Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 28. Jul 2010, 21:31

ganimed hat geschrieben:Mir scheint, unser Dissens setzt da ein, wo du die Bedürfnisse in zwei Gruppen einteilst (wenn ich das richtig verstehe). Einmal gibt es bei dir die direkten, unmittelbaren Bedürfnisse, die nennst du egoistisch. Und dann gibt es die 'höheren', selbstlosen, altruistischen.

Ja, (aber nicht 'Gruppen', falls das binäre Kategorien implizieren soll, sondern eher 'Pole', zwischen denen es Abstufungen gibt).

ganimed hat geschrieben:Wenn ich, wie du sagst, ein Bedürfnis zu einem höheren Gut habe, was mir letztlich selber nichts nutzt, und ich dieses Bedürfnis befriedige, dann macht es Klick im Belohnungssystem des Hirns und ich werde belohnt. Die Befriedigung eines Bedürfnisses ist eben per Definition etwas positives. Und deshalb verstehe ich nicht recht, worin hier mein Verzicht liegt, wie du sagst. Was habe ich denn da geopfert? Wieso nutzt mir eine Belohnung plötzlich nichts? Natürlich nutzt sie mir etwas. Die ist toll! Und wenn ich meine Handlung danach ausrichte, dann war diese Belohnung offenbar groß genug (oder zumindest dachte ich das vorher). Insofern ist es eben kein Verzicht. Deine Unterscheidung zwischen egoistischen Bedürfnissen, wo man auf seine Kosten kommt, und altruistischen, wo man angeblich verzichtet, finde ich daher falsch, weil man immer auf seine Kosten kommt wenn man seine Bedürfnisse bedriedigen kann. Genau deshalb heißen sie ja Bedürfnisse. Wie kann man etwas anderes sein als egoistisch, wenn man seinen Bedarf deckt?

Mir scheint schlicht diese Sichtweise, 'da gibt es einen (biologischen) Belohnungsmechanismus im Gehirn und der steuert alles', falsch, zu mechanistisch, nicht geignet dazu, unterschiedliche Handlungen zu erklären, nicht nutzbringend, zu vereinfachend.

Es gibt Leute, die immer nur rücksichtslos ihre Interessen durchsetzen / ihren Trieben folgen und es gibt Leute, die das nie tun, (um mal die beiden Pole zu nennen, auch wenn die in ganzer Reinheit vielleicht nicht existieren mögen). Alles gleichermaßen unterschiedslos auf ein Belohnungszentrum im Gehirn zurückführbar und damit erklärbar? Naja, das kommt mir schlicht wie eine Pseudo-Erklärung vor, die man sich zwar vormachen kann und mit der man dann vielleicht zufrieden ist, die aber doch gar nichts bringt. Da wäre es mE viel besser, statt dessen zu sagen: ich weiß nicht, wieso er so gehandelt hat. Anstatt sich eine nutzlose Pseudo-Erklärung zu basteln. So nutzlos wie: Gott war's.

Handlungen muss man mE versuchen, mit Motiven, Einstellungen und Meinungen zu erklären, nicht mit einem Belohnungsmechanismus, (weil das schlicht gar nichts erklärt. Wieso hat X die Frau vergewaltigt, obwohl er wusste, dass das schrecklich für sie ist? Wegen seinem Belohungsmechanismus im Gehirn. Warum hat Y den Juden im Nationalsozialismus versteckt, obgleich er wusste, dass das sehr unangenehme Konsequenzen für ihn haben kann? Wegen seinem Belohnungsmechanismus im Gehirn.).

Und auch ist mir unklar, was es bringen könnte, alle Handlungen per definitionem als egoistisch zu erklären. Das wäre eine fruchtlose Tautologie und außerdem verlöre der Begriff 'Egoismus' seinen Sinn, wenn man ihn nicht zu etwas anderem abgrenzen könnte. 'Egoistische Handlung' wäre dann ein Pleonasmus.

Nun gut, vielleicht möchtest Du ja auch den Begriff 'Egoismus' aus der Sprache tilgen, das käme Dir dann entgegen. Aber wieso eigentlich, was bringt das? Und worauf beruht das? Hoffentlich nicht auf einer Tautologie, denn aus einer Tautologie kannst Du nun mal nichts weiter folgern.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Nanna » Mi 28. Jul 2010, 22:08

(Ich habe aus Zeitgründen nicht mehr alles so genau mitverfolgt, bitte nicht böse sein, falls ich etwas anschneide, was schon gesagt und von mir übersehen wurde. Der Beitrag wurde größtenteils vor dem von AgentProvocateur verfasst.)

Vielleicht ist es etwas mehr auf den Punkt gebracht, wenn man sagt, dass ganimed und ich der Meinung sind (nehme ich mal dreist an), dass das Gehirn grundsätzlich vor jeder Handlung eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellt und Befriedigung daraus erfährt, wenn diese Rechnung erwartungsgemäß aufgegangen ist, wobei ich jetzt mal vielleicht etwas (zu?) vereinfacht sage, dass Kosten eine Leiderfahrung darstellen, weil dahinter Verzicht und/oder Schaden stehen, wohingegen Nutzen eine Glückserfahrung darstellt (Endorphine und so). Das Gehirn will Kosten vermeiden (die tun weh) und Nutzen erlangen (macht glücklich).

Auf der Metaebene hilft dieser Mechanismus beim Überleben, weshalb er sich evolutionär erst entwickelt hat (und weil das auch Gruppenevolution beinhaltet, hat das Gehirn gelernt, für gewisse sog. "altruistische" Handlungen das Belohnungssystem in Gang zu setzen, wobei der direkte Nutzen für den Organismus eben erstmal NUR darin besteht, dass er körpereigene Glücksstoffe erhält, nicht darin, dass seine direkten Überlebenschancen steigen. Das ist sozusagen Trick Siebzehneinhalb mit Selbstüberlistung. Natürlich steigen seine Überlebenschancen indirekt wieder, weil die Überlebenschancen der Gruppe steigen, womit außerdem wiederum auch die Überlebenschancen der Gene und Meme des Individuums steigen, sozuagen als Trostpflaster, wenn es denn schon nicht selbst überlebt.).

Ein Thema, was hier noch nicht beachtet wurde, wäre auch die Risikobereitschaft, die wohl anteilig genetisch bedingt und erlernt ist. Auch dahinter steckt wiederum eine Kosten-Nutzen-Rechnung, nur eben auf einer höheren Ebene, weil die Spekulation auf ein bestimmtes Ergebnis dazukommt und nicht nur statische Szenarien mit vorhersehbarem Ausgang durchgerechnet werden. Eine altruistische Handlung mit hohem Eigenrisiko könnte somit auch insofern als egostisch bewertet werden, als dass der Ausführende weiß, dass er ihm Falle des unwahrscheinlichen Überlebens (z.B. Alleingang gegen eine Überzahl im Krieg) ein enormes Prestige für den Rest seines Lebens genießen wird. Das Einbeziehen von Risikoeinschätzungen ist vielleicht sogar ziemlich wichtig, weil es Kosten-Nutzen-Rechnungen äußerst dynamisch macht und die Anzahl der verfügbaren Handlungen in einer Situation drastisch erhöht, je nachdem, wie risikobereit das beteiligte Individuum ist.

Ein Sonderfall wären wohl noch reflexhafte Handlungen. Da ist dann eher das eingeübte bzw. genetische (durch statistische Auswertung von tausenden Vorgängergenerationen erworbene) Programm entscheidend, das automatisch abgespielt wird. Auch darin steckt wieder eine Kosten-Nutzen-Analyse, nur eben auf einer sehr allgemeinen Ebene, auf der erstmal nur eine Standardreaktion ausgeführt werden kann, weil für eine komplexere Betrachtung die Zeit zu knapp ist.
Ganz generell ist hier auch einmal anzumerken, dass natürlich Verhalten oftmals auch reflexhafte und gewohnheitsmäßige Anteile hat, was mit erklärt, warum nicht immer die günstigste Lösungsstrategie genommen wird.


Zum Thema der Dankbarkeit:
Ich gehe davon aus, dass Dankbarkeit als Emotion sehr nah mit der Erleichterung verwandt ist. Dankbarkeit empfindet man gewöhnlich gegenüber Menschen (A), die in der entscheidenden Situation über ein überlegenes Machtpotential verfügt haben und es für oder zumindest nicht gegen den hinterher Dankbaren (B) eingesetzt haben. Dankbarkeit setzt für mich auch die (unterbewusste?) Erwartung voraus, dass es anders gekommen wäre, woraus dann auch das starke emotionale Moment der Dankbarkeit resultiert. Der andere (A) hätte einem (B) aktiv oder passiv schaden können, er hat es aber aus erstmal irrelevanten Gründen nicht getan. Das Gehirn von B, das schon in der Erwartung von Schaden (Leid) war, empfindet das Glücksgefühl über den glimpflichen oder vorteilhaften Ausgang der Situation (Nutzen) nun besonders intensiv und stellt außerdem eine kausale Verbindung zu A her, der für das unerwartete gute Ergebnis verantwortlich ist. Daraus erwächst natürlich spontan eine starke Loyalität, weil die Nähe zu dieser Person sich offenbar als über das Erwartete hinaus vorteilhaft erwiesen hat. Diese Erleichterung verbunden mit einem Gefühl von Loyalitätund Zuneigung von B gerichtet auf A nennen wir dann Dankbarkeit. Es käme hier dann im weiteren sicher noch das Gefühl des In-der-Schuld-Stehens von B gegenüber A hinzu, was daher kommt, dass B nicht durch Undankbarkeit nachfolgende Sanktionen erleiden oder vor der Gemeinschaft schlecht dastehen will.


