Verbreitung von Weltbildern

Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Nanna » Fr 10. Jul 2009, 21:23

Es mag sein, dass es einen tipping point gibt, wo eine schiefe Ebene beschritten wird, auf der es kein Entrinnen mehr zu immer mehr Rationalität gibt. Fraglich ist nur, wie dieser Punkt erreicht wird, der (in den meisten Fällen) diesen eigendynamischen Prozess auslöst? Wie wird ein religiöser Mensch oder ein Mensch überhaupt dazu bewegt, sich rational und selbstkritisch mit seinen Überzeugungen auseinanderzusetzen? Wie gelingt der Übergang vom Streben nach der bestmöglichen Erfüllung eines Dogmas zum Streben nach rationaler Erkenntnis und wissenschaftlicher Wahrheit? Es gibt wohl kein Allheilmittel, um diese Entwicklung anzuregen, aber was käme ihm am nächsten?
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Mark » Sa 11. Jul 2009, 03:33

In der Gesellschaft besteht keine Nachfrage nach so vielen Freigeistern.
Wenn man mehr Freigeister "erzeugen" möchte, muss man den Bedarf nach ihnen manipulieren.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Sa 11. Jul 2009, 05:27

El Schwalmo hat geschrieben:ein Mensch hat mal gesagt, dass 2 + 2 = 4 den Islam nicht wahr macht, weil ein Muslim das gesagt hat.

Es gibt weniger Kinder von intelligenten Menschen. Das ist Allgemeinwissen. Was du im speziellen Glaubst interessiert nicht.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon El Schwalmo » Sa 11. Jul 2009, 06:31

xander1 hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:ein Mensch hat mal gesagt, dass 2 + 2 = 4 den Islam nicht wahr macht, weil ein Muslim das gesagt hat.

Was du im speziellen Glaubst interessiert nicht.

wenn Du schreibst 'interessiert mich nicht' sind wir uns einig. Falls nicht, muss ich wohl deutlicher werden.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Sa 11. Jul 2009, 09:45

Du hast schon richtig gelesen.
Hier mal einige Quellen:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26000/1.html
http://www.welt.de/wissenschaft/article ... r_Sex.html
http://www.stern.de/wissenschaft/natur/:KW-48-2004-Stirbt-Intelligenz-Akademiker-Kinder-Menschen-Bildungsabschl%FCssen-(Axel,-M%FCnchen)/533502.html
http://www.welt.de/wissenschaft/article ... inder.html

oh ... vielleicht hast du doch Recht:
http://www.n24.de/news/newsitem_585651.html
oder doch nicht:
http://www.uni-protokolle.de/foren/viewt/230623,30.html

http://www.academics.de/action/popup/print?nav=36390
ZEIT: Ausgerechnet die Geisteswissenschaften, die als »Herzensstudium« gelten, produzieren Unzufriedenheit. Erschüttert ihre Zehnjahresstudie noch mehr vermeintliche Gewissheiten?

LEITNER: Es gibt in der Tat ein paar Märchen, die sich hartnäckig halten und die wir widerlegen können. Zum Beispiel, dass Akademiker weniger Kinder bekommen, mit dem Subtext »Die Gescheiten sterben aus«. Die Wahrheit ist, dass Akademiker genauso viele Kinder wie der Durchschnitt der Bevölkerung haben, sie bekommen sie nur später.


OK, es ist wohl ein Mythos, aber es gibt auf beiden Seiten pros und contras, außerdem schwanken die Werte, so dass man einmal das eine und ein ander mal das andere behaupten kann für unterschiedliche Jahre.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon El Schwalmo » Sa 11. Jul 2009, 09:50

xander1 hat geschrieben:OK, es ist wohl ein Mythos, aber es gibt auf beiden Seiten pros und contras, außerdem schwanken die Werte, so dass man einmal das eine und ein ander mal das andere behaupten kann für unterschiedliche Jahre.

darf ich das so zusammenfassen: erst googeln, dann posten?

Nur für den Fall, dass das Posting an mich gerichtet gewesen sein sollte: hast Du verstanden, was ich Dir sagen wollte?
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Sa 11. Jul 2009, 10:08

Wer googlet, denn schon jedes Mal wenn er postet. Ich habe die Infos zu dem Thema in Erinnerungen gehabt und habe diese durch das googeln wieder gefunden. Was kann ich dafür, dass es mehrere sich widersprechende Informationen zu dem Thema gibt. Das ist doch auch nicht der Normalfall.

Außerdem ist es eh blödsinnig Menschen mit Geld dazu zu locken mehr Kinder zu bekommen. Sinnvoller sind Strukturmaßnahmen, wie Partnervermittlungskram und Potenzpillensubventionierung und Arbeitszeitverkürzung mit Geldausgleich, oder irgendwie verhindern, dass Arbeitsleben dem Privatleben hinderlich ist - bezüglich Kinder bekommen und bla. Und Erhöhung des Zolls, damit auch Billigarbeitsplätze geschaffen werden können, die höheren Gewinne der Exporteure fließen eh wieder ins Ausland, wenn die Unternehmen auswandern. Mehr Billige Arbeitsplätze -> mehr Arbeitsplätze -> mehr echte Existenzsicherung -> mehr Kinder. Erhöhung des Zolls dürfte dann auch indirekt den Rechtsradikalismus eindämpfen, wenn die Menschen nicht mehr Frustriert sind und schuldige suchen.

