Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Sa 15. Feb 2014, 17:31

stine hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Für mich besteht der Unterschied, wie oben beschrieben, darin, dass die göttliche Instanz nur ein "Zusatz" ist, der in einer funktionierenden Natur nicht notwendig ist. Es macht die Sache nur problematisch und kompliziert.
Und hier ist aber die Frage an die Deterministen: Wieso konnte so eine Gottesgschichte so lange die Menschen leiten und wieso ist sie bis heute nicht aus der Welt?


Weil die naturwissenschaftliche Aufklärung/Bildung noch nicht überall wirkt und jeden erreicht hat? Weil die Macht und der Einfluss der einzelnen Religionen weltweit gesehen noch immer sehr groß ist? Weil viele Menschen nach wie vor einen höheren Sinn, übernatürliche Hilfe und Trost in existentiellen Krisenzeiten brauchen? Es gibt sicher viele Gründe und Faktoren, die Deine interessante Frage beantworten könnten. Ich bin da wahrscheinlich nicht der richtige Ansprechpartner, weil ich zu wenig über Religionen und deren Entstehung/Geschichte weiß.

stine hat geschrieben:Auch die kulturellen Errungenschaften sind determiniert, wenn alles determiniert ist. Was ist also das Geheimnis dahinter, dass der Mensch sich einen Gott schuf? Offensichtlich ist er Teil der Causalkette.
Wenn schon, denn schon - würd ich sagen.


Ja, ich gebe Dir völlig Recht. Die Erschaffung Gottes und alle kulturellen Errungenschaften sind mE Teil des kausal determinierten Entstehungs- und Entwicklungsprozesses bzw. der Menschheitsgeschichte und deshalb auch wahrscheinlich notwendig und festgelegt. Es steckt meiner Ansicht nach aber kein Geheimnis dahinter, dass sich der Mensch einen Gott schuf. Es gibt da sicher schon viele wissenschaftliche Theorien und Hypothesen darüber. Wie gesagt, habe ich mich da noch nicht eingelesen und kenne daher diese Theorien/Hypothesen nicht. Vielleicht können hier andere Teilnehmer weiterhelfen...
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 16. Feb 2014, 12:09

AgentProvocateur hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Anders gesagt: Deine Zukunft ist Dir notwendigerweise unbekannt, insofern, als sie Dir nicht vorhergesagt kann. Wobei es egal ist, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht.

Die Zukunft ist ja auch nicht das Problem, sondern ihre Vorherbestimmtheit. Eben sowenig ist nämlich auch die Vorherbestimmtheit der Vergangenheit bekannt.

Mein Punkt hier war der: in einer determinierten Welt ist es zwar hypothetisch möglich, die gesamte Zukunft exakt berechnen zu können, (praktisch ist das jedoch in unserer Welt aus diversen Gründen nicht möglich). Jedoch ist es in einer determinierten Welt prinzipiell nicht möglich, jemandem seine Zukunft vorherzusagen, (bzw. selber irgendwie seine Zukunft zu ermitteln). Durch die Vorhersage wird die Zukunft anders sein als vorhergesagt. Analog gilt das auch für eine beliebige andere Vorhersage, z.B. durch einen Gott, der nichts berechnet, sondern die Zukunft "einfach so" kennt.

Nehmen wir mal beispielhaft an, die Vorhersage lautete so: "Du wirst genau um 22:00 einen Schluck Wasser trinken". Bewappnet mit dieser Information trinkst Du einfach um 22:00 Uhr keinen Schluck Wasser und hast daher die Vorhersage ungültig gemacht. (Wir schließen mal aus, dass Gott Dich zwingt, das Wasser zu trinken.)

Das hat übrigens nichts mit Bewusstsein zu tun. Wir können uns eine einfache Maschine denken, die zwei Töne wiedergeben kann, einen hohen und einen tiefen Ton. Zusätzlich habe sie ein Interface, eine Datenleitung, über das man zwei Informationen senden kann, entweder "tiefer Ton" oder "hoher Ton". Die Maschine sei nun so "programmiert", (eine simple Festverdrahtung reicht dazu aus, daher die Anführungszeichen), dass sie beim Input "tiefer Ton" den hohen Ton spielt und vice versa. Dann ist es prinzipiell nicht möglich, der Maschine "vorherzusagen", welchen Ton sie spielen wird, denn die Maschine tut dann immer das Gegenteil der Vorhersage.


Das entspricht m.E. nicht dem Konzept des Determinismus, welches wesentlich aussagt, dass die Zukunft durch die Gegenwart festgelegt ist. Das ist in einem sehr universellen Sinn gemeint, also so, dass der gegenwertige Zustand des Universums die folgenden Zustände des Universums bestimmt. Was du hier dargestellt hast bedeutet einfach nur, dass deine Vorhersage nicht gestimmt hat, wenn sie nicht eintritt. Diese Vorhersage gehört als Irrtum zum gegenwärtigen Zustand des Universums und sie bildet - zumindest hier in deinem Beispiel- die Determination für den tatsächlichen Verlauf der Zukunft. Das Problem ist mal wieder, dass Bestimmtsein und Hypothese der Bestimmung nicht dasselbe sind (Physik vs. Psychologie). Die prinzipielle Vorhersagbarkeit der Zukunft, die sich aus dem Konzept des Determinismus ableiten lässt, ist ja nur theoretisch. Praktisch geht es sowieso nicht.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » So 16. Feb 2014, 13:02

ice hat geschrieben:Weil die naturwissenschaftliche Aufklärung/Bildung noch nicht überall wirkt und jeden erreicht hat? Weil die Macht und der Einfluss der einzelnen Religionen weltweit gesehen noch immer sehr groß ist? Weil viele Menschen nach wie vor einen höheren Sinn, übernatürliche Hilfe und Trost in existentiellen Krisenzeiten brauchen? Es gibt sicher viele Gründe und Faktoren, die Deine interessante Frage beantworten könnten. Ich bin da wahrscheinlich nicht der richtige Ansprechpartner, weil ich zu wenig über Religionen und deren Entstehung/Geschichte weiß.
Warum sollte eine absichtslose Natur solches Bewusstsein determinieren, das sich an etwas festmacht um es anschließend wieder abzuschaffen?
Ich denke um hier eine vernünftige Erklärung zu bekommen, muss man sich davon verabschieden, dem Menschen seinen freien Willen abzusprechen. Ansonsten wäre die Suche nach einem Gott in uns causal angelegt.

