Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 26. Jun 2010, 19:53

Ich habe das mal aus dem Thread 'Baby ohne Gehirn darf nicht abgetrieben werden.. ' hier rüberkopiert, weil das zu dem Thema dort OT wäre.

Nanna hat geschrieben:Unser ganzes Verhalten ist auf das Erlangen von Glück und Zufriedenheit und das Vermeiden von Leid ausgelegt.

Nein. s.u.

Nanna hat geschrieben:Was können wir in einer natürlichen Welt, die uns keinen letzten Sinn anbietet, anderes tun, als die Zeit, die uns zur Verfügung steht, so angenehm wie möglich zu verbringen [...]

Wir können uns selber einen Sinn suchen. Die Zeit so angenehm wie möglich zu verbringen mag nun eine Möglichkeit sein. Aber das ist ja nicht zwingend die einzige. Man könnte sich z.B. auch auf die Suche nach Erkenntnis begeben. Oder man könnte Kinder bekommen und die aufziehen. Vielleicht möchte man autonom sein, selbstständig, (auch wenn das mehr Leid und weniger Glück ergibt, als wenn man einfach blind einer 'höheren Macht' [was auch immer das sei, Gott, die Wissenschaft, die Natur, einem Führer, einer beliebigen anderen Autorität] gehorcht). Vielleicht legt man Wert auf Gerechtigkeit. Oder eine Kombination aus all diesem. Das nun irgendwie auf 'Erlangen von Glück' und / oder 'Vermeidung von Leid reduzieren zu wollen, scheint mir eine unzulässige Vereinfachung zu sein.

Leute sind für ihre Überzeugungen gestorben, wie passt das mit Glückerhöhung und Leidvermeidung zusammen?

Und: wäre 'Vermeidung von Leid' das einzige Ziel, wäre es rational, alle Lebewesen, die Leid empfinden können, schnell und schmerzlos zu töten. Damit hätte man alles künftige Leid zuverlässig verhindert. Kommt nun noch 'Erlangen von Glück' hinzu, dann wäre es das Rationalste, eine Glücks-Droge zu entwickeln, die Leidempfindung gänzlich ausschaltet und Glücksgefühle erzeugt. Die anderen zu ihrem Glück zu zwingen, auch wenn sie das gar nicht wollen, (weil das dann ja moralisch richtig wäre).

Mir scheint 'Selbstverwirklichung (Autonomie)', ein viel grundlegender Wert zu sein als Glückserlangung und Leidvermeidung - insbesondere dann, wenn vorgeschrieben wird, was man gefälligst unter 'Glück' und 'Leid' verstehen soll, die also als irgendwie objektiv gültige Werte proklamiert werden.

Nanna hat geschrieben:Auch wenn Peter Singer dank der ganzen Tierrechtsdiskussionen hier sicherlich ein heißes Eisen im Form ist, finde ich die Grundidee seines Präferenzutilitarismus, jetzt mal bitte auf den Menschen beschränkt für diese Diskussion (!), durchaus wert, mal ein paar Gedanken dran zu verschwenden.

Der Präferenz-Utilitarismus scheitert mE schon an seiner Prämisse:

Präferenzutilitarismus hat geschrieben:Fällt die Präferenz mit der Auswirkung der Handlung zusammen, ist die Handlung moralisch gut. Missachtet der Handelnde die Präferenz eines Wesens, so muss er notwendigerweise einen Ausgleich dafür finden (etwa durch die Beförderung einer entgegengesetzten Präferenz in höherem Maße), da die Handlung andernfalls moralisch schlecht ist.

Wieso sollte das schlichte Vorhandensein eines Interesses automatisch eine moralische Verpflichtung für andere bedeuten? Mir erscheint das als eine wenig plausible Setzung, wenn man sich konkrete Beispiele überlegt.

Es gibt Interessen, die selber unmoralisch sind, (z.B. Rassismus), und die mE daher weder berücksichtigt, noch ausgeglichen werden müssen. Die also missachtet, sogar evtl. bekämpft werden sollten.

Und es gibt Interessen, die schlicht moralisch für Dritte irrelevant sind, keinen moralischen Anspruch beinhalten. Z.B.: A will Sex mit B (oder C oder D oder...). B (oder C oder D oder ...) muss das mE jedoch weder berücksichtigen, noch einen Ausgleich schaffen, (obwohl Sexualität in der Maslowschen Bedürfnispyramide ganz zentral ist).

Ich halte die Prämisse, ein Vorliegen irgend einen Interesses, egal welches, begründe schon automatisch einen moralischen Anspruch gegenüber Dritten, schlicht für falsch. Und damit ist mE der Präferenzutilitarismus schon von Vorneherein erledigt.

Dass letztlich alle Wünsche / Bedürfnisse etc. irgendwie auf Interessen beruhen, ist halbwegs trivial, wenn man 'Interesse' passend definiert. Dennoch ist die Grundprämisse des Präferenzutitlitarismus mE nicht richtig, die folgt keineswegs daraus, (zumindest wüsste ich nicht, wieso).

(Und dann gibt es bei Singer übrigens noch zusätzlich einen ganz grundlegenden Punkt, an dem seine Ethik von Vorneherein scheitert. Nämlich die Behauptung, alle Interessen müssten gleich gelten, man sei moralisch dazu verpflichtet, einen Standpunkt einzunehmen, der von sich selber vollkommen abstrahiert. Das halte ich ebenso für wenig plausibel. Ich bin mE z.B. nicht moralisch verpflichtet, mein Leben oder das meines Kindes für Deines (oder für Deine Familie oder das Volk oder whatever) zu opfern, völlig gleichgültig, wieviel Leid das verhindert oder wieviel Glück das erzeugt. Eine Ethik, die solches ernsthaft verlangt, aus deren Prämissen das folgt, halte ich für schlicht fehlerhaft. Ich sehe keinen Grund, warum ich die akzeptieren könnte, das verletzt mE schlicht diejenige Grundlage, auf der eine Ethik für ein Individuum annehmbar sein könnte - nämlich die Anerkennung meiner Individualität und somit die Nicht-Aufrechenbarkeit des Individuums. Aber vielleicht möchte man ja gar keine Ethik, die von anderen akzeptiert wird, sondern eine, die 'objektiv wahr' ist. Und zieht daraus dann die Rechtfertigung zu einem beliebigen Paternalismus. Das könnte auch sein. Nur leider gibt es nun mal keine 'objektiv wahre' Ethik.)
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Nanna » Sa 26. Jun 2010, 22:05

AgentProvocateur hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Was können wir in einer natürlichen Welt, die uns keinen letzten Sinn anbietet, anderes tun, als die Zeit, die uns zur Verfügung steht, so angenehm wie möglich zu verbringen [...]

Wir können uns selber einen Sinn suchen. Die Zeit so angenehm wie möglich zu verbringen mag nun eine Möglichkeit sein.

Nein, du hast das anders verstanden, als ich das rüberbringen wollte: Du wirst tun, was du für am angenehmsten für dich empfindest. Ich habe nie gesagt, dass das im ausschließlichen Verzehr von Schokolade enden soll. Auch Soldat werden, Menschen töten, den ultimtiven Kick verspüren, kann dein Hirn als angenehmste Beschäftigung betrachten, die es kennt, z.B. weil es süchtig nach Adrenalin ist. Dein Gehirn wird ganz sicher nicht etwas tun, was es subjektiv nicht als am optimalsten einschätzt. Angenehme Gefühle, die diese Handlungen begleiten, sind lediglich der Verkaufstrick des Gehirns an sich selbst.

AgentProvocateur hat geschrieben:Man könnte sich z.B. auch auf die Suche nach Erkenntnis begeben. Oder man könnte Kinder bekommen und die aufziehen. Vielleicht möchte man autonom sein, selbstständig, (auch wenn das mehr Leid und weniger Glück ergibt, als wenn man einfach blind einer 'höheren Macht' [was auch immer das sei, Gott, die Wissenschaft, die Natur, einem Führer, einer beliebigen anderen Autorität] gehorcht). Vielleicht legt man Wert auf Gerechtigkeit. Oder eine Kombination aus all diesem. Das nun irgendwie auf 'Erlangen von Glück' und / oder 'Vermeidung von Leid reduzieren zu wollen, scheint mir eine unzulässige Vereinfachung zu sein.

Ich definiere Glück und Leid bewusst sehr weit und mache darauf aufmerksam, dass das immer auch weithin subjektive Kategorien sind. Was der eine als pervers und eklig empfindet, mag der andere toll und angenehm finden. Ob etwas angenehm oder bedrohlich erscheint ergibt sich aus genetischer Veranlagung und Prägung. Ein Spinnenforscher mag es als das angenehmste der Welt empfinden, in einem Spinnenterrarium zu sitzen, andere Leute denken darüber womöglich deutlich anders.
Du wirst letztlich immer das tun, was deinem Gehirn als der beste Kompromiss aus Glückmaximierung und Leidvermeidung erscheint. Wie das individuell aussieht, hängt von deinen Präferenzen ab und davon, wovor du Angst hast. Deine Handlungen werden weiterhin natürlich auch durch deine Risikobereitschaft geprägt; so bist du vielleicht bereit großes Leid zu riskieren, wenn im Erfoglsfall großes Glück winkt. Dein Gehirn würde aber, sofern es nicht ernsthaft geschädigt ist oder ungewöhnliche Anomalien hat, nie eine Handlung erlauben, von der es ausrechnet, dass es nur verlieren kann. Da der Maßstab aber immer sehr subjektiv ist, lässt sich das natürlich schwer auswerten, weil man für jede Person das individuelle Präferenzensystem kennen müsste.
Glücksmaximierung und Leidvermeidung sind in dieser Sichtweise also Ziel und Mittel in einem. Vielleicht ist das eine Vereinfachung, meiner Meinung nach dann aber keine schlechte, da letztlich alles im Gehirn irgendwann durch die Relevanz-Prüfung läuft und da werden nur Dinge durchkommen, die als vorteilhaft angesehen werden, woraufhin das emotionale System im Zusammenhang mit der beabsichtigten Handlung positive Gefühle signalisiert, damit die entsprechenden Zentren das auch ausführen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Leute sind für ihre Überzeugungen gestorben, wie passt das mit Glückerhöhung und Leidvermeidung zusammen?

Offensichtlich muss die reine Vorstellung - und ich möchte anmerken, dass eine Vorstellung ("Illusion") im Gehirn im Prinzip dieselbe Wirkmacht entfalten kann wie eine reale Erfahrung - so viel Glücksgefühle (=> Motivation) erzeugen, dass der erwartete Schaden als hinnehmbar erscheint. Ein soziales Wesen, das ja nicht nur der individuellen Selektion, sondern auch der Gruppenselektion unterworfen ist, opfert sich möglicherweise für die Gruppe, das ist u.U. evolutionär vorteilhaft und das wiederum legt die Vermutung nahe, dass sich evolutionär ein Mechanismus entwickelt hat, der in Extremsituationen anspringt, um die Gruppe zu retten, auch wenn das Individuum dabei draufgeht (solange es sich vorher fortgepflanzt hat, ist das aus evolutionärer Sicht auch nicht so das übermäßige Problem). Der Mechanismus dürfte so aussehen, dass genug Glücksgefühle vorhanden sind, um die Angst vor dem Tod zu überbrücken, bis die entsprechende Handlung, die u.a. den Tod beinhaltet ausgeführt ist.
Genauso kann Leidvermeidung eine Rolle spielen, sonst gäbe es auch keine Suizide. Menschen sind bereit, zu sterben, wenn die Bedingungen des Überlebens derart qualvoll erscheinen, dass die Nichtexistenz präferiert wird, weil eben keine ausreichenden Glücksgefühle mehr produziert werden können. Was der Grund im Einzelfall dafür ist, ist irrelevant. Auch jemand, der für seine Überzeugungen stirbt, mag neben der Euphorie, die die vermutete Bewunderung der Nachwelt auslöst, hat außerdem vielleicht so große Angst vor der Schmach, die ihm im Falle des Wortbruchs ("Dafür würde ich sterben!") droht, dass er den Tod als angenehmer empfindet,
Desweiteren darfst du nicht vergessen, dass den Leuten die Konsequenz der Selbsttötung möglicherweise nicht klar sind. Ein islamistischer Selbstmordattentäter geht aus seiner subjektiven Sicht nicht in den Tod als Ende allen Seins für ihn. Sein Unterbewusstsein ist da, entsprechende Indoktrinierung vorausgesetzt, nicht klüger als er auch.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und: wäre 'Vermeidung von Leid' das einzige Ziel, wäre es rational, alle Lebewesen, die Leid empfinden können, schnell und schmerzlos zu töten. Damit hätte man alles künftige Leid zuverlässig verhindert. Kommt nun noch 'Erlangen von Glück' hinzu, dann wäre es das Rationalste, eine Glücks-Droge zu entwickeln, die Leidempfindung gänzlich ausschaltet und Glücksgefühle erzeugt. Die anderen zu ihrem Glück zu zwingen, auch wenn sie das gar nicht wollen, (weil das dann ja moralisch richtig wäre).