Aber wenn wir das weiter diskutieren, dann in einem anderen Themenfanden - wär besser. Mich interessiert "Verbreitung von Weltbildern" weiterhin, nur fällt mir in diesem Moment nix dazu ein.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon stine » Sa 11. Jul 2009, 14:02

Prinzipiell glaube ich nicht, dass wir derzeit mehr (eigene) Kinder brauchen.
Allerdings müssten die Sozialsysteme an eine negativ wachsende Bevölkerung angepasst werden. Die Wirtschaft kommt auch mit weniger Bevölkerung aus. Erst wenn hier genausoviel verdient wird, wie im billigen Ausland, kommt die Arbeit wieder zurück, weil sich der Transport nicht mehr lohnt. Wenn dann die Arbeitsverhältnisse wieder eine relative Sicherheit erfahren, wird auch die Familienplanung wieder in den Vordergrund rücken.

Das Auslagern der Arbeitsplätze wird zur Zeit teilweise von den Exportländern erzwungen, um Absatzgarantien offen zu halten. Da müssen unsere Löhne wohl noch etwas länger unten bleiben. Global wird aber im Lohnniveau aufgeholt. Wie immer, nur eine Frage der Zeit, bis sich die Wogen glätten.

LG stine
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Sa 11. Jul 2009, 15:03

Nanna hat geschrieben:
Zwei Gefahren sehe ich aber dennoch in dieser Entwicklung:
Die eine ist die, dass in so einem polyreligiösen (wie würde man das denn korrekt nennen?) Milieu Sekten leichter entstehen, weil die große Konkurrenz fehlt. Ähnliches kann man in blockierten Demokratien erleben, wo es eine Unmenge an Splitterparteien gibt. Der religiöse Sektor wird unüberschaubarer und gefährlichen Entwicklungen, beispielsweise einer Weltuntergangssekte, wird schwerer zu begegnen sein.
Die andere Gefahr, die ich sehe, hängt damit zusammen: Eine Amtskirche ist eine politische Institution, die sich von anderen politischen Kräften beeinflussen lässt. Anders gesagt, dass der Oberhirte seine Schäfchen unter Kontrolle hat, kann in bestimmten Situationen auch nützlich sein, weil man durch politischen Druck erreichen kann, dass er seine Untergebenen zur Ordnung ruft. Hiermit kehre ich zu etwas zurück, was ich in meinem ersten Beitrag zu diesem Thread schon thematisiert habe, nämlich den Konflikt zwischen individuellen und kollektiven Interessen. Es ist im Sinne der individuellen Freiheit, dass jeder glauben kann, was er will, aber eben dem gegenüber im Interesse des Kollektivs, dass es ein Mindestmaß an ideologischer Übereinstimmung gibt (ich benutze das Wort Ideologie hier wertneutral als Begriff für ein System von Ideen, Weltanschauungen und Wertvorstellungen).



Ich verstehe nicht, weswegen dies Gefahren sein sollten.
"Kollektive Interessen" gibt es so wenig vom einzelnen handelnden Subjekt gelöst, wie es transzendente Sittengesetze gibt. Es geht ja in der Gesellschaft und im Kollektiv weder um GEsellschaft noch um das Kollektiv - nein, eine Gesellschaft ist eine Struktur, in der bestimmte Gesetze des Bezuges der einzelnen Teile aufeinander herrschen, nicht aber Gesetze, nach denen man festlegen könnte, was einer Gesellschaft allgemein im Interesse liegt. Es ist eine Gesellschaft denkbar, in der das höchste Ziel ein Höchstmaß an persönlichre Freieheit und Verantwortung ist. In einer solchen Gesellschaft wäre das nicht-verfolgen der persönlichsten Interessen ein entgegenwirken den Interessen des Kollektivs. Ichweiß, diese Gesellschaft gab es noch nie - aber sie ist nicht undenkbar.
Das Aufkommen von Sekten im Gegensatz zur Allmacht einer Religion, sehe ich eine Stufe der Kultur, wie sie z.B. im Italien zur zeit der Reformation schon vorherrschte und die lutherische Reformation aufgrund der höheren Stufe von Individualität unter dem südeuropäischem Volke nicht greifen konnte; ihre Bedürfnisse waren zu verschieden, als dass alle auf e i n e Weise sie befriedigt hätten werden können. Der Norden Europas war dort noch roher und die Menschen einfältiger. Die Bildung von Sekten spricht von einem gewissen Reichthum der jeweiligen Gesellschaft.


Zu PW:

