sapere aude hat geschrieben:Myron, vielen Dank für
diesen Beitrag!
ich danke auch, denn er bestätigt meine Position.
sapere aude hat geschrieben:Epistempologie (cogito) ist von Ontologie (sum) nicht unabhängig. Es sind zwei untrennbare Seiten einer Medaille.
Natürlich. Das an sich Seiende (wie Du gehe ich davon aus, dass es so etwas ‚gibt‘) setzt unserer Epistemologie Grenzen. Aber zu schließen, dass nur das existiert, was wir erforschen können, folgt daraus nicht.
sapere aude hat geschrieben:Im Rahmen unserer Erkenntnisfähigkeit liegen also nur natürliche Dinge.
Eben.
sapere aude hat geschrieben:Da diese die Voraussetzung für unsere Erkenntnisfähigkeit bilden. Und natürlich können wir willkürlich behaupten, dass übernatürliche Dinge existieren. Wir können viele unsinnige Dinge behaupten. Es ging mir natürlich um die fundierte Behauptung. Die glaubwürdige. Die können wir nur über die Existenz natürlicher Dinge machen.
Und hier genau lag mein Punkt. Es ging um Diskursregeln und das, was aus diesen ontologisch folgt. Du bringst nun eine pragmatische Komponente ins Spiel (‚fundierte Behauptung‘). Auch das ist kein Argument dafür, dass sich das Sein nach uns richten sollte.
sapere aude hat geschrieben:El Schwalmo, Dein Punkt ist, dass wir die Nichtexistenz einer nichtexistenten Sache nicht beweisen können und also deren möglicher Existenz deshalb eine gewisse Wahrscheinlichkeit einräumen müssen?
Natürlich nicht. Dein Punkt ist, dass Übernatürliches existieren könnte, nur durch uns zur Zeit nicht wahrnehmbar ist.
Ja .
sapere aude hat geschrieben:Wie Du allerdings selbst bemerkst, ist Übernatürliches nicht mehr übernatürlich, wenn wir es wahrnehmen können.
Stimmt. Aber bevor wir das tun, können wir einfach nichts darüber aussagen.
sapere aude hat geschrieben:Kann also etwas existieren, das durch uns niemals wahrnehmbar sein wird?
Selbstverständlich. Ich wüsste kein Argument, wie man das ausschließen könnte.
sapere aude hat geschrieben:Die Voraussetzung einer seriösen Aussage über Existenz ist deren prinzipielle Wahrnehmbarkeit.
Nun wirst Du schon forschungsethisch (‚seriöse Aussage‘). Es ging aber um ontische Fragen. Das ist ein vollkommen anderer Thread. Immer bedenken: es ging darum, ob aus den Regeln des rationalen Diskurses eine Ontologie folgt. Genauer: ob sich das ‚Sein des Seienden‘ nach unseren Diskursregeln zu richten hat.
sapere aude hat geschrieben:Heißt das, dass wir zumindest die Möglichkeit offenhalten müssen, dass etwas Nichtwahrnehmbares, für das es nicht einmal Indizien gibt, existiert?
Nein. Das müssen wir nicht. Da sich, wenn wir an die Grenzen unseres Begriffe gelangen, ein schwarzes Loch auftut, das jeden Sinn und jede Bedeutung "auffrisst". Die Behauptung, etwas Übernatürliches existiere außerhalb von Raum und Zeit, ist also logisch ein leerer Begriff, da Existenz des Raumes und der Zeit bedarf.
Nun hast Du doch aufs Deutlichste exakt meinen Standpunkt bestätigt: das Sein braucht sich nicht darum zu kümmern, ob es für uns Menschen erkennbar ist.
sapere aude hat geschrieben:Wir können also über Dinge, die unsere Erkenntnisfähigkeit übersteigen, nicht sprechen,
Warum habe ich Wittgenstein zustimmend zitiert?
sapere aude hat geschrieben:da es sich selbstverständlich auch nicht um Dinge handelt, sondern nichts.
Exakt das können wir gar nicht wissen. Das ‚Sein für mich‘ (also das, worüber wir sprechen können) muss doch nicht das ‚Sein an sich‘ vollständig abbilden. Nur das war mein Punkt.
sapere aude hat geschrieben:Das bedeutet, auch die Einräumung einer möglichen Existenz von "Dingen" außerhalb von Raum und Zeit ist unzulässig.
Eben nicht. Bestenfalls im rationalen Diskurs. Dessen Regeln habe ich ja anerkannt. Aber ich bestreite, dass daraus gültige ontische Aussagen über Bereiche, die so nicht fassbar sind, folgen.
sapere aude hat geschrieben:Und indem Du schreibst, wir können eine "Existenz" eines möglichen "übernatürlichen Wesens" nicht ausschließen, räumst Du deren mögliche "Existenz" ein.
