Was nutzen uns Dogmen

Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon xander1 » Di 20. Jan 2009, 22:13

Es gibt in Religionen Dogmen, an denen nicht gezweifelt werden soll.
Was für einen Nutzen haben die Gläubigen dadurch?
Oft habe ich erlebt, dass Gläubige alles das gleiche erzählen und sich gezielt einer Gruppenmeinung angeschlossen haben.
Muss man deshalb gleich abgestempelt werden, wenn man so etwas nicht will?
Einerseits ist mir der Nutzen teilweise klar, aber andererseits will ich mehr darüber verstehen.
Wie kann es überhaupt nur real sein, dass es Menschen gibt, die Ihren Verstand einem geistigen Führer ganz bewusst abgeben?
Christen versprechen sich daraus eine ganze Lebensverbesserung.
Ist das nicht gefährlich? Ist Mißbrauch da nicht viel zu leicht möglich, auch wenn er nie stattfinden sollte?
Verlernt man nicht dabei das Denken und Eigenständigkeit?

Dass hier fast alle gegen Dogmen sind ist mir schon klar, deswegen wäre es langweilig zu fragen was gegen Dogmen spricht.
Also was spricht für Dogmen?
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Re: Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon ganimed » Di 20. Jan 2009, 23:03

Wenn ich den Darwin-Artikel aus dem anderen Thread so Revue passieren lasse, meine eigenen Hirnerfahrungen hinzu gebe und ein wenig schüttle, dann kommt die folgende These zu Tage: das religiöse Dogma dient der zentralen Hirnpflege.

Unser Hirn ist ein Sozialweltmeister, voll gut im Knüpfen, Vorhersehen und Entdecken von sozialen Beziehungen. Und es kann zwischendurch einfach nicht aufhören, einen Sinn in allem und eine planende Person hinter allem zu 'sehen'. Wenn wir in einem dunklen Wald sind, wo es gar keine anderen Menschen gibt, zu denen wir einen sozialen Kontakt knüpfen könnten und die für das Rauschen und das Knarzen verantwortlich ist, dann erfinden wir eben ein paar menschenähnliche Konstrukte und definieren einfach mal so, dass die Bäume von wütenden Riesen geschüttelt werden und der Wind von pustenden Wolkenmonstern erzeugt wird. Oder so ähnlich.

In der Zivilisation läuft das ein wenig raffinierter ab. Wir denken uns einen unsichtbaren, übermächtigen Gott aus (oder mehrere) und ordnen dann alle unseren Sinnüberschüsse und Planreste diesem Überbau zu. Und um das untereinander geordnet machen zu können, einigen wir uns mit allen Nachbarn auf eine einzige Version der Geschichte, und zack, da ist dann das Dogma. Wir definieren also eine unbewiesene Geschichte, die unseren Hirn-Einbildungen entspricht und sie bedient. Und als Nebeneffekt erhalten wir sogar Stabilität und ein besseres Gefühl. Wenn das eingeführte Dogma nämlich einigermaßen gut ist, brauchen wir uns im Wald nicht jedes Mal etwas neues auszudenken und können uns umso ungenierter auf das allgemein definierte Dogma verlassen. Das Dogma wäre also ein einmal erbauter großer Platz für all unseren Hirnmüll, eine zentrale, öffentliche geistige Müllkippe sozusagen. Sehr praktisch im Grunde.
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Re: Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon Pia Hut » Mi 21. Jan 2009, 13:10

Dogmen, sind für mich Vorurteile, die uns der Anstrengung des Denkens entheben und eine einfache Form der praktischen Handlungshilfe zu enthalten scheinen. Ich spar mir vorläufig aufzuzeigen, wo ich den Zusammenhang zu dem im Folgenden aufgeführten Gedanken sehe, um euch nicht mit Text völlig zu überschütten.
(Tut mir leid, wenn ich nicht sauber zitiere, weiß nicht mehr genau, wo ich die Textpassagen herhatte. Das liegt wohl daran, dass mich v. a. die Idee und nicht der Ideenträger interessiert.)

