Vollbreit hat geschrieben:Kommt wieder drauf an, was man genau darunter versteht.
Es mag da bestimmte logische Strukturen geben, nach denen sich Sprache bildet, aber die Frage ist, wie weitreichend man das denken möchte.
Wie soll Sprache ohne Struktur denkbar sein?
Vollbreit hat geschrieben:Gegen die damit eng zusammenhängende Idee einer Mentalsprache, die im Hintergrund von verschiedenen Sprachen stehen soll, eine Idee, die auch von Chomsky vertreten wurde, gibt es gewichtige Einwände.
Die Einwände gehen aber so weit ich weiß mehr in die Richtung, wie die generative Grammatik aufgebaut sein soll, zum Beispiel ob es eine universalistische Grundgrammtik gibt oder einen linguistischen Relativismus usw. Daran ändert sich aber nichts, dass die Grundannahme ziemlich anerkannt und auch kaum zu bestreiten ist. In dem Punkt sind sich Leute wie Chomsky wie auch die Poststrukturalisten wohl einig. Das Problem ist nur, dass die Terminologie in der analytischen Philosophie komplett anders ist als in der Poststrukturalistischen kontinentalen Philosophie, aber Derrida würde ich zum Beispiel eher eine Nähe zu Whorf zuordnen, wobei es da eben wegen der nicht einheitlichen Terminologie eben auch zu Überschneidungen in andere Richtungen kommt. Umberto Eco hat in seinen Werken zur Semiotik einen ziemlich guten Überblick geliefert und da er mit beiden philosophischen Systemen denken kann, auch gute Brücken gebaut.
Vollbreit hat geschrieben:Das kann man sicher machen, nur wird es dann eben auch zur Sprache gebracht.
Es kann aber auch gleich in eine Praxis umgesetzt werden, ohne dass er zur Sprache kommt. Das wäre dann eben das, was man unbewusstes Verhalten nennt, da ist aber eben auch irgendwas „da“ und man hat auch einen Zugriff darauf, insofern, dass man es in die Praxis umsetzen kann.
Worauf ich jetzt hinaus will ist, dass man das aber auch bewusst machen kann, ohne es zur Sprache zu bringen. Hier geht es aber schon fast in Richtung Mystik o.ä., weil es sich um eine Bewusstseinserfahrung handelt, die sich eben nicht in Sprache bringen lässt (nicht, ohne die Sprache selbst auch zu erweitern). Das Erleben ist dennoch real und eben nicht an die Sprache gekoppelt.
Vollbreit hat geschrieben:In meinen Augen stellen Begriffe aber eine wesentliche Veränderung dar, einerseits eine Verarmung ist, da bestimmte Impulse und Empfindungen schwer in (unsere gegenwärtige) Sprache zu übersetzen sind, auf der anderen Seite eine starke Bereicherung, da das Unbewusste im Großen und Ganzen sehr impulsiv und momentbezogen ist.
Hier sind wir uns wohl einig. Jedenfalls fällt mir nichts ein, was ich dagegen einzuwenden hätte. Damit das Unbewusste so genutzt werden kann, wie ich es meine, ist auf jeden Fall einiges an Praxis nötig.
Vollbreit hat geschrieben:Einen Begriff zu haben, ist weitaus mehr als ein Wort zu kennen, aber ohne Wort (Zeichen, Symbol) geht der wesentliche Bezug auch flöten.
Nicht zwingend, aber es kann der Fall sein und ist es auch oft. Das liegt aber vor allem daran, dass für die meisten ein Denken ohne Sprache nicht mal vorstellbar ist und da schon gar nicht irgendwelche bewusste Praxis existiert.
Vollbreit hat geschrieben:Der Begriff ist sozusagen das Bindeglied zwischen Wort und Ding, wie der von Dir verlinkte Artikel erläutert, darum ist ohne das Wort die Begriffbildung eben auch nicht möglich, so wenig wie ohne das Verständnis des Inhalts.
Der Begriff ist allerdings dann auch immer schon verzerrt und nur eine Annäherung an das Ding (da sind wir bei Definition und Assoziation, deren Zusammenhang Darth Nefarius hier völlig korrekt anmerkt). Aber ich meine, dass man eine direkte Beziehung zum Ding aufbauen kann (bzw. wenn man es ganz genau nimmt, eine Beziehung, die eh schon da ist, nutzen kann) und das Ding denken kann, anstatt mit Begriffen und Wörtern über das Ding zu denken.