LG stine
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 16. Feb 2014, 15:00

stine hat geschrieben:Warum sollte eine absichtslose Natur solches Bewusstsein determinieren, das sich an etwas festmacht um es anschließend wieder abzuschaffen?

So knackst du die Nuss nicht. Die Sonne geht auf und die Sonne geht auch wieder unter - das ist schon die ganze Erklärung. Determinismus macht nämlich keine Aussage über den Zustände des Universums, sondern besagt nur, dass der der eine Zustand zwingend auf den anderen folgt.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 16. Feb 2014, 16:16

ujmp hat geschrieben:Das entspricht m.E. nicht dem Konzept des Determinismus, welches wesentlich aussagt, dass die Zukunft durch die Gegenwart festgelegt ist. Das ist in einem sehr universellen Sinn gemeint, also so, dass der gegenwertige Zustand des Universums die folgenden Zustände des Universums bestimmt. Was du hier dargestellt hast bedeutet einfach nur, dass deine Vorhersage nicht gestimmt hat, wenn sie nicht eintritt. Diese Vorhersage gehört als Irrtum zum gegenwärtigen Zustand des Universums und sie bildet - zumindest hier in deinem Beispiel- die Determination für den tatsächlichen Verlauf der Zukunft.

Soweit richtig.

ujmp hat geschrieben:Das Problem ist mal wieder, dass Bestimmtsein und Hypothese der Bestimmung nicht dasselbe sind (Physik vs. Psychologie). Die prinzipielle Vorhersagbarkeit der Zukunft, die sich aus dem Konzept des Determinismus ableiten lässt, ist ja nur theoretisch. Praktisch geht es sowieso nicht.

Da ich auch ein Beispiel mit einer Maschine ohne psychische Zustände gebracht habe, hat die prinzipielle Unmöglichkeit, bestimmten Systemen ihre Zukunft korrekt vorherzusagen, nichts wesentlich mit Psychologie zu tun.

In einer determinierten Welt ist es hypothetisch möglich, die Zukunft exakt zu berechnen. Aber es ist prinzipiell unmöglich, dieses Wissen zu verwerten, denn durch die Verwertung wird das Wissen hinfällig. Oder, mal so gesagt: die Zukunft der Welt kann hypothetisch nur von einem System außerhalb der Welt berechnet werden.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 16. Feb 2014, 17:07

ujmp hat geschrieben:Determinismus macht nämlich keine Aussage über den Zustände des Universums, sondern besagt nur, dass der der eine Zustand zwingend auf den anderen folgt.

Anmerkung: Das "zwingend" ist für einen Anhänger der Humeschen Metaphysik, wie ich es bin, schlecht zu akzeptieren, da ziemlich harter metaphysischer Tobak. Ich schlage daher vor, unter "Determinismus" folgendes zu verstehen: eine Welt ist dann determiniert, wenn hypothetisch (von einem Standpunkt außerhalb der Welt) aus einem bestimmten Weltzustand und den Gesetzmäßgkeiten in dieser Welt alle späteren Weltzustände berechnet werden könnten. Dabei wird eine Aussage darüber vermieden, ob hier eine Notwendigkeit vorliegt oder nicht.

Nehmen wir mal ein Beispiel einer ganz einfachen determinierten Welt: nach einer Art Urknall existieren darin zwei Objekte, die sich über die gesamte Lebensdauer dieser Welt mit konstanter Geschwindigkeit voneinander wegbewegen. Nach meinem Begriff von "Determinismus" wäre das eine determinierte Welt. Es wäre dabei merkwürdig, zu fragen, ob die Gesetzmäßigkeit in dieser Welt eine notwendige, zwingende ist oder nicht, denn das könnte man prinzipiell nicht unterscheiden und daher ergibt diese Frage mE keinen Sinn.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 16. Feb 2014, 17:09

AgentProvocateur hat geschrieben:In einer determinierten Welt ist es hypothetisch möglich, die Zukunft exakt zu berechnen. Aber es ist prinzipiell unmöglich, dieses Wissen zu verwerten, denn durch die Verwertung wird das Wissen hinfällig. Oder, mal so gesagt: die Zukunft der Welt kann hypothetisch nur von einem System außerhalb der Welt berechnet werden.

So was hab ich schon mal gehört, es ist mir aber unverständlich geblieben. Vielleicht kann man nicht das ganze Universum berechnen, aber prinzipiell sicherlich einen Teil davon, sagen wir mal den Zustand einer Wolke am Himmel. Die Berechnung kann nämlich ohne Interaktion mit der Wolke ablaufen, bzw. ihren Zustand abbilden. Die Berrechnung selbst übrigens könnte m.E. ruhig ein vielfaches der Komplexität der Wolke selbst haben.

Hier gibt's -leider nur auf Englisch- eine anschauliche Einführung in Determinismus:

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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 16. Feb 2014, 17:32

Ich will meinen Punkt mal anders formulieren: ein System kann (zumindest in vielen Fällen) nicht die Zukunft berechnen, falls die Berechnung wiederum einen Einfluss auf die Zukunft hat. Das liegt daran, mal etwas technisch formuliert, dass das berechnende System in eine rekursive Schleife gerät, (es berechnet die Zukunft, nimmt dieses Ergebnis und berechnet die Zukunft neu, nimmt dieses Ergenis und berechnet die Zukunft neu, etc, ad infinitum). Nun kann man eine Abbruchbedingung für die Rekursion angeben: falls bei zwei aufeinanderfolgenden Berechnungen dasselbe herauskommt, ist die Berechnung fertig. Jedoch wird das in vielen Fällen nicht passieren (siehe oben das Beispiel mit der Maschine mit den zwei Tönen) und dann ist das berechnende System in einer unendlichen Rekursion gefangen und die Berechnung wird niemals fertig.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » So 16. Feb 2014, 17:57

ujmp hat geschrieben:So was hab ich schon mal gehört, es ist mir aber unverständlich geblieben. Vielleicht kann man nicht das ganze Universum berechnen, aber prinzipiell sicherlich einen Teil davon, sagen wir mal den Zustand einer Wolke am Himmel. Die Berechnung kann nämlich ohne Interaktion mit der Wolke ablaufen, bzw. ihren Zustand abbilden. Die Berrechnung selbst übrigens könnte m.E. ruhig ein vielfaches der Komplexität der Wolke selbst haben.

