ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Nun wird "frei" in diversen Kontexten verwendet, z.B. politische Freiheit, Handlungsfreiheit, Entscheidungsfreiheit. Und so wie ich das sehe, ist damit meist Unabängigkeit von einschränkenden externen/äußeren Einflüssen gemeint, jedoch nicht Unabhängigkeit von ausnahmslos allen Einflüssen, insbesondere nicht "unabhängig von sich selber".
Das erläutere mal bitte näher. Eine Entscheidung, die unabhängig von kausalen Faktoren getroffen würde, wieso nennst du diese jetzt plötzlich "unabhängig von sich selber"? Eine Entscheidung, die unabhängig von sich selber ist, die brauche ich nicht lange zu suchen. Ich kann mir gar kein Gegenbeispiel vorstellen. Alle Entscheidungen sind unabhängig von sich selber. Also wie meintest du das?]
Ich meinte: "unabhängig vom Entscheidenden bzw. Handelnden". Mich dünkt nun, dass Du (mE merkwürdigerweise) eben diese Anforderung stellst. Siehe unten meine 3 Fragen dazu.
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Aber "Schuld" bedeutet nun schlicht: "verantwortlich für einen Normverstoß".
Ja, das liest sich bei dir in der Tat recht schlicht. Ich zitiere lieber Wikipedia:
"Schuld als Verantwortlichkeit
Der Zustand der Schuld entsteht, wenn jemand für einen Verstoß gegen eine durch sittliche, ethisch-moralische oder gesetzliche Wertvorstellung gesetzte Norm verantwortlich ist.
...
Als Voraussetzung für Schuld wird meist angenommen, dass der Schuldige die Wahlmöglichkeit hatte, die als schlecht definierte Tat zu unterlassen."
Der erste Satz stimmt dir zu. Beim zweiten Satz merkt man, dass die Sache doch nicht ganz so einfach ist. Mir fehlt halt beim Golfspieler diese Wahlmöglichkeit, solange er in der fraglichen Situation gar nicht anders konnte.
Der Golfspieler wollte das Loch treffen, hat es jedoch verfehlt. Das lag jedoch nicht an seinen Überlegungen, Entscheidungen und Wahlmöglichkeiten. Dem Golfspieler ist es missglückt, seine Entscheidung/Absicht zu verwirklichen.
Nehmen wir nochmal den fiktiven Herrn Müller von oben, der mich betrogen hat. Hatte er die Wahlmöglichkeit, mich nicht zu betrügen? Ja, Herr Müller kann seine Zukunft beeinflussen, wie Du oben zugegeben hast. (Und, Zitat von Dir: "Habe ich jemals behauptet, dass man nicht wählen kann?")
(Nebenbei: auch Herrn Müller hätte es passieren können, (analog zum Golfspieler), dass er seine Absicht, mich zu betrügen, nicht in die Tat hätte umsetzen können.)
ganimed hat geschrieben:Du hast nun aber behauptet, dass es einen logischen Widerspruch darstellen würde, wenn Inkompis diese Form von Schuld ablehnen aber gleichzeit doch loben und tadeln wollen. Habe ich das richtig verstanden? Siehst du diesen Widerspruch jetzt immernoch oder konnten wir das klären?
Ja, das hast Du richtig verstanden, ja, ich sehe diesen Widerspruch immer noch und nein, wir konnten das noch nicht klären.
ganimed hat geschrieben:Ich würde eine Entscheidung, die in einer indeterministischen Welt unabhängig von kausalen Faktoren, also zufällig, getroffen wird immer noch nicht als freie Entscheidung bezeichnen. Frei schon, aber eben keine Entscheidung.
Ich habe mal 3 Fragen dazu:
1. "Entscheidung" ist eine Substantivierung des Verbes "entscheiden", so wie "Handlung" eine Substantivierung des Verbes "handeln" ist. Richtig?
2. Die beiden Aussagen "er hat eine freie Entscheidung getroffen" und "er hat frei entschieden" sind bedeutungsgleich, ebenso die beiden Aussagen "er hat frei gehandelt" und "er hat eine freie Handlung vollzogen". Richtig?
3. Falls Du dem zustimmst, dann formuliere doch mal bitte Dein Kriterium ("unabhängig von kausalen Faktoren") neu, diesmal nicht mit der Substantivierung "Entscheidung", sondern mit dem Verb "entscheiden". Wer oder was muss nun inwiefern unabhängig von kausalen Faktoren sein, damit man Deiner Ansicht nach sagen kann, P habe frei entschieden? Und welches Kriterium legst Du an, um zu sagen, dass jemand frei gehandelt habe?
(Und falls Du 1 und 2 nicht zustimmst, dann erkläre doch mal bitte, was für eine Entität eine Entscheidung Deiner Ansicht nach ist.)
ganimed hat geschrieben:Doch wir sind nicht im Indeterminismus. Deshalb verstehe dein Tourette-Argument eigentlich nicht wirklich. Mit deinem Tourette-Menschen habe ich ein Problem. Er ist relevant weshalb? Ich vermute nämlich, dass seine "Entscheidungen" nicht außerhalb seiner Kontrolle liegen (wie du schreibst), sondern nur außerhalb seiner bewussten Kontrolle.
Richtig. Für etwas, das außerhalb seiner bewussten Kontrolle liegt, darf man mE nicht verantwortlich gemacht werden. (Und somit auch keine Schuld dafür zugesprochen werden.)
ganimed hat geschrieben:Soweit ich gerade auf Wikipedia gelesen habe, könnte es sich um neuronale Ursachen handeln. Was für unsere Diskussion aus meiner Sicht bedeutet: auch bei Tourette-Menschen werden Entscheidungen auf einer neuronalen Ebene getroffen.
Machte es einen Unterschied (bezüglich der Freiheit, Verantwortlichkeit und Schuld des Tourette-Menschen und bezüglich dessen, ob Du das Entscheidung nennen würdest oder nicht) für Dich, ob das Verhalten des Tourette-Menschen (determinierte) Ursachen hätte oder indeterminiert/akausal wäre? Und macht es irgendwie einen Unterschied hier für Dich, ob die Ursachen neuronale Ursachen oder sonstige Ursachen wären?
ganimed hat geschrieben:Wenn du also mit deiner Erwähnung des Tourette-Menschen darauf hinaus willst, dass Determinismus und Willensfreiheit nicht vereinbar sind, dann stimme ich dir vollständig zu. Aber irgendetwas sagt mir, dass du auf etwas anderes hinaus willst. Indeterminismus kann es nicht sein. Was sonst?
Ich will darauf hinaus, dass der Tourette-Mensch keine bewusste Kontrolle über sein Verhalten hat und deswegen (nach meinen Begriffen) weder frei wäre, noch verantwortlich, noch schuldig für sein Verhalten gemacht werden dürfte. Außerdem will ich darauf hinaus, dass es dabei überhaupt keine Rolle spielt, ob sein Verhalten determiniert oder indeterminiert oder gar akausal ist.