Phänomenales Bewusstsein

Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon spacetime » Fr 14. Nov 2008, 14:05

Ich habe mir mal wieder ein paar Gedanken zum Thema ''Qualia'' gemacht.

Meine Thesen:

1. Die Qualia, als Problem, existiert nur in der Subjektivität.

2. Unser Bewusstsein ist das Produkt aller biochemischen und physikalischen Prozesse im Zentralen Nervensystem.

3. Das ''Ich'' existiert physikalisch nicht und kann deshalb nicht nachgewiesen werden.

Das sind die 3 zentralen Punkte, zu denen ich gekommen bin. Fragen bleiben...

Wie kann sich das gesamte Nervensystem zu einem Selbstgefühl zusammenschließen?

Mir ist klar, dass sich meine Thesen widersprechen. Das werden sie auch so lange, bis man das Problem im Labor gelöst hat.


mfg spacetime
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon ganimed » Fr 14. Nov 2008, 19:26

Ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich Philosophen von Qualia reden höre, zum Beispiel letztens in einem Radiogespräch. Da haben offenbar ein paar viel klügere Menschen als ich das Problem, dass sie sich beim besten Willen nicht vorstellen können, wie ihr toller Geist sich wirklich auf neuronale Vorgänge gründen kann.

Wenn man als Philosoph alten Vorstellungen von Geist und Materie verhaftet ist oder vielleicht einfach nur zuviel über diese Vorstellungen gelesen hat, dann kriegt man offensichtlich, trotz aller Intelligenz, die Kurve nicht mehr.

Was sie eigentlich dann sagen sollten: "Dass unser Geist in Wirklichkeit nur das Ergebnis neuronaler Vorgänge ist, kann ich mir nicht vorstellen. Meine Phantasie reicht nicht. Ich habe nicht genügend Vorstellungskraft. Habe eben auch manchmal einfach nur ein Brett vorm Kopf."

Stattdessen sagen die Philosophen: "Was ich mir nicht vorstellen kann, das ist auch nicht. Wir haben vielmehr ein schwieriges, ungelöstes Erklärungsproblem. Ich habe mir auch schon einen tollen Namen ausgedacht dafür: Qualia! Lasst uns nun jahrelang darüber diskutieren!"

Sind schon irgendwie lustig, diese Philosophen. Aber alles darf man ihnen eben auch nicht glauben, was sie so erzählen.
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon Falk » So 16. Nov 2008, 14:35

Ihr tut den Qualia-Verfechtern da aber auch ein bisschen Unrecht. Die Grundfrage in der Philosophie des Geistes ist das "hard problem" (Chalmers), also die Frage, wieso aus neuronalen Vorgängen phänomenales Bewusstsein "entsteht" (hier ein passendes Verb zu finden, ist schon Teil des philosophischen Grundproblems). Das ist etwa die Frage, die spacetime oben formuliert hat. Es geht also nicht darum, das "Entstehen" von Bewusstsein aus neuronalen Prozessen zu verneinen, sondern nur darum zu fragen, wie das vonstatten geht, angesichts des Umstandes, dass es dieselben Prozesse in einer logisch möglichen Welt auch ohne phänomenales Bewusstsein geben könnte.
Qualia sind im Prinzip eine Veranschaulichung dieses "hard problems". Was hat das Quale der Röte mit Hirnvorgängen zu tun? Eine Lösung ist es eben zu sagen, es gibt keine Qualia. Trotzdem sind Qualia eine ganz praktische Veranschaulichung des philosophischen Problems.

Wie kann sich das gesamte Nervensystem zu einem Selbstgefühl zusammenschließen?

Eine Theorie dazu liefert zum Beispiel Thomas Metzinger, der von einem "phänomenalen Selbst-Modell" spricht. Zur Einführung dazu eignet sich diese Review seines Buches und dieser Eintrag in der Scholarpedia.

