Wissen und Glaube

Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 14:13

platon hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:"Wissen" ist definiert als "wahrer, gerechtfertigter (und unzufällig zutreffender) Glaube".

Von wem stammt denn diese bescheuerte Definition?


Diese "bescheuerte" Definition ist die philosophische Standarddefinition:

http://plato.stanford.edu/entries/knowl ... lysis/#JTB
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon xander1 » So 17. Mai 2009, 14:18

Was haltet ihr davon ein Thema zu starten: Was ist der Unterschied zwischen Wissen und Glaube?

In Wikipedia steht unter Glaube: "etwas für wahr halten"
Weiter steht indirekt, dass das bedeutet, dass man einer Information vertrauen schenkt.

Unter Wissen steht in Wikipedia, dass es viele Erklärungen dafür gibt was Wissen ist. Ich würde sagen, dass "Wissen" nichts darüber aussagt, ob es richtiges oder falsches Wissen ist. Jedoch wenn man sagt, dass man etwas weiß, dann geht die Allgemeinheit davon aus, dass es den Wahrheitsanspruch erfüllen soll.

Die ganzen Philosophen hier im Forum WISSEN, wie wenig sie von der Welt wissen, weil das schon viele Persönlichkeiten unserer Zeitgeschichte aufgezeigt haben. Dazu zählen Nietzsche, Sokrates, Heidegger, Karl R. Popper und viele andere, und eigentlich alle diejenigen die stark gegen die Metaphysik gewirkt haben.

Wer also zwischen Glaube und Wissen einen so großen Unterschied macht, der hat etwas nicht verstanden oder will einfach nur auf andere Wirken.

Oft tun dann viele so als sei Wissen sicherere Information als Glaube. Das mag sein, aber damit fällt beides unter den Hut der Sicherheit der Wahrheit einer Information, wenn das die einzige Unterscheidung sein soll.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 14:26

xander1 hat geschrieben:In Wikipedia steht unter Glaube: "etwas für wahr halten".


Natürlich geht es hier um Glauben im Sinne von Fürwahrhalten.
Es ist zwar in der Tat so, dass "Glaube" alltagssprachlich häufig im Sinne von "Nichtwissen" und "Wissen" im Sinne von "Nichtglaube" gebraucht wird, aber im philosophischen Sprachgebrauch schließen sich Glaube und Wissen nicht aus, denn Wissen schließt Glauben ein, was umgekehrt freilich nicht gilt.

Der Begriff "Glaube" hat auch einige alltagssprachliche Konnotationen wie "blindes, objektiv unbegründetes Vertrauen auf die Wahrheit (einer Aussage)", aber, wie gesagt, aus philosophischer Sicht sind diese unmaßgeblich.
Und der Glaube an Gott beinhaltet nicht nur das Fürwahrhalten der Aussage "Gott existiert". Der deutsche Begriff "Glaube" kann also sowohl im Sinne von "belief" als auch im Sinne von "faith" gebraucht werden.