Zwischeneinwurf: Da selbst im Raum zwischen Galaxien noch ein paar Atome pro Kubikmeter vorhanden sind, man also im Universum realiter keine abgegrenzten Räume ohne physische Wechselwirkungen schaffen kann, ist diese Berechnung in deterministischer Sicht immer nur näherungsweise (was für konkrete Anwendungen in Technik und Physik natürlich auch mehr als ausreicht, aber in mathematischer Sicht keine vollständige Lösung des Problems wäre).

Ein zweites Problem, das zu der rekursiven Schleife hinzukommt, die Agent angeführt hat, wäre, dass der Computer ja Teil des physischen Universums ist und durch das Mitteilen, wie jetzt schon gehört haben, noch dazu sehr prominent auf den deterministischen Prozess einwirkt, was bedeutet, dass der Rechner sich bei allen Berechnungen der Zukunft selbst mitsimulieren müsste, was wiederum bedeutet, dass der Rechner größer sein müsste als er selbst (ein solches Gerät ist gemeinhin bekannt als Laplacescher Dämon).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 16. Feb 2014, 18:02

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich will meinen Punkt mal anders formulieren: ein System kann (zumindest in vielen Fällen) nicht die Zukunft berechnen, falls die Berechnung wiederum einen Einfluss auf die Zukunft hat. Das liegt daran, mal etwas technisch formuliert, dass das berechnende System in eine rekursive Schleife gerät, (es berechnet die Zukunft, nimmt dieses Ergebnis und berechnet die Zukunft neu, nimmt dieses Ergenis und berechnet die Zukunft neu, etc, ad infinitum). Nun kann man eine Abbruchbedingung für die Rekursion angeben: falls bei zwei aufeinanderfolgenden Berechnungen dasselbe herauskommt, ist die Berechnung fertig. Jedoch wird das in vielen Fällen nicht passieren (siehe oben das Beispiel mit der Maschine mit den zwei Tönen) und dann ist das berechnende System in einer unendlichen Rekursion gefangen und die Berechnung wird niemals fertig.

...ok, aber es ist ja keine Voraussetzung für eine Berechnung, dass sie Einfluss auf die Zukunft hat. Angenommen zwei komplett identische Uhren A und B fangen an zu ticken, aber B beginnt eine Sekunde später als A. Dann sagt A den Zustand von B in der Zukunft, eine Sekunde später voraus. (unter der Voraussetzung, dass die Uhren nicht gegenseitig und auch mit sonst nix interagieren)
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » So 16. Feb 2014, 18:12

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Gerne würde ich weiterhin glauben, dass mein Argument (der inkompatibilistische Freiheitsbegriff ist sprachlich inkohärent) zieht

Hm, das finde ich nun sehr verwirrend. Hast Du Dich verschrieben und wolltest "der kompatibilistische Freiheitsbegriff" statt "der inkompatibilistische Freiheitsbegriff schreiben? Falls ja: warum ist der inkohärent?

Ja sorry, ich habe mich verschrieben. Ich meinte natürlich, dass ich den kompatibilistische Freiheitsbegriff sprachlich inkohärent finde. Damit meine ich den Unsinn, etwas festgelegtes mit dem gegenteiligen Begriff "frei" zu benennen, und zwar nicht einfach nur weil damit was anderes gemeint ist. Du bezeichnest den Willen ja genau dann als "frei", wenn er festgelegt ist. Wenn er nicht von "guten Gründen" festgelegt wäre, würdest du "unfrei" sagen. Wenn ich eine Theorie vertreten würde, die so mit Wörtern umgeht, würde allein diese sprachliche Merkwürdigkeit mir zu denken geben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich bin bisher davon ausgegangen, dass Du meinen würdest, man könne in einer determinierten Welt ebensowenig die Zukunft beeinflussen, wie man die Vergangenheit beeinflussen kann.

Das kann ich ja kaum glauben. Da hättest du mir aber eine wirklich idiotische Sicht zugetraut. Wieso sollte man seine Zukunft nicht beeinflussen können? Das klingt ja fast so dämlich wie der "Vorwurf" von Vollbreit und stine an uns Inkompatibilisten, dass wir angeblich denken würden, dass man sowieso nichts machen, nichts entscheiden und nichts ändern kann. Die inkompatibilistische Position mit Fatalismus zu verwechseln, scheint viel verführerischer als ich denken würde.

Dem Verantwortungsbegriff bei Wikipedia stimme ich übrigens zu. Ein Unterschied zu dir ergibt sich, glaube ich, erst bei dem Begriff "Schuld".
ganimed hat geschrieben:"Verantwortlich machen" kann man niemanden, also nein. Für etwas loben oder tadeln kann/sollte man genau die, bei denen das etwas bewirkt

Da habe ich den falschen Begriff verwendet. Gemeint war wohl eher:
    "Die Schuld geben" kann man niemandem, also nein. Für etwas loben oder tadeln kann/sollte man genau die, bei denen das etwas bewirkt.
Man kann aus deterministischer Sicht einem Menschen keine Schuld geben, ihm sein Handeln nicht übel nehmen, ihn nicht dafür hassen. Jedenfalls nicht rationalerweise.
Aber man kann rationalerweise loben und tadeln, also im Grunde der Enttäuschung (der Abweichung zwischen Erwartung und realem Eintreten) Ausdruck verleihen. Man kann rationalerweise glauben, dass der Golfer es statistisch besser kann und ihm nachdrücklich durch Lob oder Tadel daran erinnern, in der Hoffnung, damit sein Gehirn so zu ändern, dass ein Erfolg beim nächsten Mal noch wahrscheinlicher wird.
Für einen Inkompatibilisten ist es also durchaus kein Widerspruch, einerseits keine Schuld zuzuweisen und andererseits zu loben und zu tadeln.

