Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon M_A_V_E_R_I_C_K » Di 7. Jul 2009, 07:06

Hallo!

Worin seht ihr den Unterschied zwischen den Prädikaten "ist wahr" und "ist richtig"? In einem theologischen Aufsatz zur Wahrheit habe ich gelesen:

Der Satz "Herr X hat im laufenden Monat noch kein Geld unterschlagen" enthält auch dann, wenn er zutrifft, nicht die Wahrheit über Herrn X, sondern er enthält eine böse und verleumderische Unterstellung.


Man könne Richtiges sagen, ohne aber schon die Wahrheit gesagt zu haben. Sind "wahr" und "richtig" also nicht synonym? Aber: 2 + 2 = 4. Das ist richtig und auch wahr, oder?
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 7. Jul 2009, 07:24

du interpretierst hier was falsches hinein.
Obiges Zitat bezieht eine Wertung hinein, die für den Sprachgebrauch in dem es durchaus auch auf die Konnotation des ganzen Satzes.

Der Satz, wenn er den Zutrifft, aber Herr X. immer ein rechtschaffender Mann war und ist, dann ist der Satz zwar von der reinen Logik her richtig und wahr, aber semantisch ist er weder wahr noch vorallem nicht richtig, denn er impliziert eindeutig, dass Herr X. eben sonst schon mal sowas machen könnte. Die Unterstellung ist vorhanden, ob sie böse oder gar verleumderisch ist, ist wiederum eine Wertung, die wahr und richtig, aber auch falsch sein kein.

Für mein Gefühl, wäre der Satz sogar wahrer, als er richtig ist, wenn er Dank seiner negativen Konnotation falsch sein sollte. :mg:
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon El Schwalmo » Di 7. Jul 2009, 07:36

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:
Der Satz "Herr X hat im laufenden Monat noch kein Geld unterschlagen" enthält auch dann, wenn er zutrifft, nicht die Wahrheit über Herrn X, sondern er enthält eine böse und verleumderische Unterstellung.


Man könne Richtiges sagen, ohne aber schon die Wahrheit gesagt zu haben.

wie mein Vorredner schon sagte werden hier Ebenen vermischt.

Noch krasser ist folgendes Beispiel. Der Richter fragt den Angeklagten: 'Haben Sie endlich aufgehört, Ihre Frau zu schlagen?'

In diesem Fall liegt sogar schon eine Vorverurteilung vor, denn egal, was der Mann antwortet, der Sachverhalt, dass er seine Frau schlägt, wird als zutreffend unterstellt.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon M_A_V_E_R_I_C_K » Di 7. Jul 2009, 07:58

Der angesprochene Theologe kommt zwei Seiten später zu dem Ergebnis, dass die exakten Naturwissenschaften quasi "nur" Wissen zusammentragen würden (also "Richtigkeiten"), aber nichts davon verstehen würden. In "Angelegenheiten der göttlichen Wahrheit und ihrer Konkretionen gibt es nur ein Verstehen, kein Wissen", so seine Worte.

Er will also mitteilen, dass vieles zwar richtig sei, aber eben nicht wahr. Was ist davon zu halten? Ich finde, das ist nur theologisches Geschwafel.

Noch ein weiteres Zitat:

"Der Mensch ist eine stabile Fett-Eiweiß-Verbindung." Als Laie nehme ich an, daß dieser Satz überprüfbar und somit richtig ist. Zugleich weiß ich aber anderswoher [...], daß dieser Satz nicht die Wahrheit über den Menschen sagt.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon El Schwalmo » Di 7. Jul 2009, 08:25

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Der angesprochene Theologe kommt zwei Seiten später zu dem Ergebnis, dass die exakten Naturwissenschaften quasi "nur" Wissen zusammentragen würden (also "Richtigkeiten"), aber nichts davon verstehen würden. In "Angelegenheiten der göttlichen Wahrheit und ihrer Konkretionen gibt es nur ein Verstehen, kein Wissen", so seine Worte.

Er will also mitteilen, dass vieles zwar richtig sei, aber eben nicht wahr. Was ist davon zu halten? Ich finde, das ist nur theologisches Geschwafel.

in einem gewissen Sinn hat der Theologe durchaus Recht. Galilei wird folgende Aussage zugeschrieben (sinngemäß aus meinem schlechten Gedächtnis zitiert):

"Science tells how the heavens go, theology tells how to go to heaven."

