AgentProvocateur hat geschrieben:1. die notwendigen Grundlagen / Bedingungen / Umstände jeglicher Existenz als 'Zwang' zu bezeichnen, d.h. letztlich Existenz und Freiheit als Gegensätze zu sehen. Im Gegenteil ist es ja wohl offensichtlich so, dass Existenz eine notwendige Bedingung für Freiheit ist. Etwas, das nicht existiert, kann gar nichts sein, keine Eigenschaften haben und demnach auch nicht frei sein.
Soweit ich verstehe, läuft dieses Argument wieder auf folgendes hinaus: wenn ich recht hätte, würde es ja wirklich keine Freiheit geben. Also muss ich unrecht haben. Da die Existenz von Freiheit von dir als eine Art unerschütterliche Voraussetzung betrachtet wird. Aber was macht dich so sicher?
AgentProvocateur hat geschrieben:Deine Argumentation könnte man dann wie folgt zusammenfassen:
1. Alles wird so kommen, wie es kommen wird.
2. Also muss es so kommen, wie es kommen wird.
3. 'Müssen' ist ein Gegensatz zu 'Freiheit'.
4. Ergo gibt es keine Freiheit.
5. Ergo ist 'frei' etwas nur dann, wenn es anders kommt, als es kommt.
Das hat dann aber nichts mehr mit Kausalität / Determination zu tun, nur noch mit der trivialen tautologischen Feststellung, dass nichts anders kommen wird als es kommen wird.
Es hat schon was mit Kausalität zu tun. Denn nur weil unsere Welt kausal ist gilt 1 und 2. Und selbst wenn es eine triviale tautologische Feststellung ist, bei dir klingt das so als sei sie deshalb automatisch falsch. Sie wäre dann ja trivialerweise richtig.
AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, meine Persönlichkeit kann mir nichts aufzwingen
Wenn deine Entscheidung nach deiner Persönlichkeit erfolgt, wie du geschrieben hast, was ist denn damit gemeint? Dass deine "freien" Entscheidungen sich immer nach deiner Persönlichkeit richten? Also abhängig sind von deiner Persönlichkeit? So zumindest würde ich es verstehen. Wieso kann man dazu nicht "Zwang" sagen?
AgentProvocateur hat geschrieben:Ja, genau, weil eben 'Willensfreiheit' wie gesagt für mich bedeutet: jemand hat hinreichende Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit und kann deswegen seine Ziele und Entscheidungen abwägen und daraufhin selber bestimmen.
Wieso nennst du das frei? In deiner Beschreibung kommen keine Wörter wie "frei", "unabhängig" oder "nicht festgelegt" vor.
Du beschreibst nur vage den Entscheidungsvorgang im Gehirn, wobei du dich scheinbar willkürlich auf den bewussten Anteil der Entscheidungsfindung konzentrierst. Du verwechselst meiner Ansicht nach "bewusst und selbstbestimmt" mit dem Wort "frei". Ein Pseudozufallsgenerator in meinem Computer bestimmt den nächsten "Zufallswert" auch selber. Niemand käme auf die Idee, diesen Vorgang deshalb "frei" zu nennen.
AgentProvocateur hat geschrieben:Jetzt mal 5 Fragen dazu an Dich:
1. Die Frage von oben nochmal. Nehmen wir mal an, es gäbe zwei verschiedene Welten, die determinierte Welt A und die (teilweise) indeterminierte Welt B. Nun gibt es in A das Subjekt X und in Welt B das Subjekt Y. Beide Subjekte entscheiden und handeln immer absolut identisch, es ist kein Unterschied feststellbar. Das Subjekt X wäre nun in Deiner Sicht unzweifelhaft unfrei, (da in Welt A alles streng determiniert abläuft), wie sieht es aber mit Subjekt Y aus?
Ist dieses:
a) unfrei? (Wenn ja: warum?)
b) frei (weil es in B 'echte' Möglichkeiten gibt, die Zukunft 'ontologisch offen' ist)? (Aber warum ist dann X unfrei, da doch X und Y exakt gleich sind?)
c) nicht entscheidbar? (Wenn ja: was genau müsstest Du dann noch wissen, um das entscheiden zu können?)
Ich nehme (c). Die Entscheidung von Y sind, aufgrund der Indeterminiertheit seiner Welt, wenigstens nicht mehr kausal abhängig. Diese Zwangsfessel fällt also ab. Es wäre nun zu überprüfen, ob es noch andere Freiheitseinschränkungen in Y's Welt gibt.
AgentProvocateur hat geschrieben:2. wie unterscheidet man eigentlich, ob eine Handlung determiniert war oder nicht, ob es also 'echte' Möglichkeiten gab oder nicht? Nehmen wir mal wieder an, es gäbe zwei Welten A und B. Beide streng determiniert, in beiden Welten die völlig gleich entscheidenden und handelnden Subjekte X und Y, der Ablauf in beiden Welten war bis zum Zeitpunkt T0 identisch, bis dahin galt X == Y. In Welt A schreibt nun X zum späteren Zeitpunkt T1 einen Beitrag im Forum XYZ, in Welt B tut Y das nicht. Welche Welt wäre die falsche (nicht mehr determiniert), welche die richtige (immer noch determiniert)? Wie kann man das feststellen?
Wenn man in einer der beiden Welten bis ins kleinste Detail alle Gründe für die Handlung findet, sich also sicher ist, die volle Ursachenmenge gefunden zu haben, dann könnte man folgern, dass die andere Welt die indeterminierte sein muss, da dort eine andere Handlung erfolgte obwohl die Ursachenmenge dort, wenn ich richtig verstehe, die gleiche war. Ich vermute jedoch, man kann sich nie sicher sein, ob man wirklich alle Ursachen gefunden hat.
