Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon ganimed » Do 20. Jan 2011, 22:24

ujmp hat geschrieben:Ein Formel, die nichts vorhersagt, ist überhaupt nichts Wert.

Dann erkläre mir mal, wieso etwas erklären können und einen Zusammenhang verstehen (was ja durch eine Formel ausgedrückt wird) nichts wert ist?

ujmp hat geschrieben:Ich sehe in der Philosophie eine kritische Methode.

Ach, und eine kritische Methode, die nichts vorhersagt, ist jetzt plötzlich doch was wert?
Ich sage ja nicht, dass sie nichts wert ist. Aber sie gibt auf bestimmte Fragen eben keine vernünftigen Antworten.

ujmp hat geschrieben:Gerade die Wissenschaft hat übrigens gezeigt, wie wenig wir wissen und wie leicht unser vermeintliches Wissen revidiert werden kann.

Was soll das für ein Argument sein. Weil man mit Wissenschaft nur wenig und nur vorläufig wissen kann, willst du lieber doch wieder die Philosophie nehmen, die bei gewissen Fragen gar nichts weiß? Verstehe ich nicht.

ujmp hat geschrieben:Du kannst jedenfalls nicht die Wirkung von einem van Gogh mathematisch beschreiben. Sicher fällt dir einiges ein, was du in Zahlen ausdrücken kannst. Die Maße, das Gewicht des Bildes, die chemische Zusammensetzung der Farben, ihre Verteilung. Das ist aber alles nicht die van-Gogh-Formel. Wenn du die hättest, würdest du heut den Stil eines Malers berechnen, dessen Werke in Hundert Jahren in den Galerien der ganzen Welt hängen.

Die Wirkung des Bildes findet im Kopf statt. Ich messe also die Signalstärken von Block 67 (Sinn für Ästhetik), behalte noch die anderen Blöcke 50 bis 89 im Auge und kann dann in weniger als 30 Zahlen ausdrücken, auf welchen Ebenen das Bild in welchem Ausmaß gewirkt hat. Wenn ich mir dann noch die jeweiligen Eingangssignale anschaue inklusive der Assoziationen und der Gedächtnisinhalte, die eine besondere Rolle gespielt haben, dann kann ich möglicherweise sogar bestimmen, was an Assoziationen, Prägungen und Gedächtnisinhalten da sein muss, damit die Eingangssignale XYZ eine bestimmte Wirkung erzielen. Oder wenn ich weiß, welche Assoziationen und Gedächtnisinhalte in den Meschen der nächsten 100 Jahre wahrscheinlich mit gewisser Häufigkeit vorherrschen, dann kann ich eben doch ein Bild malen, das für die nächsten 100 Jahre eine bestimmte Wirkung erzielt.

ujmp hat geschrieben:Allgemein gesagt, kann die Mathematik nur Dinge behandeln, die sich Rastern lassen, die sich "unendlich" oft wiederholen - also den eher langweiligen Teil des Lebens.

Aha, und deine Synapse im Hirn, die immer mal wieder feuert, oder nicht feuert, wächst oder nicht so doll wächst, oder doch mal wieder feuert, das nennst du dann den superspannenden Teil des Lebens, wo sich nichts unendlich oft wiederholt? Ich fürchte, du hast da eine etwas romantisch verklärte Vorstellung vom Hirn, dem Universum und dem ganzen Rest.

ujmp hat geschrieben:Als ob die Wirklich falsch wäre, nur weil sie nicht in ihr kleinkariertes mathematisches Raster passt.

Meine Position ist ja gerade, dass nur deine Aussage falsch ist, weil die Wirklichkeit eben doch in mathematische Raster passt.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon AgentProvocateur » Do 20. Jan 2011, 22:39

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Naja, damit hast Du nun die eigentliche Frage elegant umschifft. Ich habe ja nicht nach Gefühlen und deren Stärke und Messbarkeit gefragt, sondern nach Ästhetik und Ethik und deren Herleitung und Bewertung.

[...] Zugegeben, die Wissenschaft hat, soweit ich weiß, das Gefühl/Phänomen Ästhetik noch nicht so gut verorten können wie die Angst im Mandelkern. Aber was bringt dich auf den Gedanken, dass das etwas anderes als eine Frage der Zeit ist? Das Funktionsprinzip im Gehirn ist doch überall irgendwie das gleiche, oder? Was macht gerade den Begriff "Ästhetik" so geheimnisvoll für dich, dass du dir seine hirntechnische Aufklärung nicht einmal vorstellen magst?

Was für 'ne "hirntechnische Aufklärung"? Ich verstehe noch nicht einmal im Ansatz, was Du damit meinen könntest.

Wenn Du wissen willst, ob jemandem etwas gefällt oder nicht, dann kannst Du ihn einfach dazu befragen, da musst Du nicht aufwendig in seinem Gehirn rummessen.

Bekommst Du aber dadurch, (egal, ob durch Fragen oder durch Messen), eine Theorie über Ästhetik? Nein, wohl kaum, Du musst das irgendwie verallgemeinern, Modelle aufstellen, Theorien erzeugen, Übereinstimmungen erkennen und bewerten etc.

Es erscheint zumindest mir erst mal völlig absurd, anzunehmen, durch Gehirnmessungen bei Einzelnen, durch die schlichte Auflistung solcher Messwerte die Welt erklären zu wollen.

Man kann die Welt nicht ohne Interpretation erklären. Ohne Prämissen, Grundannahmen. D.h. ohne ein Weltbild, sozusagen aus dem Nichts heraus.

Wer das meint, der irrt meiner Ansicht nach und zwar ganz grundsätzlich. Es ist mE sehr wichtig, seine Prämissen offen legen zu können. Denn nur dann können die betrachtet, bewertet und eventuell verworfen bzw. verbessert werden.

Auch und gerade ein integrer Naturwissenschaftler sollte sich dessen bewusst sein. Und meistens sind sie das auch. Alles andere wäre auch unwissenschaftlich, das könnte man nicht ernst nehmen.

ganimed hat geschrieben:Ich glaube einfach, dass Zappa mit seiner Einschätzung richtig liegt und Hawking nicht eine vollständige Ersetzung der Philosophie meinte, sondern es ihm um die wie Zappa schrieb "Beantwortung der wirklich großen Fragen (was kann ich wissen, was soll ich tun, was ist der Mensch, was darf ich hoffen)" ging.

Aha. Und all das willst Du ernsthaft mit dem Gehirnscanner ergründen? Und Du glaubst, das sei dann wertfrei, die wahre Wahrheit und beruhe auf keinerlei Grundannahmen, habe keine Prämissen, sei von keiner Weltsicht getrübt?

Kann nicht Dein Ernst sein.

ganimed hat geschrieben:Wenn man die Formel für Liebe kennt (X feuert mit Signalstärke >= 50%) dann kann man möglicherweise durch das Einsetzen einer Sonde oder durch das gezielte Einwirken von Medikamenten, dieses Signal aus X abschwächen und blockieren. Will eine Marylin Monroe sich nicht mehr in einen Saxophonspieler wie Tony Curtis verlieben, dann nimmt sie zwei Kapseln RomanceBlocker, schickt den Typen in die Wüste und lebt glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.

