Wissen und Glaube

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 18. Mai 2009, 14:45

ostfriese hat geschrieben:Selbstverständlich sind wir es, die die Konzepte Wahrheit und Falschheit konstruieren!


Ich habe nicht von den Begriffen "Wahrheit" und "Falschheit" geprochen, sondern von Wahrheiten und Falschheiten, d.h. von wahren und falschen Aussagen. Wir können nicht nach Belieben Wahrheiten bzw. Falschheiten "konstruieren".

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Eine Aussage ist genau dann wahr, wenn es so ist, wie sie besagt.

Womit Du nichts weiter gesagt hast, als dass eine Aussage wahr ist, wenn die Wirklichkeit mit der Beschreibung irgendwie übereinstimmt. Worin diese Übereinstimmung liegen könnte, das ist an dieser Stelle noch völlig offen.


Unter "Übereinstimmung" oder "Entsprechung" darf kein 1:1-Abbildverhältnis verstanden werden, d.h. keine isomorphe ikonische Repräsentation von Tatsachen durch Aussagen, sondern nur eine rein symbolische Repräsentation.
Eine Aussage ist genau dann wahr, wenn sie einen seienden, wirklichen Sachverhalt, d.i. eine Tatsache, beschreibt.
Dazu ist es nicht erforderlich, dass wahre Aussagen den von ihnen wiedergegebenen Tatsachen ähneln oder in einer natürlichen Beziehung dazu stehen.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon xander1 » Mo 18. Mai 2009, 14:50

Wir können Wahrheit immer nur beschränkt widergeben. Wir abstrahieren aus der Wirklichkeit nur eine Realität, wir abstrahieren Wahrheit nur und auch nur Teilaspekte der Wahrheit. Das ist beim Glauben wie auch beim Wissen der Fall. Sonst müssten wir die Welt 1:1 nachbilden, im Geist oder materiell, aber das können wir nicht. Wahrheit und Falschheit ist aus Menschensicht nur eine Abstraktion.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 18. Mai 2009, 14:52

ostfriese hat geschrieben:Nein, das wäre gerade ein Wissensbegriff, den ich ablehne, da er an dem, was wir im Alltag unter 'Wissen' verstehen, vorbei geht.


Das Gefühl der Unsicherheit hat mich in schulischen Prüfungssituationen trotz eigentlich vorhandenen Wissens oft beschlichen.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 18. Mai 2009, 15:17

xander1 hat geschrieben:Wir können Wahrheit immer nur beschränkt widergeben. Wir abstrahieren aus der Wirklichkeit nur eine Realität, wir abstrahieren Wahrheit nur und auch nur Teilaspekte der Wahrheit. (...) Wahrheit und Falschheit ist aus Menschensicht nur eine Abstraktion.


Ich verstehe nicht, was Du meinst.
Ich behaupte ja nicht, dass alle Wahrheiten für uns Menschen wissbar sind.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » Mo 18. Mai 2009, 15:32

Myron hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:Selbstverständlich sind wir es, die die Konzepte Wahrheit und Falschheit konstruieren!


Ich habe nicht von den Begriffen "Wahrheit" und "Falschheit" geprochen, sondern von Wahrheiten und Falschheiten, d.h. von wahren und falschen Aussagen.

Was eine wahre Aussage ist, können wir aber ohne ein Konzept von 'Wahrheit' nicht verstehen.

Myron hat geschrieben:Wir können nicht nach Belieben Wahrheiten bzw. Falschheiten "konstruieren".

Wir können schon, wir sollten es nur nicht. Die Frage ist also, woran wir unsere Konstruktion (und es ist eine!) orientieren.

Es kann gute Gründe geben, konzeptuell vom Alltagsverständnis eines Wortes abzuweichen. So haben die Physiker definiert, dass sie unter 'Impuls', 'Energie' und 'Leistung' anderes verstehen wollen als unter 'Kraft', während der Alltagsgebrauch der Worte 'Kraft', 'Schwung' und 'Power' diese Unterschiede oftmals völlig verwischt (eines der Hauptprobleme der Physik-Didaktik).

