Myron hat geschrieben:(Wenn man "Alles existiert" als "Alles Existente existiert" liest, dann ist es tautologisch wahr; aber wenn unter "alles" auch alle intentionalen Objekte fallen, dann ist es falsch, denn nicht alle intentionalen Objekte sind existent.)
Ist Intensionalität für dich dann auch nicht relational? Anders gefragt: Wie soll ich mich intensional auf Etwas beziehen können, wenn es nicht existiert?(Das war ja das alte Problem der negativen Existenzaussagen mit Eigennamen, das Russel dann im logischen Atomismus "gelöst" hat).
Myron hat geschrieben:Fangen wir noch mal mit der Raumzeitwelt an. Dem Naturalismus nach ist diese die ganze Welt, außerhalb deren nichts existiert: RZ-Welt = Welt. Nun kommt es also entscheidend darauf an, was innerhalb der Raumzeitwelt vorkommt oder geschieht. Ist die materiell-energetische, physische Teilraumzeitwelt mit ihrem produktiven Potenzial und ihren aktuellen Produkten (Emergenzphänomenen) mit der ganzen Raumzeitwelt identisch oder nicht? Der (materialistische) Naturalismus sagt ja: MERZ-Welt = RZ-Welt. Insgesamt haben wir also:
Metaphysischer Naturalismus: Welt = RZ-Welt = MERZ-Welt
Das ist eine metaphysische These und keine Definition! Das heißt, aus "ist Teil der RZ-Welt" folgt nicht per definitionem "ist Teil der MERZ-Welt". Mit anderen Worten, nicht alles, was innerhalb der RZ-Welt vorkommt oder geschieht, ist allein deshalb Teil der MERZ-Welt. Ein Fisch, der im Wasser schwimmt, ist nicht Teil des Wassers. In der RZ-Welt herumspukende Geister, darin geschehende Wunder, oder darin ausgeübte übernatürliche Fähigkeiten wären nicht Teil der MERZ-Welt, und zwar auch dann nicht, wenn Übernatürliches mit Natürlichem interagieren würde.
Gut, dann frage ich anders: Welches sind Kriterien, die etwas Teil von MERZ werden lassen? Immerhin muss MERZ ja klar bestimmt und wohl definiert sein, auch wenn es- wie du sagst- keine Definition des Naturalismus(aber doch integraler Bestandteil einer solchen) ist.
Dass es keine allgemeingültige Definition gibt, ist mir schon klar. Ich würde mir in dem Bezug dann ein paar Fragen betreffend der Gruppenkohärenz stellen, aber das wäre ein anderer Thread.
Myron hat geschrieben:Ich habe "übernatürliche Entität" als "hyperphysische Entität" und dies wiederum als "physische Entität oder von physischen Entitäten ontisch und genetisch abhängige Entität" definiert. Wenn die MERZ-Welt imstande ist, aus sich heraus psychische oder gar abstrakte Entitäten hervorzubringen, die davon seinsabhängig sind und bleiben, dann betrachte ich diese als natürliche Entitäten. Derartige psychische Entitäten sind psychophysische Entitäten, d.i. physische Entitäten mit einer subjektiven, phänomenellen Dimension, deren Realität kein Naturalist bestreiten sollte. Ich frage mich aber, wie ein physischer oder psychophysischer Prozess irgendwelche abstrakten Entitäten produzieren könnte. Darauf habe ich noch keine verständliche Antwort gefunden, denn es erscheint metaphysisch unmöglich, dass Produkte einer fundamental, radikal anderen ontologischen Kategorie angehören als ihre Produzenten. Andererseits sehe ich gewisse Gründe, zumindest die Existenz kultureller Abstrakta anzuerkennen. Dabei geht es um linguistische oder semiotische Typen, d.h. um Zeichentypen, und Kulturprodukte wie literarische Texte, musikalische Kompositionen oder Spiele (z.B. Schach), bei denen zwischen einem abstrakten Typ und konkreten Exemplaren unterschieden werden kann.