Ja, möglicherweise. Es gibt auch noch mehr Optionen: man kann eine Lobotomie durchführen, einen kräftigen Schlag auf den Kopf vornehmen, psychogene Drogen verabreichen, bei ihr oder bei ihm. Was wahrscheinlich jeweils den Ablauf des Geschehens grundsätzlich verändern würde.

ganimed hat geschrieben:Die Wissenschaft böte also Methoden, die Liebe zu konrollieren. Sie erklärte dann, wie und wo genau Liebe entsteht. Sie erklärt, wozu Liebe evolutionstechnisch und gesellschaftlich-sozial da ist. Sie bietet möglicherweise Ersatz an. Pillen, die einem das gleiche Wohlgefühl und High wie Verliebtheit vermitteln, aber ohne dazu einen Partner zu benötigen.

Wenn Du "Wissenschaft" sagst, meinst Du damit immer ausschließlich "Naturwissenschaft", richtig?

Wie soll die erklären, "wozu Liebe da ist"? Gibt es denn tatsächlich ein Ziel / einen übergeordneten Zweck der Natur, der Evolution? Teleologie? Wie kommst Du darauf? Ist ja nicht per se evident. Wie stellt man das / den fest? Durch Messungen im Gehirn?

ganimed hat geschrieben:Kurzum, was bleibt an Zauber, Mysterium und Aura noch, wenn man etwas erklären, kontrollieren und ersetzen kann?

Wieso ändert es etwas am Zauber, am Mysterium und an der Aura, wenn man etwas auf diese oder jene Art und Weise beeinflussen kann? Ist nur dann etwas zauberhaft, prima, wünschenswert und schön, wenn man es nicht beeinflussen / ändern kann? Verstehe ich ganz grundsätzlich nicht, diese Deine Argumentation. Kommt mir extrem fishy vor, ich sehe noch nicht einmal im Ansatz, wie Du darauf kommst, wie Du das begründen könntest.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon ganimed » Do 20. Jan 2011, 23:19

AgentProvocateur hat geschrieben:Was für 'ne "hirntechnische Aufklärung"?

Ich meinte damit die Formeln, mit denen man Ästhetik ausdrücken kann. Du schienst die Formel für Angst akzeptiert zu haben, meintest dann aber (wenn ich richtig verstehe), dass Ästhetik auf einem ganz anderen Blatt stände und nicht durch Formeln ausgedrückt werden kann. Angedeutet hast du den Unterschied schon:
    "Das betrifft eine abstraktere Ebene als die Gefühle eines Individuums und kann nicht darauf reduziert wereden."
Mich interessiert nun, welche grundsätzlichen anderen Mechanismen du da im Gehirn erwartest. Was anderes als messbare Signale und Verschaltungen soll denn diese "abstrakte" Ebene bewirken? Wieso soll man keine Formel für Ästhetik analog zur Angstformel finden können?

AgentProvocateur hat geschrieben:Man kann die Welt nicht ohne Interpretation erklären. Ohne Prämissen, Grundannahmen. D.h. ohne ein Weltbild, sozusagen aus dem Nichts heraus.

Selbstverständlich. Du scheinst anzunehmen, dass eine Formel unvereinbar mit Prämissen und Grundannahmen sei? Keineswegs, möchte ich betonen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und Du glaubst, das sei dann wertfrei, die wahre Wahrheit und beruhe auf keinerlei Grundannahmen, habe keine Prämissen, sei von keiner Weltsicht getrübt?

Nein, nein und nochmals nein. Wie kommst du überhaupt darauf? Wenn ich beispielsweise durch Formeln ausdrücken kann, was genau Hoffnung ist. Dann kann ich die Frage "was darf ich hoffen" genau beantworten, wenn mir jemand sagt, was denn sein Ziel ist oder wo etwaige Nebenbedingungen und Einschränkungen liegen. Die Wissenschaft bekommt bestenfalls heraus: unter den Bedingungen A darf man X mit einer Berechtigung von 35% hoffen. Das ist nicht wertfrei, ist vielleicht nur eine Annäherung, beruht auf gewissen Grundannahmen, enthält Prämissen und ist von der üblichen Weltsicht getrübt. All das ist die Philosophie aber auch. Also, wo ist dein Argument gegen die Formel und für die Philosophen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn Du "Wissenschaft" sagst, meinst Du damit immer ausschließlich "Naturwissenschaft", richtig? Wie soll die erklären, "wozu Liebe da ist"? Gibt es denn tatsächlich ein Ziel / einen übergeordneten Zweck der Natur, der Evolution?

Ich finde es logisch, anzunehmen, dass ein so grundlegender und weit verbreiteter Mechanismus wie die Liebe einem evolutionär relevanten Ziel dienen muss. Sonst wäre nicht erklärlich, wieso praktisch jeder Mensch dazu fähig ist.
Die Evolution selber dient keinem übergeordnetem Zweck, denke ich mir. Aber die Liebe in ihr schon.
Hat dir die ach so tolle Philosophie eigentlich schonmal erklärt, welchen Zweck die Liebe hat? Wenn ja, welcher ist es?

AgentProvocateur hat geschrieben:Wie stellt man das / den [Zweck] fest? Durch Messungen im Gehirn?

Man versteht den Mechanismus, was ihn auslöst, was er auslöst. Man schaut sich Beispiele an, wo er fehlt (möglicherweise Soziopathen oder Hirnpatienten ohne funktionierenden Block 67) und beobachtet, was sich an Unterschieden ergibt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wieso ändert es etwas am Zauber, am Mysterium und an der Aura, wenn man etwas auf diese oder jene Art und Weise beeinflussen kann? Ist nur dann etwas zauberhaft, prima, wünschenswert und schön, wenn man es nicht beeinflussen / ändern kann?

Prima, wünschenswert und schön bleibt es vermutlich durchaus. Du musst aber zugeben, dass Zauber und Mysterium als eine wesentliche Eigenschaft auch eine gewisse Unklarheit über die Mechanismen dahinter enthält. Das Geheimnisvolle ist weg und damit auch der Zauber. Aber bitte, wenn es nicht die Furcht um den Verlust dieses Zaubers ist, der dich zur Nichtanerkennung von Formel-Möglichkeiten drängt, was ist es dann? Oder gibt es gar kein Unbehagen bei dir und du würdest - falls es möglich wäre, alle philosophischen Fragen und Gefühle per naturwissenschaftlicher Methoden zu beantworten und zu beschreiben - das Ganze begrüßen, Hawking endlich recht geben und dich wohlfühlen?
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon ujmp » Fr 21. Jan 2011, 08:38

ganimed hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Ein Formel, die nichts vorhersagt, ist überhaupt nichts Wert.

Dann erkläre mir mal, wieso etwas erklären können und einen Zusammenhang verstehen (was ja durch eine Formel ausgedrückt wird) nichts wert ist?


Den Punkt schaff ich grad eben bloß kurz anzuschneiden: Ein "Zusammenhang " ist eine Illusion, wenn die Theorie, die ihn ausdrückt, keine Prognose erlaubt. (Man muss allerdings logische und kausale Zusammenhänge sauber auseinanderhalten). Erklären bedeuetet, ich erkläre mir etwas. Ich versuche aus den Legobausteinen, die mir mein Organismus, mein Gehirn, meine Hardware zur Verfügung stellt, ein Modell der Wirklichkeit zu bauen. Wirklichkeit bedeutet, das was auf mich wirkt und womit ich klar kommen muss. Eine Erkenntnis ist ein Lösung, die Wirklichkeit mit diesen Legos zu bewältigen. Die Wahrheit ist mein Organismus.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon ganimed » Fr 21. Jan 2011, 14:53

Wenn du es so formulierst, dann poche ich darauf, dass die Wettermodelle (und irgendwann die Gehirnmodelle) doch Prognosen erlauben. Vielleicht nicht für 3 Wochen aber für 2 Tage (und vielleicht beim Hirn nicht vorhersagen, wann genau welche Faus zuschlägt, aber dass sich Agression aufbaut und in welchem Maße).
Das Problem sind ja nicht die Modelle, sondern nur die Datenungenauigkeit oder die Datenmenge (oder beim Gehirn die Erhebung von live Daten).

