Ontologische Fragen an unser Weltbild

Re: Ontologische Fragen an unser Weltbild

Beitragvon Peter Janotta » So 13. Jan 2008, 21:47

Twilight hat geschrieben:Nochmal zum Begriff des Ereignisses: Misst man nicht die Zeit anhand von stattfindenden Ereignissen? Wie kann nach dieser Definition die Zeit ein Element eines Ereignisses sein, wie es die von Peter anfangs angesprochene Definition sagt?

Hui, du hast mich erstmal ganz schön durcheinander gebracht. Aber dann ist mir aufgefallen, dass das was wir messen natürlich etwas mit der Zeit zu tun haben muss, wenn wir damit die Zeit bestimmen wollen.

Wichtig bei der Messung der Ereignisse ist, dass die Messung jeweils im selben Bezugssystem stattfindet. Wäre man in einem bewegten Bezugsystem würden sich die Ereignisse durch die spezielle Relativitätstheorie in der Raumzeit verschieben. Zur Messung der Zeit benutzt man übrigens Schwinungen, deren Periode man genau ausrechnen kann.
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Re: Ontologische Fragen an unser Weltbild

Beitragvon ostfriese » So 13. Jan 2008, 21:52

"Ein Gegenstand ist also alles das, wovon jeweils gerade die Rede ist."

Da wären wir jenseits des Naturalismus, denn das Objekt bekäme seine "Objektivität" durch die Benennung. Ob ihm ohne Benennung eine Realität zukommt, bliebe unklar.

Meine Frage war: Gibt es "Objekte" in der Natur? Wenn wir der Ansicht sind, auf diesen Begriff ontologisch nicht verzichten zu können, sollten wir wenigstens einzukreisen versuchen, was wir damit meinen.

Definitionen à la "Objekt ist, was wir so nennen" sind geschenkt.

Sie bringen uns einem Verständnis von "Realität" nicht näher.
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Re: Ontologische Fragen an unser Weltbild

Beitragvon Myron » So 13. Jan 2008, 22:59

ostfriese hat geschrieben:
"Ein Gegenstand ist also alles das, wovon jeweils gerade die Rede ist."

Da wären wir jenseits des Naturalismus, denn das Objekt bekäme seine "Objektivität" durch die Benennung. Ob ihm ohne Benennung eine Realität zukommt, bliebe unklar.


Ob einem von uns begrifflich gefasstem, mit einem Eigennamen oder einer Kennzeichnung bezeichnetem Objekt Realität zukommt, ist eine Frage, die die Naturwissenschaften bekanntlich auf empirischem Wege zu beantworten suchen.

ostfriese hat geschrieben:Meine Frage war: Gibt es "Objekte" in der Natur? Wenn wir der Ansicht sind, auf diesen Begriff ontologisch nicht verzichten zu können, sollten wir wenigstens einzukreisen versuchen, was wir damit meinen.


Was es in der Natur gibt, sind einheitliche Gebilde mit einer naturbestimmten Grenze zu ihrer Umwelt, wie z.B. Himmelskörper.
Diese Grenze ist nicht immer scharf, aber nichtsdestoweniger gibt es wahrnehmbare Diskontinuitäten in der Raumzeit.
(Wo z.B. der Mond aufhört und der ihn umgebende Raum beginnt, lässt sich ziemlich gut erkennen.)

ostfriese hat geschrieben:Definitionen à la "Objekt ist, was wir so nennen" sind geschenkt.


Ein Thema ist in der Tat alles, was wir mit einem Eigennamen oder einer Kennzeichnung bezeichnen.
Zu einem Thema, d.i. zu einem intentionalen Objekt, können wir nach Gutdünken alles Mögliche machen, egal ob es sich dabei um ein einzelnes, natürlich von seiner Umwelt abgegrenztes Objekt handelt oder nicht. Ich kann z.B. meinen Schreibtisch und meinen darauf stehenden Computer zu einem einzigen intentionalen Objekt machen, das ich "Myrons Schreibuter" nenne.
Mein Schreibuter ist dann ein intentionales Objekt, das sich aus zwei voneinander unabhängigen materiellen Objekten zusammensetzt, die kein zusammenhängendes Naturganzes bilden.
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Re: Ontologische Fragen an unser Weltbild

Beitragvon Myron » So 13. Jan 2008, 23:59

ostfriese hat geschrieben:Definitionen à la "Objekt ist, was wir so nennen" sind geschenkt.