Ich finde es nicht richtig, wenn einer, der Macht hat, auf jene Weise wirkt, dass er "für eine Sache" sich einsetzt.
Man vergleiche es mit Vampirismus: man hat einen Begriff, oderum unzweideutiger zu reden, ein Ideal - und anstatt nun dieses Ideal zum persönlichsten Problem werden zu lassen, stellt man es außer sich, um der Moral unserer Zeit, die ja nur eine von vielen möglichen ist, gerecht zu werden, indem man "selbstlos" handelt. Anstatt in vollster Gesundheit seiner Hoffnung zu folgen, gibt man also von seinem Blut, wird blass, gibt Kraft und Leben; sodass man fast glauben will, dass das Streben nach Selbstlosigkeit und dem "unegostischen" Einsatz seiner Macht für "die Sache", ein Umweg in den Selbstmord ist; ein Art Müdigkeit - man kann keine persönlichen Ziele mehr verfolgen, ist ziellos und schwach und matt; so nimmt man sich "eine Sache", etwas, das außerhalb ist, etwas, das kein Blut hat und doch BLut fordert; ein Gespenst, welches niemals zum Leben erwachen kann.
Jenes "sich selbst in den Hintergrund stellen" - in dem von dir geschilderten Zusammenhang, liegt dem wieder nur der Satz zugrunde "Wenn er sich beim Ausüben seiner Macht, so verhält, wie ich es moralisch finde." - und in dem Fall wohl "selbstlos". Ich meinte doch: wir dürfen uns beim annähern an moralische Dinge nicht auf moralischem Grund befinden. DEM LIEGT EINE MORAL ZUGRUNDE, es so mit der Welt zu halten und mit dem Annähern.
"Mit seinem Tun anderen Menschen helfen" - das ist eine Milchmädchenrechnung. Wann ist denn je jemandem geholfen!
Da sitzt eine, die ihr Liebster betrog, und nun leidet sie schwer unter dem was ihr widerfuhr. Ein Mitleidiger kommt hinzu, tröstet, indem er oder sie ihr recht gibt; nimmt sie in den Arm, sagt ein paar dumme Vernünftigkeiten... und siehe da, sie ist wieder hergestellt und weint nicht mehr. Sagt man nun, ihr wurde geholfen? Nun, ihr Schmerz, sicherlich, ist gelindert - aber vielleicht auch nur verdrängt, das weiß man nicht. Wird sie in Zukunft freudiger oder glücklicher sein? Vielleicht wird sie mißtrauischer sein und sich nicht gleich wieder Hals über Kopf in den nächstbesten Typen verknallen. Ist ihr gehlfen, indem ihr Mißtrauen nun gewachsen ist? Wieviel weniger wird sie nun doch Freude an den Menschen haben, wenn sie immer schief nach ihnen blickt! Hätte einer, der ihr helfen wollte, nicht also darauf verzichten sollen, ihr Leiden zu lindern? Hätte er oder sie ihr nicht beibringen sollen, dass sie lernen müsse, dass es nichts schlimmes sei, dass ihr Liebster mit einer anderen sich in einem zärtlichen Einverständnis wiederfand? Wäre ihr vielleicht besser geholfen, würde ihr erklärt werden, anders als gewöhnlich auf das Geschehniss zu blicken und vielleicht sogar lieblosigkeit ihr vorzuwerfen? Lieblosigkeit, weil sie jenen, den sie meint zu lieben, von der Welt ausschließen zu wollen und einzig, wie der Drache auf seinem Hort, in der Seele des anderen thronen will?
"Helfen"... das gibt es nur in Hinblick auf einen Zweck. Ein Messer hilft beim Zertrennen des Fleisches, hilft aber schlecht beim Trinken der Suppe. Wenn man meint, zu wissen, wie den Menschen geholfen sei, so unterliegt jenes Urteil einer Moral. Sagt man nun also, die Brights wären insofern als Machthaber akzeptabel insofern sie den Menschen helfen, ist als letztes damit ein objektives Urteil gefallen.



Umfang des Moralischen. - Wir construiren ein neues Bild, das wir sehen, sofort mit Hülfe aller alten Erfahrungen, die wir gemacht haben, je nach dem Grade unserer Redlichkeit und Gerechtigkeit. Es giebt gar keine anderen als moralische Erlebnisse, selbst nicht im Bereiche der Sinneswahrnehmung.

Es liegt dem sogar ein moralisches Vorurteil zugrunde, seine Meinungen bei der Erkundung anderer Weltbilder "aussen vor lassen zu wollen" (schreib das bitte nie in einer Arbeit oder derlei; es heißt "auschließen" oder "nicht mit einbegreifen" - im Forum ist es in Ordnung, aber nicht in der akademischen Öffentlichkeit.) - es gibt sicher Weltbilder, die es moralisch verwerflich finden, dies zu versuchen.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Nanna » Sa 11. Jul 2009, 17:11

Jarl Gullkrølla hat geschrieben:
"Kollektive Interessen" gibt es so wenig vom einzelnen handelnden Subjekt gelöst, wie es transzendente Sittengesetze gibt. Es geht ja in der Gesellschaft und im Kollektiv weder um GEsellschaft noch um das Kollektiv - nein, eine Gesellschaft ist eine Struktur, in der bestimmte Gesetze des Bezuges der einzelnen Teile aufeinander herrschen, nicht aber Gesetze, nach denen man festlegen könnte, was einer Gesellschaft allgemein im Interesse liegt. Es ist eine Gesellschaft denkbar, in der das höchste Ziel ein Höchstmaß an persönlichre Freieheit und Verantwortung ist. In einer solchen Gesellschaft wäre das nicht-verfolgen der persönlichsten Interessen ein entgegenwirken den Interessen des Kollektivs. Ichweiß, diese Gesellschaft gab es noch nie - aber sie ist nicht undenkbar.


