Die Konsenstheorie der Wahrheit

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon AgentProvocateur » Di 27. Nov 2012, 00:45

Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und die Frage: "wann können wir gerechtfertigt etwas als wahr ansehen?" ist, wie gesagt, eine andere als die Frage: "was bedeutet 'wahr' "?

Inwiefern? Für mich ist das eine leicht andere Formulierung mit nahezu identischem Inhalt.
Wo siehst Du den entscheidenden Unterschied?

Es ist der Unterschied zwischen Wahrheitsdefinition und Wahrheitskriterium. Myron hat das ja auch schon mehrfach ausgeführt.

Vollbreit hat geschrieben:Wir wissen heute, dass das Atommodell das sich Elektronen wie Planeten die um eine Kern (Sonne) kreisen vorstellten nicht stimmt. Es hat sich eben als nicht wahr erwiesen, nachträglich. Heute geht man von irgendwelchen Wolken aus, deren Position nicht zu bestimmen ist ohne in das „an sich“ einzugreifen. Vielleicht stimmt das, vielleicht ist es in 50 Jahren so überholt, wie das Planetenmodell der Elektronen. Aber was ist dann heute die Wahrheit über Elektronen, wenn man sich nicht sicher sein kann?

Das wissen wir nicht. Das bedeutet aber nicht, alles relativ und alles gleich sei sei, daraus folgt nicht Skeptizismus und daraus folgt auch nicht, dass wir nichts wissen können. Es gibt sehr wohl Kriterien und Gründe, um etwas berechtigt für wahr halten zu können. Aber irren können wir uns eben dennoch immer.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn es das ist, was die führenden Forscher meinen, wäre das wieder Konsens.
Warteten wir bis die endgültige Wahrheit über Elektronen verbrieft ist… woher sollen wir wissen, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist?
Also wäre eine Strategie den Umfang von Wahrheit oder wahren Aussagen zu reduzieren, auf logische Systeme und auf Alltagswahrheiten, wie die dass Frau Merkel Kanzlerin ist und es hier gerade regnet und dass wir uns austauschen. Jede weitere Aussage über die Wahrheit hätte es sehr schwer.

Du vermischst hier (mE unzulässig) Wissen und Wahrheit. Auch wenn wir nicht wissen, wie sich die zukünftigen Erkenntnisse der Physik ändern werden, bedeutet das nicht, dass wir heute kein Wissen haben könnten. Oder, anders gesagt, auch wenn man sich nicht zu 100% sicher sein kann, dass eine Aussage (oder eine Theorie oder ein Aussagengebäude) wahr ist, bedeutet das nicht, dass wir gar nichts wissen könnten.

Und es bedeutet auch nicht, dass man nicht berechtigt sagen könnte: "ich halte Aussage X für wahr".

Vollbreit hat geschrieben:Wenn alle etwas für wahr halten, muss es nicht wahr sein. Stimmt.
Es wäre irrational es nicht für wahr zu halten. Stimmt auch, denn von irgend etwas muss man ausgehen.
Aber was ist ein Wahrheitsbegriff wert, der eine Wahrheit fordert, auf die man im konkreten Fall nicht zurückgreifen kann? Ist diese Wahrheit nicht für alle Zeiten an einen Ort verlegt, der nie erreichbar ist. Und können wir überhaupt fordern, dass es so eine Wahrheit gibt? Man kann sagen, die Dinge, die Tatsachen müssten ja irgendwie sein. Und die Übereinstimmung unserer Ideen/Vorstellungen/Aussagen mit dem, wie sind sind, ist Wahrheit. Ist aber auch nicht unproblematisch, weil dualistisch.

Wir können nie mit 100%-iger Sicherheit wissen, ob eine Aussage wahr ist, wir können uns immer täuschen. Logische Systeme gelten hier nicht, weil auch die auf unbeweisbaren Prämissen aufbauen, die erst mal akzeptiert werden müssen.

Was daran nun problematisch sein sollte, ist mir aber unklar.

Was allerdings richtig ist, ist dies: die Korrespondenztheorie setzt einen Realismus voraus, es werden also Tatsachen angenommen, die unabhängig von mir (und allen anderen) existieren. Die Konsenstheorie tut das vielleicht nicht, vielleicht reichte es für die Konsenstheorie, wenn es lediglich Meinungen gäbe und sonst nichts.

Vollbreit hat geschrieben:Nicht sehen kann ich den metaphyischen Sog einer Wahrheit, auf die man sukzessive zusteuert, ohne das man wüsste, in welche Richtung es überhaupt geht, weil das Ziel so definiert ist, dass es existiert, aber im Nebel liegt, mit einer Schlucht dazwischen und man selbst hat nur ein Segelboot.
Selbst wenn ich zufällig am Ziel wäre, woran sollte ich es erkennen? Selbst am Ziel bliebe doch die Spaltung bestehen, oder nicht?

Also irgendwie sagst Du nun wieder Dinge, die ich nicht zuordnen kann. Wieso sollte man sukzessive auf eine Wahrheit zusteuern und was hat das mit der Korrespondenztheorie zu tun?

Wie gesagt: meiner Ansicht nach weiß man nicht, wann man am Ziel ist, d.h. man kann z.B. eine wissenschaftliche Theorie nicht eindeutig von einer anderen wissenschaftlichen Theorie bezüglich ihrer Wahrheitswerte unterscheiden, wenn diese gleichfalls die Anforderungen an Kohärenz (oder sonstige Wahrheitskriterien) erfüllen.

Aber was hat das mit der Definition von "Wahrheit" zu tun? Das ist doch die Frage "was können wir wissen", aber nicht die Frage "was bedeutet Wahrheit", also doch eigentlich gar nicht unser Thema, oder?
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Di 27. Nov 2012, 01:15

Myron hat geschrieben:Was genau Frege'sche Gedanken sein sollen (sind sie z.B. in sich strukturiert oder nicht?) und inwieweit sie sich ontologisch sinnvoll von Sachverhalten/Tatsachen einerseits und Aussagesätzen andererseits abgrenzen lassen, ist mir nicht klar.


Eigentlich ist es mir doch klar. =)
Für Frege ist ein Gedanke der Sinn oder die Bedeutung eines Aussagesatzes. Man beachte, dass er "Sinn" und "Bedeutung" im Gegensatz zu mir hier nicht synonym verwendet; denn unter "Bedeutung" versteht er das, was die meisten als "Bezugsgegenstand" bezeichnen würden. Für Frege ist die Bedeutung eines Aussagesatzes nicht dessen Sinn, sondern dessen Wahrheitswert: das Wahre oder das Falsche. (Die beiden Wahrheitswerte sind für Frege einfache abstrakte Objekte.)

Gedanken als Aussagesatzsinne oder -bedeutungen sind nicht sprachabhängig. Ein und dieselbe Aussagesatzbedeutung kann durch verschiedene Aussagesätze ausgedrückt werden, die entweder zur selben Sprache gehören oder zu verschiedenen Sprachen.

Des Weiteren sind Gedanken für Frege komplexe, strukturierte Entitäten, denn sie sind aus den Sinnen/Bedeutungen von Eigennamen oder Kennzeichnungen sowie den Sinnen/Bedeutungen von Begriffswörtern (Prädikaten) zusammengesetzt.

Noch ein Wort zur Sprachunabhängigkeit abstrakter Gedanken: Damit kann gemeint sein, dass sie von bestimmten Sprachen unabhängig sind oder von allen Sprachen, d.h. von Sprache überhaupt.
In letzterem Fall (der den ersteren einschließt) können Gedanken auch dann existieren, wenn sie niemals sprachlich, d.i. mithilfe eines Aussagesatzes, ausgedrückt werden. Diese Auffassung macht Gedanken/propositions zu platonischen, d.i. ewigen, nichtraumzeitlichen Entitäten, deren Existenz nicht davon abhängt, dass sie von irgendwelchen denkenden Wesen gedacht werden. An solche abstrakten Entitäten mag glauben, wer will; ich als Naturalist kann es jedenfalls nicht.
Aus naturalistischer Sicht ist es beispielsweise völlig rätselhaft, wie ein Mensch, der innerhalb von Raum und Zeit lebt, eine geistige Verbindung zu einem außerraumzeitlichen Gedanken herstellen könnte, der wohlgemerkt kein Denkvorgang in einem Gehirn ist. Durch eine mysteriöse Art übersinnlicher Wahrnehmung vielleicht?

