pinkwoolf hat geschrieben:Soll ich Clothilde jetzt fragen, ob sie meine Briefmarkensammlung sehen will, oder hole ich mir damit ein Riesenproblem an den Hals?
Ich meine, die Wissenschaft lässt uns nicht wirklich allein. Biologen sagen dir, wieso du Clothilde im Prinzip ganz gerne Briefmarkensammlungen zeigst. Psychologen geben dir Hilfen an die Hand, abschätzen zu können, wie Clothilde reagieren wird, wenn du sie nie wieder anrufst.
Aber die Wissenschaft bietet natürlich nur sehr allgemeine Hilfestellung und man fühlt sich vielleicht deshalb oft wieder auf sich allein gestellt. Man wird keine Studie darüber finden, wie nett Clothilde zu anderen Männern war. Für andere Schlußfolgerungen müsste man seinen eigenen, genau gemessenen Hormonspiegel, die genaue Gefühlslage von Clothilde und vielleicht auch noch die Größe der Briefmarkensammlung ins Kalkül einbeziehen.
Erst mit diesen und ähnlichen Parametern wird man einige wissenschaftliche Allgemeinaussagen dann auf sich und sein Leben beziehen können. Da ich kein Hormonmessgerät habe und die Gefühlslage von Clothilde nicht genügend exakt ermessen kann, werde ich wohl auch in Zukunft immer große Teile meines Lebens aufs Geratewohl und ohne konkrete Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse 'erleben' müssen.
Aber halb so schlimm. Denn ohne alle Unsicherheit wäre es ja auch irgendwie langweilig. Und beim Zeigen der Briefmarkensammlung möchte man ja eigentlich auch alleine sein, da würde die Wissenschaft nur stören.
Ich stimme also zu: in vielen Lebensbereichen nützen uns wissenschaftliche Erkenntnisse naturgemäß wenig. Aber nicht gar nichts. Deshalb finde ich die Aussage von Wittgenstein überzogen:
"Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind."
Berührt werden sie schon. Im obigen Beispiel geben Biologie, Psychologie und einige andere Disziplinen sicher durchaus verwertbare Auskünfte, die die geschilderte Situation berühren, also damit zu tun haben.
Ich würde der folgenden abgeschwächten Version eher zustimmen: Selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, werden noch nicht alle möglichen individuellen Lebensfragen beantwortet und nicht alle Lebensprobleme gelöst sein.