Charles Peirce schreibt:

"By an object, I mean anything that we can think, i.e. anything we can talk about."

"Unter einem Objekt verstehe ich alles, worüber wir nachdenken können, d.h. alles, worüber wir sprechen können."
[meine Übers.]

(http://www.helsinki.fi/science/commens/ ... bject.html)

"Was zunächst Gegenstand ist, formgerecht zu definieren, dazu fehlt es an genus wie an differentia; denn alles ist Gegenstand."

(Meinong, Alexius. "Selbstdarstellung." 1921. In Alexius Meinong: Über Gegenstandstheorie + Selbstdarstellung, Hrsg. Josef M. Werle, 53-121. Hamburg: Meiner, 1988. S. 68)

Mit "Gegenstand"/"Objekt" meinen Peirce und Meinong "intentionales Objekt", also das, was ich "Thema" nenne.
Mit "Gegenstand" ist hier "Geistesgegenstand" gemeint. Und zu den Geistesgegenständen zählen sowohl Seinsgegenstände, d.i. Dinge, insbesondere physischer Art, als auch Eigenschaften.
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Re: Ontologische Fragen an unser Weltbild

Beitragvon ostfriese » Mo 14. Jan 2008, 00:13

Myron hat geschrieben:Ob einem von uns begrifflich gefasstem, mit einem Eigennamen oder einer Kennzeichnung bezeichnetem Objekt Realität zukommt, ist eine Frage, die die Naturwissenschaften bekanntlich auf empirischem Wege zu beantworten suchen.

Wobei wir aber davon ausgehen, dass es existiert, sonst wüssten wir nicht, wonach wir eigentlich suchen um festzustellen, ob das Modell mit der realen Struktur (partiell) isomorph ist oder sie nach sonst irgendeiner Maßgabe "korrekt"/ "zutreffend" beschreibt. Was immer Naturalisten als Testerfolg bezeichnen, gründet auf der Annahme, dass die beschriebenen Strukturen/ Objekte real sind.

Da Physiker ja deduktiv vorgehen und z.B. in der theoretischen Physik Teilchen postuliert werden, die man später experimentell findet, hat man offensichtlich eine Vorstellung davon, woran ich bei einer mathematischen Struktur erkenne, dass sie Modell ist für ein "Objekt", in diesem Fall ein Elementarteilchen. Und das meinte ich oben, in Anlehnung an Peter: Objektive Strukturen zeichnen sich durch Symmetrien und Invarianzen aus. Raumzeitliche Lokalität und Abgrenzbarkeit dagegen ist hierfür kein notwendiges Kriterium, entgegen unserer Alltagsvorstellungen.
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Re: Ontologische Fragen an unser Weltbild

Beitragvon Myron » Mo 14. Jan 2008, 00:19

Myron hat geschrieben:Charles Peirce schreibt:
"By an object, I mean anything that we can think, i.e. anything we can talk about."
"Unter einem Objekt verstehe ich alles, worüber wir nachdenken können, d.h. alles, worüber wir sprechen können."
[meine Übers.]
(http://www.helsinki.fi/science/commens/ ... bject.html)


Der Gegenstandsbegriff wird in dreifachem Sinne gebraucht:

1. im (semantischen) Sinne von "Gegenstand des Denkens, Vorstellens und Begehrens", "Geistesgegenstand", "geistiger Zielpunkt" (Wichtig: Gegenstandsein ist nicht gleich (Da-)Sein!)

2.im (ontologischen) Sinne von "Einzelding" ("particulare", im Gegensatz zu "universale". Zum Beispiel unterscheidet Frege scharf zwischen Gegenständen, d.i. Einzeldingen, und Begriffen, d.i. Eigenschaften.)

3. im (physikalischen) Sinne von "Körper", d.i. von "materielles Objekt"
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Re: Ontologische Fragen an unser Weltbild

Beitragvon Myron » Mo 14. Jan 2008, 00:38

ostfriese hat geschrieben:Wobei wir aber davon ausgehen, dass es existiert, sonst wüssten wir nicht, wonach wir eigentlich suchen um festzustellen, ob das Modell mit der realen Struktur (partiell) isomorph ist oder sie nach sonst irgendeiner Maßgabe "korrekt"/ "zutreffend" beschreibt. Was immer Naturalisten als Testerfolg bezeichnen, gründet auf der Annahme, dass die beschriebenen Strukturen/ Objekte real sind.