AgentProvocateur hat geschrieben:Du vertrittst hier anscheinend ebenfalls den kompatibilistischen Freiheitsbegriff, wenn Du annimmst, dass man sich bei seinen Entscheidungen und Handlungen durch Gründe leiten lassen kann. Wenn man wählen kann, ob man jemanden lobt/tadelt oder nicht, wie Du hier wohl schreibst, dann fragt sich, warum das nicht für Entscheidungsfreiheit ausreichen sollte, was da noch Wesentliches hinzukommen müsse für echte Entscheidungsfreiheit.

Habe ich jemals behauptet, dass man nicht wählen kann? Kannst du mir die Textstelle bitte einmal raussuchen?
Ist es vielleicht so, dass wenn ich schreibe "man kann loben", dass du dieses "kann" so interpretierst: "man kann in derselben Situation loben und nicht loben"? Legst du das etwa in meinen Gebrauch des Wortes "kann" hinein? Das wäre falsch. Ich meine mit "kann" natürlich die Varianz, die sich aus verschiedenen Situationen ergibt und nicht etwa eine Freiheit in derselben Situation.

Und wenn du nach all unseren Diskussionen mich noch immer fragst, was für mich noch Wesentliches hinzukommen müsse für echte Entscheidungsfreiheit, dann biete ich dir Nachhilfe bei deinem recht lernresistenten Verhalten an.
Wir üben das einfach durch ständige Wiederholung. Wobei ich das zwar schon oft aber wohl für dich noch nicht oft genug geschrieben habe.
"Für echte Entscheidungsfreiheit müsste bei mir hinzukommen, dass man sich in derselben Situation anders entscheiden könnte. Dass man nicht vollständig kausal abhängig ist"
Ich schlage vor, du schreibst das einfach 100 mal ab. Vielleicht sitzt es dann etwas besser.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 16. Feb 2014, 18:23

Nanna hat geschrieben:was bedeutet, dass der Rechner sich bei allen Berechnungen der Zukunft selbst mitsimulieren müsste, was wiederum bedeutet, dass der Rechner größer sein müsste als er selbst (ein solches Gerät ist gemeinhin bekannt als Laplacescher Dämon).

Wenn man das Universum selbst als den Rechner ansieht, löst sich das Problem auf. Die Berechnung 1 sagt die Berechnung 2 vorraus (also dasselbe Universum ereignet sich zweimal). Ein subjektiver Beobachter, also eine Zurkenntnisnahme der Berechnung ist ja keine Bedingung.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » So 16. Feb 2014, 18:49

ujmp hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:was bedeutet, dass der Rechner sich bei allen Berechnungen der Zukunft selbst mitsimulieren müsste, was wiederum bedeutet, dass der Rechner größer sein müsste als er selbst (ein solches Gerät ist gemeinhin bekannt als Laplacescher Dämon).

Wenn man das Universum selbst als den Rechner ansieht, löst sich das Problem auf. Die Berechnung 1 sagt die Berechnung 2 vorraus (also dasselbe Universum ereignet sich zweimal). Ein subjektiver Beobachter, also eine Zurkenntnisnahme der Berechnung ist ja keine Bedingung.

Ja, aber dann findet in dem Sinne keine Berechnung statt, insbesondere keine Vorausberechnung. Es geht ja hier nicht darum, den Determinismus zu widerlegen (den setzt man voraus), sondern die Möglichkeit des Wissens über zukünftige Ereignisse vor ihrem Eintritt zu bewerten, und da gibt es eben die beiden schon genannten Einwände: Die Vorhersage interagiert mit Entwicklungen, die ihr vorausgehen, so dass sie permanent ihre eigenen Ausgangsbedingungen ändert, und die Vorhersage erforderte einen Rechner, der seine eigene Größe übersteigen würde, was ein Widerspruch in sich ist. Über die Gültigkeit des Determinismus als solchem sagt das freilich nichts aus, weshalb das hier auch ein Nebenstrang zur eigentlichen Diskussion ist.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » So 16. Feb 2014, 19:32

stine hat geschrieben:Warum sollte eine absichtslose Natur solches Bewusstsein determinieren, das sich an etwas festmacht um es anschließend wieder abzuschaffen?


Wir haben erst seit mehreren hundert Jahren die wissenschaftliche Methode (Beobachtung, Experiment, Theoriebildung und -falsifikation) zur Verfügung, um nach besseren Erklärungen zu suchen als sie Mythen und Religionen seit Jahrtausenden gegeben haben. Diese wissenschaftliche Methodik war/ist erfolgreich in dem Sinne, dass wir sehr viel Wissen anhäufen, das theoretisch und praktisch verwertbar ist. Dies hat zur Folge, dass frühere "Erkenntnisse" aus Mythen und Religionen systematisch widerlegt wurden (zB Schöpfungsgeschichten). Das nur als Einleitung zu meiner Vermutung, dass dieser determinierte Erkenntnisprozess des neugierigen und phantasiebegabten Menschen eine nachvollziehbare Struktur hat. Der Mensch mit (Selbst-)Bewusstsein sucht seit jeher nach einer Erklärung der natürlichen Phänomene, die ihn umgeben. Dafür musste lange Zeit eine oder mehrere Gottheit(en) und alle möglichen "Geschichten" herhalten, die man sich zunächst nur (weiter-)erzählt und irgendwann auch niedergeschrieben hat.

Warum sollte es nicht möglich sein, dass eine absichtslose Natur Bewusstsein determiniert, das sich von einem geringen vagen Erkenntnisstand zu einem höheren exakteren Erkenntnisstand entwickelt?

