darwin upheaval hat geschrieben:Was mir vorschwebt ist nicht "A-priori-Wissen", sondern so etwas wie ein "virtuoser Zirkel", eine wechselseitige Befruchtung von Philosophie und Wissenschaft.
Das ist gewiss wünschenswert.
Danke, diesen Text kenne ich bereits.
"4.1122: Die Darwinsche Theorie hat mit der Philosophie nicht mehr zu schaffen als irgendeine andere Hypothese der Naturwissenschaft."(Wittgenstein,
Tractatus Logico-Philosophicus)
(Ich sage nicht, dass das auch meine Meinung ist.)
darwin upheaval hat geschrieben:Richtig, aber Philosophie ist nicht gleich Philosophie. Nicht alle Philosophien sind gleichrangig bzw. gleichwertig.
Das behauptet Armstrong auch nicht. Natürlich gibt es gute und schlechte Philosophen sowie gute und schlechte Philosophie.
darwin upheaval hat geschrieben:Das ist mit ein Grund, weshalb ich von "akademischer Philosophie" gesprochen habe - eine Philosophie, die sich eng an die Ergebnisse der Naturwissenschaft anlehnt und auf die umgekehrt auch die Naturwissenschaften rekurrieren, von deren Setzungen sie überhaupt leben und florieren.
Mit "akademische Philosophie" scheinst du die analytisch-naturalistische Philosophie anglo-amerikanischer Prägung zu meinen. Damit wären wir wieder beim methodologischen Naturalismus, der ja einerseits ein das Verhältnis von Natur- oder allgemein Erfahrungswissenschaft und Supernaturalismus (Religion) betreffender metawissenschaftlicher Standpunkt und andererseits ein das Verhältnis von Natur- oder allgemein Erfahrungswissenschaft und Philosophie betreffender metaphilosophischer Standpunkt ist. Letzteren bezeichne ich als
metaphilosophischen Szientismus:
Die Philosophie ist zu verwissenschaftlichen, d.h. der Erfahrungswissenschaft und vor allem der Naturwissenschaft anzugliedern und deren Verfahren und Ergebnissen (so weit wie möglich) anzupassen.
Motto: Weg von apriorischer Geisteswissenschaft, hin zu aposteriorischer Erfahrungswissenschaft![Ich finde Nicholas Rescher hat Recht damit, dass
"[i]n one sense [naturalism] is simply a euphemism for scientism, the idea being that science—and natural science above all—has all the answers, so that if there is going to be any answer to a question about reality, it will be forthcoming from science. The stance of this mode of naturalism is effectively that of a science-geared reductionism that sees the key to understanding reality as being provided by the instrumentalities that account for the fundamental processes of observable phenomena."(Rescher, Nicholas. "The Future of Naturalism: Nature and Culture in Perspectival Duality." In
The Future of Naturalism, edited by John R. Shook and Paul Kurtz, 15-23. Amherst, NY: Humanity Books/Prometheus, 2009. p. 15)]
Die Philosophie, die einst die Magd der Theologie sein musste, soll nun zur Magd der Wissenschaft, insbesondere der Naturwissenschaft gemacht werden. Bei dem Projekt mit dem Titel "Naturalisierung der Philosophie" geht es um nichts anderes als den Versuch, die Philosophie zu einem abhängigen theoretischen Teilgebiet der Erfahrungswissenschaft zu machen. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass das konstruktiv-spekulative Denken der Metaphysiker einer positivistischen Metaphysikfeindlichkeit zum Opfer fällt.
Außerdem verstehe ich nicht, wie ich mir die Praxis einer "naturalisierten" Philosophie vorzustellen habe. Sollen etwa nun auch die Philosophen Naturbeobachtungen und Laborexperimente durchführen?!
Mir ist überhaupt nicht klar, wie eine Anpassung der philosophischen Praxis an die naturwissenschaftlichen
Methoden bewerkstelligt werden könnte.
Was die Anpassung des philosophischen Denkens an die
Resultate der Natur- oder allgemein Erfahrungswissenschaften anbelangt, so bin ich allerdings der Meinung, dass ein Philosoph, der sich Naturalist nennt, zumindest dazu verpflichtet ist, dafür Sorge zu tragen, dass seine Theorien den wohlbestätigten erfahrungswissenschaftlichen Theorien nicht widersprechen.
darwin upheaval hat geschrieben:Ich vermute, Armstrong hängt sich hier an einem falschen Wissensbegriff auf. Dass es kein sicheres Wissen gibt, ist ein alter Hut, Wissen ist immer vorläufig.
