Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon Max » So 9. Sep 2007, 16:25

Wenn jemand damit einverstanden ist, Tiere zu töten, darf er meiner Meinung nach kein Abtreibungsgegner sein.
Dito.

Ich finde es hingegen scheinheilig, zu behaupten, ein Baby bekäme seinen Status als Mensch igenau in der Sekunde, in der es auf die Welt kommt. Das Problem liegt im Fakt begründet, dass wohl biologisch keine scharfe Grenze existiert, eine ethische Betrachtung der Abtreibung aber aus praktischen Gründen eine Grenzlinie erfordert.
Wie gesagt, die Frage, ab wann man den Fötus "Mensch" nennen soll, ist unsinnig. Spezieszugehörigkeit ist ohne Bedeutung - genauso wie Rassenzugehörigkeit oder die Haarfarbe.

Wenn man die Frage nicht durch Definitionen lösen soll, wie dann?
Ethische Theorien.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon dvrvm » So 9. Sep 2007, 17:25

Wie gesagt, die Frage, ab wann man den Fötus "Mensch" nennen soll, ist unsinnig. Spezieszugehörigkeit ist ohne Bedeutung - genauso wie Rassenzugehörigkeit oder die Haarfarbe.

Es geht nicht um die Spezies, sondern um den Entwicklungsstand... zur "Spezies Mensch" gehört meiner Meinung nach bereits ein gastrulierender Zellhaufen, aber das ist ohne Bedeutung, wie du richtig erwähnst.
Was hältst du von meiner Behauptung, man könne aus dem Konsequentialismus je nach Ermessen sowohl pro als auch anti Abtreibung sein? (Wobei offensichtlich eine anti-Haltung hier, sowie auch eine pro-Haltung, nie absolut sein dürfte.)
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon Max » So 9. Sep 2007, 18:08

dvrvm hat geschrieben:Was hältst du von meiner Behauptung, man könne aus dem Konsequentialismus je nach Ermessen sowohl pro als auch anti Abtreibung sein? (Wobei offensichtlich eine anti-Haltung hier, sowie auch eine pro-Haltung, nie absolut sein dürfte.)
Nichts. Wenn es kein absolutes Recht gibt, sondern nur eine Beurteilung von Handlungen nach ihren Konsequenzen, wie soll dann Abtreibung verwerflich sein? Es ist egal, ob wir die Konsequenzen an der Summe von Lust und Schmerz bemessen oder an der Erfüllung der Beteiligten Interessen. Das Leid des Fötus ist deutlich geringer einzuschätzen als das Leid, das eine Frau empfindet, wenn sie ein Kind austragen muss, das sie nicht haben will. Das Kind hat kein Interesse weiterzuleben, allerdings (ab der 18. Woche, ca.) ein Interesse nicht zu leiden. Dieses Interesse ist allerdings in Anbetracht des Interesses der Mutter vollkommen bedeutungslos.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon dvrvm » So 9. Sep 2007, 19:39

Max hat geschrieben:[...] Das Kind hat kein Interesse weiterzuleben [...]

Das ist eben genau der Knackpunkt: das kannst du nicht wissen, und ich auch nicht... Wenn man annimmt "das Kind hat sowieso noch kein Bewusstsein, es hat also kein Interesse weiterzuleben", ist der Fall aus dieser Sicht klar. Das ist aber erst mal nur eine Annahme, niemand hat das Kind gefragt.

Weiterhin ist die Frage, ob das unmittelbare Interesse des Kindes ausschlaggebend sein soll oder die effektiven Langzeitfolgen der Handlung. Analog den Umweltfragen: wenn man auf das unmittelbare Gesamtinteresse der momentan lebenden Personen Rücksicht nimmt, denen das Öl erst gegen Ende des Lebens ausgehen wird, wenn überhaupt, und die die Langzeitfolgen der Klimaerwärmung zu gutem Teil nicht mehr miterleben werden, ist die Folge aus dieser Ethik "party on". Das ist offensichtlich nicht vertretbar. Eine vertretbare Antwort auf die Frage finden wir nur, wenn wir auch die Folgen auf die Menschen (und Tiere) betrachten, die es in Zukunft erst geben wird. So gesehen ist die Frage nicht, ob der Fötus weiterleben will, sondern ob er ein erfülltes Leben haben würde. Und das ist wiederum eine immense Streitfrage... wieviel ist ein erfülltes Leben? Ab wann ist ein Leben schlimmer, als gar nicht gelebt zu haben? Weitere Erörterungen: Hat das Kind intelligente Eltern, also eine höhere Chance, intelligent zu werden und vielleicht in Zukunft als Wissenschaftler wichtige Probleme zu lösen? Oder wird es eine schwierige Kindheit haben und darum eventuell zum Kriminellen? Welchen Effekt hat die negative Einstellung der Mutter auf ihr Kind? Das ist Folgenethik. Nicht "ich hab Bock, ich habe keinen Bock." Das erscheint mir zu kurz gegriffen.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon a.stefan » So 9. Sep 2007, 20:32

1. "Etwas" ist erst dann "Leben", wenn es der Defintion von Leben entspricht und dazu gehoert auch die Autopoiese. Und Autopiese fordert eine Unabhaengigkeit von der Umwelt, die bei einem Foetus in der Umwelt "Frau" nicht gegeben ist.
Denn ansonsten waere ja jeder Zellhaufen, jeder Krebs schon Leben! (Duerfte der entfernt werden, wenn es nach den AbtreibungsgenerInnen geht?)

Das diese Sichtweise bei schon entwickelten Foeten schwierig ist - keine Frage!
Nur stellt sich auch hier die Frage, ist das vielleicht so weil wir in einer Welt leben mit entsprechenden Moralvorstellungen, in meinen Fall zb christliche Moralvorstellungen, denn auch wenn ich mich als Atheist verstehe, meine Eltern und die Gesellschaft taten alles um mich christlich zu erziehen und so schnell kann man gewisse, jahrzehntelang eingeimpfte Vorstellungen, nicht los werden.

2. Es ist das Entscheidungsrecht der Frau!
Es hat niemand darueber zu urteilen "Was waere wenn?", "Ist das moralisch gerechtfertigt" oder was auch immer, als die betroffene Frau selbst! (Und schon gar nicht Fragen, nach einer zukuenftigen Intelligenz von Kindern, die es noch gar nicht gibt!)

Es ist nun mal eine Tatsache, das Frauen, wenn es keine Abtreibungskliniken gibt, trotzdem abtreiben - sie gehen zu sogenannten "Engelsmacherinnen", in sehr vielen Faellen endet das mit dem Tod! Das passiert (auch dank religoeser Moralvorstellungen) bei 40% der abgebrochenen Schwangerschaften (20 millionen weltweit, bei denen 200000 Frauen sterben)!
Die Frage ist nun: warum machen das Frauen trotz des Risikos? Und warum machen das Frauen, obwohl fanatische ChristInnen vor Abtreibungskliniken lauern, sie beschimpfen, bespucken und angreifen (wie zumindestens in Wien)?
Wegen "Bock" oder "nicht Bock"? Wohl kaum!
Frauen treiben ab, weil sie sich meist einer Zwangssituation ausgesetzt sind, es ist nun mal so (auch wenn sich das gebessert hat!), das Frauen einfach die schlechteren Karten in unserer Gesellschaft haben (1/3 weniger Gehalt, schlechtere Berufsaussichten, kaum Fuerhrungspositionen, auch nicht in den aufgeklaerten Unis [5% professorinnen trotz ueber 50% studentinnen - bei der nawi schauts noch schlechter aus, ebenso bei der Forschung]) - ist so! ist eine Realitaet!
Frauen treiben nicht aus Spass ab, sondern das hat meist Gruende, die die Existenz der Frauen betrifft!

Und daher bin ich davon ueberzeugt, das es das alleinige Entscheidungsrecht der Frau ist! (was auch bedeutet das ich natuerlich Abtreibungen aus eugenischen Gruenden ablehne, oder wie in Indien, das 80% der weiblichen Foeten abgetrieben werden, weil das oft indische Familien meist so fordern - auch hier wird ja das Recht auf Selbstbestimmung verletzt).
Zuletzt geändert von a.stefan am So 9. Sep 2007, 20:48, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon Kurt » So 9. Sep 2007, 20:46

a.stefan hat geschrieben:1. "Etwas" ist erst dann "Leben", wenn es der Defintion von Leben entspricht und dazu gehoert auch die Autopoiese. Und Autopiese fordert eine Unabhaengigkeit von der Umwelt, die bei einem Foetus in der Umwelt "Frau" nicht gegeben ist.
Denn ansonsten waere ja jeder Zellhaufen, jeder Krebs schon Leben! (Duerfte der entfernt werden, wenn es nach den AbtreibungsgenerInnen geht?)


