Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon ujmp » Sa 5. Feb 2011, 14:29

Ok, ich nehme andere Beispiele: Der Gleichgewichtssinn wird nicht erlernt, er ist eine angeborene Theorie der Schwerkraft. Das Farbensehen ist ebenso angeboren, es stellt eine Theorie der elektromagnetischer Wellen dar. Das Sehen überhaupt und überhaupt alle Sinne. Das Gebiss ist eine Theorie, über das, was der Mensch zu essen bekommt und die Lunge eine Theorie über den Sauerstoffgehalt der Luft und den Sauerstoffbedarf des Organsimus. usw.

Dass diese Theorien formbar sind und jeder möglicherweise seine eigene hat, besagt nur, dass diese Theorien wahrscheinlich "falsch" sind. Es sind eben nur Modelle. Es besagt aber nicht, dass sie nicht angeboren sind.

Der Vorstellung eines Gegenstandes - so Kant - geht eine Raumvorstellung voraus. Kausalität setzt eine Zeitvorstellung voraus. Dagegen kann man sicher Einwände erheben, aber auf irgend einer Ebene wird man dann doch haltmachen müssen und anerkennen, dass wir auf hardwarebedingte Vorstellungen angewiesen sind. Wenn man sagt, dies sei alles erlernt, dann ist die Frage ob auch das Erlernen erlernt ist usw. Andererseits gibt es viele Belege dafür, dass sogar soziale Verhaltensweisen angeboren sind. Es gibt jede Menge sogenannte Instinkte.

Es ist m.E. bemerkenswert, dass die gesamte Physik auf Erklärungen mit Hilfe der Größen Masse, Raum und Zeit zrückgreift, und wirklich alles über diese simplen strukturellen Vorstellungen beschreibt. Ich tippe daher, das diese paar Vorstellungen nur Notbehelf sind. Es sind die drei Tentakel, mit denen wir uns am Felsen festklammern, und "Wahrheit" ist die Tatsache, dass wir noch nicht fortgerissen wurden.
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon mat-in » Sa 5. Feb 2011, 18:28

Grotemson hat geschrieben:
Dissidenkt hat geschrieben:Raum- und Zeitvorstellung und auch das Ich sind nicht angeboren, sondern erlernt, kulturell interpretiert, individuell unterschiedlich und so plastisch, also veränderbar, wie unser Gehirn generell.

Kant widerspricht.

Kant sagt gar nichts mehr, würde aber sicher etwas anderes sagen, wenn er nicht schon eine ganze Weile tot wäre und die neuen Erketnisse zur verfügung hätte.

Unser Gehirn hat sicherlich "fertig eingerichtete" Systeme. Wir können den Mix von drei unterschiedlichen Lichtrezeporen wahrnehmen, allerdings ordnen wir den Erregungszuständen erlernte Farbwörter zu. Wir haben einen tageszyklus in gleich mehreren Inneren Uhren über den ganzen Körper verteilt, aber das generiert ein vollkommen Subjektives Zeitgefühl, abhängig davon, wieviel los ist um uns herum, was unser Stoffwechsel gerade so zu tun hat, und so weiter. Wir lernen erst die Uhrzeiten und eine absolute, physikalisch meßbare Größe zu packen und zu benennen.

Es gibt sher interessante Untersuchungen, die Sprachen vergleichen, zum Beispiel unsere relativen und bildlichen Richtungsbegriffe (Zukunft liegt vorne, Vergangenheit hinter uns, etwas ist links oder recht von etwas anderem, norden ist oben) mit Sprachen in denen das nicht so ist. Es gibt einige Sprachen, in denen man durchaus sagt "Onkel Heiner sitzt nördlich von Tante Frieda", was auch erstaunliche Auswirkungen auf den Orientierungssinn und das Denken dieser Menschen hat. Sie sortieren zum Beispiel Bilderserien eines Ablaufes Zeitlich, aber von ost nach west, nicht von links nach rechts, egal, wie sie gerade sitzen.

Aus diesem Komplex aus angeborenen Wahrnehmungs und Verarbeitungsystemen und erlernten Wegen das ganze zu benennen und zu reagieren auf "reine Wahrheiten" zu schließen ist... nicht ganz einfach. Man mu erst mal gelernt haben, das in Worte zu kleiden und zu deuten.
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon ujmp » Sa 5. Feb 2011, 19:12

Nehmen wir mal das Farbensehen: Es ist angeboren, was man lernt ist lediglich die Verständigung darüber. Wie man etwas nennt ist Software. Aber ob ein Mensch zwei Gegenstände als "gleichfarbig" ansieht, das ist von seiner Hardware abhängig. Es gibt Menschen, die bestimmte Farbanteile nicht wahrnehmen können, weil es ihre Hardware nicht zulässt, sie sind "farbenblind". Sie sehen u.U. Gegenstände als gleichfarbig an, die sich für Normalsichtige deutlich unterscheiden. Wenn man aber eine Differenz nicht wahrnimmt, nimmt man gar nichts wahr. So komplex die menschliche Wahrnehmung auch sein mag, sie hat logisch die selbe Beschränkung wie im Detail das Farbensehen. Die ganze Physik hat genau so viel - und so wenig!- Realität, wie die Farbe "rot". Rot entsteht erst im Auge und Physik erst im Gehirn.

