Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 7. Feb 2014, 08:33

Dr Fraggles hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Dir kommt es so vor, als lebte man in der Illusion eine Wahl zu haben, die man tatsächlich aber nicht hat und das ist nicht richtig.
Damit kritisiert Du den Freiheitsbegriff der Kompatibilisten als unzureichend und müsstest ebenfalls eine erweiterte Definition anbieten.
Tatsächlich ist der Freiheitsbegriff der Kompatibilisten belastbar und umfassender als man zuerst meint.

Nein. Der kompatibilistische Freiheitsbegriff genügt gewissen meiner Ansprüche nicht (was du tatsächlich und offensichtlich nicht verstehst...wie kommst du dazu das zu bestreiten?! Ansonsten bist du dazu aufgefordert endlich das was du behauptest mal durch konkreteste Beispiele zu demonstrieren und nicht nur dauernd zu behaupten (und Beispiele wo der kompatibilistische Freiheitsbegriff zumindest mir nicht genügt, habe ich genannt). Ich warte. Und solltest du dem nicht nachkommen, dann weiss ich warum. Ich beharre darum auf diesen Punkt dermassen unnachgiebig weil er wirklich der entscheidende Kritikpunkt am Kompatibilismus ist.

Das will ich gerne versuchen, mir ist momentan nur unklar, was ich überhaupt belegen soll.
Ich meine verstanden zu haben (korrigier mich bitte, wenn ich mich irre), dass Dir der kompatibilistische Freiheitsbegriff zwar logisch stimmig erscheint, nur etwas Wesentliches fehlt.
Fall ich das richtig verstanden habe: Was fehlt denn?
Bevor ich nicht weiß, was das denn sein soll, kann ich nicht belegen, was Du forderst.

Dr Fraggles hat geschrieben:Und was soll "Wahl" im Rahmen des Kompatibilismus bedeuten (wiederum wird rein verbal suggeriert was nicht gemeint ist...sehr mühsam. Eine Parallele und wohl Ergänzung zu der Verwendung mentaler Ausdrücke in rein neuronal-physikalischen Kontexten)?!
Eine Wahl zu haben, heißt gemäß eigener Prämissen zu urteilen.
Das ist doch klipp und klar.


Dr Fraggles hat geschrieben:Nun, wenn das Nicht-Wissen die Bandbreite mörderischen wie heiligmässigen Handeln umfasste, wäre es auch ziemlich witzlos, oder? Das wäre dann mehr oder weniger deckungsgleich mit zufälligm Handeln.
Finde ich eher nicht witzlos, sondern richtig. Die menschlichen Möglichkeiten umfassen genau dieses Spektrum, von mörderisch bis heiligmäßig.
Jetzt offenbarst du aber gewaltige argumentative Schwächen. Dass die Bandbreite des menschlichen (als Gattung) Verhaltens von mörderisch bis heilig reicht, ist schwerlich bestreitbar (nun, möglicherweise letzteres).[/quote]Okay, sehe ich auch so.

Dr Fraggles hat geschrieben:Ich bezog mich auf das mögliche Handlungsspektrum eines einzelnen Menschen.
Ja, das hatte ich mir gedacht.

Dr Fraggles hat geschrieben:Wenn man absolute Extremsituationen ausklammert (jeder kann zum Mörder werden), dann spielen sich Handlungsalternativen in absehbarem Rahmen ab.
Natürlich, der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

Dr Fraggles hat geschrieben:Wann wurdest du z.B. zuletzt von einer deiner Entscheidungen völlig auf dem falschen Fuss erwischt (falls überhaupt, vielleicht auch weil du mit unterdurchschnittlicher Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ausgestattet bist) ?
Was meinst Du damit, dass ich von einer meiner Entscheidungen auf dem falschen Fuß erwischt wurde? Dass ich mich geirrt habe? Das passiert mir öfter.

Aber wo ist jetzt die argumentative Schwäche?
Dass ich mich gelegentlich oder öfter mal irre, belegt jetzt was?
Dass die meisten Menschen keine Mörder sind, daraus folgt was?

Dr Fraggles hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Wenn du das "Ich" eliminierst (ein Bündel von Determinanten gemäss dem Kompatibilisten) und "Abwägen" als pures Kräftespiel der Determinanten beschreibst und "rational" als mit determiniert vereinbar erachtest, könnte man über diese These diskutieren.
Ich eliminiere das Ich nicht und habe auch nicht den Eindruck, dass der Kompatibilismus dies erzwingt.

Jede deterministische Freiheitstheorie lässt das Ich reichlich überflüssig erscheinen.
Weil?

Schau, Du stellst viele Behauptungen auf, aber Du müsstest die belegen.
Ich habe wirklich ein Näschen dafür, wenn das Ich zerlegt wird und icm mag diese Tendenzen nicht sonderlich. Ich erblicke sie beim Neurobiologismus, der Systemtheorie, dem Konstruktivismus, beim eliminativen Materialismus, beim Behaviorismus, in einigen postmodernen Strömungen, bei Heidegger m bin ich mir nicht sicher (und wenn man so will natürlich auch im Buddismus und einigen mystischen Richtungen, aber hierüber ist das letzte Wort nicht gesagt), aber beim Kompatibilismus kann ich diese Tendenzen nun wirklich nicht erkennen – und ansonsten höre ich da wirklich die Flöhe husten ;-) .

Wenn ich mein Wollen und Handeln begründe, so heißt das doch nicht, dass ich nur ein Bündel Gründe bin.
Würde „das Ich“ denn eher erhalten bleiben, wenn ich willkürlich, unvorhersehbar und „verrückt“ rede und wirke?
So etwas findet man live und in Farbe im Rahmen psychotischer Erkrankungen und was hier passiert ist ja gerade ein Zusammenbruch des Ichs.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 7. Feb 2014, 08:48

@ganimed:
Nachtrag zu deiner Frage bezüglich der Relevanz von Faktoren des Typs K3:
Im Kompatibilismus wird K3 dann als relevant erachtet wenn es zu Entscheiden/Handlungen führt, die ohne dieselbe anders ausgefallen wären. Dieser Unterschied wird z.B. formal gefasst als jener zwischen freien und erzwungenen Handlungen. Anhand dieses Rahmens werden dann inhaltliche Gegebenheiten festgelegt welche idealerweise dem Selbstverständnis der Menschen bezüglich dessen was sie als freie und erzwungene Handlungen begreifen, entsprechen. Faktoren K3 welche die Entscheide/Handlungen nicht verändern, kann man also ignorieren. Es tangiert insofern die subjektive Wahrnehmung, als unter Zwang erfolgte Entscheide auch subjektiv als unfreiwillig erfahren werden können (dies wiederum ist ein Kriterium bei der Bestimmung von Faktoren des Types K3). Entscheide unter Drogeneinfluss müssten nicht notwendig als unfrei erfahren werden, aber hier wären für freie Handlungen notwendige Bedingungen nicht mehr gegeben, welche wohl auch Hirnphysiologisch erkennbar währen (wie rational Denken können, das klare Erkennen der Folgen einer Handlung, extrem herabgesetzte Hemmschwellen etc.). Das neuronale Geschehen kann insofern von Bedeutung sein als es Korrelate für abnorme, gewöhnlich-rationale Entscheidungsprozesse verhindernde, psychische Eigenarten geben kann.
Vor allem in der Rechtsprechung können solche Faktoren grossen Einfluss auf das Strafmass haben (oder bei der Indikation begleitender Therapien etc.). Ich denke das Recht dann die Psychiatrie sind vor allem die Bereiche wo solche Kriterien überhaupt in der Gesellschaft zur Anwendung kämen. Sicher auch noch im Bereich moralischen Urteilens.