"Die" Definition von Leben? Welche meinst du?
"Deine" Definition, die die Unabhängigkeit von der Umwelt mit einschließt, hat ein paar gravierende Schwächen. Bist du denn unabhängig von der Umwelt? Was ist, wenn man dir die Luft zum Atmen wegnimmt? Oder deine Nahrungsmittel?


a.stefan hat geschrieben:2. Es ist das Entscheidungsrecht der Frau!(...)

Da stimme ich komplett zu.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon a.stefan » So 9. Sep 2007, 21:08

Kurt hat geschrieben:"Die" Definition von Leben? Welche meinst du?
"Deine" Definition, die die Unabhängigkeit von der Umwelt mit einschließt, hat ein paar gravierende Schwächen. Bist du denn unabhängig von der Umwelt? Was ist, wenn man dir die Luft zum Atmen wegnimmt? Oder deine Nahrungsmittel?


Die Definition von Leben mit Autopoiese. Mir ist schon klar, das es mehrere Definitionen gibt, nur meines Wissens gibt es keine "moderne" Definition die die Autopoiese nicht miteinschliesst.

Mit Unabhaengigkeit gegenueber der Umwelt, ist hier eher eine "erkennbare Grenzen" gegenueber einer Umwelt gemeint, und erkennbar sind die Grenzen deswegen, weil die Komponenten des Systems, die sich an dieser Grenze befinden, mit anderen Komponenten des Systems genauso interagieren, wie diese anderen Komponenten untereinander, waehrend die "Grenz"-Komponenten aber anders mit einer Umwelt interagieren.
Die Hautzellen gehoeren also zum System Mensch, weil sie genauso mit anderen Zellen interagieren, wie diese anderen Zellen untereinander interagieren - waehrend aber die Hautzellen mit der Umwelt anders interagieren. Somit stellen die Hautzellen die erkennbare Grenze zur Umwelt da.
Und genau diese Grenze ist zwischen Embryo und Mutter nicht erkennbar (zb gibt es die Verbindung des Blutkreislaufes) zumindestens nicht in den ersten Monaten, danach ist es teilweise noch Definitionssache.

(ich hoff ich habs nicht so komliziert ausgedrueckt wie der Maturana ... ;-) )
Zuletzt geändert von a.stefan am So 9. Sep 2007, 21:14, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon Max » So 9. Sep 2007, 21:09

Max hat geschrieben:[...] Das Kind hat kein Interesse weiterzuleben [...]

Das ist eben genau der Knackpunkt: das kannst du nicht wissen, und ich auch nicht... Wenn man annimmt "das Kind hat sowieso noch kein Bewusstsein, es hat also kein Interesse weiterzuleben", ist der Fall aus dieser Sicht klar. Das ist aber erst mal nur eine Annahme, niemand hat das Kind gefragt.
Anhand der Entwicklung der ZNS und besonders des Gehirns kann man das abschätzen. Ein Ungeborenes hat überhaupt keine Interessen - Woher denn auch?

Weiterhin ist die Frage, ob das unmittelbare Interesse des Kindes ausschlaggebend sein soll oder die effektiven Langzeitfolgen der Handlung.

Ja. Ein Kind in die Welt zu setzen, das ein glückliches Leben führen wird, ist eine gute Tat - genauso wie es eine schlechte Tat ist, willentlich ein Kind zu zeugen, obwohl man weiß, dass dieses ein schlechtes Leben haben wird (Behinderung, Umwelt). Aber kein Kind zu bekommen oder einen Fötus abzutreiben ist neutral.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon Kurt » So 9. Sep 2007, 21:18

Max hat geschrieben:Anhand der Entwicklung der ZNS und besonders des Gehirns kann man das abschätzen. Ein Ungeborenes hat überhaupt keine Interessen - Woher denn auch?


Seltsames Argument. Woher hat denn ein erwachsener Mensch seine Interessen? Ich würde sagen, das Leben (und die Interessen) entwickeln sich im Mutterleib stetig. Ein Ungeborenes hat also durchaus eigene Interessen. Relevant ist hier aber der Interessenskonflikt zwischen Mutter und Kind. Das Kind will leben und von den Ressourcen der Mutter zehren, diese hat aber möglicherweise selbst nicht genug Ressourcen für sich _und_ das Kind. In diesem Fall sollte man der Mutter die Entscheidung überlassen, das Kind zur Welt zu bringen oder zu töten. Ein Schaden entsteht durch eine Tötung auf jeden Fall. Aber je früher, desto weniger.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon Max » So 9. Sep 2007, 21:20

a.stefan hat geschrieben:1. "Etwas" ist erst dann "Leben", wenn es der Defintion von Leben entspricht und dazu gehoert auch die Autopoiese. Und Autopiese fordert eine Unabhaengigkeit von der Umwelt, die bei einem Foetus in der Umwelt "Frau" nicht gegeben ist.
Denn ansonsten waere ja jeder Zellhaufen, jeder Krebs schon Leben! (Duerfte der entfernt werden, wenn es nach den AbtreibungsgenerInnen geht?)
Wie soll irgendetwas unabhängig von seiner Umwelt sein? Alles agiert miteinander und steht in permanenter Wechselwirkung und Veränderung.

obwohl fanatische ChristInnen vor Abtreibungskliniken lauern, sie beschimpfen, bespucken und angreifen (wie zumindestens in Wien)?
So etwas geschieht in Wien? Wieso zeigt diese Dünnbrettbohrer keiner an?
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon a.stefan » So 9. Sep 2007, 21:30

Max hat geschrieben:Wie soll irgendetwas unabhängig von seiner Umwelt sein? Alles agiert miteinander und steht in permanenter Wechselwirkung und Veränderung.


Das hab ich eh schon naeher ausgefuehrt (siehe oben - Posting von 22:08), bei Autopoiese ist mit "Unabhaengigkeit" eher eine "erkennbare grenze" eines Systems gegenueber seiner Umwelt gemeint.

Max hat geschrieben:
obwohl fanatische ChristInnen vor Abtreibungskliniken lauern, sie beschimpfen, bespucken und angreifen (wie zumindestens in Wien)?
So etwas geschieht in Wien? Wieso zeigt diese Dünnbrettbohrer keiner an?


Naja, so leicht ist das nicht, zwar ist das bei tatsaechlichen koerperlichen Angriffen kein Problem, nur bei Beschimpfungen ist das ganze schon schwieriger (und der psychische Druck auf Frauen wird dadurch nicht kleiner, wenn es "nur" Beschimpfungen sind).
Jetzt hat die Stadt Wien zwar ein eigenes Gesetz beschlossen, so das der Polizei ein Wegweisungsrecht ermoeglicht, nur ist da 1. nicht andauernd einE PolizistIn vor Ort, 2. kommen die wieder und 3. wird das Wegweisungsrecht nicht immer von der Polizei vollzogen. Ein anderes Problem ist die Lage: Die stellen sich halt ein paar Meter weiter weg, wenn man zur klinik will muss man da durch.
Uebrigens hat die HLI (Human Life International - die fanatischen AbtreibungsgenerInnen) das Haus gekauft, wo die Abtreibungsklink drinnen ist und versucht seitdem die Aerztegemeinschaft rauszuekeln.

siehe auch: http://members.a1.net/inkeri/abtreibung/umzingelt.htm
mal ein kurzes Zitat von der Seite:
HLI-Aktivistinnen halten sich bei weitem nicht daran, dass ab 3 Personen eine Versammlung stattfindet, und eigentlich angemeldet werden müsste. Die Polizei hätte leichtes Spiel, bemüht sich aber überhaupt nicht, wenigstens die sichtbaren Praktiken dieser Leute zu kontrollieren.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon dvrvm » So 9. Sep 2007, 21:40

Max hat geschrieben:Ja. Ein Kind in die Welt zu setzen, das ein glückliches Leben führen wird, ist eine gute Tat - genauso wie es eine schlechte Tat ist, willentlich ein Kind zu zeugen, obwohl man weiß, dass dieses ein schlechtes Leben haben wird (Behinderung, Umwelt). Aber kein Kind zu bekommen oder einen Fötus abzutreiben ist neutral.