Dazu kommt mE noch eine psychologische Komponente/Beobachtung im Verlauf eines individuellen Menschenlebens: Kinder glauben in einem bestimmten Alter an alles Mögliche (Feen, Zauberkräfte, Einhörner, Osterhase, Weihnachtsmann/Christkind usw.), das sie mit der Zeit alles ablegen, weil sie aufgeklärter werden und ein sehr genaues "Gefühl" dafür bekommen, was real sein kann und was nicht. Eine solche "magische Phase" hat mE die Menschheit auch durchgemacht bzw. macht sie in großen Teilen der Welt noch immer durch. Eltern sagen ihren Kindern was richtig/falsch und was gut/böse ist, Eltern helfen/trösten ihre Kinder. Dieses "Elternmodell" wird mE von Erwachsenen in einen Gott projiziert.

Ein reifer/aufgeklärter Mensch kann mE nur mehr sehr schwer an magische/übernatürliche Dinge glauben - wenn er es trotzdem privat tut, ist es natürlich zu respektieren/tolerieren. Die Suche nach einem Gott und das Aufgeben dieser Suche ist also in der Evolution des Bewusstseins kausal angelegt und "vorprogrammiert".
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 16. Feb 2014, 19:41

ujmp hat geschrieben:...ok, aber es ist ja keine Voraussetzung für eine Berechnung, dass sie Einfluss auf die Zukunft hat. Angenommen zwei komplett identische Uhren A und B fangen an zu ticken, aber B beginnt eine Sekunde später als A. Dann sagt A den Zustand von B in der Zukunft, eine Sekunde später voraus. (unter der Voraussetzung, dass die Uhren nicht gegenseitig und auch mit sonst nix interagieren)

Ja, mein Punkt war hier nur der, dass man zwar hypothetisch die gesamte Zukunft einer determinierten Welt unter Kenntnis eines Weltzustandes und der Gesetze in der Welt exakt berechnen kann, jedoch nur dann, wenn diese Berechnung keine Auswirkung auf die Welt hat.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 16. Feb 2014, 20:14

ganimed hat geschrieben:Ich meinte natürlich, dass ich den kompatibilistische Freiheitsbegriff sprachlich inkohärent finde. Damit meine ich den Unsinn, etwas festgelegtes mit dem gegenteiligen Begriff "frei" zu benennen, und zwar nicht einfach nur weil damit was anderes gemeint ist. Du bezeichnest den Willen ja genau dann als "frei", wenn er festgelegt ist. Wenn er nicht von "guten Gründen" festgelegt wäre, würdest du "unfrei" sagen. Wenn ich eine Theorie vertreten würde, die so mit Wörtern umgeht, würde allein diese sprachliche Merkwürdigkeit mir zu denken geben.

Ich sehe da keine sprachliche Merkwürdigkeit, tut mir leid. Und ich bezeichne nicht eigenständige, für sich existierende Entitäten namens "Wille" oder "Handlung" als (graduell) frei, sondern Menschen in ihren Entscheidungen und Handlungen. Und, ja, Deinen Freiheitsbegriff, der - wie schon öfter gesagt, worauf Du aber bisher nicht eingegangen bist - bisher lediglich darauf hinausläuft, dass ein Mensch mit Tourette-Syndrom, sofern das indeterminiert aufträte, frei und verantwortlich (bzw. schuldig und/oder hassenswert) wäre, finde ich sehr unplausibel. (Aber: siehe auch ganz unten.)

Nun wird "frei" in diversen Kontexten verwendet, z.B. politische Freiheit, Handlungsfreiheit, Entscheidungsfreiheit. Und so wie ich das sehe, ist damit meist Unabängigkeit von einschränkenden externen/äußeren Einflüssen gemeint, jedoch nicht Unabhängigkeit von ausnahmslos allen Einflüssen, insbesondere nicht "unabhängig von sich selber". Wieso das bei Entscheidungs-/Willensfreiheit jedoch der Fall sein soll, gehört daher näher begründet, als reine Setzung erscheint mir das nicht akzeptabel. Vor allem auch deswegen, weil das implizit voraussetzt, dass eine Entscheidung eine eigenständige Entität sei, die für sich - uabhängig von Allem - existieren könne. Und das finde ich absurd.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich bin bisher davon ausgegangen, dass Du meinen würdest, man könne in einer determinierten Welt ebensowenig die Zukunft beeinflussen, wie man die Vergangenheit beeinflussen kann.

Das kann ich ja kaum glauben. Da hättest du mir aber eine wirklich idiotische Sicht zugetraut. Wieso sollte man seine Zukunft nicht beeinflussen können? Das klingt ja fast so dämlich wie der "Vorwurf" von Vollbreit und stine an uns Inkompatibilisten, dass wir angeblich denken würden, dass man sowieso nichts machen, nichts entscheiden und nichts ändern kann. Die inkompatibilistische Position mit Fatalismus zu verwechseln, scheint viel verführerischer als ich denken würde.

Okay, gut, dass wir das geklärt haben. Dann fragt sich nur noch, wodurch der inkompatibilistische Freiheitsbegriff gegenüber dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff glänzen kann.

ganimed hat geschrieben:Dem Verantwortungsbegriff bei Wikipedia stimme ich übrigens zu. Ein Unterschied zu dir ergibt sich, glaube ich, erst bei dem Begriff "Schuld". [...] Man kann aus deterministischer Sicht einem Menschen keine Schuld geben, ihm sein Handeln nicht übel nehmen, ihn nicht dafür hassen. Jedenfalls nicht rationalerweise.

Aber "Schuld" bedeutet nun schlicht: "verantwortlich für einen Normverstoß". Das hat nicht notwendigerweise was mit Hass zu tun und man kann rationalerweise sehr wohl einen Menschen für insofern für schuldig halten.

(Jedoch Hass oder auch Liebe haben wohl eher weniger mit Rationalität zu tun.)

ganimed hat geschrieben:Aber man kann rationalerweise loben und tadeln, also im Grunde der Enttäuschung (der Abweichung zwischen Erwartung und realem Eintreten) Ausdruck verleihen. Man kann rationalerweise glauben, dass der Golfer es statistisch besser kann und ihm nachdrücklich durch Lob oder Tadel daran erinnern, in der Hoffnung, damit sein Gehirn so zu ändern, dass ein Erfolg beim nächsten Mal noch wahrscheinlicher wird.

