Martin Heidegger

Re: Martin Heidegger

Beitragvon Teh Asphyx » Mi 9. Nov 2011, 11:00

ganimed hat geschrieben:Also ich weiß nicht, wozu die künstliche Trennung zwischen Physik und "über Physik nachdenken" dienen soll. Ich vermute, damit wollte ein Philosoph nur seine angebliche Daseinsberechtigung verteidigen.


Ich denke kaum, dass Heidegger das nötig gehabt hätte. Dieser Satz ist innerhalb seiner Werke relativ unspektakulär, viel diskutiert wurde er erst, als er von einigen Leuten als Abwertung ihrer Arbeit falsch verstanden wurde.

ganimed hat geschrieben:In der Praxis sind jedenfalls beide Dinge miteinander verwoben, denn natürlich macht es einen großen Teil der Faszination an der reinen Physik aus, dass man die Welt besser verstehen möchte und die ganz großen Seinsfragen auch im Hinterkopf hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da draußen irgendwo seelenlose Physiker gibt, die wirklich nur reine Physik betreiben und den Rest ihres menschlichen Denkens abstellen, nicht einmal zeitweise.


Es spricht ja niemand einem Physiker ab, über die ganz großen Seinsfragen nachzudenken. Allerdings halte ich metaphysikalische Fragen nicht für Notwendig, um Physik zu betreiben. Allerdings habe ich meine Zweifel, dass Heidegger mit „Denken“ die Metaphysik meinte, ich weiß allerdings auch nicht, wie ich das erklären kann, da ich selbst auch nicht der Heidegger-Spezialist bin, sondern nur eine „kleine“ (im Vergleich zu seinem Werk) Einführung genossen habe, viel auch über Sekundärliteratur.
Wie definierst Du seelenlos? Ich kenne „Seele“ nur als metaphysischen Begriff. Ich kann es mir schon vorstellen, halte es sogar manchmal für notwendig, dass man den Rest des menschlichen Denken abstellt. Deswegen sind auch viele Wissenschaftler Nerds mit autistischen Tendenzen, denen fällt es leichter in so einem geschlossenen System zu denken (ich hab auch teilweise diese Tendenz, deswegen habe ich eine Vorstellung davon), aber über die Grenzen hinauszudenken ist genauso wichtig. Ich denke aber, dass das gerade schon weit von Heidegger abdriftet.

ganimed hat geschrieben:Das mag sein. Aber mir fehlt durch die sehr spezielle Sprache, nicht nur bei Heidegger, der Zugang. Also bleibe ich draußen. Und hier draußen schulde ich diesen Leuten nicht den geringsten Respekt, würde ich sagen. Wenn sie ihre Ideen nicht in meiner Sprache beschreiben können, dann gibt es auch keine Anerkennung von mir. Heidegger und einige andere Philosophen rangieren für mich also durchaus auf der Stufe von wild faselnden Esoterikern. Man kann eben nicht alles gut finden was gut ist.


Ich verstehe die Sprache von Chemikern nicht. Ich weiß nicht annähernd, was mir so was sagen soll: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/c ... cotine.svg (in dem Sinne ist es auch esoterisch, da es nur von einem Kreis von Eingeweihten zu verstehen ist … der Unterschied ist, dass der Zugang zu diesem „Kreis“ prinzipiell jedem offen steht und das ist auch bei Heidegger der Fall).
Trotzdem habe ich Respekt vor dem Chemiker, der damit umgehen kann und was damit macht. Ich würde auch nicht behaupten, er meint bestimmt OH3 und nicht CH3. Wenn er allerdings mit solchen Graphiken ankommt und meint, mir als Laien damit ausreichend zu erklären, was Nikotin ist und es wäre halt mein Problem, dass ich mir erstmal das Verständnis dafür aufbauen müsste, dann hätte ich den gleichen Einwand und wenig Respekt.
Heidegger hat aber – im Gegensatz zu wild faselnden Esoterikern – nicht die Absicht gehabt, ein philosophisches Werk für „Laien“ zu schreiben. Er schrieb auch grundsätzlich zum Beispiel altgriechische Wörter in entsprechender Schrift, was damals wohl aber auch zum Standardrepertoire eines Philosophiestudenten gehörte. Seine Absicht war nicht, eine allgemeine Erklärung für die Welt zu liefern, sondern einen Grundstein für nachfolgende philosophische Disziplinen zu legen. Die Popularisierung würde erst nach entsprechendem Fortschritt einen Sinn machen. Esoteriker hingegen wenden sich gerade an „Nichteingeweihte“, um sie mit ihrem Geschwafel zu ködern und ihnen damit Seelenheil zu versprechen.
Die gute Nachricht ist, dass es auch wunderbare populärphilosophische (was für ein Wort …) Werke gibt, in denen Heideggers Philosophie leichter verständlich erklärt wird (jedenfalls die Grundlagen), für den, der Interesse hat.
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Re: Martin Heidegger

Beitragvon ganimed » Mi 9. Nov 2011, 20:24

Teh Asphyx hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Ich vermute, damit wollte ein Philosoph nur seine angebliche Daseinsberechtigung verteidigen.