Das Vertrackte daran ist: Es würde einen nicht glücklich machen, alle empfindenden Lebewesen zu töten, sonst wäre auf die Idee sicher schon einer gekommen. Wer so denkt, wird aber evolutionär aussortiert und es bleiben nur die übrig, die mit dem Überleben grundsätzlich ein Glücksgefühl verbinden (weshalb im Baby-Thread vielleicht jemand, weiß nicht mehr genau wer, intuitiv Glücksmomente stärker gewichtet hat als Leidmomente. Irgendein Mechanismus in unserem Gehirn muss dafür sorgen, dass der Gedanke ans Überleben so viel Glück bzw. der ans Sterben soviel Leid verursacht, dass wir das alltägliche Leid als leichter aushaltbar empfinden.

Was ich als "Ziel" benenne ist ein neurobiologischer Mechanismus, der auf dieses "Ziel" hinarbeitet, ich habe das aber nicht als ethisch-moralisch erstrebenswertes Ziel definiert. Ich behaupte nur, dass es mehr oder weniger so ist, dass unser Gehirn uns Handlungen, die es als optimal in der jeweiligen Situation empfindet, über Glücks- und Leidgefühle verkauft und dass wir nicht anders können, als dieser Empfehlung zu folgen. Ich möchte hieraus keine stringente Handlungsanleitung ableiten, das wäre der naturalistische Fehlschluss. Ich sehe es aber als grundlegend an, dass wir bei der Abwägung von potentiellem Glück und Leid zweier konkurrierender Leben die zentrale Bedeutung dieser Empfindungen berücksichtigen. Der Mutter muss, wenn sie das Kind austragen soll, eine vertretbare Menge an Glück zugestanden werden und da das Kind (im Grunde) noch nicht existent ist, geht hier das zentrale Bedürfnis der Mutter nach Optimierung ihres Glück-Leid-Kontos vor. Wenn man also das Kind um jeden Preis auf der Welt haben will, muss man im Gegenzug der Mutter etwas anbieten, was einen entsprechenden Ausgleich für dieses Konto bedeutet, z.B. umfangreiche Hilfsmaßnahmen oder soziale oder finanzielle Kompensation.

AgentProvocateur hat geschrieben:Mir scheint 'Selbstverwirklichung (Autonomie)', ein viel grundlegender Wert zu sein als Glückserlangung und Leidvermeidung - insbesondere dann, wenn vorgeschrieben wird, was man gefälligst unter 'Glück' und 'Leid' verstehen soll, die also als irgendwie objektiv gültige Werte proklamiert werden.

Nein, wie gesagt, das ist ein Missverständnis, und ich habe da sicher auch nicht gerade besonders exakt definiert. Selbstverwirklichung würde aus meiner Sicht bedeuten, den eigenen Präferenzen ideal folgen zu können, also das eigene Glück-Leid-Konto nach idealen Bedingungen befüllen zu können. Selbstverwirklichung ist in meinem Modell ein Hebel zur Erlangung von Glück, eine objektive Definition lehne ich auch ab. Allerdings - und hier ist der Knackpunkt, wo subjektive und objektive Position miteinander verwoben werden - müssen natürlich gewisse globale (also für alle Menschen gültigen) Präferenzen postuliert und gewichtet werden, damit man überhaupt irgendeine Vergleichbarkeit hat und ein Zusammenleben organisieren kann und da kommen wieder die Maslowsche Bedürfnispyramide (im folgenden "MP") und natürlich auch der Liberalismus ins Spiel.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Auch wenn Peter Singer dank der ganzen Tierrechtsdiskussionen hier sicherlich ein heißes Eisen im Form ist, finde ich die Grundidee seines Präferenzutilitarismus, jetzt mal bitte auf den Menschen beschränkt für diese Diskussion (!), durchaus wert, mal ein paar Gedanken dran zu verschwenden.

Der Präferenz-Utilitarismus scheitert mE schon an seiner Prämisse:

Präferenzutilitarismus hat geschrieben:Fällt die Präferenz mit der Auswirkung der Handlung zusammen, ist die Handlung moralisch gut. Missachtet der Handelnde die Präferenz eines Wesens, so muss er notwendigerweise einen Ausgleich dafür finden (etwa durch die Beförderung einer entgegengesetzten Präferenz in höherem Maße), da die Handlung andernfalls moralisch schlecht ist.

Wieso sollte das schlichte Vorhandensein eines Interesses automatisch eine moralische Verpflichtung für andere bedeuten? Mir erscheint das als eine wenig plausible Setzung, wenn man sich konkrete Beispiele überlegt.

Es gibt Interessen, die selber unmoralisch sind, (z.B. Rassismus), und die mE daher weder berücksichtigt, noch ausgeglichen werden müssen. Die also missachtet, sogar evtl. bekämpft werden sollten.

Naja, hier muss man natürlich ein Gleichgewichtsmodell implementieren ("Die eigene Freiheit endet da, wo die Freiheit des Anderen beginnt."). Das rassistische Interesse eines Weißen beispielsweise widerspricht den Interessen nach Freiheit und Gleichberechtigung aller Nicht-Weißen. In diesem Fall ist das einfach zu lösen, weil hier ein Individualbedürfnis (Weißer mag keine Nichtweißen => Stufe 4 MP) mit einem Grundrecht (Sicherheitsbedürfnis => Stufe 2 MP) kollidiert und damit ganz klar die Grundrechte siegen. Die Nichtweißen erlangen im Umkehrschluss ja auch kein Recht, den Weißen für seine rassistischen Neigungen abzumurksen.

Ich sage nicht, dass diese Idee der heilige Gral der Philosophie ist. Aber es ist eine interessante Grundidee, aus der heraus man grundlegende Regeln sozialen Miteinanders konstruieren kann. Ganz generell sind politische Philosophien sowieso nie wasserdicht, aber auf irgendwas muss man halt seine Prämissen aufbauen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und es gibt Interessen, die schlicht moralisch für Dritte irrelevant sind, keinen moralischen Anspruch beinhalten. Z.B.: A will Sex mit B (oder C oder D oder...). B (oder C oder D oder ...) muss das mE jedoch weder berücksichtigen, noch einen Ausgleich schaffen, (obwohl Sexualität in der Maslowschen Bedürfnispyramide ganz zentral ist).

Ja, aber dass Sex zentral ist, heißt auch, dass Bs Interesse an einer sexuellen Selbstbestimmung dasselbe Gewicht hat. Hier müssen wir, soweit ich das sehe, eine wichtige Zusatzregeln einführen: Wenn die Bedürfnisse zweier Individuen, die auf der MP gleichwertig sind, kollidieren, dann darf jeder das eigene Interesse als minimal, aber entscheidend, höher gewichten als das des anderen. Das heißt konkret, wenn Stufe 1 kollidiert, d.h. es auf Leben oder Tod geht, hat jeder das Recht zur Selbstverteidigung und damit im Extremfall auch zum Töten des Anderen. Oder wenn es um Sex geht und A will B, aber B will A nicht, dann ist B als derjenige, der einwilligen oder ablehnen muss, am längeren Hebel und darf sein Interesse zur Ablehnung als minimal höher, aber eben entscheidend höher, bewerten, als As Interesse. A kann zwar sein Interesse auch höher gewichten, aber wenn B nicht mitspielt, kann A nichts machen. In einer Blockadesituation passiert nunmal im Zweifel eher nichts als etwas; und Gewaltanwendung lassen wir jetzt mal raus, weil das Interesse an körperlicher Unversehrtheit meiner Meinung nach bei einer Feinunterteilung im Allgemeinen nochmal grundlegender als Sex ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich halte die Prämisse, ein Vorliegen irgend einen Interesses, egal welches, begründe schon automatisch einen moralischen Anspruch gegenüber Dritten, schlicht für falsch. Und damit ist mE der Präferenzutilitarismus schon von Vorneherein erledigt.

Komischweise ruht aber um Grunde unser gesamtes praktisches Denken auf einem Modell, dass in Grundzügen Singers Idee folgt. Unser ganzes Rechtssystem baut darauf auf, dass Interessen gegeneinander abgewogen werden, man nennt diese dort nur anders, nämlich "Rechte". Rechte sind aber meiner Meinung nach nichts anderes als standardisierte Interessen. So wird Mord als Verletzung des Interesses am Überleben (MP Stufe 1) streng geahndet, wohingegen berufliche Intrigen zum Zwecke (MP Stufen 4 & 5) oftmals überhaupt keine rechtlichen Konsequenzen haben.

Ich werfe mal die Vermutung in den Raum, dass du zu einseitig denkst: Bei formuliert A ein Interesse und damit einen Anspruch gegenüber B und du behauptest, B müsse dem folgen. B hat aber selber Interessen, die mit denen von A kollidieren können, womit der Zugriff von A auf B beschränkt und ein Kompromiss nötig wird. Beide haben also durchaus Ansprüche an den anderen, wobei diese sich - verbildlicht dargestellt - auf halbem Weg treffen, blockieren und so jedem einen gewissen Raum (im ausgewogenen Fall die Hälfte) zubilligen. Dass man im praktischen Fall mit so einer Verbildlichung nicht so viel anfangen kann, weiß ich auch. Aber stell es dir konkret so vor, dass jeder sich gegenüber anderen bis zu einer gewissen Schmerzgrenze Dinge erlauben darf, dass er aber sanktioniert wird, wenn er sein Interesse überdehnt und damit seinerseits den moralischen Anspruch der Gegenseite missachtet hat. Es bilden sich im Idealfall ein Gleichgewicht der Ansprüche und eine liberale Gesellschaft.

AgentProvocateur hat geschrieben:(Und dann gibt es bei Singer übrigens noch zusätzlich einen ganz grundlegenden Punkt, an dem seine Ethik von Vorneherein scheitert. Nämlich die Behauptung, alle Interessen müssten gleich gelten, man sei moralisch dazu verpflichtet, einen Standpunkt einzunehmen, der von sich selber vollkommen abstrahiert. Das halte ich ebenso für wenig plausibel. Ich bin mE z.B. nicht moralisch verpflichtet, mein Leben oder das meines Kindes für Deines (oder für Deine Familie oder das Volk oder whatever) zu opfern, völlig gleichgültig, wieviel Leid das verhindert oder wieviel Glück das erzeugt. Eine Ethik, die solches ernsthaft verlangt, aus deren Prämissen das folgt, halte ich für schlicht fehlerhaft. Ich sehe keinen Grund, warum ich die akzeptieren könnte, das verletzt mE schlicht diejenige Grundlage, auf der eine Ethik für ein Individuum annehmbar sein könnte - nämlich die Anerkennung meiner Individualität und somit die Nicht-Aufrechenbarkeit des Individuums. Aber vielleicht möchte man ja gar keine Ethik, die von anderen akzeptiert wird, sondern eine, die 'objektiv wahr' ist. Und zieht daraus dann die Rechtfertigung zu einem beliebigen Paternalismus. Das könnte auch sein. Nur leider gibt es nun mal keine 'objektiv wahre' Ethik.)