Ja. (Mal abgesehen davon, dass das sehr merkwürdig ausgedrückt ist. Wer hat hier die Hoffung, dass ein anderes Gehirn geändert wird? Dein Gehirn oder Du? Wer oder was sind Akteure Deiner Ansicht nach? Gehirne?)

ganimed hat geschrieben:Für einen Inkompatibilisten ist es also durchaus kein Widerspruch, einerseits keine Schuld zuzuweisen und andererseits zu loben und zu tadeln.

Doch, nach meinem Begriff von "Schuld" sehr wohl, siehe oben.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Du vertrittst hier anscheinend ebenfalls den kompatibilistischen Freiheitsbegriff, wenn Du annimmst, dass man sich bei seinen Entscheidungen und Handlungen durch Gründe leiten lassen kann. Wenn man wählen kann, ob man jemanden lobt/tadelt oder nicht, wie Du hier wohl schreibst, dann fragt sich, warum das nicht für Entscheidungsfreiheit ausreichen sollte, was da noch Wesentliches hinzukommen müsse für echte Entscheidungsfreiheit.

Habe ich jemals behauptet, dass man nicht wählen kann? Kannst du mir die Textstelle bitte einmal raussuchen?
Ist es vielleicht so, dass wenn ich schreibe "man kann loben", dass du dieses "kann" so interpretierst: "man kann in derselben Situation loben und nicht loben"?

Nein, ich meine, dass Du Dich mit "können" hier auf die Fähigkeit beziehst, begründet entscheiden, wählen und handeln zu können. So wie es Kompatibilisten auch tun.

ganimed hat geschrieben:"Für echte Entscheidungsfreiheit müsste bei mir hinzukommen, dass man sich in derselben Situation anders entscheiden könnte. Dass man nicht vollständig kausal abhängig ist"

Ich nehme nun an, dass Du damit nicht den oben erwähnten Tourette-Mensch meinst, dem zufällig etwas zustößt, was außerhalb seiner Kontrolle liegt. Falls doch: das wäre vollkommen unplausibel. Denn der Tourette-Mensch kann ja gerade nicht anders handeln, denn er hat keine Kontrolle über seine Zuckungen/Äußerungen, diese stoßen ihm lediglich zu. Wobei es völlig egal ist, ob diese determiniert oder indeterminiert auftreten.

Nun bitte mal ein konkretes Beispiel bringen, einen freien Entscheidungsablauf in Deinem Sinne skizzieren, sagen, an welcher Stelle im Entscheidungsprozess die Indeterminiertheit (oder gar Akausalität) auftreten könnte/sollte, damit die Entscheidung frei in Deinem Sinne wäre (und damit man jemanden rationalerweise hassen könnte?).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » So 16. Feb 2014, 22:57

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich sehe da keine sprachliche Merkwürdigkeit, tut mir leid.

Das habe ich mir beinahe gedacht. Diese Merkwürdigkeit sehen und anerkennen hieße ja praktisch schon, die Position ein bisschen aufgeben. Kann man also verstehen, dass du erstmal weiterhin blind sein musst für diese sprachliche Merkwürdigkeit.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun wird "frei" in diversen Kontexten verwendet, z.B. politische Freiheit, Handlungsfreiheit, Entscheidungsfreiheit. Und so wie ich das sehe, ist damit meist Unabängigkeit von einschränkenden externen/äußeren Einflüssen gemeint, jedoch nicht Unabhängigkeit von ausnahmslos allen Einflüssen, insbesondere nicht "unabhängig von sich selber".

Das erläutere mal bitte näher. Eine Entscheidung, die unabhängig von kausalen Faktoren getroffen würde, wieso nennst du diese jetzt plötzlich "unabhängig von sich selber"? Eine Entscheidung, die unabhängig von sich selber ist, die brauche ich nicht lange zu suchen. Ich kann mir gar kein Gegenbeispiel vorstellen. Alle Entscheidungen sind unabhängig von sich selber. Also wie meintest du das?

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber "Schuld" bedeutet nun schlicht: "verantwortlich für einen Normverstoß".

Ja, das liest sich bei dir in der Tat recht schlicht. Ich zitiere lieber Wikipedia:
"Schuld als Verantwortlichkeit
Der Zustand der Schuld entsteht, wenn jemand für einen Verstoß gegen eine durch sittliche, ethisch-moralische oder gesetzliche Wertvorstellung gesetzte Norm verantwortlich ist.
...
Als Voraussetzung für Schuld wird meist angenommen, dass der Schuldige die Wahlmöglichkeit hatte, die als schlecht definierte Tat zu unterlassen."

Der erste Satz stimmt dir zu. Beim zweiten Satz merkt man, dass die Sache doch nicht ganz so einfach ist. Mir fehlt halt beim Golfspieler diese Wahlmöglichkeit, solange er in der fraglichen Situation gar nicht anders konnte.
Du hast nun aber behauptet, dass es einen logischen Widerspruch darstellen würde, wenn Inkompis diese Form von Schuld ablehnen aber gleichzeit doch loben und tadeln wollen. Habe ich das richtig verstanden? Siehst du diesen Widerspruch jetzt immernoch oder konnten wir das klären?

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:"Für echte Entscheidungsfreiheit müsste bei mir hinzukommen, dass man sich in derselben Situation anders entscheiden könnte. Dass man nicht vollständig kausal abhängig ist"

Ich nehme nun an, dass Du damit nicht den oben erwähnten Tourette-Mensch meinst, dem zufällig etwas zustößt, was außerhalb seiner Kontrolle liegt, da es nicht kausal von ihm abhängig ist. Falls doch: das ist vollkommen unplausibel. Denn der Tourette-Mensch kann ja gerade nicht anders handeln, denn er hat keine Kontrolle über seine Zuckungen/Äußerungen, diese stoßen ihm lediglich zu. Wobei es völlig egal ist, ob diese determiniert oder indeterminiert auftreten.

