Die dispensorische Erziehungstheorie

Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon smalonius » Di 14. Jul 2009, 18:31

Folgenden Text hat uns mal eine Lehrerin vorgestellt. Es war eine der besten Schulstunden, die ich ja hatte. Da ist was hängengeblieben für's Leben.

Die dispensorische Erziehungstheorie

Was den denkenden Menschen von anderen unterscheidet, ist seine Kritikfähigkeit.

Kulturen entstehen und gehen unter. Dies ist ein Gesetz allen biologischen Lebens. Eine strukturelle Dialektik zwischen Innovation und Stagnation ist allumfassend konstatierbar. Schon die griechischen Philosophen, und dort vor allem Euklyptos, haben auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Dies gilt sogar für das Klima und die Folge der Jahreszeiten. Die menschliche Gesellschaft gleicht so einem Garten, in dem die prächtigsten Pflanzen neben häßlichem Unkraut gedeihen. Um einen Eisschrank zu erwerben, muß ein Arbeiter in England zehn Stunden arbeiten, in Argentinien etwa zehnmal soviel. Demgegenüber gibt es kaum ein Dorf in Afrika, in dem nicht ein Transistorradio anzutreffen wäre.

Die Erziehung in Afrika unterscheidet sich von der Erziehung in Amerika oder Europa. Die Gültigkeit einer mathematischen Formel ist nicht durch Kontinente begrenzt. Gegenstand der Naturwissenschaft ist die Natur. Wenn Naturwissenschaft alles ist, so ist auch alles Gegenstand der Naturwissenschaft. Feld, Wald, Transistorradios und Menschen bilden so eine Einheit im Ganzen. Im Boxsport kommt es darauf an, den Gegner k.o. zu schlagen. Der Stärkere gewinnt gegen den Schwächeren. Schönheit als Kategorie der Natur spielt im Boxsport keine Rolle. Die Phänomene der Welt müssen beschrieben und geordnet werden, bevor sie in eine Theorie gebracht werden können. Nichts anderes ist die Grundlage der dispensorischen Theorie, die den Anspruch erhebt, die Phänomene der Welt in ihrer Totalität zu erfassen. Versucht man diese Theorie auf die Erziehung anzuwenden, so heißt dies, eine allumfassende Theorie der Erziehung zu begründen, die ihre Bestätigung letztlich in der Praxis erfährt, wobei Praxis im einfachen Sinne als individuelles und gesellschaftliches Handeln verstanden werden soll. Die dispensorische Erziehungstheorie ist somit nicht nur erkenntnistheoretisches Prinzip, sondern bedeutet vor allem Handlungsorientierung zur Veränderung und Verbesserung individueller und sozialer Lebensbedingungen, die die kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede tendenziell aufzuheben vermag."

(W. Reyem
Dispensorische Theorie und kritische Gesellschaft
Oldenburg 1980, S. 33)

http://www.uni-koblenz.de/didaktik/kraw ... heorie.pdf


Ich hatte eine lange Erläuterung geschrieben, weil der Text nicht ganz einfach ist. Leider hat sie mein Browser verschluckt. Ich werd's ein andernmal erneut versuchen.
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Mi 15. Jul 2009, 14:15

Die dispensorische Erziehungstheorie ist somit nicht nur erkenntnistheoretisches Prinzip, sondern bedeutet vor allem Handlungsorientierung zur Veränderung und Verbesserung individueller und sozialer Lebensbedingungen, die die kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede tendenziell aufzuheben vermag.


Man sehe also: als Verbesserung wird gesehen, die Aufhebung der kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede.
Es klingt sehr wenig nach Wissenschaft, als vielmehr nach sublimierter Religion.
Natürlich ist das Leben leichter, wenn es nicht so viele verschiedene Dinge darin zu finden gibt. Aber es ist ein Vorurteil, dass leichter immer auch besser bedeuten mag.
"Verbesserung der Lebensbedingungen" - in der Philosophie gibt es die verschiedensten Farben dessen, was gute Lebensbedinungen ausmachen; mein Gott! soll die Wissenschaft doch bitte deskriptiv bleiben! Die Wissenschaft überspringt die Grundlagen des Denkens und dessen Ausganspunkt! Sie sind unfrei, befangen - deswegen sind sie auch so unbedeutend.
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Mark » Do 16. Jul 2009, 09:01

Ich hab da auch so meine Bauchschmerzen wenn schon wieder mal jemand von der Gleichschaltung der Gesellschaft phantasiert !
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Nanna » Do 16. Jul 2009, 16:15

Geht mir ähnlich.

