Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon dvrvm » Di 18. Sep 2007, 22:32

So, hallo wieder mal :D

a.stefan hat geschrieben:Wenn ich wem etwas aufzwingen will "zum Wohle einer Gemeinschaft", ist das keine Ethik sondern Moral - die eine aufgezwungene Ethik darstellt.

Im Grunde genommen ist jede Art von Gesetz dazu gut, jemandem etwas aufzuzwingen zum Wohle der Gemeinschaft, sowie auch jede utilitaristische Ethik, wenn man sie zum Gesetz werden lässt. Auch deine Version. Gedankenexperiment: Wenn ich alle Sachen, die ethisch sinnvoll wären, sowieso von selber machen würde, fragt sich, warum dann offensichtlich enorm viele Leute dermassen unethisch handeln. Nehmen wir als Beispiel die Spenden. (Es ist irrelevant, ob ihr Sinn umstritten ist, da sich auch dadurch nicht ableiten liesse, dass nur Sachen ethisch korrekt sind, die man sowieso gerne macht. Nehmen wir mal als Annahme, Spenden seien etwas ethisch Gebotenes. Ich selber bin mir da auch nicht zu 100% sicher...) Aber im Grunde spenden wir primär aus dem Grund, um entweder unser Gewissen zu beruhigen ("naive" Ansicht) oder um unserer selbstauferlegten Ethik zu genügen ("philosophische" Ansicht). Das machen wir zum Wohle von Anderen, weil sie dadurch mehr "gewinnen", als wir "verlieren". Ich zwinge mir also etwas auf zum Wohle "der Gemeinschaft". (Bitte keine Wortklaubereien über den Begriff der "Gemeinschaft", ich meine wie schon erwähnt einfach die Gesamtheit der Menschen bzw. auch Tiere.) Offensichtlich spenden nicht alle Menschen ihr Geld. Wenn du also eine solche Ethik zum Gesetz werden liessest, würdest du ihnen ebenfalls etwas aufzwingen.

Dazu kommt noch, dass ich meine Ethik niemandem aufzwinge. Ich kann sie anderen nur plausibel machen und erklären. Ob ein Anderer sie akzeptiert, entscheidet er schlussendlich selbst. Eine Gesellschaft basierend auf einer solchen Ethik würde denn auch nie ohne einen gesellschaftlichen Konsens funktionieren, wie auch jede andere Gesellschaft auf lange Dauer auch.

dvrvm hat geschrieben:Was sind denn die "Objektivierungs-Kriterien" für "das grösstmögliche Wohl der Menschen"? Versteht nicht auch jeder etwas Anderes darunter?

Ja! Und jedem sollten seine Beduerfnisse (wenn sie anderen auch als unsinnnig erscheinen) zugestanden werden. Wenn die eigenen Beduerfnisse Beduerfnisse anderer in die Quere kommen, dann muss eine Loesung gefunden werden - dann kann zu einen Kompromiss fuehren, das kann aber auch zu vollkommener Ablehnung eines Beduerfnisses fuehren.

Das hat aber nichts mit objektiven Kriterien zu tun. Nicht nur hat jeder unterschiedliche eigene Interessen, sondern ebenfalls gewichtet jeder die Interessen der Anderen unterschiedlich stark, wenn er über seine Aktion konsequentialistisch urteilt. Im Endeffekt geht es immer um die Gewichtung von Interessen. Sogar wenn du einem Pädophilen das Recht auf Vergewaltigung eines 10-jährigen Mädchens absprichst, gewichtest du schon Interessen. Das Ergebnis ist aber nicht immer so klar wie hier, und nicht jeder wird in jedem Fall zum gleichen Ergebnis kommen (siehe auch weiter unten dazu.) Somit hast du trotzdem wieder keine Objektivierungskriterien, die allgemein ohne eine oft sehr subjektive Abwägung gelten.

Das es in dieser Gesellschaft nicht wirklich moeglich ist, ist schon logisch, aber es geht uns (zumindestens mir, aber soweit ich das verstanden habe, auch dir) um eine zukluenftige Gesellschaft, mit einer entsprechenden Ethik.

