Hallo,
mir scheint, es gibt zu dem Thema "Todsünde" mindestens zwei argumentative Stränge, die ich so zusammenfasse:
(i)
Der Begriff der "Todsünde" ist von unserem aufgeklärten Zeitalter überwunden worden (wenigstens sollte es so sein). (ii)
Die Vorstellung von "Todsünden" wurde "erfunden" und tradiert, um den Menschen zu knechten, ihn zu erniedrigen und klein zu halten und ihn durch diese Beschränkung nicht zu dem werden zu lassen, was er ist.Ich denke, diese beiden Stränge gehören zusammen:
(iii)
Durch unsere aufgeklärte Einsicht, daß die Vorstellung von Todsünden "erfunden" und tradiert wurde, um den Menschen zu knechten, ihn zu erniedrigen und klein zu halten und ihn durch diese Beschränkung nicht zu dem werden zu lassen, was er ist,
ist der Begriff der "Todsünde" überwunden wordenReicht unsere Einsicht nun nicht weiter, als hinter der Vorstellung von Sünde und Schuld nur einen grossangelegten Manipulationsversuch zu sehen? Den ewig böse grinsenden Priester, der uns in Knechtschaft halten will?
Ich meine, daß die Frage nach den Todsünden kein moralphilosophisches, sondern ein existenzphilosophisches Thema ist.
Zunächst: Es gibt keine 7 Todsünden, sondern es sind die eingangs von Stine genannten
7 Untugenden, die zur Todsünde führen (können). Was unter einer solchen zu verstehen ist, definiert der KKK wie folgt:
"Die Lehre der Kirche nennt „denjenigen Akt eine Todsünde, durch den ein Mensch bewusst und frei Gott und sein Gesetz sowie den Bund der Liebe, den dieser ihm anbietet, zurückweist, indem er es vorzieht, sich selbst zuzuwenden oder irgendeiner geschaffenen und endlichen Wirklichkeit, irgendeiner Sache, die im Widerspruch zum göttlichen Willen steht“. (aus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Tods%C3%BCnde)
Also: Wer sich "sich selbst oder irgendeiner geschaffenen und endlichen Sache" zuwendet, begeht eine Todsünde. Was ist daran so schlimm? Die Antwortet für die Evolution, für den Fortgang der Welt lautet: Nichts. Schlimm ist die Todsünde nur für den, der sie begeht. Und auch diese Behauptung würden viele abstreiten. "Warum soll schlecht sein, wenn ich mich nur um mich kümmere?" "Warum soll ich mich nicht mit Konsumgütern umgeben und meine Freude daran haben?" "Wer weiss denn schon, was Gottes Wille ist?"
Tod ist das Gegenteil von Leben. Ich kehre also die Definition von Todsünde in ihr Gegenteil: Wer sich von sich abwendet oder von geschaffenen und endlichen Sachen abwendet, hat das ewige Leben. Wie bitte? Gegen alle Gesetze der Thermodynamik ewiges Leben? Nein, sondern Ewigkeit verstanden als erlebbaren Moment, Moment und Moment.
Warum führt die Abwendung von geschaffenen und endlichen Dingen (und dazu gehört auch mein von mir geschaffenes Selbstbild! Narzis.) zum Leben, gar zum ewigen Leben? Das ist doch verrückt! Auswüchse kranker Hirne!
Alle geschaffenen Dinge sind endlich. Auch mein Selbstbild ist endlich und wankt in der Zeit. Alle geschaffenen und endlichen Dinge, an die ich mein Herz hängen kann (d.h. an die ich glauben kann,
credere, wörtlich:
sein Herz geben), enttäuschen mich: mein PC ist schon veraltet, sobald er auf dem Markt ist. Ich selbst bin von mir von Zeit zu Zeit enttäuscht, weil ich nicht dem entspreche, was ich zu sein meine.
Aber zu was soll ich streben, wenn nicht nach mir und der geschaffenen, endlichen Welt? Was bleibt denn noch? Welches Ziel ist nicht-endlich? Das ist die Menschlichkeit oder?