"[B]elief in God is not the same thing as belief that God exists, or that there is such a thing as God. To believe that God exists is simply to accept a proposition of a certain sort—a proposition affirming that there is a personal being who, let's say, has existed from eternity, is almighty, perfectly wise, perfectly just, has created the world, and loves his creatures. To believe in God, however, is quite another matter. (...) Belief in God means trusting God, accepting Him, committing one's life to Him. (...) So believing in God is more than accepting the proposition that God exists. Still, it is at least that much. One can't sensibly believe in God and thank Him for the mountains without believing that there is such a person to be thanked, and the He is in some way responsible for the mountains. Nor can one trust in God and commit oneself to Him without believing that he exists."
———
"Der Glaube an Gott ist nicht dasselbe wie der Glaube, dass Gott existiert, oder dass es so etwas wie Gott gibt. Zu glauben, dass Gott existiert, heißt einfach, eine bestimmte Art von Aussage [als wahr] anzunehmen—eine Aussage, die bejaht, dass es ein persönliches Wesen gibt, das, sagen wir, seit Ewigkeit existiert, allmächtig, vollkommen weise, vollkommen gerecht ist, die Welt erschaffen hat und seine Geschöpfe liebt. An Gott zu glauben, ist hingegen eine ganz andere Sache. (...) Der Glaube an Gott beinhaltet, dass man Gott vertraut, ihn anerkennt, ihm sein Leben überantwortet. (...) Das Glauben an Gott besteht also in mehr als dem Annehmen [Fürwahrhalten] der Aussage, dass Gott existiert. Doch es besteht zumindest darin. Man kann nicht vernünftigerweise an Gott glauben und ihm für die Berge danken, ohne zu glauben, dass es eine solche Person gibt, der zu danken ist, und dass er in gewisser Weise für die Berge verantwortlich ist. Man kann auch nicht sein Vertrauen auf Gott setzen und sich auf eine Beziehung zu ihm einlassen, ohne zu glauben, dass er existiert."
[© meine Übers.]

(Plantinga, Alvin. God, Freedom, and Evil. 1974. Reprint, Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1977. pp. 1-2)
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon xander1 » So 17. Mai 2009, 14:44

Gläubige sind emotionale Strategen. Deshalb sind sie mir unheimlich und man entwickelt misstrauen, weil sie komisches Zeug erzählen, was sichtlich unstimmig ist.

Sie sagen sie Glauben, aber das ist alles nur ein strategisches Mittel, um damit verschiedenes Handeln zu rechtfertigen. Die Texte aus den heiligen Büchern sind extra so geschrieben, dass man besonders unterschiedlich interpretieren kann. Weil sie das wissen und damit das nicht andere merken, werben sie dafür, dass an der Bibel nichts umgeschrieben wird, wohingegen Richard Dawkins für die Wissenschaft wirbt, weil diese sich ändern kann. Da prallen also 2 Welten anneinander. Richard Dawkins kritisiert etwas, das eigentlich ein Versteckspiel darstellt. Wenn die Christen wirklich darauf eingehen würden und die Religion änderbar machen würden, dann würde man viel leichter erkennen, dass sie so geformt wird wie es gerade passt, was aber so auch passiert ohne das die Bibel geändert wird.

Man kann mit dem Glauben alles rechtfertigen. Wenn die Kreuzzüge damit gerechtfertigt worden sind, ist egal, man kann genauso gut harmlose Sachen rechtfertigen. Das wissen Christen, deshalb sehen sie an dem Glauben nichts schlechtes. Er ist bloß ein Werkzeug für schlechte und gute Menschen.

Es bleibt nur die Frage ob eher böse oder eher gute Menschen dazu tendieren einen Götterglaube für sich zu benutzen?

Das meistgedruckte Buch ist ein Buch, das emotionale Strategie verbreitet. Es steht nur Wahrheit drin, man muss nur Negationen auflösen.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 14:57

"The JTB Analysis of Knowledge:
S knows that p iff

1. p is true;
2. S believes that p;
3. S is justified in believing that p."

———
"Die RWG-Analyse von Wissen:
S weiß, dass p, gdw. (= genau dann, wenn)

1. p ist wahr;
2. S glaubt, dass p;
3. S's Glaube, dass p, ist gerechtfertigt."


Aufgrund des berühmt-berüchtigten Gettier-Problems ist eine vierte Bedingung hinzuzufügen:

4. S's Glaube, dass p, trifft nicht rein zufällig zu.

Eine alternative Definition:

"Simple J-Reliabilism:
Part A: S knows that p iff S's belief that p is (i) true and (ii) justified.
Part B: S is justified in believing that p iff S's belief that p was produced by a reliable cognitive process (in a way that degettierizes S's belief).

Simple K-Reliabilism:
S knows that p if, and only if, S's belief that p (i) is true and (ii) was produced by a reliable cognitive process (in a way that degettierizes S's belief)."