AgentProvocateur hat geschrieben:Handlungen muss man mE versuchen, mit Motiven, Einstellungen und Meinungen erklären, nicht mit einem angeblichen Belohnungszentrum.

Das ist sicherlich irgendwo richtig. Das Belohnungszentrum ist aber letztlich der biologische Mechanismus, über den das alles abgewickelt wird. Eine erfolgreiche Handlung wird biologisch gesehen nicht deshalb wiederholt, weil sie einen abstrakten Nutzen gebracht hat, sondern weil sie Glückshormone ausgeschüttet hat. Dieser Mechanismus offenbart sich besonders gut in seiner Extremform, der Sucht. Zigaretten werden nicht geraucht, weil sie einen anregenden Effekt haben, das ist nur eine Rationalisierung, die die Schuldgefühle wegen der Gesundheitsschädlichkeit leichter ertragbar macht (Leidverminderung, so nebenbei), sondern weil sie die Ausschüttung von Glückshormonen auslösen.

Vielleicht beschreiben wir letztlich zwei Seiten derselben Medaille. Es ist nicht möglich, Motive, Einstellungen, Meinungen außer Acht zu lassen, da gebe ich dir schon recht. Es ist meiner Meinung nach aber auch nicht sinnvoll, den biologischen Mechanismus und das Belohnungssystem zu vergessen, einfach, weil dieser Mechanismus sehr oft dazu führt, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung des auf eine Maximierung der Glücksstoffe und Minimierung der Schmerzreize zielenden Gehirns völlig anders ausfällt, als eine "rationale" Betrachtung von außen:

Das Gehirn des Süchtigen bewertet das Rauchen von Zigaretten ganz anders, als jemand, dem von Kleinauf eingebläut wurde, dass Rauchen sozial unerwünscht und ungesund ist (Programmierung: Zigarette => viel Leid + wenig Glück = negative Bilanz; Folge: Die Hemmschwelle ist hoch, das Rauchen wird unterlassen). Genauso ist der Heldentod eines US-Marines natürlich mit altruistischen Motiven vordergründig "leicht" erklärt, aber das lässt die finale Frage offen, warum der Organismus den eigenen Tod auf sich genommen hat, wenn er nicht vorher in irgendeiner Form etwas davon hatte. In dem Fall würde ich als Lösung vorschlagen, dass genetische Ausstattung, kulturelle Prägung und Risikobereitschaft dazu geführt haben, dass der Marine in den letzten Minuten vor seinem Tod ein derart großes Glück empfunden hat, dass er seine Kameraden vor der Übermacht retten wird, dass dieser Glücksrausch alle anderen negativen Faktoren in den Hintergrund treten hat lassen. Es könnte andersherum aber auch die Angst vor der sozialen Ausgrenzung gewesen sein, die als noch bedrohlicher als die Todesangst empfunden wurde, ein Mechanismus, der so ähnlich wohl auch bei Suizidalen funktioniert, wo die Kosten-Nutzen-Rechnung für das Weiterleben eine zu stark negative Krängung entfalten hat. Ich denke, die Marines mit ihrer sektenhaften Indoktrinierung eignen sich da ganz gut als besonders deutliches Demonstrationsobjekt, weil hier das Schwarz-Weiß-Konzept gut eingeübt ist und die Handlungsoptionen sehr beschränkt sind (Sterben für die anderen = gut, Weglaufen = schlimme Feigheit).

Von daher macht es meiner Meinung nach einfach keinen Sinn, das Belohnungssystem des Gehirns zu ignorieren, weil dort letztlich die Auswertung und Gewichtung der abstrakten Motive, Einstellungen, Ideen usw. stattfindet. In einer politischen Analyse schaut man sich ja beispielsweise auch das Wahlsystem und den Parlamentsmechanismus an und nicht nur die Motive der Beteiligten, wenn man wissen will, warum zur Hölle in einer bestimmten historischen Situation eine Minderheit kuriose Motive durchsetzen konnte - Antwort: Es lag wohl an den Gegebenheiten des Prozesses, also den Regeln, nach welchen die Entscheidungsfindung abläuft. Die Politik ist da kein allzu schlechter Vergleich, da geht es auch immer um die Widersprüche zwischen individuellem Machtstreben (Egoismus) und Verfolgen der vernünftigsten Politik (häufig: Altruismus, da damit oft keine Stimmen zu fangen sind) und nicht allzuselten kommt wegen irgendwelcher Parlamentsregelungen am Ende etwas anderes heraus, als jeder vernünftige Beobachter erwartet hätte. Wenn er dann eine treffende Erklärung haben will, reicht es nicht aus, dass er die Motive der Parlamentarier oder Parteien betrachtet, er muss schon auch wissen, welche Handlungen im politischen Prozess belohnt werden (übrigens, die Tagespolitik wird so viel logischer, wenn man sich das mal etwas genauer ansieht ;-) ).
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 28. Jul 2010, 22:56

Erst mal ein ad hominem vorweg: Du hast bei mir ein Stein im Brett, weil Deine Beiträge im Venus-Projekt großartig finde und auch hier in diesem Thread hast Du am Anfang einige Dinge gesagt, denen ich einfach nur zustimmen kann, bei denen kein Blatt Papier zwischen uns passt.

Dennoch bleibt mE ein ganz grundsätzlicher Dissens.

Handlungen kann man mE nicht mit einer Kosten-Nutzung erklären, es sei denn, man behauptete trivialerweise, (Prämisse:) alle Handlungen beruhten auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung und deswegen (Konklusion:) beruhten alle Handlungen auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Aber mir ist wirklich unklar, welchen Nektar man weiterhin daraus ziehen könnte und das wäre ja die eigentlich interessante Frage dabei.

Und dann gibt es eben das Problem des Übergangs von biologischen Gegebenheiten zu einer Handlung. Ich meine schlicht nicht, dass man aus der Biologie individuelle Handlungen erklären kann, bzw. mir ist mehr als unklar, wie das gehen könnte. Das halte ich für einen NF.

Nun, ja. Also nun nochmal meine beiden Beispiele von oben:

1. X vergewaltigt eine Frau. Er weiß genau, was das für sie bedeutet, aber das ist ihm egal.
2. Y versteckt im Nationalsozialismus einen Juden. Er weiß, was das für ihn bedeutet, falls das herauskommt und er nimmt zusätzlich an, dass diese Gefahr relativ groß ist.

Wie ist das rein biologisch mit einem Belohnungsmechanismus erklärbar?

Naja, nicht dass ich behaupten möchte, es gäbe keine biologischen (oder vielleicht besser: unbewussten) Anteile bei der Erklärung bestimmter Handlungen. Ich wehre mich nur dagegen, das auf reine Biologie (oder auch unbewusste Vorgänge im Gehirn) reduzieren zu wollen. Das halte ich für falsch und irreführend. Und zusätzlich halte ich die Behauptung nicht für plausibel, alle Handlungen auf eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung reduzieren zu können, (zumindest solange, wie das nicht rein tautologisch gemeint ist).

Ich meine nun auch: es ist falsch, zu glauben, eine Person, (oder ihr Gehirn - [was ich aber genaugenommen für Quatsch halte, denn ein Gehirn kann mE nichts wollen oder bewerten, das ist ein Kategorienfehler]), sei nur auf Glücksmaximierung und Leidminimierung für sich aus. (Falls das hier anders als diese Tautologie gemeint ist: [Prämisse:] weil die Person immer auf Glücksmaximierung und Leidminimierung aus ist, folgt [Konklusion:] eine Person ist immer auf Glücksmaximierung und Leidminimierung aus.)
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Do 29. Jul 2010, 19:15

AgentProvocateur hat geschrieben:1. X vergewaltigt eine Frau. Er weiß genau, was das für sie bedeutet, aber das ist ihm egal.

Die Faktoren, die im Hirn von X an der Entscheidung beteiligt sind, sind bestimmt zahlreich und ihr Zusammenspiel komplex. Zwei Faktoren sind sicher auch dabei:
a) Sex-Trieb und
b) Emphatische Empfindung des Leides der Frau
Faktor a ist ein Pro-Faktor, der zur Tat drängt. Faktor b bremst dagegen. Die umgangssprachliche Aussage, dass ihm das Leid der Frau egal sei, könnte man damit wohl etwas genauer formulieren: Faktor b war als Bremse zu schwach und wurde von Faktor a überstimmt. In Wirklichkeit wird es noch einige Faktoren mehr geben. Vergewaltigt X die Frau, dann waren die Pro-Faktoren in Summe offenbar stärker als die Bremsfaktoren.

AgentProvocateur hat geschrieben:2. Y versteckt im Nationalsozialismus einen Juden. Er weiß, was das für ihn bedeutet, falls das herauskommt und er nimmt zusätzlich an, dass diese Gefahr relativ groß ist.

Hier dasselbe Spiel. Genannt wird der Bremsfaktor "Angst vor den Folgen bei Bekanntwerden". Ein Pro-Faktor ist hier vermutlich wieder die Emphatie, also das Mitleid mit den versteckten Juden, die Vorstellung, was mit denen passiert, wenn sie entdeckt werden.