Meine obigen beiden Beispiele wären dann Beispiele dafür wie ein Faktor K3 indirekt grosse unerwünschte (erwünschte wären auch denkbar) Folgen zeitigen würde (einmal mit einmal ohne Veränderung der Handlung im Vergleich wie sie gewesen wäre ohne K3), welche Folgen aber nur als Verkettung unglücklicher Zufälle gewertet werden könnten, ohne dass je ein wirklicher Zwang vorgelegen hätte (und insofern für die kompatibilistische Unterscheidung frei/erzwungen ohne Bedeutung wären).
Dr Fraggles
 
Beiträge: 191
Registriert: So 6. Mai 2012, 17:35

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » Fr 7. Feb 2014, 10:39

@ganimed: Ich empfehle dir das Buch von Geert Keil "Willensfreiheit" (de Gruyter Verlag; 222 Seiten. Ich schreib das weil es auch ein halb so langes mit gleichem Titel vom selben Autor gibt). Gibt eine gut verständliche Einführung in die Fragestellungen, gerade auch z.B. deine Frage nach der Rolle von K3 Faktoren innerhalb des Kompatibilismus betreffend. Das Buch durcharbeiten und du hast dir einen recht guten Überblick verschafft...
Dr Fraggles
 
Beiträge: 191
Registriert: So 6. Mai 2012, 17:35

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 7. Feb 2014, 10:47

Dr Fraggles hat geschrieben:Du stellst jeden der Einspruch gegen den k. Freiheitsbegriff erhebt, als Anfänger dar, der verständlicherweise sich noch daran gewöhnen muss. Wie oben bereits gesagt: ich würde langsam endlich Nägel (sprich: ad oculos Demonstration deiner Behauptung) mit Köpfen erwarten.

Vielleicht hast Du das tatsächlich schon zig mal hingeschrieben und denkst, ist wollte Dich irgendwie an der Nase herumführen.
Ich habe alle Deine Antworten an mich gelesen und einige, aber nicht alle, Antworten von Dir an andere. Vielleicht ist mir da etwas entgangen, was Du schon zig mal erläutert hast, aber ich weiß wirklich nicht, was das ist, was dringend belegt werden müsste, kannst Du es bitte noch einmal hinschreiben?

Dr Fraggles hat geschrieben:Bezüglich "technischem Freiheitsbegriff": dieser Einwand ist rein logisch gesehen falsch. Um etwas unzulänglich zu finden, muss man keineswegs eingestehen, dass deren Ursache behebbar sein muss (also in diesem Fall: einen sinnvollen indeterministischen Freiheitsbegriff=technischer Freiheitsbegriff in deiner Diktion).
Ja, aber man muss sagen können was man unzulänglich findet und warum.

Dr Fraggles hat geschrieben:So kann ich das Leid auf der Welt widerwärtig finden, auch wenn ich weiss, dass es nicht zu eliminieren ist.
Klar, aber auch hier würde ich Dich fragen, was Du als Leid betrachtest, damit ich weiß, worüber wir reden. Manche empfinden es als leidvoll, dass wir in einer entzauberten Welt leben, andere, dass es so viel irrationales Zeug gibt.
Deshalb, zum Beispiel.

Dr Fraggles hat geschrieben:Ebenso kann ich beklagen, dass kein sinnvoller Freiheitsbegriff denkbar ist, der mich tatsächlich frei entscheiden lässt (unter denselben Umständen etc.)
Moment, Moment, hier geht Du über eine möglicherweise entscheidende Stelle einfach hinweg.
Was willst Du sagen? Dass ein wahrer, besserer Freiheitsbegriff es zulassen müsste, dass man sich unter identischen Bedingungen anders entscheiden kann?
Falls ja, dann halte ich das für falsch und dann lass uns hier einhaken und die Lupe drauf halten, falls nein, gehen wir einfach weiter, bis der neuralgische Punkt gefunden ist.

Dr Fraggles hat geschrieben:...nicht um der Freiheit selber willen, sondern wegen der unzumutbaren Zuordnung von fehlendem Verdienst und Glück/Leid z.B.
Das habe ich nicht verstanden. Warum sollte man Glück oder Leid nicht zuordnen können? Wenn was genau der Fall ist?
Kann doch sein, dass ich mich nach bestem Wissen und Gewissen für etwas entscheide, mich geirrt habe und dann leide. Wo ist das Problem?

Dr Fraggles hat geschrieben:Mir bereitet nicht ein sinnloser Freiheitsgefühl an sich Wohlbefinden (aber, selbst wenn, wie kommst du dazu, bestimmen zu wollen, welche Vorstellungen Wohlgefühle auszulösen haben).
Darüber habe ich nicht geurteilt, nur darüber, dass es für die Begriffsbestimmung von „Freiheit“ keine Rolle spielt.
Ganz einfach, weil ich finde, dass dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff zwar durchaus etwas zunächst Dröges anhaftet, was ich bereits zugestanden habe, sich dies aber in dem Moment in Luft auflöst, wo man das intuitive Unbehagen mit etwas, was rein rational daherkommt, näher benennen muss.

Wenn bei mir der Kniesehnenreflex ausgelöst wird, dann ist es zwar mein Unterschenkel der vorschnellt, aber ich handle nicht, gemäß philosophischer Definition einer Handlung, dass man nämlich willentlich und zielgereichtet etwas tut, von dem man sagen kann, warum man es tut. Ich bin auch nicht frei es nicht zu tun, da die Reflexe autonom sind.

Gestern hat mir jemand überraschend etwas zugeworfen, was ich spontan gefangen habe. Habe ich das bewusst gemacht? Nun, irgendwie schon, irgendwie aber auch nicht, viel Zeit zum Überlegen hatte ich nicht. So richtig frei war ich da auch nicht. War eine schnelle Reaktion.

Wenn ich in ein Glas bunter Bonbons greife und ein rotes herausziehe (es mir aber nicht darum ging ein rotes Bonbon, sondern einfach ein Bonbon zu bekommen), dann war das insoweit eine Handlung, dass ich zielgerichtet in das Bonbonglas gegriffen haben, aber die Wahl des rotem Bonbons war zufällig. (Ich könnte aber auch, wenn es mir wichtig wäre, zielgerichtet nach einem roten Bonbon greifen, etwa, wenn ich die roten Bonbons besonders gerne essen würde.)

Soll bis hierher heißen: Nicht alles, was wir tun, tun wir klar und bewusst, einiges ist unbewusst, manches „Halbautomatik“ (Routine“handlungen“), einiges überlassen wir dem Zufall, weil es uns egal ist, einiges überlassen wir bewusst dem Zufall, etwa, wenn wir eine Entscheidung von einem Münzwurf abhängig machen (was wir dann aber zielgerichtet und bewusst tun).

Aber, es gibt auch Entscheidungen im Leben, bei denen wir wirklich, innehalten, abwägen und reflektieren, uns Rat holen und so weiter. Vielleicht gehen wir auch zum Astrologen oder warten auf einen Traum, der uns den Weg weist, aber auch diese Elemente flechten wir dann bewusst ins rationale Sprachspiel ein und gewichten sie, nach unseren persönlichen Vorlieben. Und doch können wir am Ende mit Fug und Recht behaupten, wir hätten frei entschieden, warum denn nicht?
Was fehlt hier zur Freiheit?

Und wenn ich mich irre, dann stehe ich selbstverständlich in der Verantwortung, wer denn sonst?
Wenn ich denke: Was bin ich nur für ein dröger Erbsenzähler, hätte ich nur meinem Traum in der Nacht vertraut, dann ist das mein Versäumnis (auch dann, wenn determiniert war, dass ich dem Traum nicht trauen würde).
Wenn ich denke: Was war ich für ein Trottel, auf diesen dummen Astrologen zu hören, hätte ich mich nur nicht bequatschen lassen, dann ist das mein Versäumnis (auch dann, wenn determiniert war, dass ich dem Astrologen trauen würde).
Möglicherweise mache ich das beim nächsten mal anders und auch wenn das bereits feststünde, ich muss entscheiden, für mich ist es eine Fahrt ins Ungewisse, immer wieder, denn ich habe die Gottesperspektive nicht zur Verfügung.

Dann gibt es natürlich noch die psychologischen Grenzfälle, bei denen nicht klar ist, ob man frei oder unter „Zwang“ handelt.
Das ist vor allem dann der Fall, wenn ich meine, ich sei der aktiv Handelnde und gute Gründe für das, was ich tue angebe, aber andere wissen (oder mit sehr guten Gründen ahnen) dass da was faul ist. Im Grunde agiere ich dann zwar frei (im Sinne des Kompatibilismus) bin aber im Irrtum bezüglich meiner wahren Motive.

Die Palette ist sicher noch breiter, aber das mal, um Tun und Handeln etwas aufzufächern.

Dr Fraggles hat geschrieben:Mir bereitet aber Unwohlgefühl, dass die einen, ohne dass ihr Ich es anders hätte lenken können, zum Leiden verurteilt sind und andere, ohne dass ihr Ich es hätte anders hätte lenken können, sich auf der Sonnenseite des Lebens befinden. Wer sich daran nicht stört, hat mein Verständnis mit Sicherheit nicht.