Es wäre also voreilig, der Hirnforschung jeden Wert abzusprechen, nur weil relativ viele Daten beteiligt sind und die Sache komplex und vielleicht chaotisch ist. Wenn jemand behauptet, dass sich bestimmte Dinge nicht mit Naturwissenschaft ergründen lassen, erwarte ich mehr als ein "weil es so schwierig ist und man so viele Zahlen aufschreiben muss". Ein prinzipieller, logischer oder irgendwie systematischer Hinderungsgrund wäre überzeugender.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon Zappa » Fr 21. Jan 2011, 17:51

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Ich glaube einfach, dass Zappa mit seiner Einschätzung richtig liegt und Hawking nicht eine vollständige Ersetzung der Philosophie meinte, sondern es ihm um die wie Zappa schrieb "Beantwortung der wirklich großen Fragen (was kann ich wissen, was soll ich tun, was ist der Mensch, was darf ich hoffen)" ging.

Aha. Und all das willst Du ernsthaft mit dem Gehirnscanner ergründen? Und Du glaubst, das sei dann wertfrei, die wahre Wahrheit und beruhe auf keinerlei Grundannahmen, habe keine Prämissen, sei von keiner Weltsicht getrübt?


Ich finde die Idee nicht so abwegig (obwohl die funktionelle MRT als Methode wohl überschätzt ist). Natürlich behauptet niemand, dass naturwissenschaftliche Erkenntnis prämissenfrei oder theoriefrei funktioniert. Aber es ist doch etwas anderes rein spekulativ zu bleiben, oder Thesen aufzustellen, die man empirisch überprüfen kann. Und mit letzterer Methode ist man halt in den letzten Jahrhunderten verdammt viel weiter gekommen als mit der rein spekulativen.

Ich versuch mal adhoc ein Beispiel: Rein spekulativ kann ich ja behaupten, die Ästhetik sitzt im Herzen, in der Milz oder auch im Gehirn. Man definiert dann den Begriff, seziert ihn und versucht theoretisch zu begründen, warum das Herz, die Milz oder das Gehirn des ideale Kandidat sei. Solche Theorien gab es ja und man kann sich da rein spekulativ herrlich die Köpfe drüber einschlagen (ich sage nur: "Wieviele Engel passen auf eine Nadelspitze"). Da man praktisch faktenlos argumentiert, kommt es vor allem auf die Eleganz der Begründung und natürlich auf die Widerspruchslosigkeit der Argumentation an. Oder anders gesagt: Ein guter Philosoph beweist dir so ziemlich alles :mg:

Der Naturwissenschaftler würde anders vorgehen: OK, ich versuche mal einen Vorgang, der mit ästhetischer Empfindung zu tun hat zu messen. Ich fange mit einem EKG an, da tut sich vielleicht was (Anregung des Kreislauf), das ist mir aber zu unspezifisch, da gleiche Vorgänge auch durch körperliche Anstrengung hervorgerufen werden können. Wenn ich aber im MRT mir das Gehirn angucke und unter sorgfältig definierten Versuchsbedingungen äathetische Vorgänge angucke, dann sind immer bestimmte Hirnareale involviert. Das sieht nach einem Zusammenhang aus. Etc. pp. Natürlich ist dieses Vorgehen mühselig und die einzelnen Erkenntnisfortschritte meist kümmerlich. In der Summe aber ist diese Art Wissen zu schaffen offensichtlich wesentlich effektiver. Und man sollte die Methoden moderner Neurobioologie auch nicht unterschätzen:




Ich kann ehrlich gesagt mit dem ersten Ansatz überhaupt nichts mehr anfangen und der zweite Ansatz hat IMHO wesentlich klarere Ergebnisse gebracht.

@Myron: Aus den genannten Gründen habe ich mit Metaphysik im Moment nur noch wenig am Hut, habe das Buch aber mal in meine Merkliste aufgenommen. Danke für den Tip.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 21. Jan 2011, 20:47

Zappa hat geschrieben:Natürlich behauptet niemand, dass naturwissenschaftliche Erkenntnis prämissenfrei oder theoriefrei funktioniert.

Das ist doch schon mal was.

Zappa hat geschrieben:Aber es ist doch etwas anderes [1] rein spekulativ zu bleiben, oder [2] Thesen aufzustellen, die man empirisch überprüfen kann. Und mit letzterer Methode ist man halt in den letzten Jahrhunderten verdammt viel weiter gekommen als mit der rein spekulativen. [...] Ich kann ehrlich gesagt mit dem ersten Ansatz überhaupt nichts mehr anfangen und der zweite Ansatz hat IMHO wesentlich klarere Ergebnisse gebracht.

Nummerierung von mir eingefügt.

Betrachten wir doch nun erst mal, was das Gebiet der Philosophie ist, was diese behandelt, beinhaltet.

Der Artikel bei Wikipedia ist dazu gar nicht schlecht.

Ich fasse zusammen. Philosophie behandelt demnach (u.a.) folgendes:

  • Logik
  • Erkenntniskritik und Erkenntnistheorie
  • Wissenschaftstheorie
  • Metaphysik und Ontologie
  • Sprachphilosophie
  • Ethik und Metaethik
  • Rechtsphilosophie
  • Politische Philosophie
  • Philosophie des Geistes und des Bewusstseins
  • Moderne philosophische Anthropologie
  • Rationalitäts-, Handlungs- und Spieltheorie
  • Philosophische Mystik
  • Ästhetik
Nun ja, und da stellt sich doch nun schon die Frage, wie man all diese Gebiete nach der von Dir präferierten Methode 2 beackern will. D.h. nicht "spekulativ", sondern "empirisch überprüft". Man kann z.B. Wissenschaftstheorie oder Logik betreiben, indem man neurologische Messungen oder eine MRT durchführt? Oder Sprachphilosophie? Oder Ethik?

Naja, das kommt mir nicht richtig vor. Es sei denn, Du könntest mal einen Link geben, in dem das erfolgreich durchgeführt wurde.

Fragt sich natürlich auch immer, wie man den naturalistischen Fehlschluss vermeiden will. Oder ob man den leugnet.

Nun, also alle die oben genannten Gebiete gehören zur Philosophie. Behandelt man sie, betreibt man Philosophie, (egal, ob man von Beruf Philosoph, Zahnarzt oder Physiker ist). Erklärt man die Philosophie aber für tot, dann müsste man folgerichtigerweise entweder die genannten Gebiete der Philosophie für nichtig / unwichtig / irrelevant erklären oder aber man müsste sie naturwissenschaftlich / empirisch lösen können.

Bin nun gespannt, welche der beiden Alternativen Du (und auch ganimed) bevorzugst.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon Zappa » Sa 22. Jan 2011, 11:51

Ich denke das Argument von Hawking läuft eher darauf hinaus, dass die Philosophie als Methode ("Ich denk mal drüber nach") ja in der Beantwortung all dieser Fragen, bzw. in im Beackern all dieser Gebiete mehr denn weniger gescheitert ist (es ist nicht ganz meine Position, insbesondere nicht im Bereich der Logik und der Sprachphilosophie) bzw. es die Naturwissenschaften besser machen. Natürlich werden durch die Kritik der philosophischen Methode, nicht auf einmal all die von Ihr beackerten Felder bzw. Fragen obsolet, dass hat aber auch niemand behauptet.