Ich gebe zu, dass ich hier ungenau formuliert habe. Beispielsweise ist es natürlich so, dass es im Interesse aller Autofahrer liegt, möglichst schnell an ihr Ziel zu kommen. Das Interessse des Kollektivs ist also identisch mit der Summe der Individualinteressen. Aber denken wir weiter: Die Verkehrsforschung hat herausgefunden, dass ein langsamer, mit konstanter Geschwindigkeit fließender Verkehr für alle bedeutet, dass sie schneller ans Ziel kommen. In der Realität drängeln sich jedoch einzelne vor, bremsen dadurch die anderen und kommen so zwar schneller ans Ziel, durch ihre unangepasste Fahrweise werden aber Staus verursacht und die übrigen Fahrer müssen eine deutliche Verlängerung ihrer Fahrtzeit hinnehmen. Das kollektive Interesse im Sinne eines Vorteils für alle wäre also, neu formuliert, dass sich alle Fahrer auf eine Fahrweise einigen, um so einen Bonus zu erhalten, den sie nur im Kollektiv durch Kooperation erreichen können. Anders gesagt: Die Individualinteressen werden auf die Masse bezogen besser befriedigt, wenn Einzelne sich nicht vordrängeln. Das widerspricht aber dem Individualinteresse, so schnell wie möglich an das Ziel zu kommen. Natürlich ist das kollektive Ziel eine abstrakte Konstruktion; wenn man sich darüber klar ist, kann man schon sagen, dass es "im Interesse der Gesellschaft" liegt, dass alle sich an eine einheitliche Fahrweise halten, auch wenn der Einzelne lediglich sagen würde "Nö, ich will nur schnell ans Ziel kommen". Denn letztlich überträgt man den Wunsch nach mehr Effizienz, den alle Autofahrer hegen, einfach auf das Kollektiv, kann also von einem "kollektiven Interesse" sprechen. Das Problem, das sich hierbei nur ergibt, ist, dass für die Erreichung der Ziele als Kollektiv andere Gesetze gelten, als für den individuellen Fahrer, nämlich kooperieren statt vordrängeln.
Dieses Problem ist ja im Grunde der Kern der Spieltheorie. Ohne die Kontruktion eines "kollektiven Interesses", was nur ein anderer Ausdruck für eine Verhaltensweise ist, die allen gleichermaßen nützt, kommt man hier meiner Meinung nach einfach nicht weiter.

Was deine utopische Gesellschaft angeht, ist sie natürlich nicht undenkbar, aber da Kooperation den Menschen überhaupt erst möglich und groß gemacht hat, halte ich sie trotzdem für eine sehr theoretische Angelegenheit. ;-)

Jarl Gullkrølla hat geschrieben:
Das Aufkommen von Sekten im Gegensatz zur Allmacht einer Religion, sehe ich eine Stufe der Kultur, wie sie z.B. im Italien zur zeit der Reformation schon vorherrschte und die lutherische Reformation aufgrund der höheren Stufe von Individualität unter dem südeuropäischem Volke nicht greifen konnte; ihre Bedürfnisse waren zu verschieden, als dass alle auf e i n e Weise sie befriedigt hätten werden können. Der Norden Europas war dort noch roher und die Menschen einfältiger. Die Bildung von Sekten spricht von einem gewissen Reichthum der jeweiligen Gesellschaft.


Jede Gesellschaftsform hat ihre Vor- und Nachteile. Ich bin nicht der Meinung, dass es eine ideale Gesellschaft oder Herrschaftsform gibt. Vielmehr gibt es für jede individuelle historische Situation eine beste Gesellschaftsform. So muss man zugeben, dass eine Theokratie, Aristokratie oder Monarchie in antiken und mittelalterlichen Zeiten eine bessere Staatsform war, als eine heutige Demokratie, einfach weil schon allein die Logistik für annähernde Echtzeitinformation und landesweite Wahlen aller Bürger nicht vorhanden war. Insofern wäre ich auch vorsichtig, die Zersplitterung einer Gesellschaft pauschal als Reichtum zu sehen. Dies kann ab einem bestimmten Niveau auch zur Unregierbarkeit führen, was sich in einem Rückgang an inner und äußerer Sicherheit und evtl. auch des Lebensstandards äußern wird, zumindest für die schwächeren Glieder der Gesellschaft. In Vielparteiensystemen mit brüchigen Koalitionen, beispielsweise in Israel oder eben auch im von dir angesprochenen Italien kann man das sehen (wobei es in Italien natürlich noch ganz andere Probleme gibt und das Land nicht gerade eine Hochburg wider den Faschismus ist...). Andersherum sind kollektivfixierte Gesellschaften, wie es Deutschland mit seiner langen sozialistischen Tradition durchaus ist, leichter zu führen, dafür auch anfälliger für Propaganda und Totalitarismus.
Was ich vor allem sagen möchte ist dies: Es gibt keine klare Abfolge von Kulturstufen, bei der eine der anderen überlegen ist. Von solchen Teleologien halte ich nicht viel. Trotzdem empfinde ich natürlich persönlich eine kritische, pluralistische Gesellschaft als etwas positives, ich hoffe nur, dass sie sich evolutionär auch als das auf lange Sicht bessere System erweist. Ob dies der Fall ist, kann nach den paar Jahrzehnten des größeren Experimentierens meiner Meinung nach noch nicht ausgesagt werden. Insofern sollte man schon die Augen offen haben, was bestimmte mögliche Probleme solcher Gesellschaftsformen angeht.


Jarl Gullkrølla hat geschrieben:
Ich finde es nicht richtig, wenn einer, der Macht hat, auf jene Weise wirkt, dass er "für eine Sache" sich einsetzt.


Ich stimme hier absolut zu. Vielleicht darf ich daran erinnern, dass ein gewisser deutscher Diktator, sich von der "Vorhersehung" dazu berufen sah, die Erde von allen Menschen zu "befreien", die er als Juden ansah. Hitler und andere Nazis haben das Elend der Juden im privaten Kreis sogar bedauert, wobei hier nicht bekannt ist, ob sie das wirklich selber glaubten. Dieses "Bedauern" hat sie aber nicht daran gehindert, der Meinung zu sein, dass es für die Menschheit (=im wesentlichen die Deutschen) besser sei und diese Arbeit "getan werden müsse", selbst wenn das für Juden wie Soldaten beidermaßen schlimm sei. Auch im Namen von Religionen setzen sich ja Menschen für "ihre Sache" ein - nur leider ist das manchmal auch das Töten oder Zwangsmissionieren Ungäubiger und perverserweise ist das aus Sicht der Gläubigen sogar in deren Interesse, Rettung des Seelenheils, und so. Habermas' Diskursethik (Kurzform: (Moralische) Regeln können nur dann als verbindlich gelten, wenn alle Mitglieder der jeweiligen Gruppe sie akzeptiert haben) mag zwar real wenig praktikabel sein, ist aber genau aus diesem Grund eigentlich sehr konsequent gedacht.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Sa 11. Jul 2009, 18:10