Jein. Mir geht es eher um eine Handlungsweise, die mir in der heutigen Gesellschaft ein ethisch brauchbares Verhalten aufzeigen kann. Das beinhaltet aber auch, dass ich mich, im Rahmen des Möglichen, für entsprechende Gesetze einsetze.
Man könnte sich aber eine Gesellschaft nach diesem Prinzip denken. Natürlich wiederum nicht ohne Konsens.

Und da muss gesichert sein, das soweit es moeglich ist, die Beduerfnisse der Menschen zu befriedigen - das faengt damit an, das man den afrikanischen Staaten mitteil, das sie doch nicht ihr Getreide an Europa zu billigst Preisen verkaufen sollen, um mit den Geld dann Waffen zu kaufen (auch kein afrikanischer Staat muesste hungern! Ist heute schon so), und das geht weiter, das man unseren Herrschaften hier mitteilt, das sie gefaelligst nicht den Weizen, etc der Laender zu Billigst-Preissen kauft und hier Futter vernichtet wird, weil es zu teuer ist, aber man Bauern foerdern will.

Das ist eine Ethik, die die Zukunft im Auge hat, nicht selbst sich an das Exestenzminimum zu bringen.

Der springende Punkt ist, dass eben nicht immer eine Lösung möglich ist, die nicht irgendjemanden (und sei es auch nur der psychopathische Massenmörder oder der Pädophile) in seinen Rechten beschränkt oder ihm etwas abverlangt. Nur weil du hier eine plausible Alternative zum Spenden präsentieren kannst, hast du damit nicht gezeigt, dass es nicht notwendig oder geboten sein kann, sich selber erheblich einzuschränken.
Abgesehen davon ist es eben nicht damit getan, den afrikanischen Staaten oder unseren Regierungen etwas "mitzuteilen". Die Diktaturen in Afrika foutieren sich um unsere Meinung (abgesehen davon ist man bzw. die Entwicklungshilfe-Wissenschaft sich in Sachen Entwicklungshilfe durchaus nicht einig, was sinnvoll ist und was nicht), und bei uns in den Demokratien handeln die Menschen nach Partikulärinteressen und bei weitem nicht ethisch. Da nützt es wenig, z.B. Initiativen zu lancieren, die etwas bewirken würden, wenn ihnen die Mehrheit zustimmen würde, da die Mehrheit ja doch nicht zustimmt und man wahrscheinlich etwas Sinnvolleres macht, wenn man sein Geld spendet. Wie schon gesagt: Wenn sich alle bereits ethisch verhalten würden, hätten wir sowieso viel weniger Probleme, aber das tun die Leute nicht und das werden sie auch in Zukunft nicht tun. Deshalb muss ich meine Ethik so aufbauen, dass sie sich nicht darauf verlässt, dass Andere ethisch handeln.

dvrvm hat geschrieben:Das ist die "idealistische" Variante. Meine "ideale" Variante ist ebenso nicht praktisch durchführbar, weil wir Menschen einfach nicht fähig sind, gegen unseren Willen zu handeln, aber sie ist eine mögliche ideale Richtlinie, wie auch deine Variante letztlich nur eine ideale Richtlinie ist.


Was heisst wir Menschen sind nicht faehig gegen unseren Willen zu handeln? Das was wir "wollen" bestimmen doch wir!