Ansonsten sehe ich in den meisten Bereichen schon empirische Ansätze:

  • Spieltheorie/Handlungstheorie: Ist mittlerweile eine klassisch empirische Wissenschaft (http://de.wikipedia.org/wiki/Spieltheorie).
  • Sprachphilosophie: Hier gibt es natürlich empirische Ansätze (s. Ray Jackendoff: Foundations of Language, Oxford University Press, 2002)
  • Erkenntnistheorie/Bewusstseinsforschung/Geist: Hier entwickelt sich die Biopsychologie derzeit rasant, ich behaupte, dass ist in Kürze größtenteils eine naturwissenschaftliche Disziplin. (-> http://de.wikipedia.org/wiki/Biopsychologie)
  • Ethik: Dito, es gibt viele Belege und Studien zur Evolution der Ethik (http://de.wikipedia.org/wiki/Evolutionäre_Ethik)
  • Anthropologie: Ohne Naturwissenschaften gar nicht denkbar, in der Vorlesung von Wolfgang Welsch wird diesbezüglich sehr naturwissenschaftlich argumentiert (http://www.auditorium-netzwerk.de/Autor ... :1155.html). Buchtip: J. Diamond: Arm und Reich. Fischer, 2009

Die entscheidende Frage wäre, ob die spekulative, nicht empirische Methode überhaupt zu überprüfbaren Lösungen führen oder ob man einfach jeweils einen philosophischen common sense erreicht. Was ja schon mal was ist, letztendlich aber doch beliebig bleibt. Ich denke in diese Richtung gehen die Angriffe der Natuwissenschaft auf die Philosophie: Einfach drüber nachdenken ist uns zu simpel, es ist zwar die Grundlage jeder Wissenschaft wir wollen aber dann doch einfordern jeweils überprüfbare Aussagen aufzustellen und dies dann auch empirisch oder idealerweise experimentell zu überprüfen. Anders ausgedrückt: Eine konkrete Metaphysik ist halt niemals Falszifizierbar und deswegen auch beliebig, man glaubt halt dran oder nicht. Das hat nichts damit zu tun, dass man im Umkehrschluss sagt es gibt keine Metaphysik oder wir gehen jetzt mal ohne Prämissen auf Erkenntnissuche, nur der Wahrheitsanspruch rein spekulativer Thesen wird herabgestuft.

In diesem Zusammenhang sehe ich auch die aktuelle Kritik von experimentellen Physikern (s.a. RL Laughlin: Abschied von der Weltformel. Piper, 2010) an ihren theoretischen Kollegen: "Ihr Quantenphysiker und Big Bang Forscher betreibt ja mit Euren Strings und Branen eigentlich Philosophie, das ist doch alles nicht mehr überprüfbar". Insofern würden einige Physiker Hawking vorwerfen jetzt eigentlich Philosophie zu betreiben, der Zirkel hat doch was :mg:
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 22. Jan 2011, 16:44

Meiner Ansicht nach kann die Frage niemals lauten: "Naturwissenschaftliche Methode oder philosophische Methode?" wenn damit ein ausschließendes "oder" gemeint ist.

Es wird immer Fragen / Fragestellungen geben, für die jeweils die eine der beiden Methoden geeigneter ist bzw. Fragen, die beide Methoden zugleich erfordern.

Mit anderen Worten: wir werden immer sowohl Philosophie als auch Naturwissenschaft benötigen. Und es wird dabei auch immer Überschneidungsbereiche geben.

Und natürlich betreibt Hawking Philosophie, wenn er z.B. über sein Konzept der Realität redet, darauf hat ja Myron oben schon hingewiesen und klar ist es selbstwidersprüchlich, ein Zirkel, wenn er gleichzeitig behauptet, die Philosophie sei tot.

Ich bezweifele übrigens, dass es einen philosophischen common sense geben könnte. Siehe z.B. die vielen unterschiedlichen Auffassungen zum Realismus oder den Streit zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten.

Und ich zweifele, ob die Frage: "welche dieser Auffassungen ist wahr"? dabei eine sinnvolle sein kann. Wenn man von unterschiedlichen Prämissen ausgeht, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Das finde ich aber nicht schlimm oder irgendwie bedauernswert. Unsere Welt kann aus vielen unterschiedlichen Betrachtungswinkeln erklärt werden.

Die Naturwissenschaft ist dabei selbstverständlich ein wichtiges Werkzeug, aber es ist mitnichten das Einzige.

Die Frage ist ja nicht, ob es nicht auch bei philosophischen Fragen empirische Ansätze gibt, sondern die Frage wäre, ob man alles empirisch klären kann. Und das kann man meiner Ansicht nach nicht. Tut ja, wie gesagt, noch nicht mal Hawking.

Und ich halte es für falsch und auch für unklug, wenn sich Philosophen und Naturwissenschaftler voneinander abgrenzen, indem sie für ihr Gebiet jeweils die Deutungshoheit für die richtige Welterklärung beanspruchen.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon Zappa » Sa 22. Jan 2011, 17:50

AgentProvocateur hat geschrieben: Mit anderen Worten: wir werden immer sowohl Philosophie als auch Naturwissenschaft benötigen. Und es wird dabei auch immer Überschneidungsbereiche geben.


Natürlich brauchen wir Philosophie, aber die ist meiner Meinung nach nur noch dekonstruktiv. Sie zeigt was nicht geht, was falsch ist und wie man es nicht machen sollte. So gesehen ist sie in der Tat am Ende. Naturwissenschaft ist schöpferisch und konstruktiv. Und beide benötigen einander (die Erste, weil es ohne neues Wissen nichts mehr zu philosophieren gibt und die Letzere damit Sie nicht abhebt und dem naturalistischen Fehlschluss unterliegt).

AgentProvocateur hat geschrieben: Ich bezweifele übrigens, dass es einen philosophischen common sense geben könnte. Siehe z.B. die vielen unterschiedlichen Auffassungen zum Realismus oder den Streit zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten.


Common sense heisst ja nicht, dass jeder der sich Philosoph schimpft die Meinung teilt. Es ist die mehrheitlich in akademischer Hierarchie etablierte und institutionalisierte Philosophie, die den common sense definiert und vorgibt und das ist auch vollkommen OK so.


AgentProvocateur hat geschrieben: Unsere Welt kann aus vielen unterschiedlichen Betrachtungswinkeln erklärt werden.


Das ist ein schwer zu widerlegender Einwand. Ich kann mich hinstellen und sagen: Nur in der Literatur wird noch relevant Neues erzeugt. Darüber hinaus gibt es einen Wettstreit der Meinungen und Meme, mal schauen was sich durchsetzt.

Das ist aber nicht ganz meine Meinung, ich denke naturwissenschaftliche Methode hat ganz klar was für sich und den höheren Wahrheitsanspruch. Die Frage ist doch: Ist die Menge an Wissen mehr oder weniger gleich und es kommt auf die Interpretation und deren Vermarktung an, oder schafft es eine gewisse Geistesströmungen wirklich neues Wissen zu schaffen? Naturwissenschaft schafft letzteres kontinuierlich in den letzten Jahrhunderten, bei der Philosophie bin ich mir da nicht so sicher.


AgentProvocateur hat geschrieben: ich halte es für falsch und auch für unklug, wenn sich Philosophen und Naturwissenschaftler voneinander abgrenzen, indem sie für ihr Gebiet jeweils die Deutungshoheit für die richtige Welterklärung beanspruchen.