Ich gebe zu: Wenn man in meinem (sehr unausgereiften) Modell mehr als zwei Akteure hat, wird es kompliziert - aber auch die Mathematiker können das Dreikörperproblem ja nicht lösen (ok, das ist jetzt kein Argument :mg: ). Ich würde, wie schon vorher gesagt, die Sonderregel einführen, dass es im Fall kollidierender gleichwertiger Interessen ein Recht auf Höherwertung des eigenen Bedürfnisses gibt, anders gesagt, wenn es gar nicht anders geht, kommt das Recht des Stärkeren zum Tragen. Das ist zugegebenermaßen eine hässliche, aber pragmatische Lösung und vermutlich auch die, die die meisten Menschen praktizieren würden. Freiwillig anders handeln kann man ja immer noch, weil man beispielsweise lieber selbst verhungert als sein Kind sterben zu lassen, dabei geht es aber um Zuneigung aus freien Stücken und nicht um einen ethischen Anspruch des Kindes.

Vielleicht bietet sich eine kleine verfahrenstechnische Spitzfindigkeit an: Wenn 1000 Menschen einen Anspruch auf ihre Leben formulieren, der deinen Tod fordert, so geht es im Präferenzutilitarismus (zumindest würde ich in meinem modifizierten Modell das so sehen) aber trotzdem immer um die Beziehungen von Individuen, nie von Gruppen, da Gruppen keine Interessen haben (auch wenn ich persönlich Gruppenselektion für existent und Gruppeninteressen daher bis zu einem gewissen Grad für konstruierbar halte). Anstatt dass du also die Abwägung der Interessen einmal gegen 1000 Leute durchführst, führst du sie 1000 mal mit jedem Individuum durch. Da kommt meine Sonderregel der egoistischen Höhergewichtung der Eigeninteressen zum Tragen, d.h. du darfst jeden der 1000 Ansprüche einzeln abblocken.
Das klingt vielleicht nach Milchmädchenrechnung, aber auf die Weise ließen sich solche auch in meiner Sicht unzulässigen Situationen vermeiden. Außerdem gäbe es böse Probleme mit Minderheiten generell, wenn Gruppen ihre ethischen Ansprüche bündeln dürften.

War vielleicht nicht alles perfekt durchdacht und du findest die Schwachstellen sicher, daher: Dein Zug. ;-)
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 26. Jun 2010, 23:44

Nanna hat geschrieben:Ich definiere Glück und Leid bewusst sehr weit und mache darauf aufmerksam, dass das immer auch weithin subjektive Kategorien sind. Was der eine als pervers und eklig empfindet, mag der andere toll und angenehm finden.

Okay.

Mein Einwand an der Stelle ist dann schlicht folgender: wenn Glück und Leid gar nicht (mehr oder weniger allgemeingültig) definiert sind, sondern individuell festgelegt werden könnnen / oder sogar müssen, dann kann darauf keine Ethik aufbauen, (auf subjektivem Glück und Leid - denn die sind ja dann undefiniert und also nicht miteinander abwägbar). Eine 'Leidminimierung' und eine 'Glücksmaximierung' ergibt dann keinen Sinn mehr. Wie will man das auch verrechnen, wenn das nur subjektiv ist? Wer will festlegen, wieviel Leid es z.B. einem Sklavenhalter bereitet, wenn man seine Sklaven befreit? Dieses Leid könnte theoretisch das Glück der befreiten Sklaven weit überwiegen. (Bzw.: wenn Du hier wieder die MP zugrunde legen willst, dann ist das ja wohl ein Widerspruch zu der gleichzeitigen Annahme, Leid und Glück seien subjektive Kategorien.)

Ob nun aber ein Einzelner überhaupt Leidminimierung für sich anstrebt oder Glücksmaximierung (oder beides) oder etwas anderes ist dann irrelevant. Auch wenn Du immer noch geneigt sein solltest, alles entweder unter 'Leidvermeidung' oder 'Glücksmaximierung' zu subsummieren, was dann ja nur bedeutet: was Du darunter für Dich verstehst. Das muss ja dann noch lange nicht das sein, was jemand anders für Leid oder Glück hält.

Nanna hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Leute sind für ihre Überzeugungen gestorben, wie passt das mit Glückerhöhung und Leidvermeidung zusammen?
Desweiteren darfst du nicht vergessen, dass den Leuten die Konsequenz der Selbsttötung möglicherweise nicht klar sind. Ein islamistischer Selbstmordattentäter geht aus seiner subjektiven Sicht nicht in den Tod als Ende allen Seins für ihn. Sein Unterbewusstsein ist da, entsprechende Indoktrinierung vorausgesetzt, nicht klüger als er auch.

Ich habe mich nicht auf islamistische Selbstmordattentäter bezogen. Es wäre mir auch lieber, wenn Du Dir an der Stelle jemanden vorstellst, der für Werte gestorben ist, die auch Dir wichtig sind, was Du also eventuell nachvollziehen kannst. Vielleicht einen Freiheitskämpfer, der im Kampf für Freiheit in einer Diktatur gestorben ist. Oder auch jemanden, der sich für das Leben seines Kindes geopfert hat. Oder für das Leben eines Fremden. Es kommt mir merkwürdig vor, (nur eine reine ad hoc Behauptung), wenn Du dann weiterhin ernsthaft behaupten möchtest, derjenige habe das getan, um für sich Leid zu vermeiden oder um sein Glück zu erhöhen. Egal, wie man nun Leid oder Glück definiert: das wäre dann mE offensichtlich falsch.

Aber gut, eigentlich egal: Du sagst ja nun selber auch, es hätten sich "vielleicht" 'evolutionäre Mechanismen' herausgebildet, die eine Opferung für die Gruppe hervorriefen. Aber damit hast Du Deine ursprüngliche Behauptung nun schlicht ad absurdum geführt: es ist einfach nicht wahr, dass Leute nur auf Leidvermeidung und Glücksmaximierung für sich hinaus sind, dass man alles darauf zurückführen kann. Und das war ja mein Punkt an dieser Stelle.

Nanna hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und: wäre 'Vermeidung von Leid' das einzige Ziel, wäre es rational, alle Lebewesen, die Leid empfinden können, schnell und schmerzlos zu töten. Damit hätte man alles künftige Leid zuverlässig verhindert. Kommt nun noch 'Erlangen von Glück' hinzu, dann wäre es das Rationalste, eine Glücks-Droge zu entwickeln, die Leidempfindung gänzlich ausschaltet und Glücksgefühle erzeugt. Die anderen zu ihrem Glück zu zwingen, auch wenn sie das gar nicht wollen, (weil das dann ja moralisch richtig wäre).

Das Vertrackte daran ist: Es würde einen nicht glücklich machen, alle empfindenden Lebewesen zu töten, sonst wäre auf die Idee sicher schon einer gekommen.

Naja, aber das wäre hier doch gar nicht die Frage, (ob das glücklich macht). Sondern die Frage ist: was ist moralisch geboten, also, was soll man tun. Wenn Leidvermeidung als mit Abstand höchstes Ziel moralisch geboten ist, dann musst Du eben über Deinen Schatten springen. Nirgends steht ja geschrieben, dass moralisch richtiges Handeln glücklich machen muss. Was sein muss, wenn es einzig moralisch richtig ist, (d.h. man ist davon überzeugt), muss eben sein. Weil es dann ja moralisch geboten ist. Und wenn Weiterleben keine Rolle spielt, nur Leidvermeidung einzig wichtig ist, dann folgt nun mal mein Lösungsvorschlag unweigerlich als einzig moralisch richtige Handlung.

Evtl. kann man es natürlich akzeptieren, wenn jemand zu schwach ist, die richtige Konsequenz aus seiner Ansicht zu ziehen. Aber dennoch hat er dann moralisch falsch (in seiner Sicht) gehandelt. Das ist mein Punkt hier.

Nanna hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mir scheint 'Selbstverwirklichung (Autonomie)', ein viel grundlegender Wert zu sein als Glückserlangung und Leidvermeidung - insbesondere dann, wenn vorgeschrieben wird, was man gefälligst unter 'Glück' und 'Leid' verstehen soll, die also als irgendwie objektiv gültige Werte proklamiert werden.

Nein, wie gesagt, das ist ein Missverständnis, und ich habe da sicher auch nicht gerade besonders exakt definiert. Selbstverwirklichung würde aus meiner Sicht bedeuten, den eigenen Präferenzen ideal folgen zu können, also das eigene Glück-Leid-Konto nach idealen Bedingungen befüllen zu können.

Na gut, aber ehrlich gesagt verstehe ich überhaupt nicht, wieso man 'Selbstverwirklichung' nicht schlicht 'Selbstverwirklichung' nennen will. Mir ist wirklich nicht begreiflich, wie man das auf 'Leid' und 'Glück' zurückführen will. Das passt vorne und hinten nicht, (nach meinen Begriffen von 'Glück' und 'Leid'). Passt aber natürlich dann, wenn man sich diese Begriffe irgendwie passend hindefiniert. Dann aber nur per definitionem. Wenig erkenntnisfördernd, (-> weil alles auf Glück und Leid zurückführbar ist, ist alles auf Glück und Leid zurückführbar).

Nanna hat geschrieben:Vielleicht bietet sich eine kleine verfahrenstechnische Spitzfindigkeit an: Wenn 1000 Menschen einen Anspruch auf ihre Leben formulieren, der deinen Tod fordert, so geht es im Präferenzutilitarismus (zumindest würde ich in meinem modifizierten Modell das so sehen) aber trotzdem immer um die Beziehungen von Individuen, nie von Gruppen, da Gruppen keine Interessen haben (auch wenn ich persönlich Gruppenselektion für existent und Gruppeninteressen daher bis zu einem gewissen Grad für konstruierbar halte). Anstatt dass du also die Abwägung der Interessen einmal gegen 1000 Leute durchführst, führst du sie 1000 mal mit jedem Individuum durch. Da kommt meine Sonderregel der egoistischen Höhergewichtung der Eigeninteressen zum Tragen, d.h. du darfst jeden der 1000 Ansprüche einzeln abblocken.
Das klingt vielleicht nach Milchmädchenrechnung, aber auf die Weise ließen sich solche auch in meiner Sicht unzulässigen Situationen vermeiden. Außerdem gäbe es böse Probleme mit Minderheiten generell, wenn Gruppen ihre ethischen Ansprüche bündeln dürften.

War vielleicht nicht alles perfekt durchdacht und du findest die Schwachstellen sicher, daher: Dein Zug. ;-)

Ich sehe da keine Milchmädchenrechnung und auch keine Spitzfindigkeit. Ich habe keine Einwände gegen Deine Ausführungen, ich sehe das im Großen und Ganzen genauso.

Mein Einwand hier ist jedoch dieser: das hat mE nun absolut nichts mehr mit dem Präferenzutilitarismus von Singer zu tun. Ganz im Gegenteil sogar.

Alles, was Du gesagt hast, widerspricht den Prämissen von Singer (die da lauten: -> a) jedes Interesse begründet per se einen moralischen Wert, der zu berücksichtigen ist / ausgeglichen werden muss und b) alle Interessen müssen von einem von sich selbst abstrahierten Standpunkt gleich gewertet werden).
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Di 29. Jun 2010, 00:58

Nanna hat geschrieben:Ich werde hier massiv missverstanden. Meine These ist: Das Gehirn kann nichts anderes, als Glück zu optimieren und Leidgefühle zu vermeiden.

Diese These halte ich nach wie vor für schlicht falsch. Das Gehirn kann sehr wohl auch anders. Nimm beispielsweise eine beliebige psychische Störung. Da kann es dann durchaus mal vorkommen, dass die nicht als Glück angesehen wird, sie Leidgefühle erzeugt.

Nanna hat geschrieben:Ich sage: [a)] Jeder Mensch sollte die maximale Möglichkeit haben, dem nachzugehen, was er/sein Gehirn für am besten hält, [b)] also Zustände zu suchen, in denen er glücklich bzw. zufrieden ist und wenig Leid verspürt. Was das im Einzelnen ist, ist eben individuell verschieden, in manch einer Situation mag jemand auch körperlichen Schmerz als angenehm empfinden (ein Muskelkater kann z.B. das befriedigende Gefühl vermitteln, ordentlich rangeklotzt zu haben).