Wenn ich mir das ganze so von euch durchlese und einen Gedanken hinzufüge, so stelle ich fest, dass die Verbreitung religiöser Weltbilder im Prinzip eine Form der Evolution des Menschen ist. Es ist nämlich nicht nur so, dass sich der Mensch an seine Umgebung anpassen muss laut Evolutionstheorie, sondern der Mensch passt seine Umgebung an sich an und das geschieht mit Hilfe der Religion. Die Sittengesetze werden doktruiert, aber auch von den Gläubigen nach außen getragen. Sozusagen, wer mehr religiöse irrationale Informationen verbreitet passt schließlich seine Umgebung seinen Wünschen an. Und es wird behauptet, dass man das gute weitertragen will, indem man missioniert, dabei ist es eine Moral die weitergetragen wird, die den eigenen Wünschen entspricht. Und das was gut ist, ist doch gut, will heißen, das was für mich gut ist, muss doch auch für andere gut sein. Aber das Thema hatten wir auch schon einmal: Das habe ich sogar selbst erstellt: (Ideale egoistisch motiviert) viewtopic.php?f=29&t=2670&start=0&hilit=Ideale+egoistisch

Eine Ideale Gesellschaftsform kann nicht alle Ideale optimal umgesetzt haben. Ideale und ethische Normen konkurrieren untereinander in einzelnen Menschen und in Gesellschaften. Es wird in jeder Gesellschaftsform letztendlich nur Gewinner und Verlierer geben. Es bleibt eine Sichtweise der Strategie.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon PW_ » Sa 11. Jul 2009, 19:08

@Jarl Gullkrolla und Nanna:
Ich frage mich dann, wie ich mich - eurer Meinung nach -für ein Ziel, dass ich habe, einsetzen soll. In dem Moment, wo ich etwas erreiche, übe ich IMMER Macht aus.
Und ich mag es nicht, wenn jemand so unehrlich ist, sich für Dinge einzusetzen, die er gar nicht möchte oder gut findet. Nur weil das beispielsweise gerade der Wille irgendeiner Mehrheit ist. Für solche Dinge sollen sich diejenigen einsetzen, die davon überzeugt sind. Ich verbreite also im Moment kein athestisches Weltbild - weil ich davon nicht überzeugt bin.

Und: Nutzen für die Sache und Eigennutz schliessen sich ja überhaupt nicht aus - im Gegenteil. Schliesslich soll einem die Sache, für die man sich einsetzt, auch gefallen und man sollte davon überzeugt sein! Aber Nuzten für eine Sache und Nutzen für andere sollten sich erst recht nicht ausschliessen.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Di 14. Jul 2009, 17:20

@ PW:

Nanna teilt meine Meinung, ich nicht die ihre oder seine.

Ich spreche mich gegen die Verunglimpfung der Macht aus. Macht ist gut.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon stine » Di 14. Jul 2009, 18:25

Jarl Gullkrølla hat geschrieben:Macht ist gut.
Hier drehen wir uns ganz bestimmt im Kreis.
Macht ist gut, wenn sie zum Guten verwendet wird. Was aber ist gut? Das zu entscheiden hat der Mächtige.
Nicht gut ist, auf Macht und Diktat zu verzichten und stattdessen von vorneherein jeden Vorschlag in Frage zu stellen und jede Entscheidung solange hinauszuzögern, bis sie überflüssig geworden ist. Dieser Eindruck entsteht leicht, wenn demokratisch entschieden werden soll. Denn selbst die demokratische Mehrheit hat Macht über die Minderheit.
Damit das nicht so ist, schafft man Minderheitengesetze und zwingt der Mehrheit die Belange der Minderheit auf, was wiederrum keinesfalls demokratisch ist.

Also Macht oder nicht Macht? Die Frage ist so einfach nicht zu beantworten, weil wo immer sich irgend jemand durchsetzt, übt/üben er oder sie Macht über andere aus.

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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Mi 15. Jul 2009, 08:36

Jarl Gullkrølla hat geschrieben: Macht ist gut.


Mit Macht ist es ähnlich wie mit Geld: Besitzt du das Geld oder besitzt das Geld dich? Besitzt du die Macht oder besitzt dich die Macht? Was meine ich damit:

Wenn du mächtig sein willst und wenn du Macht behalten willst, musst du gewisse feste Herangehensweisen verfolgen. Andere Ziele im Leben konkurrieren dann mit dem Willen zur Macht. Und irgendwo hat man seine Prioritäten. Weder Geld und Macht können aber glücklich machen, sondern sollten nur Mittel sein und nicht Zweck. Aber bei denen die Macht haben, war es der Zweck mächtig zu sein. Also braucht man einen Willen zur Macht dazu, als Zweck.

