ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Die Bahn einer angestoßenen Billardkugel zum Beispiel wird nur durch äußere Ursachen determinert, ganz einfach deswegen, weil eine Billardkugel keine inneren Zustände besitzt.
Als Embryo wurdest du angestoßen, geprägt, geformt. Erst wachsen alle möglichen Nervenbahnen und dann bleiben nur die übrig, welche auch durch Signale bestätigt und verstärkt werden. Was du erlebst und lernst prägt genau dein Hirn. Nun läufst du mit diesem Hirn auf einer Bahn und erklärst die ursprünglichen Bewegungsimpulse (Erfahrungen, Lernprozesse) zu deinem inneren Zustand.
Nein. Die ursprünglichen Zustände, die mich hervorgebracht haben, sind nur die ursprünglichen Zustände, die mich hervorgebracht haben. Das ist tautologisch wahr. Und auf diese Zustände hatte ich unbestritten keinen Einfluss. Ich aber bin das Ergebnis dieser Prozesse, (ich bin jedoch auch teilweise das Ergebnis der Prozesse, die ich mir selber zuordne, die ich also
bin, ich hatte also in der Vergangenheit durchaus auch Einfluss auf mich selber), ich existiere, ich bin hier, ich kann denken, reflektieren, unterschiedliche Szenarien durchspielen und somit auch meine Zukunft wesentlich durch meine Entscheidungen beeinflussen. Der Fakt, dass ich meine ferne Vergangenheit nicht beeinflussen kann, ist dabei unwesentlich, bzw., wenn er doch wesentlich sein sollte, dann müsstest Du das mal begründen.
ganimed hat geschrieben:Insofern hat sogar die Billardkugel auch "innere Zustände". Sie hat Bewegungsenergie und eine Richtung. Wenn man sie fragen würde, könnte sie vielleicht sogar antworten: "ich will da jetzt hin und die andere Kugel genau dort treffen. Das will ich aufgrund meiner inneren Zustände." Die Kugel will was und sie macht was.
Das ist schlicht anthropozentrischer Unsinn. Die Kugel will nichts, sie kann nichts wollen und daher auch nichts aus eigenem Antrieb machen.
ganimed hat geschrieben:Aber sie ist dabei nicht frei. Die inneren Zustände heißen vielleicht so, sind aber letztendlich doch das Ergebnis von äußeren Faktoren. Oder gibt es etwas, dass wirklich völlig autark nur in deinem Kopf entstanden ist, ohne eine letztendliche Beeinflussung von außen?
Nein, ich meine nicht, dass es etwas gibt, was nur für sich existieren kann. Alle Systeme in unserer Welt unterliegen den Einflüssen anderer Systeme.
Aber auch warum eine solche absolute Unabhängigkeit nun eine grundlegende Voraussetzung für Freiheit sein sollte, müsstest Du begründen, irgendwie plausibel machen. Du kannst das nicht immer wieder unbegründet einfach so voraussetzen.
Völlige Autarkie kann es also mMn nicht geben. Jedoch sehe ich meine Gedanken als meine Gedanken an, meine Wünsche als meine Wünsche, meine Triebe als meine Triebe, meine Reflektionen als meine Reflektionen, meine Überlegungen als meine Überlegungen. Ist mir eigentlich auch ziemlich unklar, wie man das anders sehen kann. Nur weil ich nicht der absolute und letztendliche Urheber von mir selber bin? Tut mir leid, ich sehe da kein Argument.
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Ein Mensch ist aber offensichtlich keine Billardkugel, denn er hat nun mal innere Zustände (die Möglichkeit zur Erkenntnis, zur Reflektion, zur Steuerung).
Erkenntnis ja, aber keine ursachenlose, also keine freie. Nur was man in dich hineinschüttet kann (und wird) von dir erkannt werden. Ebenso die Reflektion und Steuerung. Alles da, aber eben nicht frei. Die inneren Zustände hängen über eine Kausalkette von äußeren Dingen ab. Und deshalb hängt auch die Reflektion und die Steuerung von äußeren Dingen ab. Wo wolltest du diese Kausalkette jemals durchbrechen?
