Myron hat geschrieben: Selbstverständlich sind auch die Naturwissenschaften und deren Theorien Kulturprodukte... Dass die wissenschaftlichen Methoden, die wir bei der Erforschung der Natur einsetzen, kulturabhängig sind, ist eine Binsenweisheit, denn ohne das produktive kulturelle Handeln des Menschen gäbe es selbstverständlich keine Wissenschaften und kein methodisch-systematisch gewonnenes Wissen über die Natur.
eben - genau: 'selbstverständlich'! das hebst du ganz richtig hervor! sollte m.E. für jeden eine 'binsenweisheit' sein. und die ist ausgangsbasis für den methodischen kulturalismus, wenn ich richtig verstanden habe - mehr nicht.
Myron hat geschrieben: was aber mitnichten bedeutet, dass die naturwissenschaftlichen Gegenstände und ihre Eigenschaften selbst Kulturprodukte sind.
wenn du die in den natur- und wie überhaupt in den wissenschaften untersuchten 'gegenstände' meinst, stimme ich dir in gewissem umfang zu, bedenke jedoch immer folgende methodischen zusammenhänge mit:
wie alle 'wissen schaffenden' forscher 'definieren' (umgrenzen, begrenzen) auch die in den naturwissenschaften ihren untersuchungsbereich selbst. sie 'bestimmen' weiterhin auch die methoden, mit denen sie den ausgewählten phänomenbereich erforschen wollen, methoden, die dafür - wie etwa registrierinstrumente - z.T. sogar eigens erfunden und entwickelt, also überhaupt erst 'geschaffen' wurden, eine technische kulturleistung ersten ranges. damit legen wissenschaftler aber nicht nur art und umfang ihre forschung fest, sondern auch, wie die phänomene, die dabei registriert und 'untersucht' werden sollen, ihnen 'erscheinen'; genau deswegen werden sie 'phänomene' genannt... kulturabhängig sind dann zwar nicht diese phänomene, aber eben art und weise, wie sie von uns erfasst werden. das ist m.W. seit kopenhagen 1927 in der (quanten)physik standarderkenntnis und -wissen (geworden).
wieso hebst du deinerseits diese methodenkritische 'binsenweisheit' heraus? hast du bei deiner wikipedia-lektüre oder anderswo etwas anderes oder gar dazu gegensätzliches gefunden?
Myron hat geschrieben: Die Rede von einer Kulturabhängigkeit der Natur erscheint mir jedenfalls unsinnig.
so formuliert 'ist' sie auch unsinnig - weil sie methodisch unreflektiert ist. das ist doch beispielsweise der 'witz' der sog. 'evolutionären erkenntnistheorie': zu berücksichtigen, dass schon unsere sinnliche 'erkenntnis' - wie dort leider meist statt 'wahrnehmung' oft formuliert wird - vom bau unserer sinnesorgane abhängig ist. nur ist das historisch ein alter hut, ein ganz alter sogar; das hat zb. nicht nur schon goethe gewusst - das ist auch standardwissen im buddhismus, in dem sogar die begriffsabhängigkeit unseres denkens über zwei jahrtausende vor wittgenstein erkannt und reflektiert wurde - und seitdem sogar praktisch umgesetzt wird.
Myron hat geschrieben: Aber anscheinend sind die Kulturalisten Antirealisten.
wie ist dieser 'anschein' bei dir entstanden? auf anhieb kann ich nur vermuten, dass du vielleicht meinst, kulturalisten würden auf die methodisch unreflektierte grundlage des sog. 'naiven realismus' hinweisen. leider ist der allerdings weit verbreitet, aktuell zb. besonders schlimm bei manchen hirnforschern, wie ich als psychiater, psychologe und psychotherapeut immer wieder feststellen muss.
wissenschaftskritische, also methoden'bewusste' wissenschaftler reflektieren nicht nur ihre untersuchungsmethoden, sondern verlieren auch nicht die relation der damit gewonnenen daten aus den augen, wenn sie diese im weiteren dann theoriebezogen deuten oder interpretieren, die eigentliche und erkenntnistheoretisch relevante wissenschaftliche leistung, an der wir 'eigentlich' ja und am meisten interessiert sind.
im methodischen kulturalismus wird m.W. nichts weiter gemacht als diese methodische ordnung genau rekonstruiert und methodenkritisch reflektiert. 'mehr' habe ich schon im methodischen(!) oder philosophischen 'kontruktivismus' nie gesehen - im unterschied zu dem sich so 'radikal' gebenden, in dem dies meinem eindruck nach zumindest nicht genug geschieht.