Könntest du, smalonius, vielleicht doch nochmal eine Erläuterung schreiben? Ich denke, das wäre nötig, wenn das rüberkommen soll, was du ursprünglich aussagen wolltest.
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon smalonius » So 19. Jul 2009, 18:24

Hier die Auflösung. Ich hoffe, ihr nehmt es mir nicht allzu übel, daß ich euch an der Nase herumführen wollte. :pfeif:

Die dispensorische Theorie stammt von einem Lehrer, der den Eindruck erhalten hatte, Schüler würde alles nur konsumieren, was ihnen vorgesetzt wird.

Wolfgang Meyer: Der Gipfel der Gläubigkeit.
Wie eine Nonsens-Theorie ernst genommen wird

in: DIE ZEIT Nr. 45 vom 30.10.1981

...Ich entwarf einen Text ohne Sinn, bestehend aus Gemeinplätzen, Unrichtigkeiten, unzusammenhängenden und inhaltsleeren Phrasen, die allerdings in eine pseudowissenschaftliche Form gebracht wurden. Die Überschrift des Textes: Die dispensorische Erziehungstheorie.

Den Schülern stellte ich den Text mit der Bemerkung vor, daß es sich hierbei um die neueste erziehungswissenschaftliche
Theorie handelt. Meine Vermutung bewahrheitete sich. In einer Doppelstunde wurden besprochen: die Ziele der dispensorischen Theorie, das Menschenbild der dispensorischen Theorie, der wissenschaftstheoretische und philosophische Hintergrund dieser Theorie, ihre Methode. Keiner der zukünftigen Abiturienten entlarvte den Text als Schwachsinn. Die Hausaufgabe zum Text wurde brav gemacht.

http://www.uni-koblenz.de/~didaktik/kra ... _Aufkl.pdf


Tja, sind halt Schüler, könnte man einwenden. Aber es kam noch schlimmer:

Anschließend zeigte ich den Text einem Fachreferendar, der auf Grund seiner Ausbildung befähigt sein sollte, den Text als unsinnigzu erkennen. Sein spontaner Kommentar signalisierte, daß er sich bereits in einem Stadium der Lehrerausbildung befand: ‚Interessant - schwierig - abstrakter Text - welche Klasse? - in der 13 machbar!‘ Dieser Sachverständigenkommentar ermutigte mich, die Sache weiter zu betreiben. Andere Kollegen bekamen den Text zu lesen. Die Wirkung war verblüffend!

Die dispensorische Theorie wurde nicht entlarvt.

Einen Fachleiter, dem auf Grund seiner Tätigkeit als Referendarausbilder die neueren pädagogischen Theorien nicht unbekannt geblieben sind, hatten offenbar die naturphilosophischen Betrachtungen des Textes sehr beeindruckt. Er befand den Text für ‚äußerst interessant‘, zumal er ihn an die ‚Kommunikative Theorie‘ erinnerte. Sein professioneller Hintergrund wurde auch dadurch deutlich, daß er den Text zugleich auf seine didaktische Verwendbarkeit hin eflektierte. Ein weiterer Fachleiter des Referendarseminars meinte, Züge der ‚Kompensatorischen Theorie‘ in dem Text wiederzuerkennen.

Daß der Schwachsinn offenbar Methode hat, zeigte sich einige Wochen später. Die dispensorische Theorie bewährt sich auch an der Hochschule. Ein befreundeter Assistant, der an der Uni Köln Proseminare in Pädagogik abhält, besprach den Text mit seinen Studenten. Das Ergebnis war das gleiche wie an der Schule.

