Die Lehre des Materialismus

Ich bin zufällig auf ein altes Buch gestoßen, worin die Lehren des Christentums den Lehren des Materialismus direkt gegenübergestellt werden, was sehr hilfreich ist:
Löffler, Karl. Christentum und Materialismus, Geist und Stoff: Eine Darstellung der Naturforschung und des Kulturlebens in ihren neuesten Ergebnissen. 3. Aufl. Leipzig, 1866.
(Download bei GoogleBooks (pdf): http://tinyurl.com/6qwb39)
Der Autor wendet sich vor allem gegen die Hauptvertreter des Materialismus im deutschen "Materialismus-Streit" in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die heutzutage leider kaum noch bekannt sind:
* Jakob Moleschott: "Kreislauf des Lebens" (GoogleBooks: http://tinyurl.com/6cqf5n)
* Ludwig Büchner (Bruder des Schriftstellers Georg Büchner: "Dantons Tod"): "Kraft und Stoff" (GoogleBooks: http://tinyurl.com/5jz7mg)
* Carl Vogt: "Köhlerglaube und Wissenschaft" (GoogleBooks: http://tinyurl.com/65usqo)
* Heinrich Czolbe: "Neue Darstellung des Sensualismus" (GoogleBooks: http://tinyurl.com/6kyqq8)
Hier ein Auszug aus Löfflers Buch, den Materialismus betreffend:
"LEHRE DES MATERIALISMUS:
"Es existiert wirklich nichts als der sinnliche Stoff. Das Weltall ist eine zufällige Zusammenwirkung einer unendlichen Menge von ewigen Atomen, welche sich bewusst- und willenlos nach ihrer Naturnotwendigkeit bewegen.
'Die Erscheinungsweisen der Dinge sind nichts weiter als Produkte der verschiedenen und mannigfaltigen, zufälligen und notwendigen Kombinationen stofflicher Bewegungen untereinander' (Büchner, Kraft und Stoff). Die Materie ist unerschaffbar, wie sie unzerstörbar ist (Vogt). Die anscheinende Zweckmäßigkeit der Natur ist nichts anderes als die notwendige Folge des Begegnens natürlicher Stoffe und Kräfte. Es hängt von einem Zufall ab, ob die Naturwesen ihr Dasein erreichen oder nicht. Der Einheits- und Zweckmäßigkeitsbegriff ist eine abstrakte, in die Natur hineingetragene Einbildung. Es herrscht der Zufall, welcher Elend und Freude schafft (Vogt). Die Bewegung der grundstofflichen Verbindung und Trennung, Aufnahme und Ausscheidung: das ist der Inbegriff aller Tätigkeiten auf Erden (Moleschotts 'Kreislauf').
Die Materie allein ist göttlich, ewig, unendlich, unerschaffen und unvernichtbar—der Urquell alles Seins—; sie ist alles in allem: Anfang, Ende, Schöpfer und Geschaffenes des bewusstlosen Alls. Natur, Welt, Geist, Gott liegen handgreiflich vor uns in Kraft und Stoff.—Einen Weltenschöpfer gibt es nicht, da er weder vor noch nach dem Schöpfungsakt, noch auch momentan existierend gedacht werden kann.—Die Welt ist nicht erschaffen, sondern in ihren Urstoffen anfangslos. Die Natur hat alles aus sich selbst hervorgebracht (Büchner).—Rein nur durch physikalische und chemische Kräfte, ohne organische Substanz, ohne bewussten Schöpfer, ja ohne irgendeine leitende Idee entstand das Weltall (Vogt). Unser ganzes Leben, das Leben sämtlicher Organismen, das ganze tellurische und kosmische Leben, ist auf den Grundsatz gebaut, dass die Materie ewig dieselbe bleibt, ihre Form aber wechselt (Vogt). Das Weltall ist nicht geschaffen, sondern im Verlauf undenkbarer Äonen durch Selbstentwicklung der ewigen, bewusstlosen Stoffatome, teils zufällig, teils durch die ewige Naturnotwendigkeit entstanden. Die schaffende Allmacht ist die Verwandtschaft des Stoffs (Moleschott). Dagegen behauptet Czolbe: 'Das ganze Weltall ist ewig nach Stoff, Form und Bewegung. Es kann wesentlich nichts entstehen und nichts untergehen. Die mechanische Weltordnung ist ewig und unveränderlich.'
Die Natur kennt weder Absichten noch Zwecke. Unser reflektierender Verstand ist die einzige Ursache der scheinbaren Zweckmäßigkeit, welche weiter nichts ist als die notwendige Folge des Begegnens natürlicher Stoffe und Kräfte (Büchner).—Der Naturlauf ist nur das Spiel und Walten natürlicher Kräfte. Die Unabänderlichkeit der Naturgesetze ist ganz unabhängig von einer höheren Vernunft, bald anscheinend zweckmäßig, dann aber gänzlich blind und ein Widerspruch mit allen Gesetzen der Moral und Vernunft (Moleschott). Die Naturgesetze sind rohe, unbeugsame Gewalten, welche weder Moral noch Gemütlichkeit kennen (Vogt). Der Stoff baut die Welt durch die Wechselwirkung seiner Atome plan- und absichtslos. Alles, was ist und wird, ist nichts anderes als selbsttätige Bewegung des Stoffes. Das natürliche Wunder des Kreislaufs liegt in der Ewigkeit des Stoffes. Es gibt keine göttliche Weltregierung (Moleschott).