Da irrst Du Dich.
Denn damit unterstellst Du, der Urteilende hätte die Gottesperspektive zur Verfügung, aber auch das ist nicht der Fall.
Es urteilen (bezüglich dessen was kommen wird) Unwissende über Unwissende, eben darum müssen wir ja begründen, warum wir glauben, dass …
Ansonsten bräuchte man ja nur zu sagen, wie es ist. Das weiß aber keiner.

Dr Fraggles hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Was fehlt??? Nimm die Tomaten von deinen Augen und LIES was ich geschrieben habe. Mir fehlt am kompatibilistischen Freiheitsbegriff etwas sehr Wesentliches was zum Menschseinanspruch gehört, ...
Okay, aber was?

Siehe obige Antwort (um nur eines, aber ein wichtiges zu nennen).
Ja, die habe ich verstanden und nach zu beantworten versucht.

Dr Fraggles hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Dumm und Schade nur, dass du dich auf diese Idee fixiert hast (weil er so offensichtlich unlösbar ist).
Ich habe mich nicht darauf fixiert, wenn Du mir zweigen kannst , wie oder durch was Zufalle oder Willkür die Freiheit vergößern, ich das verstehe und überzuegend finde, dann sattle ich auch wieder um.
Schenke Erbarmen!!! :gott: Im Ernst: willst du mich nicht begreifen oder kannst du nicht?
Ich will Dich schon verstehen, in Ansätzen gelingt es ja.
(Und auch etwas weniger Theatralik wäre angenehm.)

Dr Fraggles hat geschrieben:Deine Fixierung besteht darin, dass du Angriffe auf den Kompatibilismus permanent mit der Alternative Inkompatibilismus assoziierst.
Liegt ja irgendwie auch nahe, aber wo wäre das Problem? Es geht doch eher um die Argumente.

Dr Fraggles hat geschrieben:Aber wenn du LESEN WÜRDEST was ich schreibe, dann müsstest du längst realisiert haben, dass der Einwand nichts damit zu tun hat (ich selber bin Determinist, den der komp. Freiheitsbegriff bezogen auf meine Vorstellung wie Dinge, Konstellationen sein sollten, nicht umfassend befriedigen kann, und DAS ist der Einwand!).
Man kann Determinist und Inkompatibilist sein, wo ist das Problem? Das ganze Neurozeugs kommt ja aus der Ecke.
Inkompatibilismus ist nicht zwingend Libertarismus sondern kann eben auch ein determistischer Inkompatibilismus sein, den Du vielleicht vertrittst, ohne zu wissen, dass es sich dabei um Inkompatibilismus handelt.

Aber ich will Dich gar nicht darauf festnageln, mir ist nicht wichtig, welche Position Du vertrittst, sondern, wie Deine Gegenargumente sind.

Dr Fraggles hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Dass übrigens das nicht-Wissen (je grösser die Bandbreite möglicher Handlungen um so mehr) um künftige Entscheidungen sich dem Zufall annähert, ist dir wohl entgangen.
Ich finde, die Zahl der Optionen spielt kein größere Rollen, ob ich zwischen 2 oder 200.000 potentiellen Alternativen wählen kann, am Ende bleibt, dass Ich mich entscheide und dazu begründet stehen kann.

"Ich finde": schon falsch. Hier geht es um Wahrscheinlichkeit und nichts anderes (und inwiefern und ob kleinste Wahrscheinlichkeiten etwas mit Zufall gemeinsam haben) .
Ja und bei der Frage nach dem Freiheitsbegriff der Kompatibilisten, geht es um schnöde Logik.
Begriffsbestimmung von Determinismus und Freiheit, schauen, ob die sich logisch in die Quere kommen, mit dem Freiheitsbegriff der Kompatibilisten tun sie das nicht, also folgt der Schluss, dass die beiden einander nicht ausschließen. Man kann auch rote Haare haben und evangelisch sein, das kommt sich auch nicht in die Quere.

Dr Fraggles hat geschrieben:Aber demonstrieren tust du eines schon: dass deine Argumente nicht nur rational sind, sondern der kompatibilistische Freiheitsbegriff dir einfach ganz gut in den Kram passt (sprich deinen Werten, deinen Bedürfnissen genügt).
Nein, denn wie ich langatmig ausführte, passt mir der kompatibilistische Freiheitsbegriff nicht sonderlich in den Kram, er ist mir eher unsympathisch und zweitens glaube ich auch nicht, dass die Welt in diesem strengen Sinne determiniert ist.
Aber weder geht es dabei um meine persönlichen Vorlieben, noch ist es relevant, ob ich an diesen 100%igen Determinismus glaube, der Kompatibilismus ist ein Gedankenexperiment, was einem „was wäre, wenn...“-Frage klären will, das geht nur logisch und meines Erachtens klärt.

Wäre die Welt zu 100% determiniert (woran ich nicht glaube), dann wäre es logisch möglich, dass der Mensch frei Entscheidungen trifft, wenn man unter Freiheit versteht, ohne inneren und äußeren Zwang, das hast Du ja sehr schön dargestellt, gemäß der eigenen Prämissen abzuwägen und reflektierend zu urteilen und also rational zu urteilen.
Das ist die Geschichte.

Wem sie nicht passt, der kann sie korrigieren, aber die Karten der Kompatibilisten liegen offen auf dem Tisch.

Dr Fraggles hat geschrieben:Nur: damit ist der kompatibilistische Freiheitsbegriff nicht schon hinlänglich (also bezüglich umfassenderen Bedürfnissen) begründet, das dürfte wohl evident sein.
Mag sein, wenn Du noch verrätst, welche umfassenderen Bedürfnisse Dir da vorschweben.

Dr Fraggles hat geschrieben:Im Gegenteil: umfassend gerechtfertigt wäre er nur wenn er JEDES Bedürfnis abdecken würde.
Warum?
Wenn ich Pizza bestelle und kriege, habe ich bekommen, was ich wollte, wenn meine Traumfrau einen anderen anderen hat, ist das schade, besagt aber nur, dass nicht alle meine Wünsche in Erfüllung gehen. Da vermutlich nie restlos alle meine Wünsche in Erfüllung gehen, wäre das Thema Freiheit damit gegessen, aber warum es zur Freiheit meiner Entscheidung welchen Beruf ich ergreife, gehören soll, dass dies davon abhängt, dass ich im Alter nicht dement werde (also: für die Erfüllung einiger Wünsche, die Erfüllung aller Wünsche eine notwendige Bedingung sein soll) kann ich nicht erkennen.
(Nebenbei kann ich auch dann aus freien Stücken etwas wollen, wenn der Wunsch nicht in Erfüllung geht.)

Dr Fraggles hat geschrieben:Und da nicht alle meine Ansprüche an die Rationalität der Verhältnisse durch diesen Freiheitsbegriff gedeckt sind, ist er faktisch nicht als umfassend genügender Freiheitsbegriff gerechtfertigt (hier gibt es nicht nur formal eine Parallele zur Theodizee).
Es verläuft nicht alles rational, klar.
Aber muss das gegeben sein, damit Du einen freien Willen hast? Du kettest den Begriff der Freiheit an den Allmacht (oder mindestens allumfassende Wunscherfüllung), aber dazu besteht logisch keine Notwendigkeit.
Weder muss man allwissend, noch allmächtig sein (noch muss alles, was man wünscht eintreffen), um frei zu sein.

Dr Fraggles hat geschrieben:Hm, da spüre ich doch wieder etwas an Sympathie in mir hochsteigen. Es ist nicht das Bedürfnis nach einer indeterministischen Freiheit an sich, welche ich vermisse. Es geht darum, wie oben schon angedeutet, dass z.B. Glück und Leid auf dieser Welt dermassen unterschiedlich verteilt sind, und dass diese Tatsache für mich im Grunde unerträglich wäre (wenn ich nicht wie jeder permanent zur Seite schieben, verdrängen würde oder schlicht resigniert hätte) angesichts dessen, dass niemand etwas dafür kann, es keine wirkliche Wahl gibt. Der Böse lebt im Glück und der Gute im Leid um es sehr plakativ-ideologisch zu formulieren (aber irgendwie muss ich es dir verständlich machen können...).
Zwar geht es dabei m.E. weder um Sympathie, noch um moralische Irritationen – die ich nachvollziehen kann – aber ich kann Dich, was diese Punkte angeht umfassend beruhigen. Weder AgentProvocateur, noch Nanna (soweit ich für die beiden sprechen kann, aber ich bin mir da recht sicher) und ganz sicher auch ich, sind der Meinung, dass man sich mit einem kompatibilistischen Freiheitsbegriff aus der Verantwortung stehlen kann.
Ganz im Gegenteil glaube ich, dass man allein dadurch, dass man begründen kann, was man tut und dadurch, dass Begründungen uns normativ festlegen überhaupt erst in der Verantwortung steht und stehen kann. Der Hund kann nichts dafür, wenn er die teure Vase umwirft (denn er kann den Wert der Vase nicht bemessen), sagt man uns diese Vase sei jemandem monetär und emotional lieb und teuer, ist das sofort (auch wenn nicht explizit gesagt) ein Appell, sorgsam mit dem Ding umzugehen. Und das versteht auch jeder.

