Martin Heidegger
Verfasst:
Di 25. Sep 2007, 19:07
von Peter Janotta
Kennt wer Details zur Philosophie Heideggers? So wie sie sich mir darstellt, scheint Heidegger ein einflussreicher Wissenschaftsfeind zu sein. Oder liege ich da falsch?
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Mi 26. Sep 2007, 11:50
von lorenz
Ich halte H. vor allem für einen Sprachkünstler. Solche Sätze wie
#1 "Die Tat des Tempels ist das Dastehen"
#2 "In der Kehre lichtet sich jäh die Lichtung des Wesens des Seins. Das jähe Sichlichten ist das Blitzen."
#3 "Die Herrschaft des Gestells droht mit der Möglichkeit, dass dem Menschen versagt sein könnte, in ein ursprüngliches Entbergen einzukehren."
müssen einem erst mal einfallen.
(#3 könnte als selektive Wissenschaftsfeindlichkeit ausgelegt werden.)
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Mi 26. Sep 2007, 12:49
von [C]Arrowman
Ich halte H. vor allem für einen Sprachkünstler. Solche Sätze wie [...] müssen einem erst mal einfallen.
nö, muss man nicht, man muss nur Stoibern können
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Mi 26. Sep 2007, 16:45
von dvrvm
Peter Janotta hat geschrieben:Zitat Heidegger:
"Die Wissenschaft bewegt sich nicht in der Dimension der Philosophie. Sie ist aber, ohne dass sie das weiß, auf diese Dimension angewiesen. Zum Beispiel die Physik bewegt sich in der Dimension von Raum, Zeit und Bewegung. Was Raum, was Zeit, was Bewegung ist kann die Wissenschaft als Wissenschaft nicht entscheiden. Die Wissenschaft denkt also nicht, das heißt, sie kann gar nicht denken, mit ihren Methoden."
An sich keine extrem krasse Aussage, eventuell der letzte Satz kann als tendenziös ausgelegt werden. Die Wissenschaft "denkt" tatsächlich nicht im Sinne der Philosophie, die im Prinzip das Denken als Hauptinstrument verwendet; der Wissenschaftler beobachtet in erster Linie und stützt seine Theorie auf Beobachtungen, nicht auf Gedanken. (Dass er
nachdenkt, schliesst natürlich niemand aus.) Die Formulierung im Text ist wohl bewusst zugespitzt, aber kann man einem Philosophen wirklich vorwerfen, dass er Philosophie für wertvoller hält als Wissenschaft?
In Verbindung mit und Vergleich zu seinen anderen sprachlichen "Elitismen" wie den erwähnten
#1 "Die Tat des Tempels ist das Dastehen"
#2 "In der Kehre lichtet sich jäh die Lichtung des Wesens des Seins. Das jähe Sichlichten ist das Blitzen."
#3 "Die Herrschaft des Gestells droht mit der Möglichkeit, dass dem Menschen versagt sein könnte, in ein ursprüngliches Entbergen einzukehren."
denke ich, dass man die pointierte Äusserung zur Wissenschaft nicht überbewerten muss.
(Allerdings kenne ich ihn und sein Werk nicht näher.)
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Mi 26. Sep 2007, 17:37
von Myron
Von ihm stammt ja der berühmte Satz (aus "Was heißt Denken?"):
"Die Wissenschaft denkt nicht."Was hat er sich dabei nur gedacht...?
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Mi 26. Sep 2007, 18:08
von Kival
Myron hat geschrieben:Von ihm stammt ja der berühmte Satz (aus "Was heißt Denken?"):
"Die Wissenschaft denkt nicht."Was hat er sich dabei nur gedacht...?
Der Satz ist doch zutreffend.
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Mi 26. Sep 2007, 18:21
von Myron
Kival hat geschrieben:Myron hat geschrieben:Von ihm stammt ja der berühmte Satz (aus "Was heißt Denken?"):
"Die Wissenschaft denkt nicht."Was hat er sich dabei nur gedacht...?
Der Satz ist doch zutreffend.
Wie singt Juliane Werding so schön:
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst."