Den zugrundeliegenden Gedanken bringt Dennett auf den Punkt:
Dennett hat geschrieben:“Since you are nothing beyond the various subagencies and processes in your nervous system that compose you, the following question is always a trap: ‘Exactly when did I (as opposed to various parts of my brain) become informed, aware, conscious, of some event?’
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon folgsam » So 16. Nov 2008, 18:35

Emergenz ist auch hier das Stichwort.
Bewusstsein ist eine qualitativ neue, nicht auf seine materiellen Grundkomponenten zurückführbare Eigenschaft neuronaler Netzwerke.

Dabei bleibt sie vollständig naturalistisch erklärbar. Ähnlich wie ein paar stark heruntergekühlte Eisenatome noch kein Supraleiter sein können, sehr sehr viele jedoch 'plötzlich' supraleitende Eigenschaften aufweisen, verhält es sich mit neuronalen Netzen: Ist ein gewisser Komplexitätsgrad überschritten, 'bildet' sich Bewusstsein als zwangsläufige neue Qualität heraus.
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon spacetime » So 16. Nov 2008, 20:04

folgsam hat geschrieben:Ist ein gewisser Komplexitätsgrad überschritten, 'bildet' sich Bewusstsein als zwangsläufige neue Qualität heraus.

Genau das ist meine Frage: Wie kann sich das Bewusstsein aus dieser Komplexität herausbilden? Was ist der ausschlaggebende Punkt, der zum Ich-Gefühl führte?

Ich glaube es war Steven Pinker, der sagt, das Bewusstsein ist Folge einer Sprachentwicklung beim Menschen. Das kann allerdings nicht die Antwort auf diese Frage sein. Womöglich ist es auch ein quantenphysikalischer Prozess, der noch nicht entdeckt wurde. Man weiß es eben noch nicht und das schafft Platz für die "Seele".
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon ganimed » So 16. Nov 2008, 21:07

Unglaublich viele Nervenzellen schließen sich zu einem Bewusstsein zusammen und das fühlt sich genau so an, wie ich es erlebe (denn zufällig bin ich einer von uns Menschen).

Jetzt stellen die Philosophen doch die Frage: "wieso fühlt sich das denn nun gerade so an und nicht irgendwie anders? Wieso ist "rot" das was es ist, und nichts anderes?"
Aber wieso fragen die das? Was hätten sie denn anderes erwartet? Was wäre denn die Alternative? Wie soll es sich denn sonst anfühlen?

Ich finde diese Qualia-Fragestellung deshalb recht unsinnig. Vielleicht liegt es auch ein wenig daran, weil ich beruflich mit einer fast analogen Situation zu tun habe als Programmierer, im kleinen Maßstab sozusagen. Wenn ich ein Programm in einer Programmiersprache vor mir habe, dann sehe ich eigentlich nur viel Text und einzelne Anweisungen. Später, wenn das Programm ausgeführt wird, wirkt es auf den Anwender, es bekommt fast einen kleinen eigenen Charakter, je nachdem wie die Oberfläche gestaltet ist, wie es und wie schnell es auf Eingaben reagiert, kurz das Look and Feel.
Auch hier könnte ein Philosoph ernsthaft anzweifeln, dass das ausführbare Programm wirklich nur durch den Programmcode beschrieben wird (und die Hardware und das Betriebssystem). Vielleicht könnte er sich einfach nicht vorstellen, dass aus einigen tausend Zeilen Code ein lustiges Knobelspiel wird, dass Kinder zum Lachen bringt, Spaß macht und für viele Stunden zum Spielen motiviert.

Wieso macht das eine Spiel Spaß und das andere nicht? Was macht ein gutes Spiel aus und wie erreicht man das? Das sind natürlich legitime Fragen für Spieledesigner und Programmierer. Aber philosophisch Interessantes kann ich da kaum erkennen. Interessant sind diese Frage, so vermute ich, wirklich nur für die, die sich den Zusammenhang nicht vorstellen können, oder ihn im Grunde bezweifeln wollen.