Nein. Wenn du die Wahl hast, ein Kind abzutreiben oder nicht, hast du die Option zwischen einem möglichen Leben mit allen Folgen des Menschen (das entweder positiv oder negativ sein kann) oder der "Neutralhaltung". So gesehen musst du die Option Abtreibung gegen das mögliche zu erwartende Leben abwägen, sie ist nicht a priori neutral. Du wählst nicht zwischen zwei neutralen Alternativen, sondern zwischen einer neutralen und einer "polaren". Eigentlich hat man als Konsequentialist gar nie eine Wahl. Man könnte sogar gegen den eigenen Willen abtreiben müssen.

Und @ a.stefan: Es ist mir klar, dass "die Frau darf wählen" für verallgemeinerte Zwecke eine halbwegs brauchbare Formel ist. Nur ist sie, so wie du sie formulierst, eben nicht konsequentialistisch begründet.
Ich selber denke, dass man eine grobe Approximation machen kann, die besagt, dass ein ungewollt gezeugtes Kind einmal brutal schlechtere Chancen hat als ein gewolltes. Wenn man diese Prämisse macht, und noch die Folgen der Mutter einbezieht, kann man zu einem halbwegs allgemeinen Schluss kommen, dass die Wahl der Mutter ein sinnvolles Mass darstellt. Nur kann ich es eben verstehen, wenn jemand eine andere Prämisse macht, das Leiden der Mutter gegen ein eventuelles positives Leben aufwiegt und so zu einem anderen Ergebnis kommt.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon a.stefan » So 9. Sep 2007, 22:01

Es geht hier nicht um irgendwas zukuenftiges, was das Kind einmal sein wird oder nicht, ueber ein "Leben und die Folgen", sondern darum, ob der Embryo im Moment der moeglichen Abtreibung irgendwelche Rechte besitzt! Was soll auch irgendwas zukuenftiges, das nicht vorhergesagt werden kann, Einfluss auf eine jetzt tatsaechlich stattfindende Situation haben?

Und da kommen wir zu dem Thema, was ein Zellhaufen, und mehr ist ein Embryo per Definition nicht, fuer Rechte haben soll? Genauso gut koennte man das auch auf eine Warze umlegen, die ja auch ein vom Menschen unterschiedlicher Zellhaufen ist (sind ja durch Viren veraenderte Hautzellen, die sich vom Menschen ernaehren). Genauso ist das bei Krebszellen der Fall.

Entscheidend ist nicht das "Was ist einmal" (das koennen wir ja gar nicht wissen und da sollten wir laut Wittgenstein einfach den Mund halten ;-) ), sondern das "Jetzt"!
Hat der Zellhaufen irgendwelche Rechte? Darum geht es!
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon dvrvm » So 9. Sep 2007, 23:23

a.stefan hat geschrieben:Es geht hier nicht um irgendwas zukuenftiges, was das Kind einmal sein wird oder nicht, ueber ein "Leben und die Folgen", sondern darum, ob der Embryo im Moment der moeglichen Abtreibung irgendwelche Rechte besitzt! Was soll auch irgendwas zukuenftiges, das nicht vorhergesagt werden kann, Einfluss auf eine jetzt tatsaechlich stattfindende Situation haben?

Und da kommen wir zu dem Thema, was ein Zellhaufen, und mehr ist ein Embryo per Definition nicht, fuer Rechte haben soll? Genauso gut koennte man das auch auf eine Warze umlegen, die ja auch ein vom Menschen unterschiedlicher Zellhaufen ist (sind ja durch Viren veraenderte Hautzellen, die sich vom Menschen ernaehren). Genauso ist das bei Krebszellen der Fall.

Entscheidend ist nicht das "Was ist einmal" (das koennen wir ja gar nicht wissen und da sollten wir laut Wittgenstein einfach den Mund halten ;-) ), sondern das "Jetzt"!
Hat der Zellhaufen irgendwelche Rechte? Darum geht es!


Jein.
Du schreibst "Es geht hier..." Das ist nur deine Betrachtungsweise. Warum soll "es" um die Folgen im Jetzt und nicht in der Zukunft gehen? Wie kommst du überhaupt darauf, der unmittelbaren Zukunft einen grösseren Bedeutungswert als der fernen zu geben? Wenn man eine Folgenethik vertritt, betrachtet man die Folgen. Eine "Rechte"-Ethik rechtfertigt sich natürlich grundsätzlich anders. Man muss die Rechte aber dann auf irgendetwas fundieren können...
In gewissen Grenzen kann man durchaus etwas über die Zukunft sagen. Jede Folgenethik wäre völlig sinnlos, wenn wir keine Ahnung über die Folgen unserer Handlung haben könnten. Es ist die Aufgabe des Utilitaristen, abzuschätzen, welche Folgen seine Aktionen haben können, und meiner Meinung nach, dabei soweit wie möglich zu denken.
Deine Sichtweise ist sicher vertretbar, aber vor allem aus pragmatischer und weniger aus eigentlicher ethischer Sicht. Andere als praktische Gründe fallen mir nicht ein, um mich nur auf das Jetzt zu beziehen. Mir geht es hier nur darum, aufzuzeigen, dass man auch ohne "Menschenwürde" und sakralem Gefasel zu Positionen kontra Abtreibung kommen kann, die philosophisch vertretbar sind. Natürlich aber auch zu Positionen pro Abtreibung.

Übrigens ist das schon ein wenig ein haarstäubender Einsatz von Wittgenstein.. Der Spruch besagt etwas völlig anderes.
"Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Das ist eine sprachphilosophische Betrachtung von ontologischen Problemen. Hat nichts mit Wissen oder Unwissen zu tun. (Ist hier OT, aber ich erkläre dir gerne, was ich unter diesem Satz verstehe, falls es dich interessiert :wink:)
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon a.stefan » Mo 10. Sep 2007, 17:06

Ich gebe weder der ummittelbaren noch der fernen zukunft irgendeine Bedeutung, das ist doch hier in diesem Fall nicht die Frage!

Es geht darum, ob der Zellhaufen jetzt irgendwelche Rechte hast! Es geht darum, ob er jetzt "leidensfaehig" ist (egal was wir darunter nun genau verstehen), es geht darum, ob er schon soetwas ist "wie ein Mensch" - und das ist bei einen Haeufchen Zellen eben ausgeschlossen!
Denn dann koennte ich genauso alles Maenner bestrafen, wenn sie Selbstbefriedigung betreiben! Denn daraus koennte ja auch einmal ein Mensch entstehen - diese Lokig ist also absurd.

@Zukunft (abseits von dieser Diskussion [Bedeutet: fuer eine Folgeethik, die aber im Fall der Abtreibung nicht zutrifft]): Ich koennte insofern einer nahen Zukunft mehr Bedeutung zumessen, in dem ich bestimme Vorhersagen ueber eine nahe Zukunft erstellen kann, das funktioniert bei einer fernen Zukunft nicht!
Denn selbst wenn ich alle Naturgesetze kenne und damit alle Ereignisse determiniert sind, bedeutet das ja noch lange nicht, das ich die Ereignisse berechnen kan (dynamische Systeme, Dreikoerper-Problem, etc) - aufgrunddessen werden alle Aussagen ueber eine Zukunft, die hinreichend weit entfernt liegt, unsinnig!

@Wittgenstein: deswegen hab ich ja auch meine eigene Version von Wittgenstein gebracht ... ;-)
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon dvrvm » Di 11. Sep 2007, 00:11

a.stefan hat geschrieben:Ich gebe weder der ummittelbaren noch der fernen zukunft irgendeine Bedeutung, das ist doch hier in diesem Fall nicht die Frage!

Es geht darum, ob der Zellhaufen jetzt irgendwelche Rechte hast! Es geht darum, ob er jetzt "leidensfaehig" ist (egal was wir darunter nun genau verstehen), es geht darum, ob er schon soetwas ist "wie ein Mensch" - und das ist bei einen Haeufchen Zellen eben ausgeschlossen!