Vollbreit hat geschrieben:Das ist ein schwieriger Punkt, weil er heißen würde, dass das Wort nur an einen Inhalt geheftet wird, der als solcher schon da ist.
Nicht nur, aber als erstes. Ein Bedeutungsinhalt muss schon immer vorhanden sein, selbst wenn Du durch ein neu erlerntes Wort einen neuen Begriff bildest und eine neue Vorstellung bekommst, beziehst Du Dich auf andere Bedeutungsinhalte, die rhizomatisch in neue Beziehung zueinander geraten.
Vollbreit hat geschrieben:Du kannst die richtige Verwendung von Wörtern konditionieren, aber nur in einem sehr beschränkten Umfang. In Wirklichkeit bedeutet Wörten zu verstehen aber Begriffe zu haben und das bedeutet andere Wörter ebenfalls zu verstehen, mit anderen Worten, beim Lernen von Sprachen ist ein gewisser holistischer Aspekt unumgänglich.
Dem widerspreche ich ja auch gar nicht. Außer, dass man Wörter wohl genau genommen nicht
versteht, sondern
assoziiert, auf diese Feinheit bestehe ich.
Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube, dass vieles dafür spricht, dass es bereits eine holistische (aber eben grammatisch eingeschränkte) Sprache gibt, das Affektsystem. Aber die Eigenschaften die „Mama“ zugeschrieben werden, ändern sich im Laufe der Zeit recht dramatisch.
Das ist noch mal was anderes. Das ist dann so eine Art eingeschränkte, „animalische“ Sprache, aber ich meine, dass es eine Art Grammatik gibt, die man vielleicht auch „potentielle Grammatik“ nennen könnte, die zunächst keine konkrete Form hat, aber die Möglichkeit eine nahezu unendliche Anzahl an Möglichkeiten hat, Formen anzunehmen, die tatsächlich erstmal so was wie universell ist, später aber dadurch, dass sie konkret wird, eingeschränkt wird und nur durch stetige Erweiterung sich wieder dem Ursprungsstatus annähern kann, mit dem Unterschied, dass es nicht mehr instabil ist, sondern fest. Nenne das meinetwegen Erleuchtung, auf jeden Fall spreche ich hier von Bewusstseinserweiterung, zu der Sprache auch als Möglichkeit zur strukturellen Erweiterung durchaus sinnvoll ist. Ebenso aber auch andere sprachähnliche Strukturen, wie sie in den Künsten vorhanden sind.
Vollbreit hat geschrieben:Dennoch spricht viel dafür, dass man erst durch die „individuierenden Blicke der Anderen“ (Habermas) zu dem Ich wird, was wir meinen, wenn wir vom Ich reden.
Das ist für mich (nach Lacan) das Spiegel-Ich oder auch (wie ich es, bevor ich Lacan kannte, immer gedacht habe) das Identitäts-Ich, also ein gespaltenes Ich, das sich mit „sich selbst“ identifiziert und dadurch seinen eigentlichen Raum in der Welt vergessen hat.
Deswegen gehen die meisten soziologischen Theorien fälschlicherweise von dem Menschen als eigenständigen Akteur aus (ob das Luhmanns Systemtheorie ist, die den Menschen als autopoietisches System sieht, ob das Max Webers soziales Handeln ist, das ebenso einen von sich aus handelnden Menschen voraussetzt, ob das rationalistische oder voluntaristische Ansätze sind, die „Selbstbestimmung“ des Menschen in der kritischen Theorie, konstruktivistische Ansätze etc.). Es gibt allerdings auch soziologische Theorien, die da etwas „weiter“ sind, wie die Prozesssoziologie (allerdings ist Norbert Elias zu einem Großteil durch Hans Peter Duerr mit seinem 5-bändigen „Mythos vom Zivilisationsprozess“ ziemlich stichhaltig widerlegt worden), die Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour sowie die „Theorie der Praxis“ von Pierre Bourdieu. Allerdings sind die auch nach meinem Geschmack noch nicht weit genug gegangen. Deswegen habe ich mir auch zum Ziel gesetzt, eine neue Theorie zu entwickeln, dürfte aber noch einige Jahre in Anspruch nehmen.