In ersterem Fall sind Gedanken hinsichtlich ihres Daseins und Fortbestehens vom Dasein und Fortbestehen mindestens einer Sprache abhängig, was bedeutet, dass es keine mögliche Welt gibt, in der es Gedanken, aber keine Denker und Sprecher gibt. Noch glaubwürdiger werden Gedanken, wenn man überdies annimmt, dass es keine unausgedrückten Gedanken gibt bzw. geben kann, d.h. dass alle existierenden Gedanken irgendwann von irgendeinem Aussagesatz in irgendeiner Sprache ausgedrückt worden sind.
(Dass man keine Beispiele für unausgedrückte Gedanken anführen kann, versteht sich von selbst.)
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Di 27. Nov 2012, 07:38

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben: Nochmal: Das Entscheidende ist nicht, wie die Wahrheit von „Schnee ist weiß“ zustande kommt, sondern wie die Falschheit von "Schnee ist schwarz" zustande kommt.


Aber es geht um die Frage, was Wahrheit ist.

Wahr ist nicht-falsch. Eine wahre Vorstellung ist eine Vorstellung, die nicht falsch ist.


Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben: Wenn ich noch nie Schnee gesehen hätte und der Überzeugung wäre, dass Schnee schwarz ist und dann das erste Mal Schnee sehen würde, würde ich feststellen, dass meine Überzeugung nicht mit der Erfahrung korrespondiert.


Wenn Du inzwischen gelernt hättest, den Begriff „weiß“ korrekt zu verweden.

Benennungen sind nicht erforderlich. Ich kann auch Behaupten: "Schnee hat im Dezember eine andere Farbe als im Januar". Und wie oben am Beispiel des Schneehasen gezeigt, ist Sprache überhaupt nicht erforderlich um Sachverhalte zu unterscheiden


Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben: Daran sehe ich zunächst, dass meine Überzugung falsch sein kann.


Aber nicht im Alleingang...

Du konstruierst mein schlechtes Besipiel in eine falsche Richtung weiter. Es geht nicht vordergründig um Benennungen, sondern um Erfahrungen. Wenn ich einmal eine Vorstellung oder Erfahrung "weiß" nenne, dann kann ich auch sagen, ob eine weitere Erfahrung mit dieser Vorstellung korrespondiert.


Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben: Ich hoffe aber, dass ich prinzipiell zu einer richtigen gelangen kann. Ich versuche daher meine Überzeugungen so anzupassen, dass sie möglichst stark mit meinen Erfahrungen korrespondieren.

Löblich, aber ohne den Kontakt mit anderen gar nicht möglich, zumindest nicht in dem Fall.
Bestimmte Korrekturen kann man auch allein Vornehmen, aber da muss man schon über einiges Vorwissen verfügen.

Ja, aber nicht so, wie du dir das denkst. Ich habe einen angeborenes Vorwissen, dass Dinge z.B. gleich oder nicht-gleich sind. Wie gesagt - gleichgültig, voher meine Vorstellungen von "Rot" und "Grün" stammen, ich kann ohne den Kontakt mit anderen feststellen, ob die Ampel rot oder grün ist (einfach mal praktisch denken!).

(muss los...)
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mi 28. Nov 2012, 10:42

@ die muntere Runde:

Erst mal mein Dank für die rege Beteiligung und die sehr guten Hinweise.
Allmählich wird es für mich rein mengenmäßig etwas viel, so dass ich mal einige Kernaussagen herausgreife.

Den Unterschied zwischen Wahrheitsdefintion und –kriterium haben Myron und Agent angesprochen und ich habe es jetzt wohl verstanden.

Ich kann wissen, wie oder wann etwas als wahr definiert wird (wenn die Aussage mit den Tatsachen übereinstimmt), das muss aber nicht heißen, dass ich weiß, ob die Aussagen im vorliegenden Fall mit den Tatsachen übereinstimmen. So?

Myron hat geschrieben:Meinungsübereinstimmung als Wahrheitskriterium kann übrigens auch von einem Korrespondenztheoretiker akzeptiert werden: Woran erkenne ich, dass eine Aussage der Wirklichkeit entspricht? Daran, dass alle (Wissenschaftler) glauben, dass sie der Wirklichkeit entspricht. Und ob alle (Wissenschaftler) glauben, dass sie der Wirklichkeit entspricht, lässt sich mittels Umfragen feststellen.


Aber läuft nicht da beides erkennbar ineinander?

Ich fand das Fazit der Konsenstheorien spannend, das ich dummerweise erst jetzt selbst gelesen habe, hier insbesondere Punkt 2:
Wikipedia hat geschrieben:Die Konsenstheorie der Wahrheit ersetzt nicht die anderen Wahrheitstheorien, sondern baut historisch auf sie auf. Logisch geht sie diesen voraus: Wenn man die Konsenstheorie weiter denkt, so gelangt man zu der Frage, wie denn bei den verschiedenen Arten von Behauptungen ein argumentativer Konsens hergestellt werden kann. Dabei sind etwa die Korrespondenztheorie und die Kohärenztheorie zu berücksichtigen. In Bezug auf Behauptungen über die tatsächliche Beschaffenheit der Welt findet sich die Antwort bereits weitgehend in der Methodologie der Erfahrungswissenschaften: Konsens stiftend in Bezug auf empirische Fragen ist die intersubjektiv übereinstimmende Beobachtung bzw. Wahrnehmung.
http://de.wikipedia.org/wiki/Konsensthe ... heit#Fazit


Ich sehe beide ineinander verschränkt, auch wenn ich anerkenne, dass die beste intersubjektive Absprache keinen Irrtum ausschließen kann. Die Experten können sich einig sein und doch kann sich etwas nachher als falsch erweisen.

Für mich bleibt es noch immer problematisch, dass man an die Tatsachen in einem basalen Sinne auch nur über Absprachen – die Erlebnisinhalte intersubjektiv abgleichen und ihnen einen Namen geben – herankommt.

Erst danach schließt man auf das Faktum, dass dort tatsächlich ein Baum stehen muss.
Geht da jemand mit?


Es scheint einen Konsens darüber zu geben, dass nur Aussagen eine Wahrheitsanspruch zukommt, und Myron vertieft das noch ein mal:
Myron hat geschrieben:i. eine nichtsprachliche, sprach- und geistunabhängige abstrakte Entität, von Frege "Gedanke" und im Englischen "proposition" genannt?
ii. eine abstrakte sprachliche Entität, ein Aussagesatztyp?
iii. eine konkrete sprachliche Entität, ein Aussagesatzexemplar?

Abstrakte Frege'sche Gedanken, die keine Gedanken im psychologischen Sinn, d.h. keine konkreten Denkvorgänge sind, sind nicht nur von bestimmten Sprachen unabhängig, sondern von Sprache (sowie Geist) überhaupt, wohingegen sowohl abstrakte Aussagesatztypen als auch konkrete Aussagesatzexemplare von einer bestimmten Sprache abhängig sind. Für einen (materialistischen) Naturalisten wie mich sind abstrakte Entitäten generell "entia non grata", sodass ich wohl nicht umhinkomme, unter einer Aussage einen konkreten gedachten oder mündlich oder schriftlich geäußerten Aussagesatz zu verstehen. Was genau Frege'sche Gedanken sein sollen (sind sie z.B. in sich strukturiert oder nicht?) und inwieweit sie sich ontologisch sinnvoll von Sachverhalten/Tatsachen einerseits und Aussagesätzen andererseits abgrenzen lassen, ist mir nicht klar.


Ich habe hier einen Text von Frege dazu gefunden:
http://www.gavagai.de/HHP32.htm (alle Zitat daraus)

Gottlob Frege hat geschrieben:Was nennt man einen Satz? Eine Folge von Lauten; aber nur dann, wenn sie einen Sinn hat, womit nicht gesagt sein soll, daß jede sinnvolle Folge von Lauten ein Satz sei. Und wenn wir einen Satz wahr nennen, meinen wir eigentlich seinen Sinn. Danach ergibt sich als dasjenige, bei dem das Wahrsein überhaupt in Frage kommen kann, der Sinn eines Satzes. Ist nun der Sinn eines Satzes eine Vorstellung? Jedenfalls besteht das Wahrsein nicht in der Übereinstimmung dieses Sinnes mit etwas anderem; denn sonst wiederholte sich die Frage nach dem Wahrsein ins Unendliche.
Ohne damit eine Definition geben zu wollen, nenne ich Gedanken etwas, bei dem überhaupt Wahrheit in Frage kommen kann. Was falsch ist, rechne ich also ebenso zu den Gedanken, wie das, was wahr ist. Demnach kann ich sagen: der Gedanke ist der Sinn eines Satzes, ohne damit behaupten zu wollen, daß der Sinn jedes Satzes ein Gedanke sei. Der an sich unsinnliche Gedanke kleidet sich in das sinnliche Gewand des Satzes und wird uns damit faßbarer. Wir sagen, der Satz drücke einen Gedanken aus.