Ich meinte damit: Selbst wenn meine Ethik von mir verlangen würde, dass ich mir Löcher in die Arme brenne, würde ich es nicht tun. In diesem Sinne unterscheide ich eine "idealistische" Variante der Ethik, die von mir Unmögliches verlangt, und eine "realistische", die berücksichtigt, dass ich das nicht tun werde. Im Grunde genommen ergibt sich für die realistische Variante eine Mischung aus dem erwähnten "radikalen Utilitarismus" und einem Hedonismus, der mir selber Rechte über mich und meine Bedürfnisse einräumt, mich also höher gewichtet als den Rest der Welt. Anders als der "sanfte Hedonismus", der einfach von mir auf andere schliesst und behauptet "Ich lebe so wie es mir Spass macht, ABER gebe den Anderen auch ihren Freiraum, um toll leben zu können", geht die hier beschriebene Variante den anderen Weg: "Ich richte mein Handeln im Prinzip auf das Gemeinwohl aus (was nicht in hundertprozentig jedem Fall den Freiraum jedes Einzelnen respektieren muss, es aber meistens tut), aber nehme mir selber für mich den Freiraum, den ich brauche." Das sind zwei völlig verschiedene Denkweisen. Ich bin übrigens nicht, wie man hier annehmen könnte, ungebrochener Vertreter der radikal-utilitaristischen Ansicht. Ich habe mich auch schon eine Weile nicht mehr mit Ethik beschäftigt und bin noch nicht völlig schlüssig, was die letzte Wahrheit in Sachen Ethik ist. Ich bleibe aber dabei, dass der radikale Utilitarismus eine denkbare Einstellung ist, die man relativ plausibel vertreten kann (hingegen finde ich die Urvariante des Utilitarismus fehlerbehaftet...) Ich vertrete diese Einstellung hier primär, um meine Anfangsbehauptung zu untermauern (es gibt brauchbare nicht-sakrale Argumente gegen Abtreibung).

Das sind doch zwei komplett unterschiedliche Anwendungen eines Zukunftsmodells!

Ueber die eine kann ich eine grobe Abschaetzung machen: mehr Treibhausgas -> mehr Aerger!

Ueber die andere muss ich ziemlich genau die Zukunft kennen: in dem Fall des Kindes - mag sein das es in aermlichen Verhaeltnissen lebt, das bedeutet aber _nicht_ das es deswegen nicht gluecklich sein kann!
Nur fuer den Fall, das wir die Zukunft einzelner Personen kennen und wissen, das die Person einmal eines grausigen Verbrechens zum Opfer faellt (oder im Lotto gewinnt), nur dann koennen wir die Zukunft in unsere Entscheidung heranziehen.

In dem einen Modell reicht mir eine wage Vorhersage:
Egal wie sich das Klima aendert, egal ob der Golfstrom abreisst, egal ob er sich nur abschwaecht oder gar nicht abreisst, es geht nicht gut aus. Wir brauchen die Einzelereignisse nicht kennen - hier reicht uns eine Vorhersage des Systems.

In dem Modell der Abtreibung, wo wir eine Zukunft heranziehen, um ueber die Abtreibung zu urteilen:
Hier muessen wir relativ genau alle Einzelereignisse kennen - hier muessten wir das System berechnen.
Deswegen kann fuer die Abtreibung nur das Hier und Jetzt zaehlen! Und da gilt: Ein Zellhaeufchen hat keine Rechte.

