AgentProvocateur hat geschrieben:Die ursprünglichen Zustände, die mich hervorgebracht haben, sind nur die ursprünglichen Zustände, die mich hervorgebracht haben. Das ist tautologisch wahr. Und auf diese Zustände hatte ich unbestritten keinen Einfluss.
Gut. Bis hierher stimmen wir überein.
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich aber bin das Ergebnis dieser Prozesse, (ich bin jedoch auch teilweise das Ergebnis der Prozesse, die ich mir selber zuordne, die ich also bin, ich hatte also in der Vergangenheit durchaus auch Einfluss auf mich selber)
Die Prozesse, die du dir selber zuordnest. Sind die nicht wiederum das Ergebnis von den "ursprünglichen Zuständen"? Du nennst sie jetzt doch nur deshalb "deine", weil die Kausalkette sich inzwischen in deinem Kopf weiterspinnt (mehr oder weniger). Aber der Anfang jeder dieser Kausalketten liegt doch außerhalb, wenn man nur weit genug zurück geht. Wenn du also in der Vergangenheit Einfluss auf dich selber hattest, dann NUR weil vorher die Umwelt Einfluss auf dich hatte. Ich sehe deshalb keine wirkliche "Eigenleistung", keine wirkliche Unabhängigkeit gegenüber dem Außen. Letztendlich hattest du also nicht wirklich einen eigenen, freien Einfluss auf dich, sondern nur immer einen kausal abhängigen von außen.
AgentProvocateur hat geschrieben:ich existiere, ich bin hier, ich kann denken, reflektieren, unterschiedliche Szenarien durchspielen und somit auch meine Zukunft wesentlich durch meine Entscheidungen beeinflussen.
Das trifft auf mich auch alles zu. Auch ich kann meine Entscheidungen beeinflussen. Aber nur so wie ich es auch tue. Die angeblichen Handlungsalternativen sind lediglich Einbildung. Ich bin, ich denke, ich will. Nur eben nicht frei (im Sinne von "unabhängig von außen"). Der Rest stimmt.
AgentProvocateur hat geschrieben:Der Fakt, dass ich meine ferne Vergangenheit nicht beeinflussen kann, ist dabei unwesentlich, bzw., wenn er doch wesentlich sein sollte, dann müsstest Du das mal begründen.
Er ist wesentlich für die Frage, ob dein Wille frei ist oder nicht. Es geht mir nur um das Adjektiv "frei". Den Willen an sich will ich dir nicht nehmen.
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber wenn Du nur ein unbeteiligter Zuschauer deiner selbst bist, dann wäre es vielleicht besser, wenn Du Dich einfach treiben lässt und nur abwartest, was passiert. Du kannst es ja eh nicht ändern. Von daher ist es egal, was passieren wird, denn alles wird geschehen, wie es geschehen wird und zwar ohne Dein Zutun. Du bist ein Zuschauer im Film Deines Lebens.
Wenn ich mich plötzlich treiben lasse, dann ändere ich ja was. Und dennoch setzt du hier voraus, dass ich nichts ändern kann? Deine hier noch einmal formulierte Vorstellung von Unfreiheit erscheint mir widersprüchlich. Natürlich ist das weitere Geschehen von meinem Zutun abhängig. Aber mein Zutun ist eben nicht frei sondern auch abhängig, das ist der einzige Knackpunkt.
Ich kann zwart wirklich nichts ändern, richtig, aber ich bin kein unbeteiligter Zuschauer sondern ein Akteur, und ich kann nichts an meinen Aktionen ändern, sie unterlassen auch nicht. Ich bin beteiligt. Meine Neuronen machen die ganze Zeit ihre Arbeit. Es summt und brummt. Nur ist eben keine wirkliche Eigenleistung dabei. Ich summe nur, weil sich das in meinem Oberstübchen nunmal so ergeben hat.
Ich will und kann gar nicht aufhören, genau so zu funktionieren wie du als "freier". Der einzige Unterschied ist wirklich, dass ich mich nicht "frei" nenne und deshalb meine "moralische Verantwortung" neu definiert werden muss. Ich sage nicht, dass wir die Verantwortung komplett über Bord werfen müssen. Aber irgendwas am bisherigen Begriff in seiner Absolutheit und idealisierten Form kann nicht mehr stimmen.
Was würde denn passieren, wenn wir endlich alle zugeben würden, dass wir nichts weiter sind als Bioroboter. Unsere Entscheidungen sind zwar meistens nicht vorher zu berechnen (weil zu komplex) aber sie sind das Ergebnis von "Programmierung + Zustand + Input". Die Frage, die mich beim Thema Willensfreiheit am meisten interessiert, ist, welche Moral- und Wertevorstellungen man einer Gesellschaft aus solchen Biorobotern empfehlen könnte. Was würde bei denen gut und böse bedeuten? Und wieso sollte man einen Bioroboter jemals loben? Für was?