Dr Fraggles hat geschrieben:
Ich möchte diese Kritik nur verstehen und mir ist bisher klar, dass Du meinst, dass etwas durchaus Wesentliches fehlt, nicht verstanden haben ich, was dieses Wesentliche sein soll.

Falls du es immer noch nicht verstanden hast, werde ich mich um weitere Beispiele bemühen. Und nichts für ungut!

Kein Problem, kann sein, dass wir der Lösung näher kommen und Du hast ja andererseits bei ganimed eine Erkenntnistür geöffnet, das wird schon.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Fr 7. Feb 2014, 20:11

Hier gibt's alles, was man über Deterninsimus wissen muss:
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Fr 7. Feb 2014, 22:18

Der Lauf der Dinge - ganz ohne Worte ;-)

Benutzeravatar
ice
 
Beiträge: 82
Registriert: Sa 29. Dez 2012, 20:23

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 8. Feb 2014, 07:16

Dr Fraggles hat geschrieben:Die Fragestellung ist ja folgende gewesen (da ich Faktoren des Typus K3 unter Determinanten des Typus "Zwang" subsummiere bzw. damit gleichsetze): ist die Unterscheidung welcher der Kompatibilismus zwischen freien und zwingenden Determinanten macht relevant? In den Beispielen das Strafrecht betreffend, ist der Unterschied augenfällig und auch berechtigt.

"Und auch berechtigt"? Da würde ich gerne weiterfragen wollen. Wieso ist die Unterscheidung in Determinanten K1, die nicht als Zwang erlebt werden und Determinanten K3, die als Zwang erlebt werden, berechtigterweise relevant?

Denn wohlgemerkt glauben wir Inkompatibilisten doch, dass K1 objektiv gesehen ebenso Zwang ist wie K3 (determiniert ist determiniert). Der Mörder vor Gericht ist also in beiden Fällen gleichermaßen unschuldig, egal ob er durch K1 determiniert (gezwungen) war oder durch K3. Der einzige Unterschied ist nur, dass der Mörder K1 gar nicht als Zwang wahrgenommen hat und dann wohlmöglich gar nicht auf die Idee kommt, auf unschuldig zu plädieren.

Also meine Frage: sollte die Unschuld des Mörders nicht besser von der objektiven Zwanghaftigkeit von K1 und K3 abhängen (welche genau gleich ist) als von der subjektiv erlebten (wo K3 viel zwanghafter zu sein scheint)?
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 8. Feb 2014, 07:44

@Vollbreit
Ich wollte in den letzten Tagen auf deine spannenden, teilweise flammenden Ausführungen gepfeffert antworten. Aber erst fand ich zu wenig Zeit und dann erschien mir die Front bereits zu ausgefranst und zerredet, so dass ich Probleme hatte, einen geeigneten Anknüpfungspunkt zu finden. Ich versuch es jetzt mal mit einem Bezug auf den von dir ursprünglich verlinkten Artikel, inzwischen meine Lieblingslektüre. Wenn ich dich bisher richtig gelesen habe, dann neigst du zu folgender kompatibilistischen Position:
    "Willensfreiheit nach Locke
    Eine Person ist in einer Entscheidung frei, wenn sie erstens die Fähigkeit besitzt, vor der Entscheidung innezuhalten und zu überlegen, was zu tun richtig wäre, und wenn sie zweitens die Fähigkeit besitzt, dem Ergebnis dieser Überlegung gemäß zu entscheiden und zu handeln."
Sehe ich das richtig?

Wenn ja, dann glaube ich inzwischen, dich zu verstehen. Falls nein, dann verstehe ich vielleicht nur den Herrn Locke. Ich würde gerne überprüfen wollen, ob ich euch richtig verstehe.
Noch vor einer Woche hätte ich so gegen diese Position argumentiert: eine durch kausale Faktoren determinierte Entscheidung wird nicht deshalb frei, weil ich beim Entscheiden kausal determiniert innehalte, kausal determiniert überlege und dann gemäß dieser determinierten Vorgänge entscheide. Die Entscheidung kann man dann zwar "überlegt" nennen, aber nicht "frei".

Durch ein Aha-Erlebnis glaube ich nun aber, auf meine bohrende Frage, wieso du so etwas trotzdem "frei" nennst, endlich eine Antwort gefunden zu haben. Du nennst eine Entscheidung genau dann frei, wenn sie sich so anfühlt, als wäre sie frei. Dein Freiheitsbegriff bezieht sich also nicht auf die objektive Ebene, wo wir uns ja einig sind, dass alle Entscheidungen determiniert sind. Und determiniert heißt, das habe ich nochmal nachgeschlagen, so etwas wie "begrenzen", "binden", "festlegen", "fixieren" ... was für mich alles ziemlich unfrei klingt. Jetzt verstehe ich (glaube zu verstehen), dass du die Entscheidung trotzdem frei nennst, weil du eigentlich "frei auf subjektiver Ebene" meinst. Frei ist demnach, wenn man es als frei erlebt.

Wann erlebe ich eine Entscheidung als frei? Ich habe erst dann das Gefühl, selber entschieden zu haben und nicht durch unkontrollierbare, fremde Dinge bestimmt worden zu sein, wenn ich beispielsweise eine Erinnerung an meine Überlegungen habe, wenn ich bewusst erlebt habe, wie ich rational an der Entscheidung gearbeitet habe. Nur dann habe ich auch die Bedingungs-Elemente "Urheberschaft" und "Kontrolle" erlebt. Und ein Gefühl der Freiheit habe ich bei Abwesenheit von Zwang. Wenn ich also das Gefühl habe, dass meine Entscheidung mit meinen Wünschen, Neigungen und Auffassungen in Übereinstimmung zu bringen ist. Und dann verstehe ich auch deine oftmalige Erwähnung, dass wir keine Gottperspektive, kein vorheriges Wissen über die Zukunft haben. Denn hätten wir das, würde das unser Freiheits-Erleben gefährden, weil wir dann "sähen", dass es genau so kam wie wir vorher bereits gewusst hätten, und das würde sich natürlich nicht mehr wie eine Entscheidung anfühlen.

Mit einem Wort: endlich kapiere ich, aus welcher Ecke deine Argumente kamen. Du hälst eine Entscheidung dann für frei, wenn man sie als frei erlebt. Deshalb gehört für dich (und Locke) genau das zur Freiheit, was verhindert, dass wir uns über die Determiniertheit bewusst werden.

Liege ich richtig? Oder habe ich da noch Denkfehler?
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Sa 8. Feb 2014, 08:58

ice hat geschrieben:Der Lauf der Dinge - ganz ohne Worte ;-)

Gutes Beispiel dafür, dass umliegende Gegenstände von diesem Ablauf unberührt bleiben.

Dr Fraggles hat geschrieben:Nein, da verstehst du ujump falsch.
Bist du eigentlich schon mal auf die Idee gekommen, dass DU etwas falsch verstehen könntest?
Die beiden Videos zeigen doch ganz deutlich, wo deine Theorie den Abzweig auf den Holzweg nimmt.

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Sa 8. Feb 2014, 09:11

ganimed hat geschrieben:Und ein Gefühl der Freiheit habe ich bei Abwesenheit von Zwang. Wenn ich also das Gefühl habe, dass meine Entscheidung mit meinen Wünschen, Neigungen und Auffassungen in Übereinstimmung zu bringen ist.