———
"Einfacher R-Reliabilismus:
Teil A: S weiß, dass p, gdw. S's Glaube, dass p, (i) wahr und (ii) gerechtfertigt ist.
Teil B: S's Glaube, dass p, ist gerechtfertigt gdw. S's Glaube durch einen verlässlichen kognitiven Prozess zustande gekommen ist (auf eine Weise, die S's Glauben 'entgettiert').

Einfacher W-Reliabilismus:
S weiß, dass p, gdw. S's Glaube, dass p, (i) wahr ist und (ii) durch einen verlässlichen kognitiven Prozess zustande gekommen ist (auf eine Weise, die S's Glauben 'entgettiert')."


(http://plato.stanford.edu/entries/knowledge-analysis)

Wie Ihr seht, ist in beiden Konzeptionen Glaube im Spiel!
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon xander1 » So 17. Mai 2009, 15:02

Das sind scheinbar logische Sätze wie man sie aus der Mathematik oder Informatik kennt, mit Operatoren und Operanden und Semantik. Man könnte diese Sätze also in mathematischer Form umschreiben.

Aber könntest du dazu vielleicht noch mehr erklären?
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 15:06

Myron hat geschrieben:Der deutsche Begriff "Glaube" kann also sowohl im Sinne von "belief" als auch im Sinne von "faith" gebraucht werden.


Glauben heißt aber nicht unbedingt gläubig sein.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 15:09

xander1 hat geschrieben:Aber könntest du dazu vielleicht noch mehr erklären?


Wie sich Wissen und Glaube zueinander verhalten, ist aus den obigen Definitionen doch klar ersichtlich.
(Erläuterungen findest Du in dem verlinkten Text.)
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » So 17. Mai 2009, 16:34

Man darf nicht vergessen, dass auch Arbeitsdefinitionen wie die obige immer wieder auf den Prüfstand gehören. Insbesondere dann, wenn sich herausstellt, dass sie nichts beschreiben, was wir je zu finden hoffen dürfen.

Mir persönlich gefällt El Schwalmos Explikation besser: Wahrheit = zeitkernig diskursiv einlösbare Geltung. Wissen ist dann, was intersubjektiv als wahr akzeptierbar ist.

Was vor dem als wahr akzeptierten Hintergrundwissen nicht diskursiv einlösbar (mit ihm nicht konsistent) ist, das können wir (vorläufig) nicht wissen, sondern allenfalls glauben.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 17:09

Myron hat geschrieben:"Die RWG-Analyse von Wissen:
S weiß, dass p, gdw. (= genau dann, wenn)

1. p ist wahr;
2. S glaubt, dass p;
3. S's Glaube, dass p, ist gerechtfertigt.
(4. S's Glaube, dass p, trifft nicht rein zufällig zu.)"



Es soll nicht verschwiegen werden, dass (2) nicht von allen Philosophen als notwendige Bedingung für Wissen angesehen wird.
David Armstrong unterscheidet vier Positionen dazu:

"We thus have four important positions with respect to the Belief-condition for knowledge:

Assertion of the Belief-condition: (Kap -> Bap)
(in a strong form: (Kap -> Cap); in a weak form: ~(Kap -> Cap))

Denial of the Belief-condition: ~(Kap -> Bap)
(in a weak form: ~(Kap -> ~Bap); in a strong form: (Kap -> ~Bap))"


(Armstrong, D. M. Belief, Truth and Knowledge. Cambridge: Cambridge University Press, 1973. p. 139)

Also auf Deutsch:

1. Behauptung der Glaubens-Bedingung: Wenn a weiß, dass p, dann glaubt a, dass p.
1.1 Starke Form: Wenn a weiß, dass p, dann ist sich a sicher, dass p.
1.2 Schwache Form: Es ist nicht (notwendigerweise) der Fall, dass wenn a weiß, dass p, sich a sicher ist, dass p.

