ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn die Ursachen zu einer Entscheidung zu mir gehören, ein Teil von mir sind, von mir willentlich und konsent ausgehen, dann kann das mE kein Zwang sein.
Zwang ist, wenn einem keine Wahl gelassen wird, wenn man nicht anders kann.
Bei diesem Zwang-Dings kommen wir nicht weiter. Zwang ist nach meiner Ansicht etwas nur dann, wenn es einen davon abhält, das zu tun, was man tun will. Oder solche Faktoren, die einen daran hindern, überhaupt nach eigenen Präferenzen, Intuitionen, Zielen und Gründen abzuwägen, z.B. Gehirnwäsche, Hypnose. Meine Handlungsfreiheit ist z.B. in keinster Weise eingeschränkt, wenn ich immer das tun kann, was ich will (und niemals das, was ich nicht will). Dass es jedoch notwendigerweise Umstände (und seien die noch so kausal) gibt / geben muss, die mich überhaupt erst dazu befähigen, das zu tun, was ich will, kann ich beim besten Willen nicht als generellen Zwang ansehen.
ganimed hat geschrieben:Das Konglomerat deiner Prägungen und Neigungen, deine Erfahrungen und die aktuellen Ergebnisse deiner rationalen Gedanken zwingen dich insgesamt zu einer bestimmten Entscheidung. Sie wirken wie eine Leitplanke, die in genau eine Entscheidungsspur führt. Bei der Frage, ob diese "Leitplanke" Zwang ausübt oder nicht, kommt es doch darauf an, ob sie eine bestimmte Entscheidung erzwingt oder ob sie Freiraum lässt, sich eventuell auch anders zu entscheiden. Es kommt nicht darauf an, wem diese Leitplanke gehört und ob derjenige auch ohne sie existieren kann.
Solange diese Leitplanken aber immer genau in die Richtung zeigen, die ich sowieso eingeschlagen hätte, auch dann, wenn diese Leitplanken nicht vorhanden wären, kann man meiner Meinung nach nicht von 'Zwang' reden. Es würde dann ja überhaupt keinen Unterschied machen, ob es diese Leitplanken gibt oder nicht: nähme man sie weg, würde dennoch alles so ablaufen, wie es abläuft. Zwang ist etwas nur dann, wenn es mich behindert. Die Leitplanken in Deinem Beispiel richten sich nach mir und nicht ich mich nach ihnen. Will ich etwas anderes, sind auch die Leitplanken automatisch anders. Sie behindern mich also nie.
Und dass es überhaupt eine Straße / einen Weg gibt, auf der / dem ich fahren kann und ein Fortbewegungsmittel, in dem / auf dem ich sitze, ist auch kein Zwang, es ist die grundnotwendige Voraussetzung dafür, überhaupt fahren zu können. Ich wäre in keinster Weise 'freier', wenn es die in dem Bild nicht gäbe, ist mir auch völlig unbegreiflich, wie man das behaupten kann.
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Der einzige Knackpunkt ist nun nur, dass Du meinst, diese Verantwortung sei keine moralische Verantwortung, wohingegen ich meine, dass sie das sehr wohl ist. Was für eine sollte es denn auch sonst sein?
Meine Nicht-Moralische-Verantwortung ist, so vermute ich, genau diejenige, die du einem Triebtäter gibst. Also einem Täter, der durch innere Zwänge zu seiner Tat gertrieben wurde. Der Täter ist zwar nicht schuldfähig, kann aber dennoch nicht einfach so wieder frei gelassen werden. Wie nennst du diese Verantwortung?
Ich nenne das überhaupt nicht Verantwortung. Er hat so gehandelt ohne die Fähigkeit zu besitzen, anders handeln zu können, wenn er gewollt hätte, d.h. er konnte nicht anders. Was letztlich bedeutet, falls diese Fähigkeit ihm immer fehlen wird, dass er nicht mehr als Mitglied der moralischen Gemeinschaft angesehen wird, lediglich als objektive Gefahrenquelle und daraufhin so behandelt wird. Nicht mehr als Subjekt, sondern als Objekt, wie eine abzuwendende Naturkatastrophe.
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Und es ist auch Unsinn, zu behaupten, dass ich unter vergleichbaren Umständen zu vergleichbaren Schandtaten fähig gewesen wäre. Das wäre dann ja wohl offensichtlich nicht mehr ich.
Genau wie es dieser Philosph Strawson beschreibt:
(2) When one acts for a reason, what one does is a function of how one is, mentally speaking.
Welche (bewusste) Taten man begeht hängt von der eigenen Persönlichkeit ab.
