Evolution der Demokratiestaatssysteme

Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon xander1 » Di 18. Jan 2011, 16:16

Im Laufe der Zeit gab doch einen Fortschritt in der Entwicklung von Staatssystemen.
Es wurden neue Ideen entwickelt und nicht immer wurden sie auch umgesetzt.

Das Grundgesetz der BRD hat zum Beispiel aus den Fehlern der Verfassung der Weimarer Republik gelernt.
Man hat komplexe Systeme geschaffen, wie die Gesetzgebung vonstatten gehen soll.
Man hat die Dreiteilung der Macht erfunden: Legislative, Exekutive, Judikative usw.

Insgesamt gibt es in Sachen "demokratische Staatssysteme" im Laufe der Zeit immer wieder Fortschritte.
Zur Zeit existiert ein Konflikt in Tunesien. Ich frage mich, woher die Wissen wie sie das Staatssystem verändern müssen, damit es dem aktuellen Forschungsstand eines demokratischen Staates entspricht.

Wird überhaupt geforscht über optimale demokratische Staatssysteme?

Weiß jemand von dem aktuellen Kenntnisstand, inwiefern vielleicht unser Staatssystem in wenigen Dingen vielleicht veraltet ist?

Dann gibt es da verschiedene Varianten. Es gibt Systeme in denen der Präsident die größte Macht hat, wie Frankreich. Es gibt Systeme mit Kanzler. Es gibt Systeme die förderal organisiert sind. Dann gibt es sicherlich Systeme, in denen ein langer und ein kurzer Weg der Gesetzgebung beschritten wird.

Und was zu einem Staatssystem fast mit dazugehört ist die Etablierung eines Staatsfernsehns oder öffentlich/rechtlichen Fernsehns. Anmerkung dazu: In Deutschland sitzen in den Chefetagen der öffentlich-/rechlichen Anstalten Parteimitglieder. Man könnte unser ö-/r- TV deshalb eigentlich auch Staatsfernsehn nennen, nur dass es intelligenter funktioniert, damit die Massen nicht begreifen, dass dahinter politische Parteien arbeiten.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon Nanna » Di 18. Jan 2011, 17:02

Wenn du über evolutionäre Abläufe reden willst, musst du teleologische Begriffe wie "Fortschritt" aus deiner Analyse herausnehmen. Unser demokratisches System ist in evolutionären Kategorien etwa so veraltet wie eine Heuschrecke im Bereich der Biologie "veraltet" ist - aufgrund des Fehlens einer objektiven Skala nämlich gar nicht.

Ich würde daher nicht von Fortschritten sprechen, sondern von Innovationen. Es gibt Neuerungen, aber ob diese einen Fortschritt darstellen, ist stark vom Kontext abhängig. Das deutsche System 1:1 auf China zu adaptieren würde dort höchstwahrscheinlich in einem reinen Chaos münden, weil es zur dortigen zeitgenössischen Sozialstruktur und Kultur schwer kompatibel ist.

Es wird selbstverständlich über die "richtige Herrschaft" geforscht, auch und gerade im Bereich der Demokratietheorie. Im Grunde dreht sich der Hauptteil der ganzen Politikwissenschaft um die Frage nach dem optimalen Staatssystem. Allerdings ist man schon vor Jahren davon abgewichen, das eine ideale System zu suchen, weil man erkennen musste, dass verschiedene Situationen zu unterschiedlichen historischen und geographischen Punkten auch unterschiedliche Lösungen verlangen. Ein gewaltengeteiltes repräsentatives System wäre für Nomadenvölker ähnlich unbrauchbar wie deren Clanstrukturen für die moderne westliche Zivilisation. Wenn du also nach veralteten Bestandteilen fragst, dann ist das ein bisschen so, als würdest du einen Bauern in Norwegen fragen, warum er für seinen Traktor keine Formel-1-Rennreifen einsetzt, obwohl die technologisch der letzte ("fortschrittlichste") Schrei sind. "Optimale Systeme" gibt es in evolutionären, dynamischen Kontexten immer nur als beste Lösung eines temporären Optimierungsproblems, nicht als zeitlich und örtlich universelle Bestlösung aller denkbaren Szenarien.

Auch die Verfassung und die gegenwärtige Auslegung der Verfassung (da steckt viel Spielraum drin!) sind Anpassungen an konkrete historische Erfahrungen. Du nennst beispielsweise die Schwächen der Weimarer Verfassung. Nun muss man sich aber klar darüber sein, dass andere demokratische Systeme in ihrer Verfassung noch stärkere Defekte aufweisen und trotzdem keine Diktaturen entwickelt haben, Großbritannien, das nichteinmal eine kodifizierte Verfassung hat, ist da das Paradebeispiel. Hier zu sagen, die Sicherungsmechanismen der BRD seien grundsätzlich ein Fortschritt, ist nicht immer korrekt. Die starke Zentralismushemmung führt in Deutschland beispielsweise in erheblichem Maße zur Führung und Finanzierung von Mehrfachstrukturen durch den Steuerzahler, was die Legitimation eines politischen Systems beim Bürger ebenfalls untergraben kann. Letztlich muss man bei der Auswahl eines politischen Systems für ein bestimmtes Land immer ganz klar definieren, welche Ziele man als Verfassungsgeber erreichen will. Zu glauben, demokratische Systeme entwickelten sich auf ein ideales Gesamtkonzept hin, rangiert schon nah am naturalistischen Fehlschluss, weil die Bezeichnung "ideal/optimal" in diesem Zusammenhang eine ganz klar wertende Funktion hat und damit abhängig von den jeweiligen ethischen Prämissen ist, denen man folgt.