Wieso besteht nun Dein Satz nicht einfach schlicht aus a), wieso folgt da noch b)? Welchen zusätzlichen Sinn, welchen Mehrwert siehst Du in der Ergänzung b)?

Du scheinst 'Glück' so zu definieren: alles, was X ausdrücklich will, bedeutet 'Glück' für X.
Und 'Leid' so: alles, was X ausdrücklich nicht will, bedeutet 'Leid' für X.

Ich finde diese Definitionen merkwürdig und sie erscheinen mir auch reichlich sinnlos, nicht nutzbringend. Nur evtl. für Dich, falls Du meinen solltest, Deine Ausgangsthese daraus ableiten können, als Tautologie. Aber selbst das geht nicht, siehe mein Gegenbeispiel oben. Und außerdem gibt es hier offensichtlich noch etwas Drittes: etwas, was ich weder ausdrücklich will noch ausdrücklich nicht will, was mir gleichgültig ist. Ich sehe nicht, wieso es per se ausgeschlossen sein sollte, dass ein Gehirn manchmal sowas produziert.

Warum sagst Du nicht schlicht: Menschen haben Bedürfnisse und Interessen, die sie verfolgen und ergo gibt es Dinge, die sie wollen und andere, die sie nicht wollen? Warum ist es Dir so wichtig, die entweder unter 'persönliche Glücksvermehrung' oder unter 'persönliche Leidverminderung' subsummieren zu wollen, (wenn das letztlich genau dasselbe bedeuten soll wie: er will das, und genau das ist 'persönliche Glücksvermehrung', und jenes nicht, und genau das ist 'persönliche Leidvermeidung')? Was bringt das außer einer selbstbezüglichen Tautologie?
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon stine » Di 29. Jun 2010, 08:03

AgentProvocateur hat geschrieben:Du scheinst 'Glück' so zu definieren: alles, was X ausdrücklich will, bedeutet 'Glück' für X.
Und 'Leid' so: alles, was X ausdrücklich nicht will, bedeutet 'Leid' für X.
Dabei vergisst er, dass Menschen auch manchmal unbedingt wollen, was ihnen kein Glück bringt!

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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Nanna » Di 29. Jun 2010, 22:27

AgentProvocateur hat geschrieben:Warum sagst Du nicht schlicht: Menschen haben Bedürfnisse und Interessen, die sie verfolgen und ergo gibt es Dinge, die sie wollen und andere, die sie nicht wollen? Warum ist es Dir so wichtig, die entweder unter 'persönliche Glücksvermehrung' oder unter 'persönliche Leidverminderung' subsummieren zu wollen, (wenn das letztlich genau dasselbe bedeuten soll wie: er will das, und genau das ist 'persönliche Glücksvermehrung', und jenes nicht, und genau das ist 'persönliche Leidvermeidung')? Was bringt das außer einer selbstbezüglichen Tautologie?

Gegenfrage: Wie signalisiert das Gehirn sich bzw. den entscheidenden Zentren ein Bedürfnis? Ich nehme an, es generiert ein Gefühl von Verlangen, das nach erfolgter Befriedigung Glücks- bzw. Zufriedenheitsgefühle nach sich zieht. Mir geht es um den internen Mechanismus, darum, dass "Glück erreichen" und "Bedürfnisse erfüllen" letztlich im Gehirn denselben grundsätzlichen Mechanismus benennen. Vielleicht ist das Zusammenfassen dieser unterschiedlichen Begrifflichkeiten eine Tautologie, möglich, aber andersherum frage ich mich, was die - aus meiner Sicht - künstliche Trennung von "erfüllten Bedürfnissen" und "Glück/Zufriedenheit" bringt. Ein Mensch hat ein Interesse daran, was ihn glücklich macht und umgekehrt macht ihn glücklich, woran er ein Interesse hat. Tautologie, klar, aber ist sie bezogen auf die Realität falsch?

@stine:
Du setzt voraus, dass die Menschen objektives Wissen darüber haben, was sie glücklich machen wird. Das haben sie aber nicht und es ist auch nicht immer so klar zu entscheiden. Auch der Alkoholiker wird kurzzeitig im Rausch im von mir gemeinten Sinne glücklich, auch wenn er langfristig unglücklich ist. Ich sage ja nicht, dass das Gehirn da immer besonders klug agiert, nur, dass es letztlich nicht anders kann, als gewisse Bedürfnisse zu verfolgen, die ihm Glückszustände bescheren. Dieses Drängen sollte, soweit es andere nicht schädigt und auch nicht im Übermaß selbstschädigend ist, legitim sein und keinen gesetzlichen Restriktionen unterliegen.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 30. Jun 2010, 18:41

Nanna hat geschrieben:Gegenfrage: Wie signalisiert das Gehirn sich bzw. den entscheidenden Zentren ein Bedürfnis? Ich nehme an, es generiert ein Gefühl von Verlangen, das nach erfolgter Befriedigung Glücks- bzw. Zufriedenheitsgefühle nach sich zieht. Mir geht es um den internen Mechanismus, darum, dass "Glück erreichen" und "Bedürfnisse erfüllen" letztlich im Gehirn denselben grundsätzlichen Mechanismus benennen. Vielleicht ist das Zusammenfassen dieser unterschiedlichen Begrifflichkeiten eine Tautologie, möglich, aber andersherum frage ich mich, was die - aus meiner Sicht - künstliche Trennung von "erfüllten Bedürfnissen" und "Glück/Zufriedenheit" bringt. Ein Mensch hat ein Interesse daran, was ihn glücklich macht und umgekehrt macht ihn glücklich, woran er ein Interesse hat. Tautologie, klar, aber ist sie bezogen auf die Realität falsch?

Menschen sind schlicht keine kleinen Bedürfnisbefriedigungs-Maschinchen,so wie Du sie vielleicht gerne sehen willst. Es gibt nun mal keinen einfachen generellen internen Mechanismus, auf den man Entscheidungen und Handlungen zurückführen kann.

Genau deswegen wurde übrigens der Präferenzutilitarismus eingeführt: weil man nicht alle ihre Entscheidungen / Handlungen auf Glückserlangung (für sich) und Leidvermeidung (für sich) zurückführen kann.

Menschen sind mehr oder weniger dazu in der Lage, ihre kurzfristigen Triebe und Bedürfnisse für etwas anderes aufzuschieben. Und auch in der Lage dazu, die Bedürfnisse / Interessen von anderen zu akzeptieren. Auch wenn das nicht selber zufriedener / glücklicher macht.

Und dann gibt es auch Verhalten, die nun mal schlicht Deiner These von oben widersprechen, Gehirne könnten nichts anderes als als Glück / Zufriedenheit (für sich) zu optimieren und Leidgefühle zu vermeiden. Nimm einfach irgendeinen beliebigen Fall von Prokrastination. Führt normalerweise nicht zu Zufriedenheit, ist aber dennoch dem Gehirn entsprungen.

Und Deine Tautologie ist falsch, ja. Weil sie schlicht nicht dem entspricht, was man sonst unter 'Glück / Zufriedenheit' und 'Leid' versteht. Menschen können auch Interesse an etwas haben, was sie persönlich nicht glücklich(er) macht.

Was nun ja an sich noch nicht schlimm ist, was aber doof wird, wenn Du dann im Folgenden irgend welche Schlüsse daraus ziehen willst, die sich nicht mehr auf Deine zugrunde gelegte Definition beziehen, sondern unerlaubterweise auf das, was man gemeinhin darunter versteht. Dann wird das zum faulen Argumentationstrick.

Aus einer Tautologie folgt gar nichts und wenn Du glaubst, es folge doch etwas daraus, dann irrst Du schlicht. Das ist mein Punkt hier.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 30. Jun 2010, 22:42

Noch 'ne Anmerkung dazu:

Nanna hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich halte die Prämisse, ein Vorliegen irgend einen Interesses, egal welches, begründe schon automatisch einen moralischen Anspruch gegenüber Dritten, schlicht für falsch. Und damit ist mE der Präferenzutilitarismus schon von Vorneherein erledigt.

Komischweise ruht aber um Grunde unser gesamtes praktisches Denken auf einem Modell, dass in Grundzügen Singers Idee folgt. Unser ganzes Rechtssystem baut darauf auf, dass Interessen gegeneinander abgewogen werden, man nennt diese dort nur anders, nämlich "Rechte". Rechte sind aber meiner Meinung nach nichts anderes als standardisierte Interessen.

Ich habe nichts dagegen, 'Rechte' 'standardisierte Interessen' zu nennen. Aber die Behauptung, unser praktisches Denken oder unser Rechtssystem folge Singers Idee, ist dennoch falsch. Singers Argumentation basiert ja, wie oben schon gesagt, auf folgender Prämisse:

Präferenzutilitarismus hat geschrieben:Fällt die Präferenz mit der Auswirkung der Handlung zusammen, ist die Handlung moralisch gut. Missachtet der Handelnde die Präferenz eines Wesens, so muss er notwendigerweise einen Ausgleich dafür finden (etwa durch die Beförderung einer entgegengesetzten Präferenz in höherem Maße), da die Handlung andernfalls moralisch schlecht ist.

Und unser Rechtssystem tut das nicht. Es bewertet Interessen danach, ob und inwiefern sie gerechtfertigt sind, keineswegs aber werden alle Interessen per se als moralisch relevant angesehen, zwischen denen dann immer ein Ausgleich geschaffen werden muss, weil ein jegliches Interesse einen moralischen Anspruch begründen würde. Diese Bewertung kann auch so ausfallen, dass ein Interesse überhaupt nicht berücksichtigt und folglich auch nicht ausgeglichen wird.

Nehmen wir ein Beispiel. Ich nehme irgendeine Dienstleistung in Anspruch. Auf Rechnung. Ich habe danach das Interesse, die Rechnung nicht zu zahlen, mein Geld für mich zu behalten.

Ich glaube aber nun nicht, dass dieses mein Interesse im Folgenden von unserem Rechtssystem berücksichtigt würde, denn mein Interesse ist schlicht nicht berechtigt; ich habe keinerlei moralischen Anspruch gegenüber irgend jemandem, dass es irgendwie berücksichtigt werden sollte. Niemand muss einen Ausgleich dafür schaffen, geht es nach unserem Rechtssystem. Und geht es nach meinem praktischen Denken, dann gilt das ebenso. Pacta sunt servanda.

Mit anderen Worten: die grundlegende Prämisse des Präferenzutilitarismus ist für mich schlicht nicht plausibel. Es ist einfach, aus meinem praktischem Denken heraus, wenig einsichtig, wieso ein Interesse schon ein moralischer Wert an sich darstellen sollte, der daher berücksichtigt werden muss und für den es einen Ausgleich geben muss.

Mag nun zwar sein, dass ich zu praktisch denke, dass es einen guten Grund gibt, warum das gelten sollte und mein praktisches Denken falsch ist. Das wäre immerhin möglich. Allerdings wird diese Prämisse von Singer nicht weiter begründet, einfach nur gesetzt, (siehe Peter Singer - Praktische Ethik, Second Edition 1993, S. 30), so wie ich das sehe, und das ist dann schon sehr wenig, mE. Zu wenig. Viel zu wenig.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Nanna » Do 1. Jul 2010, 23:32

Dein Einwände haben Hand und Fuß und ich lasse mir das Ganze nochmal durch den Kopf gehen. Falls mir was einfällt, sag ich nochmal was dazu.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Fr 2. Jul 2010, 18:35

Tolles Thema und beidseitig gekonnt geführte Diskussion bisher. Tut mir leid, wenn ich da jetzt mit meiner eher konventionellen Verbalblutgrätsche in das Spielgeschehen eingreife.
AgentProvocateur hat geschrieben:Menschen sind schlicht keine kleinen Bedürfnisbefriedigungs-Maschinchen,so wie Du sie vielleicht gerne sehen willst. Es gibt nun mal keinen einfachen generellen internen Mechanismus, auf den man Entscheidungen und Handlungen zurückführen kann.