Das ist wirklich ein wenig dunkel.
So weit ich weiß, meint Frege allgemein mit „Sinn“ in etwa „Bedeutung“. Bedeutung in dem Sinne, dass es eine Bezeichnung oder einen Namen von etwas gibt „Kölner Dom“, dann etwas, was damit gemeint ist, der Sinn von „Kölner Dom“ und den Referenten, den Kölner Dom. Aus der Zweiheit wird eine Dreiheit.

Dem Gedanken als Sinn (Bedeutung) des Satzes, kann allein Wahrheit zukommen. Die Zeichen drücken diesen Gedanken aus, machen ihn sichtbar, im Grunde wie bei de Saussure.
Ich glaube, so lässt sich der Text besser verstehen.

Später stellt er die wichtige Frage:
Gottlob Frege hat geschrieben:Die Bedeutung des Wortes „wahr” scheint ganz einzigartig zu sein. Sollten wir es hier mit etwas zu tun haben, was in dem sonst üblichen Sinne gar nicht Eigenschaft genannt werden kann?


Hier beantwortet Dir, ujmp, Frege die Frage, nach der Übereinstimmung von Aussagen und ihren zugefügten Wahrheitsbehauptungen oder von Bejahungen:
Gottlob Frege hat geschrieben:Die Antwort „ja” besagt dasselbe wie ein Behauptungssatz; denn durch sie wird der Gedanke als wahr hingestellt, der im Fragesatz schon vollständig enthalten ist.


Ich habe dann ziemlich genau die Hälfte des Textes gelesen. Dabei kam mir die Erinnerung der Brandom Lektüre hoch (Brandom sieht sein „Making it Explicit“ u.a. als den Versuch an Wittgenstein, Kant und Frege zu vereinen). Frege wird dabei als derjenige charakterisiert, der Wahrheit nicht einzelnen Wörtern zuschreibt (und bei „Es regnet“ fragt, wer denn dieser „Es“ ist), sondern logische Sinneinheiten postuliert, die dann nachher substituiert werden können. [Frau Merkel] kann z.B. immer durch die Sinneinheit [Die erste deutsche Kanzlerin] substituiert werden.

Der etwas matephysische Sinn von Sätzen und Gedanken (dessen Herkunft Frege wohl nie richtig erklären kann), wird dann aber durch Wittgenstein und Quine ziemlich geerdet und schlicht dem Gebrauch von Sätzen zugeschrieben. Frege führt ja selbst (im verlinkten Text) aus, wie kontextabhängig die Wahrheit eines Satzes sein kann, er will wohl darauf hinaus, dass die Wahrheit der Aussage „Heute ist Mittwoch“ nicht verfälscht wird (und diese Wahrheit meint) wenn sie eine Tag später durch den Satz „Gestern war Mittwoch“ ausgedrückt wird.
Darin sieht es wohl die Sprachunabhängigkeit.

Vielleicht klärt das schon den einen oder anderen Punkt ein wenig, inwieweit wir dem näher nachgehen wollen, weiß ich nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Auch wenn wir nicht wissen, wie sich die zukünftigen Erkenntnisse der Physik ändern werden, bedeutet das nicht, dass wir heute kein Wissen haben könnten. Oder, anders gesagt, auch wenn man sich nicht zu 100% sicher sein kann, dass eine Aussage (oder eine Theorie oder ein Aussagengebäude) wahr ist, bedeutet das nicht, dass wir gar nichts wissen könnten.

Und es bedeutet auch nicht, dass man nicht berechtigt sagen könnte: "ich halte Aussage X für wahr".


Dass wir, wenn wir auch nicht alles wissen, so doch gewisse Dinge – m.E. sogar zweifelsfrei – wissen können, will ich gerade nicht abstreiten.
Bedenklich finde ich allein, dass es absehbar ist, dass wir über gewisse Wahrheiten niemals Erkenntnisse haben werden – anders ausgedrückt: unser Wissen hat prinzipielle Grenzen – und das die Navigationsanleitung, dass Wahrheit die Übereinstimmung von Aussagen mit Fakten ist, sehr schnell unbrauchbar wird und obendrein oft nur der Konsens klären kann, was die Tatsachen sind.
Es sind ja nicht einfache Ergebnisse, wie: „Es blinkt“ oder „22,7 Gramm“, die die Lösung darstellen, sondern es sind die Ergebnisse der Quantenphysik in all ihrer Widersprüchlichkeit, es ist ein EKG, was nur Experten zu deuten verstehen, es sind Erkenntnisse der Philosophie, auch der Psychologie, die zwar vorliegen, zu denen man aber nicht unbedingt Zugang hat, auch wenn sie vorliegen. Was sind denn nun die Tatsachen über die Willensfreiheit? Mit MRT Messungen der Hirnforscher – gewiss – oder die Interpretationen der Kompatibilisten? Wann bleibe ich streng bei den Fakten? Und es ist eigentlich nicht zu erwarten, dass das alles sehr viel einfacher wird.
Vielleicht muss ich das auch noch mal besser formulieren oder drüber nachdenken, ich habe da selbst keine abgeschlossene Meinung, außer das zu klären ist, was Fakten eigentlich sein sollen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Was allerdings richtig ist, ist dies: die Korrespondenztheorie setzt einen Realismus voraus, es werden also Tatsachen angenommen, die unabhängig von mir (und allen anderen) existieren. Die Konsenstheorie tut das vielleicht nicht, vielleicht reichte es für die Konsenstheorie, wenn es lediglich Meinungen gäbe und sonst nichts.


Das ist nicht genau das Problem, denn auch die Konsenstheorie geht davon aus, dass wir als Subjekte in einer gemeinsamen objektiven Welt leben, aber der Weg dahin ist ein anderer.
Was mir dubios erscheint, ist vielmehr die Aussage, dass wir zu den Tatsachen als solchen unmittelbaren Zugang hätten und als würden wir dadurch, dass wir die Tatsachen benennen, auf diesem Weg zu einer Wahrheit gelangen.
Dabei gelangen wir doch genau anders herum zur Kenntnis über Fakten. Was wir „Hund“, „Auto“, „rot“, „wahr“ und „gefährlich“ nennen ist zunächst mal ein erlerntes soziales Spiel.
Schon ob uns eine Welt von getrennten, unterscheidbaren Einzeldingen wirklich gegeben ist, ist ja eine Frage die nicht abschließend geklärt ist, um wie viel mehr gilt sie für innere Zustände. Ist „Hunger“ wirklich ein leerer Magen und muss „Schmerz“ einen physischen, auslösenden Reiz haben und sie weiter.
M.E. sind wir nicht einfach in eine Welt physikalischer Gegenstände geworfen, die wir dann nach und nach durch Beobachtung erfolgreich benennen.

Ich glaube auch, nach wie vor, dass es falsch ist, anzunehmen in der Konsenstheorie habe man es nur mit Meinungen zu tun und in der Korrespondenztheorie mit Fakten. Die Konsenstheorie anerkennt m.E. natürlich Fakten, wenn sie meinetwegen auf dem Weg eines chemischen Experiments gewonnen wurden, kann man ihr meinetwegen unterstellen es gäbe kaum mehr einen Unterschied zur Korrespondenztheorie – dass es immer zwischen beiden Überlappungen gibt und geben muss, damit habe ich überhaupt kein Problem – aber was Wahrheit ist, kann man mit der Korrespondenztheorie zwar definieren, aber oft erst im Nachgang einlösen, denn wie nun die Fakten sind, liegt ja gerade nicht (in allen Fällen) auf der Straße. Wenn man sich dann sicher ist, das richtige Ergebnis zu haben – ich weiß, man kann nicht sicher sein und das ist Wissen, nicht Wahrheit – also bestimmte Fakten zu kennen, würde das selbstverständlich auch ein Konsenstheoretiker anerkennen. Und wo die Fakten gewissermaßen auf der Straße liegen, ist ihre Faktizität eben dem geschuldet, was alle wahrnehmen und traditionell so benennen: Dass Schnee eben weiß ist.

Kann man es vielleicht so formulieren, dass die Korrespondenz die beste Definition liefert, man aber in der Einlösung/Annäherung den Weg des Konsenses gehen muss und zu beurteilen, ob man der Wahrheit näher gekommen ist?

AgentProvocateur hat geschrieben:Wie gesagt: meiner Ansicht nach weiß man nicht, wann man am Ziel ist, d.h. man kann z.B. eine wissenschaftliche Theorie nicht eindeutig von einer anderen wissenschaftlichen Theorie bezüglich ihrer Wahrheitswerte unterscheiden, wenn diese gleichfalls die Anforderungen an Kohärenz (oder sonstige Wahrheitskriterien) erfüllen.

