ostfriese hat geschrieben:Nun hatte ich mir ein halbes Jahr lang erfolgreich eingeredet, dass ich ohne Forentätigkeit gar nix vermisse.
Und muss nun reumütig anerkennen: Eure Diskussion ist mindestens so spannend wie der Schlagabtausch zwischen Mahner/Kanitscheider und Hergovich/Zeidler im Skeptiker!
Freut mich, dass es uns gelungen ist, dich "herbeizuquatschen".

ostfriese hat geschrieben:Zunächst mal zur Frage, ob es sinnvoll ist, zwischen dem logisch Möglichen/Unmöglichen und dem nomologisch Möglichen/Unmöglichen noch eine dritte Kategorie anzusiedeln: Ich bin mir nicht sicher.
Die Frage ist, ob logische Möglichkeit eine hinreichende Bedingung für ontologische Möglichkeit ist, d.h. ob jede widerspruchsfreie Aussage einen Sachverhalt repräsentiert, der realiter bestehen kann.
Anmerkung: Ich habe festgestellt, dass der Begriff der logischen Notwendigkeit/Möglichkeit in einem engeren und in einem weiteren Sinn verwendet wird:
"narrowly logical necessity/possibility" versus "broadly logical necessity/possibility"
Zu den im engeren Sinn logisch notwendigen Wahrheiten zählen die formallogischen Wahrheiten und zu denjenigen im weiteren Sinn zusätzlich mathematische Wahrheiten wie "7 + 5 = 12" und konzeptuelle Wahrheiten wie "Alle Brüder haben Geschwister", "Junggesellen sind unverheiratet" sowie Aussagen wie "Nichts ist zur gleichen Zeit ganz rot und ganz grün", "Nichts wiegt mehr als es selbst" oder "Keine Zahl ist ein menschliches Wesen", deren Verneinungen zwar nicht rein formal widersprüchlich sind, sich aber doch unter Einbeziehung semantischer Aspekte als widersinnig und eben widersprüchlich erweisen.
Die Klasse der logisch notwendigen Wahrheiten im weiteren Sinn, d.h. der "logico-semantisch" notwendigen Wahrheiten, wird von manchen als die Klasse der "metaphysisch notwendigen Wahrheiten" bezeichnet.
Als "metaphysische Wahrheiten" sind aber auch die berühmt-berüchtigten "synthetischen Wahrheiten a priori" bezeichnet worden, von denen etliche moderne Philosophen behaupten, sie stellten eine leere Klasse dar.
Ich fürchte, der Übergang von der Klasse der logico-semantisch notwendigen W.en, die analytischer Natur sind, zu den synthetischen W.en a priori, d.h. zu den angeblichen metaphysischen Wahrheiten im traditionellen Sinn, ist fließend.
Ist ein Satz wie "Alle Ereignisse haben eine Ursache" noch logico-semantisch notwendig oder kann ich ihn getrost verneinen, ohne mich in einer Widersprüchlichkeit bzw. Widersinnigkeit zu verheddern?
Dagegen scheint mir der Satz "Alle farbigen Gegenstände sind ausgedehnt" noch logico-semantisch notwendig zu sein. (Einen 0-dimensionalen Punkt kann man nicht anmalen, da er keine Oberfläche hat.)
ostfriese hat geschrieben:Ganz sicher ist, dass ich mir nachts "Dinge" zusammenträume, die -- außerhalb meines Schädels verwirklicht -- den Naturgesetzen widersprächen. Sind sie dennoch logisch möglich? D.h., könnte ich jedes noch so seltsame Traumgeschehen vollständig prädikatenlogisch widerspruchsfrei beschreiben? Ist eine widersprüchliche Realität also nicht nur ontologisch unmöglich, sondern auch undenkbar?
Die Beziehung zwischen Denkbarkeit/Vorstellbarkeit und Möglichkeit ist kein einfaches Thema.
Wenn du Lust hast, kannst du dir dazu den folgenden 500-Seiten-Schmöker reinziehen:
* Gendler, Tamar Szabo, and John Hawthorne, eds.
Conceivability and Possibility. Oxford: Oxford University Press, 2002.
Ich kenne daraus nur die
Einleitung (pdf) und den Text
"Does Conceivability Entail Possibility?" von
David Chalmers, einem der führenden zeitgenössischen Philosophen des Geistes.
Darin unterscheidet er u.a. zwischen negativer und positiver Denkbarkeit:
"Negative notions of conceivability hold that S is conceivable when S is not ruled out. (...) The central sort of negative conceivability holds that S is negatively conceivable when S is not ruled out a priori, or when there is no (apparent) contradiction in S.
(...) Positive notions of conceivability require that one can form some sort of positive conception of a situation in which S is the case. One can place the varieties of positive conceivability under the broad rubric of imagination: to positively conceive of a situation is to in some sense imagine a specific configuration of objects and properties.""Negativen Ideen von Denkbarkeit zufolge ist S [eine Aussage, ein Sachverhalt] denkbar, wenn S nicht ausgeschlossen ist (...) Die zentrale Art von negativer Denkbarkeit besteht darin, dass S negativ denkbar ist, wenn S nicht von vornherein (a priori) ausgeschlossen ist, oder wenn in S kein (ersichtlicher) Widerspruch enthalten ist.