Frei bist du immer dann, wenn du eine Wahl hast. Als selbstbestimmter, denkender Mensch bist du in der Lage das zu begreifen und kannst entscheiden, wie du dich verhalten möchtest. Wärest du als Pflanze geboren, könntest du das nicht. Du müsstest auf der Stelle stehen bleiben, immerzu wachsen und beständig zusehen, dass die Vermehrung über äußere Einflüsse irgendwie zustande kommt. Aber selbst hier sind die Einflüsse gemäß der äußeren Umstände nicht immerzu dieselben. Wäre die Natur determiniert, müsste immer alles gleich ablaufen und zum gleichen Ziel führen. Evolution ist deswegen das äußere Zeichen für eine unklare, also noch nicht bestimmte Zukunft.

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 8. Feb 2014, 09:36

ganimed hat geschrieben:Liege ich richtig?

Ich befürchte, das wäre ein Fall von dem was Kahneman als "illusion of understanding" beschreibt. Oder klassisch: Aus falschem kann auch richtiges Folgen. Das Grundübel eures streckenweise wertlosen Diskurses liegt in der unbekümmerten Vermischung der Begriffsebenen Physik und Psychologie.

Willensfreiheit ist schlicht das, was du als deinen "freien Willen" psychologisch erlebst. Diesem Erleben ist seine eigene physikalische Determiniertheit unzugänglich, d.h. sie wird nicht erlebt, obgleich man indirekt darauf schließen kann.

Der Nutzen einer Dampfmaschine entsteht nicht durch diejenigen Eigenschaften, die sie mit aller übrigen Materie teilt. Niemand würde eine Dampfmaschine als "bloß 2 Tonnen Stahl" beschreiben. Der Nutzen besteht in ihrer ganz speziellen Bauart. Allgemeiner ausgedrückt: er besteht in der in ihr konservierten Information. Mit dem Gehirn und dem darin ablaufenden Prozessen, von denen wir den einen "Willensfreiheit" nennen, ist das genau so. Man kann eine Dampfmaschine aber aus 2 Tonnen Stahl herstellen, - das macht ihre "Reduzierbarkeit" aus.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 8. Feb 2014, 10:24

ganimed hat geschrieben:Wenn ich dich bisher richtig gelesen habe, dann neigst du zu folgender kompatibilistischen Position:
    "Willensfreiheit nach Locke
    Eine Person ist in einer Entscheidung frei, wenn sie erstens die Fähigkeit besitzt, vor der Entscheidung innezuhalten und zu überlegen, was zu tun richtig wäre, und wenn sie zweitens die Fähigkeit besitzt, dem Ergebnis dieser Überlegung gemäß zu entscheiden und zu handeln."
Sehe ich das richtig?

Ja.

ganimed hat geschrieben:Wenn ja, dann glaube ich inzwischen, dich zu verstehen. Falls nein, dann verstehe ich vielleicht nur den Herrn Locke. Ich würde gerne überprüfen wollen, ob ich euch richtig verstehe.
Noch vor einer Woche hätte ich so gegen diese Position argumentiert: eine durch kausale Faktoren determinierte Entscheidung wird nicht deshalb frei, weil ich beim Entscheiden kausal determiniert innehalte, kausal determiniert überlege und dann gemäß dieser determinierten Vorgänge entscheide. Die Entscheidung kann man dann zwar "überlegt" nennen, aber nicht "frei".

Durch ein Aha-Erlebnis glaube ich nun aber, auf meine bohrende Frage, wieso du so etwas trotzdem "frei" nennst, endlich eine Antwort gefunden zu haben. Du nennst eine Entscheidung genau dann frei, wenn sie sich so anfühlt, als wäre sie frei.
Nein.
Weil das, was Du „überlegt“ nennst von den Kompatibilisten „frei“ genannt wird.

ganimed hat geschrieben:Dein Freiheitsbegriff bezieht sich also nicht auf die objektive Ebene, wo wir uns ja einig sind, dass alle Entscheidungen determiniert sind.

Doch.
Es gibt einfach zwei Komponenten beim Kompatibilismus.
1) Determinismus. Darüber, was das ist, sind hier alle mehr oder weniger einer Meinung.
2) Freiheit. Darüber sind wir alle etwas unterschiedlicher Meinung.

Aus dem Verhältnis von Determinismus und Freiheit zueinander ergeben sich nun folgenden Postionen:

A. Der Inkompatibilismus (These: Determinismus und Freiheit schließen einander aus.)

Der Inkompatibilismus hat zwei Unterarten:

A.1. Libertarismus (Inkompatibilistische Grundthese: Determinismus und Freiheit schließen einander aus. Spezielle Variante: Der Wille, die Willensentscheidung, ist nicht deterministisch gebunden.)

Es ist diese Position gegen die die andere inkompatibilistische Form – die ich gleich behandle - immer argumentieren möchte.
Problem: Es gibt eigentlich niemanden, der diese Form des Libertarismus, in einer harten Form, überhaupt vertritt.

Der von Dr Fraggles erwähnte Geert Keil bezeichnet sich als Libertarier, aber vertritt diesen in einer eher moderaten Form und kann m.E. auch nicht erklären, wie und warum nun der Wille losgelöst vom Determinismus funktionieren kann.

A.2. Der (neurobiologische) Determinismus (Inkompatibilistische Grundthese: Determinismus und Freiheit schließen einander aus. Spezielle Variante: Es gibt keinen freien Willen, da alles, auch das Gehirn - neuronale Abläufe - determiniert ist.)

Das ist die Spielwiese all der Singers und Roths, die Position, die Du kennst.


Eine zu beiden Positionen konträre Auffassung, ist diese.

B. Der Kompatibilismus (These: Determinismus und Freiheit schließen einander nicht aus.)

All das sind rein logisch formal sich ergebene Postionen.
----------------

Da wir über den Determinismus, weitgehend einer Meinung sind, ist die Definition von „Freiheit“ der Knackpunkt.
Hobbes' Definition ist dabei die, auf die die Kompatibilisten hier sich wesentlich beziehen, Du hast sie oben selbst zitiert.
Dein früherer Einwand, den Du oben erwähntes folgt der A.2. Determinismus Auffassung.

Dass Du nun ein „Freiheitsgefühl“ ins Spiel bringt, verkennt den logischen Charakter des Ganzen.

Es ist ungefähr so als wenn man denkt, es gäbe A.1. Tiere, die Eier legen und eine Schnabel haben ODER A.2. Säugetiere.
Und dann entdeckte man B. das Schnabeltier, das Eier legt, einen Schnabel hat UND ein Säugetier ist.

Der Kompatibilismus ist das Schnabeltier (Freiheit UND Determinismus), Du bist aber immer noch auf der entweder/oder Spur.
Man hat aber kein Schnabeltiergefühl, sondern es gibt ganz einfach Schnabeltiere, die Möglichkeit, dass beides zusammen auftritt und sich nicht ausschließt.


ganimed hat geschrieben:Und determiniert heißt, das habe ich nochmal nachgeschlagen, so etwas wie "begrenzen", "binden", "festlegen", "fixieren" ... was für mich alles ziemlich unfrei klingt.
Determiniertsein heißt, dass die Ereignisse zum Zeitpunkt t2 aus den Ereignissen zum Zeitpunkt t1 folgen.

ganimed hat geschrieben:Jetzt verstehe ich (glaube zu verstehen), dass du die Entscheidung trotzdem frei nennst, weil du eigentlich "frei auf subjektiver Ebene" meinst. Frei ist demnach, wenn man es als frei erlebt.
Nein, siehe oben.
Es geht um Logik, nicht um eine wohliges Gefühl im Bauch. Du bist noch immer auf dem komplett falsch Dampfer.

ganimed hat geschrieben:Wann erlebe ich eine Entscheidung als frei? Ich habe erst dann das Gefühl, selber entschieden zu haben und nicht durch unkontrollierbare, fremde Dinge bestimmt worden zu sein, wenn ich beispielsweise eine Erinnerung an meine Überlegungen habe, wenn ich bewusst erlebt habe, wie ich rational an der Entscheidung gearbeitet habe.
Wenn ich eine rationale Entscheidung getroffen habe, habe ich nicht das Gefühl frei zu sein, sondern dann bin ich, formallogisch frei. Aus Sicht der Kompatibilisten.

ganimed hat geschrieben:Nur dann habe ich auch die Bedingungs-Elemente "Urheberschaft" und "Kontrolle" erlebt.
Ja, erlebt, weil ich Urheber war. Ich habe mich dazu entscieden.

ganimed hat geschrieben:Und ein Gefühl der Freiheit habe ich bei Abwesenheit von Zwang.
Zwang und Freiheit schließen einander aus, da ich, wenn ich gezwungen werde, eben nicht frei entscheide, d.h. in dem Fall so, wie ich entscheiden würde, wenn man mich nicht erpresst (äußerer Zwang) oder eine Krankheit mit zwingt Verrenkungen zu machen und Beleidigungen auszustoßen (innerer Zwang).

ganimed hat geschrieben:Wenn ich also das Gefühl habe, dass meine Entscheidung mit meinen Wünschen, Neigungen und Auffassungen in Übereinstimmung zu bringen ist.