Ich denke kaum, dass Heidegger das nötig gehabt hätte.

Ich weiß nicht viel über Heidegger, aber soweit ich las hatte der ein ganz schön großes Ego und Bescheidenheit war nicht seine hervorragendste Eigenschaft. Du kannst wohl kaum ausschließen, dass es Heidegger sehr lieb gewesen wäre, wenn die Philosophie als sein Gebiet, mehr Gewicht, und andere, sagen wir die Physik, eher wenig Gewicht und Wichtigkeit zugesprochen bekäme. Wieso soll also dieser Wunsch dann nicht der Vater des Gedankens gewesen sein? Oder wie gefragt, fällt dir ein besserer Grund ein, wieso man diese feine Unterscheidung machen sollte zwischen der reinen Physik und dem Nachdenken über Physik?

Teh Asphyx hat geschrieben:Es spricht ja niemand einem Physiker ab, über die ganz großen Seinsfragen nachzudenken.

Aber jemand spricht dem Physiker ab, als Physiker über die großen Seinsfragen nachzudenken. Wenn aber jemand Kosmologie betreibt, dann geht es im Grunde philosophischen Fragen nach, woher kommen wir und wie sind wir entstanden. Und diese Frage geht der Physiker nicht nach Feierabend mal eben irgendwie als Hobbyphilosoph und Privatmensch an, sondern während seiner physikalischen Forschung. Nicht nur Heideggers Motive für die künstliche Unterscheidung zwischen Physik und über Physik nachdenken sind fragwürdig, sondern die künstliche Unterscheidung ist vor allen Dingen falsch. Meiner Meinung nach.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich verstehe die Sprache von Chemikern nicht. ... Trotzdem habe ich Respekt vor dem Chemiker

Wieso hast du trotzdem Respekt vor dem Chemiker? Vielleicht, weil du seine Leistung sehen kannst, ohne seine Sprache zu verstehen? Schau dir eine Wand an, die mit gut deckender Farbe gestrichen ist, und du weißt: aha, haben sie gut gemacht, die Chemiker. (Mal abgesehen davon, dass man vieles aus der Chemie auch ohne Formelsprache verstehen kann, beispielsweise wenn ein Molekül als lustiges, buntes Kugelmodell dargestellt wird, was jedes Kind versteht).
Hat Heidegger auch irgendwas geleistet?
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Re: Martin Heidegger

Beitragvon Lumen » Mi 9. Nov 2011, 23:22

Wer ist denn Peter Janotta und warum sieht Peter aus wie eine Frau? Den Namen habe ich bei den alten Topics schon öfter gesehen, aber wo wir in einem untoten Thema sind, könnte ich das ja mal fragen. :)
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Re: Martin Heidegger

Beitragvon Myron » Do 10. Nov 2011, 00:48

Lumen hat geschrieben:Wer ist denn Peter Janotta…


Peter ist ein Ex-Administrator dieses Forums und Nannas Vorgänger.
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Re: Martin Heidegger

Beitragvon Teh Asphyx » Do 10. Nov 2011, 10:17

ganimed hat geschrieben:Ich weiß nicht viel über Heidegger, aber soweit ich las hatte der ein ganz schön großes Ego und Bescheidenheit war nicht seine hervorragendste Eigenschaft. Du kannst wohl kaum ausschließen, dass es Heidegger sehr lieb gewesen wäre, wenn die Philosophie als sein Gebiet, mehr Gewicht, und andere, sagen wir die Physik, eher wenig Gewicht und Wichtigkeit zugesprochen bekäme. Wieso soll also dieser Wunsch dann nicht der Vater des Gedankens gewesen sein? Oder wie gefragt, fällt dir ein besserer Grund ein, wieso man diese feine Unterscheidung machen sollte zwischen der reinen Physik und dem Nachdenken über Physik?


Die Physik muss ja nicht gleich weniger Gewicht bekommen, dadurch dass die Philosophie mehr bekommt. Aber ja, natürlich ging es ihm auch darum, dass die Philosophie mehr Gewicht bekommt, denn die Naturwissenschaften sind jedenfalls in Deutschland auf akademischen Niveau alles andere als bedroht, Philosophie und Geisteswissenschaften allerdings schon, weil hier akademische Disziplinen nur daran gemessen werden, ob ein Absolvent damit nachher in den Arbeitsmarkt passt oder nicht.
Manchmal ist da auch ein großes Ego für nötig, damit man so was durchsetzen kann.
Ich habe eher das Gefühl, dass einige Naturwissenschaftler um ihre Vormachtsstellung fürchten, wo dann auch so was wie Alan Sokal dann bei rauskommt, was wirklich absurd ist.

ganimed hat geschrieben:Aber jemand spricht dem Physiker ab, als Physiker über die großen Seinsfragen nachzudenken. Wenn aber jemand Kosmologie betreibt, dann geht es im Grunde philosophischen Fragen nach, woher kommen wir und wie sind wir entstanden. Und diese Frage geht der Physiker nicht nach Feierabend mal eben irgendwie als Hobbyphilosoph und Privatmensch an, sondern während seiner physikalischen Forschung. Nicht nur Heideggers Motive für die künstliche Unterscheidung zwischen Physik und über Physik nachdenken sind fragwürdig, sondern die künstliche Unterscheidung ist vor allen Dingen falsch. Meiner Meinung nach.