Wir können auch da gewisse Voraussagen treffen. Beispielsweise können wir sagen, dass wenn die Alterspyramide sich zur Urnenform verändert, sich dadurch Probleme bei der Altersvorsorge ergeben, und es ergo wichtig ist, Kinder zu gebären, um nur einmal eine Variante zu nennen. Es geht mir weniger um den konkreten Fall, als um den Fakt, dass man wenn möglich solche Überlegungen zu machen hat.
Wie ich schon verschiedentlich erwähnt hatte: Ich bin der Meinung, dass es in so gut wie allen Fällen in etwa neutral oder höchstens leicht positiv ist, ein Kind zu bekommen, und in diesem Sinne über die Abtreibung ohne Rücksicht auf diese Faktoren entschieden werden kann, da das Leiden der Mutter eine viel grössere Gewichtung hat. Die Rechte des Zellhäufchens spielten in meinen Überlegungen auch keine Rolle, wenn du das genau nachliest. Nirgends habe ich ihm Rechte zugestanden. Der Utilitarismus hat aber das Problem (wenn man es als eines betrachten will), dass eine Abschätzung immer von einer Person gemacht werden muss, und darum vom Denksystem dieser Person beeinflusst wird. So kann jemand nachdenken und zum Schluss kommen, dass Spenden utilitaristisch geboten sind; ein Anderer kann überlegen und zum Schluss kommen, dass sie utilitaristisch nicht geboten bzw. sinnlos sind. (Ich verweise in diesem Zusammenhang gerne auf Luther und die Reformation: Luther verkündete, man solle die Bibel selber lesen und sich die Leseweise nicht von der RKK diktieren lassen. Er dachte wohl, dass dann alle die Bibel so lesen würden wie er. Andere lasen aber die Bibel nicht genau gleich, z.B. Müntzer, der die Bauernaufstände anzettelte. Selbe Methode, unterschiedliches Ergebnis. Just for the record, ich bin Agnostiker und es geht mir nur um die Illustration des Faktums.) Ebenso kann jemand zum Schluss kommen, dass eine Familie mit zwei Kindern ethisch geboten ist (z.B. wie genannt aus Gründen der Altersvorsorge), und aus diesem Grund die Abtreibung des ersten und zweiten Kindes ablehnen. Andere Argumentationen sind ebenfalls möglich bzw. denkbar. Dann wird das Ganze zur Auslegungssache, und in einer direkten Demokratie der heutigen Gesellschaft, z.B. der Schweiz, entscheidet dann die Mehrheit über die Sache.
Übrigens finden sich durchaus auch Leute, die von "Mehr Treibhausgase -> mehr Ärger" überhaupt nicht überzeugt sind, nur um die Unterschiedlichkeit der individuellen Ansichten zu illustrieren...

Zum Laplace-Dämon muss ich eingestehen, dass ich das Problem so noch nicht betrachtet habe. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob der Unvollständigkeitssatz hier wirklich anwendbar ist (und ja, ich kenne den Unvollständigkeitssatz zumindest vage), aber du bist der Mathematiker hier und weisst das wahrscheinlich besser als ich :up: ... ich werde die Tage einmal darüber etwas lesen. Es verwundert mich nur, dass ich die Argumentation noch nirgends gehört habe.

Edit: Fast hätte ich es vergessen:
Max hat geschrieben:Hm, ich musste lange überlegen, bis ich eine feste Meinung zu dieser Aussage hatte. Anfangs war ich äußerst vewirrt: Auf einer intellektuellen Ebene leuchtete es mir ein und ich hielt es für wahr, auf einer intuitiven Ebene fand ich es jedoch äußerst spleenig.

Soll es ethisch falsch sein, wenn jemand nicht so viele glückliche Kinder wie möglich in die Welt setzt? Ist es schlimm, wenn man nicht die jeweils an den Konsequenzen gemessen beste Handlung vollfüllt? Ist dies überhaupt möglich? Woher soll man bitte wissen, was welche Handlung die besten Konsequenzen hat? Wie soll dieser radikal-konsequentialistische Ansatz bitte zu juridischen oder ethischen Normen führen? Ich denke, dein Einwand hält diesen Fragen nicht stand.

Das Meiste kannst du in der Antwort auf a.stefan nachlesen. (Nb. dass es mir in der Argumentation nicht primär um die glücklichen Kinder geht.) Es geht mir wie gesagt nicht prinzipiell um eine Norm, sondern um eine Denkweise. Wenn sich zwei Handlungen nur minim in ihren Folgen unterscheiden, kann man es kaum als falsch betrachten, die eine oder die andere zu machen. Genau aus dem Grund, dass wir die Folgen einer Handlung nicht genau abschätzen können, ergeben sich verschiedene Handlungsmöglichkeiten für uns, die man als gleichermassen ethisch richtig betrachten kann. Aber du wirst mir sicher zustimmen, dass es ethisch besser ist, 10 Leute vor dem Verhungern zu bewahren als nur 2 oder 3, wenn sich die Auswirkungen auf dich nicht um Grössenordnungen unterscheiden, und das bleibt auch dann so, wenn eine weitere, noch schlechtere Alternative existiert, z.B. das Geld für Nutten und Koks auszugeben. (Verhungern ist hier nur ein Beispiel, unter der Annahme, dass die Leute nicht durch ihr Verhungern der Überbevölkerung entgegenwirken... aber ich höre hier auf, sonst nennt man mich wieder Zyniker...)
Es gibt fast sicher kein juridisches und wahrscheinlich auch kein normen-ethisches mögliches Gesetzessystem, das so absolut perfekt ist, dass man es nicht aus ethischen Gründen einmal übertreten müsste. Da aber im Interesse der Rechtssicherheit ein Gesetz sinnvoll ist, muss man die Sanktionen so auslegen, dass sie dies berücksichtigen...
Zuletzt geändert von dvrvm am Di 18. Sep 2007, 22:58, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon a.stefan » Di 18. Sep 2007, 22:40