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Mi 26. Sep 2007, 18:25
von Kival
Ich dachte eher daran, dass die Wissenschaft tatsächlich nicht denken kann - Wissenschaftler denken, nicht die Wissenschaft.
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Do 27. Sep 2007, 12:11
von lorenz
Kival hat geschrieben:Ich dachte eher daran, dass die Wissenschaft tatsächlich nicht denken kann - Wissenschaftler denken, nicht die Wissenschaft.
Heidi meint wohl schon "die Wissenschaftler". Vermutlich versteht er eben unter "denken" etwas spezielles. Wahrscheinlich seine spezielle Art zu denken. Vermutlich dieses "Tiefgründelnde".
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Do 27. Sep 2007, 12:55
von molosovsky
Vergnüglichen Krimispaß zu Heidegger bietet der Roman »Kein Freibier für Matzbach« von Gisbert Haefs. Ich hab zu einer kleinen Deviation eines Bloggers zu dem Roman verlinkt.
Romanheld Balthasar Matzbach über Heidegger:
Es ist ein Rauschen und Mauscheln, Mischung aus ägyptochinesischer Bilderschrift und unglaubwürdigen nordischen Runen - fantasierendes Gebrabbel in einer Privatsprache. Manche Leute finden das ganz toll, weil sie es nicht verstehen und deshalb meinen, es müßte wahnsinnig schwierig und von tollkühner Bedeutlichkeit sein. Es ist aber einfach Unsinn.
Grüße
Alex / molo
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Do 27. Sep 2007, 13:01
von Myron
lorenz hat geschrieben:Kival hat geschrieben:Ich dachte eher daran, dass die Wissenschaft tatsächlich nicht denken kann - Wissenschaftler denken, nicht die Wissenschaft.
Heidi meint wohl schon "die Wissenschaftler". Vermutlich versteht er eben unter "denken" etwas spezielles. Wahrscheinlich seine spezielle Art zu denken. Vermutlich dieses "Tiefgründelnde".
Er scheint den Wissenschaftlern vorzuwerfen, dass sie nur ans Seiende, aber nichts ans Sein denken.
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Do 27. Sep 2007, 20:41
von Andreas Müller
Also, Heidegger war dermaßen rechts und verwirrt, mit dem getraut sich heute ohnehin keiner mehr zu argumentieren.
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Fr 28. Sep 2007, 10:09
von Peter Janotta
Leider doch! Mein Philoprof vom letzten Semester!
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Fr 28. Sep 2007, 11:52
von Andreas Müller
Dann verwundert mich deine Abneigung gegenüber der Philosophie nicht, wenn du an solche Leute gerätst. Wie schon gesagt gibt es ja noch sinnvolle Philosophie wie naturalistische Sozial- oder Moralphilosophie.
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Fr 28. Sep 2007, 15:37
von Kival
Andreas Müller hat geschrieben:Also, Heidegger war dermaßen rechts und verwirrt, mit dem getraut sich heute ohnehin keiner mehr zu argumentieren.
Warst du schonmal in Freiburg?
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Mo 7. Nov 2011, 20:39
von Teh Asphyx
Auch wenn das hier schon ein wenig her ist, hab ich das dringende Bedürfnis, hier ein wenig Aufklärung in Sachen Heidegger zu betreiben. Anstatt darüber zu spekulieren, ob ein Philosoph, der ziemlich genau auf seine Sprache achtete „Wissenschaftler“ meinen könnte, wenn er „Wisschenschaft“ sagt, kann man auch einfach überprüfen, was er damit meinte, hier zum Beispiel ist das wunderbar erklärt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Seinsverge ... ssenschaftHeidegger wirft niemanden etwas vor, er stellt fest, ohne dabei irgendwen zu be- oder verurteilen, auch ist er kein Wissenschaftsfeind.
Desweiteren ist Heidegger nicht einfach zu begreifen, wenn man nur ein paar Sätze von ihm aus dem Kontext gerissen liest. Er hatte aber auch gute Gründe dafür, sich so auszudrücken, wie er es tat, auch wenn das dem Leser etwas mehr Arbeit kostet.