Aber was hat das mit der Definition von "Wahrheit" zu tun? Das ist doch die Frage "was können wir wissen", aber nicht die Frage "was bedeutet Wahrheit", also doch eigentlich gar nicht unser Thema, oder?


Ich finde doch, aber vielleicht ist das einfach eine andere Bewertung, ob man diese Unentscheidbarkeit für die Frage nach der Wahrheit als problematisch ansieht, oder nicht.
Für mich heißt es in der Konsequenz, dass wenn wir am Ziel wären und wir nicht erkennen könnten, dass wir es sind, die Definition auch nichts her macht, da sie keinen praktischen Wert mehr hat.

Myron hat geschrieben:Für Frege ist ein Gedanke der Sinn oder die Bedeutung eines Aussagesatzes.


Ja, da erklärst Du es ja selbst, nach m.W. stimmt das.

Myron hat geschrieben:Noch ein Wort zur Sprachunabhängigkeit abstrakter Gedanken: Damit kann gemeint sein, dass sie von bestimmten Sprachen unabhängig sind oder von allen Sprachen, d.h. von Sprache überhaupt.
In letzterem Fall (der den ersteren einschließt) können Gedanken auch dann existieren, wenn sie niemals sprachlich, d.i. mithilfe eines Aussagesatzes, ausgedrückt werden. Diese Auffassung macht Gedanken/propositions zu platonischen, d.i. ewigen, nichtraumzeitlichen Entitäten, deren Existenz nicht davon abhängt, dass sie von irgendwelchen denkenden Wesen gedacht werden. An solche abstrakten Entitäten mag glauben, wer will; ich als Naturalist kann es jedenfalls nicht.


Ich glaube, dass Freges Ansichten hier, die ja insofern nachvollziehbar sind, da es den Eindruck hat, dass tatsächlichen verschiedene Sprachen den gleichen Gedankeninhalt ausdrücken können, aber ich glaube, dass es gemeinhin anerkannt ist, dass weite Teile unseres Denkens ein inneres Sprechen sind und der praktische Gebrauch der Begriffe eben für uns Bedeutung (nach Frege: Sinn) meint und es obendrein auch fraglich ist, ob andere Sprachen wirklich einen identischen Inhalt ausdrücken (Quine und Putnam hätten hier Einwände) und ob gewisse (für Frege eher psychologische) Füllwörter, dann tatsächlich für den logischen Gehalt so folgenlos sind, darüber könnte man auch noch reden. Streng genommen sind sie es vermutlich, aber die Frage ist, ob das eher eine Stärke oder Schwäche der Logik ist, da Sprache davon lebt, dass es minimal Bedeutungsverschiedungen gibt. Passt vielleicht besser in den anderen Thread.

ujmp hat geschrieben:Wahr ist nicht-falsch. Eine wahre Vorstellung ist eine Vorstellung, die nicht falsch ist.


Ja, das ist eine Tautologie, die aber rein gar nichts erklärt.

ujmp hat geschrieben:Und wie oben am Beispiel des Schneehasen gezeigt, ist Sprache überhaupt nicht erforderlich um Sachverhalte zu unterscheiden


Im Grunde ist das eine andere Diskussion und ich würde Dir massiv widersprechen.
Es macht einen gewaltigen Unterschied aus, ob man etwas mit einem Begriff belegt oder einfach nur wahrnimmt.
Auch wäre aus der Sicht eines Wesens, das – von wegen sprachunabhängig – Infrarot wahrnimmt oder sich über Gerüche orientiert Dein Beispiel völlig hinfällig, da verschmilzt der Schneehase nämlich keinesfalls mit der Landschaft sondern könnte geradezu aufleuchten.

ujmp hat geschrieben:Wenn ich einmal eine Vorstellung oder Erfahrung "weiß" nenne, dann kann ich auch sagen, ob eine weitere Erfahrung mit dieser Vorstellung korrespondiert.


Es ist komplizierter. Du müsstest erst mal verbal isolieren, was denn nun „weiß“ genannt werden soll.
Gesetzt wir sind die ersten Menschen, Du machst ein Schneeerfahrung und belegst sie mit dem Begriff „weiß“. Woher soll ich wissen, ob nun „weiß“ das Gesamtphänomen Schnee meint, oder die Farbe (was Du ja sagen willst), oder doch vielleicht den Aspekt der Kälte, oder die vielleicht empfundene Schönheit? „Weiß“ könnte aber auch „verdeckt alles“ bedeuten oder „böser Fluch“ oder „macht mir Angst“. Es ist eben nicht so einfach.

ujmp hat geschrieben:Ich habe einen angeborenes Vorwissen, dass Dinge z.B. gleich oder nicht-gleich sind.


Kann sein, kannst Du das bitte noch näher ausführen?

ujmp hat geschrieben:Wie gesagt - gleichgültig, voher meine Vorstellungen von "Rot" und "Grün" stammen, ich kann ohne den Kontakt mit anderen feststellen, ob die Ampel rot oder grün ist (einfach mal praktisch denken!).


Ja, Du kannst angeborenermaßen Farbeindrücke unterscheiden, keine Frage. Ich bestreite auch nicht, dass wir nur deshalb erfolgreich sprechen können, weil wir sehr ähnliche Sinneswahrnehmungen haben. Aber ich kann mich dessen – der Ähnlichkeit der Wahrnehmungen – nur über Kommunikation nähern, in dem ich einen Konsens darüber herstelle, dass Tomaten, Feuerlöscher, Blut usw. annähernd dieselbe Farbe haben. Aber zu wissen, dass man über Farbeindrücke redet, ist nicht so selbstverständlich wie es uns erscheint, die wir in eine Welt komplexer Sprache hineingeboren werden.
(Ich finde, das als Vorschlag für den Ich, Wir, Sprache-Thread, es übrigens spannend der Frage nachzugehen, ob die Bedeutung von Farben uns angeboren ist. Die Warnfarbe für uns ist oft Rot, gleichzeitig lässt sie unseren Blutdruck steigen usw.)
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mi 28. Nov 2012, 14:00

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Wahr ist nicht-falsch. Eine wahre Vorstellung ist eine Vorstellung, die nicht falsch ist.


Ja, das ist eine Tautologie, die aber rein gar nichts erklärt.

Im Kontext ist das keine Tautologie, denn ich hatte das Wahrheitsproblem anhand des Falschheitsproblem erklärt, worauf du geantwortet hattest, dass die nicht dasselbe Problem sei, - das ist es aber.

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Und wie oben am Beispiel des Schneehasen gezeigt, ist Sprache überhaupt nicht erforderlich um Sachverhalte zu unterscheiden


Im Grunde ist das eine andere Diskussion und ich würde Dir massiv widersprechen.
Es macht einen gewaltigen Unterschied aus, ob man etwas mit einem Begriff belegt oder einfach nur wahrnimmt.

Der Unterschied ist irrelevant für das Wahrheistproblem - jedenfalls innerhalb des Konzeptes der Korrespondenztheorie.

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Wenn ich einmal eine Vorstellung oder Erfahrung "weiß" nenne, dann kann ich auch sagen, ob eine weitere Erfahrung mit dieser Vorstellung korrespondiert.

Es ist komplizierter. Du müsstest erst mal verbal isolieren, was denn nun „weiß“ genannt werden soll.
Gesetzt wir sind die ersten Menschen, Du machst ein Schneeerfahrung und belegst sie mit dem Begriff „weiß“. Woher soll ich wissen, ob nun „weiß“ das Gesamtphänomen Schnee meint, oder die Farbe (was Du ja sagen willst), oder doch vielleicht den Aspekt der Kälte, oder die vielleicht empfundene Schönheit? „Weiß“ könnte aber auch „verdeckt alles“ bedeuten oder „böser Fluch“ oder „macht mir Angst“. Es ist eben nicht so einfach.

Du setzt die Notwendigkeit eines Konsens schon vorraus und ich versuche dir gerade klar zu machen, dass sie nicht gegeben ist. Wenn du heute beim Einkaufen eine dir komplett unbekannte Person triffst, wird es dir sehr wahrscheinlich unmöglich sein, mir diese Person so zu beschreiben, dass ich sie wiedererkennen würde. Du selbst wirst sie aber sofort wiederkennen, wenn du sie morgen wieder triffst. Das wird besonders deutlich, wenn du Personen wiedertriffst, die du nur deshalb wahrnimmst, weil du sie schonmal gesehen hast. Und siehe nächtse Antwort...

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Ich habe einen angeborenes Vorwissen, dass Dinge z.B. gleich oder nicht-gleich sind.


Kann sein, kannst Du das bitte noch näher ausführen?