Es existiert kein Gott. Aller Gottesglaube ist nichts anderes als ein Erzeugnis der menschlichen Einbildung.—'Was man Gott nennt, ist die Selbstobjektivierung und Selbstidealisierung des Menschen, d.i. der sich selbst anschauende Mensch. Der außer- und übermenschliche Gott ist nichts als das außer- und übermenschliche Selbst—das seinen Schranken entrückte, über sein objektives Wesen gestellte subjektive Wesen des Menschen'—eine leere Einbildung (Feuerbach). Die höchste Idee ist der Kreislauf des Lebens, das ist das ewige Kreisen des Stoffes durch die verschiedenen Gestalten der Natur, von der Erde bis herauf zum Menschen und wieder zur Erde zurück (Moleschott, Kreislauf). Jedes Atom trägt den Urgrund seines Schaffens, seiner Kraft und Bewegung von Ewigkeit her in sich selbst. Die Bewegung des Stoffes folgt allein den Gesetzen, welche in ihm selber tätig sind, und die Erscheinungsweisen der Dinge sind nichts weiter als Produkte der verschiedenen zufälligen oder notwendigen Kombinationen stofflicher Bewegungen untereinander (Büchner). Der heilige Geist ist unsere Vernunft, unser Verstand (Büchner nach Thomas Münzer).
(...) Der Mensch ist nach seinem körperlichen, wie nach seinem geistigen Wesen, ein rein chemisches Produkt der Materie (Büchner, Kraft und Stoff). Sein Wesen ist die Summe der Zusammenwirkung der Atome seines Leibes mit der Außenwelt—ein reines Erzeugnis des körperlichen Stoffwechsels, der sich planlos von selbst in Anregung setzt und stetig bis zur Auflösung bewegt. Unsinn ist es zu glauben, dass eine höhere Macht dem Fötus Seele und Geist einbläst (Büchner). Der Bergmann, der einst nach phosphorsaurem Kalk gräbt, sucht mehr als Gold; er gräbt nach Weizen, nach Menschen. Er hebt den Schatz des Geistes (denn ohne Phosphor kein Gedanke), den der Bauer in Umlauf setzt, dem Rad der Zeitläufe keine echte Triebkraft erteilend (Moleschott, Kreislauf). Der Geist ist nichts als die Tätigkeit des Hirns. Das sinnliche Dasein des Menschen ist sein alleiniges Leben. Was der Mensch isst, das ist er. Wo kein Fleisch ist, da ist kein Geist.—Der Geist ist ein ideelles Produkt, ohne jede reale Basis, eine Kraftwirkung einer gewissen Kombination materieller Stoffe, ähnlich wie das Fortrücken eines Stundenzeigers an einem mechanischen Uhrwerk (Büchner). Die Seele ist eine zeitweilige Eigenschaft des Hirns, ein Ergebnis seiner Entwicklung; sie hat keine selbstständige Existenz. Die Denktätigkeit ist abhängig von der Zusammenwürfelung der Hirnsubstanz; der Gedanke eine Bewegung, Umsetzung, Absonderung des Hirnstoffs, ähnlich wie die Bewegung eines Muskels und die Absonderung einer Drüse. Alles Denken, Wollen und Tun des Menschen ist nichts anderes als das Ergebnis der physischen Grundlage der jeweiligen Ernährung und Umsetzung der Hirnsubstanz (Vogt).—Die Seelentätigkeit ist ein Produkt einer eigentümlichen Zusammensetzung der Materie—ein Effekt vieler Stoffe, der zur Einheit erwachsene Komplex vieler Kräfte (Büchner). Der Leib ist ein Ergebnis der chemischen und physikalischen Zusammenwirkung zufällig verbundener Stoffatome. Er ist zwar ein mit den feinsten Organen ausgerüstetes Ganzes, welches man sich nicht vollkommener in seiner Art denken kann(!), aber diese Zweckmäßigkeit ist durch Zufall entstanden (Büchner). Weil die Stoffe in dieser bestimmten Form des Hirns zusammengewürfelt sind, müssen sie notwendig denken, ebenso wie die schwingende Saite notwendig tönt. Summa: Wie alles Wirkliche, so ist auch der Mensch seinem Wesen nach nichts anderes als eine von den Naturstoffen zufällig erzeugte empfindende, vorstellende, denkende Maschine. Der Gegensatz von Geist und Natur existiert bloß in der Einbildung. Die Geisteskräfte sind ewige Eigenschaften des Stoffes; sämtliche Geistestätigkeiten sind nichts anderes als Hirntätigkeiten. Die verwickelte organische Komplikation kraftgebender Stoffe im Tierleib ist eine Gesamtsumme von Wirkungen, welche zu einer Einheit verbunden, von uns Geist, Seele, Gedanke genannt wird. 'Der Mensch ist nichts weiter als ein aus den verschiedenartigsten Atomen in künstlicher Form mechanisch zusammengefügtes Mosaikbild.' (Czolbe).