Wieso sollte aber auch die Philosophie keine Ansprüche an den stellen dürfen, der sich damit befassen möchte? Oder erwartet jemand, dass Sätze aus einer wissenschaftlichen Abhandlung über Molekularbiologie jedem gleich verständlich sind, ohne dass er sich systematisch erstmal die Grundlagen aneignen musste? So braucht auch die Philosophie Heideggers einen systematische Aneignung der Grundlagen, da es gar nicht anders möglich ist, seinen Gedanken sonst zu folgen. Ich glaub fast jeder hier, weiß, wie nervig es ist, wenn sich Leute anmaßen, Dinge beurteilen zu können, von denen sie keine Ahnung haben (wie z.B. Esoteriker, die glauben, dass die Quantenphysik ihren Firlefanz bestätigen würde), das sollte man dann aber auch selbst dann einhalten. Natürlich darf und soll nachgefragt werden, aber diskreditierende Mutmaßungen sind wirklich unangebracht.
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Mo 7. Nov 2011, 23:15
von ganimed
Teh Asphyx hat geschrieben:diskreditierende Mutmaßungen sind wirklich unangebracht
Finde ich nicht. Wenn man selber keine Zeit, keine Mittel, keine Lust oder keine Veranlassung hat, sich tief genug in die Materie einzuarbeiten, dann bleiben einem natürlich nur Mutmaßungen. Egal ob diskreditierend oder zustimmend, fast alle hier im Forum geäußerten Werturteile sind aus dieser Kategorie. Wir alle mutmaßen weitestgehend. Wenn das unangebracht wäre, tja, dann dürfte hier nur noch wertfrei aus Fachliteratur zitiert werden und sonst wäre absolute Stille angesagt.
In dem von dir verlinkten Wikipedia-Absatz heißt es: "Diese Welt, bzw. das Sein im ganzen, kann jedoch die Wissenschaft nicht thematisieren – oder wäre, wenn sie es doch tut, schon Denken, Philosophie."
Das habe ich zuletzt von Religionsvertretern gehört, das Gerücht, dass Wissenschaft dies und jenes nicht thematisieren, gar nicht erfassen, niemals beantworten könnte. Und ich finde jedesmal, dass diese Unterstellungen Unfug sind. Ich habe so langsam den Verdacht, dass da jeweils der scheinbar übermächtigen "Gegner" Wissenschaft diskreditiert und aus dem eigenen kleinen Revier rausgehalten werden soll. Lächerlich und allzu durchschaubar.
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Di 8. Nov 2011, 17:40
von Teh Asphyx
Gut, das war vielleicht auch etwas übertrieben, aber die konkrete Mutmaßung die ich meinte, wo ihm unterstellt wurde, „Wissenschaftler“ und nicht „Wissenschaft“ zu meinen, war schon etwas fehl am Platze.
Die meisten Religionsvertreter wissen ja nicht mal, was Denken oder Philosophie bedeutet. Etwas nicht thematisieren zu können schließt natürlich die Beantwortung aus, natürlich aber auch aus einem bestimmten Grund. Wo man hier wohl mutmaßen muss ist, welchen Begriff von Wissenschaft Heidegger damals hatte. Ich gehe davon aus, dass er damit die allgemein etablierten wissenschaftlichen Disziplinen meinte, vor allem dadurch, dass er sagt: „Man kann nicht mit den Methoden der Physik sagen, was die Physik ist. Sondern was die Physik ist, kann ich nur denken.“ (zitiert nach dem oben genannten Wikipedia-Artikel)
Ich sehe darin keinesfalls eine Befürwortung von Metaphysik oder ähnliches und auch keine Einschränkung darin, dass ein Physiker nicht über die Physik hinausdenken darf oder kann, nur dass es eben in dem Fall keine Physik mehr ist.