Grundsätzlich gibt es als Grundtypen demoraktischer Systeme präsidentielle (USA), semi-präsidentielle (Frankreich) und parlamentarische (z.B. Deutschland, viele andere Länder) Systeme, ferner unterscheidet man funktionierende (z.B. Nordamerika, Westeuropa) von defekten Demokratien (z.B. Thailand) und diese wiederum von Scheindemokratien (z.B. Ägypten), wobei die Übergänge fließend sind. Mit dem Übergang autoritärer und totalitärer Systeme zu liberalen Demokratien beschäftigt sich übrigens die Transitionsforschung, mit der Frage nach der idealen Politie, also dem idealen Herrschaftssystem, eher die Politische Philosophie.

Was du zu staatlichen Medien sagst, halte ich nur zum Teil für zutreffend und auch nicht für derart grundlegend relevant für die Bestimmung des Grundrahmens eines politischen Systems. Die Standarddefinition eines Staates (es existieren im Mindesten: Territorium, Staatsvolk, Staatsapparat) enthält nicht notwendigerweise ein Staatsmedium und blickt man beispielsweise in die USA erkennt man auch ein prominentes Gegenbeispiel. Die Verzahnung von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und dem Parlament ist übrigens von den Grundgesetzvätern bewusst gewollt gewesen, um die Inhalte demokratisch überwachen zu können und einer Gleichschaltung nach nationalsozialistischem Vorbild zuvorzukommen.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon ganimed » Mi 19. Jan 2011, 21:52

Evolution ist toll, aber der Begriff scheint mir auch häufig irgendwie inflationär verwendet zu werden. Soweit ich verstehe, ist nicht jede Entwicklung eine Evolution, sondern die Evolution ist ein Spezialfall von Entwicklung. Nur wenn es Populationen, Generationen, nicht exakte Kopien und Selektionsmechanismen gibt, ist das Evolution.

Auf Staatssysteme übertragen hieße das: man hat auf der Welt immer eine bestimmte Anzahl von unterschiedlichen Systemen (die Population). In regelmäßigen Abständen erzeugt man ein neues System als Variante eines oder mehrerer bestehender Systeme. Dann bewertet man alle Systeme und verwirft die schlechtesten (Selektionsmechanismus). Mit dem Rest geht man in eine neue Variantenbildungsrunde (Generation).

Nichtmal die devotesten Chinesen ließen das mit sich machen.

Ich glaube, Kultur und alle ihre Phänomene entwickeln sich nichtevolutiv.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon Nanna » Do 20. Jan 2011, 01:08

Aber genau das, was du da beschreibst, passiert tatsächlich. Sowohl demokratische wie autoritäre Systeme entwickeln sich weiter und passen sich an die Rahmenbedingungen an - sehr langsam, aber sie tun es. Sie folgen dabei einem gewissen Trend zur Komplexität, wobei ich nicht sicher bin, ob die Ursache in einer grundsätzlichen Tendenz begründet liegt, Systeme immer komplexer werden zu lassen, oder ob das einfach eine Folgeentwicklung immer komplexer werdender Gesellschaften ist.

Vielleicht ist diese Anpassung im strengen Sinne der Biologie nicht evolutionär, sondern vielleicht nur evolutionsähnlich, aber es gibt ganz sicher keine gerade Linie hin auf ein perfektes Regierungssystem. Alles muss immer im Kontext der erwünschten Ziele und der Möglichkeiten, die die jeweilige Umgebung bereithält (soziokulturell, wirtschaftlich, ökologisch), gesehen werden. Insofern ist die Bewertung eines Fortschritts immer relativ. Sogar die Rückkehr zu einem System, das zuvor aus normativen Gründen verworfen wurde, kann unter neuen Umständen theoretisch fairere Ergebnisse produzieren. Deshalb ist der Vergleich mit Evolution nicht völlig verkehrt: Was zählt, ist immer die bestmögliche Anpassung an temporär bestehende äußere Bedingungen.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon xander1 » Do 20. Jan 2011, 14:50

Ich würde sogar sagen, dass Faschismus ein evolutionären Schritt von diktatorischen Systemen darstellt oder auch kommunistische Diktatur. Die Macht wird nicht mehr gerechtfertigt durch Gott, sondern durch ...... (Das ist Anpassung, so wie es das auch in der Evolution gibt.)