Damit wir nicht vom Hundertsten ins Tausendste kommen, kann ich das epistemologische Thema
Fallibilismus vs. Infallibilismus hier nur ganz oberflächlich anschneiden (siehe dazu z.B.
http://www.iep.utm.edu/fallibil):
Ich war lange Zeit auf der Seite der Fallibilisten, bis mich eine saloppe Äußerung von David Lewis ins Schwanken brachte:
"If you are a contented fallibilist, I implore you to be honest, be naive, hear it afresh. 'He knows, yet he has not eliminated all possibilities of error.' Even if you've numbed your ears, doesn't this overt, explicit fallibilism still sound wrong?"(Lewis, David. "Elusive Knowledge." 1996. In: David Lewis,
Papers in Metaphysics and Epistemology, 418-445. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. pp. 419-20)
Ist nicht der eigentliche Witz am Wissen, dass es sicher ist, und zwar 100%ig sicher?!
Wie kann ich guten Gewissens behaupten zu wissen, dass p, wenn ich mir nicht sicher sein kann, dass nicht doch ~p der Fall ist?!
Lewis eigene Theorie des Wissens, die gewissermaßen eine Quadratur des Kreises darstellt, indem er versucht, sowohl dem Fallibilismus als auch dem Infallibilismus gerecht zu werden, kann ich hier nicht weiter erörten:
"The final paper, 'Elusive Knowledge', proposes an analysis of knowledge. Pace the many complicated analyses now on offer, it seems as if the concept of knowledge is simple enough for small children to master. I suggest that the complicated phenomena we have observed arise from the interaction between a very simple analysis and the complex pragmatics of context-dependent ignoring. 'S knows that P' means simply that there is no possibility that S is wrong that P—Psst! except for those possibilities that we are now (properly) ignoring." (Lewis, David.
Papers in Metaphysics and Epistemology. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. Introd., pp. 6-7)
darwin upheaval hat geschrieben:Das liest sich für mich wie ein Plädoyer für ein "anything goes": Jeder bestimmt seine eigenen Regeln, stellt irgendwelche darauf basierenden Behauptungen in den Raum, und jeder hat damit innerhalb seines eigenen Paradigmas Recht. …
Tut mir Leid, mit dieser Art des modernen Relativismus kann ich nichts anfangen.
Du missverstehst Armstrong!
Er ist mitnichten ein postmoderner "Anything goes"-Typ!
Bitte lies den schon erwähnten Text ganz, dann wird die Sache klarer (diesen Text sollte sowieso jeder Naturalist gelesen haben!):
* Armstrong, D. M. "A Naturalist Program: Epistemology and Ontology."
Proceedings and Addresses of the American Philosophical Association 73.2 (November 1999): 77-89. p. 82) [
PDF-Download]
darwin upheaval hat geschrieben:Wie gesagt, Wissen kann nicht irrtumsfrei sein, …
Die Infallibilisten halten dem bekanntlich entgegen:
Wenn ein Fürwahrhalten nicht frei von möglichem Irrtum ist, dann ist es kein Wissen!
darwin upheaval hat geschrieben:Myron hat geschrieben:Was genau bedeutet denn "kausal strukturiert"?
Dass es in dieser Welt überall "mit rechten Dingen" zugeht. Dass keine Dinge spurlos "ins Nichts" verschwinden und "aus dem Nichts" auftauchen, dass kein Wasser in Wein verwandelt werden und kein Mensch auf dem Wasser laufen kann, dass keine Steine nach oben fallen, sich Computer nicht plötzlich in Kaugummi verwandeln, Dämonen ein- und ausgehen u.v.a.m.
Also salopp gesagt: In Mutter Naturs Haus spukt es nicht!
darwin upheaval hat geschrieben:Der Begriff Wissenschaft ist keineswegs obsolet.
Natürlich nicht, aber die erkenntnistheoretische Gretchenfrage ist, unter welchen Bedingungen man Fürwahrhalten zu Wissen erklären darf.