Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon laie » Di 24. Jul 2012, 15:57

Lumen hat geschrieben:kann man auch die sprachlichen Besonderheiten ausblenden und versuchen, den Sachverhalt anders zu erfassen, visuell, mathematisch usw.


Also dann auf geht`s. Zeig mal, welchen Sinn Mathematik in einer empirischen Theorie hat, wenn die Mathematik darin nicht empirisch interpretiert wird. Oder mal doch mal ein schönes Bild. Vielleicht kann dir ja die Metallscheibe als Vorlage dienen, die seit gut 40 Jahren im All unterwegs ist, um anderen Bewohnern eine Botschaft von uns Erdlingen zu überbringen. Ich fürchte nur, daß dein Bild einem Betrachter ohne umfangreichem, kulturell abhängigem Symbolwissen nichts sagen wird.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon stine » Di 24. Jul 2012, 16:08

OT: :o0: Eigentlich wärs an der Zeit, dass so eine Platte mit einem Alien drauf mal auf der Erde einschlägt.
Vielleicht bombadiert uns bereits eine außerirdische Macht mit solchen Platten und sie verglühen allesamt in der Atmosphäre?

:wink: stine
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon laie » Di 24. Jul 2012, 16:11

Vollbreit hat geschrieben:Was sagt es uns, wenn der Kapitalismus so schön zur (angeblich) egoistischen Evolution passt?


Warum angeblich? Kapitalisten sind Menschen, Menschen sind Lebewesen und Lebewesen handeln egoistisch, weil sie oder ihre Gene sich vor allen anderen vermehren "wollen"1. Das kannst du dir noch aussuchen. Klar ist: wer mehr Kohle hat, der kann die grösseren Statussymbole (=Phallussymbole) vorführen und kriegt entsprechend die Weibchen zum Begatten. Die Mädels steigen nun mal lieber in einen Porsche als zu dir auf's Fahrrad. Hast du ein Problem damit?

Ja, da ist wirklich schwierig herauszukommen. Ein strammer Molekularbiologe wie Darth oder ein Lumen, der schon bei der kleinsten Kritik gleich "Kreationismus, Kreationismus" ruft, kommt da ohne Hilfe von außen nicht heraus. Er sieht noch nicht einmal, wo es hakt.

Oder du kannst es mit Dawkins selbst probieren: "ja Leute, ich sag euch, Gene sind egoistisch, ja es geht brutal zu. Aber ich wünsche nicht, daß die Gesellschaft selbst diesen Gesetzmäßigkeiten folgt. Weil wir wissen, wie brutal es zugeht, können wir eben eine nicht-brutale Gesellschaft aufbauen." Hat man jemals so einen Heuchler gesehen?

1. Oder sollte ich besser schreiben: weil sie dazu tendieren, sich zu vermehren...
Zuletzt geändert von laie am Di 24. Jul 2012, 16:42, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Di 24. Jul 2012, 16:30

laie hat geschrieben:Ich fürchte nur, daß dein Bild einem Betrachter ohne umfangreichem, kulturell abhängigem Symbolwissen nichts sagen wird.


Ja, man muss sich in eine Materie einarbeiten. Eine Binsenweisheit. Auch ein Mensch aus Palestina 30 n.Chr. würde die Evolutiontheorie verstehen können.

Der Rest bezog sich auf den Bezeichnungszwang, z.B. das Werden des Menschen ist visuell verstehbar, aber umständlich mit Begriffen: wo ist der Übergang von Kind zu Jugendlicher, und zu Erwachsenem?
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon laie » Di 24. Jul 2012, 16:51

Lumen hat geschrieben:Auch ein Mensch aus Palestina 30 n.Chr. würde die Evolutiontheorie verstehen können.


Ja, das mag sogar sein. Aber dennoch hätte dieser Mensch einige ideengeschichtliche Hürden zu nehmen. Mit seinem eigenen Vorwissen würde er sie nicht verstehen, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie er sie verstehen sollte.