Diese Dichotomie findet man in vielen anderen Überlegungen, beispielsweise auch in Goulds NOMA. Sehr deutlich aber auch in Wittgensteins 'Tractatus logico-philosophicus'. Der sagt ja sinngemäß auch, dass selbst dann, wenn alle naturwissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, das, was uns eigentlich interessiert, noch gar nicht behandelt wurde.

Noch ein weiteres Zitat:

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:
"Der Mensch ist eine stabile Fett-Eiweiß-Verbindung." Als Laie nehme ich an, daß dieser Satz überprüfbar und somit richtig ist. Zugleich weiß ich aber anderswoher [...], daß dieser Satz nicht die Wahrheit über den Menschen sagt.

Vermutlich störst Du Dich hier am Begriff 'Wahrheit'. Besser wäre es meiner Meinung nach, irgendwas in Richtung 'Wesen' oder so zu sagen.

Ein anderes Beispiel: mach eine chemische Analyse der Pigmente eines Bilds von Rubens. Du kannst nun die gleiche Menge dieser Pigmente auf einer anderen Leinwand verteilen. Du hast dann zwei Bilder, die auf der stofflichen Ebene ("stabile-Fett-Eiweiß-Verbindung") identisch sind, aber dennoch vollkommen verschieden aussehen können ("Wahrheit über das Bild"). Es macht keinen Sinn, zu sagen, dass ich das Bild verstehe, wenn ich den stofflichen Aufbau kenne. Oder auch nur, dass beides zusammenhängt.

Das ist kein Trick der Theologen, sondern eine Tatsache des Lebens. Allerdings nutzen Theologen diese Differenz schamlos aus. Selbstverständlich folgt aus naturwissenschaftlichem Wissen (meist) keine Wertung, und ein Gott, sollte es einen geben, ist mit Sicherheit nicht mit den Methoden der Naturwissenschaften erforschbar. Was die Theologen aber erst mal zeigen müssten, ist, dass es überhaupt einen Gott gibt. Die Bilder, die Du genannt hast, sind daher bestenfalls Analogien für einen Sachverhalt, den man gar nicht kennt.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Di 7. Jul 2009, 08:28

das liegt an der Beschränkung auf das Empirische (Überspringung des Verstandes) und die Forderung nach Vernünftigkeit.Es ist die letzte große Metaphysik, die allerdings auch den meisten Wisenschaftlern noch nicht zu Ohren gekommen ist, dass es "Wahrheit" gibt, also eine Welt hinter der Welt, die es zu erschließen gäbe; einen Kern der Welt, ein obertes Prinzip, kurz: die Idee.
Die Annahme von Wahrheit ist ein Glaube - der ist auch empirisch weder wahr noch falsch. Es gibt da einen Kopf namens Frege, den man nicht Philosoph nennen darf; aber wenn man seine Präskriptionen bezüglich der Sprache in den Wissenschaften zur Gänze umsetzte, werden auch sprachliche Aussagen möglich sein, welche wie 2 + 2 = 4 eindeutig wahr oder falsch sind. Soetwas darf weder in den Alltagsgebrauch, noch die Philosophie gelangen.
Ein weiter Punkt ist die Beschränkung auf das Logische. Verflogt man aber den Usprung der Logik im Menschen zurück, so kommt man schnell darauf, dass sich über vieles getäuscht werden musste, wenn Logik funktionieren sollte: wenn nicht schnell genug das Ähnliche für das Gleiche gehalten wurde - so z.B. ein männlicher Löwe und ein weiblicher Löwe - so ist man draufgegangen. Heute haben wir den Luxus, uns nicht mehr vor allzu vielen Dingen fürchten zu müssen (von Atomraketen abgesehen). Heute könnte man sich, wie verschwenderisch die Natur eben ist, sich erlauben, das Ähnliche nicht mehr für das Gleiche zu halten - und so wäre die Logik dahinüber.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon M_A_V_E_R_I_C_K » Di 7. Jul 2009, 08:35

EL Schwalmo hat geschrieben:Vermutlich störst Du Dich hier am Begriff 'Wahrheit'. Besser wäre es meiner Meinung nach, irgendwas in Richtung 'Wesen' oder so zu sagen.