Der Mechanismus ist sicher alles andere als einfach zu nennen. Und sicher ist der Bedürfnisbefriedigungs-Mechanismus nur eine Ebene. Es gibt außerdem den wichtigen Aspekt der festen Verschaltungen, die einfach zu gewissen Präferenzen führen, ohne explizite Belohnungen zu vermitteln. Möglicherweise gibt es auch weitere Faktoren.
Soweit ich die Hirnforschung überblicke (und das ist nicht sehr weit) spielt der Belohnungsmechanismus aber eine Hauptrolle beispielsweise beim Essverhalten, bei Suchverhalten allgemein, aber auch allgemein auch im Sozialverhalten. Also überall dort, wo es etwas komplexer wird.

AgentProvocateur hat geschrieben:Menschen sind mehr oder weniger dazu in der Lage, ihre kurzfristigen Triebe und Bedürfnisse für etwas anderes aufzuschieben.

Ja, sie schieben die kurzfristigen Bedürfnisse für die langfristigen Bedürfnisse auf. Aber es bleibt das Bedürfnisbefriedigungsspiel.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und auch in der Lage dazu, die Bedürfnisse / Interessen von anderen zu akzeptieren.

Der Mensch ist ein hochsensibler Sozialkünstler. Wir fühlen mit anderen mit, wir haben hochsensible Sensoren für das Risiko, im sozialen Ansehen zu sinken falls wir zu rücksichtslos agieren. Den Anderen zu akzeptieren ist deshalb unser Bedürfnis, weil wir unsere Empatie in Harmonie bringen wollen, weil wir ein schlechtes Gewissen vermeiden wollen, weil wir sozial akzeptiert werden wollen. Wenn man will, kann man also die Bedürfnisse und Interessen der Mitmenschen auf seine eigenen Bedürfnisse zurückführen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Auch wenn das nicht selber zufriedener / glücklicher macht.

Diese Behauptung bezweifle ich stark. Mag sein, dass ein vordergründig selbstloses Verhalten mitunter nur schwer auf den letztendlichen Egoismus zurückzuführen ist. Aber wenn jemand etwas macht, was ihn selber nicht zufriedener macht, stellte sich mir sofort die Frage, wieso er es denn dann macht?

AgentProvocateur hat geschrieben:Und Deine Tautologie ist falsch, ja. Weil sie schlicht nicht dem entspricht, was man sonst unter 'Glück / Zufriedenheit' und 'Leid' versteht. ...
wenn Du dann im Folgenden irgend welche Schlüsse daraus ziehen willst, die sich nicht mehr auf Deine zugrunde gelegte Definition beziehen, sondern unerlaubterweise auf das, was man gemeinhin darunter versteht.

Ich finde, die Gefahr liegt genau in der Gegenrichtung. Gerade wenn man Glück und Zufriedenheit falsch definiert, seine eigene Motivation mit anderen Begriffen belegt, genau dann macht man sich selbst vor, man tue das alles ja gar nicht für sich. Genau dann verdreht man die hirntechnischen Tatsachen, genau dann versteht man sich selber nicht mehr, genau dann macht man es unnötig kompliziert.

Ich habe da das Beispiel der Eltern vor Augen, die sich angeblich für ihre Kinder krumm gearbeitet haben, die sich selber nie was gegönnt haben, nur damit es den Kindern mal besser geht. Und die dann den Kindern ein schlechtes Gewissen machen und sie damit stark unter Druck setzen. Und in Wirklichkeit haben sie es für sich selbst getan, um ihr Bedürfnis des sozialen Aufstiegs, weitergegeben an die Kinder, zu befriedigen. Würde man die Begriffe hier beim richtigen Namen nennen, wäre der Welt und manchem Kind sicher schon sehr geholfen.

Noch ein Beispiel wo die Glücksbegriffverkomplizierer und die Bedürfnisbefriedigungsspielzweifler das Leben verdrehen und erschweren: Ich bin zu dick und mir ist es bisher nicht gelungen, wieder abzunehmen. Soll ich nun auf diese Verdreher hören und glauben, dass ich nur wirklich wollen müsste und dann würde ich das Abnehmen schaffen? Und dass, wenn ich es nicht schaffe, ich nur zu schwach und inkonsequent und letztlich zu dumm war? Nein, sage ich da mal. Ich höre lieber auf die Nichtverdreher, wo das Glück selbstverständlich genau das ist, was ich auch will. Wenn ich also nicht abnehme, sagen diese klugen Menschen, dann liegt es daran, dass die Belohnung beim Essen größer ist als die Belohnung beim Abnehmen. Ganz einfach und simpel. Und keine Herabsetzung und kein falsches Gerede von Schwäche und Dummheit.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 5. Jul 2010, 14:47

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und auch in der Lage dazu, die Bedürfnisse / Interessen von anderen zu akzeptieren. [...] Auch wenn das nicht selber zufriedener / glücklicher macht.

Diese Behauptung bezweifle ich stark. Mag sein, dass ein vordergründig selbstloses Verhalten mitunter nur schwer auf den letztendlichen Egoismus zurückzuführen ist. Aber wenn jemand etwas macht, was ihn selber nicht zufriedener macht, stellte sich mir sofort die Frage, wieso er es denn dann macht?

Z.B. aus Empathie, vielleicht auch aus einer eher abstrakten Gerechtigkeitsauffassung heraus, wegen einer selbst auferlegten Pflicht.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und Deine Tautologie ist falsch, ja. Weil sie schlicht nicht dem entspricht, was man sonst unter 'Glück / Zufriedenheit' und 'Leid' versteht. ...
wenn Du dann im Folgenden irgend welche Schlüsse daraus ziehen willst, die sich nicht mehr auf Deine zugrunde gelegte Definition beziehen, sondern unerlaubterweise auf das, was man gemeinhin darunter versteht.

Ich finde, die Gefahr liegt genau in der Gegenrichtung. Gerade wenn man Glück und Zufriedenheit falsch definiert, seine eigene Motivation mit anderen Begriffen belegt, genau dann macht man sich selbst vor, man tue das alles ja gar nicht für sich. Genau dann verdreht man die hirntechnischen Tatsachen, genau dann versteht man sich selber nicht mehr, genau dann macht man es unnötig kompliziert.

Welche hirntechnischen Tatsachen meinst Du genau?

Und, hm, 'Gefahr'? Es gibt eine bestimmte Auffassung darüber, was man unter 'Glück' und 'Leid' versteht. Was zu klären wäre. Ob diese Auffassung dann gefährlich ist und wieso, ist dann eine normative Frage.

Aber mein Punkt an der Stelle war ein anderer: wenn man mit bestimmten Definition von 'Glück' und 'Leid' eine Argumentation aufbaut, dann kann man diese nicht einfach so auf andere Definitionen übertragen.

ganimed hat geschrieben:Ich habe da das Beispiel der Eltern vor Augen, die sich angeblich für ihre Kinder krumm gearbeitet haben, die sich selber nie was gegönnt haben, nur damit es den Kindern mal besser geht. Und die dann den Kindern ein schlechtes Gewissen machen und sie damit stark unter Druck setzen. Und in Wirklichkeit haben sie es für sich selbst getan, um ihr Bedürfnis des sozialen Aufstiegs, weitergegeben an die Kinder, zu befriedigen. Würde man die Begriffe hier beim richtigen Namen nennen, wäre der Welt und manchem Kind sicher schon sehr geholfen.

Von meiner Seite aus ist unstrittig, dass diese Eltern falsch handeln. Sie können nicht ihre eigene Verantwortung für sich und ihre Entscheidungen auf die Kinder abwälzen. Ob wer wann wieso berechtigterweise Dankbarkeit verlangen kann, ist ein anderer Punkt.

Nun, jedoch muss ich zu diesem Beispiel auch sagen, dass ich z.B. meinen Eltern sehr dankbar bin für das, was sie für mich getan haben. Sie haben selbstlose Dinge getan, die sie nicht hätten tun müssen.

Nach Deiner Auffassung ist es nun aber falsch, dass ich dankbar bin, richtig? Ebenso, wie es ebenfalls falsch wäre, wenn jemand seinen Eltern etwas übel nehmen würde, stimmt's?

ganimed hat geschrieben:Noch ein Beispiel wo die Glücksbegriffverkomplizierer und die Bedürfnisbefriedigungsspielzweifler das Leben verdrehen und erschweren: Ich bin zu dick und mir ist es bisher nicht gelungen, wieder abzunehmen. Soll ich nun auf diese Verdreher hören und glauben, dass ich nur wirklich wollen müsste und dann würde ich das Abnehmen schaffen? Und dass, wenn ich es nicht schaffe, ich nur zu schwach und inkonsequent und letztlich zu dumm war? Nein, sage ich da mal. Ich höre lieber auf die Nichtverdreher, wo das Glück selbstverständlich genau das ist, was ich auch will. Wenn ich also nicht abnehme, sagen diese klugen Menschen, dann liegt es daran, dass die Belohnung beim Essen größer ist als die Belohnung beim Abnehmen. Ganz einfach und simpel. Und keine Herabsetzung und kein falsches Gerede von Schwäche und Dummheit.

Nun, das kommt mir jetzt irgendwie ganz merkwürdig vor. Mit meinem Glücks / Zufriedenheitsbegriff deckt sich das jedenfalls nicht und mE auch nicht dem allgemein Gebräuchlichen.

Alleine dass Du erwähnst, dass Du zu dick bist, deutet doch schon darauf hin, dass Du nicht ganz glücklich / zufrieden damit bist. Es kommt mir merkwürdig vor, nun einfach zu sagen: kann ich nicht ändern, also bin ich glücklich. Erstens stimmt es ja offensichtlich nicht (Du bist nicht so ganz glücklich damit) und zweitens folgt einfach nicht aus der Annahme (egal, ob und inwiefern die wahr oder nicht) man könne X nicht ändern, dass folglich X glücklich (im gebräuchlichen Sinne) mache, (siehe auch mein obiges Beispiel mit der Prokrastination).
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Mo 5. Jul 2010, 20:23

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Aber wenn jemand etwas macht, was ihn selber nicht zufriedener macht, stellte sich mir sofort die Frage, wieso er es denn dann macht?
Z.B. aus Empathie, vielleicht auch aus einer eher abstrakten Gerechtigkeitsauffassung heraus, wegen einer selbst auferlegten Pflicht.

1) Empathie
Empathie ist doch die Fähigkeit zum Mitfühlen. Und aus den mitgefühlten Gefühlen erwächst dann ebenfalls Glück oder Leid. Man freut sich mit jemanden anders oder man leidet mit jemanden anders. Und dann tut man eben Dinge, damit diese Freude anhält bzw. das Leid geringer wird. Empathie ist also wieder ein Teil des Belohnungsschema und keine neue Motivationsklasse.
2) Gerechtigkeitsauffassung
Wird der eigene Gerechtigkeitssinn verletzt, dann fühlt sich das unangenehm an, wird ihm entsprochen dann fühlt sich das gut an. Ergo sind wir auch hier wieder beim Schema Glück-mehren/Leid-vermeiden.
3) selbst auferlegten Pflicht
Dieser Fall ist unklar. Die Frage bleibt: wieso hat er sich die Pflicht auferlegt?

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Gerade wenn man Glück und Zufriedenheit falsch definiert, ... Genau dann verdreht man die hirntechnischen Tatsachen
Welche hirntechnischen Tatsachen meinst Du genau?

Ich bezog mich auf den Belohnungsmechanismus im Gehirn. Oder wie wir es bisher auch nannten den Bedürfnisbefriedigungs-Mechanismus. Ich wäre dafür, die Definition "Glück" mit diesem Belohnungsmechanismus in Einklag zu bringen. Was ja auch Nannas Ausgangspunkt war: Glück ist, wenn das Hirn seine Bedürfnisse befriedigt bekommt. Und jedes Hirn handelt genau deshalb mit diesem "Glück" als Zielvorgabe. So gesehen sind alle Menschen in Wirklichkeit reine Hedonisten. Jeder der es nicht ist, ist es doch und benutzt nur verdrehte Glücksbegriffe.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun, jedoch muss ich zu diesem Beispiel auch sagen, dass ich z.B. meinen Eltern sehr dankbar bin für das, was sie für mich getan haben. Sie haben selbstlose Dinge getan, die sie nicht hätten tun müssen.

