Was ist Wahrheit?

Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 9. Mär 2011, 20:49

stine hat geschrieben:Jeder macht sich seine Welt, wie er sie sehen oder haben möchte selber. Man kann ausblenden, einblenden, annehmen oder sich abschotten, die Welt ist eine ganz persönliche und immer so, wie jeder sie subjektiv wahrnimmt.
Imgrunde sind wir lauter kleine Autisten, von denen manche gelernt haben, sich auch für das Draußen zu interessieren.
Mark hat geschrieben:@agent, evtl meinst Du unterdeterminierte Thesen die identische Vorhersagekraft haben ?

Nein, also das beides trifft es nicht. Eigentlich überhaupt nicht.

Ich schätze mal, ich hänge dem Pragmatismus an. Habe ich erst kürzlich erst entdeckt und das passt wunderbarerweise ausgezeichnet auf das, was ich schon lange denke.

Pragmatismus ist, glaube ich, nicht so richtig mit Naturalismus vereinbar, denn auch Naturalismus geht wohl letztlich von der Möglichkeit eines neutralen Beobachters aus, (der s.g. "Metaphysische Realismus") - (@Mark). So wie auch Monotheismus. Man meint, es könne am Ende nur eine Theorie übrig bleiben. Die Theorie, die dann die Wahrheit darstelle, die TOE. Es könne also unmöglich zwei sich widersprechende Theorien geben, von denen man niemals sagen könne, welche wahrer sei. Könne man das zurzeit nicht, habe man lediglich noch nicht genug Informationen. Aber prinzipiell sei letztlich alles eindeutig auflösbar.

Pragmatismus bedeutet aber keineswegs Skeptizismus, (@stine), ist im Gegenteil explizit gegen Skeptizismus gerichtet. Es gibt Wahrheit, jedoch immer in einem bestimmten Kontext. Jedoch gibt es nicht den einzig wahren Kontext.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon Qubit » Do 10. Mär 2011, 00:16

stine hat geschrieben:Auch das kann ich nachvollziehen; für mich ist das allerdings kein naturwissenschaftliches Phänomen, sondern ein psychisches Abstraktes, das mit dem Denken der Subjekte einhergeht. Jeder macht sich seine Welt, wie er sie sehen oder haben möchte selber. Man kann ausblenden, einblenden, annehmen oder sich abschotten, die Welt ist eine ganz persönliche und immer so, wie jeder sie subjektiv wahrnimmt.
Imgrunde sind wir lauter kleine Autisten, von denen manche gelernt haben, sich auch für das Draußen zu interessieren.


Ja, fast..
wir alle haben einen naturalistischen Kontext.. sonst könnten wir Bäume nicht von Ampeln unterscheiden.
Dann geht es weiter.. manche hinterfragen gemeinsam wahrgenommene Phänomene, das führt letztlich zur Naturwissenschaft, mit kausalen wissenschaftlichen Theorien.
Und wenn man diesen Kontext akzeptiert hat, will man keine supranaturalistischen Gründe mehr anerkennen.
Dann ist aus mit Religion =)
Freilich kann man auch meinen, dass der naturwissenschaftliche Kontext nicht alles erklären kann. Dann muss man sich allerdings fragen, ob das an der Natur an sich oder aber an sich selbst liege :/
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon AgentProvocateur » Do 10. Mär 2011, 00:36

Qubit hat geschrieben:Freilich kann man auch meinen, dass der naturwissenschaftliche Kontext nicht alles erklären kann.

Freilich kann der naturwissenschaftliche Kontext nicht alles erklären. Der hat keine Antwort auf die Frage, wieso ich gestern wieder keinen Parkplatz in der Stadt gefunden habe.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon BeTween » Do 10. Mär 2011, 01:23

AgentProvocateur hat geschrieben:Freilich kann der naturwissenschaftliche Kontext nicht alles erklären. Der hat keine Antwort auf die Frage, wieso ich gestern wieder keinen Parkplatz in der Stadt gefunden habe.