Aber das alles ist nicht des Pudels Kern. Wir entkommen der Sprache und damit der Kultur, in der wir leben, nicht. Es gibt kein sprachunabhängiges Wissen, so wie du es mit "mathematischen oder visuellen Darstellungen" herbeizaubern möchtest. Diese machen ohne Sprache überhaupt keinen Sinn und in verschiedenen Kulturen erfahren Bilder, auf denen ein "kleiner Mensch" zu sehen ist, welcher neben zwei grösseren "Menschen" steht, und über diesen dreien ist dann noch ein "Affe" gemalt, ganz unterschiedliche Interpretationen. Für dich mag einer hier versucht haben, Evolution darzustellen. Ein Hindu sieht darin einfach den Sohn von Schiwa in seiner Affengestalt, darunter einen kleinen und zwei grosse Menschen, die diesen Gott anbeten.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Di 24. Jul 2012, 17:06

laie hat geschrieben:Ja, da ist wirklich schwierig herauszukommen. Ein strammer Molekularbiologe wie Darth oder ein Lumen, der schon bei der kleinsten Kritik gleich "Kreationismus, Kreationismus" ruft, kommt da ohne Hilfe von außen nicht heraus. Er sieht noch nicht einmal, wo es hakt.


Bei Darth ist es wirklich schwierig, aber ich denke Lumen erkennt sehr klar die Problematik des Egoismusbegriffs, wie bereits abendfüllend ausgeführt.

Die Sache ist ja die. Momentan geht es zwischen Darth und ujmp gegen Lumen um die Klärung ob ein reiner Egoismus der Individuums dominiert oder die egoistischen Gene.

Das Problem ist, dass Dawkins zwar die egoistischen Gene präferiert, aber gleichzeitig in selbstwidersprüchlicher Weise sehr wohl von egoistischen Individuen redet und zwar im Sinne von Darth und ujmp und wohl der Mehrzahl der Evolutionsbiologen.
Lumen versucht den Konflikt zu entschärfen, indem er meint, das (teilweise) egoistische Individuum sei eben eine jener Möglichkeiten, die das Konzept der egoistischen Gene anbietet.

Während Darth meint man könne auf Dawkins‘ Sicht verzichten, ist sein Konzept natürlich erst mal eleganter, weil es mehr Möglichkeiten bietet. (Selbstwidersprüchlich bleibt Dawkins dennoch.)

Ich würde aber jenseits dieses Streits fragen, warum überhaupt der Biologie so eine besondere Beachtung geschenkt werden sollte? Wenn wir wirklich anders können, als unsere egoistischen Gene wollen, dann ist Dawkins Appell ganz einfach falscher Pathos, kann ja mal passieren, muss man nicht aufbauschen. Aber wenn er sagt, dass wir egoistisch geboren sind, verlagert er das Gewicht schon recht eindeutig und es wird noch falscher. Denn wer wirklich nicht anders kann, bei dem fruchten keine Appelle. Aber, wie gesagt, jenseits dessen, ist der Streit von Natur gegen Kultur ein altbekanntes Thema. Freud hat einen bedeutenden Anteil geleistet, Wittgenstein ist ein Wegbereiter der linguistischen Wende, Heidegger machte klar, dass wir immer schon eingebunden in Praktiken und Sichtweisen auf die Welt kommen (die Geworfenheit), in gewisser Weise steht Marx auch in dieser Linie (da Arbeit bei ihm die grundlegende Beziehungsebene zwischen Menschen darstellt), auch Luhmann gehört dazu, der klar machte, dass biologische, psychische und soziale Systeme zueinander Rücken an Rücken sitzen. Habermas nimmt vieles von dem auf. Und auch die biblische Formulierung, dass man Anfang das Wort war, lenkt den Blick in diese Richtung.

Die Unterschiede darf man nicht verwischen, aber keiner von diesen Denkern würde einem platten Biologismus das Wort reden.

