fopa hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube, dass diese Mechanismen nicht erklärbar sind. Ihre Erklärbarkeit mutiert zum Glaubenssatz, das will man nur nicht wahrhaben.
Uns geht es um Erkenntnisgewinn und hinter eine Reduktion auf die eine grundlegendere Ebene davor zurückgehend verschwimmt alles im Nebel.
Wenn man von vornherein annimmt, dass etwas nicht erklärbar ist, braucht man sich überhaupt nicht damit zu beschäftigen.
Aber das ist doch gar nicht meine Einstellung. Ich sage ja nicht: Probiert es gar nicht erst, sondern schaut auf die Ergebnisse dessen, was immer wieder probiert wurde.
fopa hat geschrieben:Deine "Sprünge" von Physik zu Chemie zu Biologie kann ich allerdings nicht erkennen. Entweder sind die Übergänge fließend oder es werden bei zunehmender Komplexität vereinfachende Modelle verwendet, deren Vereinfachungen aber begründet sind!
Für mich ist das eine Frage des Blicks. Wenn wir die Grenze zwischen toter und lebendiger Materie ziehen wollen und mit der Lupe drauf blicken, dann wird immer unklarer wo Leben überhaupt beginnt. Auch sind die Kriterien des Lebendigen ja nicht naturgegeben, sondern unsere Zuschreibungen, sie könnten auch anders sein.
Dasselbe Phänomen findet man, wenn man den Schritt vom Leben zum Bewusstsein geht. Es ist nicht ganz klar, wo Bewusstsein genau beginnt und was Bewusstsein eigentlich ist und wenn wir die Lupe auspacken, wird es immer unklarer.
Wenn man will, kann man Bewusstsein und Selbstbewusstsein noch mal unterscheiden und hier ist es wieder ähnlich.
Andererseits würde man eine leere Dose am Boden vielleicht achtlos durch die Gegend treten, bei einem eingerollten Igel täte man das nicht. Intuitiv macht man hier einen Unterschied und Begründungen wie Leidensfähigkeit sieht man ja nicht, die sind nachgereicht.
Wenn einen der Schachcomputer niederringt und man ihn im Affekt zerdeppert, würde man sich ärgern, weil das Ding vielleicht viel Geld kostet, aber niemand hätte ein schlechtes Gewissen, was er dem armen Computer angetan hat, der doch immerhin „intelligent“ genug ist, jeden Menschen locker zu besiegen.
Niemand wäre auf die Idee gekommen, den Computer der Kasparow besiegt hat zu fragen, wie er sich jetzt fühlt.
Dass solche Überlegungen nicht im Reich des Irrsinns angesiedelt sind, hat Metzinger immer wieder klar gemacht, der für eine Techno-Ethik eintritt, die fordert Robotern keine Empfindungsfähigkeit zu ermöglichen. Wenn das technische Multifunktionsspielzeug in 10 Jahren mit flehender Stimme sagt: „Oh bitte, schalte mich noch nicht ab, nur noch ein paar Minuten, ja?“, dann wird es interessant.
Aber, das ist Zukunftsmusik, heute treten wir den Igel nicht durch die Gegend, und mit dem Beo, der in klarer Sprache richtige Sätze sagt, reden wir dennoch nicht ernsthaft, weil wir wissen, dass er nicht versteht, was er sagt, selbst wenn die Sätze als solche klug und richtig klingen.
Worauf ich hinaus will, ist dies:
Wir folgen im täglichen Gebrauch einer klaren Hierarchie – und würden ziemlich komisch angeguckt, wenn wir das nicht täten – auf einer forschenden Ebene, wenn man den einen Moment des Übergangs skizzieren will, entgleitet uns diese Fähigkeit zur Unterscheidung.
fopa hat geschrieben:Du bist schon wieder in deinem Sumpf der Missverständnisse bezüglich des Reduktionismus festgefahren. Kein Chemiker will eine chemische Gesellschaftstheorie entwickeln.
Eben.