Was sagt uns das?: Es gibt Hoffnung, dass wir die Welt falsch verstehen! :mg:
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon Grotemson » Sa 5. Feb 2011, 22:22

mat-in hat geschrieben:Kant sagt gar nichts mehr, würde aber sicher etwas anderes sagen, wenn er nicht schon eine ganze Weile tot wäre und die neuen Erketnisse zur verfügung hätte.

Auf keinen Fall. Die Raum- und Zeitargumente in der Ästhetik funktionieren vollkommen unabhängig von irgendwelchen neuen Erkenntnissen.
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon Mark » So 6. Feb 2011, 00:17

Grotemson hat geschrieben:Die Raum- und Zeitargumente in der Ästhetik funktionieren vollkommen unabhängig von irgendwelchen neuen Erkenntnissen.


Also das fände ich aber unschön.. :lachtot:

Die Frage ist ob nicht neue Argumente hinzukommen !
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon ganimed » So 6. Feb 2011, 14:09

Natürlich können Physiker nur das denken und sagen, was als Denkstruktur vom Gehirn vorgegeben wird. Zwei Argumente deuten aber darauf hin, dass wir mit diesem möglicherweise sehr eingeschränkten Werkzeug Gehirn der Wahrheit doch sehr nahe sind.
1) Unser Gehirn hat sich in der wahren Welt entwickelt. Wenn wir nur streng kausal denken können, dann bestimmt deshalb, weil es (zumindest in unserer Alltagswelt) auch nur kausal zugeht. Die sorgfältige, schrittweise Entwicklung des Gehirns unter Selektionsdruck ist ein gewisser Garant für die Alltagstauglichkeit der verankterten Denkstrukturen.
2) Die von den Physikern gebauten (oder erklärten) Geräte funktionieren wirklich. Wenn beim GPS-Verfahren einsteinisch unterschiedlich schnelle Zeiten berücksichtigt werden und ich mich trotzdem nicht verfahre, dann scheint da doch ein Körnchen Wahrheit dran zu sein. Und wenn wir die Farbe rot einer Wellenlänge zuordnen und lückenlos ein Wellenlängenspektrum in der Welt durch die unterschiedlichsten Apparaturen nachweisen können, dann scheint mir das ziemlich abgesicherte Realität zu sein.

Unsere Hirn-Hardware muss in der Tat nicht zu den richtigen Ergebnissen kommen. Aber die Abweichung von der wahren Wahrheit, darauf wette ich, ist inzwischen sehr sehr klein.
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon mat-in » So 6. Feb 2011, 14:15

Grotemson hat geschrieben:Die Raum- und Zeitargumente in der Ästhetik funktionieren vollkommen unabhängig von irgendwelchen neuen Erkenntnissen.

Das tut die Euklidsche Geometrie auch, sie ist auch nicht "falsch" oder "wiederlegt" nur ist auch diese nicht der Weisheit letzter Schluß, wenn es um Raum und Körper geht. Man kann natürlich einen frei gewählten Zeitpunkt in der Geschichte festlegen, ab dem man alle Erkentniss ablehnt, das bringt einen aber - im wahrsten Sinne - nicht weiter.
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon Grotemson » Di 8. Feb 2011, 18:30

Mark hat geschrieben:Also das fände ich aber unschön..

Das kann ich mir vorstellen.

Die Argumente in der Ästethik sind transzendentale Argumente, d.h. sie zielen auf die Bedingungen der Möglichkeit jeder räumlichen Vorstellung, sei das nun Raumzeit, euklidischer oder sonst ein Raum(zum Beispiel irgendein gekrümmter, in dem die Winkelsumme des Dreiecks nicht 180 Grad hat). Ob neue Erkenntnisse über neue Räume und Arten Raum zu konstruieren hinzukommen, ist für sie daher irrelevant. Genauso verhält es sich mit den Zeit-Argumenten(und erstaunlich vielen anderen in der Kritik...).

p.s. mat-in, du sprichst mit einem Strohmann: Ich lehne keineswegs "alle Erkenntnis" ab einem Punkt in der Geschichte ab, ich bestreite nur ihre Relevanz was Argumente bezüglich der Bedingung der Möglichkeit zu Erfahrung und damit Erkenntnis betrifft.
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon mat-in » Di 8. Feb 2011, 18:33

Unumstößliche, wahrnehmbare Schönheit? Schönheit ist immer Subjektiv.
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon Grotemson » Di 8. Feb 2011, 20:21

(Verwirrtes Smiley, das es nicht gibt)
Bezieht sich der Beitrag auf meinen Beitrag?
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon Mark » Di 8. Feb 2011, 22:53

Grotemson hat geschrieben:Die Argumente in der Ästethik sind transzendentale Argumente..


