von Jarl Gullkrølla » Mi 5. Mai 2010, 20:45
Der Tierzwist begibt sich vor Allem in die Frage nach dem Rechte, nach dem Recht, dies und jenes zu tun, zu entscheiden etc.
Ein sekretierter und vielgelesener Denker names Stirner hat Mitte des 19. Jh. sich gefragt, was denn diese damals neumodische Sache mit den Menschenrechten sei. Der Einzige und sein Eigentum, 205-209, Reclam.
"Fassen Wir inzwischen die Sache noch anders. Ich soll das sultanische Recht verehren im Sultanat, das Volksrecht in Republiken, das kanonische Recht in katholischer Gemeinde usw. Diesen Rechten soll Ich Mich unterordnen, soll sie für heilig halten. Ein »Rechtssinn« und »rechtlicher Sinn« solcher Art steckt den Leuten so fest im Kopfe, dass die Revolutionärsten unserer Tage Uns einem neuen »heiligen Rechte« unterwerfen wollen, dem »Rechte der Gesellschaft«, der Sozietät, dem Rechte der Menschheit, dem »Rechte Aller« u. dergl. Das Recht »Aller« soll meinem Rechte vorgehen. Als ein Recht Aller wäre es allerdings auch mein Recht, da Ich zu Allen mitgehöre; allein, dass es zugleich ein Recht Anderer oder gar aller anderen ist, das bewegt Mich nicht zur Aufrechterhaltung desselben. Nicht als ein Recht Aller werde Ich es verteidigen, sondern als mein Recht, und jeder Andere mag dann zusehen, wie er sich's gleichfalls bewahre. Das Recht Aller (z.B. zu essen) ist ein Recht jedes Einzelnen. Halte sich jeder dies Recht unverkümmert, so üben es von selbst Alle; aber sorge er doch nicht für Alle, ereifere er sich dafür nicht als für ein Recht Aller.
Aber die Sozialreformer predigen Uns ein »Gesellschaftsrecht«. Da wird der Einzelne der Sklave der Gesellschaft, und hat nur Recht, wenn ihm die Gesellschaft Recht gibt, d.h. wenn er nach den Gesetzen der Gesellschaft lebt, also - loyal ist. Ob Ich loyal bin in einer Despotie oder in einer Weitlingschen »Gesellschaft«, das ist dieselbe Rechtlosigkeit, insofern Ich in beiden Fällen nicht mein, sondern fremdes Recht habe.
Beim Rechte fragt man immer: »Was oder Wer gibt Mir das Recht dazu?« Antwort: Gott, die Liebe, die Vernunft, die Natur, die Humanität usw. Nein, nur deine Gewalt, deine Macht gibt Dir das Recht (deine Vernunft z.B. kann Dir's geben).
Der Kommunismus, welcher annimmt, dass die Menschen »von Natur gleiche Rechte haben«, widerlegt seinen eigenen Satz dahin, dass die Menschen von Natur gar kein Recht haben. Denn er will z.B. nicht anerkennen, dass die Eltern »von Natur« Rechte gegen die Kinder haben oder diese gegen jene: er hebt die Familie auf. Die Natur gibt den Eltern, Geschwistern usw. gar kein Recht. Überhaupt beruht dieser ganze revolutionäre oder Babeufsche Grundsatz (59) auf einer religiösen, d.h. falschen Anschauung. Wer kann, wenn er sich nicht auch auf dem religiösen Standpunkte befindet, nach dem »Rechte« fragen? Ist »das Recht« nicht ein religiöser Begriff, d.h. etwas Heiliges? »Rechtsgleichheit«, wie sie die Revolution aufstellte, ist ja nur eine andere Form für die »christliche Gleichheit«, die »Gleichheit der Brüder, der Kinder Gottes, der Christen usw.«, kurz fraternité. Alle und jede Frage nach dem Rechte verdient mit Schillers Worten gegeisselt zu werden:
Jahre lang schon bedien' ich mich meiner Nase zum Riechen;
Hab' ich denn wirklich an sie auch ein erweisliches Recht?
Als die Revolution die Gleichheit zu einem »Rechte« stempelte, flüchtete sie ins religiöse Gebiet, in die Region des Heiligen, des Ideals. Daher seitdem der Kampf um die »heiligen, unveräusserlichen Menschenrechte«. Gegen das »ewige Menschenrecht« wird ganz natürlich und gleichberechtigt das »wohlerworbene Recht des Bestehenden« geltend gemacht: Recht gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als »Unrecht« verschrien wird. Das ist der Rechtsstreit seit der Revolution.