2. Bestreitung der Glaubens-Bedingung: Es ist nicht (notwendigerweise) der Fall, dass wenn a weiß, dass p, a glaubt, dass p.
2.1 Starke Form: Wenn a weiß, dass p, dann glaubt a nicht, dass p.
2.2 Schwache Form: Es ist nicht (notwendigerweise) der Fall, dass wenn a weiß, dass p, a nicht glaubt, dass p.

Dass (2.1) nicht akzeptabel ist, lässt sich leicht beweisen:
"Rejection of the Strong Denial of the Belief-condition:
(...) I will offer a simple argument which seems to prove that it is false that knowledge excludes the corresponding belief.
We have already noted in Section III that certainty entails belief: (Cap -> Bap). It is also clear that, although certainty does not entail knowledge or even truth, it is possible for A to be both certain that p is true and know it to be true: <>(Cap & Kap). The readers of this book are perfectly certain that the earth is round, indeed they know it for a fact. But if knowledge logically excludes the corresponding belief, one of these two obvious assumptions must be given up. For consider an A who is both certain that, and knows that, p: Cap & Kap. If knowledge excludes belief, then it is not the case that he believes that p: Cap & Kap & ~Bap. So A is certain that p is true but does not believe that p! The only alternative is to deny that knowledge and certainty are compatible.
The argument can be presented in another way. Consider the situation of somebody, B, who knows that A is certain that p, but who does not know whether or not A knows that p. If knowledge excludes belief, B will not be entitled to say that A believes that p. For, for all B knows, A knows that p and so does not believe it. But it is clear that in fact B is entitled to say that A believes that p."

(Armstrong, D. M. Belief, Truth and Knowledge. Cambridge: Cambridge University Press, 1973. p. 139-40)

Kurzum: Da sich Wissen und (subjektive) Gewissheit nicht ausschließen und Gewissheit Glauben einschließt, kann folglich Wissen Glauben nicht ausschließen.
Und (2.2), dem zufolge Wissen mit Glauben einhergehen kann, aber nicht muss, geht davon aus, dass Aussagen der Form "Ich weiß, dass p, aber ich glaube es nicht" wahr sein können. Doch solche Aussagen haben in Wirklichkeit eine andere Bedeutung, nämlich: "Ich weiß, dass p, aber ich will es nicht wahrhaben." Damit sind solche Aussagen als Argument gegen die Glaubens-Bedingung entkräftet.
Die Aufrechterhaltung der Glaubens-Bedingung (1) scheint also berechtigt. Es gilt also nur noch, zwischen (1.1) und (1.2) zu entscheiden. Diese Entscheidung ist meines Erachtens rasch getroffen, weil die schwache Form erheblich plausibler erscheint als die starke Form: Jemand, der weiß, dass p, glaubt auch, dass p; aber er muss sich nicht sicher sein, dass p.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 17:36

ostfriese hat geschrieben:Man darf nicht vergessen, dass auch Arbeitsdefinitionen wie die obige immer wieder auf den Prüfstand gehören. Insbesondere dann, wenn sich herausstellt, dass sie nichts beschreiben, was wir je zu finden hoffen dürfen.


So wie zwischen einer Wahrheits-Definition und einem Wahrheits-Kriterium (oder mehrerer Kriterien) ein Unterschied besteht, so auch zwischen einer Wissens-Definition und einem Wissens-Kriterium.
Was der Begriff "Wissen" bedeutet, ist eine Frage, und wie sich Wissensansprüche praktisch begründen, rechtfertigen lassen, ist eine andere Frage. Hier kommen unsere Erkenntnisquellen ins Spiel und die Frage danach, wie verlässlich uns diese einen Zugang zu den Tatsachen gewähren.

ostfriese hat geschrieben:Mir persönlich gefällt El Schwalmos Explikation besser: Wahrheit = zeitkernig diskursiv einlösbare Geltung. Wissen ist dann, was intersubjektiv als wahr akzeptierbar ist.