Ich stelle mir das ganze immer als eine mathematische Gleichung vor. Die Pro-Faktoren bekommen, je nach Stärke eine positive Maßzahl. Die Bremsfaktoren sind kleiner 0. Und das Gehirn betätigt sich beim Entscheiden als Addierer. Alle relevanten Faktoren werden zusammengesucht (Erfahrungen, Erinnerungen, Prägungen, Hirnstruktur, unbewusste Mechanismen, rationales Bewusstsein,...), die Stärke der Faktoren wird real vermutlich eher der Ausgeprägtheit von neuronalen Mustern, der Stärke von Nervenimpulsen oder anderen biochemische Eigenschaften entsprechen, keine Ahnung. Aber jedenfalls ist die Entscheidung das Abwägen aller Faktoren. In dem mathematischen Modell das Addieren aller Faktoren-Werte. Kommt ein Wert > 0 heraus, dann macht man es und sonst lässt man es bleiben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Handlungen kann man mE nicht mit einer Kosten-Nutzung erklären, es sei denn, man behauptete trivialerweise, (Prämisse:) alle Handlungen beruhten auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung und deswegen (Konklusion:) beruhten alle Handlungen auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung.

Na ja, so einen einfachen Zirkelschluss machen die Hirnforscher sicher nicht. Deine Gegenargumente scheinen hauptsächlich zu sein, dass das Modell trivial und tautologisch sei und dass es zu keinen interessanten Schlussfolgerungen tauge. Diese deine Gegenargumente finde ich nicht sehr überzeugend.

AgentProvocateur hat geschrieben:Mir scheint schlicht diese Sichtweise, 'da gibt es einen (biologischen) Belohnungsmechanismus im Gehirn und der steuert alles', falsch, zu mechanistisch, nicht geignet dazu, unterschiedliche Handlungen zu erklären, nicht nutzbringend, zu vereinfachend.

- Warum zu mechanistisch? Was außer Neuronen und biochemischen Verschaltungen ist im Hirn denn sonst noch zu beachten?
- Welche unterschiedlichen Handlungen lassen sich denn mit diesem Modell nicht erklären?
- Wieso nicht nutzbringend? Ich kann mit dem Modell den Menschen besser verstehen als ohne. Ich kann aus Handlungen auf seine Faktorenmenge rückschließen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt Leute, die immer nur rücksichtslos ihre Interessen durchsetzen / ihren Trieben folgen und es gibt Leute, die das nie tun

Die erste Gruppe der Egoisten gibt es in meiner Sichtweise auch. Ich verstehe noch nicht, was deine andere Gruppe antreibt. Wenn diese altruistischen Leute, wie du sagst, keine Interessen haben, oder sie zumindest nicht durchsetzen, ja wieso tun sie denn dann das was sie tun? Bzw. woher kommt die Kraft, die eigenen Triebe und Bedürfnisse überwinden zu können? Und nenne jetzt bitte nicht als Antwort "andere Interessen" oder "andere Bedürfnisse". Es müsste schon eine neue Kategorie sein. Nur nochmal zur Erinnerung, in meinem Modell kann ich erklären, wieso die Leute tun was sie tun. Das würde ich von deinem Modell auch erhoffen.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 29. Jul 2010, 21:26

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Handlungen kann man mE nicht mit einer Kosten-Nutzung erklären, es sei denn, man behauptete trivialerweise, (Prämisse:) alle Handlungen beruhten auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung und deswegen (Konklusion:) beruhten alle Handlungen auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung.

Na ja, so einen einfachen Zirkelschluss machen die Hirnforscher sicher nicht. Deine Gegenargumente scheinen hauptsächlich zu sein, dass das Modell trivial und tautologisch sei und dass es zu keinen interessanten Schlussfolgerungen tauge. Diese deine Gegenargumente finde ich nicht sehr überzeugend.

Bezüglich meiner Gegenargumente hast Du recht. Und ich finde Euer Modell nicht überzeugend. Nämlich aus den oben schon mehrfach genannten Gründen: Euer Modell ist rückbezüglich, d.h. es steckt das rein, was Ihr zeigen wollt, sprich: es ist rein tautologisch, mehr nicht.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mir scheint schlicht diese Sichtweise, 'da gibt es einen (biologischen) Belohnungsmechanismus im Gehirn und der steuert alles', falsch, zu mechanistisch, nicht geignet dazu, unterschiedliche Handlungen zu erklären, nicht nutzbringend, zu vereinfachend.

- Warum zu mechanistisch? Was außer Neuronen und biochemischen Verschaltungen ist im Hirn denn sonst noch zu beachten?
- Welche unterschiedlichen Handlungen lassen sich denn mit diesem Modell nicht erklären?
- Wieso nicht nutzbringend? Ich kann mit dem Modell den Menschen besser verstehen als ohne. Ich kann aus Handlungen auf seine Faktorenmenge rückschließen.

Mal so gesagt: Erklärungen funktionieren auf mehreren Ebenen, wobei man niedrigere und höhere Ebenen unterscheiden kann.

Mal grob aufgegliedert:

- Elementarteilchen
- Atome
- Moleküle
- Zellen
- Lebewesen
- Soziale Gruppen

Nun, letztlich läuft das hier wohl darauf hinaus, dass ich kein strenger Reduktionist bin. Ich meine nicht, dass es praktisch! möglich ist, eine höhere Ebene mit einer niedrigeren Ebene zu erklären. Ob das theoretisch möglich ist, interessiert mich dabei weniger, eigentlich sogar gar nicht, das halte ich für ein philosophisches Glasperlenspiel.

Nun geht es hier auch gar nicht um die Theorie, sondern es geht darum, dass Ihr behauptet, man könne das sehr wohl reduzieren, also zum Beispiel die Handlung eines Judenversteckers im Dritten Reich sei auf biologische Verschaltungen und Neuronen zurückführbar.

Tur mir ja leid, das sagen zu müssen: aber Ihr seid in der Beweispflicht. Eine einfache Behauptung, die auch noch tautologisch ist, reicht nicht, mal abgesehen davon, (ich wiederhole mich): die kann niemals weiterführend sein. Also seid Ihr noch zusätzlich verpflichtet, zu zeigen, was man denn aus Eurer Tautologie schließen kann.

Und was Du Dir dabei vorstellst, ist übrigens völlig irrelevant. Aus dem Wollen folgt kein Sein.

Und überhaupt, was bitteschön würde es eigentlich bringen, wenn man auf einer bestimmten Handlung auf eine bestimmte biologische Faktorenmenge schließen könnte, (und dass das man das kann, musst Du beweisen, nicht einfach nur behaupten!). Ein umgekehrter Schluss wäre hier doch das eigentlich Interessante, (was aber ebenfalls zu zeigen wäre: dass das in individuellen! Fällen möglich ist). Und wenn dem so ist: dann muss es mir doch notwendigerweise völlig egal sein, wie seine konkrete Konstellation der Neuronen ist, denn es gibt mE hypothetisch zig-trilliarden-mögliche Neuronenkonstellationen, die eine hinreichend gleiche, (oder gar dieselbe), Einstellung des Individuums darstellt. Da wäre es doch schlicht irrational, wenn ich die untere Ebene der Neuronenkonstellation betrachten würde, anstatt der Ebene der Einstellung.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt Leute, die immer nur rücksichtslos ihre Interessen durchsetzen / ihren Trieben folgen und es gibt Leute, die das nie tun

Die erste Gruppe der Egoisten gibt es in meiner Sichtweise auch. Ich verstehe noch nicht, was deine andere Gruppe antreibt. Wenn diese altruistischen Leute, wie du sagst, keine Interessen haben, oder sie zumindest nicht durchsetzen, ja wieso tun sie denn dann das was sie tun? Bzw. woher kommt die Kraft, die eigenen Triebe und Bedürfnisse überwinden zu können? Und nenne jetzt bitte nicht als Antwort "andere Interessen" oder "andere Bedürfnisse". Es müsste schon eine neue Kategorie sein. Nur nochmal zur Erinnerung, in meinem Modell kann ich erklären, wieso die Leute tun was sie tun. Das würde ich von deinem Modell auch erhoffen.

Was ist eine 'neue' Kategorie, was unterscheidet eine 'neue' Kategorie von 'im Prinzip derselben' Kategorie?

Meine Vermutung wäre, (für bestimmte Fälle), die, dass es Leute gibt, die von sich selber abstrahieren können und somit auch die Bedürfnisse von anderen berücksichtigen können. Vielleicht haben sie bestimmte Vorstellungen darüber, was 'Gerechtigkeit', 'Konsistenz' und 'Gleicheit' bedeuten, die die die Leute im anderen Beispiel anscheinend nicht haben, bzw. das anders sehen.

Meine Güte, *ungeduldigguck*, es ist doch offensichtlich, dass es da Unterschiede gibt und man das also nicht einfach, so wie Du es machen willst, auf denselben Mechanismus zurückführen kann. Wenn jemand in einer vergleichbaren Handlung anders handelt, dann muss offensichtlich etwas anders gewesen sein. Bzw: man kann nun zwar dies oder das behaupten, zum Beispiel, alle Handlungen basierten letztlich auf Elementarteilchen oder keine Handlung / Entscheidung, ohne dass sich etwas in der Anordnung der Elementarteilchen ändert. Was ja irgendwie nicht falsch wäre, (so man Naturalist ist), was aber doch gar nichts erklärt, jedenfalls nicht die individuelle Handlung / Entscheidung! Und das ist letztlich der Punkt hier.

Und Dein Modell kann somit gar nichts erklären, für Dein Modell ist jede Handung ein und dasselbe. Wieso siehst Du das nicht?