Auch Studenten sind heute offenbar nicht mehr in der Lage, sinnleere von sinnvollen Texten zu unterscheiden. Woher auch? Schüler, Studenten, Referendare und Lehrer fallen auf den falschen Schein der Wissenschaft herein.

Sicherlich gibt es dafür eine Reihe von subjektiven Gründen: der Leistungsdruck, ständig Schlaues sagen zu müssen, der naive und gutgläubige Respekt vor Autoritäten, Eitelkeit und Wichtigtuerei, die Angst vor Blamage. Sind dies auch hinreichende Ursachen, das Aussetzen des gesunden Menschenverstandes zu erklären?

...

Fairerweise sollte ich aber auch zugeben, daß die dispensorische Theorie auch auf mich nicht ohne
Wirkung geblieben ist. Auf Grund der Reaktionen fing ich nämlich allmählich an zu zweifeln, ob mir
mit dem Text nicht ein grundlegender philosophischer Entwurf gelungen ist.


An dieser Stelle müßte man jetzt auch Herrn Sokal erwähnen; darüber ein andernmal mehr.
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon folgsam » So 19. Jul 2009, 18:40

Hat es sich also gelohnt den Text gar nicht zu lesen.
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Jarl Gullkrølla » So 19. Jul 2009, 19:41

Ein sinnleerer Text ist ja nicht; und die Wissenschaften verlieren an Qualität.

Trotzdem sehr komisch derlei zu erfahren :-)
Wann überraschst du uns denn das nächste Mal mit derlei Texten - oder sind deine Kommentare gar nur Ableitungen von solchen? ;-) ( bitte nicht bös nehmen)
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Nanna » So 19. Jul 2009, 20:49

Ich gebe zu, beim nochmaligen Lesen unter diesen Vorzeichen klingt der Text noch deutlich schrottiger als beim ersten Mal. Ich hab auf jeden Fall dazugelernt, dass ich Mist auch Mist finden darf und nicht jede rhetorische Absonderung mit demselben Ernst behandeln sollte. Und da sag noch einer, dass die ganz normalen alltäglichen Irrationalitäten, wie z.B. Religion, den Verstand nicht trüben...
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon stine » Mo 20. Jul 2009, 07:50

Nanna hat geschrieben: Ich hab auf jeden Fall dazugelernt, dass ich Mist auch Mist finden darf ...
Siehst du, wars doch zu was gut! :up:
Man sollte sich davon trennen, alles verstehen zu wollen und alles kommentieren zu müssen.
Mein erster Gedanke bei dem Text wahr: "Häh?"
Und dann dachte ich mir, dass Jarl das versteht? und ich bwunderte ihn dafür! :up:

LG stine
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Arathas » Mo 20. Jul 2009, 13:20

Eine ganz lustige Idee, den Leuten mal so einen Text vorzusetzen und zu gucken, wie sie auf offensichtlichen Schwachsinn reagieren. Ich kopier mir den mal und stell ihn in ein anderes Forum, wenn ich darf. Natürlich auch ohne viele Worte darüber zu verlieren ...
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Mo 20. Jul 2009, 13:58

Es ging für mich nach dem Muster einer Einleitung vor. Keine langen Beschreibungen uns Ausführungen, aber Aussichten auf dieselben - eben ein "Spannungmachen".
Dann hinzu noch der Aufbau einer Verbindung zwischen populärwissenschaftlichem Autor und "Durchschnittsbürger", indem eine Proposition zugleich immer von einem anschaulichem Beispiel begleitet wird.
An die Allgemeinheit gerichtete Werke und Zeitschriften aus den Bereichen der Psychologie, Geschichtswissenschaft, Philosophie und Pädagogik legen einen solchen Stil ja tatsächlich an den Tag; nicht so übertrieben, aber es lässt erinnern...
Das soll keine Rechtfertigung sein... ich bin nun einmal leichtgläubig... vor allem, wenn nicht wirklich gesprochen wird; ja, der Ton, der Ton verrät zumeist. ach...