Wenn ein Objekt begrifflich hinreichend klar bestimmt ist, und uns somit sein Sosein zumindest teilweise bekannt ist, wissen wir ganz genau, was das für ein Ding ist, wonach wir in der Natur suchen.
Meinong hat vom "Prinzip der Unabhängigkeit des Soseins vom (Da-)Sein" gesprochen. Das heißt, wir können wissen, dass, wenn es existiert, ein bestimmtes Ding soundso beschaffen ist, auch wenn wir (noch) nicht wissen, ob es existiert.

ostfriese hat geschrieben:Da Physiker ja deduktiv vorgehen und z.B. in der theoretischen Physik Teilchen postuliert werden, die man später experimentell findet, hat man offensichtlich eine Vorstellung davon, woran ich bei einer mathematischen Struktur erkenne, dass sie Modell ist für ein "Objekt", in diesem Fall ein Elementarteilchen.


Der Physiker muss nicht die Realität dessen voraussetzen, wonach er sucht. Was Voraussetzung ist, ist, dass er sich theoretisch von seinem Suchobjekt einen hinreichend klaren Begriff gemacht hat.
Dann geht es an die entscheidende Frage, ob das hypothetische Objekt real ist oder nicht.
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Re: Ontologische Fragen an unser Weltbild

Beitragvon ostfriese » Mo 14. Jan 2008, 15:45

Myron hat geschrieben:Der Physiker muss nicht die Realität dessen voraussetzen, wonach er sucht. Was Voraussetzung ist, ist, dass er sich theoretisch von seinem Suchobjekt einen hinreichend klaren Begriff gemacht hat.

Aber was heißt das: "einen hinreichend klaren Begriff gemacht"? Nach welchen Kriterien beurteilen wir, ob sich zur Suche nach gewissen postulierten Objekten der Bau eines LHC lohnt, während andere mathematische Strukturen dafür nicht in Frage kommen? (Über das Stadium, dass man einfach einen Begriff in die Runde schmeißt und erwartet, dass Experimentalphysiker danach auf die Pirsch gehen, sind wir ja weit hinaus!)

Offenbar haben Physiker doch recht klare Vorstellungen, welche Strukturen überhaupt Aussicht haben, in der Realität eine (objektive) Entsprechung zu finden. Alles nur Ergebnis von trial and error? Oder gar von formal-ästhetischem Wunschdenken (GUT)?

Ein beachtliches Problem für unsere naive Vorstellung von Realität stellen auch Schwarze Löcher dar. Während wir Sterne, Weiße Zwerge und Neutronensterne als Objekte problemlos hinnehmen können, stoßen wir bei BHs an die Grenzen dieses Begriffs, sobald wir uns "ins Innere" des Ereignishorizonts wagen. Hier werden wir raumzeitlich verschmiert, und je näher wir dem "Zentrum" (Singularität nach der ART) kommen, desto unklarer wird, was "dort" "ist". Die einzigen Eigenschaften, die unserer naiven Objekt-Vorstellung halbwegs entgegenkommen, sind "Äußerlichkeiten": Gravitation und Hawking-Strahlung. Was ist bei der Umwandlung vom Neutronenstern zum Schwarzen Loch mit der "inneren Realität" passiert?

Über welche Vorstellungen von dieser Realität müssen wir bereits verfügen, damit wir Aussicht haben, eine Theorie der Quantengravitation zu finden?

Nach Lisa Randall sind die Physiker heuristisch in zwei Lager gespalten. Während die einen sich mit funkelnden Augen auf jedes neue Ergebnis der experimentellen Hochenergiephysik stürzen, arbeiten sich die Stringtheoretiker daran ab, die Ungereimtheiten ihrer Theorien im mathematischem Wettstreit zu beseitigen. Man darf gespannt sein, wer das Rennen macht. Und ob die Theorie der Quantengravitation wirklich derart vollständig sein wird, dass jede kosmologische Alternative verschwindet.
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