Ist strukturell nichts anderes, als auf jede Frage zu sagen: 'Gott hat das verursacht / hervorgebracht', (oder auf jede Frage zu antworten: 'das basiert letztlich auf Elementarteilchen'). Mag ja nun sein, dass das eine oder das andere viele Leute als tolle Erklärung, (oder überhaupt als Erklärung), ansehen, ich aber tue das nicht, mir ist es zig-fantastrilliarden-mal lieber, zuzugeben, dass ich etwas nicht erklären kann / nicht verstehe. Weil mir dabei kein Zacken aus der Krone fällt und ich für zukünftige Erklärungen offen bleibe und nicht zumache, nicht fälschlich meine, eine Pseudo-Erklärung sei eine vollwertige Erklärung.

Mir scheint es nun jedoch hier evident, dass Leute dazu fähig sind, rationale Argumente zu berücksichtigen, zu entscheiden ob ihrer Überlegungen. Es erscheint mir falsch, zu kurz gedacht, sogar selbstwidersprüchlich und somit selbstaufhebend, gänzlich ohne Erklärungswert, zu behaupten, das gäbe es alles nicht, tatsächlich sei alles auf ein Belohnungszentrum im Gehirn zurückzuführen. Ich kann (viele, oder gar die meisten) Handlungen viel besser erklären mit den Einstellung, den Motiven, den Überlegungen, den Entscheidungen des Individuums als mit einer nebulösen Bewertungsinstanz im Gehirn, von der ich, (und Du offensichtlich auch nicht), noch nicht einmal im Ansatz weiß, wie sie funktioniert. Also: kenne ich die Einstellungen, Werte, Motive von jemandem, dann kann ich eine ganz gute Abschätzung machen, wie er zukünftig handeln wird; behaupte ich aber, dass alle Menschen eine Bewertungsinstanz im Gehirn haben, die angeblich letztlich alle Handlungen steuert, alles andere seien falsche / letztlich nichtige Erklärungen einer Handlung, (kann zu diesem Belohungszentrum aber keine weiteren Angaben machen), dann weiß ich gar nichts, nothing, nada, rien über die zukünftigen Handlungen eines Individuums.

Ich schnalle immer noch nicht einmal im Ansatz, was Du Dir von Deiner Behauptung, die Du nicht belegen kannst, die Du Dir nur mal 'einfach so' mal schnell vorstellst, überhaupt für einen Nutzen versprichst. Nur nachträglich jeweils behaupten zu können: das ist auf ein Belohnungszentrum im Gehirn zurückführbar, aber niemals sagen zu können: in der hypothetischen Situation X wird Y wahrscheinlich so reagieren: was soll das? Welchen Nutzen hat das?

Und auch die Behauptung, alle Handlungen seien biologisch erklärbar, halte ich übrigens für falsch, zumindest nicht für argumentfrei evident.

Scheint jetzt in auf Streit zwischen eliminativen Materialisten (Du) und solchen Materialisten (ich), die den Eliminativismus für nicht evident und nicht belegt, vielleicht sogar noch nicht mal für belegbar halten, hinauszulaufen.

Zeige mir eine einzige komplexe Handlung eines bestimmten Menschen, (zum Beispiel des Judenversteckers im Beispiel oben), und leite sie aus biologischen Gegebenheiten her, (reine Vermutungen und Behauptungen reichen mir nicht). Wenn Dir das gelingt, werde ich auch zum eliminativen Materialisten. Vorher nicht, vorher werde ich weiterhin behaupten, dass Du kein Argument hast, das nicht tautologisch und somit irrelevant wäre. Und außerdem werde ich weiter behaupten, dass der eliminative Materialismus selbstwidersprüchlich und somit selbstaufhebend ist.

Langer Rede, kurzer Sinn: mal abgesehen davon, dass ich Deine Behauptung, (alle Handlungen seien auf ein Belohungszentrum im Gehirn zurückzuführen), für nicht belegbar, (wie könnte man die Behauptung übrigens falsifizieren?), halte, ist mein Haupteinwand der: das erklärt gar nichts. Und daraus folgt nichts. Hat keinen Nährwert. Eine prinzipiell unbelegbare, nicht falsifizierbare Behauptung also, die keine Auswirkungen hat: was soll das eigentlich? Da kann ich ja gleich an Gott glauben, da gibt es auch keinen Unterschied mehr. Aber zufällig glaube ich aus den gleichen Gründen nicht an Gott.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Di 3. Aug 2010, 20:08

AgentProvocateur hat geschrieben:sondern es geht darum, dass Ihr behauptet, man könne das sehr wohl reduzieren, also zum Beispiel die Handlung eines Judenversteckers im Dritten Reich sei auf biologische Verschaltungen und Neuronen zurückführbar. Tur mir ja leid, das sagen zu müssen: aber Ihr seid in der Beweispflicht.

Ich behaupte, die Motivation des Judenversteckers besteht aus Elementen, die der Befriedigung von Bedürfnissen und Trieben dienen. Beweisen kann ich das natürlich nicht. Das überlasse ich den Hirnforschern. Aber ein Gegenbeweis wäre relativ einfach zu erbringen. Man müsste nur einen einzigen Fall nennen, wo zur Motivation auch noch andere Elemente als die genannten gehören. Du versuchst es:

AgentProvocateur hat geschrieben:Meine Vermutung wäre, (für bestimmte Fälle), die, dass es Leute gibt, die von sich selber abstrahieren können und somit auch die Bedürfnisse von anderen berücksichtigen können. Vielleicht haben sie bestimmte Vorstellungen darüber, was 'Gerechtigkeit', 'Konsistenz' und 'Gleicheit' bedeuten, die die die Leute im anderen Beispiel anscheinend nicht haben, bzw. das anders sehen.

Was mir hier noch fehlt ist das Element der Motivation. Wenn ich abstrahieren kann und anderer Leute Bedürfnisse berücksichtigen kann, dann sind das sprachlich erstmal "Fähigkeiten". Eine "Motivation" würde mir erklären, wieso ich das was ich kann dann auch wirklich tue! Also mal zu dem Fall des Judenversteckers: welche abstakten Gedanken oder sonstige rationale Denkleistungen führen aus welchen Gründen zu seinem (angeblich) altruistischen Verhalten?

AgentProvocateur hat geschrieben:Und Dein Modell kann somit gar nichts erklären, für Dein Modell ist jede Handung ein und dasselbe. Wieso siehst Du das nicht?

Mein Modell beschreibt das Prinzip. Insofern ist die Aussage richtig, dass es sich um eine Verallgemeinerung, eine Generalisierung handelt. Aber die bezieht sich nicht auf die Handlung, sondern auf die Kategorie der motivatorischen Elemente. Selbstverständlich ist in meinem Modell nicht jede Handlung ein und dasselbe. Dein Vorwurf ist daher Unsinn. Jede Handlung ist nichtmal durch dieselben Elemente motiviert. Mal sind es die Bedürfnisse A, B und C, mal sind es die Bedürfnisse C, D und E. Die einzige Verallgemeinerung: es sind immer Bedürfnisse und Triebe, und die Befriedigung derselben ist immer gut (aus Sicht des Belohnungssystems). Wie kommst du darauf, dass jede Handlung dasselbe wäre und dass unterschiedliche Handlungen von unterschiedlichen Menschen damit nicht erklärt werden? Man muss doch nur annehmen, dass jeder Mensch eine höchst unterschiedliche Konfiguration von Bedürfnissen und Trieben in höchst unterschiedlicher Stärke hat, und dass darüberhinaus noch jede Situation eine höchst unterschiedliche Teilmenge dieser Bedürfnisse tangiert. Daraus folgt für mich, dass jede Handlung unterschiedlich motiviert ist, je nachdem welcher Mensch in welcher Situation sie ausführt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Mir scheint es nun jedoch hier evident, dass Leute dazu fähig sind, rationale Argumente zu berücksichtigen, zu entscheiden ob ihrer Überlegungen.

Auch hier sprichst du wieder nur von einer Fähigkeit. Aber wieso ein rationales Argument eine Entscheidung beeinflusst, sagst du nicht. Ein Beispiel: ich weiß rational, dass das Trinken von starkem Gift zum Tode führt. Aber bevor ich dieses rationale Argument anwenden kann, muss ich mein Wissen bewerten. Ist es gut, wenn es zum Tode führt? Es ist nur dann nicht gut, wenn ich am Leben hänge. Hänge ich aus rationalen Gründen am Leben? Oder kommt man da nicht sofort in den Bereich des Überlebenswillens, der dann wieder ein Trieb ist? Ich wäre gespannt auf ein Beispiel von dir, für eine rationale Argumentation die im Bereich der Bewertung nicht letztendlich von Bedürfnissen und Trieben abhängt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Zeige mir eine einzige komplexe Handlung eines bestimmten Menschen, (zum Beispiel des Judenversteckers im Beispiel oben), und leite sie aus biologischen Gegebenheiten her, (reine Vermutungen und Behauptungen reichen mir nicht). Wenn Dir das gelingt, werde ich auch zum eliminativen Materialisten.