Um einmal angesprochenes weiterzuführen: findet ihr, dass die Qualität der Studien aufgrund des höheren Wettbewerbs der Universitäten seit Einführung der Studiengebühren in manchen Teilen Deutschlands gesunken ist? Inzwischen gibt es die wahnwitzigsten Studiengänge, die sehr viele vor allem interessante Inhalte bieten, aber darin, interessant zu sein, eben die eigentliche wissenschaftlichkeit einbüßen. "Aufbringung einer Rige öffentlichkeitswirksamer Fachvertreter".
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Nanna » Mo 20. Jul 2009, 15:47

Was für Studiengänge meinst du da denn beispielsweise?
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon smalonius » Mo 20. Jul 2009, 19:42

folgsam hat geschrieben:Hat es sich also gelohnt den Text gar nicht zu lesen.

Hattest einen guten Riecher. :up:

Wobei, errr, ahhmm, warte ... jeder meiner Posts ist äußerst lesenswert. :aufsmaul: :mg:

Jarl Gullkrølla hat geschrieben:Wann überraschst du uns denn das nächste Mal mit derlei Texten - oder sind deine Kommentare gar nur Ableitungen von solchen? ;-) ( bitte nicht bös nehmen)

Das verrate ich nicht. Ihr müßt es schon selbst herausfinden. :pfeif:

PS: So schnell nehm ich nichts bös.
PPS: Ich könnte ja kurz mal ein bißchen Nietzsche posten, der hat auch immer so was nebulöses. Bild

Arathas hat geschrieben:Ich kopier mir den mal und stell ihn in ein anderes Forum, ...

Mach das. Wie heißt der andere, aktuelle Thread hier? "Verbreitung von Weltbildern" oder so.

Und vergiß nicht, den Link zu posten. :mg:

Jarl Gullkrølla hat geschrieben:Dann hinzu noch der Aufbau einer Verbindung zwischen populärwissenschaftlichem Autor und "Durchschnittsbürger", indem eine Proposition zugleich immer von einem anschaulichem Beispiel begleitet wird.

Das anschauliche Beispiel gehört für mich immer dazu.

Sprache ist etwas sehr missverständliches. In abstrakte Begriffe kann man vieles hinein intepretieren. Nur mit Beispielen kann man klarstellen, wovon man spricht; nur mit Beispielen kann man die Auslegung von Wörtern und Sätzen überprüfen. (Deshalb mag ich auch die Koans so gerne. Null Theorie, alles praktisch.)

Die dispensorische Theorie krankt dann allerdings daran, daß die Kette von Argument und Beispiel völlig zusammenhanglos aneinandergereiht ist.
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Julia » Mo 20. Jul 2009, 20:13

Haha, ich glaube mein Deutschlehrer hat uns früher ausschließlich solche Texte vorgelegt (Adorno...), bemerkenswert blödsinnig fand ich den jetzt gar nicht.
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Mo 20. Jul 2009, 21:30

Nanna hat geschrieben:Was für Studiengänge meinst du da denn beispielsweise?


*hüstel* Kulturwissenschaften *räusper* Gender Studies *nies* Europastudien---
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon smalonius » Mo 20. Jul 2009, 21:38

Julia hat geschrieben:... bemerkenswert blödsinnig fand ich den jetzt gar nicht.

Immerhin beginnt und endet der Text damit:

Was den denkenden Menschen von anderen unterscheidet, ist seine Kritikfähigkeit.
(W. Reyem: Dispensorische Theorie und kritische Gesellschaft)

Insofern haben wir eine dialektische Übereinstimmung von Form und Inhalt. :^^:


Julia hat geschrieben:Haha, ich glaube mein Deutschlehrer hat uns früher ausschließlich solche Texte vorgelegt (Adorno...),

Adorno ist auch so ein Kandidat. Dessen Schreibe muß man oft dreimal lesen, um sie in verständliches Deutsch zu übersetzen. Aller Rhetorik entkleidet, bleiben dann oft nur Gemeinplätze übrig. :/

Folgendes erzählt man sich hinter vorgehaltener Hand:
Ein Physiker ging zum Dekan der Uni, seine Fachschaft wollte mehr Geld für ihren Strahlen-Bündler.

