Natürlich künstlich... oder?

Natürlich künstlich... oder?

Beitragvon Twilight » Sa 24. Apr 2010, 19:54



Der Unterschied zwischen "künstlich" und "natürlich" ist im allgemeinen Sprachgebrauch fest verankert.
Künstlich ist alles, was von Menschen konstruiert wurde, natürlich ist das, was aus einer "sich selbst überlassenen" Entwicklung entsteht. Trotzdem gilt das von Erwachsenen Menschen unterstützte Lernen eines Kindes als "natürliche Entwicklung" und ein Herzanfall, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit durch lebenslangen Konsum von Tabakwaren und Junkfood bis zum tatsächlichen Eintreten gesteigert wurde, wird "natürliche Todesursache" genannt.

Ist eine solche Unterscheidung oder der Begriff "künstlich" an sich eigentlich noch tragbar? So wie ich das sehe, geht der Bedeutungsgehalt dieses Begriffs gegen Null.
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Re: Natürlich künstlich... oder?

Beitragvon Zappa » Sa 24. Apr 2010, 21:30

Twilight hat geschrieben:Der Unterschied zwischen "künstlich" und "natürlich" ist im allgemeinen Sprachgebrauch fest verankert. ....
Ist eine solche Unterscheidung oder der Begriff "künstlich" an sich eigentlich noch tragbar?


Der allgemeine Sprachgebrauch ist IMHO wesentlich wichtiger und damit definitorischer, als irgendwelche Haarspaltereien philosophischer Proseminaristen.
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Re: Natürlich künstlich... oder?

Beitragvon Dissidenkt » Sa 24. Apr 2010, 22:03

Twilight hat geschrieben:Ist eine solche Unterscheidung oder der Begriff "künstlich" an sich eigentlich noch tragbar? So wie ich das sehe, geht der Bedeutungsgehalt dieses Begriffs gegen Null.


Schnupper mal an einer künstlichen Blume!
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Re: Natürlich künstlich... oder?

Beitragvon spacetime » So 25. Apr 2010, 12:59

Der Mensch sah sich doch schon immer als etwas besonderes, das einem Kunstwerk viel näher käme als einem Produkt blinder (ungerichteter) Evolution. Der Unterschied rührt von anthropozentrischen /anthroponarzisstischen Perspektiven einer Spezies, die von sich glaubt, dass sie sich über die Natur hinwegsetzen könne. Dabei übersieht sie, dass sie selbst Natur ist und immer sein wird. Aus der Perspektive des Menschen ist die Legitimation des Begriffs 'künstlich' völlig nachvollziehbar. Schaut man sich das ganze von außen an, dann hat der Begriff schon etwas narzisstisches an sich.
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Re: Natürlich künstlich... oder?

Beitragvon Twilight » So 25. Apr 2010, 16:32

Dissidenkt hat geschrieben:Schnupper mal an einer künstlichen Blume!

Riecht ein bisschen nach Imprägniermittel oder Autocockpitreiniger.
Ich will eigentlich nur sagen, dass die künstliche Blume auch natürlich ist. Aktivität neuronaler Netzwerke führte zu einer Entstehung von Systemen, die Kohlenstoffverbindungen in eine Anordnung bringen, welche in Form und Lichtreflektionseigenschaften etwas ähneln, was ebenfalls aus Kohlenstoffverbindungen besteht und sich soweit entwickeln konnte weil die Aktivität neuronaler Netzwerke dazu führte, dass dieses Objekt nicht gefressen wurde. Oder weniger als andere ähnliche Objekte.

Zappa hat geschrieben:Der allgemeine Sprachgebrauch ist IMHO wesentlich wichtiger und damit definitorischer, als irgendwelche Haarspaltereien philosophischer Proseminaristen.