Wie die ganze Welt, so hat auch der Mensch in Wirklichkeit keinen Zweck des Daseins in sich selbst.—Weder in den ewigen Atomen noch in der Notwendigkeit, noch im Zufall liegt eine Zweckvorstellung. Es liegt vielmehr in der Natur alles Entstehenden, dass es mit Notwendigkeit wieder zugrunde gehe. Die Wanderungen und Wandlungen, welche der Stoff im Sein des Alls durchläuft, sind ohne Ziel und Ende. Auflösung und Zeugung, Zerfall und Neugestaltung reichen sich allerorten in einer ewigen Kette die Hand. In dem Brot, das wir essen, in der Luft, die wir atmen, ziehen wir den Stoff an uns, der die Leiber unserer Vorfahren vor tausend und tausend Jahren gebildet hat. Diese Wandlung der Grundstoffe, deren Menge und Qualität an sich stets dieselbe und für alle Zeiten unveränderlich bleibt, das ist das Leben der Welt. Ob die Menschheit wieder zurücksinken wird in ihr Nichts, wer mag das wissen? (Büchner) Der Mensch ist ein verschwindendes Erzeugnis im Kreislauf des Lebens. Er ist die Summe aller stofflichen Zusammenwirkungen, die seinen Leib erzeugen. Sein Wille ist eine notwendige Folge dieser Ursachen, gebunden an das Naturgesetz wie die Pflanze an ihren Boden. Sein Bewusstsein ist nichts als eine Eigenschaft des Stoffes; es besteht aus den stofflichen Bewegungen, die im Gehirn als Empfindung wahrgenommen werden. Das Bewusstsein der Mitgliedschaft im ewigen Kreislauf der Natur ist die höchst, beglückendste Weisheit, zu welcher sich der Mensch erheben kann. Je klarer wir uns bewusst sind, dass wir durch richtige Paarung von Kohlensäure, Ammoniak und Salzen von Dammsäure und Wasser an der höchsten Entwicklung der Menschen arbeiten, desto mehr wird auch das Ringen und Schaffen veredelt, mit dem wir das Rollen der Elemente auf dem kürzesten Wege innerhalb des Kreislaufs zu bannen suchen (Moleschott, Kreislauf des Lebens).
(...) Zwischen dem Menschen und dem Tier besteht kein wesentlicher Unterschied. Der Mensch ist nur ein glücklich organisiertes Tier.
(...) Das geistige Leben des Individuums wird mit dem Tode des Leibes absolut, vollständig und für ewig vernichtet. Der Geist ist nichts, sobald sich der Leib in seine Atome auflöst. Die Materie ist allein ewig. Der Mensch stirbt mit Auflösung seines leiblichen Substrates absolut auf Nimmerwiederkehr. Der leibliche Tod ist Vernichtung seines ganzen Wesens und Lebens. Die Idee des ewigen Lebens, der Gedanke des Nichtsterbenkönnens ist der abschreckendste, den die Phantasie ersinnen konnte, unendlich abschreckender und das innerste Gefühl unendlich mehr abstoßend als der Gedanke an eine ewige Vernichtung (Büchner). Der einzelne Mensch ist ein verschwimmender, wenn auch notwendiger Teil des Ganze, der sich wieder in das Ganze auflösen muss; das ist die erhabene Schöpfung, die nichts veralten, nichts vermodern lässt, dass Luft und Pflanzen, Tiere und Menschen sich überall die Hände reichen, sich immerwährend reinigen, verjüngen, entwickeln, veredeln, dass jedes Einzelwesen nur der Gattung zum Opfer fällt; dass der Tod nichts ist als die Unsterblichkeit des Kreislaufs (Moleschott). Eine selbstständige Existenz und eine individuelle Unsterblichkeit der Seele gibt es nicht. Die Seele ist ein Produkt der Entwicklung des Gehirns, wie die Muskeltätigkeit ein Produkt der Muskelentwicklung, die Absonderung ein Produkt der Drüsenentwicklung ist.—Die Seele ist kein materielles, vom Körper trennbares Prinzip, sondern nur ein Kollektivname für verschiedene Funktionen, die dem Zentralnervensystem, dem Hirn, ausschließlich zukommen. Stirbt der Körper, so hat damit auch die Seele ein vollständiges Ende (Vogt). Mirabeau sagte auf seinem Sterbebett: 'Ich gehe in das Nichts!'—Danton, als man ihm vor dem Revolutionstribunal nach Stand und Wohnung fragte, rief aus: 'Meine Wohnung wird bald das Nichts sein.'"
"SUMMA DES MATERIALISTISCHEN DOGMAS:
Fassen wir die Glaubenslehren, welche der neueste Materialismus für das 'Ergebnis aller Wissenschaftsforschung', als die Summe aller Weisheit ausgibt, in gedrängter Kürze und Übersichtlichkeit zusammen, so kann man sich in der Tat des Staunens kaum enthalten, dass Vernunftwesen in solche Widersprüche mit Gott, Welt und der gesunden Vernunft verfallen können.
Die Heroen des Materialismus bekennen sich allen Ernstes zu dem Glauben an die Schöpferkraft der uranfänglich blinden Materie, zu dem vernunftlosen Mechanismus des Weltalls, und verkünden dieses ihr Glaubensbekenntnis mit einer Dreistigkeit, als hätten sie den Stein der Weisen endlich entdeckt, ja hie und da mit einem Fanatismus, der die Miene der Märtyrer annimmt. Es gibt für den Materialisten nur körperliche Substanzen; die Materie ist ihm alles in allem. Er leugnet unbedingt alles Übersinnliche im Gebiet der menschlichen Erkenntnis (Büchner), jede leitende Idee in der Schöpfung der Welt (Vogt), ja selbst den Sinn für die Wahrnehmung des Geistigen—die Vernunft (Moleschott). Der Mensch ist die Summe seiner leiblichen Sinne; er weiß nichts, als was durch das Tor seiner Sinne eingeht. Was nicht sinnlich wahrnehmbar ist, das ist nicht vorhanden. Auf diese Grundvoraussetzungen stützen sich alle Lehren, Schlüsse und Folgerungen der materialistischen Anschauung. 'Stoff und Kraft, Stoffkombination, Stoffwechsel, Kreislauf, Zufall, Notwendigkeit': das sind die 'Marmorsäulen der Wahrheit', das sind die stummen und blinden Götzen, die man anstaunt. In diese dürren Begriffskästen muss die ganze unendlich reiche Lebensfülle des Weltalls hineinpassen; das sind die einzigen Faktoren alles physischen und geistigen Lebens, aller Kunst, Wissenschaft, Religion und Sittlichkeit!