Text von Administration gelöscht wegen Nutzung des Textes ohne Genehmigung durch den Urheber. Der Orginaltext findet sich unter: http://www.umsetzungsberatung.de/psychologie/resignation.php
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Re: Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon stine » Mi 21. Jan 2009, 16:00

Dogmen nutzen dann, wenn eine Hinterfragung Verunsicherung bringen würde.
Was nicht belegt ist, aber auch nicht widerlegt werden kann und trotzdem als Grundlage für eine Weltanschauung gelten soll, das wird dogmatisch festgelegt.
(Immer im Auge behalten: Ob das gut oder schlecht ist, kann hier nicht gefragt werden, da dies immer Auslegungssache bleiben wird.)
LG stine
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Re: Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon ostfriese » Mi 21. Jan 2009, 18:38

Pia Hut, danke, dass Du so schön vom Thema abgekommen bist, die von Dir beschriebenen Experimente sind sehr aufschlussreich! ;-)

Erlaubst Du mir, jenen Zusammenhang, den Du explizit und absichtlich offen gelassen hast, mal schnell herzustellen?

Lernen ist eine Form der Anpassung an (variable) Umweltbedingungen und ist ans Belohnungssystem (Dopamin) gekoppelt. Wäre dies nicht so, würden wir die Kosten des Lernens nicht in Kauf nehmen. Die von Dir in den Beispielen geschilderte Hilflosigkeit entspricht dem Ausbleiben einer Belohnungserwartung mit der Folge einer auf Null sinkenden Lernmotivation.

Solche Extremfälle sind eher selten. Aber die Diskrepanz zwischen niedriger Belohnungserwartung und hohem Aufwand des Lernens ist der allgegenwärtige Grund für geistige Trägheit, Ignoranz und Bildungsresistenz. Allerdings hat die Evolution unser Spezies zwei Mechanismen geschenkt, welche den informatorischen Aufwand einer erfolgreichen Anpassung minimieren. Zum einen ist dies unsere Fähigkeit zur Mustererkennung (die im Extremfall auch zum idealen Nährboden für Aberglauben ausarten kann, vgl. das Tauben-Experiment) via Datenfilterung, zum anderen ist es das Kopieren von Lerninhalten aus den Köpfen anderer. Methode 1 gewinnt mit wachsendem Erfolg beim selbständigen Lernen an Gewicht. Methode 2 dagegen spielt für (Klein-)Kinder oder lernschwache Erwachsene die Hauptrolle bei der Ökonomisierung des Lernens (wobei wir sie als Standardmethode zunächst mit Hilfe von Methode 1 im Baby-Alter erwerben).

Methode 1 entspricht dem klassischen Konditionieren, Methode 2 dem Glauben. Wir ersparen uns einen mühsamen Lernweg (Datenbeschaffung, Hypothesenbildung und -prüfung) und übernehmen kritiklos autoritär verbürgtes Wissen. Damit sparen wir nicht nur Energie (umso mehr, je schwieriger das jeweilige Wissen zu erlangen wäre), sondern schmeicheln auch noch dem -- meist ranghöheren -- Gruppenmitglied, dem wir die geistige Fertigware abkaufen. Die ausgetauschten Informationen erhalten einen sozialen Wert, der unabhängig werden kann von ihrem natürlichen Anpassungswert -- sie werden also kulturtragend und identitätsstiftend. Es liegt wohl auf der Hand, warum Dogmen es so viel leichter haben, diesen Status innerhalb menschlicher Gemeinschaften zu erreichen als bezweifelbare, vorläufige Theorien.
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Re: Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon Peter Janotta » Mi 21. Jan 2009, 18:55

stine hat geschrieben:Was nicht belegt ist, aber auch nicht widerlegt werden kann und trotzdem als Grundlage für eine Weltanschauung gelten soll, das wird dogmatisch festgelegt.

Ich sehe hier noch keine Notwendigkeit für Dogmen, mehr für eine Definition der Weltanschauung. Sprich Eigenschaften aufzuzählen die die Weltanschauung charakterisieren. Dogmen sind aber mMn in der Regel mit einem Wahrheitsanspruch verknüpft.

Die Weltanschauung der Brights ist beispielsweise dadurch gegeben, dass sie keine übernatürlichen Elemente enthält. Das ist die Definition des Weltbilds. Ein absoluter Wahrheitsanspruch, dass es keine solchen Elemente gibt, ist damit aber nicht von vornherein verknüpft.
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Re: Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon ganimed » Mi 21. Jan 2009, 21:32

Peter Janotta hat geschrieben:Die Weltanschauung der Brights ist beispielsweise dadurch gegeben, dass sie keine übernatürlichen Elemente enthält. Das ist die Definition des Weltbilds. Ein absoluter Wahrheitsanspruch, dass es keine solchen Elemente gibt, ist damit aber nicht von vornherein verknüpft.