Nietzsches Werk: "Der Wille zur Macht" ist nichts als Metaphysik und sollte besser nicht gelesen werden. Ich habe es aber angelesen.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon folgsam » Mi 15. Jul 2009, 14:38

Abgesehen davon dass 'Der Wille zur Macht' nicht von Nietzsche zusammengestellt wurde. Sollte man also eigentlich nicht zu Nietzsches Werken zählen.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Mi 15. Jul 2009, 17:45

Wenn er es denn selbst geschrieben hat, wem soll man es sonst zuordnen? Außerdem war er zu der Zeit als er es geschrieben hat möglicherweise schon krank, im Wahn, wer weiß das.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Pia Hut » Sa 18. Jul 2009, 14:11

Habe gerade in einem Schwung diesen Thread gelesen, weil ich einfach keine Zeit zum Forumlesen fand. Ich will noch mal an zwei Gedanken ansetzten, die bei mir besonders rumoren. (Es gab zwar noch mehr, aber ich bin auch ein Vielschreiber und muss mir Beschränkung immer sehr aufherrschen.)

zunächst zu Nana: Deine Schreibe finde ich übrigens echt stark, du bringst deine Überlegungen zumindest in meinen Augen sehr klar auf den Punkt. An folgender Passage hat sich jedoch mein Widerspruch entzündet.

Nanna hat geschrieben:Was deine utopische Gesellschaft angeht, ist sie natürlich nicht undenkbar, aber da Kooperation den Menschen überhaupt erst möglich und groß gemacht hat, halte ich sie trotzdem für eine sehr theoretische Angelegenheit.


Wie kommt eigentlich diese „aber“ zustande. Ich kann nicht erkennen, dass sich Jarl in irgendeiner Form gegen Kooperation von Menschen ausgesprochen hätte.

Nana, du selbst sprichst von dem alten Problem zwischen kollektiven Nutzen und individuellem Nutzen. Wenn ich deine Texte lese, dann habe ich den Eindruck, dass du diese beiden Seiten sich irgendwie naturwüchsig widersprechen siehst. Davon bin ich keineswegs überzeugt. Alle deine Beispiele leben von einer herrschenden Gesellschaftsordnung in welcher diese beiden Seiten nicht zueinander passen wollen. Dein Geschichts- und Gesellschaftsbild (und entschuldige wenn ich jetzt etwas überzeichne) erinnert mich ein wenig an einen historischen Determinismus indem „Mensch“ immer nur den Strömungen seiner Zeit hinterher rennen kann – ein Bild in dem Gesellschaft und geschichtliche Entwicklung als eine Art notwendiger Naturerscheinung gefasst sind, an die man sich, denn es wäre ja blöd sich gegen Naturgesetze zu vergreifen, nur bestmöglich anpassen kann.

Mir selbst scheint es wichtig sich in seinen Urteilen aus der eigenen gesellschaftlichen Befangenheit zu lösen, und das geht nur, in dem man quasi von außen auf Gesellschaft blickt - das weiß ich jetzt auch nicht besser zu beschreiben - insofern trifft Jarls „utopische Gesellschaft“ (auch wenn das die Sache nicht so ganz trifft) bei mir durchaus auf fruchtbaren Boden. Ich sehe auch nicht, wieso das theoretischer sein soll als deine Überlegungen. Und ich habe so meine Zweifel, was dein „denkbar“ angeht, mir kommt das eher so vor, als sei es vielen warum auch immer „undenkbar“…(soviel vorläufig dazu.)

zu Jarl: Das es pw´s Gedanke war "was für mich gut ist, ist es auch für alle anderen" kann ich in ihrem Text nicht sehen und auch die Sache mit der „Milchmädchenrechnung“ leuchtet mir noch nicht ein.
Ich vermute du denkst da an ein gewisses „Helferdilemma“.
was ich damit meine: Was ich persönlich bei selbsternannten „Helfern“ gar nicht leiden kann ist, wenn sie meinen, sie wüssten besser als man selbst, was einem gut tut. (Und dann womöglich auch noch denken ohne mein Wissen - mir „zuliebe“- agieren zu müssen, das kommt einer Entmündigung gleich und ist das Gegenteil von Hilfe. Bei Kindern macht man das ja mitunter notgedrungen, weil man weiß, dass ihnen gewisse Erfahrungen fehlen und man es ihnen manchmal auf die Schnelle nicht so transparent machen kann, wie es ihrem Wort- u. Erfahrungsschatz angemessen wäre - will man sie den von einer praktischen Gefahr bewahren).

Aber von wem denn sonst außer von sich selbst sollte man ausgehen? Man steckt nun mal nicht in anderer Menschen Köpfe drin. Und warum sollte ich eigentlich annehmen, dass die Mitglieder meiner eigenen Gattung so völlig anders sind als ich selbst? Klar gibt es individuelle Unterschiede, aber die kann ich vorab doch gar nicht genau wissen. Und warum nicht der eigenen Urteilskraft vertrauen (nur die Behauptung die käme irgendwie überirdisch zustand, von höherer Macht eingegeben, regt mich auf, weil sie sich damit gegen jede Kritik zu immunisieren sucht).
Ob eine angebotene Hilfe von einem anderen Menschen auch so gesehen wird, liegt nicht in der eigenen Hand, es ist dessen Urteilskraft die das entscheidet. Das hält mich jedoch nicht davon ab Hilfe anzubieten. Nein altruistisch bin ich nicht, es ist mein Interesse an dieser anderen Person, die mich das Angebot machen lässt, aber auch bei fremden Menschen tue ich das, wenn es mich stört zuzuschauen, wie sie sich selbst in Schwierigkeiten bringen. Da ich es als mein Eigeninteresse weiß, erwarte ich daher auch mitnichten einen Dank.