Ehrlich gesagt glaube ich, dass Lumen sehr viel mehr erkennt, als ihm (momentan) angenehm ist. Da es aber keinen sonderlichen Spaß macht, dass oder den, mit dem man identifiziert ist, in Frage zu stellen, habe ich Verständnis dafür, ich habe das selbst ein paar mal erlebt und man muss mühsam sein Weltbild neu zusammenzimmern. Deshalb sind Rückfalle in gelegentliche Attacken gegen holzschnittartige Feindbilder etwas, was man (an guten Tagen) nachsichtig behandeln kann (auch wenn es nervt).
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Di 24. Jul 2012, 17:30

Ich sehe den Widerspruch nach wie vor nicht, den du beschwören willst. Dawkins stellte einerseits eine Theorie vor, die sowohl egoistisches Verhalten (Löwe tötet Junge anderer Männchen) als auch Altruismus (Fledermaus füttert Artgenossen) erklärt mittels einer gen-zentrierten Sicht der Evolution, statt konkurrierender Modelle wie Gruppen-Selektion ("Fitness der Gruppe"). Nun wissen wir auch ohne Genetik, dass Menschen kooperieren und sich gegenseitig helfen und wir wissen auch, dass das keine Selbstverständlichkeit ist, wie jeder Krieg eindrucksvoll belegt. Dawkins sagt, und lies genau: Menschen sollen sich für ihre Gesellschaft nicht die natürliche Auslese zum Vorbild nehmen. Was ist daran widersprüchlich?

Das erweiterte Problem ist das, dass leider religiöse Spinner einen Sachverhalt (Tiere fressen sich auf, das Universum ist schwarz und leer) mit einer Weltanschauung verwechseln. Da ist irgendeine Schranke im Kopf, oder in Form eines Brettes auch vielleicht davor.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon ujmp » Di 24. Jul 2012, 17:51

laie hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Für Erkenntnis ist Intersubjektivität überhaupt nicht erforderlich


[...]Auch unsere Theorien sind sprachliche Gebilde. Wir haben also auf der einen Seite ein sprachliches Gebilde und auf der anderen Seite das X, auf welches sich dieses Gebilde beziehen soll. Können wir das X unabhängig von der sprachlichen Ebene beschreiben?

Nein, dazu besteht aber auch gar keine Notwendigkeit. Was aber geht ist, dass sich Sprache auf gar kein X bezieht, z.B. das Wort "Gott".
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon laie » Di 24. Jul 2012, 17:57

Lumen hat geschrieben:Dawkins erklärt [egoistisches Verhalten als auch Altruismus] mittels einer gen-zentrierten Sicht der Evolution. Menschen sollen sich für ihre Gesellschaft nicht die natürliche Auslese zum Vorbild nehmen. Was ist daran widersprüchlich?


Daß der Mensch trotz angeblicher genetischer Determininierung noch eine Wahl haben soll zu etwas, das eine völlige Alternative darstellen soll gegenüber der natürlichen Auslese. Darum! Dawkins ist einfach ein ganz feiner Kerl. Der möchte natürlich nicht die Folgen seiner egoistischen Gene tragen, wenn sie mal in die falschen Hände fallen.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon laie » Di 24. Jul 2012, 18:00

ujmp hat geschrieben:Nein, dazu besteht aber auch gar keine Notwendigkeit


Wenn es nicht notwendig ist, daß wir X sprachunabhängig beschreiben, dann akzeptierst du also den Widerspruch zwischen Wort und Gegenstand?

Übrigens reden wir hier nicht über Gott, also weich nicht aus.
Zuletzt geändert von laie am Di 24. Jul 2012, 18:21, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon ujmp » Di 24. Jul 2012, 18:07

laie hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Nein, dazu besteht aber auch gar keine Notwendigkeit


Wenn es nicht notwendig ist, daß wir X sprachunabhängig beschreiben, dann akzeptierst du also den Widerspruch zwischen Wort und Gegenstand?

Keineswegs. Ein Widerspruch kann nur zwischen Aussagen bestehen. Sätze können sich widersprechen, aber nicht Gegenstände untereinander oder Sätze und Gegenstände .
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon laie » Di 24. Jul 2012, 18:24

Also, was ist dann X? Gibt es das X ausserhalb der Semantik? Was soll das dann sein?
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon ujmp » Di 24. Jul 2012, 18:31

Ich verstehe Semantik als Teil meines Organismus. Mein Organismus steht mit der Welt - also mit dem, was nicht zum Organismus gehört - in einer Wechselwirkung. Er wird von der Welt geprägt und prägt selbst die Welt. Mein Denken wird - als Teil meines Organismus - von der Welt geprägt und prägt selbst die Welt. Genau so die Sprache.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Di 24. Jul 2012, 20:19

Lumen hat geschrieben:Ich sehe den Widerspruch nach wie vor nicht, den du beschwören willst.