Das bringt mich wieder auf eine Vermutung: Ohne diesen absoluten Wahrheitsanspruch entsteht (oder verbleibt) eine größere Unsicherheit und eine geringere Identifikationsmöglichkeit. Morgen könnte in der Zeitung stehen, dass Wissenschaftler festgestellt haben, dass das bright'sche Weltbild doch falsch war. Also identifiziere ich mich lieber nicht zu sehr mit diesem Verein, lasse mich emotional lieber nicht zu stark darauf ein. Außerdem ist die Definition des naturalistischen Weltbildes ja sehr spärlich und nicht mit erfundenen Details angereichert. So viele, der Wahrheitsliebe und wissenschaftlichen Vorsicht geschuldete Leerräume und Lücken erhöhen die Unsicherheit.

Wer also Gruppenidentifikation und Sicherheit braucht, sollte sich demnach doch lieber nach einer Dogma-Gruppe umsehen.
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Re: Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon ostfriese » Mi 21. Jan 2009, 23:04

ganimed hat geschrieben:Wer also Gruppenidentifikation und Sicherheit braucht, sollte sich demnach doch lieber nach einer Dogma-Gruppe umsehen.

Aber sich dann darüber im Klaren sein, dass er diese Sicherheit mit permanentem Sich-in-die-Tasche-Lügen erkauft.
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Re: Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon Pia Hut » Do 22. Jan 2009, 13:11

Sorry ostfriese, du hast ja recht, ich bin vom Thema abgekommen, ist mir erst im Nachhinein wirklich klar geworden aber eine Ahnung hatte ich wohl schon, wie du auch gesehen hast. Ich denke auch das freies Assoziieren in den seltensten Fällen dem Erkenntnisfortschritt dienlich ist, war wohl noch gedanklich zu sehr in einem anderen Thema drin. Mich nervt das auch, wenn andere bei einem Thema ständig hin und her springen. Diesen meinen Fehler will ich also wirklich nicht verteidigen. (Ärger über mich selbst - und wie fügt man eigentlich die smilies ein, wo kann ich nachlesen, bin sonst keine völlige EDV-Niete)

Ich wäre auf jeden Fall für ein strategisches Vorgehen. Aber fangen wir bitte nicht mit Definitionen an, denn dann kommt nur dabei heraus, dass wir uns über unsere eigenen Voraburteile, die wir zum Thema Dogma haben, streiten.

Was haltet ihr davon mit Arbeitshypothesen zu beginnen, um den Begriff Dogma, was er der Sache nach ist, zu fassen zu bekommen.

Meine Arbeitshypothese war:
Dogmen, sind für mich Vorurteile, die uns der Anstrengung des Denkens entheben und eine einfache Form der praktischen Handlungshilfe zu enthalten scheinen.

Wo ich daran wohl weiterdenken müsste, wäre das Vorurteile und Dogmen ja allgemein unterschieden werden. Ich behaupte da aber eine enge Verwandschaft. Den Unterschied sehe ich darin, dass Vorurteile eine individuelle Sache sind, also eine vorgefasste Meinung des Individuums zu unterschiedlichsten Themen. Ein Dogma hingegen ist ein Vorurteil, das darüber seine besondere Plausibilität (Glaubwürdigkeit) gewinnt, dass es viele teilen…….

Stines Arbeitshypothese wäre
Dogmen nutzen dann, wenn eine Hinterfragung Verunsicherung bringen würde.
Was nicht belegt ist, aber auch nicht widerlegt werden kann und trotzdem als Grundlage für eine Weltanschauung gelten soll, das wird dogmatisch festgelegt.

Finde ich als Ausgangspunkt evtl. sogar brauchbarer als meine. Bin mir noch nicht sicher, wo ich hier weiterdenken würde, ich würde eingrenzen wollen, wann „was nicht belegt ist und auch nicht widerlegt werden kann“ und käme da im ersten Moment auf „das liegt an falschen Fragestellungen“, aber bevor ich wieder anfange frei zu assoziieren mache ich erstmal einen Punkt.