Du stellst das als indiskutabel hin, aber wie begründest du diese Haltung? Es geht überhaupt nicht um irgendwelche Rechte, meiner Meinung nach. Die Leidensfähigkeit des Embryo ist ein wichtiger Faktor in der Abwägung, man macht auf jeden Fall einen kleineren Schaden, wenn man den Embryo umbringt, solange er noch nicht leidet.
Ich sage niemandem, dass Utilitarismus die einzige denkbare Ethik ist, aber man MUSS nicht unbedingt von Rechten ausgehen, die wacklig begründet sind.
<edit>: Übrigens besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen den Fragen, ob der Embryo "leidensfähig" oder ob er "menschenartig" ist. Für den zweiten Fall nimmt man wieder die nur religiös oder andersweitig dogmatisch begründbare "Menschenwürde" zur Hilfe, im Sinne von Kants "Zweck an sich", was meiner Meinung nach nicht haltbar ist. Die Leidensfähigkeit hingegen ist eine v.a. folgenethisch relevante Eigenschaft, die auch in eine vollständige folgenethische Abwägung einzubeziehen ist und nicht a priori für sich alleine ausschlaggebend.</edit>

Denn dann koennte ich genauso alles Maenner bestrafen, wenn sie Selbstbefriedigung betreiben! Denn daraus koennte ja auch einmal ein Mensch entstehen - diese Lokig ist also absurd.

Das ist eine falsche Folgerung beziehungsweise eine Fehlinterpretation. Es geht nicht darum, dass jeder jede Menge Kinder produzieren soll, "weil Leben lebenswert ist". Es kann aber, konsequentialistisch gesehen, für eine Person, je nach Situation moralisch geboten sein, ein, zwei oder drei Kinder zu bekommen, in speziellen Fällen wohl auch mehr, oder auch gar keines (wenn das Kind ein "schlechtes Leben" hätte, oder die Welt negativ beeinflussen würde. Zur Welt gehört immer auch der Handelnde selber, aber nicht nur.) Nicht "jedes Leben was entstehen könnte, muss entstehen", aber es kann sein, dass eine Person der Welt einen Dienst erweist, indem er ein Kind auf die Welt setzt, und dann ist das, wenn man konsequent konsequentialistisch sein will, geboten. Oft wird aber die Entscheidung "Kind oder nicht" ca. neutral ausfallen. Dann kann man mit der einfachen Abstraktion "Leidensfähigkeit des Fötus vs. Leiden der Mutter" argumentieren.

@Zukunft (abseits von dieser Diskussion [Bedeutet: fuer eine Folgeethik, die aber im Fall der Abtreibung nicht zutrifft]): Ich koennte insofern einer nahen Zukunft mehr Bedeutung zumessen, in dem ich bestimme Vorhersagen ueber eine nahe Zukunft erstellen kann, das funktioniert bei einer fernen Zukunft nicht!
Denn selbst wenn ich alle Naturgesetze kenne und damit alle Ereignisse determiniert sind, bedeutet das ja noch lange nicht, das ich die Ereignisse berechnen kan (dynamische Systeme, Dreikoerper-Problem, etc) - aufgrunddessen werden alle Aussagen ueber eine Zukunft, die hinreichend weit entfernt liegt, unsinnig!)

Erstmal ist es für mich völlig unverständlich, warum die Folgenethik überall anwendbar sein soll AUSSER bei der Abtreibung?
Deine weitere Argumentation spricht wieder einen anderen Punkt an: Du bevorzugst eine Ethik, die auf relativ einfache Weise praktisch anwendbar ist, weil man keine sehr komplizierten Abschätzungen machen muss, die man sowieso nicht hinreichend genau beantworten kann. Dafür hat diese Variante die Schwäche, dass sie im Vornherein darauf verzichtet, eventuelle bessere Lösungen in Betracht zu ziehen. Ich bevorzuge eine idealistische Ethik, im Wissen, dass ich sie nie vollständig und genau umsetzen kann, aber ebenfalls im Wissen, dass ich mir die Angelegenheit nicht unnötig bzw. unzulässig leicht mache und nur naiv auf die unmittelbare Zukunft schaue. Siehe mein Umwelt-Beispiel weiter oben für eine Begründung der Position. Allerdings macht man in den meisten Fällen wohl keinen grossen Fehler mit der Nahe-Zukunft-Annahme.
(Zur theoretischen Berechenbarkeit der Zukunft siehe aber Laplace-Dämon-Problem. Wenn die Quantenphysik indeterministisch interpretiert wird, sind die Vorgaben andere, aber in einer deterministischen Interpretation wäre bei Kenntnis aller Variablen die Berechnung möglich. Wiederum geht es hier nur um theoretische Aussagen, Aussagen über "Dauer der Berechnung" etc. sind hier out of context. Das Dreikörperproblem oder dynamische Systeme sind aber nicht die limitierenden Faktoren.)
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon a.stefan » Di 11. Sep 2007, 00:55

dvrvm hat geschrieben:Du stellst das als indiskutabel hin


Nicht indiskutable - sondern unsinnig! ;-)

Ich kann nichts ueber irgendeine hinreichend weitentfernte Zukunft aussagen, wie kann ich also etwas, worueber ich nichts aussagen kann, als Entscheidungshilfe hernehmen?

dvrvm hat geschrieben:Übrigens besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen den Fragen, ob der Embryo "leidensfähig" oder ob er "menschenartig" ist.


Ich hab ja auch nicht geschrieben "menschenartig" sondern "ob er so ist wie ein Mensch"!
Und damit mein ich die Faehigkeiten, die ein geborener Mensch besitzt, die einen geborenen menschen ausmacht, also auch Leidensfaehigkeit - und eben das besteht bei einen Zellhaeufchen nicht!

dvrvm hat geschrieben:Das ist eine falsche Folgerung beziehungsweise eine Fehlinterpretation. Es geht nicht darum, dass jeder jede Menge Kinder produzieren soll, "weil Leben lebenswert ist". Es kann aber, konsequentialistisch gesehen, für eine Person, je nach Situation moralisch geboten sein, ein, zwei oder drei Kinder zu bekommen, in speziellen Fällen wohl auch mehr, oder auch gar keines (wenn das Kind ein "schlechtes Leben" hätte, oder die Welt negativ beeinflussen würde. Zur Welt gehört immer auch der Handelnde selber, aber nicht nur.) Nicht "jedes Leben was entstehen könnte, muss entstehen", aber es kann sein, dass eine Person der Welt einen Dienst erweist, indem er ein Kind auf die Welt setzt, und dann ist das, wenn man konsequent konsequentialistisch sein will, geboten. Oft wird aber die Entscheidung "Kind oder nicht" ca. neutral ausfallen. Dann kann man mit der einfachen Abstraktion "Leidensfähigkeit des Fötus vs. Leiden der Mutter" argumentieren.


Weil etwas fuer die Welt gut ist, ist es geboten?

Nein, eindeutig nein!

1. wer bestimmt was gut (der Welt einen Dienst erweisen) oder schlecht (Der Welt keinen Dienst erweisen) ist?
Alle Voelker dieser Erde haben zu unterschiedlichsten Zeiten alle moeglichen Moralvorstellungen gehabt, was "ein Dienst an der Welt" ist.
2. wuerde ich gerne die objektivierungs-kritierien sehen, die bestimmen was "ein Dienst an der Welt ist"!
3. Koennte ich genauso behaupten, das es gewisse Zeiten benoetigen, das Kinder auf die Welt kommen (also das Kindermachen ein Dienst fuer die Welt ist) und daraus kann ich schlussfolgern das das Selbstbefriedigung, wo das Sperma nicht zum kindermachen verwendet wird, ab diesen Zeitpunkt verboten ist, da soviel Sperma wie moeglich fuers kindermachen zur Verfuegung stehen muss.
4, lehne ich es grundsaetzlich ab, Menschen eine Moral aufzusetzen, die einerseits unter Umstaenden gegen ihren Willen ist (zum Wohle einer Welt) - und genau nichts anderes ist gemeint, wenn ich meine "das fuer das Wohl einer Welt" etwas "geboten" ist.
Es ist nicht an einem Wohl der Welt zu streben (denn wie gesagt: wer bestimmt das?), sondern nach den groesstmoeglichen Wohl der Menschen, und das bedeutet kein Individualismus ins Extreme verzehrt, sondern genau das Gegenteil, in dem ich als Individuum erkenne, das auch andere Beduerfnisse habe (der Mensch als soziale Wesen), werd ich moeglichst darauf schauen, das es auch ihnen wohl ergeht - das bedeutet in Wirklichkeit ein gemeinschaftliches Bestreben nach Wohlergehen, wobei keine Interessen einiger Weniger zaehlen, sondern eben die Interessen aller. (du siehst auch ich bin ein idealistischer Ethiker ;-) )


dvrvm hat geschrieben:
@Zukunft (abseits von dieser Diskussion [Bedeutet: fuer eine Folgeethik, die aber im Fall der Abtreibung nicht zutrifft]): Ich koennte insofern einer nahen Zukunft mehr Bedeutung zumessen, in dem ich bestimme Vorhersagen ueber eine nahe Zukunft erstellen kann, das funktioniert bei einer fernen Zukunft nicht!
Denn selbst wenn ich alle Naturgesetze kenne und damit alle Ereignisse determiniert sind, bedeutet das ja noch lange nicht, das ich die Ereignisse berechnen kan (dynamische Systeme, Dreikoerper-Problem, etc) - aufgrunddessen werden alle Aussagen ueber eine Zukunft, die hinreichend weit entfernt liegt, unsinnig!)