Das ist nur eine Fragestellung auf deren Ergebnis so viele unterschiedliche Faktoren einwirken, dass sie scheinbar unerklärbar ist...
Ich weiß noch, wie mich damals als Kind ein Beispiel aus Jurasic Park beeindruckt hat, wo ein Kerl erklärt, dass es nur scheinbar Zufall ist, in welche Richtung ein Wassertropfen fließt, wenn er auf die Hand tropft. Eigentlich häng es aber von den etlichen kleinen Rillen auf unserer Hand ab.
Ich glaube nicht an Zufall. Zufall ist für mich nur Unvorhersehbarkeit aufgrund von fehlenden Informationen und von daher denke ich, dass es auch möglich wär exakt darauf zu antworten, warum du keinen Parkplatz gefunden hast (so ungenau die Frage auch gestellt ist). Trotzdem darfst du dich bei einer so unpräzisen Fragestellung dann nicht über die Antwort 42 wundern.

Nanna hat geschrieben:Übrigens, deine Signatur verleitet mich, dir diesen Youtube-Link zu empfehlen: http://www.youtube.com/watch?v=UB_htqDCP-s Englisch verstehst du ja offensichtlich ausreichend.


Geniales Ding :mg: ist ab jetzt in meinen Favoriten.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon AgentProvocateur » Do 10. Mär 2011, 01:40

BeTween hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Freilich kann der naturwissenschaftliche Kontext nicht alles erklären. Der hat keine Antwort auf die Frage, wieso ich gestern wieder keinen Parkplatz in der Stadt gefunden habe.

Das ist nur eine Fragestellung auf deren Ergebnis so viele unterschiedliche Faktoren einwirken, dass sie scheinbar unerklärbar ist...

Wenn das Universum expandiert, warum finde ich dann nie einen Parkplatz?

Woody Allen
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon Qubit » Do 10. Mär 2011, 01:46

AgentProvocateur hat geschrieben:
Qubit hat geschrieben:Freilich kann man auch meinen, dass der naturwissenschaftliche Kontext nicht alles erklären kann.

Freilich kann der naturwissenschaftliche Kontext nicht alles erklären. Der hat keine Antwort auf die Frage, wieso ich gestern wieder keinen Parkplatz in der Stadt gefunden habe.


Hm, du siehst das sehr subjektiv ;-)

Hier geht es m.E. gar nicht um die Frage, was Zufall und Notwendigkeit ist (was die Antwort der Mitstreiter vermuten läßt)..
Auch der "freie Wille" (was immer das sei und auch nicht dein Beispiel ganz treffe) muss nicht supranaturalistisch sein, warum auch? ;-)
Und das meiste, was der Mensch als "zufällig" erachtet, ist es doch gar nicht..
Wenn Du keinen Parkplatz gefunden hast, liegt es wohl daran, dass andere vor Dir geparkt haben ;-)
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon BeTween » Do 10. Mär 2011, 03:17

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn das Universum expandiert, warum finde ich dann nie einen Parkplatz?

wow.. du gibst dir ja richtig Mühe, deinem Namen alle Ehre zu machen :mg:
du Rebell du ;-)
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon ujmp » Do 10. Mär 2011, 07:27

BeTween hat geschrieben:Ich glaube nicht an Zufall. Zufall ist für mich nur Unvorhersehbarkeit aufgrund von fehlenden Informationen und von daher denke ich, dass es auch möglich wär exakt darauf zu antworten, warum du keinen Parkplatz gefunden hast (so ungenau die Frage auch gestellt ist).

Das ist eine zumindest unbegründete Annahme, die m.E. so willkürlich (oder pragmatisch) in die Welt gesetzt wurde, wie die "Unendlichkeit des Raumes". Es stimmt nicht, dass du dir vorstellen kannst, dass es auf alles eine Antwort gibt - du kannst dir nur nicht vorstellen, das es auf nicht alles eine Antwort gibt. Du kannst dir auch einen unendlichen Raum nicht vorstellen, sondern nur seine Endlichkeit nicht. Du stellst dir immer nur einen Punkt vor und denkst dir einen weiteren Punkt dahinter. Das ist aber nicht der Raum, den du dir dabei vorstellst, sondern nur einen Prozedur die dazu dient ihn zu "erfahren". Deine Taschenlampe leuchtet immer nur vor deine Füße. Genau so ist es auch mit der Kausalität. Dieses in "Beziehung" setzen ist eine Prozedur, die den ganzen Tag in deinem Kopf ihre Herrschaft ausübt. Sie zwingt dich dazu, hinter allem einen Grund zu suchen oder selbst der Grund für etwas zu sein. Sie gehört zu deinem Organismus wie deine Lungen oder deine Leber.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon King Lui » Do 10. Mär 2011, 10:54

ujmp hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:
Shine hat geschrieben:Ich bin also auf der Suche nach Wahrheit, nicht nach blindem Glauben!