Um es plastischer zu machen zu dem Beispiel mit dem Liebeskummer: (aber zunächst mein persönliches Vorurteil in dieser Sache: Gegen intensive Gefühle zu anderen Menschen habe ich nicht den geringsten Einwand, aber neben dem vermeintlichen Trostpflaster der Religion halte ich das Festhaltenwollen am„Liebesideal“ für einen fast eben so häufigen Verursacher für gedankliche „Verdummungsprozesse“.)
Wenn nun eine Freundin zu mir kommt, mit dem großen Gefühl der Enttäuschung, weil sie feststellen musste, dass ihre starken Gefühle für einen anderen Menschen offenbar nicht mehr auf die entsprechende Resonanz stoßen, meine ich dieses Gefühl nachempfinden zu können – und dann tue ich ihr zunächst den „Gefallen“ mit ihr über den „Blödmann“ zu lästern. Warum? Weil ich von mir selbst weiß, dass wenn ich im Zustand der Gefühlsaufgeregtheit Gelegenheit habe diese zu verbalisieren, dann versachtlicht das auch das Gefühl. Und oft übertreibe ich dann auch „Hat mich schon immer gewundert, was du an diesem Idioten eigentlich gefunden hast, denn…..“. Warum? Weil ich von mir weiß, dass wenn ich in emotionaler Wut bin, mir auch die Selbstkritikfähigkeit flöten geht, bei anderen kann ich das dann aber immer noch erkennen. So treibt mich ein solcher Satz dann selbst dazu, den „Blödmann“ wieder zu verteidigen und bei Freundinnen habe ich das auch oft erlebt. Und das nimmt der blinden Wut den Wind aus den Segeln.
Das waren meine harmlosen Hilfsangebote. Bei einer Freundin die vor lauter Liebeskummer für die Welt nicht mehr zu erreichen war, habe ich mich im Vertrauen auf ihre Urteilkraft auch mal zu einer harten Gangart entschieden. „So wie du liebst, so wollte ich auch nicht geliebt werden. dann- etwas sinngemäßes wie der „Drache auf seinem Hort“- und „ich möchte auch nicht von einem anderen Menschen für dessen Schicksal, dessen Wohl und Wehe so vollständig verantwortlich gemacht werden, wie es deine Liebe tut.“
Wie zu erwarten sprach sie mir die tiefe Liebesfähigkeit ab, sie sei bereit sich für ihre Liebe in den Tod zu stürzen, das könne ich wohl nicht nachvollziehen, da müsse ich wohl emotionale Defizite haben. Ich kam nur noch dazu zu sagen, dass wenn sie meinte den ultimativen Liebesbeweis erbringen zu müssen und sich vor einen Zug werfe, könne sie sicher sein, dass ich an ihrem Grab jedem gegenüber ihre Dummheit verurteilen werde und sie hätte dann nicht die geringste Chance dagegen vorzugehen.
Sie hat sich nichts angetan - habe sie erst nach ein paar Wochen frischverliebt wiedergesehen, an den Blödmann habe sie kaum noch gedacht, aber lange habe sie daran gekaut, wie sie mir die Gemeinheit heimzahlen bzw. mich widerlegen könne.
Pia Hut
 
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Sa 18. Jul 2009, 17:05

Was ich so neckisch bezüglich der "Milchmädchenrechnung" sagte war, auch wenn es doch so spät erst hinter einer Anschauung folgte, daruaf bezogen, was ich vom "helfen" allgemein sagte; jene "teleologische Theorie von der Hilfe", wie ich sie jetzt für mich beschloss zu nennen, da es doch arg an den Aristoteles erinnert, und welche das "Dilemma des Helfens", wie du es, Pia_Hut, nanntest, aufgreift, und eben umreißt, dass, wenn irgendwo eine "Hilfe" geschieht, von zwei Seiten her ein Zweck angesetzt wird.

Bei einem unbelebten Hilfsmittel, so z.B. einem Hammer, einem Löffel oder einem prallgefüllten Girokonto, ist das helferische Vermögen ein rein instrumentelles, d.h. es hilf gerade sosehr, als das Werkzeug dem erreichen eines Zweckes dient; und bedient man sich des richtigen Werkzeuges, ist einem auch immer durch gerade jenes Werkzeug geholfen. Es ist sehr einfach mit dem Unbelebten. Inspiriert hat mich zu diesem Gedanken übrigens die instrumentelle Sprachtheorie des Aristoteles, die mit starker Einschränkung recht behält - aber auf Sprache will ich jetzt nicht zu sprechen kommen, da Sprache allemal das Hauptfeld meiner Beschäftigungen ist.
Schon wenn man Tiere instrumentalisieren will, indem man z.B ein Pferd vorden Pflug spannt, fällt schon auf, dass, wenn man ein Lebewesen zu einem bestimmen Zwecke zur Hilfe haben will, dies allzuoft dem Willen des Instrumentalisierten zuwider geht; so muss man, will man geholfen sein, dem Lebewesen einen ihm günstigen Zweck in Aussicht stellen, der durch die Hilfeleistung erreicht werde. Gerade aber beim eingespannten Pferd ist dies selten der Fall, sodass es eben durch Unterdrückung und die Gerte getrieben werden muss. Alles, was beim Pferd vorm Pflug zu betrachten ist, sind wohl das allgemeinsten Mermale der Ausbeutung.