Erstmal ist es für mich völlig unverständlich, warum die Folgenethik überall anwendbar sein soll AUSSER bei der Abtreibung?


Das habe ich auch nicht behauptet!

Nur indem ich keine Aussage ueber eine hinreichend weitentfernte Zukunft machen kann, gilt das somit nicht fuer eine Abtreibung.
Und das gilt natuerlich auch fuer entsprechend gleiche Ereignisse!

dvrvm hat geschrieben:Deine weitere Argumentation spricht wieder einen anderen Punkt an: Du bevorzugst eine Ethik, die auf relativ einfache Weise praktisch anwendbar ist, weil man keine sehr komplizierten Abschätzungen machen muss, die man sowieso nicht hinreichend genau beantworten kann. Dafür hat diese Variante die Schwäche, dass sie im Vornherein darauf verzichtet, eventuelle bessere Lösungen in Betracht zu ziehen.


Es kann keine bessere Loesung dabei rauskommen, wenn ich keine Aussage ueber hinreichend komplexe systeme machen kann!
Es ist daher muessig und rein akademisch ohne jeglichen praktischen Einfluss, wenn ich darueber nachdenke, worueber ich keine Aussagen treffen kann.

Und die Umwelt, mit allen sozialen Einfluessen, das Gehirn das mit der Umwelt in Kontakt ist, die menschlichen Beziehungen sind chaotische, dynamische Prozesse, die unter Umstaenden einer deterministischen Gesetzgebung unterliegen, die aber niemals berechenbar sein werden!
Im nachhinein, ja, da kann ich darueber nachdenken, ob es bessere Loesungen gibt! Vorher nicht!

Was aber nicht bedeutet, das ich nicht mehr ueber die Zukunft nachdenken kann! Aber eben nur so wie ich sie haben will!
Ich kann maximal Abschaetzungen abgeben, wie die Welt einmal sein wird, das die aber sogut wie kaum zutreffen, beweisen uns die ZukunftsforscherInnen jedesmal aufs neue ... ;-)

dvrvm hat geschrieben:Ich bevorzuge eine idealistische Ethik, im Wissen, dass ich sie nie vollständig und genau umsetzen kann, aber ebenfalls im Wissen, dass ich mir die Angelegenheit nicht unnötig bzw. unzulässig leicht mache und nur naiv auf die unmittelbare Zukunft schaue. Siehe mein Umwelt-Beispiel weiter oben für eine Begründung der Position. Allerdings macht man in den meisten Fällen wohl keinen grossen Fehler mit der Nahe-Zukunft-Annahme.


Eine idealistische Ethik bevorzuge ich, nur worueber ich keine Aussage machen kann, darueber soll ich auch keine Aussage treffen!

Was ich aber machen kann: ich kann hier und jetzt eine idealistische Ethik entwerfen und alles moegliche tun darauf hinzuarbeiten.
Nur sag ich damit nichts ueber eine Zukunft aus, sondern ich will nur jetzt das es so sein wird! Wobei du, bei der Abtreibung eine Zukunft miteinbeziehst und da gleichzeitig eine Aussage ueber die Zukunft machst.

dvrvm hat geschrieben:(Zur theoretischen Berechenbarkeit der Zukunft siehe aber Laplace-Dämon-Problem. Wenn die Quantenphysik indeterministisch interpretiert wird, sind die Vorgaben andere, aber in einer deterministischen Interpretation wäre bei Kenntnis aller Variablen die Berechnung möglich. Wiederum geht es hier nur um theoretische Aussagen, Aussagen über "Dauer der Berechnung" etc. sind hier out of context. Das Dreikörperproblem oder dynamische Systeme sind aber nicht die limitierenden Faktoren.)


Nein!

Auch ein deterministisches System bedeutet _nicht_, das etwas berechenbar ist!

Zb Klima: ich kann das Klima nicht berechnen, ich kann Vorhersagen treffen, ich kann ungefaehr sagen, wie sich ein System mit bestimmten Parametern verhaelt.
Ich kann aber ein dynamisches System wie das Klima nicht gaenzlich berechnen, auch mit aller Zeit dieses Universums nicht und auch nicht mit aller Rechenkraft.

Ich kann zwar nachher sagen "Ah! Okay der Regen in New York am 1.1.2005 um 5 Uhr, laesst sich zurueckverfogend genau determinieren", aber ich kann nicht zb am 1.1.2004 vorrausberechnen, wie das Wetter am 1.1.2005 um 5 Uhr in New York sein wird. Das ist nicht moeglich! Auch nicht mit den besten Computern dieser Welt! (bestimmte) Dynamische Systeme verhalten sich hochgradisch chaotisch und selbe Einfluesse koennen unterschiedliche Auswirkungen haben. Die ich zwar im nachhinein streng deterministsich erklaeren kann, aber eben nicht fuer eine
1. beliebig weitenfernte Zukunft, und
2. fuer ein beliebig komplexes System.
(verzeihung fuer meine Sprachwahl ich bin Mathematiker ;-) )

Determinismus eines Systems darf nicht mit der Berechenbarkeit eines Systems verwechselt werden! Das faengt bei der guten alten Turingmaschine schon an (und die Turingmaschine ist alles andere als chaotisch, sondern streng deterministisch!).
Ich will nicht behaupten, das die physikalische Welt dem Unvollstaendigkeitssatz Goedels unterliegt, da das ein strengformales System vorrausetzt. Und die Physik ist nicht in dem Sinne der Mathematik strengformal, da ich durch neue Erkenntnise, das formale Alphabet eines System staendig erweitere. Und ob das so ist, ist die zu stellende Frage.

Aber wenn das Universum tatsaechlich einen formalen System entspricht, und die Naturgesetze einen formalen Alphabet und ich bestimmte Saetze aus diesen formalen Alphabet durch vorgegebene Regeln bilden kann (also Phaenomene aus den Naturgesetzen erklaeren kann), dann - und damit muessen sich auch DeterminsitInnen (wie zb auch ich einer bin) abfinden - wird es immer Phaenomene geben, die wir nicht berechnen koennen, ueber die keine Aussage getroffen werden kann.

edit: Man kann sogar folgendes aussagen:
Das ein geschlossenes deterministsiches System, wie zb ein strengformales System, weniger Moeglichkeit zulaesst es zu berechnen, als ein offenes chaotisches System, dessen deterministischen Gesetzen ich nicht kenne!

Warum?
Der Unvollstaendigkeitssatz, das Halte-Problem gilt fuer formale Systeme und formale Systeme sind geschlossene Systeme (haben ein endliches formale Alphabet), somit gibt es in einen geschlossenes deterministsiches System, wie zb ein strengformales System, Saetze ueber die ich keine Aussage treffen kann, ob sie wahr oder unwahr sind, sie sind unentscheidbar.

Dagegen ein offenes chaotisches System, dessen deterministischen Gesetzen ich nicht kenne, nehmen wir als Bsp. das Wetter kann ich unter Umstaenden Aussagen treffen, die die darueber hinausgehen, als wenn ich das Wetter als formales System behandle, dessen deterministischen Gesetze ich kenne.
Einfach aus den grund weil ich fuer die Erklaerung des Wetters, andere Gesetze hernehmen kann, die im geschlossenen (formalen) System Wetter nicht enthalten sind, zb Sonneneinstrahlung, etc.

Das bedeutet
1. nicht, das das tatsaechlich funktioniert, das war nur ein theoretisches Beispiel; und
2. kann ich damit logischerweise nicht den unvollstaendigkeitssatz umgeehen, da ich ja die "unentscheidbarkeit" an das System Sonne-Erde weiterreiche.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon dvrvm » Di 11. Sep 2007, 10:45

Weil etwas fuer die Welt gut ist, ist es geboten?

Nein, eindeutig nein!

Was soll dann geboten sein, wenn nicht das? Die ganze Folgenethik baut einzig und allein darauf auf, dass etwas moralisch richtig ist, wenn es positive Effekte hat, und moralisch falsch, wenn es schlechte Effekte hat.

