stine hat geschrieben:Teh Asphyx hat geschrieben:Erziehung beinhaltet per Definition Gewalt und ist für mich allein deshalb schon abzulehnen.
stine hat geschrieben:Teh Asphyx hat geschrieben:Man kann auch Kinder begleiten, ohne zu erziehen.
Aber genau DAS ist Erziehung: Mit gutem Beispiel voraus! Wusstest du das nicht?
Ich weiß immer noch nicht, wie man Kinder gar nicht erziehen kann.
Du schreibst, um das zu erklären müsstest du dir die Finger wund hacken. Ich denke das ist nicht der Grund für die fehlende Erklärung. Ich denke eher, du weißt es gar nicht. An anderer Stelle scheinen die Finger ja auch nur so über die Tastatur zu rauschen.
Genau, dass ich mehrere lange Texte dazu hier gepostet habe, die darauf hinweisen, dass das nicht mal eben in zwei Sätzen erklärt ist, ignorieren wir einfach mal.
Wenn Du mich einfach provozieren willst, dann lass das bitte bei diesem Thema, da bin ich nämlich ein bisschen empfindlich.
Du hattest geschrieben, dass es Dich interessiert. Wäre das der Fall gewesen, hättest Du gelesen, was ich empfohlen habe (wenigstens den Text auf Krätzä), da Du das aber nicht hast, halte ich das mit dem Interesse nur noch für eine Floskel.
Nanna hat geschrieben:Was mir auffällt, sind so Sachen wie die Gleichsetzung von Erziehung mit Gewalt und die dann hinterhergeschobene Ablehnung selbiger mit Begründung durch die Menschenrechte. Autsch. Das ist nicht mal annähernd eine konsistente Begründungskette. Du gibst mir als advocatus diaboli dutzende Angriffspunkte, allein mit der Kritik an den Menschenrechten oder der Unzulässigkeit deren beliebiger begrifflicher Ausweitung ließen sich Seiten füllen. Ein anderes Thema ist die Frage nach der Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft ohne gemeinschaftliche Regeln und Orientierungspunkte (ich muss und WILL als Kind lernen, was von mir erwartet wird und ich habe als Elternteil Erwartungen an mein Kind, mit irgendeiner No-Education-Romantisierung kann ich das höchstens maskieren und mich hinterher so wunderbar gut und human fühlen - Scheinheiligkeit par excellance!).
Okay, jetzt ist es auch nicht mehr so spät am Abend, zumal ich gestern auch wirklich ohnehin saumüde war.
„No-Education“ ist ein schönes Stichwort, da es im Englischen mehrere Begriffe gibt, die im Deutschen meistens mit dem Wort „Erziehung“ (muss ich Dir wirklich erklären, warum das Wort Gewalt konnotiert?) übersetzt werden, ein weiteres wäre „parenting“, was ich in der deutschen Sprache wirklich vermisse. Antipädagogik ist nämlich durchaus eine Form des parenting, aber nicht der manipulativen education. Ich setze nicht Erziehung und Gewalt gleich, sondern sage, dass Erziehung per Definition Gewalt beinhaltet. Das sage ich deswegen, weil Erziehung immer das Ziel hat, ein Kind in eine bestimmte Richtung zu formen. Die Antipädagogik geht erstmal von der völlig richtigen Grundannahme aus, dass Kinder lernen wollen, man ist also für die Kinder da und unterstützt sie im Lernen. Auch ist es natürlich total wichtig eine tiefe emotionale Bindung zu dem Kind aufzubauen, damit es erlebte Erfahrungen und Gefühle reflektieren kann. Das soll aber alles ohne Zwang für das Kind geschehen (weil man eben Kinder zu solchem Verhalten gar nicht zwingen muss).
Warum Erziehung nicht mit den Menschenrechten konform geht, liegt daran, dass man Menschen nicht zwingen darf, etwas gegen ihren Willen zu tun. In der Erziehung ist das aber das Standard-Programm. Es gibt in jeder Form der Erziehung immer einen zu Erziehenden und einen Erzieher, also immer ein oben und ein unten. Das einzige, wo dieses Verhältnis natürlich ist, ist in dem Punkt, dass kleine Kinder sich nicht selbst versorgen können und da auf Hilfe angewiesen sind, ich wüsste aber nicht, warum man daraufhin erwarten dürfte, dass das Kind sich anschließend dem Willen des „Versorgers“ beugt. Diese Verantwortung geht man ein, wenn man Kinder in die Welt setzt, dafür schuldet einem niemand etwas.
Ich sprach nicht davon, dass es keine gemeischaftlichen Regeln oder Orientierungspunkte gibt. In der Antipädagogik gibt es Regeln, die aber nicht dem Kind vorgesetzt, sondern gemeinsam beschlossen werden und – das ist ein sehr wichtiger Punkt – sinnvoll begründet werden. Kinder kriegen auch mit, dass außerhalb des Hauses/der Wohnung andere Regeln gelten, auf die die Menschen wert legen und haben in der Regel wenig Schwierigkeiten, sich anzupassen, wenn sie wissen, was es mit diesen Regeln auf sich hat (dass sie kein Naturgesetz sind und das man kein schlechter Mensch ist, nur weil man solche Regeln nicht immer und unbedingt verinnerlicht).