Da bin ich dabei!


Ich auch. Aber ich tippe, dass wir nicht dasselbe unter "Wahrheit" verstehen.

M.E. ist Wahrheit die Übereinstimmung von Beobachtung und Erwartung.
...
Was meint ihr?

Zuerst einmal ist Sprache ein Kommunikationsmedium. Der sprachphilosophische Konventionalismus ist meines Erachtens "wahr".

Wahrheit ist ein wertender Begriff. Wahrheit existiert nicht unabhängig vom Menschen. Nur das, was als wahr gewertet wird, kann auch objektiv gültig sein.

Ein Blick in wikipedia oder eine andere Enzyklopädie zeigt, dass es keine einheitliche Definition von Wahrheit gibt.

Die Frage "Was ist Wahrheit?", ist damit meines Erachtens falsch gestellt. Vielmehr müsste man fragen: "Können wir uns auf eine einheitliche Wahrheitsdefinition einigen?"

Wenn man mit einem Wahrheitsanspruch auch einen Allgemeingültigkeitsanspruch verbindet, dann macht es eigentlich nur Sinn das als wahr zu bezeichnen, das unabhängig von Menschen Gültigkeit hat, also objektiv gültig ist, und nicht von Menschen manipulierbar ist. Mit fällt hier auf Anhieb nur historisches und die Naturgesetze ein.

Normalerweise wird der Begriff Wahrheit aber kontextabhängig erheblich weniger stringent genutzt.

Selbstverständlich erhebt man auch dann, wenn man den Wahrheitsbegriff nur in diesem Sinne nutzt, für eine jede Sachverhaltsbeschreibung, die man als Wahrheit bezeichnet, lediglich einen Allgemeingültigkeitsanspruch.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon Myron » Do 10. Mär 2011, 15:58

King Lui hat geschrieben:Wahrheit ist ein wertender Begriff. Wahrheit existiert nicht unabhängig vom Menschen. Nur das, was als wahr gewertet wird, kann auch objektiv gültig sein.


"Wahrsein ist etwas anderes als Fürwahrgehaltenwerden, sei es von einem, sei es von vielen, sei es von allen, und ist in keiner Weise darauf zurückzuführen. Es ist kein Widerspruch, dass etwas wahr ist, was von allen für falsch gehalten wird."

"Kann man ärger den Sinn des Wortes 'wahr' fälschen, als wenn man eine Beziehung auf den Urteilenden einschließen will!"


(Frege, Gottlob. Grundgesetze der Arithmetik. Bd. 1. 1893. xv + xvi)
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon Nanna » Do 10. Mär 2011, 21:19

Mit dem Pragmatismus werde ich auf den ersten Blick nicht so recht warm, AgentProvocateur, da bleibe ich doch lieber, wie es die Wikpedia ausdrückt, ein "erkenntnistheoretischer Fundamentalist" und Empirist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt Wahrheit, jedoch immer in einem bestimmten Kontext. Jedoch gibt es nicht den einzig wahren Kontext.

Diese Haltung muss man sehr klar als ontologischen Agnostizismus kennzeichnen, wenn man nicht missverstanden werden will. Denn man muss, um diese Sichtweise zu vertreten, akzeptieren, dass unklar, also im Sinne des Agnostizismus "ungewusst" bleibt, auf welcher Basis der Kontext steht. Mir drängt sich beispielsweise die Frage auf, ob es "falsche" Kontexte geben kann, beispielsweise im Sinne eines gefälschten Subsystems ("Matrix-Realität"). Ein Einwohner eines solchen Subsystems könnte beispielsweise von außen beeinflusst werden, etwa durch Sinneswahrnehmungen einer gefälschten Umgebung. Weder der Empirist noch der Pragmatist sind in der Lage, mit ihren Mitteln diese Tatsache aufzudecken, sofern die Illusion keine Schlupflöcher lässt, aber der Empirist würde wenigstens den Gedanken akzeptieren, dass es eine Wahrheit "oberhalb" des eigenen Kontextes geben könnte, die zwar nicht oder nur teilweise aufdeckbar, aber dennoch existent wäre.