Eine weitere Arbeitshypothese wäre…. aber halt, ich warte jetzt erst mal ab, was ihr davon haltet
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Re: Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon xander1 » Do 22. Jan 2009, 16:50

Richard Dawkins achtet sehr darauf, zu sagen, dass es wahrscheinlich keinen Gott gibt. Die Christen sagen aber, dass es bestimmt einen Gott gibt. Worauf will ich hinaus? Die Christen könnten doch auch sagen, dass es wahrscheinlich einen Gott gibt, anstelle auf die Absolutheit zu setzen. Ist das nicht irgendwie merkwürdig und verdächtig? Die Ursache liegt darin, dass das Dogma einen sozialen Zweck erfüllt.

Erst durch Dogmen ist es möglich, dass sich unter dem Dogma Menschen vereinen, für die das Dogma einen gemeinsamen Zweck erfüllt. Ein Freidenker mag das vielleicht schwer nachvollziehen wollen. Das Dogma muss also so etwas wie ein Vertrag sein, den man eingeht um Teil von etwas größerem sein zu können.

Dazu ist es unerheblich, ob das Dogma wahr ist oder nicht und ob alle daran glauben oder nicht, solange das Dogma den gemeinsamen Zielen dient. Religion ist zielorientiert und wegweisend. Dazu ist es unerheblich ob wir die Richtigkeit der Ziele und Wege annehmen.
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Re: Was nutzen uns Dogmen

Beitragvon ganimed » Do 22. Jan 2009, 17:56

Pia Hut hat geschrieben:ich bin vom Thema abgekommen ... Mich nervt das auch, wenn andere bei einem Thema ständig hin und her springen

Vom Thema abgekommen ja, aber sehr spannend. Ich fand die dargestellten Experimente hochinteressant.
Und das Themawechseln finde ich eigentlich ganz normal und meist ja auch nachvollziehbar. Höchstens wahlloses Hin- und Herspringen wäre vielleicht nervig. Aber an einem geordneten Ausritt in ein verwandtes Gebiet kann ich nichts Negatives finden.

ostfriese hat geschrieben:zum anderen ist es das Kopieren von Lerninhalten aus den Köpfen anderer ... Methode 2 dagegen spielt für (Klein-)Kinder oder lernschwache Erwachsene die Hauptrolle bei der Ökonomisierung des Lernens (wobei wir sie als Standardmethode zunächst mit Hilfe von Methode 1 im Baby-Alter erwerben). ... Methode 2 [entspricht] dem Glauben.

Ich finde, ein Dogma führt nur in verschwindend geringem Ausmaß zum Nichtselberdenken. Das hier tendenziell gezeichnete Bild des entmündigten und nicht mehr eigenständig denkenden Gläubigen scheint mir eine klischeehafte Überzeichnung zu sein. Zwar werden Dogmen per Definition nicht hinterfragt, aber das gilt natürlich nicht für den Rest der Realität eines Gläubigen. Ich meine, selbst mit 100% übernommenem Dogma (Beispiel: "Es gibt einen Gott") habe ich in jeder Minute eines Gläubigendaseins doch in etwa zwei Millionen Fragen: was mache ich mit dieser Erkenntnis? In welcher Weise existiert Gott? Wie fühle ich mich dadurch beim Teekochen? Was bedeutet die Existenz Gottes für mein Berufsleben? ...

Der Gläubige ist durch ein paar allgemeine Dogmen absolut nicht eingeschränkt in seiner Denkfähigkeit oder Selbstbestimmung. Und hilflos wie in den Experimenten muss sich ein Gläubiger ja nun auch nicht vorkommen. Gott hilft ihm ja, er muss nur beten. Gott begleitet ihn bei seinem Tun, aber abgenommen wird ihm nichts. Man wird als Gläubiger angeblich sogar noch mächtiger als hilflose Atheisten, kann man doch per Fürbittegebet in Fernwirkung zur Heilung und dem Schutz anderer Menschen beitragen. Telepathie sozusagen.
Es mag sein, dass es viele dumme, nicht selbst denkende, hilflose Menschen gibt. Die meisten davon sind sicher gläubig, weil die meisten Menschen gläubig sind. Aber ursächlich hat das mit Dogmen, glaube ich, nichts zu tun.
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