Gandalf hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Das Problem besteht aber doch schon früher, nämlich bei der Entscheidung ob überhaupt gebaut werden soll. Ich glaube kaum, dass in einer anarchischen Gesellschaft ein einziges Großprojekt umgesetzt würde. Irgendeine durchgeknallte Zurück-zur-Natur-da-war-alles-so-toll-Naturschutzgruppe findet sich schon, die rechtzeitig drei Quadratmeter der zukünftigen Landebahn kauft und sich strikt einem Bau verweigert. Man sehe sich an, wie in München der Ausbau des Flughafens blockiert wird, weil die Leute - von der Privatsituation gesehen verständlicherweise - nicht noch mehr Überflüge wollen. Gesamtwirtschaftlich ist das auf Dauer aber nachteilig, aber die Tragik der Allmende muss ich dir da ja nicht erläutern. Es hat schon seinen Sinn, dass wir eine Funktionselite dafür abstellen, diese zentralen Aufgaben erledigen.
Wahrscheinlich hast Du hier recht.
Das muss ich erst mal sacken lassen.
Gandalf hat geschrieben:Ich habe das (..die Eigentumsfrage) versucht mit Libertären und Volutaristen durchzudiskutieren ohne zu weiteren Vereinfachungsmöglichkeiten zu kommen, die einen Sinn ergeben. Es ist tatsächlich ein Problem, worüber Libertäre selbst unterschiedlicher Meinung bis regelrecht zerstritten sind und Voluntaristen sich imho um die Antwort drücken. Ohne einen (ultra) Minimalstaat wird es wohl nicht gehen. Die Gewaltenteilung und das Grundgesetz der Bundesrepublik ist schon daher eine gute Ausgangsposition, dass die Eigentumsrechte des Individuums schützt und trotzdem "soziale Verpflichtungen" (also Zwang gegenüber Dritten und bedingten Eingriff in seine Rechte) erlaubt. (Auch wenn Du weist, das ich der Meinung bin, das gerade letzteres durch die "Sozis" derzeit in einem impertinenten Maße überinterpretiert wird, der jeden Freiheitsfreund zu unbedingtem Widerstand verpflichtet)
Um dir jetzt auch ein Stück entgegenzukommen: Ich bin vielleicht in manchen Punkten sogar (ökonomisch) liberaler, als du glaubst oder als es hier in meiner Verteidigerposition des Staates scheinen mag. Mir ist letztlich relativ wurscht, wie es zu einer sozial fairen Gesellschaft kommt, Hauptsache, das verwendete System funktioniert.
Der Grundkonflikt zwischen Freiheit und Gleichheit ist wahrscheinlich (auch strukturell bzw. mathematisch) nicht lösbar, deshalb muss eine Mittelposition gefunden werden. Ich glaube, dass diese Position demokratisch und staatlich (d.h. institutionell für alle verbindlich, auch für diejenigen, die nicht teilnehmen wollen - das sind ja nicht immer nur freiheitliche Anarchisten, sondern auch Kriminelle und Soziopathen) moderiert werden muss und dass extreme Abweichungen in Richtung Unfreiheit oder Ungleichheit abgewendet werden müssen. Wo das gesunde Mittelmaß ist und wie weit staatlicher Eingriff gehen darf, ohne kontraproduktiv zu sein oder überzuschnappen und sich zu verselbstständigen, das wäre in einem gesonderten, zweiten Schritt zu ermitteln.
Gandalf hat geschrieben:Ich sehe das derzeit so (und es verschiebt damit gleichzeitig meinen Atheismus etwas Richtung einem Pantheismus):
Ich habe meinen Körper (= mein Eigentum) "vom Universum geliehen und trage während der mir gegbebenen Zeit alleinige Verantwortung dafür. Das gilt auch für das Eigentum das ich zu dem mir Gegebenen per moralische Handlungen hinzufüge. Es kann durchaus 'höhere Fügungen' geben, die meine Eigentumsreche vorzeitig beenden oder einschränken. Nur will ich die Gründe dafür beurteilen können wollen.
Das halte ich für durchaus legitim und es widerspricht meines Erachtens auch nicht dem Staatsbürgerideal, sondern entspricht ihm im Gegenteil sogar recht genau. Der citoyen, also der mündige Staatsbürger, ist ja einer, der sich aktiv am politischen Geschehen beteiligt und nach gemeinsamer vernünftiger Prüfung aller Gründe und Gegengründe akzeptiert, was im Rahmen der demokratischen Prozesse beschlossen wurde (immer unter der Bedingung, dass die verfassungsgemäßen Grundsätze nicht verletzt). Dass wir in Deutschland von diesem Ideal allzu häufig zu weit entfernt sind und es, teilweise auch größere, Anpassungen des politischen Systems bedürfte, da gebe ich dir vollkommen Recht.
Ich bin auch kein Freiheitsfeind und da will ich von dir recht verstanden sein: Was ich fürchte, ist, dass die Starken und Reichen neue Freiheiten ausnutzen, um sich auf Kosten der Schwachen zu bereichern. Ich weiß, dass du gerade der Ansicht bist, dass der wahrhaft freie Markt dem entgegenwirken kann, aber ich glaube, dass da die libertäre Modellvorstellung zu weit weg ist von vielen sozialen Realitäten. Ich glaube, dass es bestimmter ethischer Grundsätze und eines weithin rationalen Verhaltens der meisten Beteiligten bedarf, damit eine solche Marktlösung wirklich funktioniert, und davon sind wir in der Realität allzuoft weit entfernt. Du bist ein sehr moralisch und emanzipiert denkender Mensch und ich schätze das ungemein, aber ich glaube, dass du da begabter bist als die Mehrheit der Menschen. Du hast den Weitblick, um zu erkennen, dass theoretisch die Steigerung des eigenen Wohlbefindens langfristig am erfolgreichsten verläuft, wenn jeder seine Bedürfnisse kooperativ und vorurteilsfrei befriedigt, weil die Kooperation dann den maximalen Wohlstandsgewinn erzielt. Du fühlst auch eine moralische Verpflichtung, im Zweifel nach den Regeln zu spielen, auch wenn du jemanden unbemerkt übervorteilen könntest. Das ist nur etwas, was den (zu) vielen Menschen nicht so geht, sei es aus fehlender Erkenntnisfähigkeit, Habgier (Abkürzungen zum Wohlstand nehmen wollen) oder Misstrauen gegenüber der Kooperation als Idee (funktioniert ja eh nicht, nur wer foul spielt kann sich durchsetzen etc.). Und wegen all dieser Unzulänglichkeiten und auch wegen der zahlreichen Kontingenzen des Sozialen glaube ich, dass es einen Staat braucht, der die Regeln aufstellt, ihre Einhaltung überwacht, der mithilft, die Kinder entsprechend zu bilden und ja, der auch die schlimmsten sozialen Missstände mit auffängt.
Dass man es übertreiben kann, da gebe ich dir Recht. Ich bin aber der Meinung, dass es vielerorts nicht unbedingt einen Totalrückzug des Staates braucht, sondern vor allem ein konkreteres Mitsprache- und auch Mitmachrecht der Bürger, so dass der Staat sich idealerweise von selbst zurücknehmen und die Problemlösung der Zivilgesellschaft überlassen kann und nur da eingreift, wo sonst niemand kann (oder aus guten Gründen darf). Und da glaube ich, dass provinzler Recht hat, wenn er immer wieder auf Anreizsystemen herumreitet. Die müssen stimmen, sonst funktioniert die ganze Gesellschaft hinten und vorne nicht, weder im Kleinen noch im Großen.