Angedeutet hatte ich das ja bereits. Hier also nochmal:
Beim Judenverstecker gibt es 13 relevante, biologische Faktoren, die in Summe zur Entscheidung führten, die Juden zu verstecken:
1) "Angst vor den Folgen bei Bekanntwerden" - Bremsfaktor mit Wert -15
Hier ist das Bedürfnis nach Angstfreiheit involviert.
2) Mitleid mit den versteckten Juden (die Vorstellung, was mit denen passiert, wenn sie entdeckt werden) - Profaktor mit Wert 25
Hier ist das Bedürfnis nach Leidvermeidung involviert.
3) Angst vor späteren moralischen Selbstvorwürfen - Profaktor mit Wert 13
Hier ist wieder das Grundbedürfnis nach Angstfreiheit involviert.
Die Faktoren 4 bis 13 sind alle so ähnlich gelagert mit jeweils absteigendem Wertebetrag.
Die Abwägung ergibt in totaler Summe 27, und daher versteckt der Judenverstecker die Juden.

Schade, dass das wieder nur Vermutungen und Behauptungen sind. Aber wie stellst du dir eigentlich eine solche Herleitung vor? Soll ich Hirnscanbilder vom Judenverstecker im Moment der Entscheidungsfindung vorlegen? Vielleicht könnte man empirisch vorgehen und untersuchen, ob es Judenverstecker gibt welche gleichzeitig als Soziopaten unfähig sind, Angst und Mitleid zu empfinden.

AgentProvocateur hat geschrieben:mal abgesehen davon, dass ich Deine Behauptung, (alle Handlungen seien auf ein Belohungszentrum im Gehirn zurückzuführen), für nicht belegbar, (wie könnte man die Behauptung übrigens falsifizieren?)

Mir scheint, dass du die ganze Zeit "nicht falsifizierbar" meinst, wenn du von Tautologie sprichst. Ich finde, es ist aber weder noch. Eine Tautologie ist ja immer wahr, aber wieso sollte das für meine Behauptung gelten? Wenn du einen Handlungsgrund nennen kannst, der nicht auf einen biologischen Trieb oder einem Bedürfnis beruht, dann ist meine Behauptung nicht länger wahr. Die Falsifizierung läge also dann vor, wenn du experimentell (oder hier im Forum als plausibles Gedankenexperiment) ein Beispiel für ein nicht biologisches Motivationselement liefern könntest. Mit deinem Beispiel vom abstrakten Argument hast du ja auch bereits einen ersten Ansatz geliefert, wo mir allerdings noch der Bezug auf die Motivation fehlte.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich schnalle immer noch nicht einmal im Ansatz, was Du Dir von Deiner Behauptung, die Du nicht belegen kannst, die Du Dir nur mal 'einfach so' mal schnell vorstellst, überhaupt für einen Nutzen versprichst.

Den Nutzen siehst du wirklich nicht? Die Fragen, die mit diesem Modell besser beantwortet werden können, haben wir in diesem Thread, besonders zu Anfang, aber doch schon gestreift: Sinnfindung, Selbstfindung und Relevanz und Natur von Dankbarkeit.
Oder vielleicht können Psychater und Therapeuten mit diesem Modell neue Wege finden, Handlungen von Menschen besser verstehen und innere Konflikte besser auflösen.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Di 3. Aug 2010, 21:03

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:mal abgesehen davon, dass ich Deine Behauptung, (alle Handlungen seien auf ein Belohungszentrum im Gehirn zurückzuführen), für nicht belegbar, (wie könnte man die Behauptung übrigens falsifizieren?)

Mir scheint, dass du die ganze Zeit "nicht falsifizierbar" meinst, wenn du von Tautologie sprichst. Ich finde, es ist aber weder noch. Eine Tautologie ist ja immer wahr, aber wieso sollte das für meine Behauptung gelten? Wenn du einen Handlungsgrund nennen kannst, der nicht auf einen biologischen Trieb oder einem Bedürfnis beruht, dann ist meine Behauptung nicht länger wahr. Die Falsifizierung läge also dann vor, wenn du experimentell (oder hier im Forum als plausibles Gedankenexperiment) ein Beispiel für ein nicht biologisches Motivationselement liefern könntest.

Nein, mit Tautologie meine ich nicht 'Falsifizierbarkeit', ich meine damit selbstverständlich, dass Du genau das als Schlussfolgerung herausbekommst, was Du als Prämisse(n) hineingesteckt hast ('egoistisch' ist alles, was jemand tut - also ist alles, was jemand tut, egoistisch). Und das ist dann nun mal tautologisch, zirkulär und somit ohne jegliche Relevanz. Man kann gar nichts weiter daraus folgern.

Und zusätzlich ist Deine These selbstimmunisierend, eine sogenannte 'closed theorie'.

Du musst nun ein wie auch immer geartetes hypothetisches Gegenbeispiel bringen können, das hypothetisch möglich wäre, (das jedoch niemals vorkommen kann). Kannst Du ein solches Gegenbeispiel nicht bringen, ist es prinzipiell denkunmöglich, das zu konstruieren, dann umfasst Dein Begriff 'egoistische Handlung' alle auch nur denkbaren Handlungen. Und dann ist er notwendigerweise ein sinnloser Begriff, das Wort 'egoistisch' kann dann zu dem Begriff 'Handlung' keine zusätzliche Bedeutung mehr hinzufügen. Und auf der anderen Seite gilt dann: Dein Begriff von 'Altruismus' ist dann notwendigerweise leer, er umfasst eine per se notwendigerweise leere Menge, ist denkunmöglich. Er ist demnach sinnlos, hat keine Bedeutung. Und logischerweise ergibt dann die Aussage 'Handlungen sind immer egoistisch, niemals altruistisch' auch keinen Sinn mehr. Es wäre auch vollkommen sinnlos, die Handlungen von Menschen auf dieser Basis verstehen zu wollen. Man kann gar nichts daraus schließen.

Siehe übrigens dazu auch dort: IEP.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Di 3. Aug 2010, 21:57

AgentProvocateur hat geschrieben:'egoistisch' ist alles, was jemand tut - also ist alles, was jemand tut, egoistisch

Verstehe ich nicht. Das ist ein Beispiel für zirkulär. Aber es ist weder tautologisch (immer richtig) noch nicht falsifizierbar. Ich habe eben "Tautologie" bei Wikipedia nachgelesen, zumindest jener Definition nach ist meine Behauptung nicht tautologisch.
Und meine Behauptung ist übrigens auch nicht das, was du da als simplen Zirkelschluss formulierst. Meine Behauptung ist doch im Wesentlichen, dass das Gehirn nur "egoistisch" kann WEIL im Gehirn nur Belohnungsmechanismen anzutreffen sind.
1) Das ist kein Zirkelschluss. Ich behaupte nicht die Gegenrichtung, dass im Gehirn nur Belohnungsmechanismen vorhanden seien WEIL das Gehirn nur egoistisch sein kann. Der Hirnforscher findet einen strukturellen Zustand des Hirns vor und daraus ergibt sich dann das Verhalten. Nicht umgekehrt.
2) Das ist falsifizierbar: die Nennung einer echten altruistischen Handlung würde genügen.

Der von dir verlinkte Artikel enthält folgende Stelle:
    On this point, psychological egoism’s validity turns on examining and analyzing moral motivation. But since motivation is inherently private and inaccessible to others (an agent could be lying to herself or to others about the original motive), the theory shifts from a theoretical description of human nature–one that can be put to observational testing–to an assumption about the inner workings of human nature: psychological egoism moves beyond the possibility of empirical verification and the possibility of empirical negation (since motives are private), and therefore it becomes what is termed a “closed theory.”
Motivationen sind naturgemäß privat und unerforschbar? Weil Versuchspersonen lügen könnten? So ein Unfug. Noch nie etwas von den ganz normalen Methoden der Verhaltensforscher gehört? In vielen Tests wissen die Testkandidaten überhaupt nicht, und können gar nicht wissen, was da gerade in Wirklichkeit abgefragt wird. Somit können sie den Test gar nicht zielgerichtet verfälschen. Und selbst wenn aus irgendeinem Grund ein Testkandidat den Test mal sabotieren möchte, dann rechnet sich das in der Menge der Kandidaten sicher irgendwann wieder raus. Es ist völliger Unsinn, hier auf prinzipielle Unerforschbarkeit zu schließen und von einer "closed therory" zu faseln. Prinzipielle Unerforschbarkeit gilt sicher für den Aufenthaltsort von Quanten oder so was. Aber beim menschlichen Gehirn ist das Gerede von Unerforschbarkeit doch einfach nur wissenschaftsfeindliche Ignoranz.

AgentProvocateur hat geschrieben:Du musst nun ein wie auch immer geartetes hypothetisches Gegenbeispiel bringen können, das hypothetisch möglich wäre, (das jedoch niemals vorkommen kann).

Denkbar wäre ein Gehirn, dass Entscheidung von irrelevanten Faktoren abhängig macht. Beispielsweise würde ein solches Gehirn immer dann einen Arm heben wollen wenn der Blutzuckerspiegel unter einen gewissen Wert fällt. Das wäre relativ unklug und ist deshalb von der Evolution vermutlich längst eleminiert worden, aber es wäre denkbar. Und obwohl der Blutzuckerspiegel nichts damit zu tun hat, ob die Armmuskeln den Arm heben oder nicht, würde das so in diesem Gehirn verdrahtet sein, es würde 'funktionieren'. Wenn wir uns darauf einigten, dass Armbewegungen keinen Einfluss auf die Regulierung des Blutzuckerspiegels haben, dann wäre der beschriebene Wirkmechanismus eine Selbstlosigkeit. Der Mensch täte etwas, ohne dass es ihm etwas nützte. Er handelte dann ein Stück weit selbstlos. (Man könnte sich künstlich ein Szenario überlegen, bei dem der erhobene Arm sogar anderen Menschen nützt und damit der Tatbestand des Altruismus erfüllt wäre).
Ich behaupte nicht, dass solche unsinnigen Mechanismen im Gehirn niemals vorkommen können. Ich vermute lediglich wegen der Evolution und Selektion und so, dass es im heutigen Menschen zumindest keine solchen eklatanten Dummheiten gibt.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 4. Aug 2010, 00:04

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:'egoistisch' ist alles, was jemand tut - also ist alles, was jemand tut, egoistisch

Verstehe ich nicht. Das ist ein Beispiel für zirkulär. Aber es ist weder tautologisch (immer richtig) noch nicht falsifizierbar. Ich habe eben "Tautologie" bei Wikipedia nachgelesen, zumindest jener Definition nach ist meine Behauptung nicht tautologisch.
Und meine Behauptung ist übrigens auch nicht das, was du da als simplen Zirkelschluss formulierst. Meine Behauptung ist doch im Wesentlichen, dass das Gehirn nur "egoistisch" kann WEIL im Gehirn nur Belohnungsmechanismen anzutreffen sind.