Aber diese guten Gründe sehe ich nicht, wenn Philosophen ohne Not einen Wissensbegriff erzeugen, von dem umgehend klar ist, dass er nichts beschreibt, was wir je vorfinden können noch was irgendein normaler Mensch im Sinn hat, wenn er von 'Wissen' spricht.

Myron hat geschrieben:Eine Aussage ist genau dann wahr, wenn es so ist, wie sie besagt.
ostfriese hat geschrieben:Womit Du nichts weiter gesagt hast, als dass eine Aussage wahr ist, wenn die Wirklichkeit mit der Beschreibung irgendwie übereinstimmt. Worin diese Übereinstimmung liegen könnte, das ist an dieser Stelle noch völlig offen.


Unter "Übereinstimmung" oder "Entsprechung" darf kein 1:1-Abbildverhältnis verstanden werden, d.h. keine isomorphe ikonische Repräsentation von Tatsachen durch Aussagen

Und ob! Der mit Abstand beste Kandidat für 'Übereinstimmung' zwischen formalem und realem System ist Strukturgleichheit, Isomorphie.

Myron hat geschrieben:Eine Aussage ist genau dann wahr, wenn sie einen seienden, wirklichen Sachverhalt, d.i. eine Tatsache, beschreibt.
Dazu ist es nicht erforderlich, dass wahre Aussagen den von ihnen wiedergegebenen Tatsachen ähneln oder in einer natürlichen Beziehung dazu stehen.

Damit bist Du beim Positivismus und Instrumentalismus, nicht mehr beim Naturalismus.
Zuletzt geändert von ostfriese am Mo 18. Mai 2009, 15:34, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Mo 18. Mai 2009, 15:33

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Andererseits kann ich etwas wissen, auch wenn ich mir nicht 100%ig sicher bin, dass es der Fall ist.

Nein, das wäre gerade ein Wissensbegriff, den ich ablehne, da er an dem, was wir im Alltag unter 'Wissen' verstehen, vorbei geht.


Also ist es nun dein Wunsch, einen zweiten, pragmatischen Wissensbegriff einzugühren ,der sich vom Anspruch auf Übereinstimmung mit der Realität löst?
Das ist möglich, aber wenig hilfreich, da er sich eben sehr von dem herkömmlichen Verständnis von "etwas wissen" entfernt; wenn du einst ein Buch schreibst, dann darfst du deine Definition von den besprochenen Begrifflichkeiten darin einführen - so aber führt es zu nichts; dann können wir uns zu den Scholastikern begeben und uns über den Inhalt von Begriffen streiten, anstatt das "Wesenhafte", das "Wahre" dahinter auch nut ansatzweise zu erblicken. Die Worte kleistern uns das ganze Dasein zu! Aber allg. Sprachkritik hier nur am Rande, obwohl ja Wittgenstein auch schon genannt wurde.

Jedenfalls muss man ja nicht die Vorstellung von Wahrheit/Wissen/Wirklichkeit auf einen einzigen Begriff bringen; man kann ja sagen: es gibt eben eine Wahrheit, die aus dem Konsens hervorgeht und die unabhängig von jeder empirischen Wirklichkeit existiert; diesem Begriff von Wahrheit, hängt man nun ein Prädikat an, wie z.B. "diskursgenerierte Wahrheit".
Dagegen gibt es eben andere Wahrheiten, ein, die darauf beruht, dass man den Irrtum, der ihr zugrunde liegt, noch nicht erkannt hat.
Dann kann man Wahrheit eben auch anhand ihrer Nützlichkeit bewerten, was ziemlich dumm ist, da dies auf einem mindestens zweifachen Konsens beruht, indem man sicher erst einig werden muss, was nützlich ist, und in bezug auf was eine Sache nützlich ist.
Dann gibt es Wahrheiten "a priori", wie man es z.B. von den Naturgesetzen behaupten könnte (aber auch nur vllt, ohne viel nachdenken,denn sie sind doch irgendwie erst nach der Erfahrung, aber da bin ich mir noch nicht sicher...)
Dann gibt es die sogenannten Fakten, wie sie in den Geschichtswissenschaften auftreten, welche auch eine Art empirische Wahrheit darstellen, von der aus man eben eindeutig sagen kann, ob eine Aussage diesbezüglich wahr oder falsch ist.