Es ist offensichtlich hardcodiert dass wir Gleiches und und Nichtgleiches unterscheiden können, denn das ist eine Vorraussetzung für das Lernen. Das ist m.E. auch die Voraussetzung dafür, dass wir Begriffe bilden können. Ein Säugling kann z.B. seine Mutter wiederkerennen. Wie auch immer - hat er einen Begriff von Mama und Nicht-Mama. Mann kann sogar zeigen, das Säuglinge bis drei zählen können, obwohl sie keinen Begriff von Zahlen haben. Das können übrigens auch höhere Säugetiere. Aber lassen wir mal das Angeborene bei Seite...

Angenommen du siehst zwei aneinander grenzende Farbflächen. Die Antwort auf die Frage ob sie gleich sind oder nicht bedarf keiner Begriffe außer natürlich dem der Gleichheit. Das wird besonders in dem Fall deutlich, wenn die beiden Flächen zunächst so gleich aussehen, dass du überhaupt nicht merkst, dass es zwei Flächen sind und wenn sich dann eine der beiden Flächen verfärbt, so dass du sagst "Das sind zwei". Diese Aussage - und das ist der Punkt hier - kann für dich wahr oder falsch sein, bevor du den Unterschied irgendwie benennen musst. Der Unterschied ist sozusagen präverbal.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mi 28. Nov 2012, 15:54

ujmp hat geschrieben:Du setzt die Notwendigkeit eines Konsens schon vorraus und ich versuche dir gerade klar zu machen, dass sie nicht gegeben ist.


Ich setzte voraus, dass man Sprechen können muss, um sich auszutauschen.

ujmp hat geschrieben:Wenn du heute beim Einkaufen eine dir komplett unbekannte Person triffst, wird es dir sehr wahrscheinlich unmöglich sein, mir diese Person so zu beschreiben, dass ich sie wiedererkennen würde. Du selbst wirst sie aber sofort wiederkennen, wenn du sie morgen wieder triffst. Das wird besonders deutlich, wenn du Personen wiedertriffst, die du nur deshalb wahrnimmst, weil du sie schonmal gesehen hast.


Damit willst Du sagen, dass wir einen inneren Sinn für z.B. Gesichtererkennung haben, der weitgehend sprachunabhängig ist. Okay, kann sein.

Und siehe nächtse Antwort...

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Ich habe einen angeborenes Vorwissen, dass Dinge z.B. gleich oder nicht-gleich sind.


Kann sein, kannst Du das bitte noch näher ausführen?


ujmp hat geschrieben:Es ist offensichtlich hardcodiert dass wir Gleiches und und Nichtgleiches unterscheiden können, denn das ist eine Vorraussetzung für das Lernen. Das ist m.E. auch die Voraussetzung dafür, dass wir Begriffe bilden können. Ein Säugling kann z.B. seine Mutter wiederkerennen.


Ja, kann er wohl. Und bestimmte Sinne sind uns angeboren, wie auch bestimmte Möglichkeiten auf Reize zu reagieren.

ujmp hat geschrieben:Wie auch immer - hat er einen Begriff von Mama und Nicht-Mama.


Ja?

ujmp hat geschrieben:Mann kann sogar zeigen, das Säuglinge bis drei zählen können, obwohl sie keinen Begriff von Zahlen haben. Das können übrigens auch höhere Säugetiere. Aber lassen wir mal das Angeborene bei Seite...


Kann gut sein. Vermutlich können sie aber nicht zählen, sondern Mengen unterscheiden, was m.E. ein Unterschied ist.

ujmp hat geschrieben:Angenommen du siehst zwei aneinander grenzende Farbflächen. Die Antwort auf die Frage ob sie gleich sind oder nicht bedarf keiner Begriffe außer natürlich dem der Gleichheit.


Ein Begriff ist das alles aber gerade nicht, egal welche Dispositionen Du noch herankarrst.

ujmp hat geschrieben:Das wird besonders in dem Fall deutlich, wenn die beiden Flächen zunächst so gleich aussehen, dass du überhaupt nicht merkst, dass es zwei Flächen sind und wenn sich dann eine der beiden Flächen verfärbt, so dass du sagst "Das sind zwei". Diese Aussage - und das ist der Punkt hier - kann für dich wahr oder falsch sein, bevor du den Unterschied irgendwie benennen musst. Der Unterschied ist sozusagen präverbal.


Ein präverbaler Wahrheitsbegriff ist für mich ein Widerspruch in sich.
http://de.wikipedia.org/wiki/Begriff

Aber davon abgesehen. Es gibt bestimmte Fähigkeiten der Unterscheidung, die angeboren (oder sehr früh - im präverbalen Stadium - erworben sind). Okay.
Und wie kommt man von dort aus zur Wahrheit oder Korrespondenztheorie?
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mi 28. Nov 2012, 19:36

Vollbreit hat geschrieben:Und wie kommt man von dort aus zur Wahrheit oder Korrespondenztheorie?

Damit hab ich erklärt, warum kein Konsens nötig ist und dass konventionelle Begriffe nicht ausschlagebend sind, um die Korendpondenz zwischen einer Beobachtung und einer Beobachtungsaussage festzustellen. Du musst deine Vorstellungen von "Schwarz" und von "Weiß" mit niemandem teilen und diese Farben nichteinmal selbst benennen können, um festzustellen dass diese Farben nicht gleich sind und daher die Aussage "Diese beiden Farben sind gleich" falsch ist.

Kann sein, dass es eine Sprache gibt, in der "Schwarz" und "Weiß" Synonyme sind. Aber mit einem Sprecher dieser Sprache hättest du nur ein Verständigungproblem und kein Wahrheitsproblem. Es gibt Sprachen, die das Farbspektrum anders einteilen, als wir. Es gibt aber keine Menschen, die Farbunterschiede ("wieviele Flächen siehst du ") wesentlich anders wahrnehmen als du und ich (von Farbblindheit abgesehen). Für die Logik der Korrespondenztheorie der Wahrheit ist das aber nicht entscheident. Es kommt nur darauf an, dass eine Aussage falsch sein kann, wobei falsch bedeutet, dass sie nicht mit dem korrespondiert, was sie aussagt.

Wenn du also eine Vorstellung hast und plötzlich feststellst: "Es ist ja doch nicht so!" dann meinst du mit "Es" die von deiner Vorstellung unabhängige Realität - oder was sonst?
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Do 29. Nov 2012, 17:42

Vollbreit hat geschrieben:Später stellt er die wichtige Frage:
Gottlob Frege hat geschrieben:Die Bedeutung des Wortes „wahr” scheint ganz einzigartig zu sein. Sollten wir es hier mit etwas zu tun haben, was in dem sonst üblichen Sinne gar nicht Eigenschaft genannt werden kann?


"Es wäre nun vergeblich, durch eine Definition deutlicher zu machen, was unter 'wahr' zu verstehen sei. Wollte man etwa sagen: 'wahr' ist eine Vorstellung, wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt', so wäre damit nichts gewonnen, denn, um dies anzuwenden, müsste man in einem gegebenen Falle entscheiden, ob eine Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimme, mit anderen Worten: ob es wahr sei, dass die Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimme. Es müsste also das Definierte selbst vorausgesetzt werden. Dasselbe gälte von jeder Erklärung von dieser Form: 'A ist wahr, wenn es die und die Eigenschaften hat, oder zu dem und dem in der und der Beziehung steht'. Immer käme es wieder im gegebenen Falle darauf an, ob es wahr sei, dass A die und die Eigenschaften habe, zu dem und dem in der und der Beziehung stehe. Wahrheit ist offenbar etwas so Ursprüngliches und Einfaches, dass eine Zurückführung auf noch Einfacheres nicht möglich ist. Wir sind daher darauf angewiesen, das Eigentümliche unseres Prädikates durch Vergleichung mit anderen ins Licht zu setzen. Zunächst unterscheidet es sich von allen Prädikaten dadurch, dass es immer mit ausgesagt wird, wenn irgendetwas ausgesagt wird.
Wenn ich behaupte, dass die Summe von 2 und 3 5 ist, so behaupte ich damit, dass es wahr ist, dass 2 und 3 5 ist. Und so behaupte ich, es sei wahr, dass meine Vorstellung des Kölner Domes mit der Wirklichkeit übereinstimme, wenn ich behaupte, dass sie mit der Wirklichkeit übereinstimme. Die Form des Behauptungssatzes ist also eigentlich das, womit wir die Wahrheit aussagen, und wir bedürfen dazu des Wortes 'wahr' nicht. Ja, wir können sagen: selbst da, wo wir die Ausdrucksweise 'es ist wahr, dass…' anwenden, ist eigentlich die Form des Behauptungssatzes das Wesentliche."