Ja, aber Deine Fokussierung auf das Gefühl ist irritierend. Wenn Du gleich nach Holland fahren willst und es tust, dann tust Du was Du willst (nach Holland fahren).
Du hast nicht einfach das Gefühl, Du würdest nach Holland fahren und Du hast auch nicht das Gefühl, es sei Dein Wunsch nach Holland fahren zu wollen, sondern Du willst es.
Ich habe auch nicht irgendwie das Gefühl, dass ich Dir eine Antwort schreiben will, ich tue es.

ganimed hat geschrieben:Und dann verstehe ich auch deine oftmalige Erwähnung, dass wir keine Gottperspektive, kein vorheriges Wissen über die Zukunft haben. Denn hätten wir das, würde das unser Freiheits-Erleben gefährden, weil wir dann "sähen", dass es genau so kam wie wir vorher bereits gewusst hätten, und das würde sich natürlich nicht mehr wie eine Entscheidung anfühlen.
Das ist glaube ich nahe dran.
Hätten wir Gottes Perspektive zur Verfügung (sagen wir durch „Gottipedia“) dann bräuchten wir nicht mehr abzuwägen, wir wüssten genau was kommt.
Das wäre eine völlig andere Situation, aber wir wären dann auch nicht mehr wir, denn die Vorläufigkeit und Unvollkommenheit unseres Wissens erfordert, dass wir rational abwägen. Rationalität ist ja im Grunde ein Hilfskonstrukt von uns, um Welt zu begreifen, die Vorstellungen die Welt müsste eine rationale Maschine sein, könnte sich als etwas zu optimistisch erweisen.

ganimed hat geschrieben:Mit einem Wort: endlich kapiere ich, aus welcher Ecke deine Argumente kamen. Du hälst eine Entscheidung dann für frei, wenn man sie als frei erlebt.
Nein, dem kann ich mich so nicht anschließen. Nicht, weil ich mich als unfrei erlebe, sondern weil das den inkompatibilistischen Geruch von „er ist in Wahrheit nicht frei, fühlt sich aber so“ hat. Der Kompatibilist behauptet, dass wir rein logisch, ganz ehrlich und in Wahrheit frei sind und nicht nur so tun als ob, damit wir etwas glücklicher sind.

ganimed hat geschrieben:Deshalb gehört für dich (und Locke) genau das zur Freiheit, was verhindert, dass wir uns über die Determiniertheit bewusst werden.
Total falsch.

ganimed hat geschrieben:Liege ich richtig? Oder habe ich da noch Denkfehler?
Siehe oben.
Du bekommt den Inkompatibilismus einfach nicht aus dem Knochen.
Es fällt Dir schwer die Position zu wechseln und wie ein Kompatibilist zu denken. Du bist Inkompatibilist und als solcher immer noch auf der Fehlersuche.

Das ist, als wenn Du überzeugter Fleischesser bist, auf einen Vegetarier triffst und ihn nun in der Form interviewst, dass Du „seine Krankheit“ erkennen willst, statt darin eie andere Form der Ernährung zu sehen.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 8. Feb 2014, 10:30

stine hat geschrieben:Frei bist du immer dann, wenn du eine Wahl hast.

Du blendest hier die Frage, ob die Wahl frei ist, aus. Ich sage ja nicht, dass ich keinen Willen habe, dass ich mich nicht entscheiden könnte. Ich sage nur, dass ich keinen freien Willen habe und dass ich keine freien Entscheidungen treffen kann. Eben wegen der Determiniertheit. Determiniert sein heißt doch gerade unfrei zu sein.

stine hat geschrieben:Als selbstbestimmter, denkender Mensch bist du in der Lage das zu begreifen und kannst entscheiden, wie du dich verhalten möchtest.

Ja, ich kann entscheiden, wie ich mich verhalten möchte. Dabei fehlen mir aber die Freiheitsgrade. Ich kann mich immer nur für eine Sache entscheiden (nämlich die, welche determiniert ist). Wenn ich im Supermarkt nur eine einzige Shampoomarke angeboten bekommen, kann ich die wählen. Aber man erzähle mir an der Kasse bitte nicht, dass ich mich frei entschieden hätte.

ujmp hat geschrieben:Das Grundübel eures streckenweise wertlosen Diskurses liegt in der unbekümmerten Vermischung der Begriffsebenen Physik und Psychologie.

Also kein Übel sondern sogar ein Grundübel? Na, das Grundgute an demselben Diskurs ist dann vielleicht, dass es mir jedenfalls Spaß bereitet. Ich würde es also nicht gar so pessimistisch formulieren.

ujmp hat geschrieben:Willensfreiheit ist schlicht das, was du als deinen "freien Willen" psychologisch erlebst. ... Niemand würde eine Dampfmaschine als "bloß 2 Tonnen Stahl" beschreiben.

Das ist eine tapfere Behauptung. Jetzt noch eine gute Begründung von dir und der wertlose Diskurs erfährt möglicherweise eine ungeahnte Wertsteigerung. Dein Bezug auf ein angebliches Problem des Reduktionismus bei Dampfmaschinen finde ich nicht überzeugend. Natürlich gehen bei der Reduktion Informationen verloren. Wenn man nur noch 2 Tonnen Stahl sagt hat man ja alle Strukturinfos verloren und damit auch diesen Dampf-Trick-Antriebs-Effekt. Bei der Reduktion von psychologischen Entscheidungsvorgängen auf neuronale Vorgänge verliere ich auch jede Menge Information. Das gebe ich gerne zu. ABER ich behalte mindestens die Eigenschaft des Determinismus. Wenn die neuronalen Vorgänge deterministisch sind, dann sind es auch die psychologischen. Und das ist der Trick bei der Reduktion. Nur die Informationen, die nicht verloren gehen, betrachten und damit an Erkenntnis gewinnen. Bei der 2-Tonnen-Stahl-Dampfmaschine behalte ich zum Beispiel die Information, dass eine Dampfmaschine vermutlich 2 Tonnen wiegt und magnetisch ist. Und wenn mir nur diese beiden Dinge wichtig sind, wieso soll ich dann die ganze Zeit strukturelle Feinheiten mitschleppen? Also werfen wir doch den Käse mit dem Innehalten, rational Nachdenken und Abwägen getrost über Bord. Wir reden doch hier über eine Eigenschaft, die man bei der Reduktion zum Glück nicht verfälscht, über die Determiniertheit.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 8. Feb 2014, 11:29

ganimed hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Willensfreiheit ist schlicht das, was du als deinen "freien Willen" psychologisch erlebst. ... Niemand würde eine Dampfmaschine als "bloß 2 Tonnen Stahl" beschreiben.

Das ist eine tapfere Behauptung. Jetzt noch eine gute Begründung von dir und der wertlose Diskurs erfährt möglicherweise eine ungeahnte Wertsteigerung. Dein Bezug auf ein angebliches Problem des Reduktionismus bei Dampfmaschinen finde ich nicht überzeugend. Natürlich gehen bei der Reduktion Informationen verloren. Wenn man nur noch 2 Tonnen Stahl sagt hat man ja alle Strukturinfos verloren und damit auch diesen Dampf-Trick-Antriebs-Effekt. Bei der Reduktion von psychologischen Entscheidungsvorgängen auf neuronale Vorgänge verliere ich auch jede Menge Information. Das gebe ich gerne zu. ABER ich behalte mindestens die Eigenschaft des Determinismus. Wenn die neuronalen Vorgänge deterministisch sind, dann sind es auch die psychologischen. Und das ist der Trick bei der Reduktion. Nur die Informationen, die nicht verloren gehen, betrachten und damit an Erkenntnis gewinnen. Bei der 2-Tonnen-Stahl-Dampfmaschine behalte ich zum Beispiel die Information, dass eine Dampfmaschine vermutlich 2 Tonnen wiegt und magnetisch ist. Und wenn mir nur diese beiden Dinge wichtig sind, wieso soll ich dann die ganze Zeit strukturelle Feinheiten mitschleppen? Also werfen wir doch den Käse mit dem Innehalten, rational Nachdenken und Abwägen getrost über Bord. Wir reden doch hier über eine Eigenschaft, die man bei der Reduktion zum Glück nicht verfälscht, über die Determiniertheit.