'Es gibt keinen persönlichen lebendigen Gott!' Statt dieser einen ewigen, vernünftigen Wesensursache des Alls glaubt der Materialist an Myriaden Götzen, an zahllose, vernunftlose, an sich selbst tote Automaten, die er Atome nennt, die durch ihre teils zufällige, teil notwendige Kombination alles Leben schaffen; die aus der Vielheit die Einheit erzeugen sollen, aus dem Zufall die Zweckmäßigkeit, aus der Unvernunft die Vernunft, aus der Materie den Geist, aus dem geistigen Nichts das geistige Etwas, aus dem sinnlichem Stoff den Sinn, aus der Bewusstlosigkeit das Denken, aus dem Chaos der Unordnung den mathematischen Verstand, der die Sternensysteme ordnet, aus dem Hirnstoff den Geist, der sie berechnet—kurz aus dem Tod das Leben!—Überall, wo die Tatsachen des geistigen Lebens durchaus nicht wegzuleugnen sind, schreibt der Materialist den Atomen der Materie, trotzdem, dass er 'nichts weiß, als was durch das Tor der Sinne eingeht', geistige, göttliche Eigenschaften zu: Ewigkeit, Unendlichkeit, Schöpferkraft, welche nicht bloß die Formen der Weltdinge, sondern sogar das Denken, die Vernunft, das Selbstbewusstsein, den Willen erzeugt. (Als ob die Idee der Ewigkeit und Absolutheit auch durch das Tor der leiblichen Sinne eingehen könnte!)—So kommt ihm das Göttliche, welches er zur Vordertür hinausjagt, zur Hintertür doch immer wieder herein, freilich nur ein Zerrbild statt des Urbildes.
Herr Büchner, der z.B. in der 3. Aufl. von Kraft und Stoff im Vergleich zur ersten schon bedeutend bescheidener auftritt, indem er überall dem Unsinn der ersten Auflage die Spitze abzubrechen sucht, will zwar 'das Dasein der Idee' nicht mehr leugnen und gibt zu, dass sie ihrem Wesen nach 'immateriell' sei; gleichwohl aber soll sie einzig und allein aus der Materie entspringen. Er schließt vom Naturprozess 'selbstverständlich jedes schaffende, bildende Prinzip' aus. 'Die organischen Gattungstypen sind ein teils zufälliges, teils notwendiges Produkt aus der allmählichen, langsamen, unbewussten Arbeit der Natur selber.' Deutlicher kann es doch nicht gesagt werden, dass aus der Bewusstlosigkeit, aus dem Tod das Leben entstehe.—
'Die Natur mit ihren physikalischen, mechanischen und chemischen Kräften, ist Bildnerin des Organismus. Die Lebensorganismen sind nichts anderes als komplizierte Maschinen. Das Atmen ist eine Kohlenverbrennung, das Verdauen eine Gärung, die Empfindung ein elektrisches Spiel der Nervenfasern.'
Nach Myriaden vergeblicher Versuche, nach undenklichen Äonen, soll aus unendlich vielen Möglichkeiten, aus der unendlichen Masse der ewigen Stoffatome endlich durch einen glücklichen Zufall die jetzige Weltform als eine unter den unendlich vielen Möglichkeiten entstanden sein! Sie ist ein einheitlicher, in seinen feinsten Teilen ineinander greifender Mechanismus—ein Perpetuum mobile einziger Art, ein 'Meisterwerk des schöpferischen Gedankens', zusammengesetzt aus unendlich vielen, an sich bewusstlosen Atomen, die keine Spur von Zweckvorstellung haben, die aber gleichwohl die jetzige Weltordnung in ihrer äußersten mathematischen Genauigkeit, teils zufällig, teils notwendig erzeugten!—Was die Annahme eines solchen Schöpfungswunders der Materie für Anspruch auf Wissenschaftlichkeit habe, das wird sich deutlich aus den folgenden Abschnitten ergeben.
Der Materialismus spricht dem Menschen gerade das ab, was die Blüte seines geistigen Lebens bedingt, und stellt ihn wesentlich auf die Stufe der Tierheit. Die Wesenhaftigkeit, Gottesverwandtschaft und Persönlichkeit des Menschengeistes ist ihm ein leerer Wahn; der Sinn für das Göttliche, für die sittliche Weltordnung, das Abhängigkeitsgefühl vom höchsten Wesen, die Freiheit in Gott, ist Selbsttäuschung. Das Selbstbewusstsein, der Wille, wie alles Denken, ist Erzeugnis des Hirnstoffes. Die Materie mittels des phosphorsauren Hirnfettes sondert nach Vogt Gedanken, Begriffe, Willenstätigkeiten ab wie die Tiere den Urin. Ohne Phosphor gibt es nach Moleschott keinen Gedanken. Der Mensch ist ein Naturerzeugnis, eine Potenzierung des Affengeschlechts, eine denkende Maschine, die für ewig zu wirken aufhört, sobald die Teile des stofflichen Lebens auseinanderfallen. Obgleich nach Büchner zur Begründung der materialistischen Hypothese vieles erst noch zu entdecken ist, so steht immerhin für den erleuchteten Stoffgläubigen so viel als 'Wissenschaftsergebnis' fest, dass das Walten des einen lebendigen Gottes, des Schöpfers, Regierers und Gesetzgebers des Weltalls, unter die abgeschmackten Märchen gehöre, dass das Triebwerk des Weltalls ganz von selbst, ganz von ungefähr, ohne Vernunft, ohne Plan, Zweck und Ziel entstanden (oder nach Czolbe, gar nie entstanden) sei, dass das Wesen des persönlichen Ich nur auf einer glücklichen Kombination des Hirnstoffs beruhe und mit dem Tode für immer vernichtet werde, dass die sittliche Freiheit und Verantwortlichkeit nur noch als irrtum beschränkter Köpfe gelten können.—Das ist das Entwicklungsstadium des neuesten Materialismus."