Zwischen Wahrsein und Als-wahr-Gelten besteht ein logischer Unterschied.
Ob wir tatsächlich im Besitz von Wissen sind oder nicht, ist, logisch betrachtet, von einem diesbezüglichen intersubjektiven Konsens unabhängig.

"Es ist immer von Gnaden der Natur, wenn man etwas weiß."

(Ludwig Wittgenstein, "Über Gewissheit", §505)
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon smalonius » So 17. Mai 2009, 18:09

ostfriese hat geschrieben:Mir persönlich gefällt El Schwalmos Explikation besser: Wahrheit = zeitkernig diskursiv einlösbare Geltung. Wissen ist dann, was intersubjektiv als wahr akzeptierbar ist.

Was vor dem als wahr akzeptierten Hintergrundwissen nicht diskursiv einlösbar (mit ihm nicht konsistent) ist, das können wir (vorläufig) nicht wissen, sondern allenfalls glauben.
Das gefällt mir auch. :up:
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 18:26

Myron hat geschrieben:Zwischen Wahrsein und Als-wahr-Gelten besteht ein logischer Unterschied.


Es sollte einleuchten, dass man nicht wissen kann, dass A, wenn A nicht wahr ist.
Was nicht wahr ist, kann nicht dadurch wahr gemacht werden, dass es in den Augen der meisten oder gar aller als wahr gilt.

"Wahrsein ist etwas anderes als Fürwahrgehaltenwerden, sei es von einem, sei es von vielen, sei es von allen, und ist in keiner Weise darauf zurückzuführen. Es ist kein Widerspruch, dass etwas wahr ist, was von allen für falsch gehalten wird."

"Kann man ärger den Sinn des Wortes 'wahr' fälschen, als wenn man eine Beziehung auf den Urteilenden einschließen will!"

(Frege, Gottlob. Grundgesetze der Arithmetik. 1893. Bd. 1, Vorw. XV+XVI)

Außerdem besteht ein logischer Unterschied zwischen

"X weiß, dass A."

und

"X glaubt zu wissen, dass A.".
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » So 17. Mai 2009, 19:17

Myron hat geschrieben:Zwischen Wahrsein und Als-wahr-Gelten besteht ein logischer Unterschied.

Nur, wenn wir Wahrheit so definieren, dass dieser Unterschied auftritt. Aber dazu zwingt uns niemand.

Entweder konstruieren wir uns einen pragmatisch sinnvollen Wahrheitsbegriff (bzgl. synthetischer Urteile), oder wir versuchen den analytischen Wahrheitsbegriff verlustfrei zu übertragen. Das aber liefe dann darauf hinaus, dass wir nur noch Tautologien wissen können: Wahr ist eine Aussage genau dann, wenn die Prämisse wahr ist, aus der wir sie logisch abgeleitet haben. Den Rest besorgt das Münchhausen-Trilemma. Wenn wir 'Wissen' an einen solchen Wahrheitsbegriff koppeln (anstatt an einen pragmatischen, der nur verlangt, was diskursiv feststellbar ist: zeitkernige Geltung modellhafter Beschreibungen bzw. mentaler Rekonstruktionen), dann haben wir nicht nur kein sicheres, sondern überhaupt kein praktisches Wissen.

Intuitiv aber ist uns sonnenklar, dass wir permanent über Wissen verfügen. Auch Gläubige vertrauen der Haftreibung stärker als der Hoffnung, eine barmherzige Macht möge ihr Auto um die nächste Kurve lenken. Deshalb sollten wir versuchen, 'Wissen' so zu explizieren, dass der gefühlte Unterschied zwischen Wissen und Glauben abgebildet statt wegdefiniert wird.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » So 17. Mai 2009, 19:39

Interessante Beiträge zu einem pragmatischen Wissensbegriff leistet täglich Pilawas Quiz-Show: Dort erklären Kandidaten z.B., sie wüssten die Antwort mit 70-prozentiger Sicherheit. Der Partner soll diese Information bei der Risiko-Abwägung ins Kalkül ziehen.