Ein anderes Beispiel: mach eine chemische Analyse der Pigmente eines Bilds von Rubens. Du kannst nun die gleiche Menge dieser Pigmente auf einer anderen Leinwand verteilen. Du hast dann zwei Bilder, die auf der stofflichen Ebene ("stabile-Fett-Eiweiß-Verbindung") identisch sind, aber dennoch vollkommen verschieden aussehen können ("Wahrheit über das Bild"). Es macht keinen Sinn, zu sagen, dass ich das Bild verstehe, wenn ich den stofflichen Aufbau kenne. Oder auch nur, dass beides zusammenhängt.


Ich denke, hier wird von Theologen mit einer besonderen Bedeutung des Wortes "Wahrheit" gearbeitet. Ich würde dabei auch nicht mehr von Wahrheit sprechen wollen. Wahrheit ist für mich nämlich das, was der Fall ist (ausgedrückt in einem Urteil). Also ist "richtig" auch "wahr".

Es mag sein, dass die sog. "(Natur-)Wissenschaft" zwar vieles/alles analysieren, aber deshalb noch lange nicht alles verstehen kann. (Mir kam bei deinem Beispiel mit dem Rubens-Bild die Physikerin Mary in Erinnerung, die zwar alles physikalische Wissen über Farben hat, aber noch keine gesehen hat.) Nur finde ich es eine Anmaßung, dass die Theologen dann aufstehen und in die Welt posaunen, das richtige und wahre Verstehen der Welt hätten sie gepachtet.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon El Schwalmo » Di 7. Jul 2009, 09:49

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Vermutlich störst Du Dich hier am Begriff 'Wahrheit'. Besser wäre es meiner Meinung nach, irgendwas in Richtung 'Wesen' oder so zu sagen.

Ein anderes Beispiel: mach eine chemische Analyse der Pigmente eines Bilds von Rubens. Du kannst nun die gleiche Menge dieser Pigmente auf einer anderen Leinwand verteilen. Du hast dann zwei Bilder, die auf der stofflichen Ebene ("stabile-Fett-Eiweiß-Verbindung") identisch sind, aber dennoch vollkommen verschieden aussehen können ("Wahrheit über das Bild"). Es macht keinen Sinn, zu sagen, dass ich das Bild verstehe, wenn ich den stofflichen Aufbau kenne. Oder auch nur, dass beides zusammenhängt.

Ich denke, hier wird von Theologen mit einer besonderen Bedeutung des Wortes "Wahrheit" gearbeitet. Ich würde dabei auch nicht mehr von Wahrheit sprechen wollen. Wahrheit ist für mich nämlich das, was der Fall ist (ausgedrückt in einem Urteil). Also ist "richtig" auch "wahr".

in meinem Weltbild kann auf den Begriff 'Wahrheit' eher verzichtet werden. Denn Du wirst in den meisten Fällen kein Kriterium dafür angeben können, wie Du zeigen kannst, dass etwas der Fall ist. Zumindest so lange nicht, wie es Niemandem gelingt, den Solipsismus zu widerlegen.

Du hast aber darin Recht, dass die Theologen, wie ich ja auch schon angedeutet habe, hier etwas für deren Zwecke ausnutzen.

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Es mag sein, dass die sog. "(Natur-)Wissenschaft" zwar vieles/alles analysieren, aber deshalb noch lange nicht alles verstehen kann. (Mir kam bei deinem Beispiel mit dem Rubens-Bild die Physikerin Mary in Erinnerung, die zwar alles physikalische Wissen über Farben hat, aber noch keine gesehen hat.) Nur finde ich es eine Anmaßung, dass die Theologen dann aufstehen und in die Welt posaunen, das richtige und wahre Verstehen der Welt hätten sie gepachtet.

Das ist natürlich korrekt. Aber auch eine Retourkutsche: das, was die Naturwissenschaften von 'der Welt' verstehen können, in dem Sinn, dass es Deine obige Definition von 'Wahrheit' erfüllt, ist bei weitem nicht 'die Welt'. Ganz im Gegenteil. Allerdings sind alle anderen Erkenntnismöglichkeiten noch wesentlich unergiebiger als die Naturwissenschaften.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon Myron » Di 7. Jul 2009, 18:26

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Worin seht ihr den Unterschied zwischen den Prädikaten "ist wahr" und "ist richtig"?