Er liegt in dem Satz, dass wir egoistisch geboren sind und dem was daraus folgen soll.
Richtigerweise müsste Dawkins argumentieren, dass wir sowohl egoistisch, als auch altruistisch geboren sind. Kann sein, dass ihm das beim Schreiben so rausgerutscht ist, aber de Waal berichtet ja, dass das durchaus eine Masche bei Dawkins ist.

Lumen hat geschrieben:Das erweiterte Problem ist das, dass leider religiöse Spinner einen Sachverhalt (Tiere fressen sich auf, das Universum ist schwarz und leer) mit einer Weltanschauung verwechseln. Da ist irgendeine Schranke im Kopf, oder in Form eines Brettes auch vielleicht davor.


Die Weltanschauung liegt nicht darin, dass man „Fakten“ darstellt, sondern, dass man der Überzeugung ist, man würde lediglich Fakten darstellen und alles andere daneben zu Nicht-Fakten deklariert. Das naturwissenschaftliche Weltbild ist aber eben keine nüchterne Darstellung der Dinge, wie sie sind, sondern ihrerseits bereits eine Geschichte, Interpretation. Es ist eigentlich üblich, dass Naturwissenschaftler und ihre Anhänger überhaupt keinen Sinn dafür haben, das auch nur in Ansätzen zu erkennen, da hat laie vollkommen Recht.
Sie empfinden es auch als vollkommen legitim andere Ansätze, die sie selten verstehen, aus dem Diskurs – gerne wegen mangelnder Exaktheit – auszugrenzen.
Schlechtes Terrain für Biologen, die mit allzu viel Exaktheit auch nicht dienen können.
Schlechtes Terrain für Anhänger von Popper, der bei der Soziologie zu einer diametral anderen Auffassung kommt, als der geneigte Naturwissenschaftler.
Schlechtes Terrain auch für jene Brights, die über den schmalen Rand der Naturwissenschaften hinausblicken.

Alles über das sich bei dieser Doktrin zu reden lohnt ist die Physik, am besten die der kleinsten Teilchen. Leider erklärt die uns noch nicht mal einen Schluckauf.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Di 24. Jul 2012, 20:23

laie hat geschrieben:Daß der Mensch trotz angeblicher genetischer Determininierung noch eine Wahl haben soll zu etwas, das eine völlige Alternative darstellen soll gegenüber der natürlichen Auslese. Darum! Dawkins ist einfach ein ganz feiner Kerl. Der möchte natürlich nicht die Folgen seiner egoistischen Gene tragen, wenn sie mal in die falschen Hände fallen.


Ach so, dass ist natürlich auch eine Deutung: Der Mensch ist genetisch determiniert, ohne determiniert zu sein. :rofl:
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon ujmp » Di 24. Jul 2012, 20:36

Vollbreit hat geschrieben:Die Weltanschauung liegt nicht darin, dass man „Fakten“ darstellt, sondern, dass man der Überzeugung ist, man würde lediglich Fakten darstellen und alles andere daneben zu Nicht-Fakten deklariert. Das naturwissenschaftliche Weltbild ist aber eben keine nüchterne Darstellung der Dinge, wie sie sind, sondern ihrerseits bereits eine Geschichte, Interpretation. Es ist eigentlich üblich, dass Naturwissenschaftler und ihre Anhänger überhaupt keinen Sinn dafür haben, das auch nur in Ansätzen zu erkennen, da hat laie vollkommen Recht.

Das ist ziemlicher Unfug, da sich die Wissenschaftstheorie seit Hundert Jahren ausfürlich mit diesen Problemen befasst. Das weiß auch alles jeder Wissenschaftler. Und wenn es schon die Esoteriker im Brightsforum wissen, das pfeifen es nun wirklich die Spatzen von den Dächern! Dass eine wissenschaftliche Theorie Interpretation ist, ist ja prinzipiell auch kein Problem. Es ist nur die Frage, ob es eine gute oder eine schlechte Interpretation ist. Die Interpretationen, die nach den Mustern der modernen Wissenschaft entstehen, sind aber sehr erfolgreich.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Di 24. Jul 2012, 21:08

laie hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Dawkins erklärt [egoistisches Verhalten als auch Altruismus] mittels einer gen-zentrierten Sicht der Evolution. Menschen sollen sich für ihre Gesellschaft nicht die natürliche Auslese zum Vorbild nehmen. Was ist daran widersprüchlich?