Offenbar ist die Belastbarkeit einer Aussage ein Maß dafür, an welcher Stelle der Skala zwischen (bewährtem) Wissen und (beliebig disponiblem) Glauben das Für-wahr-Halten in einem konkreten Fall anzusiedeln ist.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 21:05

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Zwischen Wahrsein und Als-wahr-Gelten besteht ein logischer Unterschied.

Nur, wenn wir Wahrheit so definieren, dass dieser Unterschied auftritt. Aber dazu zwingt uns niemand.


Zumindest mein Verstand zwingt mich zur Einsicht, dass wir (von gewissen Ausnahmen im Bereich der gesellschaftlichen Wirklichkeit abgesehen) nicht die Schöpfer des Wahren und des Falschen sind.

"[M]inds do not create truth or falsehood. They create beliefs, but when once the beliefs are created, the mind cannot make them true or false, except in the special case where they concern future things which are within the power of the person believing, such as catching trains. What makes a belief true is a fact, and this fact does not (except in exceptional cases) in any way involve the mind of the person who has the belief."

(Russell, Bertrand. The Problems of Philosophy. 1912. Reprint, Mineola, NY: Dover, 1999. pp. 93-4)

Es ist aus logischer Sicht nicht der Fall, dass eine Aussage durch ihr Fürwahrgehaltenwerden wahr gemacht wird.

ostfriese hat geschrieben:Entweder konstruieren wir uns einen pragmatisch sinnvollen Wahrheitsbegriff (bzgl. synthetischer Urteile), oder wir versuchen den analytischen Wahrheitsbegriff verlustfrei zu übertragen. Das aber liefe dann darauf hinaus, dass wir nur noch Tautologien wissen können: Wahr ist eine Aussage genau dann, wenn die Prämisse wahr ist, aus der wir sie logisch abgeleitet haben. Den Rest besorgt das Münchhausen-Trilemma. Wenn wir 'Wissen' an einen solchen Wahrheitsbegriff koppeln (anstatt an einen pragmatischen, der nur verlangt, was diskursiv feststellbar ist: zeitkernige Geltung modellhafter Beschreibungen bzw. mentaler Rekonstruktionen), dann haben wir nicht nur kein sicheres, sondern überhaupt kein praktisches Wissen.


Kann es sein, dass Du die Frage nach der Bedeutung des Wahrheitsbegriffs mit der Frage vermischst, wie wir die Wahrheit bzw. Falschheit von Aussagen feststellen können?

"Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die Wahrheit von Propositionen zu explizieren. Die eine ist der definitorische Weg: der Versuch, eine Definition des Begriffs 'ist wahr' als eines Charakteristikums von Propositionen zu geben. Die andere ist der Weg über die Kriterien: der Versuch, die Überprüfungsbedingungen anzugeben, von denen abhängt, ob es berechtigt ist, die Bezeichnung 'ist wahr' auf eine bestimmte Proposition anzuwenden. Über die Wahrheitstheorie lässt sich erst verbindlich diskutieren, wenn Klarheit darüber besteht, welche dieser Fragen die Theorie beantworten soll. Soll sie die Bedeutung von 'Wahrheit' erklären und auf diese Weise eine Definition des Begriffs geben? Oder soll sie die Bedingungen für die korrekte Anwendung des Begriffes geben und damit ein Wahrheitskriterium liefern?
Die beiden Probleme sind (...) offensichtlich verschieden. Mit Hilfe von Lackmuspapier können wir feststellen, ob eine bestimmte Flüssigkeit eine Säure ist oder nicht, aber der Test mit dem Lackmuspapier sagt uns nichts darüber, was es bedeutet, eine Säure zu sein. (...) Der Besitz eines Kriteriums zur Feststellung des Vorliegens oder Fehlens einer bestimmten Eigenschaft (sei es nun die, eine Säure zu sein, Intelligenz oder Wahrheit) ist eine Sache, der Besitz einer Definition oder Spezifikation ihrer Bedeutung eine andere."


