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Hedonismus

Verfasst:
Di 21. Jul 2009, 19:54
von HF*******
Erstaunlicherweise habe ich neulich nachts in Bibel-TV reingezappt und bin zufällig auf ein interessantes Interview gestoßen: Und zwar wurde die katholische Beatrice Prinzessin von Bayern (?) zu ihrer Tätigkeit in der Hospizhilfe befragt.
Hospitze sind Sterbekrankenhäuser, in denen es nicht mehr um die Heilung der Patienten geht, sondern nur noch um Leidminimierung, weil ein tödlicher Krankheitsverlauf unabwendbar ist.
Erstaunlich war nun, dass einerseits ein Bezug zum Katholizismus hergestellt werden sollte in der Motivation des Engagements, tatsächlich hatte die Dame allerdings eine Auffassung, nach der sie es strikt ablehnte, die Sterbenskranken in irgendeiner Form zu missionieren oder sie zu einer letzten Beichte oder dergleichen zu nötigen, sondern die Philosophie war strikt darauf ausgelegt, die Wünsche der Sterbenden umzusetzen und deren Bedürfnissen nachzukommen. Sie sah das als Akt der Nächstenliebe an.
Ich kann diese Herangehensweise voll und ganz unterstützen, ich sehe darin sogar geradezu ein hedonistisches Element.
Man fragt sich unweigerlich, warum ein solcher grundsätzlich respektvoller Umgang mit anderen Menschen und ihren Ansichten und Wünschen erst ab dem absehbaren Tod einsetzten sollte: Das Leben aller Menschen ist nur von kurzer Dauer und wir sollten es uns nicht schwerer machen, als unbedingt nötig…
Re: Hedonismus

Verfasst:
Mi 22. Jul 2009, 16:56
von HF*******
Ich sehe eine gewisse Tendenz, nur zu Weihnachten höflich zu sein und seine Mitmenschen zu respektieren.
Re: Hedonismus

Verfasst:
Mi 22. Jul 2009, 17:47
von russellsteapot
HFRudolph hat geschrieben:Ich sehe eine gewisse Tendenz, nur zu Weihnachten höflich zu sein und seine Mitmenschen zu respektieren.
Zu Weihnachten bin ich ein genervter, aggressiver Arsch dem man besser aus dem Weg geht...
Für mich hat diese ganze Hospizgeschichte eher mit Selbstbestimmung zu tun als mit Hedonismus. Als "Herr" über mein Leben sollte mir zugestanden werden es bei Wunsch auch zu beenden. Ich hab schon eine Patientenverfügung (keine lebensverlängernden Massnahmen wenn ich z.B. als Gemüse nach einer missglückten Klettertour zusammengeklaubt werde) aber ich finde es sollte auch noch jedem freistehen auch in geistig wachem Zustand bewusst einen möglichst schmerzfreien, "leichten" Tod einfordern zu können ohne allfälligen "Mittätern" eine Mordanklage einzubringen...
Re: Hedonismus

Verfasst:
Mi 22. Jul 2009, 18:04
von Nanna
Gilt das deiner Meinung nach auch für Menschen mit psychischen Störungen, beispielsweise Depressionen und dem damit verbundenen Tunnelblick?
Re: Hedonismus

Verfasst:
Mi 22. Jul 2009, 18:43
von HF*******
@Nanna: Es war von geistig wachem Zustand die Rede - ich denke, dass das nicht vereinbar wäre mit einer die freie Willensbildung ausschließenden Depression.
@russellsteapot: In den Hospizen geht es in aller Regel weniger um Sterbehilfe - zumindest in katholischen Hospizen kann ich mir nicht vorstellen, dass die Achtung vor der Selbstbestimmung so weit geht… im Gegenteil würde ich sogar annehmen, dass die Selbstbestimmung von Ort, Zeit und Art des Todes selbst in diesen letzten Lebenstagen sogar noch aktiv behindert werden würde… Das ist allerdings Spekulation und wäre eine direkte Anfrage wert.
@Nanna: Ich drehe Deinen Einwand einmal um: Depression hin oder her, jedenfalls dann, wenn jemand nachweislich z. B. nur noch ein Jahr zu leben hat, hat kein anderer Mensch auf der Welt etwas mitzureden, wo, wann und wie der Mensch sein Leben beendet - rechtlich liegen die Voraussetzungen hierzu nicht vor, meines Erachtens nach wie vor einer der gravierendsten faktischenEingriffe in die Menschenwürde überhaupt.
Re: Hedonismus