Hier erkennt man intuitiv, dass es Blödsinn ist, auf der Ebene der Soziobiologie wird ja der Schritt von der Biologie zum Biologismus genau dadurch übertreten, dass man meint, was sie Seegurke motiviert kann für den Menschen nicht falsch sein und darum sind die ersten und letzten, die kompetent über das Thema wie das alles funktioniert und funktionieren sollte, Soziobiologen.
Und dahinter steht der Glaubenssatz, dass die untere Ebene, die Grenzen der oberen setzt.
Das kann man sehen wie man will, aber immer wenn es heißt, der Mensch käme über die Seegurke nicht hinaus, wird es absurd. Sagt natürlich auch keiner, statt dessen wird dann irgendeoin Primat bemüht und dann redet man stundenlang mit großem Ernst darüber, so als sei es die Sache wert.
Und noch mal: Das ist keine Polemik gegen die Biologie, sondern gegen die imperialistischen Tendenzen bestimmter Mitglieder einer Wissenschaft, deren Stimme zur Konsensfindung, bei einige Fragen, nötig und erwünscht ist, deren Aufblähung zum Weltbild irgendwo aber zwischen lächerlich und gefährlich liegt.
Und in die andere Richtung gegangen ist ja nicht Schluss mit der Geschichte. Du sagst kein Chemiker will eine Gesellschaftstheorie entwerfen, stimmt, aber geht mal weiter zurück. Ein Physiker? Nein, auch eher nicht, aber wenn es heißt die Quantenphysik, über die wir so ungeheuer wenig wissen, sei doch ein prima Kandidat mit dem man alles erklären kann, schnalzen wieder etliche mit der Zunge. Die Quantenphysik des Bewusstseins, „Die Physik der Unsterblichkeit“ (das ernstgemeinte Buch eines angesehenen Physikers) und so weiter, eine riesige Projektionsfläche, weil alles so herrlich unscharf ist.
fopa hat geschrieben:Aber ein Chemiker könnte beispielsweise ein Verfahren entwickeln, mit dem Medikamentenrückstände in Wasseraufbereitungsanlagen herausgefiltert werden können. Dazu braucht er nicht zu wissen, wie viele Mitarbeiter in der Anlage beschäftigt sind, wie es ihren Partnern geht und wie sie Weihnachten feiern. Er konzentriert sich stattdessen auf die Prozesse und Elemente, die für sein Problem relevant sind.
Genau so funktioniert auch gute Wissenschaft. Wenn ich einen Autoreifen optimieren will, muss ich nicht wissen, wer den Wagen fährt, für den MRSA-Abstrich brauche ich nicht die Lebensgeschichte des Patienten, nur seinen Speichel. Nur gibt es dann Bereiche, wo beides zusammenfällt.
In der Medizin setzt sich der Gedanke durch, den Patienten in die Behandlungsstrategie mit einzubinden. Und wenn man über die Köpfe der Beteiligten hinweg schaut, wie eine Gesellschaft so funktioniert – und die Frage zu stellen vergisst, ob die beteiligten Bürger das auch wollen – wird es schwierig.
Eine effektivere Gesellschaft ist sicher zu denken, mit durchgedopeten, genmanipulierten Mitgliedern (Ines Geipel, „No Limit“, ist hier ein interessantes Buch), aber dann sind wir irgendwo bei Huxleys „schöner neuer Welt“ angekommen und der erweiterten Frage, die etwas Habermas diskutiert, ob wir Menschen von heute bei einer neuen Ethik des optimierten Menschen, die unweigerlich die Standards setzen würden, noch eine Rolle spielten. Da lohnte es sich, die Lupe draufzuhalten, die ersten Versuche mit Soldaten, die entsprechend desensibilisiert und aufgeputscht werden, sind ja ziemlich in die Hose gegangen. Traumsatisierte Psychowracks, die für den Alltag völlig ungeeignet sind. Aber warum muss es für die Söldner der Zukunft überhaupt Alltag geben, man könnte ihn durchoptimieren und von einem Krieg in den nächsten schicken.