Löffler, Karl. Christentum und Materialismus, Geist und Stoff: Eine Darstellung der Naturforschung und des Kulturlebens in ihren neuesten Ergebnissen. 3. Aufl. Leipzig, 1866.
(Download bei GoogleBooks (pdf): http://tinyurl.com/6qwb39)
Der Autor wendet sich vor allem gegen die Hauptvertreter des Materialismus im deutschen "Materialismus-Streit" in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die heutzutage leider kaum noch bekannt sind:
* Jakob Moleschott: "Kreislauf des Lebens" (GoogleBooks: http://tinyurl.com/6cqf5n)
* Ludwig Büchner (Bruder des Schriftstellers Georg Büchner: "Dantons Tod"): "Kraft und Stoff" (GoogleBooks: http://tinyurl.com/5jz7mg)
* Carl Vogt: "Köhlerglaube und Wissenschaft" (GoogleBooks: http://tinyurl.com/65usqo)
* Heinrich Czolbe: "Neue Darstellung des Sensualismus" (GoogleBooks: http://tinyurl.com/6kyqq8)
Hier ein Auszug aus Löfflers Buch, den Materialismus betreffend:
"LEHRE DES MATERIALISMUS:
"Es existiert wirklich nichts als der sinnliche Stoff. Das Weltall ist eine zufällige Zusammenwirkung einer unendlichen Menge von ewigen Atomen, welche sich bewusst- und willenlos nach ihrer Naturnotwendigkeit bewegen.
'Die Erscheinungsweisen der Dinge sind nichts weiter als Produkte der verschiedenen und mannigfaltigen, zufälligen und notwendigen Kombinationen stofflicher Bewegungen untereinander' (Büchner, Kraft und Stoff). Die Materie ist unerschaffbar, wie sie unzerstörbar ist (Vogt). Die anscheinende Zweckmäßigkeit der Natur ist nichts anderes als die notwendige Folge des Begegnens natürlicher Stoffe und Kräfte. Es hängt von einem Zufall ab, ob die Naturwesen ihr Dasein erreichen oder nicht. Der Einheits- und Zweckmäßigkeitsbegriff ist eine abstrakte, in die Natur hineingetragene Einbildung. Es herrscht der Zufall, welcher Elend und Freude schafft (Vogt). Die Bewegung der grundstofflichen Verbindung und Trennung, Aufnahme und Ausscheidung: das ist der Inbegriff aller Tätigkeiten auf Erden (Moleschotts 'Kreislauf').
Die Materie allein ist göttlich, ewig, unendlich, unerschaffen und unvernichtbar—der Urquell alles Seins—; sie ist alles in allem: Anfang, Ende, Schöpfer und Geschaffenes des bewusstlosen Alls. Natur, Welt, Geist, Gott liegen handgreiflich vor uns in Kraft und Stoff.—Einen Weltenschöpfer gibt es nicht, da er weder vor noch nach dem Schöpfungsakt, noch auch momentan existierend gedacht werden kann.—Die Welt ist nicht erschaffen, sondern in ihren Urstoffen anfangslos. Die Natur hat alles aus sich selbst hervorgebracht (Büchner).—Rein nur durch physikalische und chemische Kräfte, ohne organische Substanz, ohne bewussten Schöpfer, ja ohne irgendeine leitende Idee entstand das Weltall (Vogt). Unser ganzes Leben, das Leben sämtlicher Organismen, das ganze tellurische und kosmische Leben, ist auf den Grundsatz gebaut, dass die Materie ewig dieselbe bleibt, ihre Form aber wechselt (Vogt). Das Weltall ist nicht geschaffen, sondern im Verlauf undenkbarer Äonen durch Selbstentwicklung der ewigen, bewusstlosen Stoffatome, teils zufällig, teils durch die ewige Naturnotwendigkeit entstanden. Die schaffende Allmacht ist die Verwandtschaft des Stoffs (Moleschott). Dagegen behauptet Czolbe: 'Das ganze Weltall ist ewig nach Stoff, Form und Bewegung. Es kann wesentlich nichts entstehen und nichts untergehen. Die mechanische Weltordnung ist ewig und unveränderlich.'
Die Natur kennt weder Absichten noch Zwecke. Unser reflektierender Verstand ist die einzige Ursache der scheinbaren Zweckmäßigkeit, welche weiter nichts ist als die notwendige Folge des Begegnens natürlicher Stoffe und Kräfte (Büchner).—Der Naturlauf ist nur das Spiel und Walten natürlicher Kräfte. Die Unabänderlichkeit der Naturgesetze ist ganz unabhängig von einer höheren Vernunft, bald anscheinend zweckmäßig, dann aber gänzlich blind und ein Widerspruch mit allen Gesetzen der Moral und Vernunft (Moleschott). Die Naturgesetze sind rohe, unbeugsame Gewalten, welche weder Moral noch Gemütlichkeit kennen (Vogt). Der Stoff baut die Welt durch die Wechselwirkung seiner Atome plan- und absichtslos. Alles, was ist und wird, ist nichts anderes als selbsttätige Bewegung des Stoffes. Das natürliche Wunder des Kreislaufs liegt in der Ewigkeit des Stoffes. Es gibt keine göttliche Weltregierung (Moleschott).