AgentProvocateur hat geschrieben:3. Wenn wir die Möglichkeit haben, uns aufgrund unserer Überlegungen z.B. für einen reinen Konsequentialismus zu entscheiden, wieso sollten wir uns dann diese Entscheidung nicht zurechnen, als eine Entscheidung, die wir aus der Abwägung der Gründe und Gegengründe (und unseres Bauchgefühles, unserer Intuition) aufgrund unserer Bewertungsmaßstäbe getroffen haben und zu der wir stehen, die wir befürworten, als richtig ansehen?
Ich habe ja nichts gegen deine Definition von "Selbstbestimmtheit". Ich bin ein Fan davon. Nur würde ich das nicht als "frei" bezeichnen. Ich bin also dafür, dass wir jedwede Entscheidung, die wir größtenteils bewusst und selber getroffen haben, auch selber akzeptieren und als richtig ansehen. Was denn auch sonst?
AgentProvocateur hat geschrieben:Die Frage hier wäre nur die, wieso man für eine eigene, nach besten Wissen und Gewissen getroffene Entscheidung nicht moralisch verantwortlich sein kann.
1) Meine Antwort: weil man ja nunmal keine Alternative hatte, keine freie Wahl. "Nach bestem Wissen und Gewissen" bedeutet ja nur, dass ich sorgfältig entscheide. Mit Freiheit hat das nichts zu tun.
2) Die Antwort des von Myron zitierten Philosophen Strawson, so wie ich sie verstehe: du bist für diese getroffene Entscheidung nicht verantwortlich, weil du für dein bestes Wissen und Gewissen auch nicht verantwortlich bist.
AgentProvocateur hat geschrieben:4. Wenn alles so kommt, wie es kommen muss, ohne Einflussmöglichkeit für uns, (...), wieso ist es dann eigentlich falsch, wenn jemand moralische Verantwortung zuweist? Dem ist ja kein moralischer Vorwurf zu machen, er kann ja nicht anders.
Es ist falsch, weil es ohne Willensfreiheit keine moralische Verantwortung geben kann. Ein moralischer Vorwurf ist dem Zuweiser allerdings tatsächlich nicht zu machen, da er ja nicht anders kann. Macht man ihm besser einen normalen Vorwurf, einen im konsequentialistischen Sinne.
AgentProvocateur hat geschrieben:5. Ich würde immer noch gerne verstehen können, was es Deiner Ansicht nach exakt bedeutet 'X kann anders entscheiden'.
Bedeutet das:
1. Anders entscheiden, als er entscheidet?
2. Anders entscheiden, als er eigentlich entscheiden will?
3. In exakt derselben, identischen, zurückgespulten Situation S (äußere und innere Zustände absolut identisch) mal so und mal anders entscheiden (also machen können, dass S != S gilt)?
4. ?
Ich nehme (1) und (3).
AgentProvocateur hat geschrieben:ganimed hat geschrieben:Eine moralische Verantwortung kann man mir daher nicht geben.
Nochmal kurz dazu: Du kannst nicht gleichzeitig von 'können' reden und auf der anderen Seite behaupten, es gäbe nur ein 'müssen'. Das ist selbstwidersprüchlich.
Sprachliche Haarspalterei bringt uns, so mein Eindruck, auch nicht weiter. Das "kann" in meinem Satz war natürlich nicht im Sinne von "ist Alternative bei freien Entscheidungen" gemeint. Wohingegen mein "es gibt nur ein müssen" durchaus so gemeint ist, dass es keine echte Alternative bei Entscheidungen und also keine freie Entscheidungen gibt. Mein "kann...nicht" in dem Satz meinte vielmehr, dass es falsch wäre, es zu tun. Zwei unterschiedliche Bedeutungsebenen, also kein Widerspruch, soweit ich sehe.
AgentProvocateur hat geschrieben:Mir erscheint es da ja alleine vom pragmatischen Standpunkt aus sehr viel sinnvoller und zielführender zu sein, erkennende, entscheidende und handelnde Personen anzunehmen, solche, die Ansprechpartner für eine Kommunikation, für soziale Kontakte sind. Ich kann ja schlecht den Urknall ansprechen, von dem ich gar nichts weiß.
Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen und kann deshalb nur schätzen, wie oft ich diesen Denkfehler bei dir schon zu korrigieren versucht habe. Kausalität bedeutet, dass wir nicht frei entscheiden können. Es bedeutet nicht, dass wir nicht entscheiden können. Wir können erkennen, entscheiden, handeln und kommunizieren. Es mag ja sein, dass wir uns niemals auf einen Freiheitsbegriff einigen können, aber vielleicht kriegen wir ja eines Tages wenigstens dieses Missverständnis aus der Welt, dass nur weil alles seit dem Urknall kausal abläuft plötzlich alle Handlungen und Entscheidungen unmöglich würden.
AgentProvocateur hat geschrieben:Jetzt mal abgesehen davon, dass der Urknall mich dazu nicht determiniert hat, meine Sklaverei und Abhängigkeit von ihm einzusehen, er hat mich vielmehr dazu determiniert, mich als erkennende, reflexionsfähige, selbstorganisierende, entscheidende und handelnde Person ansehen zu müssen. Wie könnte ich mich auch dagegen wehren, das zu tun, was ich tun muss? Der Urknall zwingt mich nun mal dazu.
Ganz genau. Deshalb kann ich dir keine moralische Schuld geben. Und wer weiß, vielleicht zwingt dich der Urknall ebenso dazu, in etwa 30 Minuten deine Meinung zu ändern und mir endlich rückhaltlos zuzustimmen. Na ja, ich glaub ja selbst nicht dran, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.