Ich warte mit einer ausführlichen Antwort hierauf, bis ich die Zugehörigkeitskriterien für MERZ gehört habe, aber ich glaube dann sind wir wieder bei der trivialen Lesart. Deine Konstruktion von ontischer und genetischer Abhängigkeit given for the sake of the argument, befänden sich doch jetzt immer noch Naturgeister und Ähnliches in MERZ, denn viele von denen stehen ja tatsächlich in ontischer Abhängigkeit zu "physischen" Entitäten. Wenn ich Bäume fälle, sterben die Baumgeister. Lawaströme poduzieren Feuergeister. Das gibt es alles(als kulturelle Glauben, nicht als Entitäten). Ich glaube kaum, dass du die in MERZ willst.
Aber wie gesagt ist mir ontische Abhängigkeit noch nicht klar. Wenn man es naiv versteht, ist alles von Etwas abhängig und man gerät in einen Regress. Wenn man es nicht naiv versteht, dann scheint es einen Existenzbegriff zugrunde zu legen, den ich nicht teile.
Außerdem habe ich ja schon abgeraten, eine Notwendigkeitsklausel einzuführen, weil man dann Gefahr läuft, dass nie etwas ontisch abhängig ist.
Myron hat geschrieben:Ich bin zwar kein Physiker, aber davon habe ich noch nicht gehört. Beispiel? (Reduktion von Materie auf abstrakte Information?)
Ich bin auch kein Physiker. Ich habe aber ein Buch und einige Aufsätze dieses Herrn(siehe link) gelesen, die die These vertreten. Wenn ich es genauer erklären sollte, bräuchte ich etwas Zeit, um mich wieder in die Materie(Ha ha) einzuarbeiten.
Leider zieht der Mann auch philosophische Konsequenzen aus seiner Arbeit, die ich eher mau finde.
http://en.wikipedia.org/wiki/Hans-Peter_D%C3%BCrrMyron hat geschrieben:Eigentlich ist "wissenschaftlicher Skeptizismus" eine treffendere Bezeichnung als "wissenschaftlicher Antirealismus", findest du nicht?
Nein, finde ich nicht. Ich zweifle ja nicht an der Objektivität der wissenschaftlichen Methode oder an ihrer Fähigkeit der Erklärung. Ich zweifle nicht an "der Wissenschaft", sondern habe einfach ein anderes Bild von theoretischen Konstrukten und ihrem Zusammenhang zur Realität.
Myron hat geschrieben:Mein Wahrheitsverständnis ist das korrespondenztheoretische. Und ich akzeptiere das Wahrmacher-Prinzip: Wenn ein Satz wahr ist, dann gibt es etwas in der Wirklichkeit, das ihn wahr macht (im nichtkausalen Sinn).
Das entspricht meinen Verständnis.(Off Topic: Kennst du das Slingshot-Argument?) Interessant wäre jetzt zu hören, wie du deinen Glauben daran rechtfertigst, dass es auch tatsächlich die Wahrmacher(Ich weiß nicht, ob du Tatsachen, Strukturen, states of affairs oder was du annimmst) zu den entsprechenden Theorien gibt, wo wir doch epistemisch keinen Zugang zu ihnen haben, um die Korrespondenzrelation nachzuprüfen. Müsste diese Tatsache nicht eigentlich jeden Korrespondenztheoretiker wenigstens zum Antirealismus hinneigen?
Myron hat geschrieben:Die scheint auch nicht klar definierbar zu sein, oder?
Klar genug, um die Position aufrecht erhalten zu können. Natürlich gibt es Randbereiche und an denen muss man arbeiten, aber auf Vagheiten stößt man bei vielen Begriffen über kurz oder lang.
Myron hat geschrieben:Ein radikaler Skeptiker müsste aber eigentlich selbst die Angemessenheit wissenschaftlicher Theorien anzweifeln; denn woher will er wissen, dass sich eine angemessene Theorie nicht irgendwann im Lichte neuer Beobachtungen als unangemessen erweisen wird?