dvrvm hat geschrieben:Zum Laplace-Dämon muss ich eingestehen, dass ich das Problem so noch nicht betrachtet habe. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob der Unvollständigkeitssatz hier wirklich anwendbar ist (und ja, ich kenne den Unvollständigkeitssatz zumindest vage), aber du bist der Mathematiker hier und weisst das wahrscheinlich besser als ich :up: ... ich werde die Tage einmal darüber etwas lesen. Es verwundert mich nur, dass ich die Argumentation noch nirgends gehört habe.


Der Unvolstaendigkeitssatz ist dann anwendbar, wenn der Daemon die Welt als Gesamtsystem erfaehrt, mit allen Gesetzen, mit allen Regeln, dann wird das System "Welt" zu einem formalen System und auch zu einen hinreichend komplexen System - und das trifft ja dann zu wenn der Daemon ueber alles Bescheid weiss.

MathematikerInnen sind von Natur aus schuechtern ud schreiben solche Sachen nicht in Foren ... ;-) (ich bin da eine Ausnahme!) ;-)

Ps.: zu dem anderen: das muss ich mir erst in Ruhe durchlesen, derzeit nur wenig Zeit.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon ostfriese » Mi 19. Sep 2007, 18:16

Ethik ist doch eigentlich ganz einfach (der Zusatz "konsequenzialistisch" erübrigt sich, denn Argumente, die sich nicht auf die Folgen von Handlungen oder Unterlassungen beziehen, sind ethisch irrelevant; auch eine beabsichtigte Verhaltenssteuerung durch pragmatische Regeln ist letztlich konsequenzialistisch zu begründen):

Wenn ich die Folgen einer Handlung hinreichend genau beschreiben kann und über hinreichend geeignete Kriterien verfüge, die Interessen Betroffener moralisch zu gewichten, dann kann ich beurteilen, ob dieser Handlung Einhalt geboten werden sollte. Wenn nicht: In dubio pro libertate! Denn Einschränkung von Handlungsfreiheit macht unglücklich.

Die Befürworter eines Abtreibungsverbots sind also in der Beweispflicht. Sie müssen darlegen, warum kein Zweifel besteht, dass Abtreibung aus ethischer Sicht verwerflich ist. Diesen Beweis bleiben sie vollkommen schuldig. "Menschenwürde" oder "Lebenswille" sind willkürliche Konstrukte mit äußerst vagem bzw. "verspätetem" Wirklichkeitsbezug. Sie taugen nicht als Kriterien zur Bewertung von Handlungsfolgen und können daher keine ethische Relevanz beanspruchen. Schmerzen und Leiden dagegen sind real, ebenso das zugehörige Vermeidungsverhalten sowie die Erinnerungen, Ängste und Erwartungen (samt daraus resultierender Interessen) bewusst denkender Wesen. Einzig mit Hilfe dieser Größen lässt sich auf der moralischen Skala messen. Warum? Weil aus der Qualität unserer Empfindungen die moralische Frage erst entspringt: Ohne Empfindungen gibt es nur Sein, kein Sollen...

Warum sich Menschen über Moral endlos streiten oder unethisch verhalten, wenn doch alles so einfach ist?