(Frege, Gottlob. "Logik." 1897. In Gottlob Frege: Schriften zur Logik und Sprachphilosophie; Aus dem Nachlass, hrsg. v. Gottfried Gabriel, 4. Aufl., 35-73. Hamburg: Meiner, 2001. S. 39-40)
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Fr 30. Nov 2012, 07:40

M.E. ist das eigentlich Elementare am Wahrheitskonzept die Eigenschaft "nicht" als Eigenschaft eines Satzes. Mich befriedigt aber diese Herangehensweise nicht, dem Begriff Wahrheit definitorisch auf den Grund zu gehen. Hinter den Begriffen Wahrheit und Falschheit stehen Lebensprozesse, die sich beschreiben lassen müssen, ohne dass man diese Begriffe selbst ständig mitverwendet.

Das beste, was mir dazu bisher eingefallen ist, ist das Konzept der Erwartung (evtl. mit Poppers conjectures verwandt). Eine Erwartung ist an eine Vorstellung gebunden. Sie kann vorallem enttäuscht werden. Ziel ist also, meine Vorstellungen so zu optimieren, dass die Zahl der Enttäuschungen möglichst klein wird. In einer Enttäuschung tritt eine wesentliche Eigenschaft meiner Vorstellungen hervor, nämlich dass sie unabhängig von dem sind, worauf sie sich beziehen. Immer, wenn wir uns irren, erinnert uns die Wirklichkeit an ihre unerbittliche Herrschaft, der wir uns fügen müssen - oder wir müssen Enttäuschte bleiben.

Wie man diese Prozesse nun benennt ist m.E. sekundär. Sie sind mE. das eigentlich Elementare und nicht Begriffe wie "Wahrheit" oder "Aussage", denn das sind ja schon Verallgemeinerungen, die erstmal gerechtfertigt sein wollen.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Lumen » Fr 30. Nov 2012, 15:54

Einwurf: Es wäre doch vorstellbar, wenn das Eidos, oder ewige platonische Ideen (Wahrheiten) doch existierten. Im Sinne von vorhandener "Information" die einem beliebigem Objekt, beliebiger Gestalt und wahrnehmungsunabhängig vorhanden ist. Im Falle von Myron's/Searle's Beispiel von dem Himalaya, ist sozusagen die Wahrheit das Gebiet selbst. Wie ein unsichtbares Drahtgitter, was über das Gebirge liegt enthält es alle Informationen, die darin vorhanden sind (bzw. von einem gewissen Standpunkt ist es Information selbst). Unser Wahrnehmungsapparat kann man sich als eine Art Filter vorstellen, der Steigungen eines bestimmten Winkels als "Berghang", spitze Winkel als Bergspitze usw. wahrnimmt. Diese Kriterien sind kommunizierbar, also können Menschen ihre "Filter" auch so einstellen, dass sie diejenige Information extrahieren können, wenn sie vorhanden ist. Wenn sie vorhanden ist, war die Aussage "wahr", wenn nicht, dann gilt sie als "falsch". Nicht der Berghang existiert, sondern spezifische Winkel (wobei auf die Winkel das gleiche gilt,wie für den Berghang, aber wir brauchen hier die Sprache). Vergleiche das Prinzip auch mit den Schweinebeispiel irgendwo vom Anfang (was dem von Searle's Himalaya Prinzip ähnlich war, wo es mir aber noch stärker darum ging darzustellen, dass es keine Notwendigkeit gibt bestimmte Einteilungen vorzunehmen, Semiotik yada yada, aber die Einteilung trotzdem kommunizierbar ist).
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Fr 30. Nov 2012, 18:05

Myron hat geschrieben:In letzterem Fall (der den ersteren einschließt) können Gedanken auch dann existieren, wenn sie niemals sprachlich, d.i. mithilfe eines Aussagesatzes, ausgedrückt werden. Diese Auffassung macht Gedanken/propositions zu platonischen, d.i. ewigen, nichtraumzeitlichen Entitäten, deren Existenz nicht davon abhängt, dass sie von irgendwelchen denkenden Wesen gedacht werden. An solche abstrakten Entitäten mag glauben, wer will; ich als Naturalist kann es jedenfalls nicht.

Ich glaube auch nicht daran - bestenfalls in dem Sinne, dass ein Gedanke eine Funktion einer Realität ist. In diesem Sinne ist dann auch ein Stein, der von einem Fluss rund gewaschen wurde ein "Gedanke" oder eine "Information".
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Fr 30. Nov 2012, 18:18

Myron hat geschrieben:"Es wäre nun vergeblich, durch eine Definition deutlicher zu machen, was unter 'wahr' zu verstehen sei. Wollte man etwa sagen: 'wahr' ist eine Vorstellung, wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt', so wäre damit nichts gewonnen, denn, um dies anzuwenden, müsste man in einem gegebenen Falle entscheiden, ob eine Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimme, mit anderen Worten: ob es wahr sei, dass die Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimme. Es müsste also das Definierte selbst vorausgesetzt werden. Dasselbe gälte von jeder Erklärung von dieser Form: 'A ist wahr, wenn es die und die Eigenschaften hat, oder zu dem und dem in der und der Beziehung steht'. Immer käme es wieder im gegebenen Falle darauf an, ob es wahr sei, dass A die und die Eigenschaften habe, zu dem und dem in der und der Beziehung stehe. Wahrheit ist offenbar etwas so Ursprüngliches und Einfaches, dass eine Zurückführung auf noch Einfacheres nicht möglich ist. Wir sind daher darauf angewiesen, das Eigentümliche unseres Prädikates durch Vergleichung mit anderen ins Licht zu setzen. Zunächst unterscheidet es sich von allen Prädikaten dadurch, dass es immer mit ausgesagt wird, wenn irgendetwas ausgesagt wird.
Wenn ich behaupte, dass die Summe von 2 und 3 5 ist, so behaupte ich damit, dass es wahr ist, dass 2 und 3 5 ist. Und so behaupte ich, es sei wahr, dass meine Vorstellung des Kölner Domes mit der Wirklichkeit übereinstimme, wenn ich behaupte, dass sie mit der Wirklichkeit übereinstimme. Die Form des Behauptungssatzes ist also eigentlich das, womit wir die Wahrheit aussagen, und wir bedürfen dazu des Wortes 'wahr' nicht. Ja, wir können sagen: selbst da, wo wir die Ausdrucksweise 'es ist wahr, dass…' anwenden, ist eigentlich die Form des Behauptungssatzes das Wesentliche."


(Frege, Gottlob. "Logik." 1897. In Gottlob Frege: Schriften zur Logik und Sprachphilosophie; Aus dem Nachlass, hrsg. v. Gottfried Gabriel, 4. Aufl., 35-73. Hamburg: Meiner, 2001. S. 39-40)