Auch gibt es in der Antipädagogik sehr wohl Grenzen, die gesetzt werden. Es werden aber nur defensive Grenzen gesetzt und keine aggressiven Grenzen. Sollte der Unterschied nicht bekannt sein, werde ich gerne ein paar Beispiele schreiben.
Was Du No-Education-Romantik nennst, scheint mir eher auf die Antiautoritäre Erziehung und diesem Rousseau-Mist zuzutreffen, da stimme ich Dir auch zu 100% zu. Von Rousseau habe ich auch ein schönes Zitat aus „Emile oder die Erziehung“, das zeigt, dass seine „natürliche“ Erziehung auch auf das Formen des Willens des Kindes abzielt:
Jean-Jacques Rousseau hat geschrieben:Folgt mit eurem Zögling den umgekehrten Weg. Laßt ihn immer im Glauben, er sei der Meister, seid es in Wirklichkeit aber selbst. Es gibt keine vollkommenere Unterwerfung als die, der man den Schein der Freiheit zugesteht. So bezwingt man sogar seinen Willen. Ist das arme Kind, das nichts weiß, nichts kann und erkennt, euch nicht vollkommen ausgeliefert? Verfügt ihr nicht über alles in seiner Umgebung, was auf es Bezug hat? Seid ihr nicht Herr seiner Eindrücke nach eurem Belieben? Seine Arbeiten, seine Spiele, sein Vergnügen und sein Kummer – liegt nicht alles in euren Händen, ohne daß es davon weiß? Zweifellos darf es tun, was es will, aber es darf nur das wollen, von dem ihr wünscht, daß es es will. Es darf keinen Schritt tun, den ihr nicht für es vorgesehen habt, es darf nicht den Mund auftun, ohne daß ihr wißt, was es sagen will.
Nanna hat geschrieben:Es ist eine beliebte und recht langweilige Mode in manchen postmodernen Diskurssträngen, Gewalt, Macht, Herrschaft, Disziplin etc. als solche zu verteufeln und funktionalistische Argumente (z.B. "Erziehung ist nicht perfekt, sorgt aber für gesellschaftliche Stabilität") in den Wind zu schießen, ich würde sagen, eher aus einem emotionalen Impuls heraus denn aus der Erkenntnis zwingender logischer Konsequenz (nichtsdestotrotz mit wortreicher Begründung). Ich halte dieses Vorgehen für einen massiven Vorschub für Lüge und (unbewusste?) Manipulation. Indem ich behaupte, gesellschaftliche Erwartungen zu demaskieren, verschleiere ich, dass ich sehr wohl Erwartungen an andere Menschen habe und dass ich ganz und gar nicht einverstanden damit bin, wenn mein Kind dieses oder jenes tut. Konflikte müssen offen ausgefochten werden können und wenn das Kind mangels prägender Erfahrungen gewisse Dinge einsehen kann/will, dann ist offener Zwang eine ehrlichere Umgangsweise als die freundlich lächelnde Manipulation. Ich wittere hinter diesem ganzen Konzept eine ziemliche Scheu vor Konflikten und eine egalitäre Utopie, die scheitern muss, weil wir schon rein genetisch nicht besonders gut zum rein friedlichen Dasein geeignet sind.
Bis auf den letzten Satz bin ich absolut einverstanden. Diese Manipulation mit lächelnder Maske ist auch ein Kritikpunkt von der Antipädagogik an moderne sich gewaltfrei nennende Erziehungsmethoden.
Warum soll es gewaltfreier zugehen, wenn Kindern nicht mehr bestraft werden, wenn sie „Mist bauen“, aber belohnt werden, wenn sie was gutes machen. Ist das Ausbleiben einer Belohnung doch genauso Strafe, da das Kind sehr gut weiß, was es mit Belohnungen auf sich hat. Das Kind wird bei Ausbleiben der Belohnung genau wissen, dass es etwas falsch gemacht hat und die Lieber seiner Eltern nicht würdig ist und wenn es keine Möglichkeit hat, diese Empfindungen zu artikulieren, dann wird es irgendwann völlig den Bezug zu sich selbst verlieren (was auch vielen Menschen so geht).
Im letzten Satz stört mich eher das Ende, da der erste Teil, wie Du ja sagst eine Vermutung ist, die ich Dir auch nicht übel nehmen will, da die Informationen von meiner Seite aus bisher auch ausgeblieben sind (und ja, ich kann verstehen, dass man nicht tausende von Artikeln lesen will). Aber was die Genetik da aussagen soll, ist mir schleierhaft. Dass die Gene überhaupt erst gewalttätiges Verhalten ermöglichen können müssen, ist klar, aber die Ursachen dafür, dass Gewalt ausgeübt wird, sind nicht in den Genen, sondern in gesellschaftlicher Ebene zu finden. Ich möchte dazu diesen Artikel vom Freerk Huisken (Professor für Pädagogik) empfehlen, da dort wirklich gut auf die Zusammenhänge eingegangen wird:
http://www.fhuisken.de/gewalt.htmNanna hat geschrieben:Du schreibst viel von "denkbaren Gesellschaftsformen" und verwechselst das meiner Meinung nach mit "realisierbaren Gesellschaftsformen", deren Zahl äußerst begrenzt ist.