Aus "richtig" im grimmschen Wörterbuch:

"von gedanken, worten u. s. w., der sache entsprechend, wahrheitsgemäsz, im gegensatz zu falsch, verkehrt
(...)
dann überhaupt normal, was so beschaffen ist, wie es sein soll, in ethischem sinne."
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon ujmp » Sa 11. Jul 2009, 08:48

Was die Theologie mit solchen Sophismen will ist klar: ihre Deutungshoheit der Welt zurück erlangen.

"Wahr" und "Falsch" sind metasprachlicher Begriffe, sie können sich nur auf Aussagen beziehen. Dass der Mensch aus Wasser und Kohlenstoff besteht, ist ebenso wahr, wie dass manche Menschen romantische Erinnerungen bekommen, wenn sie eine bestimmte Art Musik hören. Wahrheit ist damit eine Frage der Erwartung, eine Frage des Problems, eine Frage der Fragestellung.

Die Antwort auf die Frage, was der Mensch ist, kann je nach dem, was mich in dieser Fragestellung interessiert, unterschiedlich ausfallen: Interessiert mich die chem. Zusammensetzung? Seine genetische Verwandschaft mit der Banane? Sein Sozialverhalten? Es kommt darauf an, was ich, der Fragesteller, für ein Problem lösen möchte. Wenn ich einen Menschen mit einem Medikament heilen möchte, interssiert mich die Chemie dieses Menschen und nicht, dass dieser Mensch durch seine Krankheit gelernt hat, sich "an den kleinen Dingen des Lebens zu freuen". Ob mein Medikament wirkt, kann ich objektiv prüfen und wenn ja, dann war meine Vorstellung von der Chemie des Menschen "richtig" oder "wahr".

"Richtig" und "Wahr" können synonym verwendet werden, müssen es aber nicht. Wörter bedeuten oft unterschiedliche Dinge, je nach dem in welchem Kontext ("frame") sie auftauchen. Wenn jemand behauptet, dass es regnet, kann ich prüfen, ob seine Aussage "richtig" oder "wahr" ist, oder ob sie "stimmt" usw. Die Sprache für sich genommen (Wortdeutelei) zwingt zu gar nichts, es ist eine Frage der Konvention, wie wir Wörter gebrauchen. Ich will wissen, ob ich einen Schirm mitnehmen soll, und nicht, was mein Gegenüber mit dem Begriff "Regen" für philosophische Vorstellungen verbindet. Über Dinge, über die ich mich nicht verständigen kann, rede ich nicht. Der Oma über die Straße zu helfen nennt man auch "richtig", in dem Sinne, dass eine solche Tat bestimmten Normen entspricht.

Theologen lieben natürlich Aussagen, die viele Bedenken hervorrufen und am besten überhaupt nicht überprüfbar sind. z.B. "das jüngste Gericht" , "das ewige Leben" und so was. Das war schon immer die Geschäftsidee der Priesterschaft: sie hilft uns Fragen zu beantworten, die wir ohne sie gar nicht stellen würden und natürlich fallen die Antworten so aus, dass wir die Priesterschaft dafür bezahlen.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon Nanna » Sa 11. Jul 2009, 20:19

Eine kleine Ergänzung, falls jemand es noch nicht weiß und sich ein bisschen weitergehender informieren möchte:

Das, wovon hier die ganze Zeit die Rede ist, nämlich das Verstehen, das quasi über das Wissen hinausgeht, behandelt die Philosophie unter der Bezeichnung Hermeneutik.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon Mark » So 12. Jul 2009, 00:05

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Hallo!

Worin seht ihr den Unterschied zwischen den Prädikaten "ist wahr" und "ist richtig"? In einem theologischen Aufsatz zur Wahrheit habe ich gelesen:

Der Satz "Herr X hat im laufenden Monat noch kein Geld unterschlagen" enthält auch dann, wenn er zutrifft, nicht die Wahrheit über Herrn X, sondern er enthält eine böse und verleumderische Unterstellung.


Man könne Richtiges sagen, ohne aber schon die Wahrheit gesagt zu haben. Sind "wahr" und "richtig" also nicht synonym? Aber: 2 + 2 = 4. Das ist richtig und auch wahr, oder?