Und ich denke, dass die Chinesische Regierung ihren Machtanspruch durch den Wirtschaftsaufschwung rechtfertigen kann.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon ganimed » Do 20. Jan 2011, 22:34

Nanna hat geschrieben:Sowohl demokratische wie autoritäre Systeme entwickeln sich weiter und passen sich an die Rahmenbedingungen an - sehr langsam, aber sie tun es.

Sich weiter entwickeln ist, wie wennse dir deine Haare schneidest und Spanisch lernst.
Sie evolutionär zu entwickeln ist, Kinder zu bekommen, die so ähnlich sind wie du, nur dass sie kürzere Haare haben und schneller Spanisch lernen können. Und dein Nachbar kriegt keine Kinder, weil er zu lange, fettige Haare hat und die spanischen Frauen nichtmal auf ne Tasse Kaffee einladen kann.

Nanna hat geschrieben:Vielleicht ist diese Anpassung im strengen Sinne der Biologie nicht evolutionär,

Ja, diesen möglicherweise etwas strengen Sinn meinte ich. Wenn man den nicht meint, dann, so befürchte ich, bleibt einfach nur noch die gemeinsame Bedeutung von "Entwicklung" übrig. In den Topf passen aber fast alle nicht statischen Dinge, die durch äußere Dinge verändert werden. Das erscheint mir daher viel zu beliebig.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon xander1 » Fr 21. Jan 2011, 20:34

ganimed hat geschrieben:Ja, diesen möglicherweise etwas strengen Sinn meinte ich. Wenn man den nicht meint, dann, so befürchte ich, bleibt einfach nur noch die gemeinsame Bedeutung von "Entwicklung" übrig. In den Topf passen aber fast alle nicht statischen Dinge, die durch äußere Dinge verändert werden. Das erscheint mir daher viel zu beliebig.


Dann dürften aber evolutionäre Algorithmen auch nicht so genannt werden, wenn sie nicht alle Prinzipien der Evolution verfolgen, dass es 2 Geschlechter gibt usw. Trotzdem heißen evolutionäre Algorithmen so.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon ganimed » Fr 21. Jan 2011, 23:28

Ich kenne das unter dem Titel "genetische Algorithmen" und habe auch mal damit zu tun gehabt.
In der biologischen Evolution gibt es Formen der Fortpflanzung mit nur einem Geschlecht. Ein Prinzip ist das mit genau 2 Geschlechtern also nicht. Soweit ich mich erinnere, habe ich im Algorithmus jeweils 2 Populationsmitglieder miteinander vermischt und das Ergebnis war dann jeweils genau ein Kind. Dabei waren aber beide Eltern völlig gleichwertig, also gab es nur ein Geschlecht. Wenn ich das richtig verstehe, machen das viele Pflanzen aber ebenfalls so.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon xander1 » So 23. Jan 2011, 10:06

Evolutionäre Algorithmen und Genetische Algorithmen sind anscheinend nicht ganz das gleiche, aber es gibt Überschneidungen laut Wikipedia. Informatik-Bachelor behandeln das normalerweise nicht.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon ganimed » So 23. Jan 2011, 19:48

Mir wurde es in der Diplomarbeit aufgezwungen. Eigentlich ganz interessant: es ging um die Optimierung von chemischen Verbindungen. Es gab irre viele Kombinationsmöglichkeiten, viel mehr als man selbst mit schnellen Rechnern sequentiell bewerten kann, aber jede gefundene Kombination konnte mit einer recht komplizierten Formel bewertet werden. Da bietet sich das genetische Optimieren förmlich an. Und tatsächlich hatten zwei gute Elternelemente tendenziell auch ganz gut bewertete Kinder, daran erinnere ich mich noch.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon Mark » So 6. Feb 2011, 02:31

Ist das ein Philosophie-Thema ? ;-)
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon ganimed » So 6. Feb 2011, 13:55

Wenn die Moderatoren regelmäßig zwei Themen zu einem zusammenführen würden, hätten wir möglicherweise eine Themen-Evolution. Ich wäre gespannt, was dabei herauskäme. Vermutlich Mutanten-Themen, die dann enttäuschenderweise nach spätestens 2 Generation immer im Bereich Philosophie enden. Das ist vermutlich eine inhärente Eigenschaft der Welt.
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Re: Evolution der Demokratiestaatssysteme

Beitragvon xander1 » So 6. Feb 2011, 15:14

Mark hat geschrieben:Ist das ein Philosophie-Thema ? ;-)


Könnte in Gesellschaft und Politik sowie auch in Philosophie rein passen, da Staatssysteme auch philsophisch behandelt werden können, z.B. durch Karl-Marx.

ganimed hat geschrieben:Wenn die Moderatoren regelmäßig zwei Themen zu einem zusammenführen würden, hätten wir möglicherweise eine Themen-Evolution.


Das ist doch wirklich Definitionssache, ab welchem Grad der Ähnlichkeit mit der Evolution von einer Evolution sprechen kann, die keine biologische Evolution ist. Darüber zu streiten macht keinen Sinn.
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