1. wer bestimmt was gut (der Welt einen Dienst erweisen) oder schlecht (Der Welt keinen Dienst erweisen) ist?
Alle Voelker dieser Erde haben zu unterschiedlichsten Zeiten alle moeglichen Moralvorstellungen gehabt, was "ein Dienst an der Welt" ist.

2. wuerde ich gerne die objektivierungs-kritierien sehen, die bestimmen was "ein Dienst an der Welt ist"!

Nochmals: Es geht NICHT um Kochbuchrezepte "Was soll ich tun?", sondern um die Prinzipien, nach denen man eine Tat als positiv oder als negativ einschätzen soll. Und ich habe in diesem Thread schon mehrmals gesagt, dass genau aus dem Grund, dass nicht jeder dieselben Effekte gleich gewichtet, verschiedene Leute zu verschiedenen Aussagen kommen können (pro/anti Abtreibung), obwohl sie nach dem gleichen Prinzip denken. Ich finde das auch nicht weiter problematisch, und dasselbe Problem besteht bei deiner Interpretation auch.

3. Koennte ich genauso behaupten, das es gewisse Zeiten benoetigen, das Kinder auf die Welt kommen (also das Kindermachen ein Dienst fuer die Welt ist) und daraus kann ich schlussfolgern das das Selbstbefriedigung, wo das Sperma nicht zum kindermachen verwendet wird, ab diesen Zeitpunkt verboten ist, da soviel Sperma wie moeglich fuers kindermachen zur Verfuegung stehen muss.

Also erstens mal hat jeder bei weitem mehr Sperma, als er je Kinder erzeugen könnte, da Anzahl Frauen grob gesagt gleich Anzahl Männer und jede Frau allermaximalstens alle 9 Monate ein Kind haben kann...
Zweitens musst du die Folgen für alle Beteiligten betrachten. Eine Mutter (oder ein Vater, for that matter) kann nicht endlos viele Kinder pflegen. Ein Kind verbraucht Nahrung, die einerseits gekauft werden muss und andererseits bei unserer Überbevölkerung knapp ist, d.h. jedes Kind isst einem anderen Kind die Nahrung weg. Zusätzlich ist die Einstellung der Mutter, des Vaters und des Kindes immer noch ein wesentlicher und "zahlenmässig" zu einem guten Teil bedeutender Faktor. Also müsste das fünfte Kind doch ein sehr besonders wichtiges sein, damit es noch für die "Welt" ein Nutzen ist. Man darf ja nicht davon ausgehen, dass der Rest der Menschheit ebenfalls utilitaristisch handelt und darum auf die "sinnvolleren" Kinder Rücksicht nimmt etc.
Aber es lässt sich durchaus eine Situation konstruieren, wo es geboten wäre, sehr viele Kinder zu haben... Sagen wir mal, ein Meteorit schlägt auf der Erde ein, der 40% aller Frauen und 98% aller Männer zerstört, aber in seinem Inneren Roboter hat, die ständig aus Nichts alles erschaffen, was man sich wünscht, und alle Probleme beseitigen können, und die ganze Erdenbevölkerung für alle Ewigkeit in Freude leben lassen würden, aber nur, falls genügend Kinder erschaffen würden, andernfalls würden sie ihre Arbeit einstellen und explodieren. Unter diesen Umständen könnte es eventuell geboten sein, viele Kinder "herzustellen". Natürlich auch nur in Grenzen, da das Leiden der Frauen auch noch mit auszuwerten ist. (Ausser die Roboter können das auch lindern... aber du siehst, worauf ich hinaus will.) Aber auch hier halte ich es für sehr fragwürdig, die "Spermagrenze" vor anderen körperlichen Grenzen zu erreichen.

4, lehne ich es grundsaetzlich ab, Menschen eine Moral aufzusetzen, die einerseits unter Umstaenden gegen ihren Willen ist (zum Wohle einer Welt) - und genau nichts anderes ist gemeint, wenn ich meine "das fuer das Wohl einer Welt" etwas "geboten" ist.

Das ist eine Ansichtssache. Ich hingegen bin der Ansicht, dass man eine Ethik nicht darum verwerfen darf, weil sie unbequeme Ergebnisse liefert. Es ist Sinn und Zweck einer Ethik, unbequeme Ergebnisse zu liefern, denn wenn wir alles schon richtig machen würden, bedürfte es keiner Ethik.

Es ist nicht an einem Wohl der Welt zu streben (denn wie gesagt: wer bestimmt das?), sondern nach den groesstmoeglichen Wohl der Menschen, und das bedeutet kein Individualismus ins Extreme verzehrt, sondern genau das Gegenteil, in dem ich als Individuum erkenne, das auch andere Beduerfnisse habe (der Mensch als soziale Wesen), werd ich moeglichst darauf schauen, das es auch ihnen wohl ergeht - das bedeutet in Wirklichkeit ein gemeinschaftliches Bestreben nach Wohlergehen, wobei keine Interessen einiger Weniger zaehlen, sondern eben die Interessen aller. (du siehst auch ich bin ein idealistischer Ethiker ;-) )

Was sind denn die "Objektivierungs-Kriterien" für "das grösstmögliche Wohl der Menschen"? Versteht nicht auch jeder etwas Anderes darunter? Mit "Welt" meine ich hauptsächlich, dass ich mich nicht rein und nur auf die Menschen beschränke, die jetzt leben, sondern auch auf die Menschen in der Zukunft, die Tiere, etc. Die Interessen "aller" Menschen zu berücksichtigen, auch nur der heutigen Personen, würde meiner Meinung nach beinhalten, dass du dein gesamtes Kapital dazu verwendest, Essen für afrikanische Kinder zu kaufen. Du kannst mit deinem Geld etwa 30 Kinder ernähren, und hättest selber noch genug zu essen, damit du überlebst. Du könntest so viel Leid mindern, wenn du nur wolltest. Geht das nicht auch gegen deinen Willen? Oder zählt das Wohlergehen der afrikanischen Kinder weniger als deines? Haben sie keine Bedürfnisse? Warum sollst du ausgerechnet diese Bedürfnisse, die ja vergleichsweise einfach zu erfüllen wären, nicht einbeziehen?
(Im Gegensatz dazu könnte man aus meiner Sicht einwenden, es sei sinnvoller, wenn ich selber genug esse, als Wissenschaftler arbeite und an Massnahmen gegen die Überbevölkerung oder an kostenlosem Gentechweizen forsche, weil ein möglicher Durchbruch in diesen Gebieten im Endeffekt eine grössere leidensvermindernde Wirkung haben wird... hier ist also meine Variante sogar, je nach Gewichtung der Wahrscheinlichkeiten, intuitiver als deine.)
Das ist die "idealistische" Variante. Meine "ideale" Variante ist ebenso nicht praktisch durchführbar, weil wir Menschen einfach nicht fähig sind, gegen unseren Willen zu handeln, aber sie ist eine mögliche ideale Richtlinie, wie auch deine Variante letztlich nur eine ideale Richtlinie ist.

Es kann keine bessere Loesung dabei rauskommen, wenn ich keine Aussage ueber hinreichend komplexe systeme machen kann!

OK, nochmals das Umweltbeispiel:
* Momentan haben wir noch genug Öl, eine halbwegs passable Luft, und noch einen guten Teil des Urwalds.
* Wenn ich also noch 100 Bäume mehr abholze, mache ich einen verschwindend kleinen Teil der Umwelt kaputt. Ebenfalls stört es afrikanische leidende Kinder nicht im Geringsten, ob ich noch etwas Öl verbrauche für mein Auto: sie haben so oder so nichts zu essen. Ich sowie die meisten anderen auch können noch problemlos atmen und haben noch keine praktische Folgen der Umweltverschmutzung mitzuerleben.
* Also lasst uns doch noch eine Runde um den Häuserblock fahren mit unseren SUVs! Es macht mir Freude, und die Leute im Block haben nicht wegen uns bedeutend mehr Verkehrslärm, sie bemerken den Unterschied wahrscheinlich nicht einmal.
* Zukunft? Über sie lässt sich sowieso keine brauchbare Aussage machen. Wir leben im Jetzt, also müssen wir auch nur auf die Folgen im Jetzt Rücksicht nehmen. Morgen und übermorgen, ja sogar in ein Jahr, haben wir noch gleich viel Benzin zur Verfügung wie jetzt.
* Urwald haben wir auch noch genug. Also holz mir noch einen Baum ab (schliesslich haben so die armen Leute dort Arbeit und verdienen etwas) und mach mir einen Mahagonitisch. In der Zukunft müssen die Leute dann schauen, dass er nicht ganz kaputtgeht, denn das hätte für die Umwelt, und ergo für uns, schreckliche Folgen. Aber wir können ja nicht wirklich etwas über eine so ferne Zukunft aussagen, also lassen wir das doch am besten ganz.
* Ich lasse auch meine 1000-Watt-Lampe nachts leuchten. Ich fühle mich wohler so. Schliesslich haben wir genug Strom. Ein neues AKW braucht es frühestens in 15 Jahren, und bis dann könnte ja ein Meteorit schon die gesamte Menschheit ausgelöscht haben? Idem mit dem ganzen Atommüll. Wo ist da der Nutzen für die Menschheit, wenn ich meine Lampe ausschalte?
* Noch besser: lasst uns statt Uran fossile Brennstoffe verbrennen, die produzieren keinen Atommüll. Klimaerwärmung? Das ist Zukunft. Ob jetzt wegen der Erderwärmung Holland in 100 Jahren unter Wasser steht, und die Menschen dort alle ein neues Zuhause suchen müssen oder überschwemmt werden, können wir sowieso nicht sagen.