Mein Fehler. Damit deine Lernschwäche hoffentlich überwunden wird, muss ich nicht nur den obigen Satz ständig wiederholen sondern auch jedesmal hinzufügen, dass "müsste bei mir hinzukommen" wie ein "Kriterium ist notwendig jedoch nicht unbedingt hinreichend" zu verstehen ist. Ich würde eine Entscheidung, die in einer indeterministischen Welt unabhängig von kausalen Faktoren, also zufällig, getroffen wird immer noch nicht als freie Entscheidung bezeichnen. Frei schon, aber eben keine Entscheidung.

Doch wir sind nicht im Indeterminismus. Deshalb verstehe dein Tourette-Argument eigentlich nicht wirklich. Mit deinem Tourette-Menschen habe ich ein Problem. Er ist relevant weshalb? Ich vermute nämlich, dass seine "Entscheidungen" nicht außerhalb seiner Kontrolle liegen (wie du schreibst), sondern nur außerhalb seiner bewussten Kontrolle. Soweit ich gerade auf Wikipedia gelesen habe, könnte es sich um neuronale Ursachen handeln. Was für unsere Diskussion aus meiner Sicht bedeutet: auch bei Tourette-Menschen werden Entscheidungen auf einer neuronalen Ebene getroffen. Nur der Einklang mit dem Bewusstsein scheint sehr viel geringer zu sein. Die sonstige Illusion, von der ich immer gerne spreche, dass wir uns auch von unbewusste Entscheidungsfaktoren nicht verwirren lassen und alles sich irgendwie so anfühlt, als hätten wir selber entschieden, diese Illusion wird dann wohl beim Tourette-Menschen weniger stark auftreten, vermute ich. Das wäre aber höchstens ein Argument für meine Seite. Wenn die Illusion mal weg ist oder gestört wird, dann sieht sogar ein Kombi ein, dass von Entscheidungsfreiheit im Determinismus keine Rede sein kann (es sei denn, man meint genau diese Illusion, diese gefühlte Freiheit, aber das streitest du ja unklugerweise ab). Wenn du also mit deiner Erwähnung des Tourette-Menschen darauf hinaus willst, dass Determinismus und Willensfreiheit nicht vereinbar sind, dann stimme ich dir vollständig zu. Aber irgendetwas sagt mir, dass du auf etwas anderes hinaus willst. Indeterminismus kann es nicht sein. Was sonst?

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun bitte mal ein konkretes Beispiel bringen, einen freien Entscheidungsablauf in Deinem Sinne skizzieren

Deine Lernschwäche erreicht ziemliche Ausmaße, ist aber wenigstens konsequent. Wenn du schon völlig ignorierst, was mir zu einer freien Entscheidung fehlen würde, und dass das nur ein notwendiges aber nicht hinreichendes Kriterium wäre, wieso solltest du dann nicht ebenfalls beharrlich ignorieren, dass ich freie Entscheidungen eben für logisch unmöglich halte?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Mo 17. Feb 2014, 08:14

ice hat geschrieben:Warum sollte es nicht möglich sein, dass eine absichtslose Natur Bewusstsein determiniert, das sich von einem geringen vagen Erkenntnisstand zu einem höheren exakteren Erkenntnisstand entwickelt?
Stimmt. Klingt plausibel. Aber das Suchen ist wohl doch in uns angelegt.

ganimed hat geschrieben:Man kann rationalerweise glauben, dass der Golfer es statistisch besser kann und ihm nachdrücklich durch Lob oder Tadel daran erinnern, in der Hoffnung, damit sein Gehirn so zu ändern, dass ein Erfolg beim nächsten Mal noch wahrscheinlicher wird.
Wieso sollte Lob oder Tadel etwas bewirken? Dann wäre der Erfolg von einem bewussten Verhalten abhängig und das ist es doch genau, was Deterministen abstreiten.
Wenn ich tadle und der Getadelte baut trotzdem wieder Mist, kann er dann immer noch nichts dafür?
Wenn ich lobe und der Gelobte verbessert sich, dann war das Zufall oder was?

LG stine
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Mo 17. Feb 2014, 08:22

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Gerne würde ich weiterhin glauben, dass mein Argument (der inkompatibilistische Freiheitsbegriff ist sprachlich inkohärent) zieht

Hm, das finde ich nun sehr verwirrend. Hast Du Dich verschrieben und wolltest "der kompatibilistische Freiheitsbegriff" statt "der inkompatibilistische Freiheitsbegriff schreiben? Falls ja: warum ist der inkohärent?

Ja sorry, ich habe mich verschrieben. Ich meinte natürlich, dass ich den kompatibilistische Freiheitsbegriff sprachlich inkohärent finde. Damit meine ich den Unsinn, etwas festgelegtes mit dem gegenteiligen Begriff "frei" zu benennen, und zwar nicht einfach nur weil damit was anderes gemeint ist. Du bezeichnest den Willen ja genau dann als "frei", wenn er festgelegt ist. Wenn er nicht von "guten Gründen" festgelegt wäre, würdest du "unfrei" sagen. Wenn ich eine Theorie vertreten würde, die so mit Wörtern umgeht, würde allein diese sprachliche Merkwürdigkeit mir zu denken geben.

Das Wort "frei" verlangt immer ein Objekt: Frei, wovon? Es ist völlig koherent, dieses Wovon als Exklusion anzugeben, d.h. anzugeben, wovon eine Entscheidung abhängen darf, wie z.B. "von Gründen, aber von sonst nichts".
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 17. Feb 2014, 15:37

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nun wird "frei" in diversen Kontexten verwendet, z.B. politische Freiheit, Handlungsfreiheit, Entscheidungsfreiheit. Und so wie ich das sehe, ist damit meist Unabängigkeit von einschränkenden externen/äußeren Einflüssen gemeint, jedoch nicht Unabhängigkeit von ausnahmslos allen Einflüssen, insbesondere nicht "unabhängig von sich selber".

Das erläutere mal bitte näher. Eine Entscheidung, die unabhängig von kausalen Faktoren getroffen würde, wieso nennst du diese jetzt plötzlich "unabhängig von sich selber"? Eine Entscheidung, die unabhängig von sich selber ist, die brauche ich nicht lange zu suchen. Ich kann mir gar kein Gegenbeispiel vorstellen. Alle Entscheidungen sind unabhängig von sich selber. Also wie meintest du das?]