So wie ich das verstehe, geht der Pragmatismus sehr in Richtung Solipsismus, und der mag eine unangreife Position sein, ist aber auch arg unansehnlich.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon AgentProvocateur » Do 10. Mär 2011, 21:55

Nanna hat geschrieben:Mit dem Pragmatismus werde ich auf den ersten Blick nicht so recht warm, AgentProvocateur, da bleibe ich doch lieber, wie es die Wikpedia ausdrückt, ein "erkenntnistheoretischer Fundamentalist" und Empirist.

Ich glaube aber: der erste Blick ist hier nicht ausreichend.

Nanna hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt Wahrheit, jedoch immer in einem bestimmten Kontext. Jedoch gibt es nicht den einzig wahren Kontext.

Diese Haltung muss man sehr klar als ontologischen Agnostizismus kennzeichnen, wenn man nicht missverstanden werden will. Denn man muss, um diese Sichtweise zu vertreten, akzeptieren, dass unklar, also im Sinne des Agnostizismus "ungewusst" bleibt, auf welcher Basis der Kontext steht. Mir drängt sich beispielsweise die Frage auf, ob es "falsche" Kontexte geben kann, beispielsweise im Sinne eines gefälschten Subsystems ("Matrix-Realität"). Ein Einwohner eines solchen Subsystems könnte beispielsweise von außen beeinflusst werden, etwa durch Sinneswahrnehmungen einer gefälschten Umgebung.

Ja, aber dennoch wäre die Umgebung dann nicht "gefälscht", sie wäre immer noch so, wie sie eben wäre.

Es ergibt meiner Ansicht nach hier keinen Sinn, von einem "gefälschten" Komtext zu reden.

Täte man das, implizierte man einen "einzig echten" Kontext.

Kennst Du das "Hirn-im-Tank"-Argument von Putnam? Siehe dort, (kurzer Artikel). Ich finde das sehr plausibel.

Nanna hat geschrieben:Weder der Empirist noch der Pragmatist sind in der Lage, mit ihren Mitteln diese Tatsache aufzudecken, sofern die Illusion keine Schlupflöcher lässt, aber der Empirist würde wenigstens den Gedanken akzeptieren, dass es eine Wahrheit "oberhalb" des eigenen Kontextes geben könnte, die zwar nicht oder nur teilweise aufdeckbar, aber dennoch existent wäre.

Ja, aber der Pragmatiker (zumindest so, wie ich das verstehe) akzeptiert ebenfalls die Möglichkeit einer solchen "übergeordneten" Realität. Mag sein, dass wir simuliert sind. Aber der Witz aus Sicht des Pragmatikers ist: das würde absolut nichts an unserer Realität ändern. Es ergibt per se keinen Sinn, zu behaupten, unsere Realität wäre eine Illusion.

Nanna hat geschrieben:So wie ich das verstehe, geht der Pragmatismus sehr in Richtung Solipsismus, und der mag eine unangreife Position sein, ist aber auch arg unansehnlich.

Okay, aber ich verstehe das ganz anders, und zwar diametral entgegengesetzt. Pragmatismus beinhaltet sowohl einen Anti-Solipsismus als auch einen Anti-Skeptizismus.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon King Lui » Fr 11. Mär 2011, 10:57

Myron hat geschrieben:
King Lui hat geschrieben:Wahrheit ist ein wertender Begriff. Wahrheit existiert nicht unabhängig vom Menschen. Nur das, was als wahr gewertet wird, kann auch objektiv gültig sein.


"Wahrsein ist etwas anderes als Fürwahrgehaltenwerden, sei es von einem, sei es von vielen, sei es von allen, und ist in keiner Weise darauf zurückzuführen. Es ist kein Widerspruch, dass etwas wahr ist, was von allen für falsch gehalten wird."

"Kann man ärger den Sinn des Wortes 'wahr' fälschen, als wenn man eine Beziehung auf den Urteilenden einschließen will!"


(Frege, Gottlob. Grundgesetze der Arithmetik. Bd. 1. 1893. xv + xvi)

Natürliche Sprachen sind traditionell überlieferte Konventionen, die eine Dynamik besitzen. Erst mit dem Aufkommen von Enzyklopädien wurde der Versuch unternommen die Bedeutung von Begriffen klar zu definieren.

Beim Begriff Wahrheit gilt der Status Quo, dass dies (noch) nicht eindeutig und klar erfolgt ist. Auf klare Definitionen von Begriffen, die eigentlich ein Werturteil sind, kann man sich nur einigen. Es gibt aber vernünftige und unvernünftige Definitionen.