Das ist natürlich alles auf die Spitze getrieben, aber zeigt vielleicht, warum ich mit der Hier-und-Jetzt-Denkweise meine Probleme habe. Ich finde es ethisch falsch, die Maximierung des Wohlergehens in der Gegenwart auf Kosten des Wohlergehens in der Zukunft zu erstreben, und naiv, zu behaupten, wir könnten in keiner Art und Weise etwas Relevantes über die Zukunft sagen. Es ist auch nicht im Geringsten erforderlich, dass sich die Zukunft genau bestimmen lässt. Es geht primär um den Gedankengang, um die Auswirkung meiner Aktionen auf die Zukunft, sofern sie abschätzbar sind. Und es ist inkonsequent, solche Gedanken zwar im Bereich Umwelt zu machen, aber in allen anderen Bereichen nicht.

Nein!

Auch ein deterministisches System bedeutet _nicht_, das etwas berechenbar ist!

Zb Klima: ich kann das Klima nicht berechnen, ich kann Vorhersagen treffen, ich kann ungefaehr sagen, wie sich ein System mit bestimmten Parametern verhaelt.
Ich kann aber ein dynamisches System wie das Klima nicht gaenzlich berechnen, auch mit aller Zeit dieses Universums nicht und auch nicht mit aller Rechenkraft.

Schau man in Wikipedia (oder sonstwo) nach "Laplacescher Dämon". Es geht nicht um die Kenntnis von Makrozuständen (Klima), sondern von jeder existierenden Variable: der Spin von jedem Quantenteilchen, oder sonst etwas, was darunter noch existiert. Es geht nicht darum, ob wir die Zukunft berechnen können (das können wir ganz offensichtlich nicht, und werden es nie können), sondern ob ein hypothetisches Wesen, welches alle Naturgesetze und alle Variablen kennt, und eine unbegrenzte Rechenkapazität hat, und nicht auf die uns bereits bekannte Mathematik beschränkt ist (ein Laplacescher Dämon) das berechnen kann. Dazu müsste der Dämon auch ausserhalb des Universums selbst sein, da er ansonsten den Regeln von Raum und Zeit untersteht, und sich das Universum, während er es berechnet, schon wieder verändert hätte. Die Einwände, die ich gegen den Dämon kenne, sind auf jeden Fall nicht grundlegend-mathematischer Art, sondern physikalischer Art (Quantentheorie => Indeterminismus...)

So, jetzt bin ich dann für den Rest der Woche in den Ferien, also erwarte erst mal keine weitere Antwort von mir in den nächsten Tagen... :mg:
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon Max » Di 11. Sep 2007, 11:41

dvrvm hat geschrieben:
Max hat geschrieben:Ja. Ein Kind in die Welt zu setzen, das ein glückliches Leben führen wird, ist eine gute Tat - genauso wie es eine schlechte Tat ist, willentlich ein Kind zu zeugen, obwohl man weiß, dass dieses ein schlechtes Leben haben wird (Behinderung, Umwelt). Aber kein Kind zu bekommen oder einen Fötus abzutreiben ist neutral.


Nein. Wenn du die Wahl hast, ein Kind abzutreiben oder nicht, hast du die Option zwischen einem möglichen Leben mit allen Folgen des Menschen (das entweder positiv oder negativ sein kann) oder der "Neutralhaltung". So gesehen musst du die Option Abtreibung gegen das mögliche zu erwartende Leben abwägen, sie ist nicht a priori neutral. Du wählst nicht zwischen zwei neutralen Alternativen, sondern zwischen einer neutralen und einer "polaren". Eigentlich hat man als Konsequentialist gar nie eine Wahl. Man könnte sogar gegen den eigenen Willen abtreiben müssen.

Hm, ich musste lange überlegen, bis ich eine feste Meinung zu dieser Aussage hatte. Anfangs war ich äußerst vewirrt: Auf einer intellektuellen Ebene leuchtete es mir ein und ich hielt es für wahr, auf einer intuitiven Ebene fand ich es jedoch äußerst spleenig.

Soll es ethisch falsch sein, wenn jemand nicht so viele glückliche Kinder wie möglich in die Welt setzt? Ist es schlimm, wenn man nicht die jeweils an den Konsequenzen gemessen beste Handlung vollfüllt? Ist dies überhaupt möglich? Woher soll man bitte wissen, was welche Handlung die besten Konsequenzen hat? Wie soll dieser radikal-konsequentialistische Ansatz bitte zu juridischen oder ethischen Normen führen? Ich denke, dein Einwand hält diesen Fragen nicht stand.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon a.stefan » Mi 12. Sep 2007, 13:40

dvrvm hat geschrieben:
4, lehne ich es grundsaetzlich ab, Menschen eine Moral aufzusetzen, die einerseits unter Umstaenden gegen ihren Willen ist (zum Wohle einer Welt) - und genau nichts anderes ist gemeint, wenn ich meine "das fuer das Wohl einer Welt" etwas "geboten" ist.


Das ist eine Ansichtssache. Ich hingegen bin der Ansicht, dass man eine Ethik nicht darum verwerfen darf, weil sie unbequeme Ergebnisse liefert. Es ist Sinn und Zweck einer Ethik, unbequeme Ergebnisse zu liefern, denn wenn wir alles schon richtig machen würden, bedürfte es keiner Ethik.


Nein, das ist Sinn deiner Vorstellungen einer Ethik!

Wenn ich wem etwas aufzwingen will "zum Wohle einer Gemeinschaft", ist das keine Ethik sondern Moral - die eine aufgezwungene Ethik darstellt.

dvrvm hat geschrieben:
Es ist nicht an einem Wohl der Welt zu streben (denn wie gesagt: wer bestimmt das?), sondern nach den groesstmoeglichen Wohl der Menschen, und das bedeutet kein Individualismus ins Extreme verzehrt, sondern genau das Gegenteil, in dem ich als Individuum erkenne, das auch andere Beduerfnisse habe (der Mensch als soziale Wesen), werd ich moeglichst darauf schauen, das es auch ihnen wohl ergeht - das bedeutet in Wirklichkeit ein gemeinschaftliches Bestreben nach Wohlergehen, wobei keine Interessen einiger Weniger zaehlen, sondern eben die Interessen aller. (du siehst auch ich bin ein idealistischer Ethiker ;-) )


Was sind denn die "Objektivierungs-Kriterien" für "das grösstmögliche Wohl der Menschen"? Versteht nicht auch jeder etwas Anderes darunter?


Ja! Und jedem sollten seine Beduerfnisse (wenn sie anderen auch als unsinnnig erscheinen) zugestanden werden. Wenn die eigenen Beduerfnisse Beduerfnisse anderer in die Quere kommen, dann muss eine Loesung gefunden werden - dann kann zu einen Kompromiss fuehren, das kann aber auch zu vollkommener Ablehnung eines Beduerfnisses fuehren.

dvrvm hat geschrieben:Mit "Welt" meine ich hauptsächlich, dass ich mich nicht rein und nur auf die Menschen beschränke, die jetzt leben, sondern auch auf die Menschen in der Zukunft, die Tiere, etc. Die Interessen "aller" Menschen zu berücksichtigen, auch nur der heutigen Personen, würde meiner Meinung nach beinhalten, dass du dein gesamtes Kapital dazu verwendest, Essen für afrikanische Kinder zu kaufen.