Aus welcher Lehre stammt denn das ? Und wo ist da der logische Zusammenhang bzw der Ansatz eine Theorie zu falsifizieren ?
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon Grotemson » Di 8. Feb 2011, 23:40

Kant. Kritik der reinen Vernunft.

Dir ist schon klar, dass du dein Falsifikationskriterium, so schön es auch ist, nicht einfach vogelwild auf alle Theorien anwenden kannst, die dir so über den Weg laufen, oder? Vor allem, wenn du damit wirklich starke popperianische Falsifizierbarkeit meinst- die hat es nämlich in sich, wenn man sich mal die Mühe macht, sie näher zu betrachten.
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon mat-in » Di 8. Feb 2011, 23:52

Es war ja nur eine Frage, ob es da einen festen Zeitpunkt gibt. Wenn man gezielt das ablehnt was einem nicht paßt und das in den Vordergrund stellt was irgend wie hin paßt wirkt das eben komisch.
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon Mark » Di 8. Feb 2011, 23:58

Ich wundere mich oft auf welcher Grundlage manche Leute noch intellektuelle Schlachten schlagen, wenn sie sich doch schon längst von jedweder Möglichkeit sachlicher Herangehensweise entfernt haben. Was nützt eine derart "metaphysische" Diskussion ? Sie hat doch von vorneherein keine verwertbaren Ergebnisse, zu welchen Erkenntnissen soll uns das geleiten ? Manchmal ist Philosophie wie auf dem Rücken zu liegen und mit den Beinen in der Luft zu laufen..
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon Grotemson » Mi 9. Feb 2011, 00:23

Mark hat geschrieben:Ich wundere mich oft auf welcher Grundlage manche Leute noch intellektuelle Schlachten schlagen, wenn sie sich doch schon längst von jedweder Möglichkeit sachlicher Herangehensweise entfernt haben. Was nützt eine derart "metaphysische" Diskussion ? Sie hat doch von vorneherein keine verwertbaren Ergebnisse, zu welchen Erkenntnissen soll uns das geleiten ? Manchmal ist Philosophie wie auf dem Rücken zu liegen und mit den Beinen in der Luft zu laufen..

Ich war auch einige Zeit sehr strenger Popperianer, aber Falsifizierbarkeit im strengen Sinne ist eben auch für viele enorm interessante nat.wissenschaftliche Theorien das Aus. Das möchte ich nicht.
Bei Kants Argumenten handelt es sich tatsächlich um Rückschlussargumente auf eine Bedingung der Möglichkeit. Natürlich kann man eine solche Ebene nicht streng falsifizieren, denn die Überlegung geht ja gerade über eine metaempirische Ebene. Aber das kann man ihr nicht genuin zum Vorwurf machen. Da müsste man dann auch die gesamte Metawissenschaft weghauen, der es nur zu verdanken ist, dass wir überhaupt sowas wie Falsifizierbarkeit kennen.
Gegen transzendentale Argumente mit Falsifizierbarkeit ist damit sozusagen ein Kategorienfehler.
Oder bist du Erzempirist?
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon gladbach » Di 29. Mär 2011, 13:00

sind denn aber beispielsweise Narben, oder gewachsene Haare und Fingernägel, oder wie stine ihre waage mit eingrachte, sind das denn nicht beweise?
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Re: Man lebt nur einen Tag lang - oder?

Beitragvon stine » Di 29. Mär 2011, 14:28

Eigentlich nicht.
Wenn es nur einen Tag geben würde, dann wäre das immer tagesaktuell und unsere Erinnerungen wären dann auch getürkt. Der Zettel, wo man gestern sein Gewicht notierte wäre ein tagesaktueller ohne Vergangenheit.
Ebenso die Haare in der Bürste, alles tagesaktuell ohne Vergangenheit.
Selbst die Tage der Erinnerung wären nur tagesaktuell nicht gespeichert sondern sozusagen Firmware.

Du könntest tun was du möchtest, weil es keinen Einfluss auf eine Zukunft hätte.

Übrigens willkommen im Forum, gladbach! :up:

LG stine
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