Ich halte einen Dialog auch für sinnvoll, aber die Philosophie ist mittlerweile Sekundärdienstleister. Philosophen, die das nicht einsehen wollen dürfen gerne weiter spekulieren, sollen aber nicht rumnerven :mg:
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 22. Jan 2011, 18:48

Zappa hat geschrieben:Natürlich brauchen wir Philosophie, aber die ist meiner Meinung nach nur noch dekonstruktiv. Sie zeigt was nicht geht, was falsch ist und wie man es nicht machen sollte. So gesehen ist sie in der Tat am Ende. Naturwissenschaft ist schöpferisch und konstruktiv.

Ja, am 'destruktiv' ist gewissermaßen was dran. Allerdings hoffe ich, dass Du hier 'dekonstruktiv' und 'konstruktiv' wertfrei verwendest und nicht implizit eine Wertung einschmuggeln willst.

Ich mein', ich verstehe jetzt noch nicht so recht, wieso Philosophie deswegen 'am Ende' sein soll. Woraus sollte das folgen?

Zappa hat geschrieben:Common sense heisst ja nicht, dass jeder der sich Philosoph schimpft die Meinung teilt. Es ist die mehrheitlich in akademischer Hierarchie etablierte und institutionalisierte Philosophie, die den common sense definiert und vorgibt und das ist auch vollkommen OK so.

Ach so, Du meintest mit "common sense" lediglich eine Einigung über die Methoden der Philosophie und nicht über deren Ergebnisse? Falls ja, klar, das ist natürlich wichtig und so einen common sense gibt es durchaus.

Zappa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben: Unsere Welt kann aus vielen unterschiedlichen Betrachtungswinkeln erklärt werden.

Das ist ein schwer zu widerlegender Einwand.

Nun, man könnte durchaus behaupten, die Naturwissenschaft habe die vorrangige Deutungshoheit über entweder alle Bereiche oder man könnte behaupten, nur diejenigen Bereiche, die empirisch prüfbar seien, seien relevant. Es gibt durchaus Vertreter beider der o.g. Behauptungen.

Beidem aber stimme ich nicht zu.

Zappa hat geschrieben:Das ist aber nicht ganz meine Meinung, ich denke naturwissenschaftliche Methode hat ganz klar was für sich und den höheren Wahrheitsanspruch.

Ja, kann man so sehen, aber die Frage ist dann eben nach wie vor: deckt die Naturwissenschaft (und die empirische Methode) alles ab, was relevant ist oder tut sie es nicht?

Oder soll zumindest das empirisch Feststellbare auf irgend eine Weise relevanter sein als die Prämissen, auf denen eine Theorie beruht? Wenn ja: wie kann man das dann selber empirisch feststellen? Und wenn man es nicht empirisch feststellen kann: wie relevant ist dann diese Behauptung?

Zappa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben: ich halte es für falsch und auch für unklug, wenn sich Philosophen und Naturwissenschaftler voneinander abgrenzen, indem sie für ihr Gebiet jeweils die Deutungshoheit für die richtige Welterklärung beanspruchen.

Ich halte einen Dialog auch für sinnvoll, aber die Philosophie ist mittlerweile Sekundärdienstleister. Philosophen, die das nicht einsehen wollen dürfen gerne weiter spekulieren, sollen aber nicht rumnerven :mg:

Naja, sehe ich zwar anders, aber das können wir hier wohl nicht weiter klären. Es ist mE unsinnig, hier eine Abstufung in "primär" und "sekundär" vornehmen zu wollen. Aber egal, mag ja auch schlichte Geschmackssache sein. Wird aber keine Geschmackssache mehr, wenn Naturwissenschaftler ernsthaft glauben, metaphysik- und philosophiefrei Letztbegründungen liefern zu können. Denn das ist schlicht falsch, meiner Ansicht nach.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon Grotemson » Sa 22. Jan 2011, 19:10

Zappa hat geschrieben:Wie wir hier ja schon oft diskutiert haben, können die empitischen Naturwissenschaften mittlerweile sehr viel zu vormals rein philosophischen Fragen beitragen. Frage wie: Wie entsteht ein Gedanke? Wie entstand unser Universum und das Leben? Wie entwickelte sich Moral? lassen sich halt mittlerweile besser auf Basis der naturwissenschaftliche Befunde, als rein spekulativ diskutieren. Und rein spekulativ war das Gros der nachantiken Philosophie, oder hab ich da was verpasst? David Hume und die angloamerikanische Richtung des Positivismus fällt mir als Ausnahme ein.


Ich wäre mit solchen Aussagen vorsichtig, zumal ich schon denke, dass es genuin philosophische Fragen gibt, die methodisch von empirischen Wissenschaften überhaupt nicht beantwortbar sind. Gerade: Wie entsteht ein Gedanke oder Wie entstand unser Universum, sind Fragen, die auch im empirischen Kontext spekulativ genannt werden müssen und von denen, sind sie begrifflich ersteinmal hinreichend geklärt, nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie sich als genuin philosophisch herausstellen bzw. dass es sich um eine äquivokative Situation handelt: Der Gedanke, den der Neurowissenschaftler meint, ist nicht derselbe, auf den sich der Philosoph bezieht.
Genau diese Haltung, nämlich, dass traditionell philosophische Fragen nun einfach mit der Messung von Gehirnströmen und dem Postulieren eines Teilchens beantwortet werden können, führt ja zu der eingangs zitierten Todeserklärung. Dabei wird all zu oft übersehen, dass die Fragen schon alleein rein begrifflich so komplex sind, dass man zb. in der Neurowissenschaft zwar sehr genaue Befunde über aktive oder inaktive Areale während bestimmten mentalen Vorgängen liefern kann, damit aber noch lange nicht geklärt ist, wie ein Gedanke entsteht.
Der Vorwurf der Spekulativität kann heute analytischen Phlosophen nur noch gemacht werden, wenn man beinharter Empirist ist, und selbst dann lediglich der seit ca. 20-30 Jahen wieder aufblühenden Metaphysik(besonders in Form von Ontologie und Metaontologie). Dann muss man den Vorwurf aber konsequenterweise auch theoretischen Physikern sowie der von dir ebenfalls erwähnten Mem-Theorie(die ich für komplett unwissenschaftlich halte) machen.

Zappa hat geschrieben:Was löblich und sicher unabdingbar ist und diese Philosophen und deren Philosophie wird Hawking auch am wenigsten gemeint haben. Man wird aber sicher Verständnis dafür aufbringen, dass ein Mann wie er nur bedingt Respekt für die Kenntnisse vieler Philosophen in Naturwissenschaften aufbringt. Teilweise kokettiert diese Spezies ja gradezu mit Ihrer Ignoranz :mg:


Gerade in der analytischen Tradition, aber auch in sich ihr annäherenden phenomenologischen Strömungen wird sehr genau darauf geachtet, up to date zu sein, was wissenschaftliche Erkenntnis betrifft. Insofern habe ich wenig Verständnis für den hawkingschen Vorwurf. Er trifft schlichtweg nicht zu. Wenn überhaupt eine "Spezies" der anderen Ignoranz vorwerfen kann, sind es meinem persönlichen Erleben nach zu urteilen die Philosophen. Bestes Beispiel ist ja eben der hier diskutierte Satz von Hawking.