Deswegen bin ich auch ein Skeptiker, der sich vor der Pragmatizität(vorausgesetzt es gibt dieses Wort) der Wissenschaft verbeugt und ihre wunderbare Fähigkeit der (momentan) angemessenen Beschreibung bewundert. In der Tat kann diese Angemessenheit im Lichte neuer Beobachtungen schnell schwinden; dann müssen neue Ideen her und die Wissenschaftsgeschichte ist wiederum voll von Beispielen dieser Art. Aber gerade diese Dynamik macht ja das besondere- und ich würde sogar sagen das genuin objektive- an der wissenschaftlichen Methode aus. Gerade dass sie in einer stetigen theoretischen Veränderung begriffen ist, die nicht teleologisch auf de Erklärung von allem hinausläuft, macht ja ihren Reiz aus. Ich bin hier tendenziell sogar auf der Seite von Kuhn und würde mich ebentuell dazu hinreißen lassen, dass die Entwicklung der Wissenschaften nicht linear in Richtung "höchster Wahrheit" läuft, sondern vielleicht eher in Zyklen zu einer Pluralität an Beschreibbarkeit.
Myron hat geschrieben:Ich habe inzwischen das Gefühl, wir sind unnötigerweise schon zu tief in den Sumpf der Realismus-Antirealismus-Debatte eingesunken.
Die Ausgangsfrage kann nämlich auch ohne realistische Voraussetzungen gestellt werden:
Ist die Wahrscheinlichkeit des ontologischen Naturalismus unter der Bedingung, dass nur der methodologische Naturalismus zu angemessenen und sehr erfolgreichen wissenschaftlichen Theorien geführt hat, höher als dessen Wahrscheinlichkeit ohne diese Bedingung?
Ich sage ja, zumal es ja keinen methodologischen Supernaturalismus als Konkurrenten gibt, der zu gleichermaßen angemessenen und erfolgreichen Theorien geführt hat.
Das Gefühl habe ich auch. Aber ich bestehe doch darauf, dass wir uns berechtigterweise in den Sumpf begeben haben, denn ich glaube, dass das ursprüngliche Argument nur mithilfe des wissenschaftlichen Realismus Kraft hat. Wenn du deine im Zitat gestellte Frage sozusagen im Bezugssystem dieses Argumentes( Wissenschaft erfolgreich. Naturalismus ont. Deutung vin Wissenschaft. Ergo Nat. richtig)stellst, dann: Mit der von mir geforderten Einschränkung(keine Wahrheit, nur empirische Angemessenheit) ist über die Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit des Naturalismus keine Aussage zu treffen. Wohl aber- und das würde ich auch nie leugnen- kann der Erfolg wissenschaftlicher Methode in der pragmatischen Anwendung zugegeben werden. Aber ich würde eben sagen, dass diese zuerst mal frei ist, von notwendigen ontologischen Annahmen.
Wie ich den Naturalismus bisher verstehe, nimmt er ja die Kulmination aller bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnis, zieht daraus ontologische Konsequenzen und plädiert dann für deren Wahrheit angesichts des praktischen Erfolgs der Methode, die die Erkenntnisse hervor gebracht hat, die gedeutet werden.
Erstens ist ohne wissenschaftlichen Realismus dann nur gezeigt, dass der Nat. gut zu den Ergebnissen passt, nicht aber ob diese wahr sind, zweitens ist auch die Kulmination der Ergebnisse deutungsvariant. Das heißt- den Realismus zugegeben, was ich nicht zugebe- bleibt immer noch, dass man verschiedene Schlüsse aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen oder ihrer Summe ziehen kann. Das merkt allein daran, dass sehr starke theistische Argumente auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen(wie du weiter unten ja auch feststellst. Swinburne, Plantinga und Craig argumentieren sehr gerne mit fine tuning- und Urknall-argumenten).
Grob ausgedrückt musst du also zwei Zusatzprämissen einführen:
1. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungs sind deutungsinvariant
2. Der wissenschaftliche Realismus ist wahr.
Erstens ist meiner Meinung nach ziemlich trivial falsch und zweitens hat eine Schlacht mit nicht einmal ansatzweise definitiven Ende vor sich.
Myron hat geschrieben:Beispiel?
Zusammenhang: Du wolltest ein Beispiel für Theorien die von übernatürlichen Annahmen ausgehen und trotzdem erfolgreich waren. Ich hatte ja da den ziemlich berühmten Artikel von Larry Laudan zitiert. Jetzt kannst du, wenn ich ein Beispiel nenne, wohl immer irgendwie sagen, das sei doch keine übernatürliche Annahme, weil ich das Wort "natürlich" ganz ehrlich immer noch nicht verstanden habe(vielleicht bessert sich das, sobald ich Zugehörigkeitskriterien für MERZ habe!), aber ich versuch trotzdem. Ein sehr prominentes Beispiel ist die "Phlogiston-Theorie der Verbrennung", die annimmt, es gäbe eine masselose ätherartige Substanz namens Phlogiston, die beim Erwärmen von Gegenständen irgendwie in die Materie eindränge und beim Verbrennen entweiche und die unsichtbar sei.