Selbstlose Dinge, die sie nicht hätten tun müssen? Wenn das mit dem Belohnungsmechanismus stimmt, dann haben sie die Dinge deshalb getan, um die Belohnung des Hirns zu maximieren. Und dann wären diese Dinge nicht selbstlos. Ich habe das mit dem Belohnungsmechanismen schon von mehreren Seiten, in mehreren wissenschaftlichen Publikationen gehört. Worauf stützt du nun deine Antithese, dass die Taten der Eltern selbstlos waren? Ist das mehr als nur eine intuitive Annahme?

AgentProvocateur hat geschrieben:Alleine dass Du erwähnst, dass Du zu dick bist, deutet doch schon darauf hin, dass Du nicht ganz glücklich / zufrieden damit bist.

Wie ich sagte: das Essen liefert mehr Belohnung als das Sport treiben. Natürlich ist das ein Abwägen der kleineren Übel. Ganz glücklich wäre ich, wenn ich viel essen könnte und dennoch dünn bliebe. Ganz unglücklich wäre ich, wenn ich wenig essen müsste und dennoch sehr dick würde. Ich bin mit meinem Verhalten beim real möglichen Optimum: sehr glücklich sein über das viele Essen aber unglücklich sein über die Dicke.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es kommt mir merkwürdig vor, nun einfach zu sagen: kann ich nicht ändern, also bin ich glücklich.

Das käme auch mir merkwürdig vor. Ich meinte wohl eher: "will ich nicht ändern, weil es ein Optimum darstellt". Leider bedeutet Optimum hier nur "das kleinere Übel" und nicht völlige Glücklichkeit. Schuld daran ist die dämliche Programmierung meines Stoffwechsels.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon stine » Di 6. Jul 2010, 07:09

ganimed hat geschrieben:Wie ich sagte: das Essen liefert mehr Belohnung als das Sport treiben.
Dies ist eine Annahme aufgrund einer Selbsterfahrung, wenn man es anders nicht kennengelernt hat. Menschen die sich viel bewegen fühlen sich dagegen nicht wohl, wenn sie längere Zeit untätig herumsitzen müssen und schon gar nicht wohl fühlen sie sich, wenn sie dazu auch noch von morgens bis abends was essen müssen :wink: .
(Denk an die Weihnachtsfeiertage, da könnte es selbst dir zuviel werden :santagrin: )

Der Mensch strebt zuallererst nach Sicherheit und diese gibt ihm ein Glücksgefühl. Das fängt beim Baby an und ist später sicherlich nicht grundlegend anders. Was für den einzelnen Sicherheit bedeutet, ist abhängig von dem, was er an Erfahrung mitbringt.
Wer eine unbefriedigende Lage mit Essen wettmacht, hat das eben so gelernt. Aber manchmal ist das im wahrsten Sinne des Wortes zum "Davonlaufen". Auch das kann ein Glücksgefühl erzeugen, probier das mal aus!

LG stine
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Nanna » Di 6. Jul 2010, 19:39

stine hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Wie ich sagte: das Essen liefert mehr Belohnung als das Sport treiben.
Dies ist eine Annahme aufgrund einer Selbsterfahrung, wenn man es anders nicht kennengelernt hat. Menschen die sich viel bewegen fühlen sich dagegen nicht wohl, wenn sie längere Zeit untätig herumsitzen müssen und schon gar nicht wohl fühlen sie sich, wenn sie dazu auch noch von morgens bis abends was essen müssen :wink: .
(Denk an die Weihnachtsfeiertage, da könnte es selbst dir zuviel werden :santagrin: )

Ein wichtiger Bestandteil der Kernthese war ja, dass das individuelle Empfinden, welche Faktoren Glück oder Leid auslösen, absolut verschieden sind.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Di 6. Jul 2010, 23:10

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Welche hirntechnischen Tatsachen meinst Du genau?

Ich bezog mich auf den Belohnungsmechanismus im Gehirn. Oder wie wir es bisher auch nannten den Bedürfnisbefriedigungs-Mechanismus. Ich wäre dafür, die Definition "Glück" mit diesem Belohnungsmechanismus in Einklag zu bringen. Was ja auch Nannas Ausgangspunkt war: Glück ist, wenn das Hirn seine Bedürfnisse befriedigt bekommt. Und jedes Hirn handelt genau deshalb mit diesem "Glück" als Zielvorgabe. So gesehen sind alle Menschen in Wirklichkeit reine Hedonisten. Jeder der es nicht ist, ist es doch und benutzt nur verdrehte Glücksbegriffe.

Menschen wollen ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen. Natürlich. Nur heißt das noch lange nicht, dass sie nicht auch manchmal Bedürfnisse anderer befriedigen wollen können.

Es gibt zwar Belohnungsmechanismen im Körper, aber die können mE nur solche Handlungen erklären, die auf eine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung aus sind. Sie können noch nicht einmal Handlungen erklären, die eine momentane Bedürfnisbefriedigung für ein längerfristiges eigenes Ziel zurückstellen, geschweige denn altruistische Handlungen.

Nun kann man zwar einfach behaupten, dass Menschen immer nur das tun, von dem sie meinen, dass sie das per saldo glücklicher macht, bzw. sie nur das tun, was ihnen letztlich mehr nutzt als eine andere Handlung.

Aber erstens kann man das wie gesagt keineswegs immer auf Belohnungsmechanismen des Organismus zurückführen und zweitens scheint mir diese Behauptung unabhängig davon eine grundsätzlich unbeweisbare zu sein.

Siehe auch dort.

Aber vielleicht kannst Du das ja irgendwie belegen mit den angeblich vorhandenen wissenschaftlichen Publikationen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nun, jedoch muss ich zu diesem Beispiel auch sagen, dass ich z.B. meinen Eltern sehr dankbar bin für das, was sie für mich getan haben. Sie haben selbstlose Dinge getan, die sie nicht hätten tun müssen.

Selbstlose Dinge, die sie nicht hätten tun müssen? Wenn das mit dem Belohnungsmechanismus stimmt, dann haben sie die Dinge deshalb getan, um die Belohnung des Hirns zu maximieren. Und dann wären diese Dinge nicht selbstlos. Ich habe das mit dem Belohnungsmechanismen schon von mehreren Seiten, in mehreren wissenschaftlichen Publikationen gehört. Worauf stützt du nun deine Antithese, dass die Taten der Eltern selbstlos waren? Ist das mehr als nur eine intuitive Annahme?

Aber stimmt es denn? Ich glaube nicht.

Leute wollen Dinge und das, was sie tun, ist das, was sie wollen, (sofern sie nicht daran gehindert werden). Das ist einfach nur trivial. Nicht trivial ist aber die Behautung, alles, was Leute wollten, sei letzlich auf Egoismus zurückzuführen, sei Hedonismus. Und einfach so evident finde ich sie nun mal auch nicht, daher wäre eine Begründung dafür recht nützlich.

Und, ja, meine Antithese ist eine intuitive. Und Deine?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Alleine dass Du erwähnst, dass Du zu dick bist, deutet doch schon darauf hin, dass Du nicht ganz glücklich / zufrieden damit bist.

Wie ich sagte: das Essen liefert mehr Belohnung als das Sport treiben. Natürlich ist das ein Abwägen der kleineren Übel. Ganz glücklich wäre ich, wenn ich viel essen könnte und dennoch dünn bliebe. Ganz unglücklich wäre ich, wenn ich wenig essen müsste und dennoch sehr dick würde. Ich bin mit meinem Verhalten beim real möglichen Optimum: sehr glücklich sein über das viele Essen aber unglücklich sein über die Dicke.

Hm, woher weißt Du nun aber, dass das das real mögliche Optimum ist? Hört sich sehr fatalistisch an. So wie Deine ganze Einstellung insgesamt.

Meine eine Frage von oben hast Du noch nicht beantwortet: ist es nun falsch, dass ich meinen Eltern dankbar bin? Darf ich sie nicht als eigenverantwortliche Personen sehen, muss ich eine solche fatalistische Sichtweise wie Du einnehmen, die anscheinend meint, Personen könnten keinen Einfluss auf das gegebene Schicksal nehmen? Niemand könne etwas tun, alles passiere nur einfach so, wie es passiert? Und Personen seinen letztlich ganz merkwürdige, von ihrem Körper und speziell ihrem Gehirn getrennte Entitäten, die irgendwo übernatürlich im Raum schwebten oder so? Wo sollte sowas wissenschaftlich festgestellt sein, in welcher Publikation? Hört sich für mich erst mal nur nach einem reichlich seltsamen Dualismus an.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Do 8. Jul 2010, 17:43

AgentProvocateur hat geschrieben:Menschen wollen ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen. Natürlich. Nur heißt das noch lange nicht, dass sie nicht auch manchmal Bedürfnisse anderer befriedigen wollen können.

Aber wieso sollten Menschen Bedürfnisse anderer befriedigen wollen? Für mich hört sich das widersprüchlich und unplausibel an. Kannst du mal ein Beispiel nennen, wo jemand so etwas will?

AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt zwar Belohnungsmechanismen im Körper, aber die können mE nur solche Handlungen erklären, die auf eine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung aus sind. Sie können noch nicht einmal Handlungen erklären, die eine momentane Bedürfnisbefriedigung für ein längerfristiges eigenes Ziel zurückstellen, geschweige denn altruistische Handlungen.

Da ignorierst du einfach die Ergebnisse der Hirnforschung. Nehmen wir den Gerechtigkeitssinn als ein Beispiel für altruistische Motivation. Das entsprechende Areal leuchtet im Scanner beim Ultimatum-Spiel auf (SZ-Artikel - Egoisten im Magnetfeld). Gerecht zu sein ist somit ein im Hirn verankertes Bedürfnis, welches beim Ultimatum-Spiel oft stärker ist als das Bedürfnis, einen finanziellen Gewinn zu machen.

Unter Bedürfnis scheinst du ausschließlich ganz grundlegende, körperliche Bedürfnisse wie Hunger oder Müdigkeit zu verstehen. Da stimmt es natürlich, dass wir diese Bedürfnisse ganz unmittelbar wahrnehmen und relativ unmittelbar befriedigen möchten. Aber was ist zum Beispiel mit dem Bedürfnis nach sozialem Ansehen? Dies ist ein weit verbreitetes Bedürfnis und sehr folgenreich. Um dieses Bedürfnis zu befriedigen achten wir auf unseren Ruf, halten wir gesellschaftliche Konventionen ein, sind freundlich und nett usw. Und das ein Leben lang. Oder, um beim Gerechtigkeitssinn zu bleiben, kann dieses Bedürfnis Menschen dazu bringen, sich ein Leben lang gegen Unterdrückung und gesellschaftliche Benachteiligung zu engagieren.

Oder kannst du mir langfristige Ziele eines Menschen nennen, denen nicht ein oder mehrere Bedürfnisse zugrunde liegen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Nicht trivial ist aber die Behautung, alles, was Leute wollten, sei letzlich auf Egoismus zurückzuführen, sei Hedonismus. Und einfach so evident finde ich sie nun mal auch nicht, daher wäre eine Begründung dafür recht nützlich.

Die Begründung ist, dass man im Hirn bisher diesen Belohnungsmechanismus gefunden hat, aus dem sich die Bedürfnisse ergeben. Und ich meine bisher alle deine Beispiele für Handlungen (Altruismus, Empathie, Gerechtigkeitssinn) auf Motivation-durch-Bedürfnis zurückführen zu können. Natürlich ist das kein Beweis, denn es könnte ja noch andere Handlungen geben, die sich nicht darauf zurückführen lassen und deren Motivation insofern unerklärlich wäre. Ein einziges Gegenbeispiel solch einer nicht durch Bedürfnisse erklärlichen Handlung wäre als Gegenargument recht stichhaltig.

AgentProvocateur hat geschrieben:Meine eine Frage von oben hast Du noch nicht beantwortet: ist es nun falsch, dass ich meinen Eltern dankbar bin?