Daß der Mensch trotz angeblicher genetischer Determininierung noch eine Wahl haben soll zu etwas, das eine völlige Alternative darstellen soll gegenüber der natürlichen Auslese. Darum! Dawkins ist einfach ein ganz feiner Kerl. Der möchte natürlich nicht die Folgen seiner egoistischen Gene tragen, wenn sie mal in die falschen Hände fallen.


Das ist wieder falsch. Dawkins ist garkein Befürworter von Determinismus. Davon abgesehen, wird ihm auffallen, wenn er humanistische Forderungen vertritt, dann aber behaupten würde (was er nicht tut), der Mensch habe garkeinen Einfluß auf sein Tun. Außerdem ist genetischer Determinismus, wie er bei dir durchklingt falsch (pseudo-wissenschaftlich) angewendet.

Ich fand dazu noch dies:

Quelle hat geschrieben:It is only fitting, then, that this epitome of Dawkins opens with one of the most impressive refutations of genetic determinism I have encountered, at least as powerful as any Stephen Jay Gould or Richard Lewontin has ever produced. Genes do not determine anatomy or physiology or behavior; genes encode the information to make proteins


Ihr beide, Vollbreit und Laie, brecht euch keinen Zacken aus der Krone, wenn ihr eingestehen würdet, dass ihr hier falsch lagt.

Die härte, Gehirnforscher-Sicht stellt der Journalist Tom Wolfe hier dar (2:35 min.) , und auch den Kontrast zu Dawkins und Co.

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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Vollbreit » Di 24. Jul 2012, 22:22

Lumen hat geschrieben:Das ist wieder falsch. Dawkins ist garkein Befürworter von Determinismus.
...
Ihr beide, Vollbreit und Laie, brecht euch keinen Zacken aus der Krone, wenn ihr eingestehen würdet, dass ihr hier falsch lagt.


Hören wir doch Dawkins dazu:
Richard Dawkins hat geschrieben:2 Gelegentlich mißverstehen Kritiker Das egoistische Gen insofern, als sie meinen, es befürworte den Egoismus als ein Prinzip,
nach dem wir leben sollten! Andere glauben – vielleicht,
weil sie nur den Titel des Buches gelesen haben oder nicht über
die ersten beiden Seiten hinausgekommen sind –, ich verträte
die Ansicht, Egoismus und andere häßliche Verhaltensweisen
seien ein unentrinnbarer Teil unserer Natur, gleichgültig, ob
wir das nun schön finden oder nicht. In diesen Fehler kann
man leicht verfallen, wenn man meint (wie viele Leute es
unerklärlicherweise tun), daß „genetisch determiniert“ gleichbedeutend
ist mit schicksalhaft und unabänderlich. De facto
„determinieren“ Gene das Verhalten lediglich im statistischen
Sinne (siehe auch Kapitel 3). Ein guter Vergleich ist die
bekannte Bauernregel „Der Morgen grau, der Abend rot, ist
ein gutes Wetterbot“. Statistisch gesehen mag es eine Tatsache
sein, daß Abendrot schönes Wetter für den nächsten
Tag ankündigt, aber wir würden keine hohe Wette darauf
abschließen. Wie wir genau wissen, wird das Wetter auf sehr
komplexe Weise von vielen verschiedenen Faktoren beeinflußt.
Jede Wettervoraussage kann falsch sein. Es handelt sich lediglich
um eine statistische Vorhersage. In unseren Augen hat
Abendrot nicht zwangsläufig schönes Wetter am nächsten
Tag zur Folge, und ebensowenig sollten wir davon ausgehen,
daß Gene unwiderruflich irgend etwas determinieren. Es gibt
keinen Grund anzunehmen, daß der Einfluß von Genen nicht
leicht von anderen Einflüssen in sein Gegenteil verkehrt
werden könnte.
(S.405)


Das sagt er als Reaktion auf die Kritik.
Das ist zwar verschwurbelt, aber letztlich distanziert er sich von einem schicksalhaften Determinismus zugunsten der Auffassung: „Die Sterne machen geneigt, aber sie zwingen nicht.“ (Sorry, manchmal hab ich so was.)