Man muss im Kopf behalten, daß der Mensch nur Unwahrheiten wirklich erkennen kann. Nur durch Falsifikation kippen wir all die fehlerbeladenen Theorien die wir in unseren Köpfen ausbilden oder von anderen übernehmen. Routine und Heuristik helfen uns nur lediglich beim Entscheiden und täuschen uns ein instinktives Gefühl vor, wir hätten als Menschen einen Sinn oder eine Methode zur Wahrheit. Genau das Gegenteil ist doch der Fall... Sinn und Methoden haben wir nur zum Umgang mit Unwahrheit.
Zu dem Wortproblem : "richtig" wird einfach eher im Bezug auf lokale Bedingungen gesehen, "wahr" wird eher aus dem übergeordneten Blickwinkel verwendet. Ist meiner Meinung nach nicht unbedingt Stoff für einen Blockbuster...
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon Nanna » So 12. Jul 2009, 01:19

Der Wikipediaartikel zur Richtigkeit geht genau auf die gestellte Frage ein. Allerdings fehlen Belege. Interessant ist die Darstellung trotzdem. Ausgesagt wird im Grunde das, was schon angesprochen wurde: Richtig (etymologisch von "(aus)richten") ist gleichbedeutend mit regelkonform und daher normativ zu verstehen, es geht um eine Bewertung. Wahr bedeutet, dass es eine exakte Entsprechung in der realen Welt gibt, was aber lediglich festgestellt wird, also ein rein empirischer Begriff.
In der Aussagenlogik ist "wahr" einer von zwei Wahrheitswerten, die einer Aussage zugeordnet werden können (Bivalenzprinzip).
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon ujmp » So 12. Jul 2009, 08:20

"Es regnet, das ist richtig" und "Es regnet, das ist wahr" sind vollkommen synonyme Formulierungen. Es kann keine Wissenschaft der Sprache geben, die der Sprachpraxis widerspricht, es wäre dann eher eine Ideologie. Der Grund für solche "hermeneutischen" Anstrengungen ist wohl der Versuch der Theologie ihren alten Herrschaftsanspruch über das Denken der Menschen zurück zu erobern. Sie möchte mindestens auf einer Stufe mit der Wissenschaft stehen, weiß aber dass sie die Wissenschaft nicht mehr negieren kann. So bastelt sie sich ein eigenes außerwissenschaftliches Wahrheitskriterium und behauptet, dass wissenschaftliches Denken nicht entscheiden könne, was richtig und falsch ist. Dazu muss sie sich eigene Sprachregelungen zurechtargumentieren und konstruiert künstliche Wortbedeutungen. Und da haben wir wieder den alten Trick, mit dem sich schon die Regenmacher im Urwald die fettesten Schinken organisiert haben...

Ich frage mich ab und zu, ob nicht etwa heimliche Theologen dieses Forum nutzen, um ihre Zaubertricks auszuprobieren: Hermeneutik - Simsalabim...
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon smalonius » So 12. Jul 2009, 10:29

El Schwalmo hat geschrieben:in meinem Weltbild kann auf den Begriff 'Wahrheit' eher verzichtet werden.
El Schwalmo, der moderne Kreter. :mg: (Der antike Kreter hatte behauptet, alle Kreter seien Lügner.)

Wenn du auf Wahrheit verzichten kannst, dann kannst du auch auf die Wahrheit deines Satzes verzichten.

Man kennt solche Trugschlüsse unter dem Namen fallacy of the stolen concept.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon El Schwalmo » So 12. Jul 2009, 11:24

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:in meinem Weltbild kann auf den Begriff 'Wahrheit' eher verzichtet werden.
El Schwalmo, der moderne Kreter. :mg: (Der antike Kreter hatte behauptet, alle Kreter seien Lügner.)

Wenn du auf Wahrheit verzichten kannst, dann kannst du auch auf die Wahrheit deines Satzes verzichten.

Man kennt solche Trugschlüsse unter dem Namen fallacy of the stolen concept.

mein Punkt war, dass man im empirischen Bereich nicht entscheiden kann, ob ein Satz 'wahr' ist. Daher macht es keinen Sinn, diesen Anspruch zu stellen. 'Zeitkernig gültig', mehr braucht man nicht.