Verfasst:
Mi 22. Jul 2009, 18:59
von russellsteapot
@ HFRudolph Das meinte ich ja mit "Hospizgeschichte" - meiner Meinung nach sind solche Einrichtungen Alibis um a) dem unangenehmen Thema Tod eine hübsche Verpackung zu geben und b) sich elegant dem Thema aktive Sterbehilfe zu entziehen.
@Nanna Rudi hat's genau erfasst - ich war selbst schon von Depris betroffen und hab ne zeitlang Medis genommen und eine Therapie gemacht - so richtig suizidgefährdet war ich wohl nicht aber dieser Zustand aus Kreisdenken, absoluter Inaktivität und der Unfähigkeit Entscheidungen zu treffen ist so weit von einem "wachen" Zustand entfernt wie die Wahrscheinlichkeit dass Ratzinger zum Bright wird

Die ganze Sterbehilfediskussion soll keine Suizidmaschinerie in Gang setzen sondern einen bewussten Umgang mit dem Recht sein Leben zu beenden, wenn die Umstände (unheilbar krank, keine medizinische Lösung in Sicht, unerträgliche Schmerzen, Verweigerung sein Restleben an Maschinen gekettet und mit Medis vollgepumpt dahinzuvegetieren) es opportun machen. Behandelbare Krankheiten wie Depressionen sind aus dieser Debatte aussen vor...
Re: Hedonismus

Verfasst:
Mi 22. Jul 2009, 19:08
von Nanna
russellsteapot hat geschrieben: Die ganze Sterbehilfediskussion soll keine Suizidmaschinerie in Gang setzen sondern einen bewussten Umgang mit dem Recht sein Leben zu beenden, wenn die Umstände (unheilbar krank, keine medizinische Lösung in Sicht, unerträgliche Schmerzen, Verweigerung sein Restleben an Maschinen gekettet und mit Medis vollgepumpt dahinzuvegetieren) es opportun machen. Behandelbare Krankheiten wie Depressionen sind aus dieser Debatte aussen vor...
Unter diesen Vorzeichen hat die Initiative meine volle Unterstützung.
Re: Hedonismus

Verfasst:
Do 23. Jul 2009, 13:54
von xander1
@Nanna:
Ich habe manchmal leichte bis mittelstarke Depressionen. Wieso habe ich deshalb jetzt einen Tunnelblick? Außerdem gibt es Depression in den sehr unterschiedlichsten Fassetten. Bei den einen ist es mehr Unglücklichkeit und bei anderen mehr Traurigkeit, bei anderen wieder gestresst sein, andere Einsamkeit. Wichtig ist zumindest dass man keinen anderen mit runterzieht. Aber in einem hast du Recht: Man sieht nicht mehr so gut das positive. Vielleicht meinst du das mit Tunnelblick.
Nanna hat geschrieben:Gilt das deiner Meinung nach auch für Menschen mit psychischen Störungen, beispielsweise Depressionen und dem damit verbundenen Tunnelblick?
Gilt das deiner Meinung nach dafür?
Re: Hedonismus

Verfasst:
Do 23. Jul 2009, 16:20
von 1von6,5Milliarden
Ich tippe mal schwer darauf, dass Nanna nicht für Sterbehilfe plädiert für jeden Menschen der nicht mehr leben will, eben z.B. nicht für depressive Menschen, die in ihrem "Tunnelblick" keinen Ausweg mehr finden und ihrem Leben gerne ein Ende gesetzt hätten.
Re: Hedonismus