Nicht nur Frege scheint ein Problem damit gehabt zu haben Wahrheit als etwas anzusehen, mit dem Menschen eine (meist) objektive Bewertung eines Sachverhalts zum Ausdruck bringen.
Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel bezeichnet der „gewöhnliche“ Begriff der Wahrheit, der diese als Übereinstimmung zwischen Urteil und Realität auffasst, eine bloße Richtigkeit.
http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheit#Hegel

Bei Hegel ist nun endgültig anstatt Sprachanalyse eine Wortspielerei zu bemerken. Er macht dadurch, dass er den "gewöhnlichen" Begriff der Wahrheit zur "bloßen" Richtigkeit erklärt, (also den, auf den sich die Mehrheit der Bevölkerung bewußt oder unbewußt geeinigt hat), den Begriff " seiner Wahrheit" frei, für irgendeine Bedeutung, die in seiner persönlichen Philosophie zu suchen ist.

Kommunikation wird dadurch nicht einfacher.

Und welchen Sinn hätte es, Wahrheit als eine einem Sachverhalt innewohnende Eigenschaft zu begreifen, wie das Frege scheinbar machen will? Dann müsste ja auch ein Irrtum eine Eigenschaft sein, die im Sachverhalt und nicht im Subjekt verankert ist.

Wahrsein ist in dem Sinne etwas anderes als Fürwahrgehaltenwerden, als dass die Person, die etwas als Wahrheit bezeichnet, damit eine stärkere Überzeugung ausdrückt, als wenn sie nur von einem Fürwahrhalten spricht.

Ohne Menschen oder andere urteilsfähige Wesen gäbe es nur Realitiät, kein wahr und kein falsch.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon ujmp » Fr 11. Mär 2011, 11:18

King Lui hat geschrieben:
Kommunikation wird dadurch nicht einfacher.

Kommunikation ist m.E. kein Problem von dem die Annahme eines "Sachverhaltes" abhängig ist. Die Frage ist erstmal nur, in welcher Beziehung meine Meinung zu einer von mir unabhängigen Realität steht. Trotz der Gefahr, mit Hegel einer Meinung zu sein :mg:, sag ich mal wieder: Ein Begriff (oder ein Satz) ist meine Erwartung an einen Gegenstand und Wahrheit ist, wenn er meiner Erwartung entspricht.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon King Lui » Fr 11. Mär 2011, 12:29

ujmp hat geschrieben:
King Lui hat geschrieben:
Kommunikation wird dadurch nicht einfacher.

Kommunikation ist m.E. kein Problem von dem die Annahme eines "Sachverhaltes" abhängig ist.

Von der Kommunikation ist die Annahme eines "Sachverhaltes" nicht abhängig. Aber natürliche Sprachen sind Kommunikationsmedien und menschliche Erfindungen, was nicht immer aber doch von einigen Anhängern der analytischen Philosophie nicht hinreichend berücksichtigt wurde, weil sie aufgrund der Selbstverständlichkeit mit der wir Menschen in eine über Sprache kommunizierende Gesellschaft hineingeboren werden, diese Sprache als objektiv und nicht nur intersubjektiv existierendes Phänomen bewerten.

Dies gilt insbesondere für den Wahrheitsbegriff.

ujmp hat geschrieben:Die Frage ist erstmal nur, in welcher Beziehung meine Meinung zu einer von mir unabhängigen Realität steht.

Ich könnte die Urknalltheorie und die Evolutionstheorie nicht überzeugend vertreten, wenn ich nicht davon ausginge, dass es das Universum auch schon unabhängig von mir (vor aller Evolution) gegeben hätte. Dass ich als Subjekt ein Teil der Realität bin, und es deshalb auch Abhängigkeiten zwischen mir und der Realität gibt, ändert nichts daran, dass es vieles im Universum gibt, das weder ich noch sonst jemand beeinflussen kann, sondern nur verstehen und evtl. nutzen kann.

Die Frage ist erstmal nur in welcher Beziehung deine Meinung zu einer von dir unabhängigen Realität steht. Wenn du diese Frage nun offen läßt oder mit nein beantwortest, kannst du mittels analytischer Philosophie Wahrheit in Sprachspielereien finden. Das ist dann alles nur eine Frage der Definition und wie kreativ du mit Sprache umgehen kannst. Das kann ich aber auch machen. Wenn ich es nicht mache, ist das keine Frage der mir fehlenden Kreativität, sondern, dass ich der Ansicht bin, dass der Begriff Wahrheit mit einem Allgemeingültigkeitsanspruch verknüpft ist, den ich dann aufgeben müsste.

ujmp hat geschrieben:Trotz der Gefahr, mit Hegel einer Meinung zu sein :mg:, sag ich mal wieder: Ein Begriff (oder ein Satz) ist meine Erwartung an einen Gegenstand und Wahrheit ist, wenn er meiner Erwartung entspricht.