Es existiert kein Gott. Aller Gottesglaube ist nichts anderes als ein Erzeugnis der menschlichen Einbildung.—'Was man Gott nennt, ist die Selbstobjektivierung und Selbstidealisierung des Menschen, d.i. der sich selbst anschauende Mensch. Der außer- und übermenschliche Gott ist nichts als das außer- und übermenschliche Selbst—das seinen Schranken entrückte, über sein objektives Wesen gestellte subjektive Wesen des Menschen'—eine leere Einbildung (Feuerbach). Die höchste Idee ist der Kreislauf des Lebens, das ist das ewige Kreisen des Stoffes durch die verschiedenen Gestalten der Natur, von der Erde bis herauf zum Menschen und wieder zur Erde zurück (Moleschott, Kreislauf). Jedes Atom trägt den Urgrund seines Schaffens, seiner Kraft und Bewegung von Ewigkeit her in sich selbst. Die Bewegung des Stoffes folgt allein den Gesetzen, welche in ihm selber tätig sind, und die Erscheinungsweisen der Dinge sind nichts weiter als Produkte der verschiedenen zufälligen oder notwendigen Kombinationen stofflicher Bewegungen untereinander (Büchner). Der heilige Geist ist unsere Vernunft, unser Verstand (Büchner nach Thomas Münzer).
(...) Der Mensch ist nach seinem körperlichen, wie nach seinem geistigen Wesen, ein rein chemisches Produkt der Materie (Büchner, Kraft und Stoff). Sein Wesen ist die Summe der Zusammenwirkung der Atome seines Leibes mit der Außenwelt—ein reines Erzeugnis des körperlichen Stoffwechsels, der sich planlos von selbst in Anregung setzt und stetig bis zur Auflösung bewegt. Unsinn ist es zu glauben, dass eine höhere Macht dem Fötus Seele und Geist einbläst (Büchner). Der Bergmann, der einst nach phosphorsaurem Kalk gräbt, sucht mehr als Gold; er gräbt nach Weizen, nach Menschen. Er hebt den Schatz des Geistes (denn ohne Phosphor kein Gedanke), den der Bauer in Umlauf setzt, dem Rad der Zeitläufe keine echte Triebkraft erteilend (Moleschott, Kreislauf). Der Geist ist nichts als die Tätigkeit des Hirns. Das sinnliche Dasein des Menschen ist sein alleiniges Leben. Was der Mensch isst, das ist er. Wo kein Fleisch ist, da ist kein Geist.—Der Geist ist ein ideelles Produkt, ohne jede reale Basis, eine Kraftwirkung einer gewissen Kombination materieller Stoffe, ähnlich wie das Fortrücken eines Stundenzeigers an einem mechanischen Uhrwerk (Büchner). Die Seele ist eine zeitweilige Eigenschaft des Hirns, ein Ergebnis seiner Entwicklung; sie hat keine selbstständige Existenz. Die Denktätigkeit ist abhängig von der Zusammenwürfelung der Hirnsubstanz; der Gedanke eine Bewegung, Umsetzung, Absonderung des Hirnstoffs, ähnlich wie die Bewegung eines Muskels und die Absonderung einer Drüse. Alles Denken, Wollen und Tun des Menschen ist nichts anderes als das Ergebnis der physischen Grundlage der jeweiligen Ernährung und Umsetzung der Hirnsubstanz (Vogt).—Die Seelentätigkeit ist ein Produkt einer eigentümlichen Zusammensetzung der Materie—ein Effekt vieler Stoffe, der zur Einheit erwachsene Komplex vieler Kräfte (Büchner). Der Leib ist ein Ergebnis der chemischen und physikalischen Zusammenwirkung zufällig verbundener Stoffatome. Er ist zwar ein mit den feinsten Organen ausgerüstetes Ganzes, welches man sich nicht vollkommener in seiner Art denken kann(!), aber diese Zweckmäßigkeit ist durch Zufall entstanden (Büchner). Weil die Stoffe in dieser bestimmten Form des Hirns zusammengewürfelt sind, müssen sie notwendig denken, ebenso wie die schwingende Saite notwendig tönt. Summa: Wie alles Wirkliche, so ist auch der Mensch seinem Wesen nach nichts anderes als eine von den Naturstoffen zufällig erzeugte empfindende, vorstellende, denkende Maschine. Der Gegensatz von Geist und Natur existiert bloß in der Einbildung. Die Geisteskräfte sind ewige Eigenschaften des Stoffes; sämtliche Geistestätigkeiten sind nichts anderes als Hirntätigkeiten. Die verwickelte organische Komplikation kraftgebender Stoffe im Tierleib ist eine Gesamtsumme von Wirkungen, welche zu einer Einheit verbunden, von uns Geist, Seele, Gedanke genannt wird. 'Der Mensch ist nichts weiter als ein aus den verschiedenartigsten Atomen in künstlicher Form mechanisch zusammengefügtes Mosaikbild.' (Czolbe).
Wie die ganze Welt, so hat auch der Mensch in Wirklichkeit keinen Zweck des Daseins in sich selbst.—Weder in den ewigen Atomen noch in der Notwendigkeit, noch im Zufall liegt eine Zweckvorstellung. Es liegt vielmehr in der Natur alles Entstehenden, dass es mit Notwendigkeit wieder zugrunde gehe. Die Wanderungen und Wandlungen, welche der Stoff im Sein des Alls durchläuft, sind ohne Ziel und Ende. Auflösung und Zeugung, Zerfall und Neugestaltung reichen sich allerorten in einer ewigen Kette die Hand. In dem Brot, das wir essen, in der Luft, die wir atmen, ziehen wir den Stoff an uns, der die Leiber unserer Vorfahren vor tausend und tausend Jahren gebildet hat. Diese Wandlung der Grundstoffe, deren Menge und Qualität an sich stets dieselbe und für alle Zeiten unveränderlich bleibt, das ist das Leben der Welt. Ob die Menschheit wieder zurücksinken wird in ihr Nichts, wer mag das wissen? (Büchner) Der Mensch ist ein verschwindendes Erzeugnis im Kreislauf des Lebens. Er ist die Summe aller stofflichen Zusammenwirkungen, die seinen Leib erzeugen. Sein Wille ist eine notwendige Folge dieser Ursachen, gebunden an das Naturgesetz wie die Pflanze an ihren Boden. Sein Bewusstsein ist nichts als eine Eigenschaft des Stoffes; es besteht aus den stofflichen Bewegungen, die im Gehirn als Empfindung wahrgenommen werden. Das Bewusstsein der Mitgliedschaft im ewigen Kreislauf der Natur ist die höchst, beglückendste Weisheit, zu welcher sich der Mensch erheben kann. Je klarer wir uns bewusst sind, dass wir durch richtige Paarung von Kohlensäure, Ammoniak und Salzen von Dammsäure und Wasser an der höchsten Entwicklung der Menschen arbeiten, desto mehr wird auch das Ringen und Schaffen veredelt, mit dem wir das Rollen der Elemente auf dem kürzesten Wege innerhalb des Kreislaufs zu bannen suchen (Moleschott, Kreislauf des Lebens).