Ihr wollt gegen die anderen »im Rechte sein«. Das könnt Ihr nicht, gegen sie bleibt Ihr ewig »im Unrecht«; denn sie wären ja eure Gegner nicht, wenn sie nicht auch in »ihrem Rechte« wären: sie werden Euch stets »Unrecht geben«. Aber euer Recht ist gegen das der Anderen ein höheres, grösseres, mächtigeres, nicht so? Mitnichten! Euer Recht ist nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger seid. Haben chinesische Untertanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt sie ihnen doch, und seht dann zu, wie sehr Ihr Euch darin vergriffen habt: weil sie die Freiheit nicht zu nutzen wissen, darum haben sie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil sie die Freiheit nicht haben, haben sie eben das Recht dazu nicht. Kinder haben kein Recht auf die Mündigkeit, weil sie nicht mündig sind, d.h. weil sie Kinder sind. Völker, die sich in Unmündigkeit halten lassen, haben kein Recht auf Mündigkeit; sie hörten auf, unmündig zu sein, dann erst hätten sie das Recht, mündig zu sein. Dies heisst nichts anderes, als: was Du zu sein die Macht hast, dazu hast Du das Recht. Ich leite alles Recht und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu Allem berechtigt, dessen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Jehova, Gott usw. zu stürzen, wenn Ich's kann; kann Ich's nicht, so werden diese Götter stets gegen Mich im Rechte und in der Macht bleiben, Ich aber werde Mich vor ihrem Rechte und ihrer Macht fürchten in ohnmächtiger »Gottesfurcht«, werde ihre Gebote halten und in Allem, was Ich nach ihrem Rechte tue, Recht zu tun glauben, wie etwa die russischen Grenzwächter sich für berechtigt halten, die entrinnenden Verdächtigen totzuschiessen, indem sie »auf höhere Autorität«, d.h. »mit Recht« morden. Ich aber bin durch Mich berechtigt zu morden, wenn Ich Mir's selbst nicht verbiete, wenn Ich selbst Mich nicht vorm Morde als vor einem »Unrecht« fürchte. Diese Anschauung liegt Chamissos Gedicht »das Mordtal« zu Grunde, wo der ergraute indianische Mörder dem Weissen, dessen Mitbrüder er gemordet, Ehrfurcht abzwingt. Ich bin nur zu Dem nicht berechtigt, was Ich nicht mit freiem Mute tue, d.h. wozu Ich Mich nicht berechtige.
Ich entscheide, ob es in Mir das Rechte ist; ausser Mir gibt es kein Recht. Ist es Mir recht, so ist es recht. Möglich, dass es darum den anderen noch nicht recht ist; das ist ihre Sorge, nicht meine: sie mögen sich wehren. Und wäre etwas der ganzen Welt nicht recht, Mir aber wäre es recht, d.h. Ich wollte es, so früge Ich nach der ganzen Welt nichts. So macht es jeder, der sich zu schätzen weiss, jeder in dem Grade, als er als Egoist ist, denn Gewalt geht vor Recht, und zwar - mit vollem Recht.
Weil Ich »von Natur« ein Mensch bin, habe Ich ein gleiches Recht auf den Genuss aller Güter, sagt Babeuf. Müsste er nicht auch sagen: Weil Ich »von Natur« ein erstgeborener Prinz bin, habe Ich ein Recht auf den Thron? Die Menschenrechte und die »wohlerworbenen Rechte« kommen auf dasselbe hinaus, nämlich auf die Natur, welche Mir ein Recht gibt, d.h. auf die Geburt (und weiter die Erbschaft usw.). Ich bin als Mensch geboren ist gleich: Ich bin als Königssohn geboren. Der natürliche Mensch hat nur ein natürliches Recht, weil Macht, und natürliche Ansprüche: er hat Geburtsrecht und Geburtsansprüche. Die Natur aber kann Mich zu dem nicht berechtigen, d.h. befähigen oder gewaltig machen, wozu Mich nur meine Tat berechtigt. Dass das Königskind sich über andere Kinder stellt, das ist schon seine Tat, die ihm den Vorzug sichert, und dass die anderen Kinder diese Tat billigen und anerkennen, das ist ihre Tat, die sie würdig macht - Untertanen zu sein.
Ob Mir die Natur ein Recht gibt, oder Gott, die Volkswahl usw., das ist Alles dasselbe fremde Recht, ist ein Recht, das Ich Mir nicht gebe oder nehme."