Und ad nauseam: ich will doch diese Kausalkette gar nicht durchbrechen. Was hat das Durchbrechen einer Kausalkette mit Freiheit zu tun und wieso?
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn Du aber tatsächlich annehmen solltest, dass Menschen letztlich wie Billardkugeln nur reagieren auf das, was ihnen von ihrer Umwelt vorgegeben wurde, sie nicht steuerungsfähig sind, sondern nur Spielbälle des Schicksals (das zu erkennen dann - ohne Steuerungsmöglichkeit - gleichgültig wäre)
Da ist ein Denkfehler. Wieso ist "das zu erkennen dann - ohne Steuerungsmöglichkeit - gleichgültig"?
Na gut, Deine Zukunft ist Dir natürlich nicht gleichgültig. Aber wenn Du nur ein unbeteiligter Zuschauer deiner selbst bist, dann wäre es vielleicht besser, wenn Du Dich einfach treiben lässt und nur abwartest, was passiert. Du kannst es ja eh nicht ändern. Von daher ist es egal, was passieren wird, denn alles wird geschehen, wie es geschehen wird und zwar ohne Dein Zutun. Du bist ein Zuschauer im Film Deines Lebens.
ganimed hat geschrieben:Also, wenn meine Handlungen kausal determiniert sind, dann hängen meine Entscheidungen NUR von irgendwelchen Ursachen ab, letztlich nur äußeren Ursachen (wenn man den jeweiligen Kausalketten nur lange genug folgt). Ich selber habe also keine Wahlfreiheit, keine Möglichkeit, etwas zu ändern, also keine Steuerungsmöglichkeit. Und sogar mein Wille ist das Ergebnis von äußeren Ursachen, er ist kausal abhängig und deshalb ebenfalls nicht frei.
Du existierst, Du hast eine Persönlichkeit, Du hast die Fähigkeit zur Erkenntnis, Du hast einen Willen, Du hast die Fähigkeit und also die Möglichkeit dazu, über Dich, Deine Umwelt, Deine Wünsche, Deinen Willen und Deine Zukunft zu reflektieren. Das unterscheidet Dich von der Billardkugel, denn diese kann all dies nicht tun. Und weil ich das von Dir annehme, meine ich, dass Du moralisch verantwortlich für Deine Handlungen bist. Deswegen akzeptiere ich Dich als Subjekt in einem Diskurs, weil ich annehme, dass Du
Deine Meinung vertrittst und nicht die Meinung des Urknalls, was genau genommen nämlich etwas für uns Unfassbares wäre und daher unsinnig. Ich nähme es Dir übel, wenn Du mich beleidigtest (und dächte nicht: der kann ja nicht anders, der ist ja nur ein von außen gesteuertes Objekt - denn ich nehme an, dass Du die Fähigkeit dazu hast, Dich zu beherrschen); ich akzeptiere es, wenn Du ein gutes Argument vorbringst - und auch dieses Argument würde ich Dir zuordnen; ich würde annehmen, dass dieses Argument aus
Deiner Fähigkeit zum rationalen Diskurs entstanden ist und nicht irgendwie merkwürdigerweise (und für mich notwendigerweise unverständlich) aus dem Urknall.
Dabei ist mir bewusst, dass Du Dich nicht wie Phoenix aus der Asche von Grund auf selber erschaffen hast. Aber mir ist ja auch gar nicht klar, warum überhaupt das eine Rolle dafür spielen sollte, dass ich Dich als autonomes Subjekt akzeptieren kann.
Es kann keine Letztverantwortung geben - aber wieso folgt daraus, dass es überhaupt keine Verantwortung geben kann?
Es kann keine absolute Freiheit geben - aber wieso folgt daraus, dass es überhaupt keine Freiheit geben kann?
Sind denn moralische Verantwortung und Freiheit wirklich binäre Konzepte? Entweder - oder?