Vollbreit hat geschrieben:Ich würde genau an der Stelle sehr unterscheiden.
Wenn der Arzt Dir mit dem Hammer den Kniesehnenreflex auslöst und man Dich fragen würde, warum Du gerade Deinen Unterschenkel bewegt hast, würdest Du sagen, „weil der Arzt …“ aber Du hast keinen Grund es zu machen, Du musstest es tun.
Ich halte es für bedenklich hier einen Unterschied in dem Sinne zu machen, dass man hier eine feste Grenze zieht. Es sind nur graduelle Unterschiede in der Komplexität vorhanden. Ich kann es sehr wohl auch von meiner Seite aus begründen, indem ich sage (was nicht weniger richtig ist), „weil mein Knie von etwas getroffen wurde“, in dem Moment ist es wieder klar ein innerer Prozess, der stattfindet. Das zeigt letztendlich nur, dass die Trennung von innen und außen niemals klar ist (und deswegen bin ich auch mit dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff nicht einverstanden, aber dafür haben wir ja einen eigenen Thread, wo auch bald wieder was von mir kommt).
Vollbreit hat geschrieben:Wenn der Hund „Sitz“ hört und sich setzt, ist er konditioniert, der hat keinen Grund warum er das macht, Lob und Leckerchen sind zwar die erwartete Folge, aber da laufen eben keine komplexen Gedanken ab und einmal konditioniert, „funktioniert“ der Hund auch irgendwann ohne Lob und Leckerchen.
Das funktioniert bei Menschen aber genauso (trotz höherer Komplexität), der Unterschied ist nur graduell, nicht substantiell. Der Hund hat ebenso Gründe, nur nicht in solch komplexen Umfang, sodass ein Hund eben auch leichter auf gewünschte Art zu konditionieren ist als ein Mensch.
Vollbreit hat geschrieben:Irgendeine Form von Erwartung muss da im Spiel sein, da man durch operante Konditionierungen das willkürlichste Verhalten verstärken kann, aber das lässt sich gut auf einer Ebene von Lust/Unlust erklären.
Wieso willkürlich? Wie kann durch operative Konditionierung Willkür entstehen?
Vollbreit hat geschrieben:Ja sicher, ich ja auch.
Nur gibt es eben verschiedene Grenzen und eine entscheidende scheint mir zu sein, ob man bewusste Kenntnisse über die Vorgänge hat, die in einem ablaufen, oder, ob diese Vorgänge nur ablaufen. Das kann bei Körperprozessen wie der Verdauung, Reflexen und Konditionierungen der Fall sein, für die man alle keine Begriffe braucht, bei denen man etwas über sich weiß.
Man sieht ein Licht, hört einen Ton oder ein Wort und eine Reaktion folgt. Warum man aber reagiert, wie man es tut, weiß man nicht. Das gilt durchaus auch für kleine Kinder. Irgendwann kommt dann die Trotzphase und ändert sich alles.
Hier scheint ein entscheidender Sprung stattzufinden.
Hört sich nach einem piagetischen Irrtum an. Die Forschung ist hier mittlerweile wesentlich weiter und musste feststellen, dass Kinder ziemlich viel mehr können, aber die alten Vermutungen halten sich nach wie vor hartnäckig. Es gibt hier meines Erachtens keine klaren Grenzen, auch keine Sprünge, sondern nur graduelle Verläufe, die auch sehr unterschiedlich ausfallen können und Überschneidungen in alle Richtungen haben. Ein holonistisch hierarchisches System würde hier der Sache nicht gerecht werden bzw. immer zu nicht auflösbaren Problemen bei der Grenzsetzung und daraus folgenden Konsequenzen führen. Deswegen sehe ich es auch als bedenklich, sich an universalistischen Entwicklungsmodellen zu orientieren. Es kann zu einem gewissen Grad funktionieren, aber eben auch nur bis zu einem gewissen Grad.
Vollbreit hat geschrieben:Nein, das kannst Du eben nicht. Du reagierst unterschiedlich drauf, aber Du weißt nicht, dass es Freude oder Angst sind, auf die Du reagierst. Vielleicht zitterst oder fliehst Du oder hockst irgendwo ganz still. Aber darum musst Du nicht wissen, dass Du Angst hast.