Die IT-Spezialisten würde beim nachträglichen Analysieren von fertig vorgefundenen Spieleprogrammen viel mehr interessieren, wie genau die einzelnen Elemente in der Darstellung aufgebaut werden, wie das mit dem Input funktioniert und nach welcher Logik das Programm reagiert. Und genau das untersuchen ja beim Gehirn die Neurologen. Bei der Frage, was ein gutes Spiel ausmacht, ist man da noch laaaange nicht. Erstmal muss man viel besser verstehen, wie das Gehirn nun im Detail funktioniert.
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon ganimed » So 16. Nov 2008, 21:16

spacetime hat geschrieben:Womöglich ist es auch ein quantenphysikalischer Prozess, der noch nicht entdeckt wurde.

Deine Vermutung klingt für mich nicht sehr überzeugend. Um im Bild mit dem Spieleprogramm zu bleiben, hört es sich so an wie: "womöglich sind es bisher völlig unentdeckte Quantenphänome auf der Hauptplatine des Rechners, die dem Programm diese Wirkung verleihen. Von den läppischen 80000 Zeilen Programmcode kann es jedenfalls unmöglich kommen."

Der Programmierer kann nur immer wieder versichern: doch, es kommt wirklich aus den läppischen 80000 Zeilen Programmcode. Und der Neurologe wird hoffentlich nicht müde zu versichern, dass es unentdeckter quantenphysikalischer Prozesse im Hirn vermutlich nicht bedarf.

Und genau so klingen für mich auch die Kreationisten, die es unmöglich finden, dass sich derart komplexe Lebewesen von 'selbst' in nur 4 Milliarden Jahren gebildet haben können. Doch, das ging bestimmt von selber, möchte man ihnen entgegnen. Auch hier braucht man nicht wirklich so etwas wie bisher völlig unentdeckte quantenphysikalische Wunderfunken oder Uhrmacher.
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon Myron » So 16. Nov 2008, 21:22

spacetime hat geschrieben:Genau das ist meine Frage: Wie kann sich das Bewusstsein aus dieser Komplexität herausbilden? Was ist der ausschlaggebende Punkt, der zum Ich-Gefühl führte?


Ich empfehle dir folgendes Buch zu dieser Thematik:

* Edelman, Gerald M. Das Licht des Geistes: Wie Bewusstsein entsteht. Reinbek: Rowohlt, 2007.
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon Falk » So 16. Nov 2008, 23:13

folgsam hat geschrieben:Bewusstsein ist eine qualitativ neue, nicht auf seine materiellen Grundkomponenten zurückführbare Eigenschaft neuronaler Netzwerke.

Nur weil du sagst, dass es so ist, muss es nicht so sein. Emergenz ist eine mögliche Erklärung - und wenn du mich fragst nicht mal die beste.

spacetime hat geschrieben:Ich glaube es war Steven Pinker, der sagt, das Bewusstsein ist Folge einer Sprachentwicklung beim Menschen.

Kann mir nicht vorstellen, dass Pinker das so gesagt hat. Es ist offensichtlich Unsinn, da auch Sprachlose Bewusstein haben, seien es Menschen, die taub geboren wurden und keine Gebärdensprache erlernen konnten oder Tiere.

@ganimed
Das mit dem Programm ist eine für Naturalisten naheliegende, aber in einem wichtigen Punkt ungenaue Analogie. Der Unterschied ist, dass wir im Falle des phänomenalen Bewusstseins eine first person perspective haben (-> Qualia), zusätzlich zur third person perspective, die wir auch bei Computerprogrammen und allem anderen haben. Weil es für uns irgendwie ist, Bewusstsein zu haben, nehmen viele (nicht: viele Philosophen - aber: viele Menschen) eine Erklärung wie sie z.B. die Emergenztheorie oder die Selbst-Modell-Theorie vorschlägt, nicht an.
Eine mögliche Antwort darauf ist, die first person perspective als irrelevant für eine mögliche Erklärung zur Seite zu wischen. Eine weitere, die first person perspective als Selbst-Modell zu identifizieren und damit für eine naturalistische Erklärung zugänglich zu machen.
Man sollte aber auf keinen Fall das Problem übersehen!
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon folgsam » Mo 17. Nov 2008, 01:51

Falk hat geschrieben:Nur weil du sagst, dass es so ist, muss es nicht so sein.