Ja, natürlich und das müssen sie auch, um jemanden als verantwortlich ansehen zu können. Das ist mE notwendige Voraussetzung dafür. Eine Freiheit im Sinne von "Unabhängigkeit von Allem (d.h. auch von der eigenen Persönlichkeit)" würde moralische Verantwortung zuverlässig ausschließen, eine solche Handlung könnte nicht mehr jemandem zugeordnet werden, das wäre nur etwas, das einfach geschieht, ohne Kontrolle durch jemanden.
ganimed hat geschrieben:Und Strawson meint ja (zurecht wie ich finde): um für eine Tat verantwortlich zu sein (welche ja von der Persönlichkeit abhängt), muss ich auch verantwortlich für die Persönlichkeit sein. Das bin ich jedoch nicht. Prägungen, Gedächtnis, Denkfähigkeit, das alles sind ja Dinge, die ich mir nicht ausgesucht habe. Was ist darauf eigentlich deine Antwort? Wieso kann man für Taten verantwortlich sein, die von einer Persönlichkeit abhängen, für die man nicht verantwortlich ist?
Niemand kann sich selber aus dem Nichts erschaffen, das ist selbstverständlich, da logisch unmöglich. Genau das erfordert aber nun die starke Bedingung von Strawson. Mir erscheint sie erst mal nicht plausibel, wieso sollte sie es auch sein, mit welcher Begründung? Ich glaube auch kaum, dass das irgend welchen gängigen Intuitionen darüber, was notwendige Bedingung für die Zuweisung von Verantwortung sein soll, entspricht, d.h. ich kann mir nicht vorstellen, dass viele Leute ernsthaft behaupten, das sei möglich. Mir ist überhaupt nicht klar, worauf diese Forderung von Strawson eigentlich beruht.
Allerdings ist es durchaus auf der anderen Seite nicht ausgeschlossen, obgleich man sich trivialerweise nicht ex nihilo selber erschaffen kann, sich Persönlichkeitsmerkmale, die einen stören, abzutrainieren. Alleine oder auch mit Hilfe von außen.
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Ich finde es nun in keinster Weise falsch, von allen Mitgliedern der moralischen Gemeinschaft (selbstverständlich inkl. meiner Wenigkeit) fordern zu dürfen, Rechte anderer Leute zu respektieren und ihnen, so sie das (bewusst, kontrolliert, absichtlich) nicht tun, Rechte zu entziehen.
Völlig richtig. Diesen Forderungen stimme ich zu. Hier geht es nicht darum, auf diese Gesellschaftsverträge zu verzichten. Hier geht es darum, auf die moralisierenden Zutaten zu verzichten und lieber auf die kausalen Realitäten zu schauen. Recht bleibt Recht. Pflicht bleibt Pflicht. Aber Schuld kommt weg. Stattdessen nur noch "Bedarf für konstruktive Korrekturen".
Aber das geht nun mal meiner Ansicht nach deswegen nicht, weil diese Sichtweise Subjekte negiert, keine eigenverantwortlich Handenden mehr annimmt. Jeder Gesellschaftsvertrag muss aber zu selbstständigen Handlungen fähige (in einem gewissen Sinne 'freie') Subjekte annehmen, so wie jeder andere Vertrag übrigens auch. Daher sind z.B. Verträge mit kleinen Kindern nichtig, weil bei diesen diese Fähigkeit als noch nicht hinreichend vorhanden angenommen wird.
'Schuld' ist hierbei mE nur ein korrektiver Faktor, der im Vorneherein kalkulierbar festlegt, wann überhaupt Subjekte individuellen 'Maßnahmen' unterworfen werden dürfen, die ihre individuelle Freiheit einschränken. Wenn sie nämlich ihre Pflichten absichtlich verletzt haben.
Solange Deine 'konstruktive Korrekturen' die Gemeinschaft gesamt betreffen (-> primäre Prävention), gibt es kein Problem; ein solches tritt jedoch automatisch dann auf, wenn diese 'Korrekturen' einzelne Individuen betreffen, deren Rechte eingeschränkt werden sollen. Dafür muss es a) eine Legitimation geben und b) muss dies im Vorneherein abschätzbar sein, um Willkür zu vermeiden.
Mit anderen Worten: ich halte das Prinzip 'keine Strafe ohne Schuld' für unverzichtbar, weil es den Subjekten eine abschätzbare Grundlage für ihre Handlungen und deren Folgen für sie liefert. Dieses Prinzip kann nicht ersatzlos entfallen, wenn man Willkür vermeiden will und nicht einfach sagen will: schauen wir mal und dann sehen wir schon, wir entscheiden einfach von Einzelfall zu Einzelfall und geben keine abschätzbaren Auswirkungen einzelner Handlungen mehr vor.