(...) Zwischen dem Menschen und dem Tier besteht kein wesentlicher Unterschied. Der Mensch ist nur ein glücklich organisiertes Tier.
(...) Das geistige Leben des Individuums wird mit dem Tode des Leibes absolut, vollständig und für ewig vernichtet. Der Geist ist nichts, sobald sich der Leib in seine Atome auflöst. Die Materie ist allein ewig. Der Mensch stirbt mit Auflösung seines leiblichen Substrates absolut auf Nimmerwiederkehr. Der leibliche Tod ist Vernichtung seines ganzen Wesens und Lebens. Die Idee des ewigen Lebens, der Gedanke des Nichtsterbenkönnens ist der abschreckendste, den die Phantasie ersinnen konnte, unendlich abschreckender und das innerste Gefühl unendlich mehr abstoßend als der Gedanke an eine ewige Vernichtung (Büchner). Der einzelne Mensch ist ein verschwimmender, wenn auch notwendiger Teil des Ganze, der sich wieder in das Ganze auflösen muss; das ist die erhabene Schöpfung, die nichts veralten, nichts vermodern lässt, dass Luft und Pflanzen, Tiere und Menschen sich überall die Hände reichen, sich immerwährend reinigen, verjüngen, entwickeln, veredeln, dass jedes Einzelwesen nur der Gattung zum Opfer fällt; dass der Tod nichts ist als die Unsterblichkeit des Kreislaufs (Moleschott). Eine selbstständige Existenz und eine individuelle Unsterblichkeit der Seele gibt es nicht. Die Seele ist ein Produkt der Entwicklung des Gehirns, wie die Muskeltätigkeit ein Produkt der Muskelentwicklung, die Absonderung ein Produkt der Drüsenentwicklung ist.—Die Seele ist kein materielles, vom Körper trennbares Prinzip, sondern nur ein Kollektivname für verschiedene Funktionen, die dem Zentralnervensystem, dem Hirn, ausschließlich zukommen. Stirbt der Körper, so hat damit auch die Seele ein vollständiges Ende (Vogt). Mirabeau sagte auf seinem Sterbebett: 'Ich gehe in das Nichts!'—Danton, als man ihm vor dem Revolutionstribunal nach Stand und Wohnung fragte, rief aus: 'Meine Wohnung wird bald das Nichts sein.'"
"SUMMA DES MATERIALISTISCHEN DOGMAS:
Fassen wir die Glaubenslehren, welche der neueste Materialismus für das 'Ergebnis aller Wissenschaftsforschung', als die Summe aller Weisheit ausgibt, in gedrängter Kürze und Übersichtlichkeit zusammen, so kann man sich in der Tat des Staunens kaum enthalten, dass Vernunftwesen in solche Widersprüche mit Gott, Welt und der gesunden Vernunft verfallen können.
Die Heroen des Materialismus bekennen sich allen Ernstes zu dem Glauben an die Schöpferkraft der uranfänglich blinden Materie, zu dem vernunftlosen Mechanismus des Weltalls, und verkünden dieses ihr Glaubensbekenntnis mit einer Dreistigkeit, als hätten sie den Stein der Weisen endlich entdeckt, ja hie und da mit einem Fanatismus, der die Miene der Märtyrer annimmt. Es gibt für den Materialisten nur körperliche Substanzen; die Materie ist ihm alles in allem. Er leugnet unbedingt alles Übersinnliche im Gebiet der menschlichen Erkenntnis (Büchner), jede leitende Idee in der Schöpfung der Welt (Vogt), ja selbst den Sinn für die Wahrnehmung des Geistigen—die Vernunft (Moleschott). Der Mensch ist die Summe seiner leiblichen Sinne; er weiß nichts, als was durch das Tor seiner Sinne eingeht. Was nicht sinnlich wahrnehmbar ist, das ist nicht vorhanden. Auf diese Grundvoraussetzungen stützen sich alle Lehren, Schlüsse und Folgerungen der materialistischen Anschauung. 'Stoff und Kraft, Stoffkombination, Stoffwechsel, Kreislauf, Zufall, Notwendigkeit': das sind die 'Marmorsäulen der Wahrheit', das sind die stummen und blinden Götzen, die man anstaunt. In diese dürren Begriffskästen muss die ganze unendlich reiche Lebensfülle des Weltalls hineinpassen; das sind die einzigen Faktoren alles physischen und geistigen Lebens, aller Kunst, Wissenschaft, Religion und Sittlichkeit!