Wenn man aber in der Philosophie von Wahrheit spricht, meint man damit sehr selten die Thatsache, dass im Jahre 1945 unserer Zeitrechnung der zweite Weltkreig endete - verstanden, Ostfriese?

"Wahrheit ist das, was der Fall ist." (oder so ähnlich)

"Wir haben uns eine Welt zurecht gemacht, in der wir leben können - mit der Annahme von Körpern, Linien, Flächen, Ursachen und Wirkungen, Bewegung und Ruhe, Gestalt und Inhalt: ohne diese Glaubensartikel hielte es jetzt Keiner aus zu leben! Aber damit sind sie noch nichts Bewiesenes. Das Leben ist kein Argument; unter den Bedingungen des Lebens könnte der Irrthum sein."

Aber auch:
"Grundsatz. - Eine unvermeidliche Hypothese, auf welche die Menschheit immer wieder verfallen muss, ist auf die Dauer doch mächtiger, als der bestgeglaubte Glaube an etwas Unwahres (gleich dem christlichen Glauben). Auf die Dauer: das heisst hier auf hunderttausend Jahre hin."

ach, bei allen Lebensphilisophen findet sich eine unheimliche Sprach-, Wissens- , Bildungs- und Wahrheitsrkritik; ließ sie einfach alle, wenn du Philosophie betreiben willst - aber, bitte, lass Frege einfach links liegen!
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » Mo 18. Mai 2009, 15:38

Jarl Gullkrølla hat geschrieben:Also ist es nun dein Wunsch, einen zweiten, pragmatischen Wissensbegriff einzugühren ,der sich vom Anspruch auf Übereinstimmung mit der Realität löst?

Genau umgekehrt! Der pragmatische Wissensbegriff, für den ich plädiere, steht im Einklang mit unserem Alltagsverständnis des Wortes und negiert keineswegs die Übereinstimmung mit der Realität. Ich bin gegen einen zweiten, künstlich konzipierten Wissensbegriff. Alles weitere steht oben in meinen Antworten an Myron.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon El Schwalmo » Mo 18. Mai 2009, 18:40

Myron hat geschrieben:Er zwingt mich auch zur Einsicht, dass es zur folgenden Grundauffassung keine sinnvolle Alternative gibt:

Eine Aussage ist genau dann wahr, wenn es so ist, wie sie besagt.

und nun kommt die spannende Frage: woher weißt Du das im konkreten Einzelfall?
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon xander1 » Mo 18. Mai 2009, 19:36

Myron hat geschrieben:
xander1 hat geschrieben:Wir können Wahrheit immer nur beschränkt widergeben. Wir abstrahieren aus der Wirklichkeit nur eine Realität, wir abstrahieren Wahrheit nur und auch nur Teilaspekte der Wahrheit. (...) Wahrheit und Falschheit ist aus Menschensicht nur eine Abstraktion.


Ich verstehe nicht, was Du meinst.
Ich behaupte ja nicht, dass alle Wahrheiten für uns Menschen wissbar sind.

Wenn wir von Wahrheit im menschlichen Sinn sprechen, also wenn wir von Menschen ausgehen, die an eine Wahrheit oder Falschheit glauben bzw. diese wissen, dann ist das eine Form von Information sehr komprimierter Art. Wenn wir sagen da steht ein Auto, dann kann das wahr sein, aber was ist wenn es nur zur Hälfte ein Auto ist, was ist dann wahr? Das ist so ein Beispiel wie das der Schröderingers Katze für Quantenzustände.

Die Frage was Wahrheit ist berührt auch die Quantenmechanik.