Sagte der Dekan:

"Immer die Physiker mit ihren kostspieligen Experimenten!
Warum könnt ihr nicht sein, wie die Mathematiker?!
Die brauchen nur Papier, Bleistift und einen Mülleimer!
Oder, noch besser, warum könnt ihr nicht sein wie die Philosophen?
Die brauchen nur Papier und Bleistift!!

Bild
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon smalonius » Di 21. Jul 2009, 19:33

Noch kurz zur Sokal-Affäre.

Ich machs mir einfach, und zitiere nur Wiki und den Originalartikel.

1996 reichte der amerikanische Physiker Alan Sokal einen Aufsatz mit dem Titel ... "Die Grenzen überschreiten: Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation" bei der amerikanischen, für ihre postmoderne Ausrichtung bekannten Zeitschrift für Cultural studies Social Text zur Veröffentlichung ein. Diese druckte ihn unbeanstandet mit anderen in einer Sondernummer ab.

Kurz nach der Veröffentlichung bekannte Sokal in einer anderen Zeitschrift, Lingua Franca, dass es sich bei dem Aufsatz um eine Parodie handle.

http://de.wikipedia.org/wiki/Sokal-Affäre


Den englische Wikipedia schreibt zum Inhalt des Aufsatzes:

Sokal produced a paper that argued that quantum gravity has progressive political implications, and that Rupert Sheldrake's New Age concept of the "morphogenetic field" could be a cutting-edge theory of quantum gravity. It concludes that, since "physical 'reality' ... is at bottom a social and linguistic construct", a "liberatory science" and "emancipatory mathematics" must be developed that spurn "the elite caste canon of 'high science'" for a "postmodern science [that] provide[s] powerful intellectual support for the progressive political project".

http://en.wikipedia.org/wiki/Sokal_affair


Im Original liest sich das dann auszugsweise so:

Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity

...
The teaching of science and mathematics must be purged of its authoritarian and elitist characteristics, and the content of these subjects enriched by incorporating the insights of the feminist, queer, multiculturalist and ecological critiques.

Finally, the content of any science is profoundly constrained by the language within which its discourses are formulated; and mainstream Western physical science has, since Galileo, been formulated in the language of mathematics. But whose mathematics?

The question is a fundamental one, for, as Aronowitz has observed, ``neither logic nor mathematics escapes the `contamination' of the social.'' And as feminist thinkers have repeatedly pointed out, in the present culture this contamination is overwhelmingly capitalist, patriarchal and militaristic ...

Thus, a liberatory science cannot be complete without a profound revision of the canon of mathematics.

As yet no such emancipatory mathematics exists, and we can only speculate upon its eventual content. We can see hints of it in the multidimensional and nonlinear logic of fuzzy systems theory; but this approach is still heavily marked by its origins in the crisis of late-capitalist production relations.

http://www.physics.nyu.edu/faculty/soka ... efile.html


Carl Sagan hat darüber geschrieben, wie man Quatsch am besten entlarvt. Mal sehen, ob ich einen Link dazu finde, so daß ich selbst nicht so viel schreiben muß. :pfeif:
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Julia » Do 23. Jul 2009, 09:57

So gern ich auch auf Geisteswissenschaften rumhacke, aber ehrlicherweise muss man auch folgendes erwähnen, auch wenn dabei mein Herz blutet.
http://en.wikipedia.org/wiki/Bogdanov_Affair

Edit:
http://users.tpg.com.au/users/tps-seti/baloney.html
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon Teh Asphyx » So 13. Nov 2011, 21:52