Beim Menschen nun, ist es aber meist ein ganz anderer Fall, als jener der Zwecksetzung. Nehmen wir die der Liebe wegen Kummernde:
Es ist unwahrscheinlich, dass sie einen Zweck mit ihrer Trauer verfolgt. Es ist eben so unwahrscheinlich, dass der, der zu Hilfe kommen will, weiß welche Zwecke jene Kummervolle allgemein in ihrem Leben verfolgt: lebt sie stoisch, oder epikureisch? will sie möglichst wenig leiden oder will sie möglichst viel erlebt haben, egal wieviel sie leidet? lebt sie die Zeit der Trauer, um nicht nur dieses eine Unglück, sondern auch die ganze Welt in dem verhüllenden Lichte jener verdunkelnden Stimmung einmal zu schauen? oder will sie die Welt lieber immer in einem und dem selben Lichte einer gleichförmigen Stimmung erleben? will sie lieber Gleichförmigkeit, oder doch lieber das Schwanken zwischen den Polen?
Solche allgemeinen Zwecksetzungen, wozu denn überhaupt Erlebnisse da sind, gibt es bei jedem Menschen, ob mehr oder minder bewußt; oftmals vielmehr "vom Leib aus festegelegt", oder auch nicht festgelegt, darum geht es jetzt auch gar nicht, sondern darum, dass es eine Moral hinter der Moral gibt, welche viel stärker den "Grundcharakter" eines gesamten Lebens ausmacht und welche bei Tieren sehr viel einfacher zu beobachten ist.
Jedenfalls kann der Helfende natürlich von sich selber ausgehen; und es macht ja auch die Ethik eines wirklich überragenden Kopfes aus, dass sie eben nicht aus den Begriffen, sondern aus dem Erleben her ihren Stoff nimmt - ich spreche von Mitleidsethik Schopenhauers, die ich offen gestanden nicht richtig finde und die auch selber viele Irrthümer birgt. Ich selber will ja gar nicht leugnen, dass ich es selber doch auch so mache, wie es fast jeder tut, und dem Leidenden, vor allem wenn es ein Freund ist, eben zu helfen; mi dem Versuch, die Zwecke des anderen darin zu verfolgen, wie er gern geholfen wäre, ohne also meine Vorstellung davon, wie ich gern geholfen wäre, dem fremden Leben aufzuzwängen; was in solche einer Lage doch nur spätere Schäden an der Souveränität meines lieben Freundes haben würde.
Was du Pia, da für Geschichten von den Vorfällen mit deinen Freundinnen erzählst, erinnert mich an den Ausspruch Zarathustras, man könne dem Freunde zur Not ein Bett sein - aber es solle ein Feldbett sein. ;-)
Ja... da ähneln sich wohl wirklich viele darin, in der Art, wie man mit Liebeskummernden spricht... Mäkel an dem blöden Typen aufzählen und verwandtes, scheint beliebt zu sein :-)
Trotzdem ist es eben auf diese Art und Weise herkömmlich - so zu helfen, wie man meistens hilft, ist so... wenig erfinderisch! Da muss es doch noch etwas zu machen geben! Nichts anderes ist ja die Hoffnung Nietzsches auf den Übermenschen, oder diese ständige Überwindung: der Mensch muss doch noch mehr können! Soviele Möglichkeiten hat er - und doch tut man so oft das herkömliche.
Und wenn ich davon spreche, dass doch irgendwie eine Milchmädchenrechnung sei, von seinen eigenen Bedürfnissen auszugehen; dann ist es auch die Ahnung, dass man da doch noch mehr machen könne; dass ein "Über-Helfen" möglich sei, und das unter den Vorraussetzungen, die jedem gesunden Menschen allgemein inne sind, also Verstand, Vernunft, alle fünf Sinne, Arme, Beine etc. ...


Das war übrigens keine "Utopie", diese Gesellschaft, von deren Möglichkeit ich sprach. Auch in jener Gesellschaft würde es Menschen geben, die eben jene allgemeine Moral schlecht fänden; es war nur eine von millionen verschiedener möglicher Zukünfte. Vielleicht kommt ja auch einmal der Stoicismus zur Blüte, und in der Gesellschaft ist es dann Gang und Gebe, seine Bedürfnisse, gleich Diogenes, immer bei ihrem Aufkommen schon zu befriedigen - dann finden sich sicher irgendwann sensible Seelen, wie die meine es ist, die es nicht gut heißen, wenn ständig in der Öffentlichkeit onaniert würde, auch wenn es eben gesellschaftlich anerkannt ist und es für schlecht befunden würde, wenn man seine jeglichen Bedürfnisse nicht sofort befriedigt. Igitt... tut mir leid...
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon PW_ » So 19. Jul 2009, 18:16

Jarl Gullkrølla hat geschrieben:Ich selber will ja gar nicht leugnen, dass ich es selber doch auch so mache, wie es fast jeder tut, und dem Leidenden, vor allem wenn es ein Freund ist, eben zu helfen; mi dem Versuch, die Zwecke des anderen darin zu verfolgen, wie er gern geholfen wäre, ohne also meine Vorstellung davon, wie ich gern geholfen wäre, dem fremden Leben aufzuzwängen; was in solche einer Lage doch nur spätere Schäden an der Souveränität meines lieben Freundes haben würde.


Ich will ja niemandem etwas aufzwingen (ohweh... eine hohe Moralvorstellung von mir...). Ich gehe auch nicht davon aus, einem Freund mit den selben Methoden, die mir geholfen haben, genauso gut helfen zu können. Aber ich gehe wohl davon aus, dass die Dinge, die mir geholfen haben, für andere auch hilfreich sein könnten. Und da diese Dinge mir dann am nächsten sind, und ich Erfahrung damit habe, dass es hilft, versuche ich es zuerst meistens damit. Und nicht mit irgendwas wo ich gar keine oder nur schlechte Erfahrungen mit habe. Dazu gibt es ja auch noch andere Menschen, die da sicher besser helfen können. Aber wenn ich irgendwas, womit ich eigene Erfahrungen machen musste, auch für meine Freundin für schlecht halte, dann sage ich ihr das auch.
Entscheiden muss sie aber letzlich selbst.
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