Wir bauen uns im Kopf ein System, dass in uns Menschen überall ähnlich ist, sonst könnten wir nicht miteinander kommunizieren, aber in diesem System ist eine Information nur wahr oder falsch. Dieses System ist unsere Abstraktion von der Wirklichkeit, so wie die Physik Wirklichkeit abstrahiert in Messgrößen, so abstrahiert der Mensch ständig seine Umwelt in Worten und Gebilden.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 18. Mai 2009, 20:26

ostfriese hat geschrieben:Was eine wahre Aussage ist, können wir aber ohne ein Konzept von 'Wahrheit' nicht verstehen.


Ja, klar.

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Wir können nicht nach Belieben Wahrheiten bzw. Falschheiten "konstruieren".

Wir können schon, wir sollten es nur nicht. Die Frage ist also, woran wir unsere Konstruktion (und es ist eine!) orientieren.


Definitionen sind Konventionen, aber sobald ein Begriff soundso definiert ist, hängt es nicht mehr von unseren sprachlichen Konventionen ab, ob etwas darunter fällt oder nicht.

"Die Idee der Begriffsrelativität ist alt und, wie ich glaube, korrekt. Jedes Klassifikations- oder Individuationssystem von Objekten, jedes Kategoriensystem zur Beschreibung der Welt, ja, jedes Repräsentationssystem überhaupt ist konventionell und insofern willkürlich. Die Welt teilt sich so auf, wie wir sie aufteilen, und wenn wir jemals geneigt sind zu glauben, dass unsere gegenwärtige Methode, sie einzuteilen, die richtige oder irgendwie unvermeidliche ist, können wir uns immer alternative Klassifikationssysteme ausdenken. (...) Weil jede wahre Beschreibung der Welt immer innerhalb irgendeines Vokabulars, in irgendeinem System von Begriffen gegeben werden wird, hat Begriffsrelativität die Konsequenz, dass jede wahre Beschreibung immer relativ auf ein System von Begriffen gegeben wird, das wir mehr oder weniger willkürlich für die Beschreibung der Welt ausgewählt haben. So charakterisiert scheint der Begriffsrelativismus vollständig wahr zu sein, ja geradezu platt."
(S. 170f.)

"Man denke sich das Verhältnis von Realismus und Begriffsrelativismus etwa so:
Man nehme sich eine Ecke der Welt, zum Beispiel das Himalaya-Gebirge, und man denke es sich, wie es vor der Existenz menschlicher Wesen war. Nun stelle man sich vor, dass Menschen daherkommen und sich die Tatsachen auf vielfache verschiedene Weise repräsentieren. Sie haben verschiedene Vokabularien, verschiedene Systeme, sich Karten zu machen, verschiedene Systeme, Berge zu zählen, einen Berg, zwei Berge, denselben Berg usf. Als Nächstes stelle man sich vor, dass schließlich alle Menschen aufhören zu existieren, Was passiert nun mit der Existenz des Himalaya und all den Tatsachen hinsichtlich des Himalaya-Gebirges im Verlauf dieser verschiedenen Wechselfälle? Überhaupt nichts. Verschiedene Beschreibungen von Tatsachen, Objekten usf. kamen und gingen, aber die Tatsachen, Objekte usf. blieben unberührt. (Bezweifelt jemand das wirklich?)
Die Tatsache, dass alternative begriffliche Schemata verschiedene Beschreibungen derselben Wirklichkeit zulassen und dass es keine Beschreibungen der Wirklichkeit außerhalb aller begrifflichen Schemata gibt, hat nicht die geringste Auswirkung auf die Wahrheit des Realismus."