Jetzt sprichst du von einem Gegenstand. Ich sprach von einem Sachverhalt und zustätzlich noch über sprachliche Konventionen. Das ist deine Definition von Wahrheit, die du nun wiederholst. Was deiner Erwartung entspricht, ist nicht unbedingt objektiv gültig und nicht unbedingt allgemeingültig.

Sollte man das in eine vernünftige Wahrheitsdefinition, auf die man sich einigen kann, einbauen?
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon King Lui » Fr 11. Mär 2011, 14:27

AgentProvocateur hat geschrieben:Kennst Du das "Hirn-im-Tank"-Argument von Putnam? Siehe dort, (kurzer Artikel). Ich finde das sehr plausibel.

Ich nicht, sondern ich halte das für eine Sprachspielerei, wobei ich den Artikel nur überflogen habe.

(1) In meiner Sprache bezeichnet das Wort "Tiger" die Tiger. (Disquotation).
(2) In der Sprache eingetankter Gehirne bezeichnet das Wort "Tiger" keine Tiger. (Externalismus).
(3) Also unterscheidet sich meine Sprache von der Sprache eingetankter Gehirne. (Aus (1) und (2)).

Es gibt hier zwei Gehirne: Gehirn 1 aus der Disquotation und Gehirn 2 aus dem Externalismus.

Ein drittes externalistisches denkendes Gehirn, das zu wissen meint, dass sowohl Gehirn 1 als auch Gehirn 2 Gehirne im Tank sind, kann das, was die Gehirne und Müller sich zusammenreimen nur für falsch halten, da er meint, die Tanks mit den Gehirnen von aussen betrachten und empirisch untersuchen zu können.

Aber vielleicht irrt sich ja auch dieses Gehirn, und ist selbst auch ein Gehirn im Tank.

Wir werden uns zwar mit recht extremen Gedankenspielen befassen. Aber wir werden dies auf dem Boden dessen tun, was wir uns im Augenblick vorstellen können.
Ich kann mir herrlich viel vorstellen auch die verücktesten Szenarien. Ich habe nun natürlich die Prämissen von Müller verletzt:

Aber ausgehen müssen wir von dem, was wir uns vorstellen können – sonst entsteht nichts als leeres Gerede.
Erstens können wir mehr wissen, als die empirischen Naturwissenschaften jemals liefern werden; es gibt genuin apriorisches Wissen.
Diese Behauptung basiert auf einem Denkfehler. Ein Empiriker oder kritischer Realist, geht von dem aus, was er untersuchen kann, nicht von dem, was er sich vorstellen kann. Die Relativitätstheorien oder die Quantenphysik mit ihrem Welle-Teilchen-Dualismus wären nie entstanden, wenn unsere Physiker an apirorisches Wissen geglaubt hätten, und auf Grundlage von analytischer Philosophie oder kausalen Schlussfolgerungen auf Basis eines apriorischen Wissens versucht hätten, die Welt zu erklären ohne jegliche Naturbeobachtung zu berücksichtigen. Dazu ist das Raum-Zeit-Kontinuum und der Welle-Teilchen-Dualismus weder a priori für einen gewöhnlichen Menschen vorstellbar, noch aufgrund logischer oder weniger logischer Gedankenspielereien herleitbar.

Ich bleibe sprachphilosophischer Konventionalist.

Unter anderem Gehrhard Vollmer beschäftigt sich mit "apriorischem Wissen" und interpretiert es aufgrund der menschlichen evolutionären Entstehungsgeschichte. Da sind auch einige nicht ganz perfekte aprioris dabei.

Edit: Hier ein Bericht, wie Konrad Lorenz das mit den a prioris versteht. Wer stattdessen aus Sprachanalyse versucht sie zu basteln, meint dass die Sprache das non plus ultra wäre. Er verliert meines Erachtens den Realitätsbezug.
http://www.stadtbibliothek.wolfsburg.de ... 81%29.html
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon ujmp » Fr 11. Mär 2011, 21:06

King Lui hat geschrieben:Was deiner Erwartung entspricht, ist nicht unbedingt objektiv gültig und nicht unbedingt allgemeingültig.