Noch mal ein altes Thema hervorgeholt, aber bevor ich etwas neues über Sokalismus erstelle, kann ich auch hier anknüpfen.
Das Problem der Verfasser solcher „Nonsense“-Texte ist, dass sie damit nicht die so genannten „postmodernen“ Philosophen widerlegen oder entlarven, sondern bestätigen.
Es lässt sich auch in einem Text, der mit der Absicht verfasst wurde, keinen Sinn zu machen, ein Sinn finden. Nicht der Text macht den Sinn, sondern der Leser.
Ich finde es immer wieder witzig, wie triumphierend alle Sokal hochhalten, obwohl der sich damit selbst ein Ei gelegt hat.
Da finde ich Noam Chomsky doch wesentlich sympathischer in seiner Kritik an den „Postmodernismus“, da er wenigstens die Möglichkeit eingeräumt hat, dass er es einfach selbst nicht versteht und damit wohl recht behalten hat, denn mit Relativismus und Nonsense hat das, was ich bisher aus der Ecke gelesen habe, nicht viel zu tun.
Offensichtlich wird wohl von vielen erwartet, dass Geistes- und Sozialwissenschaften für jeden leicht zu begreifen sein müssen, im Gegensatz zur Naturwissenschaft, die das Alleinrecht hat, kompliziert zu sein. Jeder, der nicht Naturwissenschaftler ist und trotzdem meint, ein wenig mehr als ein paar triviale Aussagen machen zu können, steht erstmal unter Verdacht, ein intellektueller Hochstapler zu sein.

Um zu der dispensorischen Erziehungstheorie auch etwas zu sagen:
Man kann natürlich nach Kriterien suchen, die unabhängig von ihrer jeweiligen Kultur Gültigkeit haben. Diesen Anspruch sollen ja die universellen Menschenrechte auch haben. Allerdings stört mich hier wie so oft das Wort „Erziehung“, als wäre es unbedingt notwendig, Menschen zu manipulieren.
Die kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede tendenziell aufzuheben, bedeutet ja nicht, die individuellen Unterschiede aufzuheben, im Gegenteil, in einer universellen Kultur des Individualismus wäre auch eine Stärkung der Individualität denkbar. Allein dies könnte man schon als Verbesserung der Lebensbedingungen ansehen, da weniger Unterdrückung durch Kultur- und Tradition-Ideologie stattfinden würde.
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Re: Die dispensorische Erziehungstheorie

Beitragvon stine » Mo 14. Nov 2011, 07:40

Teh Asphyx hat geschrieben:Offensichtlich wird wohl von vielen erwartet, dass Geistes- und Sozialwissenschaften für jeden leicht zu begreifen sein müssen, im Gegensatz zur Naturwissenschaft, die das Alleinrecht hat, kompliziert zu sein. Jeder, der nicht Naturwissenschaftler ist und trotzdem meint, ein wenig mehr als ein paar triviale Aussagen machen zu können, steht erstmal unter Verdacht, ein intellektueller Hochstapler zu sein.
Ja, da sagst du was!
Diesen Verdacht habe ich schon lange. Das hängt damit zusammen, dass Naturwissenschaften ihre Hypothesen der Falsifikation stellen und sie nur dann als gegeben erachten, wenn sie alle Prüfungen bestanden haben. Das kann ein Gesteswissenschaftler so nicht. Die Geisteswissenschaften sind auf ihre Aussage hin nicht überprüfbar.

Teh Asphyx hat geschrieben:Allerdings stört mich hier wie so oft das Wort „Erziehung“, als wäre es unbedingt notwendig, Menschen zu manipulieren.
Die kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede tendenziell aufzuheben, bedeutet ja nicht, die individuellen Unterschiede aufzuheben, im Gegenteil, in einer universellen Kultur des Individualismus wäre auch eine Stärkung der Individualität denkbar. Allein dies könnte man schon als Verbesserung der Lebensbedingungen ansehen, da weniger Unterdrückung durch Kultur- und Tradition-Ideologie stattfinden würde.
Die Individualität kannst du nur in deinen eigenen vier Wänden ausleben. Außerhalb bist du kein Individuum mehr, du hast zu funktionieren. Erziehung lebt das vor. Wir sind in gewisser Weise auch Ameisen und schaffen gemeinsam für unser Überleben.
Der Einsiedler José Alvarado Machuca in Patagonien ist Individualist. Und trotzdem bekommt auch er seine Nahrung aus der Zivilisation über den Postflieger.
http://www.daserste.de/weltspiegel/beit ... 54r~cm.asp

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