Ein Zirkelschluss ist dasselbe wie eine Tautologie.

Und Deine Behauptung ist tautologisch, solange Du nicht den 'Belohnungsmechanismus' unabhängig von der Entscheidung definierst, ('wenn eine Entscheidung, dann auch die größtmögliche Belohnung').

Weil im Gehirn ein Belohnungsmechanismus alles steuert, wird alles durch Belohnungsmechanismen gesteuert. Und weil alles durch Belohungsmechanismen gesteuert wird, und die größte Belohnung sich immer durchsetzt, kann man nie etwas tun, was nicht maximal belohnt wird. Und weil alles, was maximal belohnt wird, egoistisch ist, folgt, dass alles, was man tut, egoistisch ist.

Entweder bringst Du Belege dafür, oder, wenn das per definitonem so sein soll, dann ist das ist zirkulär, tautologisch, tut mir leid.

Bringe Belege von Hirnforschern, die was anderes sagen und das belegen können, (reine Behauptungen finde ich hier ungut, die reichen mir nicht).

Aber vorher musst Du Deine Definitonen von 'egoistisch' und 'altruistisch' mal darlegen. Dann werden die empirischen Belege sich sicher erübrigen, dann wird klar, dass die tautologisch sind.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Du musst nun ein wie auch immer geartetes hypothetisches Gegenbeispiel bringen können, das hypothetisch möglich wäre, (das jedoch niemals vorkommen kann).

Denkbar wäre ein Gehirn, dass Entscheidung von irrelevanten Faktoren abhängig macht. Beispielsweise würde ein solches Gehirn immer dann einen Arm heben wollen wenn der Blutzuckerspiegel unter einen gewissen Wert fällt. Das wäre relativ unklug und ist deshalb von der Evolution vermutlich längst eleminiert worden, aber es wäre denkbar. Und obwohl der Blutzuckerspiegel nichts damit zu tun hat, ob die Armmuskeln den Arm heben oder nicht, würde das so in diesem Gehirn verdrahtet sein, es würde 'funktionieren'. Wenn wir uns darauf einigten, dass Armbewegungen keinen Einfluss auf die Regulierung des Blutzuckerspiegels haben, dann wäre der beschriebene Wirkmechanismus eine Selbstlosigkeit. Der Mensch täte etwas, ohne dass es ihm etwas nützte. Er handelte dann ein Stück weit selbstlos. (Man könnte sich künstlich ein Szenario überlegen, bei dem der erhobene Arm sogar anderen Menschen nützt und damit der Tatbestand des Altruismus erfüllt wäre).
Ich behaupte nicht, dass solche unsinnigen Mechanismen im Gehirn niemals vorkommen können. Ich vermute lediglich wegen der Evolution und Selektion und so, dass es im heutigen Menschen zumindest keine solchen eklatanten Dummheiten gibt.

Ja, na gut, damit hast Du mir natürlich Wasser auf meine Mühlen gegeben.

Ich behaupte jetzt einfach mal: alle Handlungen sind altruistisch.

Bei allen Handlungen, die nicht altruistisch sind, ist das Gehirn kaputt.

Dann handelt es nach irrelevanten Faktoren. Weil ja per definitionem nur die Faktoren relevant sind, die Altruismus hervorrufen. Alle anderen Faktoren, die auf einem kaputten Gehirn beruhen, sind also 'unsinnig'. Weil der Sinn ja darin besteht, (einfach per definitonem), altruistisch zu handeln.

Das ist nun eine komplett immunisierte These, die Du nicht widerlegen kannst. So wie Deine auch.

Bringe bitte ein Beispiel für eine hypothetische reflektierte Entscheidung, die nach Deiner Definition von 'Altruismus' altruistisch ist. Damit Du nicht einen per se leeren Begriff verwendest.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Mi 4. Aug 2010, 19:32

AgentProvocateur hat geschrieben:Ein Zirkelschluss ist dasselbe wie eine Tautologie.

Du irrst dich.

Wikipedia zum Zirkelschluss:
    "Ein Zirkelschluss ... ist der Versuch, eine Aussage durch Deduktion zu beweisen, indem die Aussage selbst als Voraussetzung verwendet wird."

Wikipedia zur Tautologie:
    "Eine Tautologie ... ist in der Logik eine allgemein gültige Aussage, das heißt eine Aussage, die aus logischen Gründen immer wahr ist. Beispiele für Tautologien sind Aussagen wie 'Wenn es regnet, dann regnet es' und 'Alle Schweine sind Schweine'."

AgentProvocateur hat geschrieben:Weil im Gehirn ein Belohnungsmechanismus alles steuert, wird alles durch Belohnungsmechanismen gesteuert. Und weil alles durch Belohungsmechanismen gesteuert wird, und die größte Belohnung sich immer durchsetzt, kann man nie etwas tun, was nicht maximal belohnt wird. Und weil alles, was maximal belohnt wird, egoistisch ist, folgt, dass alles, was man tut, egoistisch ist.

Deinen Versuch, meine Behauptung mit künstlich eingefügten Zirkularien als Zirkelschluss erscheinen zu lassen, finde ich nicht sehr gelungen. Man streiche einfach die unsinnige Redundanz und erhalte dann wieder eine vernünftige Behauptung, die ich dann auch wieder unterschreiben könnte:
    "Weil im Gehirn ein Belohnungsmechanismus alles steuert ... und die größte Belohnung sich immer durchsetzt, kann man nie etwas tun, was nicht maximal belohnt wird. Und weil alles, was maximal belohnt wird, egoistisch ist, folgt, dass alles, was man tut, egoistisch ist."
Und das ist weder tautologisch noch zirkulär.

Zirkulär wäre es, wenn das Ende wiederum die Voraussetzung am Anfang wäre. Ist aber nicht der Fall.
Tautologisch wäre es, wenn die Behauptung logisch immer wahr wäre. Ist sie aber nicht (z.B. falls im Gehirn ein Belohnungsmechanismus nicht alles steuert).

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber vorher musst Du Deine Definitonen von 'egoistisch' und 'altruistisch' mal darlegen. Dann werden die empirischen Belege sich sicher erübrigen, dann wird klar, dass die tautologisch sind.

Ich fand deine Definition im anderen Thread nicht schlecht. Egoistisch ist demnach eine Handlung dann, wenn sie mehr Vorteile als Nachteile für den Handelnden bringt (bzw. er vorher glaubt, dass dies so ist). Altruistisch ist eine Handlung dann, wenn sie mehr Nachteile als Vorteile (mehr Kosten als Nutzen) für den Handelnden bringt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich behaupte jetzt einfach mal: alle Handlungen sind altruistisch. Bei allen Handlungen, die nicht altruistisch sind, ist das Gehirn kaputt.

Ich nehme an, die überwiegende Mehrzahl der täglichen Handlungen eines beliebigen Menschen sind nach unserer Definition egoistisch. Wenn es altruistische Handlungen gäbe, wie du behauptest, so wären wir uns hoffentlich einig, dass sie eher in der Minderzahl sind. Du behauptest nun also, dass das Gehirn die meiste Zeit kaputt ist? Das finde ich wenig plausibel angesichts der Realität.

Ich sollte mein hypothetisches Beispiel für Altruismus doch deshalb nennen, damit du nicht länger glauben musst, mein Altruismus-Begriff wäre leer.
AgentProvocateur hat geschrieben:Kannst Du ein solches Gegenbeispiel nicht bringen, ist es prinzipiell denkunmöglich, das zu konstruieren, dann umfasst Dein Begriff 'egoistische Handlung' alle auch nur denkbaren Handlungen. Und dann ist er notwendigerweise ein sinnloser Begriff

Was soll jetzt dein Gegen-Gegenbeispiel? Worauf wolltest du damit hinaus? Willst du damit vorauseilend zeigen, dass auch dein Egoismus-Begriff nicht leer ist?