D.h. dieses Prinzip, wenn Du es ablehnst, weil darin 'Schuld' vorkommt, musst Du meiner Meinung nach dennoch notwendigerweise durch ein anderes ersetzen, das Willkür vermeidet und Abschätzbarkeit gewährleistet. Dabei sollte eine Gleichbehandlung berücksichtigt werden: gleiche Rechte und Pflichten für alle, die der moralischen Gemeinschaft angehören.
Und die Kriterien für diejenigen, die aus der moralischen Gemeinschaft ausgeschlossen werden dürfen, (-> Sicherungsverwahrung), müssen ebenso vorhanden sein. Man kann jedoch nicht per se
alle, (wegen Determinismus, der das angeblich erfordert), ausschließen, das ergibt einen Widerspruch in sich, denn dann kann es keine Verträge mehr geben. "Ist so, weil der Urknall, die Evolution das so bestimmt hat und
deswegen ist es auch gut so" kann niemals eine Begründung / Rechtfertigung sein.
ganimed hat geschrieben:Welche Studie widerlegt die Behauptung, dass die meisten Menschen an Schuld glauben und an den freien Willen?
Diese:
Is Incompatibilism Intuitive? widerlegt die Behauptung, ein akausaler freier Wille in Deinem Sinne und die Voraussetzung dessen für die Zuweisung von moralischer Verantwortung sei Mehrheitsmeinung.
ganimed hat geschrieben:Natürlich kann man auch in einer determinierten Welt ohne freien Willen Normen aufstellen. Und natürlich kann man anhand dieser Normen alle Handlungen normativ bewerten. Aber eben nicht moralisch. Es war dann eben nicht "böse" und "moralisch verwerflich", die Steuern zu hinterziehen, sondern es war "gegen die Norm" und "falsch". Es gab dazu eine Alternative, nämlich die Norm zu erfüllen d.h. "richtig" zu handeln.
Das verstehe ich nicht, denn bestimmte Normen sind nun mal moralische Normen. Es gibt nun zwar Normen, die nicht moralischer Art sind, zum Beispiel die DIN oder das Rechtsfahrgebot im Straßenverkehr. Jedoch Normen, die sich auf soziale Beziehungen, den Umgang von Subjekten miteinander beziehen, sind moralischer Art. Ob alle rechts oder links fahren sollen, ist einfach nur eine beliebige Festlegung, letztlich gleichgültig, wie es geregelt ist, aber moralische Normen sind das nicht. Es ist nicht egal, ob jemand das Recht auf körperliche Unversehrtheit hat oder nicht.
Was verstehst Du denn eigentlich unter 'Moral'? Ist z.B. die Pflicht, andere nicht grundlos verletzen zu dürfen, keine moralische Norm?
ganimed hat geschrieben:Wer behaupet, es gäbe keine Subjekte? Wer vertritt diesen Standpunkt? Ich glaube niemand, oder?
Öhm, naja, erstens vertritt ihn Dissidenkt im Nachbarthread und zweitens scheint mir, dass auch Du ihn implizit vertrittst, d.h., auch wenn Du das explizit nicht so gesagt hast, es dennoch logischerweise aus Deiner Ansicht erfolgt. Du möchtest Personen letztlich wie Objekte behandeln, nicht wie selbstbestimmte Subjekte, die Grundlage der Gesellschaft sind, diese erst bestimmen, festlegen und überhaupt erst darstellen, sondern lediglich wie Gefahrenquellen, wie Naturgewalten, die nichts dafür können, wie sie entscheiden und handeln, die dazu gleichermaßen gezwungen werden, egal, wie die Umstände sind, denen alles nur zustößt, die aber dennoch 'behandelt' werden dürfen. Aber da steckt mE nun mal ein ganz grundsätzlicher Fehler drin, das ist vollkommen selbstwidersprüchlich und selbstaufhebend.
Entweder gibt es a) einige Subjekte, die moralisch handeln können, dann kann man höchstens sagen, es gibt
andere Leute, die das aus diversen Gründen (z.B. keine Selbststeuerungsfähigkeit) nicht können oder man sagt: b) der Determinismus schließt moralisches Handeln und damit Rechte, Pflichten und Anforderungen an Andere
grundsätzlich aus.
Falls a): so wird das heute gesehen. Falls b): man kann keine moralischen Forderungen mehr stellen, weil man mögliche Ansprechpartner dafür leugnet.