Das es in dieser Gesellschaft nicht wirklich moeglich ist, ist schon logisch, aber es geht uns (zumindestens mir, aber soweit ich das verstanden habe, auch dir) um eine zukluenftige Gesellschaft, mit einer entsprechenden Ethik.
Und da muss gesichert sein, das soweit es moeglich ist, die Beduerfnisse der Menschen zu befriedigen - das faengt damit an, das man den afrikanischen Staaten mitteil, das sie doch nicht ihr Getreide an Europa zu billigst Preisen verkaufen sollen, um mit den Geld dann Waffen zu kaufen (auch kein afrikanischer Staat muesste hungern! Ist heute schon so), und das geht weiter, das man unseren Herrschaften hier mitteilt, das sie gefaelligst nicht den Weizen, etc der Laender zu Billigst-Preissen kauft und hier Futter vernichtet wird, weil es zu teuer ist, aber man Bauern foerdern will.

Das ist eine Ethik, die die Zukunft im Auge hat, nicht selbst sich an das Exestenzminimum zu bringen.

dvrvm hat geschrieben:Das ist die "idealistische" Variante. Meine "ideale" Variante ist ebenso nicht praktisch durchführbar, weil wir Menschen einfach nicht fähig sind, gegen unseren Willen zu handeln, aber sie ist eine mögliche ideale Richtlinie, wie auch deine Variante letztlich nur eine ideale Richtlinie ist.


Was heisst wir Menschen sind nicht faehig gegen unseren Willen zu handeln? Das was wir "wollen" bestimmen doch wir!

dvrvm hat geschrieben:
Es kann keine bessere Loesung dabei rauskommen, wenn ich keine Aussage ueber hinreichend komplexe systeme machen kann!

OK, nochmals das Umweltbeispiel:

[...]

Das ist natürlich alles auf die Spitze getrieben, aber zeigt vielleicht, warum ich mit der Hier-und-Jetzt-Denkweise meine Probleme habe. Ich finde es ethisch falsch, die Maximierung des Wohlergehens in der Gegenwart auf Kosten des Wohlergehens in der Zukunft zu erstreben, und naiv, zu behaupten, wir könnten in keiner Art und Weise etwas Relevantes über die Zukunft sagen. Es ist auch nicht im Geringsten erforderlich, dass sich die Zukunft genau bestimmen lässt. Es geht primär um den Gedankengang, um die Auswirkung meiner Aktionen auf die Zukunft, sofern sie abschätzbar sind. Und es ist inkonsequent, solche Gedanken zwar im Bereich Umwelt zu machen, aber in allen anderen Bereichen nicht.


Das sind doch zwei komplett unterschiedliche Anwendungen eines Zukunftsmodells!

Ueber die eine kann ich eine grobe Abschaetzung machen: mehr Treibhausgas -> mehr Aerger!

Ueber die andere muss ich ziemlich genau die Zukunft kennen: in dem Fall des Kindes - mag sein das es in aermlichen Verhaeltnissen lebt, das bedeutet aber _nicht_ das es deswegen nicht gluecklich sein kann!
Nur fuer den Fall, das wir die Zukunft einzelner Personen kennen und wissen, das die Person einmal eines grausigen Verbrechens zum Opfer faellt (oder im Lotto gewinnt), nur dann koennen wir die Zukunft in unsere Entscheidung heranziehen.

In dem einen Modell reicht mir eine wage Vorhersage:
Egal wie sich das Klima aendert, egal ob der Golfstrom abreisst, egal ob er sich nur abschwaecht oder gar nicht abreisst, es geht nicht gut aus. Wir brauchen die Einzelereignisse nicht kennen - hier reicht uns eine Vorhersage des Systems.

In dem Modell der Abtreibung, wo wir eine Zukunft heranziehen, um ueber die Abtreibung zu urteilen:
Hier muessen wir relativ genau alle Einzelereignisse kennen - hier muessten wir das System berechnen.
Deswegen kann fuer die Abtreibung nur das Hier und Jetzt zaehlen! Und da gilt: Ein Zellhaeufchen hat keine Rechte.

dvrvm hat geschrieben:
NAuch ein deterministisches System bedeutet _nicht_, das etwas berechenbar ist!


Schau man in Wikipedia (oder sonstwo) nach "Laplacescher Dämon". Es geht nicht um die Kenntnis von Makrozuständen (Klima), sondern von jeder existierenden Variable: der Spin von jedem Quantenteilchen, oder sonst etwas, was darunter noch existiert. Es geht nicht darum, ob wir die Zukunft berechnen können (das können wir ganz offensichtlich nicht, und werden es nie können), sondern ob ein hypothetisches Wesen, welches alle Naturgesetze und alle Variablen kennt, und eine unbegrenzte Rechenkapazität hat, und nicht auf die uns bereits bekannte Mathematik beschränkt ist (ein Laplacescher Dämon) das berechnen kann. Dazu müsste der Dämon auch ausserhalb des Universums selbst sein, da er ansonsten den Regeln von Raum und Zeit untersteht, und sich das Universum, während er es berechnet, schon wieder verändert hätte. Die Einwände, die ich gegen den Dämon kenne, sind auf jeden Fall nicht grundlegend-mathematischer Art, sondern physikalischer Art (Quantentheorie => Indeterminismus...)


Das aendert aber nichts an der Sache!

Es ist egal ob der Daemon eine hochfortgeschrittene Mathematik hat, jegliche Mathematik unterliegt dem Unvollstaendigkeistsatz! Es kann keine Mathematik geben, die widerspruchsfrei ist!

Und ein Universum als formales System betrachtet, eben Kenntnisse aller Gesetze, kann nicht widerspruchsfrei sein - da alle formale Systeme, die hinreichend komplex sind, widerspruechlich sind! Da koennen wir tun was wir wollen, es gibt in einem formalen System Saetze (im Fall des Universums Phaenomene), die weder beweisbar noch widerlegbar sind, sie sind unentscheidbar!

Die einzige Chance fuer einen solchen Daemon, das System "Universum" widerspruchsfrei zu erfahren, ist eine komlett andere Erfahrungsmoeglichkeit dieses Daemons, die wir selbst aber nicht erfahren koennen (da unsere Systeme _immer_ widerspruechlich sind)!
Somit ist uns aber die Erfahrungsmoeglichkeit des Daemons und der Daemon selbst verwehrt, und was nicht erfahrbar ist, darueber kann ich auch keine Aussage treffen!

Alle Aussagen ueber diesen Daemon sind daher ungueltig. Sie sind nicht falsch (es gibt einen Unterschied zwischen "falsch" und "ungueltig"), aber sie sind ungueltig - ich kann keinerlei Aussage treffen, was dieser Daemon kann oder nicht kann! Selbst die oben gemachte Aussage von mir "es kann keine Aussage getroffen werden" ist bereits eine Aussage und damit ungueltig!

So gibt es zwei Moeglichkeiten:
A. Ich kann _keine_ Aussage ueber den Daemon treffen (weil fuehr uns nicht erfahrbar) <- auch dieser Satz ist schon ungueltig;
B. Ich kann eine Aussage ueber den Daemon treffen - der Daemon selbst kann dann aber kein widerspruchsloses System kennen!

Die Einwaende sind logischer Natur, die ich durchaus auch mathematisch begruenden kann (das aber haben schon andere vor mir gemacht ;-) wie zb Goedel oder auch Turing).

Das funktioniert uebrigens wunderbar auch bei Gott:

1. Entweder Gott hat nichts mit unserer Welt zu tun (Gott als geistiges Wesen im Gegensatz zu unserer materialistischen Welt).
Dann kann ich, aufgrund des Dualismus-Widerspruches, _keine_ Aussage ueber Gott machen (<- auch dieser Satz ist ungueltig!) und Gott wird nutzlos; oder

2. Gott hat mit unserer Welt zu tun (er beeinflusst die Schoefung, etc), dann hat er eine Verbindung zu unserer Welt - Gott _muss_ daher ebenfalls materialistisch sein und nicht geistig, denn ansonmsten koennte Gott nicht in eine materialistische Welt eingreifen (Dualismus-Widerspruch).
Oder um mit Dawkins zu sprechen: "Existenzaussagen sind wissenschaftliche Aussagen"
Das bedeutet aber: ich kann Aussagen ueber Gott treffen, ich kann ihm mit Wissenschaft auf den Pelz ruecken und genauso wie das Perpetuum Mobile als unsinnig betrachten. :mg:
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