Dissidenkt hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Die Mehrheit hält nach dieser Studie nicht, so wie Du, die metaphysische und logisch unmögliche Fähigkeit, in ein und derselben Situation anders zu handeln, als man letztlich handelt, für eine Zuweisung von Verantwortung und Schuld für notwendig.
Falsch.
1. Die Mehrheit sagt "agents are free". Deine Behauptung, die Mehrheit würde den Agents Unfreiheit in der Entscheidung attestieren und dennoch Schuld und Verantwortung zuweisen, stimmt nicht.
Doch.
Es gibt hier zwei unterschiedliche Definitionen von Freiheit: a) 'absolute Freiheit' und b) 'bedingte Freiheit'.
Die Mehrheit sieht a) nicht als notwendige Bedingung für die Zuweisung von Verantwortung und Schuld, sie hält b) dafür für ausreichend. Geht aus der Studie hervor. 'Agents are free' bedeutet in dem Zusammenhang also 'frei' im Sinne von b).
Dissidenkt hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Ich sehe das nämlich ziemlich anders als Du. Ich (als Person) bin (u.a.) die Instanzen in meinem Gehirn, es erscheinst mir sogar ziemlich absurd, anzunehmen, es gäbe einen Unterschied zwischen mir und den Instanzen in meinem Gehirn.
DU bist ua das, was die Instanzen in deinem Gehirn hervorbringen. Selbstverständlich bist "DU" als Gesamtperson etwas anders, als die Instanzen in deinem Gehirn, die ja nur ein Teil von dir sind. Du bist ja auch nicht deine Leber oder deine Träume. DU und die Instanzen in deinem Gehirn sind also de facto etwas völlig unterschiedliches, das aber zweifellos zusammen gehört.
Ähm, ja, da sehe ich jetzt aber keinen wesentlichen Unterschied zu dem, was ich gesagt habe.
'Ich' bin ein Gesamtsystem, bestehend aus meinem Körper und den Prozessen, die darin ablaufen. Ändert sich etwas daran, bin 'ich' anders als vorher.
Dissidenkt hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Dissidenkt hat geschrieben:...Wir können uns aber BEWUSST dafür entscheiden Informationen und Erfahrungen in unser Unterbewusstsein zu bringen.
Das ist Lernen! Das wird sich auch in unserem späteren Handeln niederschlagen.
Zufälligerweise bezeichne ich nun genau das als freien Willen, nämlich dass man aufgrund eigener rationaler Überlegungen / Abwägungen die Zukunft hinsichtlich der Erreichung seiner eigenen Ziele beeinflussen kann. Und dass man seine Ziele reflektieren und anpassen kann.
Damit sind wir beim Kern des Problems. Das, was du als "freien Willen" bezeichnest, ist kein "freier Wille". Die Vorgänge, die du beschreibst: "Überlegungen / Abwägungen /beeinflussen / Ziele reflektieren / anpassen" das kann auch ein Roboter, der einen Parcours durchfahren muss. Daran ist nichts "frei", sondern alles ist determiniert und durch innere und äussere Parameter gelenkt. Das ist aber auch gut so, denn nur so kann ein Mensch funktionieren. "Freiheit" wäre Unberechenbarkeit, Beliebigkeit im Handeln und Denken, eine völlig aberwitzige Vorstellung.
Ja, wie gesagt, es gibt zwei unterschiedliche Definitionen von 'freiem Willen'. Ein bedingter freier Wille steht nicht im Gegensatz zum Determinismus. Hypothetisch könnte einem zukünftigen Roboter eine solche Freiheit also zugeschrieben werden. Heutigen jedoch nicht, die sind zu primitiv. Und, ja, auch ich kann nicht so recht sehen, wofür eine Freiheit in Deinem Sinne überhaupt gut sein könnte. Die halte ich ebenso wie Du für aberwitzig. Gäbe es sie, wäre übrigens die Prävention in unserem Strafrechtssystem sinnlos, denn ein solcher freier Wille wäre ja per definitionem nicht beeinflussbar. Da man aber präventive Maßnahmen als sinnvoll ansieht, geht man offensichtlich nicht von einem freien Willen in Deinem Sinne aus.
Dissidenkt hat geschrieben:Wir müssen also nur Einsehen, dass wir nicht im absoluten Sinne frei sind und dies auch gar nicht erstrebenswert wäre.
Siehe meine verlinkte Studie, die zeigt, dass dieser Glaube an 'absolute Freiheit' gar nicht vorherrscht.
Dissidenkt hat geschrieben:Wenn wir zu der Einsicht gelangen, dass wir unsere Handlungsmöglichkeiten erweitern können, können wir uns eventuell dafür entscheiden, uns möglichst viele Handlungsmöglichkeiten anzueignen, aus denen wir dann auswählen können. Das bezeichnen Leute wie Schmidt-Salomon als Handlungsfrieheit.
Das halte ich für falsch, denn 'Handlungsfreiheit' bedeutet meiner Ansicht nach: 'X hat dann Handlungsfreiheit, wenn X tun kann, was er will'. Die Frage nach der Willensfreiheit richtet sich jedoch nicht auf die Handlungen von X, sondern auf seine Entscheidungen. Da ich nicht einen Gegensatz 'Freiheit <-> Determination' sehe, sondern den Gegensatz 'Freiheit <-> Zwang', kann man mE sinnvoll fragen, inwiefern die Entscheidungen 'frei' sind, nämlich frei von äußeren und inneren Zwängen. Inwiefern eine Person fähig dazu ist, ihre Entscheidungen auf ihre Ziele hin auszurichten, indem sie verschiedene Alternativen in Gedanken durchspielt.
Nehmen wir an, jemand hätte völlige Handlungsfreiheit, jedoch das, was er wollte, wäre von einem Dritten (durch eine im Gehirn implantierte Fernsteuerung) gesteuert. Dann würde man ihn als unfrei und nicht als verantwortlich ansehen.
Dissidenkt hat geschrieben:Ich dagegen sage, auch diese sogenannte "Handlungsfreiheit" ist keine wirkliche Freiheit, sondern ein Prozess, der in den verschiedensten Instanzen unseres Gehirns abläuft und schlussendlich unserem Bewusstsein - das in der Regel (aber nicht immer) auch am Entscheidungsablauf beteiligt ist - in Form einer Entscheidung gemeldet wird.
'Wirkliche Freiheit' in Deinem Sinne ist weder logisch möglich, noch wünschenswert, keine Frage und die meisten Philosophen sehen das auch so. Es ist auch gängige Meinung, dass Erziehung, Erlebnisse, Appelle, Normen usw. Leute beeinflussen. Was man ja nicht vermuten könnte, wenn es einen 'absolut freien Willen' gäbe.