Ich bin kein Freund schneller Revolutionen, von daher sind für mich mehr Gesellschaftsformen realisierbar, die für andere nur denkbar sind. Aber um die Gesellschaft auch im Sinne der offenen Gesellschaft zu verändern, ist radikales Denken notwendig, da es sonst zum Stillstand kommt, was nicht die Intention war, wenn ich Popper richtig verstanden habe.
Nanna hat geschrieben:Du schwärmst für meine recht analytisch-unterkühlte Weltsicht ein bisschen viel herum, ohne so recht zum Punkt zu kommen. Kann es daran liegen, dass du dir gerne das Bild erhalten möchtest, dass deine Kindheit anders hätte laufen können (klingt mal kurz etwas durch)?
Nein, das merkte ich nur an, weil ich es wichtig finde zu erwähnen, dass man sich solche Gedanken nicht nur macht, weil es gerade mal nett ist, theoretisch-abstrakt über etwas nachzudenken, was dann mit der Realität oft nichts mehr zu tun hat, sondern dass es eben mit realen persönlichen Erfahrungen verknüpft ist.
Ich habe meine Vergangenheit akzeptiert, aber das was nicht positiv war, sehe ich auch nicht so und das stelle ich zur Debatte. Es ist wichtig, das zu reflektieren, damit sich in Zukunft etwas verändern kann.
Nanna hat geschrieben:Oder warum schreibst du deutlich mehr über deine ausgeprägte Allergie gegenüber Herrschaft als dass du substantielle Aussagen über Alternativen machst?
Das Problem mit den Alternativen ist, dass ich kein Modell für alle Menschen habe und das auch nicht möchte. Ich denke, dass dies gerade der Fehler ist, dass den Menschen viel zu wenig Eigenverantwortung und Gestaltungsspielraum zugesprochen wird. Zugegeben, ich kenne auch das Gefühl, dass ich mir die Gesellschaft angucke und denke oh, lass die mal lieber nicht zu viel Handlungsspielraum haben. Aber letztendlich muss ich mir dann nur wieder klar machen, dass all dieses komische Verhalten und Denken eben durch die Zusammenhänge kommt und nicht die Zusammenhänge durch dieses Verhalten (obwohl das oft gerne so begründet wird). Aber dazu werde ich in dem anderen Thema mehr schreiben, das wird auch sonst anfangen, den Rahmen hier zu sprengen.
Nanna hat geschrieben:Ich meine, du hast bisher nicht klar offenbart, warum dein Modell (besser) funktioniert, nur, dass es in einer auf potentiell arbiträren Axiomen basierenden Theorie moralisch irgendwie reiner ist als die herkömmliche Erziehung (was auch immer diese genau sei). Wenn du ein Alternativmodell anzubieten hast, dann stell es doch mal stringent dar. Wenn du das nicht in zwei Sätzen oder wenigstens zwei Absätzen kannst, ist das schonmal schlecht, dann hast du es für dich selber nämlich offenbar auch noch nicht auf den Punkt gebracht! Erklär das Modell und die zugehörigen Grundannahmen und dann schauen wir, ob es den argumentativen Beschuss hier aushält. Bis dahin bleibe ich auf meiner Position, dass dieses (Nicht-)Erziehungsmodell auf harmonieorientiertem Wunschdenken beruht und im Härtetest durch die zu intellektuellen Wunschkonstrukten wenig kooperationsfreudige Realität gnadenlos geschliffen würde.
Ich denke, da habe ich Dir jetzt ein bisschen Stoff geboten. Was mir da echt schwerfällt ist, zu wissen, auf welchem Stand andere da sind, wenn ich von solchen Ideen erzähle. Ich weiß selbst, dass ich dann oft zu weit vorgreife und dann das Gespräch aneinander vorbei geführt wird. Von daher bin ich froh, dass Du mir so konkrete Fragen stellst, die ich dann systematisch abarbeiten kann, da ich somit überhaupt erst herausfinde, wie ich eine Argumentation zu solchen Themen verständlich aufbauen kann.
Wenn ich momentan in der Zeitung über Sachen wie Occupy oder ähnliches lese, merke ich, dass der Sichtpunkt so anders ist (allein schon, weil einfach bei allen, die darüber schreiben – die ich bisher gelesen habe – die Distanz völlig fehlt und deswegen meiner Ansicht nach nur Humbug bei rauskommt), dass es mir schwerfällt, da überhaupt irgendeinen Ansatzpunkt zu finden.