Du kannst mir gerne sagen, dass ich meinen Satz nicht mit Anspruch auf Geltung vertreten kann. Aber dann musst Du mir zeigen, dass Du den Solipsismus widerlegen kannst. Bis Du das geschafft hast, gehe ich davon aus, dass mir 'Wahrheit' auch als Konzept gestohlen bleiben kann.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon folgsam » So 12. Jul 2009, 11:28

Was genau soll das 'kern' in der Zeit eigentlich?
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon ujmp » So 12. Jul 2009, 11:51

"wahr", "richtig", "stimmt" - und "gültig" hatte ich noch nicht erwähnt: alles Synonyme.

Man könnte das Problem logisch auf "ja" und "nein" reduzieren, an diesen Begriffen kommt auch die gewiefteste Philosophie nicht vorbei.
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon Qubit » So 12. Jul 2009, 13:19

M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Worin seht ihr den Unterschied zwischen den Prädikaten "ist wahr" und "ist richtig"? In einem theologischen Aufsatz zur Wahrheit habe ich gelesen:

Der Satz "Herr X hat im laufenden Monat noch kein Geld unterschlagen" enthält auch dann, wenn er zutrifft, nicht die Wahrheit über Herrn X, sondern er enthält eine böse und verleumderische Unterstellung.


Man könne Richtiges sagen, ohne aber schon die Wahrheit gesagt zu haben. Sind "wahr" und "richtig" also nicht synonym? Aber: 2 + 2 = 4. Das ist richtig und auch wahr, oder?


Kurze Anwtort:
Was "richtig" ist, ist auch "wahr". Aber was "wahr" ist, ist nicht unbedingt "richtig" =)

Längere Antwort:
Begriffe und noch mehr Aussagen sind immer in einem Kontext zu betrachten, ohne den sie sinnfrei wären.
"Wahr" und "Falsch" beziehen sich in diesem Sinne auf einen fixen Kontext, der als Randbedingung gleichsam impliziert ist (oder explizit gefordert wird).
"Richtig" und "Unrichtig" erheben in diesem Sinne nicht diese Einschränkung an den Kontext und messen eine Aussage auch in verschiedenen Bezügen.

Beispiel:
Ich kann in meinem Navi die "schnellste" Strecke für ein PKW von A nach B wählen. Der Kontext des Navis sind das entsprechende Kartenmaterial und erlaubten Geschwindigkeiten. In diesem Kontext lässt sich die schnellste Strecke wissenschaftlich exakt aussagen, sie ist in diesem Sinne eine "wahre" Aussage.
Wenn sich der Kontext jedoch ändert (zB ein Stau), dann bleibt die Aussage des Navis trotzdem wahr (in diesem fixen Kontext), auch wenn eine andere Strecke defacto eine schnelle wäre. Letzteres mach die Aussage des Navis "unrichtig". Ohne Stau wäre sie "richtig" und auch "wahr".

DIe Aussage "Herr X hat im laufenden Monat noch kein Geld unterschlagen" ist (unterstellt) "richtig" und auch "wahr". Eine andere Sache sind (logische) Schlüsse, die man aus dieser Aussage ableiten könnte.

"1+1=2" ist in einem (bestimmten) mathematischen Kontext "richtig" und "wahr". In einem "biologischen Kontext" kann es bekanntlich Abweichungen geben: 1+1=3 :^^:
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Re: Unterschied zwischen "wahr" und "richtig"?

Beitragvon El Schwalmo » So 12. Jul 2009, 14:03

folgsam hat geschrieben:Was genau soll das 'kern' in der Zeit eigentlich?

die gültigen Aussagen haben einen 'Zeitkern'. Das, was zu einer Zeit gültig war, braucht es zu einer anderen nicht mehr zu sein.

Als ich Abitur machte, lernte ich hinsichtlich DNA aus Nobelpreisträgermund: 'Was für E. coli gilt, gilt auch für Drosophila und den Elefanten'. Damals war das gültig. Heute ist etwas anderes gültig (den Begriff 'Intron' gab es damals noch nicht). Morgen vermutlich wieder etwas anderes (wer redet heute noch von 'junk DNA'?).

Wenn Dir eine bessere Formulierung für 'zeitkernig gültig' einfällt, übernehme ich die gerne.
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