Eben. Der Punkt ist aber die Erkennbarkeit.
sapere aude hat geschrieben:Ich bin kein Vertreter des "esse est percipi". Es gibt eine "objektive" Welt, die die Voraussetzung für unsere Wahrnehmungsfähigkeit bildet. Diese ist allerdings prinzipiell wahrnehm- und erkennbar.
Ein Argument dafür habe ich weder in dem Text von Myron noch in irgendeiner Aussage von Dir finden können. Die Frage ist nicht, ob wir die 'objektive Welt' wahrnehmen können (wenn Stegmüller Recht hat, ist 'Erkennnen' eine dreistellige Relation, A erkennt B als C, wir erkennen daher nie B, sondern konstruieren Modelle, C, das scheint mir nicht 'wahrnehmen' zu sein), sondern ob wir sie vollständig wahrnehmen können. Um die Existenz von etwas ausschließen zu können, müsste das der Fall sein. Ich kenne kein Argument dafür, dass wir die 'Welt an sich' vollständig wahrnehmen können.
sapere aude hat geschrieben:Wie z.B. die australischen Trauerschwäne.
Hübsches Beispiel. Was ist ein ‚Schwan‘? Ein Ding? Ein Konstrukt? Bin ich berechtigt, einen schwarzen Schwan ‚Schwan‘ zu nennen? Was macht ein Lebewesen zu einem ‚Schwan‘? Die Frage ist nicht trivial. In der Systematik geht man davon aus, dass Arten ‚real‘ sind. Alle anderen Taxa sind mehr oder weniger willkürlich.
sapere aude hat geschrieben:Ein mögliches "übernatürliches Wesen" ist per definitionem nicht wahrnehm- und deshalb auch nicht erkennbar und deshalb nicht existent.
Entschuldige, aber ‚per definitionem‘ ist doch die weiße Flagge. Was ist eine Definition anderes als ein Begriff? Du implizierst, dass sich das Sein nach unseren Erkenntnismöglichkeiten richtet. Ich sehe das nicht.
sapere aude hat geschrieben:Und Dein KI-Rechner hat berechtigt mit "nein" geantwortet. "Nicht entscheidbar" galt auf Deiner Ebene. Nicht entscheidbar ist aber keine korrekte Entscheidung. Es gibt in dieser Frage für uns kein "nicht entscheidbar", da dies unendliche Möglichkeiten impliziert. Es gibt aber keine mögliche Existenz eines konkreten "übernatürlichen Wesens".
Dann betrachte mal mich als Gott und das Programm als Mensch. In dessen Datenbasis kommt 'Tag' und 'Zeit' nicht vor. Wenn ich dann frage: ‚Ist heute Mittwoch?‘ sagt es ‚Nein‘. Ist das ein Argument dagegen, dass es für mich ‚Mittwoch‘ ‚gibt‘? Darf ich keinen ‚Mittwoch‘ annehmen, weil das Programm das nicht kann? Muss das ‚Sein des Seienden‘ sich danach richten, dass wir Menschen sonst logische oder Definitionsprobleme bekämen? Das scheint mir eine gewaltige Hybris zu sein.
sapere aude hat geschrieben:Wenn Du die Möglichkeit der Existenz eines solchen Wesens genauso ausschließen würdest, wie deren Unmöglichkeit, könnten wir uns einigen, ansonsten:
Sorry, ich sehe keinen Sinn darin, Einigkeit über die Sache zu stellen. Es ging um die Frage, ob wir aufgrund der Regeln des rationalen Diskurses mögliche Existenz ausschließen können. Ich sage nein, Du sagst ja. Begründet hast Du das nicht.
sapere aude hat geschrieben:Nenne mir eine Sache, die weder wahrnehm- noch erkennbar ist und doch existiert!
Wenn ich nun auf Sophistik aus wäre, würde ich sagen ‚Meine Gedanken für Dich‘. Aber das Fass ‚Qualia‘ möchte ich nicht auch noch aufmachen.
So sage ich halt: warum sollte ich Dir so etwas nennen, wenn ich gar nicht behaupte, dass es so etwas gibt? Mein Punkt war: aus den Regeln des rationalen Diskurses lässt sich nicht zeigen, dass es nicht ‚mehr‘ gibt als das, worüber wir sprechen können. Wenn ich Dir nun so etwas zeigen würde, hätte ich mich selbst widerlegt. Muss ich Dir wirklich diesen Gefallen tun?
Einigen könnten wir uns darauf, dass es keinen Sinn macht, von Entitäten auszugehen, die wir nicht fassen können. Das ist dann genau das, was ich schon immer schrieb: es macht Sinn, die Regeln des rationalen Diskurses zu beachten. Aber selbst wenn das die eigene Position gegenüber Menschen, die diese Regeln infrage stellen, schwerer macht: die könnten vielleicht doch Recht haben. Aber das müssen die in einem rationalen Diskurs zeigen, falls sie Anspruch auf Geltung erheben.