Mir scheint es, als sei mein Modell, demzufolge es praktisch nur egoistische Handlungen gibt, in der Lage, die Motivation aller bisher von dir genannten kniffligen Fälle zu erklären (natürlich nur im Gedankenexperiment). Ein kniffliger Fall war ja zum Beispiel der Judenverstecker. Dein Modell, in dem es altruistische Handlungen gibt, konnte die Motivation bisher noch nicht erklären. Dein Hinweis auf abstrakte Gedanken erschien mir zumindest nicht schlüssig. Kommt da noch was von dir oder darf ich vermerken, dass mein Modell die Realität erklären kann und deines eher Rätsel aufgibt?
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 26. Nov 2011, 19:37

Also, man kann schon das Verhalten des Menschen auf die Suche nach Befriedigung bestimmter Triebe reduzieren. Diese Triebe münden aber in Motive, in Argumente und dann in Entscheidungen. Diese können dann sehr stark von den ursprünglichen Motiven abweichen. Diejenigen, die für ihre Überzegungen sterben, glauben selten, dass sie das wirklich tun( Himmel :segen: ), oder beabsichtigen es einfach nicht. Der Mensch ist meistens nämlich nicht fähig, eine gewisse Endgültigkeit zu akzeptieren.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 26. Nov 2011, 21:35

Interessante Diskussion.

ganimed und Nanna, ihr macht beide hier im kleinen Rahmen den gleichen Fehler wie Gerhard Roth im großen Rahmen (wobei ich ihm da auch eine gewisse (politische) Absicht unterstelle), „Grundlage“ und „Begründung“ gleichzusetzen. Das führt dann zu absurden Behauptungen, dass Verhalten irgendwie biologisch determiniert wäre (oder noch schlimmer, das Gehirn würde dies das oder jenes tun, wollen, denken oder konstruieren). Natürlich hat das Bewusstsein eine Biologische Grundlage. Natürlich sind Potentiale zu gewissen Verhaltensweisen genetisch gegeben. Aber was sagt das schon darüber hinaus aus? Bestimmt nicht irgendwas darüber, wie wir uns letztendlich in einer bestimmten Situation verhalten.
Problematisch finde ich, dass diese Verwechslung ganz schnell sogar zu einer Legitimierung von einer genetischen Auslese führen kann (sofern man dies nicht aus anderen moralischen Gründen generell ablehnt).

Ein weiterer Fehler ist der, anzunehmen, dass es irgendeinen Sinn oder Zweck im Gehirn gebe. Genausowenig gibt es einen evolutionären Zweck. Das anzunehmen wäre einfach Kreationismus ohne Gott. Gerade davon geht die Evolutionstheorie aber eigentlich weg. Es überlebt, was überlebensfähig ist, darüber hinaus gibt es keine Zweckmäßigkeit.
Es ist durchaus denkbar, dass eben nicht jedes Handeln den Zweck verfolgt, im Gehirn „belohnt“ zu werden (dass die Ausschüttung bestimmter Hormone als „Belohnung“ bezeichnet wird, ist nichts weiter als sprachliche Analogie, das sollte man auch dabei beachten). Der Mensch hat jedenfalls die erstaunliche Fähigkeit, Entscheidungen rational abzuwägen und ich denke durchaus, dass der Mensch, wie bei dem Beispiel mit den Juden, in der Lage ist, eine Tat zu vollbringen, wofür ihm sein Gehirn keine „Belohnung“ spendet, einfach weil diese Entscheidung ihm als sinnvoll erscheint. Ich denke, dass der Versuch, das Ganze in „Egoismus“ und „Altruismus“ einordnen zu wollen eher kontraproduktiv ist, weil das Ganze damit nur ein sprachliches Problem wird, was so nicht lösbar ist (das führt dann auch zu solchen Problemen wie das von ganimed angesprochene mit den Eltern, die meinen, sich für ihr Kind aufzuopfern, obwohl sie sich tatsächlich nur für sich selbst aufopfern – dies aber wiederum nicht bewusst wahrnehmen).

Würde es nur um „Belohnungen“ vom Gehirn gehen, wäre das beste, was ich tun könnte, einfach den ganzen Tag zu onanieren, mehr bräuchte ich dann gar nicht (außer Nahrung, Wasser und Atemluft natürlich).

stine hat geschrieben:Der Mensch strebt zuallererst nach Sicherheit und diese gibt ihm ein Glücksgefühl. Das fängt beim Baby an und ist später sicherlich nicht grundlegend anders. Was für den einzelnen Sicherheit bedeutet, ist abhängig von dem, was er an Erfahrung mitbringt.


Schöner Einwurf, den ich hier unbedingt noch mal aufgreifen muss. Im Prinzip hast Du damit den Kern der Sache ziemlich gut getroffen. Geboren zu sein bringt eine unglaubliche Unsicherheit mit sich, nachdem man den Mutterleib nun verlassen hat, wo man Schutz hatte und rundum versorgt wurde, ist man nun zum allerersten Mal auf sich selbst angewiesen. Das Gehirn bietet da absolut keine Sicherheiten, denn es ist erstmal mit völlig neuen Eindrücken gefordert. Natürlich braucht das Kind dann als allererstes Versprechungen, auch wenn es falsche Versprechungen sind, aber das Kind sollte als allererstes das Gefühl bekommen, es sei in Sicherheit, denn nur aus diesem Gefühl heraus wird es auch langsam die Selbstsicherheit entwickeln, die es braucht, um die Welt richtig entdecken zu können. Schlimm finde ich, dass es nach wie vor viele Ärzte gibt, die glauben, dass ein Neugeborenes zuerst geschlagen werden muss, weil es schreien soll (von wegen Atmung). Diese Vorstellung finde ich einfach abartig in solch einer Situation ist es ganz bestimmt das letzte, was ein Baby braucht. Damit fängt meines Erachtens das ganze Unheil in der Entwicklung schon an. Natürlich kann man diesen Schock und die anfangs fehlende Sicherheit ausgleichen, aber wie viele Eltern machen das (oder andere Menschen, die ein Mensch in seinem frühen Leben begegnet)? Viele Kinder kriegen weiterhin nur zu spüren, dass sie sich nach dem zu richten haben, was man denkt, was eine ordnungsgemäße Entwicklung wäre und klar, dafür sind dann Eltern auch sehr aufopferungswillig, wenn man das so nennen kann. Aber was ist mit der Geborgenheit und Empathie, die ein Mensch eigentlich für eine gesunde Entwicklung bräuchte? (Genau das ist ja auch mein Kritikpunkt an der Erziehung allgemein – Sicherheit, Geborgenheit und Empathie sind für mich keine Erziehung, sondern das Verknüpfen dieser Sachen an Bedingungen, die das Kind zuerst zu erfüllen hat, nenne ich Erziehung und das lehne ich ab. Warum sollte aber andererseits ein Mensch, der all das von seinen Eltern bekommt, sich negativ entwickeln, welchen Grund hätte solch ein Mensch zu destruktivem Verhalten?)
Eben gerade diese Nichtzweckmäßigkeit des Gehirns sorgt dafür, dass der Mensch nach Sicherheiten strebt. Was das Gehirn ihm nicht verspricht, das muss ihm ein anderer versprechen.
Und ja, ganz folgerichtig sorgen dann die gemachten Erfahrungen dafür, wie der weitere Weg aussieht und nach welchen Sicherheitsversprechungen gestrebt wird (denn echte Sicherheiten gibt es nicht wirklich, wenn man es genau nimmt).
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Myron » So 27. Nov 2011, 01:14

Teh Asphyx hat geschrieben:Schöner Einwurf, den ich hier unbedingt noch mal aufgreifen muss. Im Prinzip hast Du damit den Kern der Sache ziemlich gut getroffen. Geboren zu sein bringt eine unglaubliche Unsicherheit mit sich, nachdem man den Mutterleib nun verlassen hat, wo man Schutz hatte und rundum versorgt wurde, ist man nun zum allerersten Mal auf sich selbst angewiesen.


Es gibt auch keine vorgeburtlichen Sicherheiten im Leben, da auch einem Embryo oder Fötus etwas Negatives oder Destruktives widerfahren kann. Man kann bereits im Mutterleib unterversorgt, geschädigt, verletzt oder getötet werden.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Teh Asphyx » So 27. Nov 2011, 02:27

Myron hat geschrieben:Es gibt auch keine vorgeburtlichen Sicherheiten im Leben, da auch einem Embryo oder Fötus etwas Negatives oder Destruktives widerfahren kann. Man kann bereits im Mutterleib unterversorgt, geschädigt, verletzt oder getötet werden.

Und deswegen ist die Geburt also kein Schock?
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon mat-in » So 27. Nov 2011, 19:31

@AgentProvocateur
Jetzt nur jeden 2. Beitrag gelesen, aber was den "Zirkelschluß" der "Kosten-Nutzen-Rechnung" angeht:

Ganz so einfach ist es nicht. Es findet natürlich eine Kosten-Nutzen bewertung statt, die ist jedoch weniger mathematisch als man denken mag und die einzelnen Faktoren die man abwägt ändern ihre Gewichtung beispielsweise mit der Stimmung/Hormonhaushalt/Umfeld (zum Beispiel: bin ich wütend? ängstlich? betrunken?). Das ganze ist jedoch kein Zirkel, denn jedes mal nach einer Handlung werden - basierend auf den Folgen - die Gewichtungen und Bewertungen geändert. Lernen nennt man das :up:

@Teh Asphyx
Was die "biologische Grundlage" davon angeht: Es sind alles, ausschließlich biologische Vorgänge die da stattfinden. Wie die zu solchen Schlußfolgerungen führen wie "dann müssen wir genetische auslese betreiben" verstehe ich nicht ganz. Verwechselst du da erblich mit biologisch?
Einen Zweck hat unser Gehirn ebenfalls (sonst würden wir uns wohl kaum so einen großen Klumpen energiefressende masse leisten, oder?). Es sorgt dafür, das man seine Umwelt wahrnehmen, bewerten und dem angepaßt und mit Erfahrung geplant handeln kann. Ob das ganze jetzt auf evolutionäre Zeiträume gesehen vorteilhaft ist? Ich wage es zu bezweifeln, wir sind ja gerade dabei auszusterben.
Für die erstaunlichen Fähigkeiten jenseits dessen was dein Gehirn für gut hält Entscheidungen zu treffen hätte ich gerne einen Beleg, ich denke nicht, daß wir jemals auch nur eine einzige Handlung durchführen die unser Gehirn nicht als die beste Möglichkeit bewertet hat (das gilt auch im Fall von Reflexen, da ist die Bewertung" der situation nur entsprechend kurz, einfach aber dafür schnell).
Ich finde das von dir angeführte "Streben nach Sicherheit" ist eigentlich ein "Vermeiden von Ungewißheit, Gefahr, Unsicherheit" und damit ganz großartig im Biologischen bewertungsystem verankert. Das kannst du sogar den meisten Einzellern beibringen, was zu vermeiden.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Teh Asphyx » So 27. Nov 2011, 21:18

mat-in hat geschrieben:@Teh Asphyx
Was die "biologische Grundlage" davon angeht: Es sind alles, ausschließlich biologische Vorgänge die da stattfinden. Wie die zu solchen Schlußfolgerungen führen wie "dann müssen wir genetische auslese betreiben" verstehe ich nicht ganz. Verwechselst du da erblich mit biologisch?