Ich meinte: "unabhängig vom Entscheidenden bzw. Handelnden". Mich dünkt nun, dass Du (mE merkwürdigerweise) eben diese Anforderung stellst. Siehe unten meine 3 Fragen dazu.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber "Schuld" bedeutet nun schlicht: "verantwortlich für einen Normverstoß".

Ja, das liest sich bei dir in der Tat recht schlicht. Ich zitiere lieber Wikipedia:
"Schuld als Verantwortlichkeit
Der Zustand der Schuld entsteht, wenn jemand für einen Verstoß gegen eine durch sittliche, ethisch-moralische oder gesetzliche Wertvorstellung gesetzte Norm verantwortlich ist.
...
Als Voraussetzung für Schuld wird meist angenommen, dass der Schuldige die Wahlmöglichkeit hatte, die als schlecht definierte Tat zu unterlassen."

Der erste Satz stimmt dir zu. Beim zweiten Satz merkt man, dass die Sache doch nicht ganz so einfach ist. Mir fehlt halt beim Golfspieler diese Wahlmöglichkeit, solange er in der fraglichen Situation gar nicht anders konnte.

Der Golfspieler wollte das Loch treffen, hat es jedoch verfehlt. Das lag jedoch nicht an seinen Überlegungen, Entscheidungen und Wahlmöglichkeiten. Dem Golfspieler ist es missglückt, seine Entscheidung/Absicht zu verwirklichen.

Nehmen wir nochmal den fiktiven Herrn Müller von oben, der mich betrogen hat. Hatte er die Wahlmöglichkeit, mich nicht zu betrügen? Ja, Herr Müller kann seine Zukunft beeinflussen, wie Du oben zugegeben hast. (Und, Zitat von Dir: "Habe ich jemals behauptet, dass man nicht wählen kann?")

(Nebenbei: auch Herrn Müller hätte es passieren können, (analog zum Golfspieler), dass er seine Absicht, mich zu betrügen, nicht in die Tat hätte umsetzen können.)

ganimed hat geschrieben:Du hast nun aber behauptet, dass es einen logischen Widerspruch darstellen würde, wenn Inkompis diese Form von Schuld ablehnen aber gleichzeit doch loben und tadeln wollen. Habe ich das richtig verstanden? Siehst du diesen Widerspruch jetzt immernoch oder konnten wir das klären?

Ja, das hast Du richtig verstanden, ja, ich sehe diesen Widerspruch immer noch und nein, wir konnten das noch nicht klären.

ganimed hat geschrieben:Ich würde eine Entscheidung, die in einer indeterministischen Welt unabhängig von kausalen Faktoren, also zufällig, getroffen wird immer noch nicht als freie Entscheidung bezeichnen. Frei schon, aber eben keine Entscheidung.

Ich habe mal 3 Fragen dazu:

1. "Entscheidung" ist eine Substantivierung des Verbes "entscheiden", so wie "Handlung" eine Substantivierung des Verbes "handeln" ist. Richtig?
2. Die beiden Aussagen "er hat eine freie Entscheidung getroffen" und "er hat frei entschieden" sind bedeutungsgleich, ebenso die beiden Aussagen "er hat frei gehandelt" und "er hat eine freie Handlung vollzogen". Richtig?
3. Falls Du dem zustimmst, dann formuliere doch mal bitte Dein Kriterium ("unabhängig von kausalen Faktoren") neu, diesmal nicht mit der Substantivierung "Entscheidung", sondern mit dem Verb "entscheiden". Wer oder was muss nun inwiefern unabhängig von kausalen Faktoren sein, damit man Deiner Ansicht nach sagen kann, P habe frei entschieden? Und welches Kriterium legst Du an, um zu sagen, dass jemand frei gehandelt habe?

(Und falls Du 1 und 2 nicht zustimmst, dann erkläre doch mal bitte, was für eine Entität eine Entscheidung Deiner Ansicht nach ist.)

ganimed hat geschrieben:Doch wir sind nicht im Indeterminismus. Deshalb verstehe dein Tourette-Argument eigentlich nicht wirklich. Mit deinem Tourette-Menschen habe ich ein Problem. Er ist relevant weshalb? Ich vermute nämlich, dass seine "Entscheidungen" nicht außerhalb seiner Kontrolle liegen (wie du schreibst), sondern nur außerhalb seiner bewussten Kontrolle.

Richtig. Für etwas, das außerhalb seiner bewussten Kontrolle liegt, darf man mE nicht verantwortlich gemacht werden. (Und somit auch keine Schuld dafür zugesprochen werden.)

ganimed hat geschrieben:Soweit ich gerade auf Wikipedia gelesen habe, könnte es sich um neuronale Ursachen handeln. Was für unsere Diskussion aus meiner Sicht bedeutet: auch bei Tourette-Menschen werden Entscheidungen auf einer neuronalen Ebene getroffen.

Machte es einen Unterschied (bezüglich der Freiheit, Verantwortlichkeit und Schuld des Tourette-Menschen und bezüglich dessen, ob Du das Entscheidung nennen würdest oder nicht) für Dich, ob das Verhalten des Tourette-Menschen (determinierte) Ursachen hätte oder indeterminiert/akausal wäre? Und macht es irgendwie einen Unterschied hier für Dich, ob die Ursachen neuronale Ursachen oder sonstige Ursachen wären?

ganimed hat geschrieben:Wenn du also mit deiner Erwähnung des Tourette-Menschen darauf hinaus willst, dass Determinismus und Willensfreiheit nicht vereinbar sind, dann stimme ich dir vollständig zu. Aber irgendetwas sagt mir, dass du auf etwas anderes hinaus willst. Indeterminismus kann es nicht sein. Was sonst?

Ich will darauf hinaus, dass der Tourette-Mensch keine bewusste Kontrolle über sein Verhalten hat und deswegen (nach meinen Begriffen) weder frei wäre, noch verantwortlich, noch schuldig für sein Verhalten gemacht werden dürfte. Außerdem will ich darauf hinaus, dass es dabei überhaupt keine Rolle spielt, ob sein Verhalten determiniert oder indeterminiert oder gar akausal ist.
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