Wo es jetzt eben nunmal problematisch wird, ist Heideggers Seinsbegriff nachzuvollziehen. Ich muss gestehen, dass ich da auch noch nicht ganz durchsteige, zumindest aber annehmen kann, dass Heidegger Methode hat und seine Philosophie kein einfacher Obskurantismus ist, er aber dadurch, dass er methodisch die Grenzen der Sprache sprengen musste, schwer zu verstehen ist (anders lässt sich wohl aber auch nicht ausdrücken, was er ausdrücken wollte). Jedenfalls hat er niemals behauptet, dass mit der Wissenschaft etwas falsch sei (okay, mir ist zumindest nichts bekannt) und auch seine Technikkritik bezieht sich weniger auf die Technik selbst als auf das Verhältnis des Menschen zur Technik, was man auch gerne im historischen Kontext sehen darf, denn Heidegger war nicht glücklich darüber, was die Nazis angestellt haben, auch wenn die Frankfurter Schule gerne versucht hat, dieses Bild von ihm durchzusetzen.
Ich denke, man kann aber auch ohne Heidegger ein gutes Leben führen. Ich persönlich finde es interessant und ebenso sinnvoll wie naturalistische Sozial- oder Moralphilosophie.
Wer wirklich wissenschaftsfeindlich und nervig ist, ist die Frankfurter Schule. Da braucht man auch keine Mutmaßungen anstellen, deren Wissenschaftsfeindlichkeit wird öffentlich zur Schau getragen. Aber dazu hat vor allem Hans Albert eigentlich schon ausreichend geschrieben (Karl Popper wollte ja nicht, weil er die ohnehin nicht ernst nehmen konnte – dadurch, dass Popper während des Positivismusstreits in England gelebt hat, hat er wahrscheinlich auch die verheerende Auswirkung auf die 68er in Deutschland nicht so mitbekommen wie Albert, was das ganze auch verständlich macht). Was mich da gerade auch nervt, ist dass die Frankfurter Schule quasi für Deutschland komplett Marx in Beschlag genommen hat und so intelligentere Marxisten aus anderen Ländern wie beispielsweise Louis Althusser hier unterdrückt wurden (Althusser hatte die Idee von einer schrittweisen Annäherung an die von Ideologie befreite Gesellschaft und war der Ansicht, dass gewaltsame Revolutionen nichts bringen – kennt man das nicht irgendwoher?). Aber ich schweife zu sehr ab … obwohl, wenn es darum geht, die Frankfurter Schule zu kritisieren gibt es kein „zu sehr“, weil deren Mist immer noch viel zu oft rezipiert wird.
Re: Martin Heidegger
Verfasst:
Di 8. Nov 2011, 23:50
von ganimed
Teh Asphyx hat geschrieben:Ich sehe darin keinesfalls eine Befürwortung von Metaphysik oder ähnliches und auch keine Einschränkung darin, dass ein Physiker nicht über die Physik hinausdenken darf oder kann, nur dass es eben in dem Fall keine Physik mehr ist.
Also ich weiß nicht, wozu die künstliche Trennung zwischen Physik und "über Physik nachdenken" dienen soll. Ich vermute, damit wollte ein Philosoph nur seine angebliche Daseinsberechtigung verteidigen. In der Praxis sind jedenfalls beide Dinge miteinander verwoben, denn natürlich macht es einen großen Teil der Faszination an der reinen Physik aus, dass man die Welt besser verstehen möchte und die ganz großen Seinsfragen auch im Hinterkopf hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da draußen irgendwo seelenlose Physiker gibt, die wirklich nur reine Physik betreiben und den Rest ihres menschlichen Denkens abstellen, nicht einmal zeitweise.
Teh Asphyx hat geschrieben:zumindest aber annehmen kann, dass Heidegger Methode hat und seine Philosophie kein einfacher Obskurantismus ist, er aber dadurch, dass er methodisch die Grenzen der Sprache sprengen musste, schwer zu verstehen ist
Das mag sein. Aber mir fehlt durch die sehr spezielle Sprache, nicht nur bei Heidegger, der Zugang. Also bleibe ich draußen. Und hier draußen schulde ich diesen Leuten nicht den geringsten Respekt, würde ich sagen. Wenn sie ihre Ideen nicht in meiner Sprache beschreiben können, dann gibt es auch keine Anerkennung von mir. Heidegger und einige andere Philosophen rangieren für mich also durchaus auf der Stufe von wild faselnden Esoterikern. Man kann eben nicht alles gut finden was gut ist.