Natürlich nicht. Ist ja nur eine Hypothese.

Sehr viel mehr weiß man auch nicht darüber. Emergenzen sind ein ganz neues Forschungsfeld und vorallem in der Biologie sieht man durch den Nebel gerade erst die Küsten (in der Entwicklungsbiologie gibt es Ansätze). Die Physiker sind da schon weiter.

Falk hat geschrieben:Emergenz ist eine mögliche Erklärung - und wenn du mich fragst nicht mal die beste.


Daneben kenn ich nur supernaturalistische 'Erklärungen' oder reduktionistische Ansätze. Die gefallen mir wiederum nicht.

Warum findest du diese besser, oder kennst du andere?
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon Falk » Mo 17. Nov 2008, 03:47

folgsam hat geschrieben:Warum findest du diese besser, oder kennst du andere?

Die oben verlinkte!
Emergentismus schreibt phänomenalem Bewusstsein schon einen ontologischen Status zu, den es mE nicht verdient. Was wir als phänomenales Bewusstsein erleben, hat, denke ich, gar keinen ontologischen Status. Es gibt also nichts, das emergiert.
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon Myron » Mo 17. Nov 2008, 05:52

Falk hat geschrieben:Emergentismus schreibt phänomenalem Bewusstsein schon einen ontologischen Status zu, den es mE nicht verdient. Was wir als phänomenales Bewusstsein erleben, hat, denke ich, gar keinen ontologischen Status. Es gibt also nichts, das emergiert.


Ich denke, es gilt, die Wirklichkeit psychophysischer Ereignisse oder Vorgänge in bestimmten Lebewesen, sprich hochentwickelten Tieren, anzuerkennen, denen es wesentlich ist, dass sie sowohl einen objektiven, neurophysiologischen als auch einen subjektiven (phänomenalen) Aspekt aufweisen, der sich nicht hinwegtheoretisieren, nicht "eliminieren" lässt.
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon Falk » Mo 17. Nov 2008, 13:12

Wie im anderen Thread bemerkt: ich sehe keinen Grund, das zu tun.

Um die first person perspective anerkennen zu können, muss man phänomenalem Bewusstsein keinen ontologischen Status zugestehen.
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Re: Phänomenales Bewusstsein

Beitragvon xander1 » Mo 17. Nov 2008, 13:47

Von den zuerst genannten 3 Punkten widersprechen sich Punkt 2 und Punkt 3.
Auf der einen Seite soll das Bewusstsein durch naturwissenschaftliche Ereignisse vorhanden sein
und auf der anderen Seite soll ein Aspekt des Bewusstseins nicht naturwissenschaftlich erklärt werden können, geschrieben wurde, dass es physikalisch nicht existiere. Das würde bedeuten, dass es Aspekte des Bewusstseins (das Ich) ohne Materie geben könne.

Du könntest genauso fragen warum die Lorenzkraft existiert oder du kannst fragen ob sie existiert,
wenn geklärt wird, warum die Lorenzkraft existiert, bleibt dann wieder die Frage warum die Sachen existieren, die zur Lorenzkraft führen.
Wie die Lorenzkraft eine Ursache, Vermittlung und Wirkung hat (rechte Hand Regel),
so denke ich auch, dass es so ein Verhälltnis gibt zum Ich.
Eine Kombination von physikalischen Größen und von physikalischer Struktur, Algorihtmen usw. führen zu einem Bewusstsein und zu einem Ich-Gefühl denke ich.
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