(S. 174)

"Aus der Tatsache, dass eine Beschreibung nur relativ auf eine Menge linguistischer Kategorien gemacht werden kann, folgt nicht, dass die beschriebenen Tatsachen/Objekte/Sachvergalte etc. nur relativ auf eine Menge von Kathegorien bestehen können. Richtig verstanden ist Begriffsrelativismus eine Darstellung der Art und Weise, wie wir die Anwendungen unserer Ausdrücke festlegen. Was als eine richtige Anwendung des Ausdrucks 'Katze' oder 'Kilogramm' oder 'Canyon' (oder 'Klörg') zählt, hängt von unserer Entscheidung ab und ist insofern willkürlich. Aber wenn wir die Bedeutung swolcher Ausdrücke in unseren Vokabular durch willkürliche Definitionen einmal festgelegt haben, dann beruht es nicht länger auf irgendeiner Art Relativismus oder Willkür, ob repräsentationsunabhängige Eigenschaften der Welt diesen Definitionen genügen, weil die Eigenschaften der Welt, die den Definitionen genügen oder nicht, unabhängig von diesen oder anderen Definitionen existieren. Wir definieren das Wort 'Katze' willkürlich auf die und die Art; und nur relativ auf solche und solche Definitionen können wir sagen 'Das ist eine Katze'. Aber sobald wir einmal die Definitionen gemacht haben und sobald wir einmal die Begriffe relativ auf das Definitionssystem angewendet haben, ist es nicht länger willkürlich oder relativ, ob etwas unserer Definition genügt oder nicht. Dass wir das Wort 'Katze' in der Weise benutzen, wie wir es tun, liegt bei uns; dass es ein Objekt gibt, das unabhängig von diesem Gebrauch existiert und diesem Gebrauch genügt, beruht einfach auf einer (absoluten, immanenten, geistesunabhängigen) Tatsache. Im Gegensatz zu Goodman machen wir nicht 'Welten'; wir machen Beschreibungen, die auf die wirkliche Welt passen oder nicht. Aber all dies impliziert, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig von unserem Begriffssystem existiert. Ohne eine solche Wirklichkeit gibt es nichts, auf das der Begriff angewendet werden kann."
(S. 176)

(Searle, John R. Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Übers. M. Suhr. Reinbek: Rowohlt, 1997.)

ostfriese hat geschrieben:Der mit Abstand beste Kandidat für 'Übereinstimmung' zwischen formalem und realem System ist Strukturgleichheit, Isomorphie.


Ja, aber auch die Rede von einer abstrakten nichtikonischen Isomorphie erscheint problematisch, vor allem wenn man an negative und generelle Tatsachen denkt (wobei ich persönlich an die Existenz ersterer nicht glaube).
Und überhaupt betrachte ich <Tatsache> eigentlich nicht als eine primäre, sondern als eine abgeleitete ontologische Kategorie. So ergibt sich zum Beispiel die Tatsache, dass Barack Obama ein Präsident der USA ist, daraus, dass der Präsident der USA namens Barack Obama existiert. Und zwischen dem Präsidenten der USA namens Barack Obama und der Aussage "Barack Obama ist eine Präsident der USA" kann ich überhaupt keine Strukturgleichheit erkennen. Allgemein gilt:

Fa <-> Ex(Fx & x = a)

"a ist genau dann (ein) F, wenn es etwas gibt, das (ein) F und (mit) a (identisch) ist."
Davon ausgehend kann man also sagen:

"Wenn dasjenige existiert, das (ein) F und (mit) a (identisch) ist, dann existiert die Tatsache, dass a (ein) F ist."

Formal: E!ix(Fx & x = a) -> Fa

Der fundamentale Wahrmacher einer Aussage der Form "Fa" ist also nicht die Tatsache, dass Fa, sondern das F-seiende a.

"We will work, then, with the following theory of the nature of truth:

p (a proposition) is true if and only if there exists a T (some entity in the world) such that T necessitates that p and p is true in virtue of T."


(Armstrong, D. M. Truth and Truthmakers. Cambridge: Cambridge University Press, 2004. p. 17)

(T kann ein Sachverhalt bzw. eine Tatsache sein, aber eben auch ein Ding-mit-Eigenschaft.)

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Eine Aussage ist genau dann wahr, wenn sie einen seienden, wirklichen Sachverhalt, d.i. eine Tatsache, beschreibt.
Dazu ist es nicht erforderlich, dass wahre Aussagen den von ihnen wiedergegebenen Tatsachen ähneln oder in einer natürlichen Beziehung dazu stehen.

