...]

Ich würde sagen: "meine Geschichte". (Oder: "die Geschichte von Willi.")

Vollbreit hat geschrieben:Nicht alle entwickeln sich hübsch parallel, einige sehr unabhängig von anderen, Körperkoordination und mathematisches Verständnis korrelieren nicht so stark, Selbstbild und Moral schon stärker.

Hier würde ich auch nicht sagen: "nicht alle [Ichs] entwickeln sich hübsch parallel", sondern: "nicht alle Menschen entwickeln sich hübsch parallel". Und ich würde z.B. sagen: "die Körperkoordination von Willi ist unterdurchschnittlich ausgeprägt." Ich würde niemals sagen: "die Körperkoordination des Ichs von Willi ist unterdurchschnittlich ausgeprägt." Und auch nie sagen: "das Ich von Willi ist noch wenig ausgeprägt", sondern "Willi kann das und das noch nicht so gut, verglichen mit anderen Kindern in seinem Alter". (Wobei "das und das" hier für beliebige Eigenschaften/Fähigkeiten von Willi stehen kann, Selbstvertrauen, Abstraktionsfähigkeit, soziales Verhalten, mathematisches Auffassungsvermögen, was auch immer.) Es gibt mE schlicht keinen Grund, hier zusätzlich ein "Ich" von Willi einzuführen.

Vollbreit hat geschrieben:Manche Entwicklungen stagnieren, andere laufen immer weiter, die Mixtur macht auch hier unsere Individualität und Einzigartigkeit aus, die Chomsky schon allein auf der Ebene der Sprache erkennt.

Was entwickelt sich hier: ein Mensch oder das Ich dieses Menschen?

Z.B. nun zu sagen: "Willi hat keine gute Körperkoordination, aber ein gutes mathematisches Verständnis" erscheint mir unproblematisch und völlig ausreichend. Der Zusatzbegriff "das Ich" (von Willi) kann hier nichts außer Verwirrung und Missverständnissen hinzufügen.

Wer oder was hat hier bestimmte Fähigkeiten (und andere nicht): Willi oder sein Ich? Doch wohl Willi und aber nicht sein Ich.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mo 20. Jan 2014, 09:27

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wie schon öfter erwähnt, entstammen alle Ideen des Homunkulus der Neuzeit den anatomischen Darstellungen der Neurobiologen, an denen sie sich dann selbst abarbeiten.

Der Vorteil dabei, den Begriff "das Ich" zu vermeiden, wäre, sich von Vorneherein viele Diskussionen über einen Homunkulus sparen zu können.

Schon klar, worauf Du hinaus willst, aber ich denke, das schwappt immer wieder rein und eine Willensfreiheitsdiskussion ist ja nun auch keine Alltagssituation.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Natürlich ist man immer alles, aber es ist ja durchaus eine Lebenserfahrung, dass man in bestimmten Situationen auf Halbautomatik schaltet, bei langen Autofahrten, Routinehandlungen und dergleichen, es manchmal gut und richtig ist, einfach nur zu „funktionieren“ und wenn man nach Hause kommt ist man als anderer Mensch gefragt und gefordert, d.h. man steigt immer wieder in neue und andere Rollen ein, ist aber in der Lage, diese auch (in Eigenregie) zu verlassen, geht nicht völlig in diesen Rollen auf.

Ja, und um all das zu beschreiben, ist der Begriff "das Ich" offensichtlich nicht notwendig, Du hast ihn ja hier nicht verwendet.

Stimmt, aber ich wollte hier auch nur ein Rollen-Ich beschreiben.
Auch für die Willensfreiheitsdiskussion muss oder könnte man ja die Anfänge eines „Ich will“ festlegen.
Ich finde gerade diesen Unterschied zwischen physikalischen und intentionalem System (das ja zielgerichtet und irgendwie wollend ist) und die Differenzierung zum komplexeren diskursiven System/Wesen interessant.
Die Frage nach der Untergrenze und Obergrenze des bewussten Wollens.

AgentProvocateur hat geschrieben:Du kannst hier problemlos überall da, wo Du "Ich" sagst, einfach "Mensch" einsetzen. Das wäre erstens verständlicher und zweitens wäre damit die Homunkulus-Konnotation verschwunden.
Ich bin da skeptisch, aber für mich ist es relativ normal vom Ich zu reden und mir dabei keinen Homunkulus vorzustellen.
Die Buddhisten haben dieses keine Entität Denken ja früh auf die Spitze getrieben und versucht das Bild darzustellen, was uns heute wieder begegnet. Nur interagierende Einzelteile ohne Zentrum, nennen wir es mal so. Aber das ist Problematisch bis falsch, denn irgendwen muss man ja ansprechen um ihm Übungen der Ichlosigkkeit zu zeigen und irgendwer muss ja beurteilbare Fortschritte auf dem Weg machen.