Zappa hat geschrieben:Das ist aber nicht ganz meine Meinung, ich denke naturwissenschaftliche Methode hat ganz klar was für sich und den höheren Wahrheitsanspruch. Die Frage ist doch: Ist die Menge an Wissen mehr oder weniger gleich und es kommt auf die Interpretation und deren Vermarktung an, oder schafft es eine gewisse Geistesströmungen wirklich neues Wissen zu schaffen? Naturwissenschaft schafft letzteres kontinuierlich in den letzten Jahrhunderten, bei der Philosophie bin ich mir da nicht so sicher.


Den höheren Wahrheitsanspruch hat sie offensichtlich. Ob sie ihn erfüllen kann, ist diskutierbar. Immerhin gibt es bei einigen Wissenschaftlern gar den Anspruch "alles" erklären zu können. Du sprichst davon, dass die Naturwissenschaft neues Wissen schafft(also Satzsysteme, in denen jeder Satz wahre, gerechtfertigte[Einwände unberücksichtigt] Meinung ist), aber dass dem so ist, kann man ihr auch absprechen. Geschichtlich verläuft ihre Entwicklung ja nicht derart, dass eine Theorie auf der anderen aufbaut und sich eine Art "Speicher" stetig weiter füllt. Vielmehr werden Erklärungsansätze kontinuierlich durcheinander ersetzt, bis sich ein empirisch erfolgreicherer Ansatz findet. Dieser dynamische Charakter macht Wissenschaft für mich im Gegensatz zu Religion so sympathisch. Das bedeutet aber auch, dass ich niemals davon sprechen würde, dass unser momentaner Kenntnisstand etwas mit Wahrheit zu tun hat. Unsere Theorien passen(oft) gut zu den empirischen Daten und lassen sich gut anwenden. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie "wahr"(zumindest nicht, wenn man irgendeine Art von modifizierter Korrespondenztheorie favorisiert). Was also die Entwicklung von Theorie, die die empirischen Daten gut integrieren, betrifft, kann die Philosophie da durchaus mithalten. Es stimmt ganz einfach nicht, dass ihr nur eine rein regulative Metafunktion zukommt, obwohl ich das ebenfalls als wichtigen Aufgabenbereich ansehe. Es werden auch neue Theorien produziert und- genau wie in den Naturwissenschaften- mit anderen, vielleicht älteren Theorien verglichen und ggf. ausgetauscht. Insofern stehen die beiden Zweige auch ihrem prozessualen Charakter Kopf an Kopf.

Zappa hat geschrieben:Ich halte einen Dialog auch für sinnvoll, aber die Philosophie ist mittlerweile Sekundärdienstleister

Ich glaube, das stimmt nicht. Naturwissenschaft, paradigmatisch dazu Physik, und Philosophie, sind gleichberechtigt. Insofern sind sie einander Primärdienstleister. Eine klare Abgrenzung der Erklärungsansprüche- und Felder halte ich trotzdem für wichtig. Einiges kann die Naturwissenschaft ganz einfach aus methodischen Gründen nicht erklären, und einiges Anderes kann die Philosophie empirisch nicht aufdecken, weil ihr entsprechend die Mittel fehlen. In den Bereichen zusammenzuarbeiten, die ein Teilbereich beider Disziplinen sind, ist für beide unabdingbar.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon ujmp » So 23. Jan 2011, 15:00

ganimed hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Allgemein gesagt, kann die Mathematik nur Dinge behandeln, die sich Rastern lassen, die sich "unendlich" oft wiederholen - also den eher langweiligen Teil des Lebens.

Aha, und deine Synapse im Hirn, die immer mal wieder feuert, oder nicht feuert, wächst oder nicht so doll wächst, oder doch mal wieder feuert, das nennst du dann den superspannenden Teil des Lebens, wo sich nichts unendlich oft wiederholt? Ich fürchte, du hast da eine etwas romantisch verklärte Vorstellung vom Hirn, dem Universum und dem ganzen Rest.


Dass eine Synapse feuert sagt eben nur etwas über eine Synapse aus. Es ist ungefähr so, als ob du sagen würdest: "Ich habe die Weltformel , sie besteht aus den 26 Buchstaben des Alphabetes." Und wenn sie dann einer aufstellt, sagst du "Ich wusste es!" :mg:

Ich kann übrigens eine Eigenschaft der Weltfoformel -falls man sie findet - jetzt schon vorhersagen: Sie wird eine Komplexität haben, die etwa der der Relativitätstheorie entspricht. Ganz einfach deshalb, weil sie eine Erfindung des Menschen sein wird, und der kann nichts erfinden, was seinen Horizont übersteigt - logisch! - Und deshalb finde ich es absurd, zu glauben, dass die Natur so schlicht gebaut ist, dass ein Mensch sie gerade noch so verstehen kann.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon Zappa » So 23. Jan 2011, 16:45

AgentProvocateur hat geschrieben:Ach so, Du meintest mit "common sense" lediglich eine Einigung über die Methoden der Philosophie und nicht über deren Ergebnisse? Falls ja, klar, das ist natürlich wichtig und so einen common sense gibt es durchaus.


Nein, ich meinte schon die Ergebnisse. Wenn ich ohne empirische Überprüfung arbeiten muss, dann gibt es immer unterschiedliche Interpretationen der Welt, die, solange sie in sich widerspruchsfrei sind, ununterscheidbar "wahr" sein könnten. Da es in der Philosophie kein Experimentum crucis gibt, kann nur der commons sense entscheiden, welche Deutungen derzeit als akzeptabel gelten. Man kann da noch mit dem Ockham´schen Rasiermesser drüber fahren und ästhetische Kriterien anwenden, aber mehr kann man meines Wissens nach nicht tun.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es ist mE unsinnig, hier eine Abstufung in "primär" und "sekundär" vornehmen zu wollen.


Da hast Du wahrscheinlich Recht, die Unterscheidung bringt nicht wirklich was und könnte als Abstufung empfunden werden.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon AgentProvocateur » So 23. Jan 2011, 17:16

Zappa hat geschrieben:Nein, ich meinte schon die Ergebnisse. Wenn ich ohne empirische Überprüfung arbeiten muss, dann gibt es immer unterschiedliche Interpretationen der Welt, die, solange sie in sich widerspruchsfrei sind, ununterscheidbar "wahr" sein könnten. Da es in der Philosophie kein Experimentum crucis gibt, kann nur der commons sense entscheiden, welche Deutungen derzeit als akzeptabel gelten. Man kann da noch mit dem Ockham´schen Rasiermesser drüber fahren und ästhetische Kriterien anwenden, aber mehr kann man meines Wissens nach nicht tun.

Aber mir scheint, dass Du damit nicht nur die Philosophie beschreibst, sondern auch die Naturwissenschaft.

Zumindest nach der Ansicht von Hawking und Mlodinow. Siehe dazu hier - (eine Besprechung des Buches "Der große Entwurf", eine Übersicht über die komplette Rezension dort).
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon Zappa » So 23. Jan 2011, 17:17

Grotemson hat geschrieben: Ich wäre mit solchen Aussagen vorsichtig, zumal ich schon denke, dass es genuin philosophische Fragen gibt, die methodisch von empirischen Wissenschaften überhaupt nicht beantwortbar sind. Gerade: Wie entsteht ein Gedanke oder Wie entstand unser Universum, sind Fragen, die auch im empirischen Kontext spekulativ genannt werden müssen und von denen, sind sie begrifflich ersteinmal hinreichend geklärt, nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie sich als genuin philosophisch herausstellen bzw. dass es sich um eine äquivokative Situation handelt: Der Gedanke, den der Neurowissenschaftler meint, ist nicht derselbe, auf den sich der Philosoph bezieht.