Das Wort „künstlich“ ist hier völlig redundant, da eine Unterscheidung innerhalb eines ohnehin künstlichen Rahmens immer künstlich ist. Die Physik hat dennoch ihre Grenzen, wenn es um Philosophie geht. Wo ich eben Alan Sokal erwähnte, er war ja nicht der erste, es gibt auch einfach viele Leute, die glauben als Naturwissenschaftler die besseren Geisteswissenschaftler zu sein, obwohl sie oft in Wirklichkeit keine Ahnung davon haben. Ich als Geisteswissenschaftler und Künstler bekomme das wirklich oft genug zu hören.

ganimed hat geschrieben:Wieso hast du trotzdem Respekt vor dem Chemiker? Vielleicht, weil du seine Leistung sehen kannst, ohne seine Sprache zu verstehen? Schau dir eine Wand an, die mit gut deckender Farbe gestrichen ist, und du weißt: aha, haben sie gut gemacht, die Chemiker. (Mal abgesehen davon, dass man vieles aus der Chemie auch ohne Formelsprache verstehen kann, beispielsweise wenn ein Molekül als lustiges, buntes Kugelmodell dargestellt wird, was jedes Kind versteht).
Hat Heidegger auch irgendwas geleistet?


Nein, das kann ich nicht unbedingt. Ich vertraue viel eher darauf, dass er weiß, was er tut aufgrund seiner Qualifizierung. In den Naturwissenschaften bin ich da zugegebenermaßen auch weitaus weniger skeptisch als in den Geisteswissenschaften, weil ich weiß, dass letzteres aufgrund des schlechten Rufs sehr viele politisch und/oder religiös motivierte Leute anzieht und Leute wie die Poststrukturalisten da eher die große positive Ausnahme sind.
Einen Vergleich anhand solch einer Leistung zu ziehen, ist da nicht wirklich sinnvoll. Erstens denke ich, dass gut deckende Wandfarbe für die ideologischen Staatsapparate (um einen Althusser’schen Begriff einzuwerfen) weniger eine Bedrohung oder einfach Veränderung bedeutet, als subversives Heidegger’sches Denken und zweitens – und da beziehe ich mich auch auf Hans Alberts „Aufklärung und Steuerung“ – geht es bei der Wissenschaft primär gar nicht darum eine solche Leistung zu erbringen, da die Anwendbarkeit immer erst nachher festgestellt wird (gut, in Bezug auf die staatliche Hochschullandschaft klingt das sehr idealistisch und realitätsfern, aber zumindest wird so wirkliche Wissenschaft gemacht).
Es wäre auch absurd, wenn ich Wissenschaftler, die mit Kernspaltung forschen nach der Atombombe oder den Gefahren der Atomkraftwerke beurteile.
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Re: Martin Heidegger

Beitragvon ganimed » Do 10. Nov 2011, 19:22

Wissenschaftler und ihre Leistungen kann man durchaus bewerten. Das Nobelpreiskomitee versucht das immer mal wieder. Sicher ist die Anwendbarkeit immer erst nach einiger Zeit einzuordnen, aber immerhin.
Wenn die Leistung Heideggers und anderer Philosophen darin besteht, bestimmte Ideologien, Ideen und vielleicht auch politische Gedanken in Umlauf zu bringen, dann ist "Leistung" sicher der falsche Ausdruck, "Wirkung" trifft es vielleicht besser. Was mich halt stört ist die sehr eingeschränkte Falsifizierbarkeit von philosophischen Aussagen. Hat jemand logische Widersprüche produziert, dann ist es noch möglich, das als falsch zu erkennen. Aber die nebulösen Aussagen von Heidegger und Co, welche dann jeweils noch Platz für einen Haufen verschiedener Interpretationen zulassen mögen, wer wollte da entscheiden, ob es denn nun stimmt oder nicht. Ist dann wohl irgendwie Geschmackssache, den einen spricht es an und der andere schüttelt mit dem Kopf und beide haben vermutlich recht.

Ein Wissenschaftler, der großes Ansehen genießt, in wesentlichen Punkten noch kein einziges mal überzeugend widerlegt wurde (obwohl er nach wissenschaftlichen Regeln alles dokumentiert, alles falsifizierbar ist und jedem Tür und Tor geöffnet wäre, ihn zu widerlegen), das finde ich viel beeindruckender als ein alter Philosoph, von dem ich nicht einmal den ersten Halbsatz richtig verstehe.
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