Eine andere Geschichte ist der Unterschied zwischen dem was Wilber Holon und Artefakt (und soziales Holon) nennt.
Es ist Analog zur Idee von Leibniz' Mühle, etwas funktioniert ineinandergreifend, aber ohne Zentrum.
Wie ein Ameisenstaat, so heißt es, sei im Grunde auch unser Körper oder Gehirn, aber der Unterschied ist, dass man mit jedem „Ich will x“eben doch auf ein Zentrum rekurriert und sich auch meint, während der Ameistenstaat aber auch menschliche soziale Holons dieses Ich-Empfinden nicht haben. Hessen oder der FC Bayern sagen zwar zuweilen „Wir“, aber was nun genau damit gemeint ist, kann nicht geklärt werden.
Beim Ich geht das. Es mag blinde Flecken haben, aber man kann nicht nur wissen, was man will, sondern auch, wer man ist und was einen selbst ausmacht.
Auch Brandom hält das für äußerst relevant:
Robert Brandom hat geschrieben:„Diese Neigung von der Gemeinschaft so zu reden, dass sie irgendwie Einstellungen hat und Performanzen hervorbringt, wie sie eher mit Einzelnen assoziiert werden, ist weder Ausdruck von Nachlässigkeit noch harmlos. Diese façon de parler ist der Kern von Theorien gemeinschaftlicher Beurteilung. In ihr manifestiert sich der Orientierungsfehler (über den später noch mehr zu sagen sein wird), Ich-wir-Beziehungen statt Ich-du-Beziehungen als die grundlegende soziale Struktur zu behandeln. Beurteilen, Billigen, usw. sind alles Dinge, die wir Einzelne tun und einander zuerkennen, und wodurch eine Gemeinschaft, ein „Wir“ entsteht. Doch diese Einsicht wird durch die Ich-wir-Brille verzerrt – womöglich die gleiche, wie se von jeher politischen Philosophen bei ihrer Arbeit aufgehabt haben. Der Anschein der Möglichkeit gemeinschaftlicher Beurteilung ist kein ungefährlicher, weil die bequemen Wege, die Metapher der gemeinschaftlichen Billigung usw. auszubuchstabieren, in bekannte Dilemmata führen. Auf Regularitäten der Billigung und Zurückweisung durch einzelne Gemeinschaftsmitglieder kann man vielleicht einen Begriff der gemeinschaftlichen Billigung oder Missbilligung aufbauen. Doch universelle Übereinstimmung wäre zu viel verlangt, und wie will man entscheiden, wieviel Übereinstimmung genügt.“
(R.Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt.2000,Suhrkamp, S.84)

Und das ist eben keine Analogie zu 56% meiner Hirnzellen waren dafür, denn als Ich oder Mensch oder Jemand erlebt man keine statistischen Hochrechnungen und Reizüberlagerungen, da steht meistens das „Ich will Pizza“ Ergebnis im Raum.
Es ist eine andere Frage, ob man Brandoms Position nicht kritisieren kann und Habermas hat das m.E. sehr überzeugend in diesem Punkt getan, aber das ist in meinen Augen der nächste Schritt und es steht weiter die m.E. richtige Behauptung im Raum, dass „Ich will“ nicht gleichbedeutend mit einem Mehrheitsentscheid eines wie gut auch immer organisierten Zellhaufens ist.


AgentProvocateur hat geschrieben:Weil ich in der Diskussion über die Willensfreiheit (ich hatte die schon ein paar Mal) schon oft die Erfahrung gemacht habe, dass ein Inkompatibilist mit dem Begriff "das Ich" eine Art Homunkulus verbindet. Was aber jedes Mal wieder sehr, sehr schwierig war, das überhaupt erst mal herauskristallisieren, das hat viel Mühe gekostet. Und diese Mühe sehe als als unnötig an, hätte mir das komplett sparen können, wenn schlicht der Begriff "das Ich" nicht verwendet worden wäre, sondern man einfach statt dessen sagte "ich will X" oder "Frieda will X". Wer kann Träger eines freien Willen/einer freien Entscheidung/einer freien Handlung sein? Menschen, vielleicht auch Tiere, Aliens und Maschinen, aber nicht ein wie auch immer konstruiertes "Ich".
Ich kann Deinen Ärger verstehen, wenn diese nicht eben leichte Diskussion – nach 500 Probeläufen hat man die wesentlichen Punkte und die Argumente im Blick, aber das braucht Zeit und Mühe – noch erschwert wird, dennoch ist das Kapitel wollende Instanz ja mit dem Kompatibilismus nicht zugeklappt, sondern es ist ein Kapitel des Buches.