Damit bist Du beim Positivismus und Instrumentalismus, nicht mehr beim Naturalismus.


Verstehe ich nicht.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 18. Mai 2009, 20:37

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Eine Aussage ist genau dann wahr, wenn es so ist, wie sie besagt.

und nun kommt die spannende Frage: woher weißt Du das im konkreten Einzelfall?


Dank unserer Erkenntnisquellen:

"These are perception, introspection, memory, reason, and testimony."

(http://plato.stanford.edu/entries/epistemology/#SOU)
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon quark » Mo 18. Mai 2009, 21:11

Wissen ist die rationale Annahme, dass die Information objektiv ist.
Glaube ist die irrationale Annahme, dass die Information subjektiv ist.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon El Schwalmo » Mo 18. Mai 2009, 21:16

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Eine Aussage ist genau dann wahr, wenn es so ist, wie sie besagt.

und nun kommt die spannende Frage: woher weißt Du das im konkreten Einzelfall?


Dank unserer Erkenntnisquellen:

"These are perception, introspection, memory, reason, and testimony."

(http://plato.stanford.edu/entries/epistemology/#SOU)

Okay, dann können wir das Thema wohl abhaken.

Es sei denn, unter 'testimony' fallen auch AT und NT.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 18. Mai 2009, 21:21

Myron hat geschrieben:"These are perception, introspection, memory, reason, and testimony."
(http://plato.stanford.edu/entries/epistemology/#SOU)


Manche fügen Intuition hinzu.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 18. Mai 2009, 21:22

El Schwalmo hat geschrieben:Okay, dann können wir das Thema wohl abhaken.


Inwiefern?
(Oder habe ich Deine obige Frage falsch verstanden?)

El Schwalmo hat geschrieben:Es sei denn, unter 'testimony' fallen auch AT und NT.


Zeugenaussagen sind natürlich nicht immer verlässlich.
Ich betrachte "testimony" auch nicht als primäre Erkenntnisquelle.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon smalonius » Mo 18. Mai 2009, 21:34

ostfriese hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Wir können nicht nach Belieben Wahrheiten bzw. Falschheiten "konstruieren".

Wir können schon, wir sollten es nur nicht. Die Frage ist also, woran wir unsere Konstruktion (und es ist eine!) orientieren.
Dann konstruiere ein Perpetuum mobile, oder eine überlichtschnelle Rakete.


Halt, ich habe mich geirrt, es geht doch: :mg:

a = b
a^2 = a*b
a^2-b^2 = a*b-b^2
(a+b)(a-b) = b(a-b)
(a+b) = b
a+a = a
2a = a
2 = 1

Ooops. :blush2:
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon El Schwalmo » Mo 18. Mai 2009, 21:45

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Okay, dann können wir das Thema wohl abhaken.

Inwiefern?
(Oder habe ich Deine obige Frage falsch verstanden?)

wir können nicht zeigen, dass wir etwas wissen. Denn nichts von dem, was Du genannt hast, ermöglicht eine Entscheidung, ob 'Wissen' nach der von Dir verwendeten Definition vorliegt.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Es sei denn, unter 'testimony' fallen auch AT und NT.

Zeugenaussagen sind natürlich nicht immer verlässlich.
Ich betrachte "testimony" auch nicht als primäre Erkenntnisquelle.

Wenn AT und NT gelten würden, wäre das die primäre Erkenntnisquelle. Die die hätte ja einer verbalinsinuiert, der dabei war, als beispielsweise das Universum erschaffen wurde.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 18. Mai 2009, 22:34

El Schwalmo hat geschrieben:wir können nicht zeigen, dass wir etwas wissen. Denn nichts von dem, was Du genannt hast, ermöglicht eine Entscheidung, ob 'Wissen' nach der von Dir verwendeten Definition vorliegt.


Meine obige Definition legt die Bedeutung des Wissensbegriffs fest, aber keine epistemologischen Kriterien, anhand deren man feststellen kann, ob eine gegebene Aussage wahr ist.