(...) Positive Ideen von Denkbarkeit erfordern, dass man sich eine bestimmte Art von positivem Begriff von einer Situation machen kann, in der S der Fall ist. Man kann die Arten von positiver Denkbarkeit unter die weite Rubrik 'Fantasie(spiele)' subsumieren: eine Situation positiv denken heißt sich in einem bestimmten Sinn eine spezifische Konfiguration von Gegenständen und Eigenschaften vorstellen."[meine Übers.]
In einem anderen Buch schreibt Chalmers:
"[T]here is a sense according to which a statement is conceivable if for all we know it is true, or if we do not know that it is impossible. (...) In practice, to make a conceivability judgment, one need only consider a conceivable situation—a small part of a world—and then make sure that one is describing it correctly. If there is a conceivable situation in which a statement is true, there will obviously be a conceivable world in which the statement is true, so this method will give reasonable results while straining our cognitive resources less than conceiving of an entire world!""In einem bestimmten Sinn ist eine Aussage denkbar, wenn sie unserem Wissen nach wahr ist, oder wenn wir nicht wissen, dass sie unmöglich ist. (...) Um in der Praxis ein Denkbarkeitsurteil zu fällen, muss man nur eine denkbare Situation in Betracht ziehen—einen kleinen Teil der Welt—und dann sicherstellen, dass man sie korrekt beschreibt. Wenn es eine denkbare Situation gibt, in der eine Aussage wahr ist, dann wird es offenkundig eine denkbare Welt geben, in der die Aussage wahr ist. Somit führt diese Methode zu vernünftigen Ergebnissen und zugleich beansprucht sie unsere Geistesfähigkeiten weniger als die Vorstellung einer ganzen Welt!"[meine Übers.]
(Chalmers, David.
The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory. Oxford: Oxford University Press, 1996. p. 66-7)
Und in der Einleitung des weiter oben genannten Buches ist auf S. 32 zu lesen:
"Recall that p is possible iff it is not necessary that not-p. Let us introduce, as a term of art, that p is conceivable iff it is not a priori that not-p. If all and only a priori truths are necessary truths, then all and only conceivable truths are possible truths. For the conceivable truths are just those whose negations are not a priori, and the possible truths are just those whose negations are not necessary. And since the latter two classes coincide, so do the former two.""Denken sie daran, dass p genau dann möglich ist, wenn es nicht notwendig ist, dass nicht-p. Lassen sie uns, als einen Fachbegriff, einführen, dass p genau dann denkbar ist, wenn es nicht a priori [wahr] ist, dass nicht-p. Wenn alle und nur A-priori-Wahrheiten notwendige Wahrheiten sind, dann sind alle und nur denkbare Wahrheiten mögliche Wahrheiten. Denn die denkbaren Wahrheiten sind genau diejenigen, deren Verneinungen nicht a priori [wahr] sind, und die möglichen Wahrheiten sind genau diejenigen, deren Verneinungen nicht notwendig [wahr] sind. Und da die letzteren zwei Klassen zusammenfallen, tun dies auch die zwei ersteren."Da es a priori wahr und damit notwendigerweise wahr ist, dass nicht-(p & ~p), sind p & ~p bzw. Fälle davon undenkbar.
ostfriese hat geschrieben:Und wenn sie undenkbar ist, liegt es dann daran, dass speziell unser Universum logisch strukturiert ist (und unseren Gehirnen keine Wahl lässt) oder daran, dass alles Existierende logisch widerspruchsfrei sein muss?
Nicht nur unsere wirkliche Welt, sondern alle möglichen Welten sind "logisch strukturiert".
Unmögliches ist nur in unmöglichen Welten der Fall. Aber unmögliche Welten sind per se notwendigerweise unwirklich.
Eine Frage am Rande:
Sind unmögliche Situationen wirklich absolut unvorstellbar?
Was ist mit den paradoxen Bildern von Escher wie dem folgenden:

Bilder wie dieses repräsentieren eine unmögliche Sachlage.
"Man sagte einmal, dass Gott alles schaffen könne, nur nichts, was den logischen Gesetzen zuwider wäre.—Wir könnten nämlich von einer 'unlogischen' Welt nicht sagen, wie sie aussähe."(Wittgenstein, TLP 3.031)
Escher konnte jedoch immerhin
Bilder erschaffen, die etwas Unlogisches darstellen.
Doch weder Escher noch Gott hätten das auf solchen Bildern Dargestellte Wirklichkeit werden lassen können!
ostfriese hat geschrieben:Wir sind offenbar wieder in einem Zirkel gefangen. Logik ist die Struktur der Sprache, in der wir argumentieren. Wir können nicht begründen, warum etwas nicht zugleich existieren und nicht-existieren kann, ohne Existenz von Nicht-Existenz im prädikatenlogischen Sinne zu unterscheiden und damit die Logik vorauszusetzen.
Eine widersprüchliche Sache oder ein widersprüchlicher Sachverhalt würde sowohl Sein als auch Nichtsein in sich vereinigen. Doch eine solche Einheit wäre ein reines Nichts, da das Sein als Nichtnichtsein das Nichtsein zunichte macht und das Nichtsein das Sein zunichte macht.
Das Widersprüchliche ist das in sich Nichtige!
Amen, die Gemeinde möge sich setzen ...
(Ich fürchte, dieser Beitrag ist etwas lang und abschweifig geraten.)