Kinder, die noch nicht sprechen, können ebenfalls wollen, auch wenn sie noch keine Gründe liefern und sicher gibt es irgendwo den Beginn eines Wollens eines intentionalen Systems, bei dem es uns schon intuitiv komisch vorkommt, sein Verhalten allein durch Reiz-Reaktions-Muster und angeborene Programme zu erklären. Irgendwo hier liegt die Untergrenze des Wollens, mich interessiert obendrein die Obergrenze: Gibt es einen Weg aus dem Wollen heraus und was würde das bedeuten?
Einen Rückfall auf die Tierstufe? Ich weiß, das ist nicht Dein Thema, darum erwähne ich es nur kurz, mich fasziniert hier seit langem die Antwort der Mystiker, die sinngemäß sagen, der Gipfel der Freiheit und der Zufriedenheit liege darin, das (egozentrische) Wollen zu überwinden und sozusagen mit seiner Bestimmung/Determination eins zu werden.
Nun ist ein harter Determinismus auch zu naturalistischen Beduingungen zu haben, allein ich glaube nicht an einen starren „Seit dem Urknall läuft unerbittlich die Uhr ab und dass ich mich jetzt am Kopf kratze steht seit Milliarden Jahren fest“-Determinismus, auch wenn der meine Freiheit nicht kassieren würde. Das wäre für mich ein Kandidat für das Schlusskapitel des Buches über das Ich, den Willen, den Determinismus, Freiheit und Verantwortung und so.

Aber es ist schon gut, da an unterschiedlichen Stellen zu bohren und wir laufen uns ja immer wieder mal über den Weg.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mo 20. Jan 2014, 10:07

PS:

Vollbreit hat geschrieben:Und das ist eben keine Analogie zu 56% meiner Hirnzellen waren dafür, denn als Ich oder Mensch oder Jemand erlebt man keine statistischen Hochrechnungen und Reizüberlagerungen, da steht meistens das „Ich will Pizza“ Ergebnis im Raum.

Da mir das gerade noch mal in den Sinn kommt, Kernberg hat mal als humorisitische Anekdote von einer Frau mit einer multiplen Persönlichkeit erzählt, die über 20 verschiedene Perssönlichkeiten oder Iche beherbegte. (Psychologen gehen davon aus, dass es sich hierbei um eine Fragmentierung eines kohärenten Ichs im Rahmen einer Borderline-Störung handelt, zu >90% und weitaus seltener um eine schizophrene Psychose.) Diese Frau hatte die Angewohnheit tüchtig über ihren Mann zu schimpfen, so dass die Therapeutin irgendwann fragte, wieso sie so einen Nichtsnutz überhaupt geheiratet hätte und in Rage sagte die Frau „18 von uns, waren ja von Anfang an dagegen.“

Was hier sonderbar bis komisch klingt tut es deshalb, weil genau das nicht unser Alltagserleben ist und von einem Menschen mit einem kohärenten oder integrierter Ich/normalen Menschen erwarten wir, dass er in den meisten Dingen weiß, was er will und grundlegende Kenntnisse über sich und wichtige andere hat.
Die sogenannte Ich-Schwäche ist ein so schillerndes Phänomen – weil es hochintelligente Menschen gibt, die Dir feinste Details saumäßig komplizierter Spezialgebiete auseinadernsetzen können und überdies über dien sehr gut Alllegmeinbildung verfügen, aber bei dem Versuch die eigene Ehefrau, mit der sie 20 Jahre zusammenleben, zu beschreiben entsetzlich scheitern – dass ich vielleicht auch deshalb ungern drauf verzichte, es erklärt m.E. so viel, was sonst unerklärlich bleibt.

Irgendwo kann man das sicher unter „mehr Informationen besitzen“ abhandeln, aber warum Menschen, die weder dumm, noch roh sein müssen diese „einfachen“ Informationen unzugänglich sind, finde ich gleichermaßen faszinierend, spannend und ein wenig unheimlich.
Für die Frage nach dem Willen finde ich diese Menschen insofern interessant, weil ihnen oft ein bestialischer Wille zugeschrieben wird (auf den sie auch stolz sind) und man sich gleichzeitig des begründbaren Eindrucks nicht erwehren kann, dass es sich um (von den eigenen „Emotionen“) getriebene Menschen handelt.
Sie wissen was sie wollen, können es klar sagen, handeln oft sehr zielgerichtet und erwecken daher den Eindruck überaus frei zu sein (und wären es kompatibilisitsch gesehen ja auch), kränkt man sie minimal in ihrer Eitelkeit, gehen sie ab wie Schmitz Katze und erweckenso den Eindruck ein Sklave ihrer Emotionen zu sein.
Vielleicht ist also neben dem Geben von Gründen auch die Qualität der Gründe noch ein Indiz für Freiheit?
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