Myron hat geschrieben:Denke an die Äquivalenz von "Es gibt nichts Nichtnatürliches" und "Alles, was es gibt, ist natürlich"!
Die negative Bestimmung entspricht also einer positiven Bestimmung.
Gut trotzdem(gerade deswegen) glaube ich, dass ein Vertreter einer Theorie, die die Nichtexistenz von Etwas logisch impliziert, in Schwierigkeiten gerät, wenn sie später versucht, auf Grundlage von Prämissen, die die eigene Position enthalten, genau diese Nichteixtenz zu beweisen(zu zeigen, zu plausibilisieren). Ganz abgesehen davon reicht es doch nicht, eínfach die Gegenposition auszuschalten, um die eigene plausibel zu machen, selbst wenn eine logische Verbudung in Form eines kontradiktorischen Verhältnisses besteht.
Myron hat geschrieben:Es gibt, wie gesagt, ja gar keinen methodologischen Supernaturalismus, der zu irgendwelchen angemessen und erfolgreichen wissenschaftlichen Theorien geführt hat. Der methodologische Naturalismus ist praktisch konkurrenzlos.
Wie bereits gesagt: Das macht ihn noch nicht wahr. Es macht ihn empirisch erfolgreich. Und die wissenschaftliche Methode naturalistisch zu nennen, setzt eine Deutungsinvarianz ihrer Ergebnisse voraus.
Was ist eine "Supernaturalistische" was ist eine "naturalistische" Methode? Kann nicht fast jede Methode in fast jeder Disziplin integriert werden?
Myron hat geschrieben:Aus Konsistenz allein folgt natürlich nicht Wahrheit, aber aus Inkonsistenz folgt doch notwendige Falschheit.
Derlei logische Verbindung ist mir nicht bekannt. Laut ex falso Prinzip folgt aus einem Widerspruch Wahrheit und zwar jede beliebige. Aus Widerspruch folgt also nicht Falschheit, sondern Unbrauchbarkeit der Theorie oder des Satzes.
Myron hat geschrieben:Witzigerweise führen auch tonangebende theistische Philosophen wie Richard Swinburne die angebliche Einfachheit der theistischen Welterklärung als Wahrheitskriterium ins Feld.
Die müssen damit umgehen lernen, dass sie(mit diesem Argument) Unrecht haben! Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sie es nicht doch nur als Theory-Choice Kriterium verwenden. Müsste da den konkreten Text lesen, auf den du anspielst.
Myron hat geschrieben:Dumm gefragt: Was ist der Unterschied zwischen Kohärenz und Konsistenz?
Ein System ist konsistent, wenn es nicht einen Satz und dessen Negation enthält. Ein System ist kohärent, wenn es konsistent ist und zwischen den Sätzen eine bestimmte Form von gegenseitigem Stützungsverhältnis herrscht. Dieses Stützungsverhältnis explizit und ggf. formalisieren die verschiedenen Strömungen jeweils anders.
Myron hat geschrieben:Wenn die Antirealisten von mir erwarten, dass ich nicht an die Wahrheit der darwinistischen Evolutionstheorie glaube, nur weil sich eine aus der abstrakten Luft gegriffene empirisch äquivalente formale Theorie konstruieren lässt, die ihr widerspricht, dann mache ich da schlichtweg nicht mit – dann bin ich gerne wissenschaftsgläubig.
Was heißt "glaube"? An deren Wahrheit oder an deren explanatorischen und empirischen Erfolg in Bezug auf die uns gegebenen Phänomene?(Was will man mehr?) Was letzteres betrifft, ist die Evolutionstheorie(meinst du wirklich die darwinistische??) doch super bestätigt. Ob gewisse unbeobachtbare "wahrlich" Prozesse im Mikro-Bereich ablaufen, kann nicht festgestellt werden. Was das Selektionsprinzip betrifft, gibt es übrigens mittlerweile wackere Kanditaten für Unterbestimmtheit, soweit ich das mitgekriegt habe.