"Das Wort „wahr“ erscheint sprachlich als Eigenschaftswort. Dabei entsteht der Wunsch, das Gebiet enger abzugrenzen, auf dem die Wahrheit ausgesagt werden, wo überhaupt Wahrheit in Frage kommen könne. Man findet die Wahrheit ausgesagt von Bildern, Vorstellungen, Sätzen und Gedanken. Es fällt auf, daß hier sichtbare und hörbare Dinge zusammen mit Sachen vorkommen, die nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden können. Das deutet darauf hin, daß Verschiebungen des Sinnes vorgekommen sind. In der Tat! Ist denn ein Bild als bloßes sichtbares, tastbares Ding eigentlich wahr? und ein Stein, ein Blatt ist nicht wahr? Offenbar würde man das Bild nicht wahr nennen, wenn nicht eine Absicht dabei wäre. Das Bild soll etwas darstellen. Auch die Vorstellung wird nicht an sich wahr genannt, sondern nur im Hinblick auf eine Absicht, daß sie mit etwas übereinstimmen solle. Danach kann man vermuten, daß die Wahrheit in einer Übereinstimmung eines Bildes mit dem Abgebildeten bestehe. Eine Übereinstimmung ist eine Beziehung. Dem widerspricht aber die Gebrauchsweise des Wortes „wahr“, das kein Beziehungswort ist, keinen Hinweis auf etwas anderes enthält, mit dem etwas übereinstimmen solle. Wenn ich nicht weiß, daß ein Bild den Kölner Dom darstellen solle, weiß ich nicht, womit ich das Bild vergleichen müsse, um über seine Wahrheit zu entscheiden. Auch kann eine Übereinstimmung ja nur dann vollkommen sein, wenn die übereinstimmenden Dinge zusammenfallen, also gar nicht verschiedene Dinge sind. Man soll die Echtheit einer Banknote prüfen können, indem man sie mit einer echten stereoskopisch zur Deckung zu bringen sucht. Aber der Versuch, ein Goldstück mit einem Zwanzigmarkschein stereoskopisch zur Deckung zu bringen, wäre lächerlich. Eine Vorstellung mit einem Dinge zur Deckung zu bringen, wäre nur möglich, wenn auch das Ding eine Vorstellung wäre. Und wenn dann die erste mit der zweiten vollkommen übereinstimmt, fallen sie zusammen. Aber das will man gerade nicht, wenn man die Wahrheit als Übereinstimmung einer Vorstellung mit etwas Wirklichem bestimmt. Dabei ist es gerade wesentlich, daß das Wirkliche von der Vorstellung verschieden sei. Dann aber gibt es keine vollkommene Übereinstimmung, keine vollkommene Wahrheit. Dann wäre überhaupt nichts wahr; denn was nur halb wahr ist, ist unwahr. Die Wahrheit verträgt kein Mehr oder Minder. Oder doch? Kann man nicht festsetzen, daß Wahrheit bestehe, wenn die Übereinstimmung in einer gewissen Hinsicht stattfinde? Aber in welcher? Was müßten wir dann aber tun, um zu entscheiden, ob etwas wahr wäre? Wir müßten untersuchen, ob es wahr wäre, daß — etwa eine Vorstellung und ein Wirkliches — in der festgesetzten Hinsicht übereinstimmten. Und damit ständen wir wieder vor einer Frage derselben Art, und das Spiel könnte von neuem beginnen. So scheitert dieser Versuch, die Wahrheit als eine Übereinstimmung zu erklären. So scheitert aber auch jeder andere Versuch, das Wahrsein zu definieren. Denn in einer Definition gäbe man gewisse Merkmale an. Und bei der Anwendung auf einen besonderen Fall käme es dann immer darauf an, ob es wahr wäre, daß diese Merkmale zuträfen. So drehte man sich im Kreise. Hiernach ist es wahrscheinlich, daß der Inhalt des Wortes „wahr“ ganz einzigartig und undefinierbar ist.

Wenn man Wahrheit von einem Bilde aussagt, will man eigentlich keine Eigenschaft aussagen, welche diesem Bilde ganz losgelöst von anderen Dingen zukäme, sondern man hat dabei immer noch eine ganz andere Sache im Auge, und man will sagen, daß jenes Bild mit dieser Sache irgendwie übereinstimme. „Meine Vorstellung stimmt mit dem Kölner Dome überein“ ist ein Satz, und es handelt sich nun um die Wahrheit dieses Satzes. So wird, was man wohl mißbräuchlich Wahrheit von Bildern und Vorstellungen nennt, auf die Wahrheit von Sätzen zurückgeführt. Was nennt man einen Satz? Eine Folge von Lauten; aber nur dann, wenn sie einen Sinn hat, womit nicht gesagt sein soll, daß jede sinnvolle Folge von Lauten ein Satz sei. Und wenn wir einen Satz wahr nennen, meinen wir eigentlich seinen Sinn. Danach ergibt sich als dasjenige, bei dem das Wahrsein überhaupt in Frage kommen kann, der Sinn eines Satzes. Ist nun der Sinn eines Satzes eine Vorstellung? Jedenfalls besteht das Wahrsein nicht in der Übereinstimmung dieses Sinnes mit etwas anderem; denn sonst wiederholte sich die Frage nach dem Wahrsein ins Unendliche. Ohne damit eine Definition geben zu wollen, nenne ich Gedanken etwas, bei dem überhaupt Wahrheit in Frage kommen kann. Was falsch ist, rechne ich also ebenso zu den Gedanken, wie das, was wahr ist. Demnach kann ich sagen: der Gedanke ist der Sinn eines Satzes, ohne damit behaupten zu wollen, daß der Sinn jedes Satzes ein Gedanke sei. Der an sich unsinnliche Gedanke kleidet sich in das sinnliche Gewand des Satzes und wird uns damit faßbarer. Wir sagen, der Satz drücke einen Gedanken aus.

Der Gedanke ist etwas Unsinnliches, und alle sinnlich wahrnehmbaren Dinge sind von dem Gebiete dessen auszuschließen, bei dem überhaupt Wahrheit in Frage kommen kann. Wahrheit ist nicht eine Eigenschaft, die einer besonderen Art von Sinneseindrücken entspricht. So unterscheidet sie sich scharf von Eigenschaften, die wir mit den Wörtern „rot“, „bitter“, „fliederduftend“ benennen. Aber sehen wir nicht, daß die Sonne aufgegangen ist? und sehen wir nicht damit auch, daß dies wahr ist? Daß die Sonne aufgegangen ist, ist kein Gegenstand, der Strahlen aussendet, die in mein Auge gelangen, ist kein sichtbares Ding wie die Sonne selbst. Daß die Sonne aufgegangen ist, wird auf Grund von Sinneseindrücken als wahr erkannt. Dennoch ist das Wahrsein keine sinnlich wahrnehmbare Eigenschaft. Auch das Magnetischsein wird auf Grund von Sinneseindrücken an einem Dinge erkannt, obwohl dieser Eigenschaft ebensowenig wie der Wahrheit eine besondere Art von Sinneseindrücken entspricht. Darin stimmen diese Eigenschaften überein. Um aber einen Körper als magnetisch zu erkennen, haben wir Sinneseindrücke nötig. Wenn ich es dagegen wahr finde, daß ich in diesem Augenblick nichts rieche, so tue ich das nicht auf Grund von Sinneseindrücken.

Immerhin gibt es zu denken, daß wir an keinem Dinge eine Eigenschaft erkennen können, ohne damit zugleich den Gedanken, daß dieses Ding diese Eigenschaft habe, wahr zu finden. So ist mit jeder Eigenschaft eines Dinges eine Eigenschaft eines Gedankens verknüpft, nämlich die der Wahrheit. Beachtenswert ist es auch, daß der Satz „ich rieche Veilchenduft“ doch wohl denselben Inhalt hat wie der Satz „es ist wahr, daß ich Veilchenduft rieche“. So scheint denn dem Gedanken dadurch nichts hinzugefügt zu werden, daß ich ihm die Eigenschaft der Wahrheit beilege. Und doch! ist es nicht ein großer Erfolg, wenn nach langem Schwanken und mühsamen Untersuchungen der Forscher schließlich sagen kann „was ich vermutet habe, ist wahr“? Die Bedeutung des Wortes „wahr“ scheint ganz einzigartig zu sein. Sollten wir es hier mit etwas zu tun haben, was in dem sonst üblichen Sinne gar nicht Eigenschaft genannt werden kann? Trotz diesem Zweifel will ich mich zunächst noch dem Sprachgebrauche folgend so ausdrücken, als ob die Wahrheit eine Eigenschaft wäre, bis etwas Zutreffenderes gefunden sein wird."


(Frege, Gottlob. "Der Gedanke: Eine logische Untersuchung." Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus 1 (1918): 58-77. S. 59-62 [PDF]

Freges Wahrheitsauffassung wird einerseits der Redundanztheorie der Wahrheit und andererseits der Identitätstheorie der Wahrheit zugerechnet. (Eine Tatsache ist für Frege ein wahrer Gedanke.)

Frege und die Redundanztheorie der Wahrheit (pdf)

The Deflationary Theory of Truth: http://plato.stanford.edu/entries/truth-deflationary/

The Identity Theory of Truth: http://plato.stanford.edu/entries/truth-identity/
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Fr 30. Nov 2012, 19:54

Frege hat geschrieben: Und wenn dann die erste mit der zweiten vollkommen übereinstimmt, fallen sie zusammen. Aber das will man gerade nicht, wenn man die Wahrheit als Übereinstimmung einer Vorstellung mit etwas Wirklichem bestimmt. Dabei ist es gerade wesentlich, daß das Wirkliche von der Vorstellung verschieden sei. Dann aber gibt es keine vollkommene Übereinstimmung, keine vollkommene Wahrheit. Dann wäre überhaupt nichts wahr; denn was nur halb wahr ist, ist unwahr.