Mir scheint die Frage vom Thema wegzuführen. Nämlich hin zum Thema Willensfreiheit und Determinismus. Aber wenn ich doch antworten sollte, würde ich wohl sagen, dass es hier darauf ankommt, was du unter "falsch" und "richtig" verstehst. Wenn du das Gefühl der Dankbarkeit genau dann für falsch hälst, wenn es einer Tat gilt, die letztendlich nicht selbstlos war, dann ja, dann wäre die Dankbarkeit falsch. Möglicherweise hielte man die Dankbarkeit aber auch genau dann für falsch, wenn sie einen seelisch unter Druck setzt und die angemessene Berücksichtigung der eigenen Person verhindert (dieses Szenario hatte ich ursprünglich vor Augen). Ich könnte mir in diesem Zusammenhang noch andere Definitionen von falsch vorstellen. Ein naheliegendes Kriterium wäre vermutlich, dass man die Dankbarkeit genau dann für richtig hält, wenn die Handlungen der Eltern als hilfreich erscheinen und man das Gefühl hat, dass diese Hilfe aus freien Stücken erfolgte.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 17. Jul 2010, 23:35

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Menschen wollen ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen. Natürlich. Nur heißt das noch lange nicht, dass sie nicht auch manchmal Bedürfnisse anderer befriedigen wollen können.

Aber wieso sollten Menschen Bedürfnisse anderer befriedigen wollen? Für mich hört sich das widersprüchlich und unplausibel an. Kannst du mal ein Beispiel nennen, wo jemand so etwas will?

Nun, in dem Wikipedia-Artikel zum Thema Altruismus wird das Beispiel der Juden-Retter im Nationalsozialismus angeführt, also derjenigen, die gegen das damalige Gesetz Juden versteckt hielten und im Falle der Entdeckung mit sehr unangenehmen Konsequenzen auch für sich zu rechnen hatten.

Ein anderes Beispiel findet sich im stanford.edu-Artikel: ein Soldat, der sich auf eine scharfe Granate wirft und somit sein Leben opfert, um seine Kameraden zu retten.

Ist zumindest für mich schwer vollstellbar, dass alle diese Fälle einfach unter 'Egoismus' subsummiert werden könnten.

ganimed hat geschrieben:Aber was ist zum Beispiel mit dem Bedürfnis nach sozialem Ansehen? Dies ist ein weit verbreitetes Bedürfnis und sehr folgenreich. Um dieses Bedürfnis zu befriedigen achten wir auf unseren Ruf, halten wir gesellschaftliche Konventionen ein, sind freundlich und nett usw. Und das ein Leben lang. Oder, um beim Gerechtigkeitssinn zu bleiben, kann dieses Bedürfnis Menschen dazu bringen, sich ein Leben lang gegen Unterdrückung und gesellschaftliche Benachteiligung zu engagieren.

Oder kannst du mir langfristige Ziele eines Menschen nennen, denen nicht ein oder mehrere Bedürfnisse zugrunde liegen?

Nein, aber was hat das in dem Zusammenhang zu bedeuten, was kann man daraus schließen? Es gibt anscheinend auf der einen Seite Leute, die ihre eigenen Bedürfnisse sehr stark zugunsten anderer zurückstecken und auf der anderen Seite Leute, die das nicht tun. Um diesen Fakt festzustellen ist es aber keineswegs erforderlich, dass jemand eine Handlung ohne Motiv müsse vollziehen können. Sowas wäre ja auch ziemlich merkwürdig. Alles muss ja letztlich irgendwoher kommen und sei das eine zufällige psychische Störung - wie auch immer man sowas definiert - auch die kommt nicht einfach aus dem Nichts.

Natürlich haben viele (oder auch die meisten) Menschen das Bedürfnis nach einem sozialen Netz. Menschen sind nun mal soziale Tiere.

Und dass alles irgendwie aus dem Gehirn kommt, ist dabei einfach nur trivial. Es spielt überhaupt keine Rolle, dass irgendwelche Gehirnareale bei Überlegungen aufleuchten, denn das müssen sie ja unweigerlich, sofern man nicht an eine übernatürliche Seele glaubt. Bzw. verstehe ich noch nicht einmal im Ansatz, wieso und inwiefern das eine Rolle bei der Frage nach Egoismus oder Altruismus spielen könnte.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nicht trivial ist aber die Behautung, alles, was Leute wollten, sei letzlich auf Egoismus zurückzuführen, sei Hedonismus. Und einfach so evident finde ich sie nun mal auch nicht, daher wäre eine Begründung dafür recht nützlich.

Die Begründung ist, dass man im Hirn bisher diesen Belohnungsmechanismus gefunden hat, aus dem sich die Bedürfnisse ergeben. Und ich meine bisher alle deine Beispiele für Handlungen (Altruismus, Empathie, Gerechtigkeitssinn) auf Motivation-durch-Bedürfnis zurückführen zu können. Natürlich ist das kein Beweis, denn es könnte ja noch andere Handlungen geben, die sich nicht darauf zurückführen lassen und deren Motivation insofern unerklärlich wäre. Ein einziges Gegenbeispiel solch einer nicht durch Bedürfnisse erklärlichen Handlung wäre als Gegenargument recht stichhaltig.

Du hast den oben von mir verlinkten Artikel der stanford.edu nicht gelesen, nicht? Dort wird ein 'trivialer psychologischer Egoismus' beschrieben, der aber gleichzeitig als wenig befriedigend für die Verfechter des psychologischen Egoismus bezeichnet wird. Und das scheint mir auch so.

Natürlich hat jeder Mensch Bedürfnisse und Motive und wir können der Einfachheit halber hier mal davon ausgehen, dass jeder letztlich das tut, was er unter Abwägung aller Umstände als richtig ansieht, (lassen wir also alle Fälle von psychischen Störungen und Zufall, Nicht-Nachdenken und Unwissenheit einfach außen vor).

Die Frage wäre nun aber immer noch, ob man unter diesen Umständen tatsächlich alles auf Egoismus zurückführen kann. Ich meine nicht. Ich meine, man kann sehr wohl unterscheiden zwischen Handlungen, die mehr egoistisch sind und solchen, die mehr altruistisch sind.

Spielt dabei keine Rolle, ob man als eigentlichen Akteur eine Person sieht, (so wie ich) oder ein Gehirn, (so wie Du), [was ich übrigens immer noch extrenst merkwürdig finde - ist mir also absolut unklar, was Gehirnforscher dazu beitragen können - das ist mE eine philosophische Frage, keine empirische].

Und es spielt (mE) auch keine Rolle dabei, dass (überlegte, willentliche) Handlungen notwendigerweise auf Motive zurückzuführen sind.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Meine eine Frage von oben hast Du noch nicht beantwortet: ist es nun falsch, dass ich meinen Eltern dankbar bin?

[...] Ein naheliegendes Kriterium wäre vermutlich, dass man die Dankbarkeit genau dann für richtig hält, wenn die Handlungen der Eltern als hilfreich erscheinen und man das Gefühl hat, dass diese Hilfe aus freien Stücken erfolgte.

Nun, mein Kriterium wäre dabei Altruismus. Mir käme es etwas merkwürdig vor, X dankbar zu sein für eine Handlung, von der ich meinte, X hätte sie zu seinem Vorteil vollzogen.

Kann nun natürlich problemlos sein, dass X eine Handlung vollzieht und diese ihm und mir gleichzeitig einen Vorteil brächte, eine Handlung also zu unser beiderseitigem Vorteil. Darüber wäre ich aber lediglich froh ob des für uns beiden günstigen Schicksals, aber nicht dankbar, nicht gegenüber X.

Zusammengefasst: Du sagst nicht mehr, als dass alle Handlungen auf Bedürfnissen und Motiven beruhen. Aber das erscheint mir trivial, (sofern man die o.g. Sonderfälle außen vor lässt). Und wenn Du nun schließt, einfach per definitionem, dass alles, was auf Bedürfnissen und Motiven beruht, egoistisch sei, dann ist das nur eine Tautologie, mehr nicht, d.h. wenig erquickend, weil keinerlei Erkenntnis bringend.

Interessant wären nun jedoch Deine weiteren Schlussfolgerungen, nämlich die, die über diese Tautologie hinausgingen.

Zum Beispiel, dass Dankbarkeit, die nicht auf einer persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnung beruht, im Grunde falsch, sinnlos, weil von einer falschen Voraussetzung (nämlich: es gäbe altruistische Handlungen) ausgehend, sei.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Di 27. Jul 2010, 23:02

Ein schöner Urlaub und das gute Wetter haben meine Streitlust spürbar gemindert. Aber zu viel Milde ist ja auch nicht gut für das Gemüt. Also wieder auf ins Gefecht:

AgentProvocateur hat geschrieben:Natürlich hat jeder Mensch Bedürfnisse und Motive und wir können der Einfachheit halber hier mal davon ausgehen, dass jeder letztlich das tut, was er unter Abwägung aller Umstände als richtig ansieht

Ich stimme zu aber ich behaupte, dass jemand genau das als richtig ansieht, was am besten seinen Bedürfnissen und Motiven entspricht. Denn genau so sind Bedürfnisse und Motive ja definiert.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt anscheinend auf der einen Seite Leute, die ihre eigenen Bedürfnisse sehr stark zugunsten anderer zurückstecken und auf der anderen Seite Leute, die das nicht tun.

Das mag auf den ersten Blick so scheinen, aber stimmt meiner Meinung nach nicht. Wenn es so scheint, als würde jemand seine eigenen Bedürfnisse stark zugunsten anderer zurückstecken, dann übersieht man lediglich die anderen Bedürfnisse dieser Person, welche in Wirklichkeit ausschlaggebend für die Handlung der Person waren.
Wenn eine arme Mutter ihr eigenes Hungergefühl zurücksteckt und das letzte Brot dem Kind gibt, dann sieht das altruistisch aus. Jedoch nur solange man das andere Bedürfnis der Mutter übersieht, nämlich das Bedürfnis für das Kind zu sorgen. Die Handlungen der Mutter ergeben sich aus der Summe aller relevanten Bedürfnisse. Wenn eine Handlung so aussieht, als würden eigene Bedürfnisse ignoriert oder ihnen sogar zuwider gehandelt, dann werden da wohl entsprechende andere Bedürfnisse vorliegen, die man vielleicht nur nicht sieht, die aber in Summe die Handlung erklären.

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Frage wäre nun aber immer noch, ob man unter diesen Umständen tatsächlich alles auf Egoismus zurückführen kann. Ich meine nicht. Ich meine, man kann sehr wohl unterscheiden zwischen Handlungen, die mehr egoistisch sind und solchen, die mehr altruistisch sind.

Ich kann nur Handlungen sehen, die die Bedürfnissumme der handelnden Person nach Möglichkeit befriedigen sollen. Eine Unterscheidung zwischen egoistisch und altruistisch macht aus dieser Blickrichtung keinen Sinn. Ich vermute, die Definition von Egoismus und Altruismus müsste auf einer anderen Ebene erfolgen und nicht davon abhängen, wie sehr eigenen Bedürfnissen gefolgt wird.

AgentProvocateur hat geschrieben:Interessant wären nun jedoch Deine weiteren Schlussfolgerungen, nämlich die, die über diese Tautologie hinausgingen. Zum Beispiel, dass Dankbarkeit, die nicht auf einer persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnung beruht, im Grunde falsch, sinnlos, weil von einer falschen Voraussetzung (nämlich: es gäbe altruistische Handlungen) ausgehend, sei.

Genau. Wenn ich recht habe, dann hat das Konsequenzen für den Begriff Dankbarkeit. Ebenso wie die Begriffe "Egoismus" und "Altruismus" ist die "Dankbarkeit" in Folge anders zu definieren bzw. anders zu begründen. Ich würde Dankbarkeit als eine Sozialkleber-Emotion sehen. Die Ursache für meine Dankbarkeit wäre nicht länger, dass jemand faktisch mir zuliebe gegen seine eigenen Interessen handelte. Meine Dankbarkeit wäre eher eine Freude darüber, dass die Interessen des anderen sich mit meinen Interessen offenbar derart decken, dass die Handlungen des anderen mir zugute kamen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Kann nun natürlich problemlos sein, dass X eine Handlung vollzieht und diese ihm und mir gleichzeitig einen Vorteil brächte, eine Handlung also zu unser beiderseitigem Vorteil. Darüber wäre ich aber lediglich froh ob des für uns beiden günstigen Schicksals, aber nicht dankbar, nicht gegenüber X.