(Rescher, Nicholas. "Die Kriterien der Wahrheit." 1973. In Wahrheitstheorien, hrsg. v. Gunnar Skirbekk, 337-390. 5. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1989. S. 337f.)

ostfriese hat geschrieben:Intuitiv aber ist uns sonnenklar, dass wir permanent über Wissen verfügen.


"I'm in a position to put forward a hypothesis about the scope and limits of human knowledge. My suggestion is that what I have gone through: the Moorean truisms (with a little trimming to exclude false truisms), the proofs that mathematicians (and logicians) come up with, and, finally, the securer results of the natural sciences, give us the totality of our knowledge. Philosophy, religion, the pronouncements of mystics, other systems of belief, may be fine things to have and engage with. But, I suggest, none of them contain anything beyond belief. Or, to be on the safe side, if they do contain any knowledge, it is not reliable knowledge in the sense that it is not socially identifiable in the way that knowledge in the rational and the empirical sciences is identifiable. For instance, just maybe you know that God exists, or just maybe I know that God does not exist (we can't both be knowers in this matter of course), but, situated as we are, there is no way to settle the question between us. Neither of us, I think, can rationally claim to have knowledge, even if one of us does have it."

(Armstrong, D. M. Lecture on the scope and limits of human knowledge.)
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 21:15

ostfriese hat geschrieben:Interessante Beiträge zu einem pragmatischen Wissensbegriff leistet täglich Pilawas Quiz-Show: Dort erklären Kandidaten z.B., sie wüssten die Antwort mit 70-prozentiger Sicherheit. Der Partner soll diese Information bei der Risiko-Abwägung ins Kalkül ziehen.


Die (subjektive) Sicherheit bezieht sich auf die Stärke des Glaubens, nicht des Wissens.
Wenn ich mir 100%ig sicher bin, dass A, dann glaube ich zu wissen, dass A.
Aber darin kann ich mich natürlich irren.
Andererseits kann ich etwas wissen, auch wenn ich mir nicht 100%ig sicher bin, dass es der Fall ist.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 17. Mai 2009, 21:56

Myron hat geschrieben:Zumindest mein Verstand zwingt mich zur Einsicht, dass wir (von gewissen Ausnahmen im Bereich der gesellschaftlichen Wirklichkeit abgesehen) nicht die Schöpfer des Wahren und des Falschen sind.


Er zwingt mich auch zur Einsicht, dass es zur folgenden Grundauffassung keine sinnvolle Alternative gibt:

Eine Aussage ist genau dann wahr, wenn es so ist, wie sie besagt.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » Mo 18. Mai 2009, 09:00

Myron hat geschrieben:Zumindest mein Verstand zwingt mich zur Einsicht, dass wir (von gewissen Ausnahmen im Bereich der gesellschaftlichen Wirklichkeit abgesehen) nicht die Schöpfer des Wahren und des Falschen sind.

Ungeachtet dessen, dass Russell dem gleichen Irrtum aufsitzt wie Du: Selbstverständlich sind wir es, die die Konzepte Wahrheit und Falschheit konstruieren!
Myron hat geschrieben:Eine Aussage ist genau dann wahr, wenn es so ist, wie sie besagt.

Womit Du nichts weiter gesagt hast, als dass eine Aussage wahr ist, wenn die Wirklichkeit mit der Beschreibung irgendwie übereinstimmt. Worin diese Übereinstimmung liegen könnte, das ist an dieser Stelle noch völlig offen. Wenn Du glaubst, das bedürfe keiner weiteren Erläuterung, dann bist Du entweder im Apriorismus oder im naiven Realismus.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » Mo 18. Mai 2009, 09:03

Myron hat geschrieben:Andererseits kann ich etwas wissen, auch wenn ich mir nicht 100%ig sicher bin, dass es der Fall ist.

Nein, das wäre gerade ein Wissensbegriff, den ich ablehne, da er an dem, was wir im Alltag unter 'Wissen' verstehen, vorbei geht.
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