Weil kaum jemand ethisch aufgeklärt ist und weil die uns Menschen evolutionär zugewachsene Moral sich noch nicht an eine globalisierte Gesellschaft in einer hochkomplexen Welt anpassen konnte.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon Andreas Müller » Mi 19. Sep 2007, 18:51

Denn Einschränkung von Handlungsfreiheit macht unglücklich.


Sicher?
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon ostfriese » Mi 19. Sep 2007, 20:04

Ja, wenn diese Einschränkung aus der Handlung eines anderen resultiert und nicht selbstgewählt ist.

Die Umkehrung gilt natürlich nicht: Freiheit macht nicht notwendig glücklich. Oft gilt sogar eher das Gegenteil. Aber wer ernstlich froh ist, nicht abtreiben zu dürfen, hätte auch ohne das Verbot nicht abgetrieben. Für alle anderen Frauen bedeutet das Verbot unnötige Leiden (ob sie später eventuell froh sein könnten, nicht abgetrieben zu haben, spielt für die ethische Bewertung der Handlung keine Rolle, da dies eine willkürliche Spekulation wäre).
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon Max » Do 20. Sep 2007, 14:25

ostfriese hat geschrieben:Weil kaum jemand ethisch aufgeklärt ist und weil die uns Menschen evolutionär zugewachsene Moral sich noch nicht an eine globalisierte Gesellschaft in einer hochkomplexen Welt anpassen konnte.

Wie meinst du, soll sich die evolutionäre Ethik bei uns weiterentwickeln? Wie soll es in einer modernen Gesellschaft bitte eine Selektion gewisser ethischer Vorstellungen geben?
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon ostfriese » Mo 10. Dez 2007, 21:08

Das "noch nicht" in meinem Beitrag war fehl am Platze. Kulturelle Entwicklungen passieren viel zu schnell, als dass eine genetische Anpassung möglich wäre. Wir können uns auf unsere moralischen Instinkte nicht in allen Lebenslagen verlassen und brauchen daher eine rationale Ethik -- das ist alles, was ich sagen wollte.
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon pinkwoolf » Mo 10. Dez 2007, 22:32

|)

Ich habe hier nicht alle Beiträge gelesen und platze einfach mal so hinein.

In einem anderen Thread habe ich mir gerade den Kopf zerbrochen, warum die Position "alles oder nichts" manchmal ins Abseits führt. Meine Beispiele waren Bekleidungsregeln, genauer gesagt: Burkas (zu Recht heiß umstritten) und Lärmschutzregeln. Ebenso oft umstritten. Es wäre sinnlos, beim Lärmschutz alles oder nichts zu fordern. Aber jede graduelle Definition, die immer eine Portion Willkür beinhaltet, reizt zu endlosen Gerichtsprozessen über Hahnengekrähe und Froschgequake, Kindergetrampel und Musikgedudel. Such is life. Null-Geräusch oder mitternächtliche Dezibel-Orgien sind keine Option.

Dasselbe gilt, wie ich finde, für alle Lebensbereiche. Für dieses Thema: Totales Abtreibungsverbot ist ebenso absurd wie die beliebige Kindstötung (bis zu welchem Lebensjahr?), weil der Unterhalt nicht gesichert ist. Andere Gründe mögen genannt werden.

Hardliner-Christen vertreten hier eine Linie, die keinerlei Kompromiss erlaubt. Steht das eigentlich in der Bibel? - Egal wo das steht, ich habe etwas gegen extremistische Ansichten. Ebensowenig Freude bereiten mir allerdings Ansichten, die anstelle des Nichts das Alles favorisieren.
Immer weg damit? Nein danke.


:sauer:
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Re: Wieso sind die Abtreibungsgegner alle Christen?

Beitragvon Max » Mo 10. Dez 2007, 22:50

Abtreibungsgegner können nur schwer mit der Bibel argumentieren. Als die Bibel verfasst wurde, war es üblich, ungewollte Kinder einfach wegzuwerfen. Der einzige Grund, warum über Schwangerschaftsabbruch und Infantizid in der Bibel nichts steht, ist, dass es damals selbstverständlich war und von niemandem in Frage gestellt wurde.
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