Doch, weil es sich anders anfühlt, weil ich mich anders fühle. Daran allein merke ich es schon.
Vollbreit hat geschrieben:Erst wenn Du das gedeutet bekommst – darum ist die Funktion der Mutter an der Stelle so wichtig, die dem Kind möglichst unaufgeregt seine Welt und seine inneren Zustände erklärt – idealerweise ruhig und empathisch: „Du hast Angst. Mama weiß was los ist, das vergeht, bleib ruhig, es ist alles in Ordnung“, dann kann das Kind bei nächsten Mal um seine inneren Zustände wissen und sich erinnern.
Das ist trotzdem richtig, aber nicht aus dem Grund, dass man Gefühle nicht unterscheiden könnte, sondern weil es wichtig ist, reflektiert zu werden, zu spüren, dass man von seiner Umgebung gesehen/wahrgenommen und verstanden wird. Wenn das ausbleibt – und das ist auch der Punkt um den es Alice Miller geht – oder sogar bewusst anders gehandhabt wird (wie ganz extrem bei der schwarzen Pädagogik), dann kommt es zu Problemen, das ist auch richtig, ja.
Vollbreit hat geschrieben:So wird das Ich gebildet.
Nein, das Ich wird nur, wenn es ausreichend gut läuft (siehe die ausreichend gute Mutter bei Donald Winnicott), stabilisiert, es wird die Grundlage für eine gesunde Beziehung zu sich selbst in der Welt gelegt.
Vollbreit hat geschrieben:Andernfalls ist man ein von seinen momentanen Affekten und äußeren Einflüssen gepeinigter und abhängiger Organismus, der tatsächlich auf alle Reize reagieren muss, sei’s sehr äußerlich agierend oder durch sitlle merkwürdige Welterklärungen, das ist die Identitätsdifussion, die man immer dann antrifft, wenn mit der Ichbildung was schief gelaufen ist.
Klar, nur würde ich hier von „Ichentwicklung“ und nicht von „Ichbildung“ sprechen und das nicht nur, um haarspalterisch zu sein, sondern wegen des fundamentalen Unterschieds, der zwischen Bildung und Entwicklung liegt.
Deswegen bin ich auch gegen Erziehung und sehe Attachment Parenting / einfühlsame Anti-Pädagogik als sinnvolle Alternative.
Vollbreit hat geschrieben:Ja, aber sie müssen eben auch gedeutet werden.
Das kann ich auch allein, aber ich kann nicht allein damit
umgehen, wenn meine Fähigkeiten diesbezüglich noch nicht so weit entwickelt sind. Deswegen bin ich auf das Verständnis, die Hilfe und den Schutz durch andere Menschen als kleines Kind angewiesen. Das ist der fundamentale Unterschied, weswegen ich Erziehung an sich ablehne, da es nicht darum gehen sollte, dem Kind zu erklären, was es ist/sein soll, sondern ihm zu helfen, es selbst zu sein und dies in gesunder Weise sein zu können – und gesund bedeutet hier einfach nur ohne zweckgebundenen manipulativen Einfluss (automatischer Einfluss, der sich aus zwischenmenschlichen Beziehungen immer ergibt, ist etwas völlig anderes).
Vollbreit hat geschrieben:Kommunikation kann sicher in verschiedenen Graden misslingen, völlig d’accord.
Es ist aber nicht zwingend, dass sie misslingt und wenn sie das nicht tut, kommen viele neue Möglichkeiten hinzu, wie das erwachen von Phantasien von einem anderen Morgen, dass ohne verstandene Begriffe von Zukunft und das beherrschen und zur Verfügung haben von Konsitionalen schlicht nicht möglich wäre.
Und gerade Sprache bietet einem die Möglichkeit bei Nichtverstehen nachzufragen.
Aber auch die Möglichkeiten durch das Nachfragen sind begrenzt. Das merkt man ja zum Beispiel gut beim Thema (In-)Kompatibilismus, wo wir uns absolut nicht einig werden, weil wir völlig verschiedene Bedeutungsinhalte haben und selbst uns ihnen per Assoziationen anzunähern will nicht recht gelingen.