Ich würde sagen: Jein. Die Herangehensweise ist eine vollkommen andere. Natürlich ist für Naturwissenschaftler der Gedanke etwas physikalisch-materielles. Er wird immer versuchen Gehirnströme, Zellaktivitäten und Erregungsmuster zu untersuchen. Der Ansatz ist natürlich im konkreten, einzelnen Experiment gnadenlos reduktionistisch, insofern ist der "Gedanke" des Neurobiologen sicher etwas anderes als der "Gedanke" des Philosophen. Naturwissenschaftler verstehen sich da eher als Mitglied eines fleißigen Ameisenstaates, wo jeder versucht in seinem kleinen Gebiet etwas zum großen Ganzen, z.B. zur Beantwortung der Frage "Was ist eine Gedanke" beizutragen. Philosophen gehen da oft aufs Ganze und versuchen gleich spekulativ die Frage in Ihrer enormen Komplexität alleine und nur spekulativ zu beantworten. Letzteren Ansatz finde ich etwas merkwürdig.

Biopsychologen können übrigens mittlerweile relativ genau erklären, wie unsere Bewusstsein Inhalte (Bilder, Ideen, Texte, Bedeutungen) in das Aufmerksamkeitsfenster bringen und dort festhalten zu können, wie solche Inhalte dann verschwinden können und Assoziationsketten entstehen. Das kann erstaunlich einfach über die Aufrechterhaltung der Erregung von Nervenzellgruppen erklärt werden, das An- und Abschalten erfolgt über zwei verschiedene Dopaminrezeptoren. Viele Sachen sind erstaunlich einfach zu erklären. Ich könnte mir Vorstellen die Beantwortung der Frage: "Warum und wann läuft eine Maus im Kreis" durch Scholastiker, lustig und ziemlich langatmig ausfallen würde. Der Neurobiologe weiss experimentell bestätigt, dass dazu das An- und Abschalten einer genau definierten Nervenzellpopulation ausreicht (s. Video oben).


Grotemson hat geschrieben: Genau diese Haltung, nämlich, dass traditionell philosophische Fragen nun einfach mit der Messung von Gehirnströmen und dem Postulieren eines Teilchens beantwortet werden können, führt ja zu der eingangs zitierten Todeserklärung. Dabei wird all zu oft übersehen, dass die Fragen schon alleein rein begrifflich so komplex sind, dass man zb. in der Neurowissenschaft zwar sehr genaue Befunde über aktive oder inaktive Areale während bestimmten mentalen Vorgängen liefern kann, damit aber noch lange nicht geklärt ist, wie ein Gedanke entsteht.


Naturwissenschaftler halten sich aber nicht mit der Erkenntnis der enormen Komplexität auf. Sieh gehen das Problem Schritt für Schritt empirisch an und haben damit enorme Erfolge. Offenbar entsteht durch dieses Arbeiten genau jene Emergenz in unserem Wissen, die der Natur offenbar auch zu eigen ist. Bewusstsein ist offenbar gar nichts immaterielles, gestiges, göttliches oder von außen hinzugefügtes. Offenbar entsteht Bewusstsein fast von selbst, wenn nur ein genügend komplexes Nervengewebe vorhanden ist. Je genauer wir die Struktur und Funktion des Gehirns verstehen, desto näher kommen wir auch der Antwort auf die Frage: "Wie entsteht ein Gedanke", eher jedenfalls als wenn wir erst einmal (d.h. Jahrhunderte lang) die Begriffe definieren und dann versuchen rein spekulativ diese Nuss zu knacken.

Grotemson hat geschrieben:Der Vorwurf der Spekulativität kann heute analytischen Phlosophen nur noch gemacht werden, wenn man beinharter Empirist ist, und selbst dann lediglich der seit ca. 20-30 Jahen wieder aufblühenden Metaphysik(besonders in Form von Ontologie und Metaontologie).


Ich bin ein relativ harter Empiriker, vielleicht nicht beinhart. Wie sieht denn eine nicht spekulative, analytische Philosophie aus? Ich kann mir darunter recht wenig vorstellen und wäre für eine kurze Erläuterung dankbar.

Grotemson hat geschrieben:Dann muss man den Vorwurf aber konsequenterweise auch theoretischen Physikern sowie der von dir ebenfalls erwähnten Mem-Theorie(die ich für komplett unwissenschaftlich halte) machen.


Das habe ich ja schon oben angedeutet. Natürlich gibt es keinen klaren Cut. Niemand ist reiner Empiriker, da jede Theorie und jedes Experiment theorielastig ist. Aufgaben der Philosophie ist es u.a. genau darauf immer wieder hinzuweisen, damit der Naturwissenschaftler keinen Fehlschlüssen unterliegt.

Grotemson hat geschrieben:Du sprichst davon, dass die Naturwissenschaft neues Wissen schafft(also Satzsysteme, in denen jeder Satz wahre, gerechtfertigte[Einwände unberücksichtigt] Meinung ist), aber dass dem so ist, kann man ihr auch absprechen.


Ich denke, dass man das schon so sagen kann. Philosophie kann ja immer nur unterschiedliche Interpretationen der Welt anbieten. Hier wird in der Tat in der Summe kein neues Wissen generiert, allenfalls mehr Klarheit geschaffen (was natürlich auch sehr wichtig ist). In der Naturwissenschaft wurden schon immer neue Wissensbereiche aufgestoßen. Beispiel: Flemming entdeckt, dass bestimmte Pilze das Wachstum von Bakterien hemmen können und entdeckt das Penicillin. Daraus wird ein ganzer Wissenschaftszweig und eine Industrie mit Milliardenumsätzen. Das ist für mich schon quantitativ eine Zunahme an Wissen. Ob Hegel demgegenüber mehr weiß als Sokrates ist meiner Meinung nach eine unsinnige Frage.

Grotemson hat geschrieben:Das bedeutet aber auch, dass ich niemals davon sprechen würde, dass unser momentaner Kenntnisstand etwas mit Wahrheit zu tun hat. Unsere Theorien passen(oft) gut zu den empirischen Daten und lassen sich gut anwenden. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie "wahr"(zumindest nicht, wenn man irgendeine Art von modifizierter Korrespondenztheorie favorisiert).


Genau so sehe ich das auch, es gibt keine Wahrheit, sondern allenfalls verschiedene Wahrheitskandidaten. Die Naturwissenschaft hat aber eine relativ transparente und klare Methode zwischen den Wahrheitskandidaten zu unterscheiden: Das Experiment oder die Beobachtung. Darin liegt ihr Charme und wohl auch ihr Erfolg.

Grotemson hat geschrieben:Ich glaube ... Naturwissenschaft, paradigmatisch dazu Physik, und Philosophie, sind gleichberechtigt.


Da gebe ich Dir und AgentProvocateur recht, das war ein falscher Gedanke von mir.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon xander1 » Di 25. Jan 2011, 17:44

Kann die Naturwissenschaft oder Strukturwissenschaft das:
http://de.wikipedia.org/wiki/Philosophische_Logik
oder das
http://de.wikipedia.org/wiki/Konstruktive_Mathematik
oder das
http://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_der_Mathematik
oder das
http://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_der_Physik
oder das
http://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftstheorie
?