Im Buch selbst hieß es dann:
Richard Dawkins hat geschrieben:Die These dieses Buches ist, daß wir und alle anderen
Tiere Maschinen sind, die durch Gene geschaffen wurden. Wie
erfolgreiche Chicagoer Gangster haben unsere Gene in einer
Welt intensiven Existenzkampfes überlebt – in einigen Fällen
mehrere Millionen Jahre. Auf Grund dessen können wir ihnen
bestimmte Eigenschaften unterstellen. Ich würde argumentieren,
daß eine vorherrschende Eigenschaft, die wir bei einem
erfolgreichen Gen erwarten müssen, ein skrupelloser Egoismus
ist. Dieser Egoismus des Gens wird gewöhnlich egoistisches
Verhalten des Individuums hervorrufen. Es gibt jedoch,
wie wir sehen werden, besondere Umstände, unter denen ein
Gen seine eigenen egoistischen Ziele am besten dadurch erreichen
kann, daß es einen begrenzten Altruismus auf der Stufe
der Individuen fördert. Die Worte „besonders“ und „begrenzt“
in diesem Satz sind wichtig. So gern wir auch etwas anderes
glauben wollen, universelle Liebe und das Wohlergehen einer
Art als Ganzes sind Begriffe, die evolutionstheoretisch gesehen
einfach keinen Sinn ergeben.

(S.22f)


Das klingt nun recht eindeutig. Vermutlich wirst Du, Lumen, einen erneuten Ausweg suchen, aber jeder andere kann ja einfach lesen, was da steht.
Das steht natürlich im krassen Gegensatz zu dem, was Dawkins in nachträglicher Interpretation zu sich selbst dahinschwurbelt, aber Dawkins ist es gewohnt, die eigenen Widersprüche so darzustellen, als sei er nur mal wieder – von religiösen Nixblickern und anderen Dumpfbacken – falsch verstanden worden.
Es bleiben natürlich eigene Widersprüche

Die direkte Fortsetzung liest sich dann so:
Richard Dawkins hat geschrieben:Dies bringt mich zu der ersten Feststellung, die ich darüber
treffen möchte, was dieses Buch nicht ist. Ich trete nicht für
eine Ethik auf der Grundlage der Evolution ein. Ich berichte
lediglich, wie die Dinge sich entwickelt haben. Ich sage nicht,
wie wir Menschen uns in moralischer Hinsicht verhalten sollen.
Ich betone dies angesichts der Gefahr, daß ich von jenen – allzu
zahlreichen – Leuten falsch verstanden werde, die nicht unterscheiden
können zwischen einer Darstellung dessen, was nach
Überzeugung des Sprechenden oder Schreibenden der Fall ist,
und einem Plädoyer für das, was der Fall sein sollte. Ich selbst
bin der Meinung, daß eine menschliche Gesellschaft, die lediglich
auf dem Gesetz des universellen, rücksichtslosen Gen-
Egoismus beruhte, eine Gesellschaft wäre, in der es sich sehr
unangenehm lebte. Unglücklicherweise jedoch hört etwas, das
wir beklagen, und sei es auch noch so sehr, deshalb nicht auf,
wahr zu sein.
Dieses Buch soll vor allem interessant sein. Wenn
der Leser jedoch eine Moral aus ihm ableiten möchte, möge
er es als Warnung lesen: Wenn er – wie ich – eine Gesellschaft
aufbauen möchte, in der die einzelnen großzügig und selbstlos
zugunsten eines gemeinsamen Wohlergehens zusammenarbeiten,
kann er wenig Hilfe von der biologischen Natur erwarten.
Laßt uns versuchen, Großzügigkeit und Selbstlosigkeit zu
lehren, denn wir sind egoistisch geboren. Laßt uns verstehen
lernen, was unsere eigenen egoistischen Gene vorhaben, denn
dann haben wir vielleicht die Chance, ihre Pläne zu durchkreuzen
– etwas, das keine andere Art bisher jemals angestrebt
hat.