Verfasst:
Do 23. Jul 2009, 19:18
von xander1
Achso ich dachte das bezog sich auf den Hedonismus. Meine Frage sollte besser so heißen: Sollten Depressive eher zu Hedonismus neigen, als zu eudämonisch ausgerichtetem Leben.
Re: Hedonismus

Verfasst:
Do 23. Jul 2009, 19:52
von stine
Tut mir leid, aber ich verstehe immer noch nicht, wer denn jetzt hedonistisch lebt?
Die Frau, die den Sterbenden hilft, weil ihr das Lust bereitet oder wird den Sterbenden geholfen, am Ende doch noch was Lustbringendes zu erleben?
Kann mir das mal jemand erklären?
LG stine
Re: Hedonismus

Verfasst:
Do 23. Jul 2009, 20:24
von ujmp
Die Frage, die der Film vermutlich beantworten wollte, ist, ob solche Menschlichkeit gegenüber Sterbenden eine relgiöse Motivation braucht. Eines der Totschlagargumente der Kirchen ist "Auch die schlimmsten Atheisten fühlen sich in christlichen Krankenhäusern wohler".
Die Figur Jesus ist untrennbar mit Heilungsgeschichten verbunden und die Bibel bezeichnet Jesus ausdrücklich als Arzt. Ich glaube zwar, dass solche religiösen Bezugspunkte Menschen freisetzen können, sich so oder so zu verhalten, letzten Endes tun sie aber nur das, was in ihnen auch ohne Religion tief verwurzelt ist. Die Menschen haben diese Religion gewählt, weil sie sich eben so verhalten wollen. Das ehrt den Menschen - und nicht die Religion.
Re: Hedonismus

Verfasst:
Do 23. Jul 2009, 22:44
von HF*******
Also ich habe das eigentlich so verstanden, dass die Moderatorin der Prinzessin von Bayern irgendeine christliche Motivation und Missionierung unterjubeln wollte, die das aber eher von sich gewiesen hat und meinte, dass sie christliche Herangehensweise eher für sich sehe, den Kranken aber nichts aufnötigen wolle.
Hedonismus war eher auf die Seite der Patienten bezogen: Wenn den Sterbenskranken quasi noch jeder letzte Wunsch erfüllt wird? Zum Hedonismus würde für mich dann aber auch dazu gehören, im Zweifel nicht auf den Herzsstillstand warten zu müssen, oder auf den Durchbruch des Magentumors oder den totalen Schwachsinn aufgrund Hirntumors.
Eudämonismus - das Verbreiten von Glück als eigenes Glück - wäre das dann eher auf Seiten der Hospizhelfer zu suchen (wie nennt man die?) - aber das hat schon Dawkins in "Das egoistische Gen" auseinandergenommen, dass der uns angeborene Altruismus meist gar nicht soooo uneigennützig ist.
Ich hoffe, wir reden nicht alle zusehr aneinander vorbei ;o)
Re: Hedonismus

Verfasst:
Do 23. Jul 2009, 23:56
von russellsteapot
ujmp hat geschrieben: Eines der Totschlagargumente der Kirchen ist "Auch die schlimmsten Atheisten fühlen sich in christlichen Krankenhäusern wohler".
Also mir wär ein atheistischer Arzt, der, von einem Techtelmechtel mit der scharfen Nachtschwester gut gelaunt und entspannt in den OP kommt. lieber als einer der vor der OP ein Stossgebet zum Himmel sendet "Herr lass die OP gelingen...

"
HFRudolph hat geschrieben:
Eudämonismus - das Verbreiten von Glück als eigenes Glück - wäre das dann eher auf Seiten der Hospizhelfer zu suchen (wie nennt man die?) - aber das hat schon Dawkins in "Das egoistische Gen" auseinandergenommen, dass der uns angeborene Altruismus meist gar nicht soooo uneigennützig ist.
Was haben bloss viele mit der Connection Altruismus-Uneigennützigkeit? Das ist doch ein klassischer Fall von Umwegrentabilität, Quit pro Quo, Deto und passt schon... Die Welt wird nicht schlechter nur weil man Gutes tut um dann später auch mal zu profitieren - wie könnte man das nennen? Antizipatives Cui bono - jetzt nützt es dir, später dann mir? Dass Leute mit Jesus/Helferkomplexen in punkto Nutzen blass aussehen zeigt wieder mal dass es in Bezug auf Erfolg sinnlos ist das "Seelenheil" im Jenseits zu suchen. (wobei man anmerken könnte dass sich ja die gute Tat auf dem Wohlfühlkonto des Gläubigen ja auch als Nutzen verbuchen liesse) Lieber den Spatz in der Hand als die Taube am Kirchendach