Um zu wissen, was gemeint ist, wenn jemanden "eine Laus über die Leber gelaufen ist" oder er sich "den Kopf erkältet hat", muss man schon zum entsprechenden Kulturkreis gehören. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden auch Eingeborene als die definiert, die vor der letzten Einwanderungswelle da waren und deutlich von denen unterschieden, die als Nachkommen von Einwanderern in das Land hinein geboren werden.
Wenn ich mich mit jemanden für den "nächsten Samstag" verabrede, kommt immer die Frage "der, der jetzt kommt oder der danach?".
Der allgemeine Sprachgebrauch ist meiner Meinung nach etwas, das sich über die Menschheitsgeschichte hinweg aus viel Unwissenheit heraus entwickelt hat und dies noch immer tut. Wo Wissenslücken geschlossen werden, sollte auch die Sprache sich weiter entwickeln.
Zugegeben, die paar vereinzelten Definitionsmängel sind noch eines der kleineren Übel.

Wobei...

spacetime hat geschrieben:Aus der Perspektive des Menschen ist die Legitimation des Begriffs 'künstlich' völlig nachvollziehbar. Schaut man sich das ganze von außen an, dann hat der Begriff schon etwas narzisstisches an sich.

Narzistisch...
Danke vielmals. Bis eben hat mich nur die unzureichende Definition gestört. Dass ich selbst den Begriff immer wieder verwende, macht die Sache noch schlimmer. :verzweifelt:
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Re: Natürlich künstlich... oder?

Beitragvon Myron » So 25. Apr 2010, 16:56

Twilight hat geschrieben:Ist eine solche Unterscheidung oder der Begriff "künstlich" an sich eigentlich noch tragbar? So wie ich das sehe, geht der Bedeutungsgehalt dieses Begriffs gegen Null.


Dass sich der Begriff der Künstlichkeit bei näherer Betrachtung als vage herausstellt, bedeutet nicht, dass er sinn- oder nutzlos ist. Aus der Sicht des Naturalismus entspricht der Gegensatz zwischen "künstlich" und "nichtkünstlich" freilich nicht dem Gegensatz zwischen "künstlich" und "natürlich", da künstliche Sachen keine übernatürlichen Sachen sind.
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Re: Natürlich künstlich... oder?

Beitragvon Jarl Gullkrølla » So 25. Apr 2010, 22:27

Ich wäre auch gern so besonnen wie du, Myron...
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Re: Natürlich künstlich... oder?

Beitragvon Twilight » Mo 26. Apr 2010, 06:50

Myron hat geschrieben:Aus der Sicht des Naturalismus entspricht der Gegensatz zwischen "künstlich" und "nichtkünstlich" freilich nicht dem Gegensatz zwischen "künstlich" und "natürlich", da künstliche Sachen keine übernatürlichen Sachen sind.

Der Begriff "künstlich" bedeutet auch nicht "übernatürlich" sondern eher "unnatürlich". Aus der Sicht des Naturalismus' ist allerdings alles natürlich, wodurch der Begriff "künstlich" eigentlich auf alles über-, unter-, und para-natürliche angewendet werden könnte. Uneigentlich hat der Begriff schon eine, wenn auch vage, Definition, in der dieser Anwendungsbereich keinen Platz hat.
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Re: Natürlich künstlich... oder?

Beitragvon stine » Mo 26. Apr 2010, 07:58

Wenn ein Termitenstamm seinen Hügel aufbaut oder ein Biber seinen Damm anlegt, dann ist das natürlich. Wenn ein Mensch sein Haus baut, dann ist das künstlich?
:ka:

fragt sich stine
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Re: Natürlich künstlich... oder?

Beitragvon Gernot Back » Mo 26. Apr 2010, 11:43

Twilight hat geschrieben:Der Begriff "künstlich" bedeutet auch nicht "übernatürlich" sondern eher "unnatürlich". Aus der Sicht des Naturalismus' ist allerdings alles natürlich, wodurch der Begriff "künstlich" eigentlich auf alles über-, unter-, und para-natürliche angewendet werden könnte.

Vielleicht reden wir ja eines Tages nicht nur in Bezug auf Aromastoffe sondern auch in Bezug auf Intelligenzen noch von naturidentisch.

Gruß Gernot
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