Frege hat sich geirrt. Wenn ich die Vorstellung einer Prognose und die Vorstellung einer Beobachtung miteienander vergleiche, kann ich sehr wohl eine vollkommene Übereinstimmung erreichen, denn ich vergleiche zwei Vorstellungen. Und wie gesagt, der Knackpunkt ist nicht das Wahrsein, sondern das Falschsein. Die Erfahrung Fehler zu machen hat den Begriff des Richtigseins ja erst hervorgebracht. Die falschen Vorstellungen haben den Begriff der Wahrheit sozusagen geschaffen. Das Ziel ist ursprünglich nicht, die Wahrheit - ein sehr abstrakter Begriff - herauszufinden, sondern die Anzahl der Fehler zu minimieren - ein sehr konkreter Vorgang.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 30. Nov 2012, 20:01

Myron hat geschrieben:(Frege, Gottlob. "Logik." 1897. In Gottlob Frege: Schriften zur Logik und Sprachphilosophie; Aus dem Nachlass, hrsg. v. Gottfried Gabriel, 4. Aufl., 35-73. Hamburg: Meiner, 2001. S. 39-40)

[...]Und doch! ist es nicht ein großer Erfolg, wenn nach langem Schwanken und mühsamen Untersuchungen der Forscher schließlich sagen kann „was ich vermutet habe, ist wahr“? [...]

Finde auch, dass Frege hier nicht richtig liegt, denn der Forscher kann derartiges nicht sagen, bzw. er kann das nur als Verkürzung von folgendem Satz sagen: "was ich vorher nur vermutet habe, ohne aber hinreichende/mich selber überzeugende Gründe dafür zu haben, hat sich jetzt verfestigt, da ich inzwischen zusätzlich gute Gründe gefunden habe und daher bin ich nun berechtigter in meiner Annahme, meine frühere Vermutung sei wahr".
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Sa 1. Dez 2012, 08:50

Richtig erscheint mir zu erkennen, dass Wahrheit keine Eigenschaft von Dingen ist.
Wahrheit, so führt Brandom aus, ist aber auch nichts, was im Subjekt zu finden ist.
Des Phänomenalismus (des Descartes, man könnte das hier auch auf Frege anwenden) bedient sich, nach Brandom, eines Tricks.

Er unterscheidet, ohne das explizit kenntlich zu machen, nicht zwischen der Reichweite von Behauptungen und Billigungen, vor allem hat Brandom hier den Begriff „scheint“, im Visier. Ein unbekanntes Geräusch in der Nacht, kann zu der Aussage motivieren, dass da Einbrecher zu sein scheinen.

Kann man sich mit einer solchen vagen Festlegung irren? Kaum. Sind es Einbrecher, ist die Vermutung bestätig, sind es keine … es schien einem ja auch nur so. Man ist bereit zu billigen, dass da ein komisches Geräusch ist. Dass es zwingend Einbrecher sein müssen, das zu billigen ist man nicht bereit. Hier liegt das Problem.


Wahrheit kommt also nicht Dingen, Gegenständen zu, sondern Aussagen.
Nun taucht die Frage auf, welchen Aussagen sie zukommt.
M.E. nur behauptenden Aussagen. „Hilfe!“ hat keinen Wahrheitsanspruch, „Es regnet“ schon.
Aber was genau muss eine Behauptung leisten, um falsifizierbar zu sein?

Welche Wahrheiten sind zweifelsfrei, welche nicht? (Und sind nicht zweifelsfreie überhaupt Wahrheiten?) Wenn man die Korrespondenz von Aussagen/Gedanken und Fakten/Tatsachen als Kriterium gelten lässt, muss m.E. dennoch geklärt was Tatsachen oder Fakten sind.

Bezieht sich das Faktumsein, der Fakt, die Tatsache, (das Evidente?) auf Logisches, Empirisches, allgemeine Erwartungen (dass auf den Tag die Nacht folgt), auf Behauptungen/Festlegungen anderer („Du hast aber gesagt, dass …, falls …“)


Was Agent im letzten Beitrag kritisiert ist einerseits richtig. M.E. beschreibt dieses Vorgehen, wie man (siehe oben) gewillt ist, immer mehr zu billigen, den Umfang der Behauptung (einer Theorie oder Aussage) immer weiter auszudehnen, aber selbst wenn man zu einer Behauptung von vollem Umfang kommt, weiß man immer noch nicht, ob sie mit den Tatsachen übereinstimmt.

Und dennoch: Wann und wer darf denn berechtigterweise behaupten, jetzt würde man etwas beherrschen: „Ich hab’s“ oder „Er/Sie kann’s“? Was muss gegeben sein, damit man von jemandem/von sich behaupten kann, er/man könne Klavier spielen? Die Tasten anschlagen können? Alle meine Entchen spielen, den Flohwalzer oder was?
Kann man Fahrrad fahren, wenn man nicht mehr umfällt, die Verkehrsregeln beherrscht, auch einen Berg hochkommt? Wann beherrscht man Mathematik, Philosophie? Wenn man es auf der Schule hatte? Einen Uni-Abschluss in dem Fach hat? Einen akademischen Grad hat?
Und merkt man nicht manchmal selbst am besten, wann man etwas verstanden hat?
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Sa 1. Dez 2012, 09:37

Toll, aber da gibt es ja seit Aristoteles nichts Neues. :/
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Sa 1. Dez 2012, 16:17

Vollbreit hat geschrieben:Wahrheit kommt also nicht Dingen, Gegenständen zu, sondern Aussagen.
Nun taucht die Frage auf, welchen Aussagen sie zukommt.
M.E. nur behauptenden Aussagen. „Hilfe!“ hat keinen Wahrheitsanspruch, „Es regnet“ schon.
Aber was genau muss eine Behauptung leisten, um falsifizierbar zu sein?


"Aussagesatz" und "Behauptungssatz" sind Synonyme. Die Frage muss also lauten, welche Art von Sätzen wahr/falsch sein können:

1. Aussagesätze
2. Fragesätze
3. Aufforderungssätze
4. Wunschsätze
5. Ausrufesätze

Die Antwort lautet 1.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Sa 1. Dez 2012, 17:10

Frege hat geschrieben: Und wenn dann die erste mit der zweiten vollkommen übereinstimmt, fallen sie zusammen. Aber das will man gerade nicht, wenn man die Wahrheit als Übereinstimmung einer Vorstellung mit etwas Wirklichem bestimmt.


Ich hab eigentlich kein Problem damit, das zuzugeben. Dann stellt sich eben die Frage, wie nahe wir der Wahrheit kommen können.

Aber, wenn wir unsere Vorstellungen als Abbilder der Welt verstehen, fragt sich, was wir unter Abbild verstehen. In der Mathemathik wird eine Folge 1,4,9,16 als Abbildung der Folge 1,2,3,4 verstanden, nämlich als Abbildung f(x)= x². Der Witz an diesem Konzept ist, dass obwohl die Abbildung etwas komplett anderes ist als das Vorbild, man immer eindeutig vom Abbild auf das Vorbild schließen kann. Das Vorbild von 16 ist Sqrt(16) = 4. Wenn wir unsere Vorstellungen von der Welt als Abbildungen dieser Art verstehen, ist eine direkte Korrespondenz, wie mir scheint, doch möglich.

Dennoch wird es immer eine unüberwindbare Distanz zur Wahrheit geben. Das liegt daran, dass die Struktur unseres Organismus nicht beliebig anpassbar ist. Die Anzahl der möglichen Zustände uneres Gehirnes ist begrenzt und es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass es ausgerechnet diejenigen Zustände einnehmen kann, die die Welt oder auch nur einen Ausschnitt von ihr "eineindeutig" abbilden.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Sa 1. Dez 2012, 17:53

ujmp hat geschrieben:Aber, wenn wir unsere Vorstellungen als Abbilder der Welt verstehen, fragt sich, was wir unter Abbild verstehen.


Zwischen der Sprache/dem Denken und der Wirklichkeit besteht sicher keine 1:1 Abbildbeziehung. Es ist naiv anzunehmen, dass es zu jedem Eigenschafts- oder Beziehungsbegriff, unter den ein Gegenstand fällt bzw. mehrere Gegenstände fallen, eine entsprechende wirkliche Eigenschaft oder Beziehung gibt, die von dem betreffenden Gegenstand bzw. den betreffenden Gegenständen sowie allen anderen Gegenständen, die unter denselben Begriff fallen, besessen wird.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Sa 1. Dez 2012, 18:46

Ok, nicht zu jedem Begriff. Aber vielleicht zu einigen? -diese würden dann die Klasse der "wahren Begriffe" bilden.

Beim Farbensehen ist es jedenfalls so, dass zwar unterschiedliche Spektren den selben Frabeindruck hervorrufen können, aber nicht beliebige Spektren. Man kann zwar von der Wahrnehmung "rot" nicht direkt ableiten, wie das Spektrum tatsächlich zusammengesetzt ist, aber immerhin kann man die Zusammensetzung einigermaßen vorhersehen, z.B. dass bei gleicher Intensität Wellenlängen im Grünbereich kaum vorkommen werden. Und alle roten Gegenstände teilen diese Eigenschaft.

Ziemlich eindeutig sind aber die Wahrnehmungen von Gleichheit, z.B. gleich lang, gleich schwer usw.
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