'Es gibt keinen persönlichen lebendigen Gott!' Statt dieser einen ewigen, vernünftigen Wesensursache des Alls glaubt der Materialist an Myriaden Götzen, an zahllose, vernunftlose, an sich selbst tote Automaten, die er Atome nennt, die durch ihre teils zufällige, teil notwendige Kombination alles Leben schaffen; die aus der Vielheit die Einheit erzeugen sollen, aus dem Zufall die Zweckmäßigkeit, aus der Unvernunft die Vernunft, aus der Materie den Geist, aus dem geistigen Nichts das geistige Etwas, aus dem sinnlichem Stoff den Sinn, aus der Bewusstlosigkeit das Denken, aus dem Chaos der Unordnung den mathematischen Verstand, der die Sternensysteme ordnet, aus dem Hirnstoff den Geist, der sie berechnet—kurz aus dem Tod das Leben!—Überall, wo die Tatsachen des geistigen Lebens durchaus nicht wegzuleugnen sind, schreibt der Materialist den Atomen der Materie, trotzdem, dass er 'nichts weiß, als was durch das Tor der Sinne eingeht', geistige, göttliche Eigenschaften zu: Ewigkeit, Unendlichkeit, Schöpferkraft, welche nicht bloß die Formen der Weltdinge, sondern sogar das Denken, die Vernunft, das Selbstbewusstsein, den Willen erzeugt. (Als ob die Idee der Ewigkeit und Absolutheit auch durch das Tor der leiblichen Sinne eingehen könnte!)—So kommt ihm das Göttliche, welches er zur Vordertür hinausjagt, zur Hintertür doch immer wieder herein, freilich nur ein Zerrbild statt des Urbildes.
Herr Büchner, der z.B. in der 3. Aufl. von Kraft und Stoff im Vergleich zur ersten schon bedeutend bescheidener auftritt, indem er überall dem Unsinn der ersten Auflage die Spitze abzubrechen sucht, will zwar 'das Dasein der Idee' nicht mehr leugnen und gibt zu, dass sie ihrem Wesen nach 'immateriell' sei; gleichwohl aber soll sie einzig und allein aus der Materie entspringen. Er schließt vom Naturprozess 'selbstverständlich jedes schaffende, bildende Prinzip' aus. 'Die organischen Gattungstypen sind ein teils zufälliges, teils notwendiges Produkt aus der allmählichen, langsamen, unbewussten Arbeit der Natur selber.' Deutlicher kann es doch nicht gesagt werden, dass aus der Bewusstlosigkeit, aus dem Tod das Leben entstehe.—
'Die Natur mit ihren physikalischen, mechanischen und chemischen Kräften, ist Bildnerin des Organismus. Die Lebensorganismen sind nichts anderes als komplizierte Maschinen. Das Atmen ist eine Kohlenverbrennung, das Verdauen eine Gärung, die Empfindung ein elektrisches Spiel der Nervenfasern.'
Nach Myriaden vergeblicher Versuche, nach undenklichen Äonen, soll aus unendlich vielen Möglichkeiten, aus der unendlichen Masse der ewigen Stoffatome endlich durch einen glücklichen Zufall die jetzige Weltform als eine unter den unendlich vielen Möglichkeiten entstanden sein! Sie ist ein einheitlicher, in seinen feinsten Teilen ineinander greifender Mechanismus—ein Perpetuum mobile einziger Art, ein 'Meisterwerk des schöpferischen Gedankens', zusammengesetzt aus unendlich vielen, an sich bewusstlosen Atomen, die keine Spur von Zweckvorstellung haben, die aber gleichwohl die jetzige Weltordnung in ihrer äußersten mathematischen Genauigkeit, teils zufällig, teils notwendig erzeugten!—Was die Annahme eines solchen Schöpfungswunders der Materie für Anspruch auf Wissenschaftlichkeit habe, das wird sich deutlich aus den folgenden Abschnitten ergeben.
Der Materialismus spricht dem Menschen gerade das ab, was die Blüte seines geistigen Lebens bedingt, und stellt ihn wesentlich auf die Stufe der Tierheit. Die Wesenhaftigkeit, Gottesverwandtschaft und Persönlichkeit des Menschengeistes ist ihm ein leerer Wahn; der Sinn für das Göttliche, für die sittliche Weltordnung, das Abhängigkeitsgefühl vom höchsten Wesen, die Freiheit in Gott, ist Selbsttäuschung. Das Selbstbewusstsein, der Wille, wie alles Denken, ist Erzeugnis des Hirnstoffes. Die Materie mittels des phosphorsauren Hirnfettes sondert nach Vogt Gedanken, Begriffe, Willenstätigkeiten ab wie die Tiere den Urin. Ohne Phosphor gibt es nach Moleschott keinen Gedanken. Der Mensch ist ein Naturerzeugnis, eine Potenzierung des Affengeschlechts, eine denkende Maschine, die für ewig zu wirken aufhört, sobald die Teile des stofflichen Lebens auseinanderfallen. Obgleich nach Büchner zur Begründung der materialistischen Hypothese vieles erst noch zu entdecken ist, so steht immerhin für den erleuchteten Stoffgläubigen so viel als 'Wissenschaftsergebnis' fest, dass das Walten des einen lebendigen Gottes, des Schöpfers, Regierers und Gesetzgebers des Weltalls, unter die abgeschmackten Märchen gehöre, dass das Triebwerk des Weltalls ganz von selbst, ganz von ungefähr, ohne Vernunft, ohne Plan, Zweck und Ziel entstanden (oder nach Czolbe, gar nie entstanden) sei, dass das Wesen des persönlichen Ich nur auf einer glücklichen Kombination des Hirnstoffs beruhe und mit dem Tode für immer vernichtet werde, dass die sittliche Freiheit und Verantwortlichkeit nur noch als irrtum beschränkter Köpfe gelten können.—Das ist das Entwicklungsstadium des neuesten Materialismus."