... Noch was: Die Hospizhelfer nennt man hoffentlich Ärzte/Innen und PflegerInnen sonst wär das wohl ziemlich verantwortungslos - wobei mir Hospitante und Hospionkel schon auch gefällt

Re: Hedonismus

Verfasst:
Fr 24. Jul 2009, 07:13
von stine
russellsteapot hat geschrieben:Die Welt wird nicht schlechter nur weil man Gutes tut um dann später auch mal zu profitieren - wie könnte man das nennen?
Win-win-strategie?
Scheint derzeit die populärste Handlungsweise zu sein.
Wieder mal ein Buzzword, das in aller Munde ist.
LG stine
OT

Verfasst:
Fr 24. Jul 2009, 08:04
von 1von6,5Milliarden
Buzzword ist auch so ein Buzzword

Re: Hedonismus

Verfasst:
Mo 10. Aug 2009, 19:43
von Selachoideus
HFRudolph hat geschrieben:Hedonismus war eher auf die Seite der Patienten bezogen: Wenn den Sterbenskranken quasi noch jeder letzte Wunsch erfüllt wird?
*Jeder* Wunsch? Auch: noch einmal geil ficken?
Re: Hedonismus

Verfasst:
Mo 10. Aug 2009, 19:50
von Selachoideus
russellsteapot hat geschrieben:Die Welt wird nicht schlechter nur weil man Gutes tut um dann später auch mal zu profitieren - wie könnte man das nennen?
do ut des
Ich gebe, damit du gibst.
War das antike Verständnis von Opfern an Zeus & Co.
Das Christentum hat das rein zweckrationale Verhältnis der Menschen zu Gott beendet, da Jesus mit seinem Tod alles gegeben hat, was Gott wollte, damit er nett zu den (gläubigen) Menschen ist.
Ist offensichtlich eine Billigkeitsphantasie: Irgendwo gibt es eine große Ressource (Gottes Allmacht, ein Schatz, Goldlager, die Kassen der Reichen, Onkel aus Amerika, die Staatskasse), die nix kostet und aus der wir unser Leben bestreiten. Daher meinte Nietzsche, Christentum spricht eher Loser an.
Wirkliche Ökonomie sieht anders aus.
Re: Hedonismus

Verfasst:
Mo 10. Aug 2009, 20:05
von ujmp
Ich will nochmal bestreiten, dass der Mensch nur Gutes tut, weil er davon profitiert. Das stimmt bezogen auf die Spezies Mensch, die eine von Kooperation hochgradig abhängige Art ist. Es stimmt aber nicht auf das Individuum bezogen. Das Individuum hat nur eine Neigung geerbt, mehr oder weniger hilfsbereit zu sein und ist dieser Neigung "selbstlos" ausgeliefert - u.U. bis zur kompletten Selbstaufopferung im Tod.
Re: Hedonismus

Verfasst:
Mo 10. Aug 2009, 22:23
von Mark
Beschränkt sich denn der Hedonismus darauf durch Aktivitäten für Glücksgefühle zu sorgen, die direkt durch die physische Wirkung erzeugt werden ? (zB Essen, Trinken, F..., Schlafen, Massage, Zehenlecken ...)
Viele physischen Wirkungen produzieren die Glücksgefühle doch durch die Psyche. Manche Leute empfinden beim Essen aufgrund ihres Charakters mehr oder weniger Freude, ebenso wie es beim Zehenlutschen der Fall ist (bei letzterem sicher mehr, aber grundsätzlich wirkt die Psyche ja doch überall mit..)
Wird da also abgegrenzt ?