Ich habe nie die physikalische Determiniertheit des menschlichen Willens bestritten. Nur ist die physikalische Determiniertheit für das psychologische Erleben irrelevant.

Die interessante Frage ist doch: Wodurch konkret wird denn dein Wille determiniert?

Wenn A von X determiniert wird und B ebenfalls von X determiniert wird, bedeutet das nicht, dass A und B in irgendeiner Wechselwirkung stehen - das kann sein, aber es muss nicht. Was ich meine ist, dass der Prozess in deinem Gehirn, den du psychologisch als Willensfreiheit erlebst, als physikalisches Objekt zwar von einem X determiniert wird, aber dennoch frei - und zwar absolut frei -von Wechselwirkungen mit anderen Objekten der physikalischen Welt ist, die ebenfalls von X determiniert werden. Für X kann man z.B. "Energie" einsetzen.

Die Funktion einer Dampfmaschine hängt nicht von den Determinanten ab, die sie mit jeglicher Materie teilt, sondern davon, was eine Dampfmaschine auszeichnet. Man darf Reduktion nicht mit Verallgemeinerung verwechseln. Die materielle Welt besteht nicht nur aus Stoff, sondern auch aus Ordnung. Der selbe Stoff kann unzählig viele Ordnungen einnehmen ("space of states"). Man kann sowohl den Stoff als auch die Ordnung reduktionistisch beschreiben, und zwar in Begriffen des Raumes. Eine dieser Ordnungen nennen wir "Dampfmaschine". Diese Ordnung ist die Dampfmaschine. Die Beschreibung dieser Ordnung ist die vollständige Beschreibung einer Dampfmaschine.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 8. Feb 2014, 13:12

ujmp hat geschrieben:Nur ist die physikalische Determiniertheit für das psychologische Erleben irrelevant.

Wieso dies? Ist denn das psychologische Erleben nicht ein emergentes Phänomen der physikalisch-chemischen neuronalen Abläufe? Wenn ja, dann gilt die Determiniertheit auf neuronaler Ebene ebenso für die psychologische.

ujmp hat geschrieben:Was ich meine ist, dass der Prozess in deinem Gehirn, den du psychologisch als Willensfreiheit erlebst, als physikalisches Objekt zwar von einem X determiniert wird, aber dennoch frei - und zwar absolut frei -von Wechselwirkungen mit anderen Objekten der physikalischen Welt ist

Du sagst, der Prozess in meinem Gehirn ist als physikalisches Objekt von X determiniert. Was nützt es mir da, wenn er frei von Wechselwirkungen mit anderen physikalischen Objekten ist? Wenn ich nur an einer Kette hänge statt an vielen, das soll mir die Freiheit bringen? Von einem Objekt zu 100% determiniert zu werden würde ich als ebenso unfrei ansehen wie jede ander Determinierung.
Der Prozess in meinem Gehirn, den ich als Willensfreiheit erlebe, ist in Wirklichkeit vom X determiniert und deshalb nicht frei.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 8. Feb 2014, 14:14

Vollbreit hat geschrieben:Weil das, was Du „überlegt“ nennst von den Kompatibilisten „frei“ genannt wird.

Ich habe eine Theorie genannt, wieso du eine überlegte Entscheidung frei nennst. Hast du auch eine? Bekanntermaßen hast du sie bisher nicht erwähnt, wenn ich dich danach gefragt habe. Bevor du also einfach meine Theorie abtust (endlich habe ich eine und kann mir deine Wortverdrehung erklären), hätte ich gerne noch eine Begründung. Wieso macht eine determinierte Überlegung eine Entscheidung frei? Frei wovon? Wieso frei?

Vollbreit hat geschrieben:Da wir über den Determinismus, weitgehend einer Meinung sind, ist die Definition von „Freiheit“ der Knackpunkt.
Hobbes' Definition ist dabei die, auf die die Kompatibilisten hier sich wesentlich beziehen, Du hast sie oben selbst zitiert.
Dein früherer Einwand, den Du oben erwähntes folgt der A.2. Determinismus Auffassung.

Dass Du nun ein „Freiheitsgefühl“ ins Spiel bringt, verkennt den logischen Charakter des Ganzen.

Was ist denn bitteschön der logische Charakter? Was ist denn deine Logik, wenn du eine determinierte Entscheidung als frei bezeichnest?

Nehmen wir ein Beispiel: eine Zug fährt in einen Bahnhof ein. An welchem Gleis er hält wird von einer Weiche bestimmt. Je nachdem, wie die Weiche eingestellt ist, hält der Zug an Gleis 1 oder 2.
Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass die Gleisentscheidung des Zugs determiniert wird von der Weiche. Die Gleisentscheidung des Zugs ist demnach wohl kaum als frei zu bezeichnen.

Nehmen wir noch ein Beispiel: du (ein Mensch) läufst auf den Schienen in einen Bahnhof rein. An einer Stelle, wo die Schinen sich teilen, kannst du entscheiden, ob du links zu Gleis 1 oder rechts zu Gleis 2 laufen möchtest, um dort meinetwegen die Schienen zu verlassen.

Ich als Inkompatiblilist nenne die Entscheidung des Zugs unfrei und die des Menschen ebenfalls unfrei. Beide Entscheidungen waren determiniert. Na, und ich will die Inkompatibilisten nicht selber loben, aber das ist doch mal eine logische Betrachtung. Die logische Regel: wenn du determiniert bist, dann biste nicht frei sondern bestimmt, festgelegt, begrenzt, bedingt, fixiert.

Du als Kompatibilist differenzierst:
a) der Zug ist immer unfrei. Der kann ja nicht denken und nicht wirklich entscheiden.
b) um zu entscheiden, ob du (der Mensch) frei entschieden hast, musst du wissen, wie die Entscheidung zustande kam, besser gesagt: wie du die Entscheidung erlebt hast und selber beurteilst.
-b1: du läufst auf den Gleisen, siehst die Verzweigung, überlegst kurz, welche Richtung dir lieber ist. Dir fällt ein, dass du als Kind in einer ähnlichen Situation mal nach rechts liefst und dann von einem Hund gebissen wurdest. Du entscheidest dich also diesmal lieber für links.
-b2: du läufst auf den Gleisen, siehst die Verzweigung und entscheidest dich völlig unbewusst, ohne zu wissen wieso, für links. (Aus der Gottperspektive wissen wir, dass du als Kind in einer ähnlichen Situation mal nach rechts liefst und dann von einem Hund gebissen wurdest. Die tief vergrabene Erinnerung kommt gar nicht ins Bewusstsein, sondern wird vom limbischen System unterbewusst bewertet, was den Impuls, nach links zu laufen, auslöst. Dir wird nur bewusst: ich will nach links, keine Ahnung wieso.)
-b3: du erhälst bei der Gleisverzweigung ein Funksignal und die in deinen Neuronen eingepflanzte Sonde generiert daraufhin das übermächtige Signal für die linke Seite. Du weisst nichts von der Sonde. Es kommt dir so vor, als hättest du urplötzlich den starken Wunsch gehabt, nach links zu laufen. Professor Mehdorn, der die Sonde programmierte und dir heimlich injeziert hatte, sitzt im Bahnhofsgebäude und lacht diabolisch.
-b4: du erhälst bei der Gleisverzweigung ein Funksignal und die in deinen Neuronen eingepflanzte Sonde generiert daraufhin das übermächte Signal für die linke Seite. Du weisst von der Sonde, weil dir der Assistenten des Professors, nachdem er ein schlechtes Gewisssen bekommen hatte, davon erzählte. Aber es nützt nichts, du kommst nicht gegen den Impuls an und läufst gegen deinen Willen nach links. Professor Mehdorn, der die Sonde programmierte und dir heimlich injeziert hatte, sitzt im Bahnhofsgebäude und lacht diabolisch.