Unsere Erkenntnisquellen, allen voran Empirie und Ratio, sind die Mittel zur (objektiven) Rechtfertigung unserer 'Glaubungen'.
Du kannst natürlich einen generellen Skeptizismus vertreten und bestreiten, dass eine 'Glaubung' jemals in der Weise gerechtfertigt ist, dass man mit Recht von Wissen sprechen kann.
Es kommt auch darauf an, ob man einen Glauben nur dann als einen Fall von Wissen gelten lässt, wenn dessen Rechtfertigung einen Irrtum logisch ausschließt:

"Infallibilism:
S's knowing that p requires S's satisfying an evidential or reliability condition C, such that it is not possible for S to satisfy C while p is false.

Infallibilism is the negation of fallibilism:

Fallibilism:
S's knowing that p requires satisfying an evidential or reliability condition C, but C is not such that it is impossible for S to satisfy C while p is false."


(http://plato.stanford.edu/entries/knowl ... ement.html)

Wenn man also nur einen unfehlbar gerechtfertigten Glauben als Wissen gelten lässt, dann können wir in der Tat außerhalb der Mathematik und der Logik fast nichts wissen.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon El Schwalmo » Di 19. Mai 2009, 05:15

Myron hat geschrieben:Unsere Erkenntnisquellen, allen voran Empirie und Ratio, sind die Mittel zur (objektiven) Rechtfertigung unserer 'Glaubungen'.

das wäre dann in etwa genau das, was zu 'zeitkernig diskursiv einlösbarer Geltung' führt.

[ ... ]

Myron hat geschrieben:Wenn man also nur einen unfehlbar gerechtfertigten Glauben als Wissen gelten lässt, dann können wir in der Tat außerhalb der Mathematik und der Logik fast nichts wissen.

Dann schau noch mal an, was Du als 'Wissen' definiert hast.

BTW, ist Dir aufgefallen, was Logik und Mathematik eint? Das sind Konstrukte, daher ist 'Wissen' in diesem Kontext trivial. Was zählt sind Dinge. Mir wäre neu, dass jemand zeigen konnte, dass sich das Sein nach unserer Logik richtet. Bestenfalls umgekehrt, aber auch dann nur als überlebensadäquate Passung bzw. heißlaufende GIGO-Module.
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Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » Di 19. Mai 2009, 15:19

Myron hat geschrieben:Du kannst natürlich einen generellen Skeptizismus vertreten und bestreiten, dass eine 'Glaubung' jemals in der Weise gerechtfertigt ist, dass man mit Recht von Wissen sprechen kann.

Deine Explikationen von 'Wahrheit' und 'Wissen' führen sogar dazu, dass wir redlicherweise einen generellen Agnostizismus vertreten müssten.

Damit könnten wir das Projekt 'Aufklärung' für alle Zeiten zu Grabe tragen. Und das wäre sehr schade, wo wir doch gerade so schön in Fahrt sind. :^^:

Ich halte einen pragmatischen, Diskurs-basierten Wissensbegriff nicht bloß für wünschenswert, sondern für unverzichtbar.

Oder soll bald jeder Prüfling vor Gericht protestieren dürfen, dass man seine privaten physikalischen Überzeugungen in der Klausur nicht gelten lassen hat, obwohl doch kein Physiker der Welt gerechtfertigterweise behaupten könne, er verfüge über Wissen?

Wir haben keine anderen Rechtfertigungen als Konsistenz mit einem durch Passung bewährten, diskursiv vorläufig als gültig akzeptierten Theorienhintergrund! Und daher halte ich es für fahrlässig, den Wissensbegriff so aufzuladen, dass er mehr fordert.

Myron hat geschrieben:Wenn man also nur einen unfehlbar gerechtfertigten Glauben als Wissen gelten lässt, dann können wir in der Tat außerhalb der Mathematik und der Logik fast nichts wissen.

Eben. Es ist ein Gebot pragmatischer Vernunft, uns mit schwächeren Rechtfertigungen zu begnügen. Und die münden alle in El Schwalmos Formel "Wahrheit = zeitkernig diskursiv einlösbare Geltung".
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