In diesen Fachgebieten steht die Philosophie über der Physik oder Mathematik und reflektiert über diese Wissenschaften.
In diesem Fall ist die Physik ein Sekundärdienstleister und die Philosophie Primärdienstleister.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon Grotemson » Di 25. Jan 2011, 20:57

Zappa hat geschrieben:Wie sieht denn eine nicht spekulative, analytische Philosophie aus? Ich kann mir darunter recht wenig vorstellen und wäre für eine kurze Erläuterung dankbar.

[MOD]"Zappa" als zitierte Person nachtgetragen. Bitte IMMER die Quelle/zitierten Forennutzer bei jedem Zitat eintragen! 1v6,5M[/MOD]
"Nicht spekulative, analytische Philosophie" würde ich, um den Charakter der analytischen Philosophie zu unterstreichen, als Pleonasmus bezeichnen. In dem Buch: "Was Philosophen über Quentenmechanik wissen möchten"(Ich weiß, es klingt ein wenig cheesy, aber ich finde es relativ gut), gibt Ulrich Nortmann in der Einleitung eine meiner Meinung nach recht schöne und präzise Zusammenfassung, die den Kern der analytischen Philosophie gut trifft. Er schreibt:

Was die erste, allgemeinere Frage betrifft[Was ist Philosophie], so waren viele Fachphilosophen in einer bestimmten Phase des 20. Jahrhunderts, im Zuge der "sprachlichen Wende"[linguistic turn]in der Philosophie, nicht abgeneigt, sinngemäß zu antworten: Philosophie habe im wesentlichen von Sprache zu handeln und dem sprachlich verfaßten Theoretisieren über die Welt. Philosophie wurde dementsprechend als eine um die Sprachbetrachtung herum zentrierte Art von Meta-Wissenschaft ausgelegt. Nicht die Welt selbst sollte im Vordergrund stehen, sondern das auf sie bezogene Sprechen und Argumentieren, das Erfinden und Erproben von Theorien über sie. Diese Ausrichtung ist der Philosophie, man muß es unbedingt zugeben, nicht schlecht bekommen: wegen der mit ihr verbundenen Konzentration auf Untersuchungsfelder, in denen abseits großer metaphysischer Spekulation, ebenso kleinteilig wie stringent gearbeitet werden konnte und in denen relativ unstrittige Fortschritte möglich wurden.
-- Ulrich Nortmann, Unscharfe Welt?, WBG, Darmstadt 2009, S. 1
(Eckige Klammern: Grotemson!)
Nortmann schiebt sofort hinterher, dass natürlich heute auch wieder über die Welt selbst gesprochen wird und werden darf, in enger Verbundenheit mit den Naturwissenschaften versteht sich, und mit derselben Doktrin im Hinterkopf, die in dem Zitat zum Tragen kommt.
Evtl. klärt das die Frage nach analytischer Philosophie ein wenig. Sie hätte natürlich einen eigenen Thread verdient.
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon Myron » Di 25. Jan 2011, 21:34

Grotemson hat geschrieben:Der Gedanke, den der Neurowissenschaftler meint, ist nicht derselbe, auf den sich der Philosoph bezieht.


Wieso denn nicht (von abstrakten Frege'schen Gedanken abgesehen)?
Denken ist ein Gehirnvorgang, und Gehirnvorgänge sind elektrochemische Vorgänge. Natürlich sind bewusste Gehirnvorgänge mit einem subjektiv erlebten gedanklichen Inhalt etwas ganz Besonderes, aber nichts Hyperphysisches.

Grotemson hat geschrieben:Genau diese Haltung, nämlich, dass traditionell philosophische Fragen nun einfach mit der Messung von Gehirnströmen und dem Postulieren eines Teilchens beantwortet werden können, führt ja zu der eingangs zitierten Todeserklärung.


Welcher Neurowissenschaftler behauptet denn, dass philosophische Texte durch EEGs und CTs ersetzt werden können?

Grotemson hat geschrieben:Der Vorwurf der Spekulativität kann heute analytischen Philosophen nur noch gemacht werden, wenn man beinharter Empirist ist, und selbst dann lediglich der seit ca. 20-30 Jahen wieder aufblühenden Metaphysik(besonders in Form von Ontologie und Metaontologie).


In meinen Augen hat der Begriff <Spekulation> im (naturalistischen) philosophischen Kontext nichts Abwertendes an sich.

"Spekulation (lat. speculatio), eigentlich Betrachtung oder Anschauung, bezeichnet die Erforschung eines die gemeine Erfahrung übersteigenden Erkenntnisinhaltes."

(http://www.textlog.de/2071.html)

"Spekulation (speculatio, theôria): Betrachtung, Anschauung, geistiges, denkendes Schauen, schauendes Denken, sei es das mystische, phantasiemäßige Betrachten des anscheinend in der Innenwelt sich manifestierenden Übersinnlichen, oder sei es die philosophische (durch 'Geistesblick') die Wesenheiten der Dinge concipierende und begrifflich construierende, zugleich mit logischer Phantasie die Erfahrungsinhalte zur Einheit eines Gedankensystems verknüpfende Geistestätigkeit. Alles Denken, welches aus ihren Prinzipien die Tatsachen der Welt und des Geistes zu begreifen, abzuleiten sucht, welches Einheit und Zusammenhang in den Komplex der Dinge bringen will, ist spekulativ. Im engeren Sinne ist die metaphysische Spekulation das Forschen nach dem Überempirischen."

(http://www.textlog.de/5105.html)

Spekulation ist also hyperempirische, intuitiv-logisch-rationale Reflexion.
(Ein Problem oder Thema ist hyper-/transempirisch, wenn es nicht mittels experimentell-observationeller Methoden entschieden werden kann.)
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Re: Stephen Hawking erklärt Philosophie für tot

Beitragvon Grotemson » Di 25. Jan 2011, 22:31

Myron hat geschrieben:Wieso denn nicht (von abstrakten Frege'schen Gedanken abgesehen)?
Denken ist ein Gehirnvorgang, und Gehirnvorgänge sind elektrochemische Vorgänge. Natürlich sind bewusste Gehirnvorgänge mit einem subjektiv erlebten gedanklichen Inhalt etwas ganz Besonderes, aber nichts Hyperphysisches.

Von Fregeschen Gedanken hatte ich jetzt nicht abgesehen.
Jetzt kommt es darauf an, was genau du mit Hyperphysischem meinst. Ich würde deine Aussage zunächst mal abschwächen und sagen: Ein Gedanke wird begleitet von einem Gehirnvorgang. Aber offensichtlich erschöpft er sich doch nicht in diesem, ganz zu Schweigen von der explanatorischen Lücke zu seiner Genese. Schließlich hat er einen Gehalt, nicht zu vergessen eine Einheit, wenn er als Satz vorkommt. Ergo: Was man philosophisch als Gedanken bezeichnet, deckt sich nicht mit der, durch den Kontext völlig gerechtfertigten, neurowissenschaftlichen Definition, zumindest für Philosophen die nicht aus dem erzkonservativen Reduktionismuslager kommen.

Myron hat geschrieben:Welcher Neurowissenschaftler behauptet denn, dass philosophische Texte durch EEGs und CTs ersetzt werden können?

Das habe ich ja nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass manche Naturwissenschaftler glauben, philosophische Fragen durch derlei Instrumentarium beantworten zu können. Metzinger wäre da ein Kandidat.

Myron hat geschrieben:In meinen Augen hat der Begriff <Spekulation> im (naturalistischen) philosophischen Kontext nichts Abwertendes an sich


Ja...der User, ich habe vergessen wer es war, hatte es aber mit einer negativen Konnotation benutzt und ich bin dann mitgegangen.
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