Wenn man mich fragt: In allen Fällen war die Entscheidung für Gleis 1 unfrei, weil determiniert.
Wenn man dich fragt, in welchen Fällen würdest du (als Läufer) die Gleisentscheidung für frei halten?
Nur im Fall b1 hast du bewusst überlegt. In den Fällen b2 und b3 konntest du dich zumindest gemäß deines Wunsches entscheiden. In b4 sind vermutlich keine deiner Bedingungen für Freiheit erfüllt.

Alle Fälle haben eins gemeinsam: deine Entscheidung war determiniert und ergab immer das gleiche Ergebnis. Links. Wenn du die Fälle unterschiedlich frei wertest, kann es also nicht an der Determiniertheit liegen. Woran liegt es dann? Es hängt davon ab, wie du die Fälle erlebt hast und welchen Eindruck du gewonnen hast, oder? Es ist ein Wohlfühlkriterium, kein Fakten-Kriterium.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn ich eine rationale Entscheidung getroffen habe, habe ich nicht das Gefühl frei zu sein, sondern dann bin ich, formallogisch frei.

Woher weißt du denn, dass du eine rationale Entscheidung getroffen hast? Das kannst du nicht wissen, was bei dir im Kopf nun genau unbewusst verhandelt wurde, welche bewussten Argumente genau in welcher Reihenfolge auftauchten (und warum) oder ob gar die Mehdornsche Sonde mitmischt oder Süchte oder Hypnose oder Reflexe oder ein Tumor, der auf irgendwas drückt. Du hast nur das GEFÜHL, eine rationale Entscheidung getroffen zu haben. Das Wort "formallogisch" gehört also wohl kaum hierher.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 8. Feb 2014, 14:35

ganimed hat geschrieben:Wenn ich nur an einer Kette hänge statt an vielen, das soll mir die Freiheit bringen? Von einem Objekt zu 100% determiniert zu werden würde ich als ebenso unfrei ansehen wie jede ander Determinierung.
Der Prozess in meinem Gehirn, den ich als Willensfreiheit erlebe, ist in Wirklichkeit vom X determiniert und deshalb nicht frei.

Im Grunde sagst du damit "Ganimed ist im wesentlichen einige Dutzend Kilogramm Kohlenstoff und Wasser" und ignorierst dabei, dass diese Beschreibung auch auf einen Kübel Biomüll zutrifft. Ich kann dir nicht verbieten, deine Zeit mit der Bestätigung von falschen Vorstellungen zu verschwenden. Zum Schluss hast du aber eine Meinung, die man zwar nicht widerlegen kann, die aber auch komplett wertlos ist - maximal stellen sie eine Büste von dir in die Ruhmeshalle der Klugscheißer.

"Die Freiheit" ist für sich genommen inhaltsleer, da Freiheit ein relationaler Begriff ist: Frei - wovon? Die Funktionsweise einer Dampfmaschine hängt nicht davon ab, wie viele Wagons an der Lokomotive hängen. Die Dampfmaschine funktioniert nach ihren eigenen inneren Gesetzmäßigkeiten, die es ihr ermöglichen, die Trägheit der Wagons zu überwinden und sie in Bewegung zu setzen. Man kann eine Dampfmaschine abschalten, ihr die Energiezufuhr sperren oder sie mit zu vielen Wagons überlasten. Aber nichts davon determiniert die Funktionsweise dieser Maschine, sie funktioniert dann eben einfach nicht mehr. Was du als deinen Willen erlebst ist seine Funktionsweise. Die Frage ist, wodurch konkret diese Funktionsweise gestört werden kann. Dass dieser Prozess von allgemeinen Strukturen der Materie abhängt, ist ziemlich irrelevant. Das Spezielle ist das Interessante, nicht das Allgemeine!
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Sa 8. Feb 2014, 15:06

ganimed hat geschrieben:Du als Kompatibilist differenzierst:
a) der Zug ist immer unfrei. Der kann ja nicht denken und nicht wirklich entscheiden.
b) um zu entscheiden, ob du (der Mensch) frei entschieden hast, musst du wissen, wie die Entscheidung zustande kam, besser gesagt: wie du die Entscheidung erlebt hast und selber beurteilst.
Genau! Es ist egal, wie die Entscheidung zustande kam. Es war eine Entscheidung! Es kommt nicht auf das WIE sondern auf das OB an, OB eine Entscheidung dazu führte, sich so oder anders zu verhalten.
Mensch Meier, das ist doch nicht so schwer!
Nimm das doch nochmal genauer unter die Lupe, @ganimed:
ujmp hat geschrieben:Dass dieser Prozess von allgemeinen Strukturen der Materie abhängt, ist ziemlich irrelevant. Das Spezielle ist das Interessante, nicht das Allgemeine!


LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 8. Feb 2014, 16:19

stine hat geschrieben:Es ist egal, wie die Entscheidung zustande kam. Es war eine Entscheidung! Es kommt nicht auf das WIE sondern auf das OB an, OB eine Entscheidung dazu führte, sich so oder anders zu verhalten.
Mensch Meier, das ist doch nicht so schwer!

Führt eine determinierte Entscheidung dazu, sich so oder anders zu verhalten? Oder führt nicht eher die Determinierung der Entscheidung dazu, dass sie so ausfällt wie sie ausfällt und wir uns dann so oder anders verhalten?
Wenn das für dich nicht so schwer ist, na dann mal bitte her mit der Erleuchtung. Bei mir kommt es jedenfalls auch nicht auf das WIE an. Aber auch nicht auf das OB. Ich kann mir unabhängig davon denken, dass die Entscheidung nicht unabhängig war, also nicht frei.

ujmp hat geschrieben:Aber nichts davon determiniert die Funktionsweise dieser Maschine, sie funktioniert dann eben einfach nicht mehr. Was du als deinen Willen erlebst ist seine Funktionsweise.

Du willst darauf hinaus, dass ich das Konzept des "Willens" auf neuronaler Ebene verliere? Meinetwegen. Aber was ich nicht verliere, ist die eigentliche Funktion. Es geht auf beiden Ebenen um Entscheidungen und um Verhaltenssteuerung. Neuronen "wollen" in diesem Sinne nichts, aber entscheiden durch Abstimmungsprozesse (an denen, wenn ich recht verstehe, zum Beispiel Herr Singer forschte). Das relevante, was keinesfalls verloren gehen darf bei dieser Reduktion, ist die Determiniertheit dieser Entscheidungsprozesse. Sind sie auf der einen Ebene determiniert, dann sind sie es auch auf der anderen.
Und bei einer Reduktion, wohlverstanden, zerstöre ich nicht die Dampfmaschine und schmelze sie zu einem Stahlblock ein und wundere mich dann, wieso sie keine Wagons mehr zieht. Ich betrachte die Dampfmaschine nur einmal so und einmal so. Bei der Reduktion wird also die Funktionsweise der oberen Ebene nicht beeinträchtigt.

Die Funktion des psychologischen Entscheidungsprozesses ist es, Entscheidungen zu fällen und unser Verhalten zu steuern. Genau das machen neuronale Vorgänge auch. Die Funktion bleibt also erhalten.

ujmp hat geschrieben:Die Frage ist, wodurch konkret diese Funktionsweise gestört werden kann.

Oje, dann hast du die ganze Zeit die falsche Frage vor Augen. Nein, nein, die Frage ist, ob auf der oberen Ebene, auf der psychologischen Ebene, etwas hinzu kommt, was bei der Reduktion auf Neuronen verloren ging, und was man als Freiheit für den Willen und die Entscheidungen interpretieren kann. Zumindest ist das meine Frage. Hast du darauf eine Antwort? Meine Antwort wäre: nein, es kommt nichts derartiges hinzu.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 8. Feb 2014, 16:57

Vollbreit hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Und dann verstehe ich auch deine oftmalige Erwähnung, dass wir keine Gottperspektive, kein vorheriges Wissen über die Zukunft haben. Denn hätten wir das, würde das unser Freiheits-Erleben gefährden, weil wir dann "sähen", dass es genau so kam wie wir vorher bereits gewusst hätten, und das würde sich natürlich nicht mehr wie eine Entscheidung anfühlen.
Das ist glaube ich nahe dran.
Hätten wir Gottes Perspektive zur Verfügung (sagen wir durch „Gottipedia“) dann bräuchten wir nicht mehr abzuwägen, wir wüssten genau was kommt.

Nein, wüssten wir auch dann nicht. ;-)
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

VorherigeNächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste

cron