Sag mir doch mal, wie du feststellst , ob etwas "objektiv gültig und unbedingt allgemeingültig" ist! Wie stellst du fest, ob etwas eine "Tatsache" oder ein "Sachverhalt" oder eine "Wahrheit" ist?
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon ujmp » Sa 12. Mär 2011, 07:20

King Lui hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Die Frage ist erstmal nur, in welcher Beziehung meine Meinung zu einer von mir unabhängigen Realität steht.

Ich könnte die Urknalltheorie und die Evolutionstheorie nicht überzeugend vertreten, wenn ich nicht davon ausginge, dass es das Universum auch schon unabhängig von mir (vor aller Evolution) gegeben hätte. Dass ich als Subjekt ein Teil der Realität bin, und es deshalb auch Abhängigkeiten zwischen mir und der Realität gibt, ändert nichts daran, dass es vieles im Universum gibt, das weder ich noch sonst jemand beeinflussen kann, sondern nur verstehen und evtl. nutzen kann.


Ja, aber die Frage ist doch, woher du das weißt bzw. worauf dieses Urteil (das ich teile) beruht. Wenn dein Anlass zu dieser Annahme nur das logische wenn-dann-Argument ist, du könntest deine Theorien ansonsten nicht glauben, bleibst du im Begrifflichen, im Analytischen, in deinem - sicherlich schön aufgeräumten - Oberstübchen.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon ujmp » Sa 12. Mär 2011, 09:20

...man könnte es auch so deuten, dass die Meme (wie sie Susan Blackmore beschrieben hat), in deinem Kopf um ihren Erhalt und ihre Verbreitung kämpfen. Sie müssen dazu nur in sich stimmig sein, und ob sie deinem Organismus nützen, ist ihnen egal. Sie sind es, die dich denken.
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Re: Was ist Wahrheit?

Beitragvon King Lui » Sa 12. Mär 2011, 10:47

ujmp hat geschrieben:
King Lui hat geschrieben:Was deiner Erwartung entspricht, ist nicht unbedingt objektiv gültig und nicht unbedingt allgemeingültig.

Sag mir doch mal, wie du feststellst , ob etwas "objektiv gültig und unbedingt allgemeingültig" ist! Wie stellst du fest, ob etwas eine "Tatsache" oder ein "Sachverhalt" oder eine "Wahrheit" ist?

Das geht nicht mit absoluter Sicherheit. Irren ist menschlich. Und über die Methoden, wie man objektiv gültiges zumindest näherungsweise erkennen kann, sind Bücher geschrieben worden.
Von daher dürfte aus menschlicher Perspektive Objektivität nur ein regulatives Prinzip sein bzw. Wahrheit ist ein regulatives Prinzip und Objektivität ein in der Ontologie verankerter Begriff: wie man es sehen will, Sprache ist nicht fest fixiert. Und auch eine Ontologie kann Fehler enthalten.

Aber wenn man bereits die Definition von Wahrheit an der menschlichen Erwartung festmacht, hat man bereits ein Definitionsproblem.

Die Frage, ob es objektiv Gültiges überhaupt gibt, wird durch eine Definition nicht gelöst. Jedoch gibt es für mich derzeit keinen Grund daran zu zweifeln, dass es objektiv Gültiges gibt. Da muss jetzt schon Butter vor die Säue geworfen werden, wenn da jemand anderer Ansicht ist.

Gemäß meiner Interpretation der evolutionären Erkenntistheorie ist das intuitive kognitive Wissen, dass es in der Wirklichkeit Widerstände gibt, die man nicht so ohne weiteres wegdenken kann, ein individuelles a priori Wissen und stammesgeschichtliches a posteriori Wissen, das sich im Lauf der eigenen Erkenntnisentwicklung zum Wissen, dass es objektiv Gültiges gibt, verdichtet hat. Und wie bereits erwähnt: Naturgesetze und Historisches gehören dazu. Ob noch mehr als objektiv gültig betrachtet werden kann, darüber müsste man nun konkreter diskutieren. Ob Naturgesetze und Historisches keine objektive Gültigkeit haben, darüber auch.

Aber jede andere Definition, die sich Subjekte für den Wahrheitsbegriff ausdenken, dürfte in mehr als eine Wahrheit führen.
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