Das stimmt nicht, wage ich zu behaupten. Dankbarkeit hat mehrere Ausprägungen. Mir scheint, du konzentrierst dich hier nur auf eine. Dankbarkeit scheint mir nicht immer davon abzuhängen, ob der andere nun besonders selbstlos war. Selbst wenn ich auf der Straße einen 100 Euro-Schein finde, kann ich ein starkes Gefühl der Dankbarkeit entwickeln. Also sogar dann, wenn gar kein absichtsvoller Wohltäter vorhanden ist. Dankbarkeit basiert wohl nicht immer auf der scheinbaren Selbstlosigkeit eines Gebers.

AgentProvocateur hat geschrieben:Mir käme es etwas merkwürdig vor, X dankbar zu sein für eine Handlung, von der ich meinte, X hätte sie zu seinem Vorteil vollzogen.

Viel merkwürdiger käme es mir aber noch vor, X zu unterstellen, dass er gegen seinen Vorteil gehandelt hat und somit praktisch geisteskrank ist. Du bist nur dankbar, wenn sich jemand völlig unerklärlich verhält und seinen eigenen Vorteil missachtet und sein Belohnungssystem im Gehirn Fehlfunktionen aufweist? Dann doch lieber dankbar sein für Dinge, die nicht uneigennützig sind, wie der Toaster von Tante Emilie, den sie mir nur deshalb schenkte, weil man das zu meinem Geburtstag nunmal so machen muss, und ich sage artig Danke und bin aber vielleicht wirklich dankbar für das teure Ding, obwohl ich das Sozialritual durchschaue. Toast Hawaii, wer mag das nicht?
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 28. Jul 2010, 01:28

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Natürlich hat jeder Mensch Bedürfnisse und Motive und wir können der Einfachheit halber hier mal davon ausgehen, dass jeder letztlich das tut, was er unter Abwägung aller Umstände als richtig ansieht

Ich stimme zu aber ich behaupte, dass jemand genau das als richtig ansieht, was am besten seinen Bedürfnissen und Motiven entspricht. Denn genau so sind Bedürfnisse und Motive ja definiert.

Natürlich. Das, was jemand tut, entspricht seinen Bedürfnissen und Motiven. Sonst hätte er es nicht getan. Weil man nämlich umgekehrt, (jetzt mal völlig irrationale Handlungen beiseite gelassen), von den Handlungen von jemandem auf seine Bedürfnisse und Motive zurückschließt. So weit, so gut, aber so tautologisch auch.

'Altruistismus' bezeichnet nun nicht mehr und nicht weniger als die Fähigkeit einer Person, ihre direkten, unmittelbaren egoistischen Triebe / Bedürfnisse, zugunsten anderer zurückzustecken, für ein 'höheres Gut', das ihr letztlich selber nicht nutzt, (bzw. weniger nutzt als ihr Verzicht).

Nun könnte man zwar behaupten, (so wie das wohl die 'psychologischen Egoisten' tun), dass jeder das tut, was er letztlich tun will und deswegen egoistisch sei. Was natürlich so richtig, weil trivial ist, (-> was man tut, will man, was man will ist egoistisch, also ist alles egoistisch). Was nun aber, weil so trivial und zirkulär, nicht befriedigend, nicht weiterführend ist, keine Erklärung für jegliches Verhalten aller Menschen sein kann. Und eben das möchte ja letztlich der psychologische Egoist liefern, wenn ich das richtig verstehe. Nämlich etwas, aus dem etwas Weiteres folgt, aus dem man weitere Schlüsse ziehen kann. Und da man aus einer Tautologie solche nicht ziehen kann, muss das für ihn unbefriedigend bleiben. Eine Tautologie ist einfach wahr, per se, automtisch. Nur folgt nichts weiter daraus. Du möchtest ja alle Handlungen mit dem psychologischen Egoismus erklären. Und eben das kann man mE nicht.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Interessant wären nun jedoch Deine weiteren Schlussfolgerungen, nämlich die, die über diese Tautologie hinausgingen. Zum Beispiel, dass Dankbarkeit, die nicht auf einer persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnung beruht, im Grunde falsch, sinnlos, weil von einer falschen Voraussetzung (nämlich: es gäbe altruistische Handlungen) ausgehend, sei.

Genau. Wenn ich recht habe, dann hat das Konsequenzen für den Begriff Dankbarkeit. Ebenso wie die Begriffe "Egoismus" und "Altruismus" ist die "Dankbarkeit" in Folge anders zu definieren bzw. anders zu begründen. Ich würde Dankbarkeit als eine Sozialkleber-Emotion sehen. Die Ursache für meine Dankbarkeit wäre nicht länger, dass jemand faktisch mir zuliebe gegen seine eigenen Interessen handelte. Meine Dankbarkeit wäre eher eine Freude darüber, dass die Interessen des anderen sich mit meinen Interessen offenbar derart decken, dass die Handlungen des anderen mir zugute kamen.

Hm. Na gut, das wird dann jetzt wohl schwierig, eine Definitions-/ eine Verständnisfrage darüber, was wir unter 'Dankbarkeit' verstehen.

Für mich ist Dankbarkeit nicht die Freude darüber, dass ich gemeinsame Interessen mit jemandem habe. Ich kann Geschäfte mit jemandem machen, die uns beiden nutzen, wir beide ziehen einen Vorteil daraus. Ich kann dann froh darüber sein und auch glücklich oder zufrieden, aber ich wäre meinem Geschäftspartner nicht dankbar, dass er seine Interessen maximiert hat.

Ich verstehe noch nicht einmal im Ansatz, inwiefern hier der Begriff 'Dankbarkeit' passen könnte. Nach meinem Verständnis gar nicht.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Kann nun natürlich problemlos sein, dass X eine Handlung vollzieht und diese ihm und mir gleichzeitig einen Vorteil brächte, eine Handlung also zu unser beiderseitigem Vorteil. Darüber wäre ich aber lediglich froh ob des für uns beiden günstigen Schicksals, aber nicht dankbar, nicht gegenüber X.

Das stimmt nicht, wage ich zu behaupten. Dankbarkeit hat mehrere Ausprägungen. Mir scheint, du konzentrierst dich hier nur auf eine. Dankbarkeit scheint mir nicht immer davon abzuhängen, ob der andere nun besonders selbstlos war. Selbst wenn ich auf der Straße einen 100 Euro-Schein finde, kann ich ein starkes Gefühl der Dankbarkeit entwickeln. Also sogar dann, wenn gar kein absichtsvoller Wohltäter vorhanden ist. Dankbarkeit basiert wohl nicht immer auf der scheinbaren Selbstlosigkeit eines Gebers.

Tur mir leid, aber das verstehe ich nicht. Nach meinem Sprachverständnis ergibt es schlicht keinen Sinn, dankbar zu sein ohne einen Adressaten der Dankbarkeit. Ich kann glücklich, zufrieden und froh sein, ohne Adressaten. Aber dankbar, ohne das ich jemandem dankbar wäre? Ist für einfach nicht vorstellbar, nicht denkbar. Und das 'Schicksal', der Ablauf, das reine Geschehen ist für mich nicht 'jemand', ist keine Person.

Aber nun gut, das letztlich lediglich mein persönliches Sprachgefühl, für das ich selbstverständlich keine objektive Geltung beanspruchen will. Ich kann nicht mehr tun, als es zu beschreiben, darzulegen und darauf hoffen, dass wir uns irgendwie dabei verständigen können. Wie auch immer.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mir käme es etwas merkwürdig vor, X dankbar zu sein für eine Handlung, von der ich meinte, X hätte sie zu seinem Vorteil vollzogen.

Viel merkwürdiger käme es mir aber noch vor, X zu unterstellen, dass er gegen seinen Vorteil gehandelt hat und somit praktisch geisteskrank ist. Du bist nur dankbar, wenn sich jemand völlig unerklärlich verhält und seinen eigenen Vorteil missachtet und sein Belohnungssystem im Gehirn Fehlfunktionen aufweist? Dann doch lieber dankbar sein für Dinge, die nicht uneigennützig sind, wie der Toaster von Tante Emilie, den sie mir nur deshalb schenkte, weil man das zu meinem Geburtstag nunmal so machen muss, und ich sage artig Danke und bin aber vielleicht wirklich dankbar für das teure Ding, obwohl ich das Sozialritual durchschaue. Toast Hawaii, wer mag das nicht?

Naja. Ich wäre aber, nach meinem Verständnis von 'Dankbarkeit', der Tante Emilie nicht unbedingt dankbar. Obgleich ich natürlich dennoch 'Danke' sagen würde, weil das zum Spiel dazu gehört.

Dankbar bin ich Leuten, die ich für reflektiert genug halte, dass sie wissentlich ihre akuten momentanen Triebe / Bedürfnisse zu meinen Gunsten zurückstellen und nicht nur so handeln, wie es ihnen vorgegeben ist, (was mich motiviert es ihnen gleich zu tun). (Bzw. zusätzlich: ich bin auch dankbar gegenüber denjenigen, die dann glücklich sind, wenn sie mir etwas Gutes tun können.)

Nun ja, aber was ist eigentlich unser Dissens? Scheint mir, als bestünde der darin, dass Du meinst, alle Handlungen seien gleichermaßen egoistisch und somit auch mit Egoismus erklärbar, (und es gäbe folglich keinen Altruismus, das sei eine per se leere Kategorie). Wohingegen ich meine, man könne unterscheiden zwischen Egoismus und Altruismus, also solchen Handlungen, die (mehr oder weniger - das müssen ja nicht notwendigerweise binäre Kategorien sein, d.h. entweder - oder) den beiden Polen Egoismus und Altruismus zugeordnet werden können.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Mi 28. Jul 2010, 21:08

AgentProvocateur hat geschrieben:aber was ist eigentlich unser Dissens?

Gute Frage. Wir sagen beide, dass alle Handlungen auf Motiven/Bedürfnissen beruhen.

Mir scheint, unser Dissens setzt da ein, wo du die Bedürfnisse in zwei Gruppen einteilst (wenn ich das richtig verstehe). Einmal gibt es bei dir die direkten, unmittelbaren Bedürfnisse, die nennst du egoistisch. Und dann gibt es die 'höheren', selbstlosen, altruistischen.

AgentProvocateur hat geschrieben:'Altruistismus' bezeichnet nun nicht mehr und nicht weniger als die Fähigkeit einer Person, ihre direkten, unmittelbaren egoistischen Triebe / Bedürfnisse, zugunsten anderer zurückzustecken, für ein 'höheres Gut', das ihr letztlich selber nicht nutzt, (bzw. weniger nutzt als ihr Verzicht).


Wenn ich, wie du sagst, ein Bedürfnis zu einem höheren Gut habe, was mir letztlich selber nichts nutzt, und ich dieses Bedürfnis befriedige, dann macht es Klick im Belohnungssystem des Hirns und ich werde belohnt. Die Befriedigung eines Bedürfnisses ist eben per Definition etwas positives. Und deshalb verstehe ich nicht recht, worin hier mein Verzicht liegt, wie du sagst. Was habe ich denn da geopfert? Wieso nutzt mir eine Belohnung plötzlich nichts? Natürlich nutzt sie mir etwas. Die ist toll! Und wenn ich meine Handlung danach ausrichte, dann war diese Belohnung offenbar groß genug (oder zumindest dachte ich das vorher). Insofern ist es eben kein Verzicht. Deine Unterscheidung zwischen egoistischen Bedürfnissen, wo man auf seine Kosten kommt, und altruistischen, wo man angeblich verzichtet, finde ich daher falsch, weil man immer auf seine Kosten kommt wenn man seine Bedürfnisse bedriedigen kann. Genau deshalb heißen sie ja Bedürfnisse. Wie kann man etwas anderes sein als egoistisch, wenn man seinen Bedarf deckt?
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