(S.23)
Quelle: (Richard Dawkins, Das egoistische Gen, 1989,1994 by Richard Dawkins, dt. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Mai 1996, S.22)


Well, as I told before (das klingt in english doch gleich much more important, doesn’t it?) this is aufgeladen mit einem erheblichen Pathos. Im Dunkeln ist gut Munkeln und da weiß jemand, was unsere Gene vorhaben und Richard Dawkins weiß auch noch obendrein was wahr ist. So ist das mit den Biologen, sie wissen einfach was wahr ist, sie haben diesen unverstellten Blick und sie haben den Mut diese Wahrheiten auszusprechen. Diese lässige Geste (dass etwas nicht aufhört wahr zu sein, auch wenn…), die man auch als Arroganz deuten könnte.

Anyway, vielleicht will uns Mr. Dawkins im Zurückrudern einfach noch verscheißern?
Denkbar? Oder vielleicht sieht es es wirklich nicht?
Denn, wenn das doch gar nicht der Fall ist, mit den Genen, die egoistisch machen, wozu dann der Appell?
Wenn es da so'n paar Gene gibt, deren Rolle eher marginal ist und die Musi spuilt während der Erziehung, na gut, prima, davon gehen eh die meisten aus.
Nicht so Richard Dawkins, der lässt allerhöchstens Raum, für einen begrenzten Altruismus (kein echter) unter besonderen Umständen. Lies es nach.
Dawkins ist damit waschechter Mainstream-Evolutionsbiologe.
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon Lumen » Di 24. Jul 2012, 23:27

Letzer Donnerstag...
Lumen hat geschrieben:Jedenfalls auf Dawkins Zitat angewendet wird hier klar, dass reziproker Altruismus keine umfassende Charaktereigenschaft ist, also gerade nicht "biologisiert" wird!


Letzer Freitag...
Lumen hat geschrieben:Die Stelle wurde lange und breit im anderen Thema behandelt [...] und meine Antwort auf dieses Zitat war, dass altruistisches Verhalten nicht allumfassend ist. Um im Tierreich zu bleiben, in den Genuß gegenseitiger Fellpflege kommen Angehöriger verschiedener Schimpansengruppen nicht, die jagen und töten sich gegebenenfalls. Auch sind Erwachsene eines Rudels nicht immer nett zum Nachwuchs. Ebenso ist auch der Mensch nicht automatisch und immer altruistisch. Diese obskuren Idealvorstellungen...


Dein Dawkins Zitat heute, fast eine Woche später...
Dakwins hat geschrieben:Dieser Egoismus des Gens wird gewöhnlich egoistisches Verhalten des Individuums hervorrufen. Es gibt jedoch, wie wir sehen werden, besondere Umstände, unter denen ein Gen seine eigenen egoistischen Ziele am besten dadurch erreichen kann, daß es einen begrenzten Altruismus auf der Stufe der Individuen fördert. Die Worte „besonders“ und „begrenzt“ in diesem Satz sind wichtig. So gern wir auch etwas anderes glauben wollen, universelle Liebe und das Wohlergehen einer Art als Ganzes sind Begriffe, die evolutionstheoretisch gesehen einfach keinen Sinn ergeben.


Da ist jetzt nichts neues oder überraschendes drin. Offenbar kann ich mir die Finger Wund schreiben und es kommt irgendwie nicht durch. Anstatt anzudeuten und zu behaupten, fang doch mal an was zu belegen. Was steht im Widerspruch zu was?
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Re: Die biologisierende Ausdeutung der Welt

Beitragvon ujmp » Mi 25. Jul 2012, 05:26

Lumen hat geschrieben: Offenbar kann ich mir die Finger Wund schreiben und es kommt irgendwie nicht durch. Anstatt anzudeuten und zu behaupten, fang doch mal an was zu belegen. Was steht im Widerspruch zu was?

Das können Esoteriker gar nicht. Du riskierst mit dieser Aufforderung nur, dass er dich mit weitschweifigen Abschweifungen ermüdet.
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