Nein, wenn man das auf eine nicht-dualistische Weise betrachtet, ist das ja völlig richtig. Jeder Gedanke ist ein biologischer Prozess im Gehirn, das ist klar. Nur kommen eben Leute wie Gerhard Roth dadurch auf Schwachsinnsbehauptungen von wegen das Biologische würde das Geistige determinieren (heißt also, dass er das dualistisch betrachtet, aber mein, das materielle sei allein ausschlaggebend).
Sollte ich Dir eine runterhauen, dann hat das nicht den Grund, dass in meinem Gehirn gerade ein bestimmter Prozess stattgefunden hat, sondern vor allem erstmal den, dass irgendwas an Deinem Verhalten (tut mir leid, total blödes Beispiel, nicht persönlich nehmen bitte!) mich wütend gemacht hat. Dass diese Wut und die Reaktion dann im Gehirn messbar sind, das ist nun wirklich keine Wahnsinnserkenntnis. Aber das dieser Prozess im Gehirn alleine die Tat determinieren soll, halte ich für Schwachsinn. Es ist nicht der Prozess im Gehirn, der zum Gedanken führt, sondern der Prozess im Gehirn ist der Gedanke.

mat-in hat geschrieben:Einen Zweck hat unser Gehirn ebenfalls (sonst würden wir uns wohl kaum so einen großen Klumpen energiefressende masse leisten, oder?).
Es sorgt dafür, das man seine Umwelt wahrnehmen, bewerten und dem angepaßt und mit Erfahrung geplant handeln kann. Ob das ganze jetzt auf evolutionäre Zeiträume gesehen vorteilhaft ist?


Warum nicht? Wir sind überlebensfähig, weil wir ein Gehirn haben, aber das heißt noch lange nicht, dass wir ein Gehirn haben um überlebensfähig zu sein. Es sei denn, man glaubt an irgendeine Schöpfung.

mat-in hat geschrieben:Ich wage es zu bezweifeln, wir sind ja gerade dabei auszusterben.


Sehr optimistisch, aber ich fürchte, der Planet muss uns noch etwas länger ertragen. Unkraut vergeht nicht.

mat-in hat geschrieben:Für die erstaunlichen Fähigkeiten jenseits dessen was dein Gehirn für gut hält Entscheidungen zu treffen hätte ich gerne einen Beleg, ich denke nicht, daß wir jemals auch nur eine einzige Handlung durchführen die unser Gehirn nicht als die beste Möglichkeit bewertet hat (das gilt auch im Fall von Reflexen, da ist die Bewertung" der situation nur entsprechend kurz, einfach aber dafür schnell).


Was mein Gehirn für gut hält ist, dass es Sauerstoff bekommt, damit es arbeiten kann. Natürlich wäge ich in einer solchen Situation wie mit den Juden ab, was das beste ist, aber ich wäge nicht unbedingt ab, was das beste für mich ist und es muss nichts mit dem „Belohnungssystem“ zu tun haben. Manchmal ärgere ich mich sogar über eine Entscheidung, die ich treffe und treffe sie aber trotzdem jemand anderes zuliebe.

mat-in hat geschrieben:Ich finde das von dir angeführte "Streben nach Sicherheit" ist eigentlich ein "Vermeiden von Ungewißheit, Gefahr, Unsicherheit" und damit ganz großartig im Biologischen bewertungsystem verankert. Das kannst du sogar den meisten Einzellern beibringen, was zu vermeiden.


Das Bewertungssystem ist aber nicht das Belohnungssystem. Also denkst Du, dass es eher daraus hinausläuft, dass man die Ausschüttung von mit Angst verbundenen Hormonen vermeiden möchte, als dass die hypothetische Situation „Sicherheit“ Glückshormone ausschüttet, nach denen man strebt? Jedenfalls würde ich die Negativformulierung so deuten.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Mo 28. Nov 2011, 22:40

Teh Asphyx hat geschrieben:ich denke durchaus, dass der Mensch, wie bei dem Beispiel mit den Juden, in der Lage ist, eine Tat zu vollbringen, wofür ihm sein Gehirn keine „Belohnung“ spendet, einfach weil diese Entscheidung ihm als sinnvoll erscheint.

Ich finde deine Differenzierung verwirrend und recht willkürlich. Das Gefühl zu haben, etwas sinnvolles getan zu haben, ist doch auch eine Belohnung. Es bleibt also auch in diesem Beispiel dabei: der Antrieb für Handlungen ist immer die Belohnung.

Teh Asphyx hat geschrieben:Würde es nur um „Belohnungen“ vom Gehirn gehen, wäre das beste, was ich tun könnte, einfach den ganzen Tag zu onanieren, mehr bräuchte ich dann gar nicht (außer Nahrung, Wasser und Atemluft natürlich).

Wenn das also das beste wäre, wieso, denkst du, tun wir es dann nicht? Ich wette, die Gründe, wieso wir es nicht tun, haben alle und ausnahmslos mit noch mehr Belohnung zu tun.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Teh Asphyx » Mo 28. Nov 2011, 22:50

Ich wittere einen eingebauten Immunisierungsmechanismus. Deswegen gebe ich AgentProvocateur auch völlig recht, das mit der Belohnung macht uns nicht schlauer als vorher.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon ganimed » Mo 28. Nov 2011, 22:58

Das mit der Belohnung finde ich schon sehr erhellend. Es führt zu einem Modell der menschlichen Motivation, die viele Verhaltensweisen besser erklärt als dein Postulat: "Der Mensch hat jedenfalls die erstaunliche Fähigkeit, Entscheidungen rational abzuwägen".
Man versteht einfach besser, wieso Menschen das tun was sie tun, wenn man davon ausgeht, dass ihre Fähigkeit für rationale Entscheidungen stark eingeschränkt und in fast allen Fällen unterbewusst und irrational eingefärbt ist.
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Re: Utilitarismus und Präferenzutilitarismus

Beitragvon Nanna » Mo 28. Nov 2011, 23:02

Teh Asphyx hat geschrieben:Natürlich wäge ich in einer solchen Situation wie mit den Juden ab, was das beste ist, aber ich wäge nicht unbedingt ab, was das beste für mich ist und es muss nichts mit dem „Belohnungssystem“ zu tun haben. Manchmal ärgere ich mich sogar über eine Entscheidung, die ich treffe und treffe sie aber trotzdem jemand anderes zuliebe.

Angst vor Strafe, Wissen um soziale Konventionen, Hoffnung auf späteres Revanchieren der Anderen? Inwiefern passt das nicht ins Schema?

Ich verstehe nicht so recht, wie das Gehirn jemals etwas anderes tun könnte, als das in der Summe der genetischen Vorgaben (des im "Räderwerk" Gehirn möglichen sozusagen), des Erlernten und der unmittelbaren unterbewussten wie bewussten Abwägung Naheliegendste. Letztlich geht es vielleicht nicht so sehr um "Belohnungen" oder "puren Egoismus", das lasse ich hier mal als semantische Feinheiten unter den Tisch fallen, sondern in allererster Linie darum, dass dem Gehirn ein rationaler Mechanismus zugrundeliegt. Damit ist nicht irgendein platter Behaviourismus gemeint. Das Gehirn ist ein Netzwerk von Netzwerken, die sich alle irgendwie gegenseitig anstoßen und als Ganzes (der Begriff Emergenz fiel ja schon) so zusammenarbeiten, dass im Durchschnitt des individuellen Lebens und vor allem im Durchschnitt der Handlungsergebnisse aller an der Evolution beteiligten Individuen ein Vorteil für das betreffende Individuum herausspringt. Es ist sicherlich möglich, dass ein Individuum objektiv(er) gesehen unvorteilhaft für sich selbst handelt (was, in deinem Fall, von Teilen der/der Hirnnetzerke(s) "bestraft" wird bzw. wogegen von diesen Teilen angegangen wird), aber aus der subjektiven Sichtweise MUSS ein wie auch immer geartetes verfolgenswertes Ziel erkannt worden sein - oder es liegt ein simpler Rechenfehler vor, was, da das Hirn als Analogrechner nicht streng deterministisch funktioniert, anders als der PC, auf dem ich schreibe, gar nicht mal so unwahrscheinlich ist.
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