Fragen zum Kategorischen Imperativ

Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Nanna » Di 29. Nov 2011, 16:47

@Teh Asphyx:
Ich finde, dass du dich da auf einer ganz gefährlich schiefen Ebene bewegst. Der Satz von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen steht nicht zum Spaß am Beginn unserer Verfassung. Genausowenig sind die Menschenrechte halbherzig universal gedacht worden und genausowenig haben politische Philosophen dem Tyrannenmord aus übertriebener Empathie heraus so enge Grenzen gezogen. Universal gedachte Rechte gelten nunmal für alle. Jemandem die Menschlichkeit absprechen zu wollen und sich da hart am Absprechen des Menschseins entlangzubewegen halte ich für eine ganz fiese Hintertür.
Ich sage damit nicht, dass es grundsätzlich geboten wäre, nie zu töten. Das Töten aus unmittelbarer Verteidigung heraus ist legitim, der Tyrannenmord unter engen Bedingungen auch. Es ist durchaus legitim, Grundrechte gegeneinander abzuwägen, wenn eine Seite Menschenrechtsverletzungen gegenüber der anderen begeht, keine Frage! Was ich aber extrem kritisch sehe, ist, dass du die Möglichkeit bedenkst, Menschen als "Monster", Unmenschen, Nicht-Menschen zu klassifizieren. Das ist ein im Kern faschistisches Argument, das nicht dadurch besser wird, dass dir sicherlich jeder beste Motive zugestehen würde.
Die Begründung für das Verletzen von Menschenrechten gegenüber einem Tyrannen darf sich NIE an der Unmenschlichkeit desselben aufhängen. Wenn der Tod des Tyrannen erwogen wird, dann immer nur ausschließlich mit dem Argument des Opferschutzes, der anders nicht erreichbar ist. Keinesfalls darf der Mord auch nur implizit als Methode der Herstellung von Gerechtigkeit bezeichnet werden, denn das ist er nicht, solange man den Menschenrechten Gültigkeit einräumt. Der Mord ist notwendig, er ist auch legitim und vertretbar, aber er ist weder gerecht noch im Einklang mit den Menschenrechten. Die Menschenrechte werden verletzt, um sie in einem größeren Zusammenhang zu schützen. Letztlich ist das ein Armutszeugnis, weil man es als Menschheit überhaupt so weit hat kommen lassen, dass menschenrechtlich weniger bedenkliche Alternativen ungangbar geworden sind. Heiner Bielefeldt, bei dem ich derzeit eine Menschenrechtsvorlesung höre, spricht von den Menschenrechten in ähnlichen Zusammenhängen als das Ergebnis eines durch Leiderfahrungen erzeugten Lernprozesses, was meiner Meinung nach eine sehr treffende Umschreibung ist. Ich denke, wir dürfen es uns auf gar keinen Fall erlauben, in diesem Lernprozess zurückzufallen, in dem wir wieder anfangen, Menschen ihre Menschlichkeit und damit ihren Anspruch auf Menschenrechte abzusprechen. Der Rückfall von Zivilisaton in vorzivilisatorische oder gar barbarische Zustände ist eng mit solchen Exklusionsmechanismen verbunden. Man muss dann schon klar sagen "Wir verletzen jetzt die Menschenrechte gegenüber einem Mitmenschen, aber wir können leider nicht anders. Wir würden, wenn wir könnten und wir stilisieren uns nicht zu heiligen Rächern."

Ich finde es z.B. auch wichtig, dass der Prozess gegen Eichmann, so halbschattig vieles in dessen Umfeld lief, dem Angeklagten ermöglicht hat, sein ganzes krudes Weltbild auszubreiten und einen fairen Prozess zu bieten. Sie haben ihn dann trotzdem umgebracht, aber das war immer noch zivilisierter als z.B. das Kommandounternehmen gegen bin Laden.

Sorry, in dem Zusammenhang bin ich mal pingelig. Ziemlich.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Teh Asphyx » Di 29. Nov 2011, 19:06

@ Nanna

Gut, dann jetzt zum dritten Mal (heute ist auch echt nicht mein Tag, sorry), das „menschlich“ stört mich selbst, weil es nicht dem entspricht, was ich eigentlich sagen will.
Ein Unmensch kann der Vorsilbe nach auch ein „schlimmer Mensch“ sein. ;-)
Um Gerechtigkeit geht es mir auch nicht, sondern nur um den Opferschutz. Und da finde ich es extrem gefährlich, Mitleid mit Tyrannen zu haben.
Sicher, dass die Verfassung nicht aus Spaß geschrieben wurde? Hat doch bestimmt was mit Belohnungen im Gehirn zu tun, die man durchaus als Spaß deuten kann. Aber im Ernst, ich weiß nicht, ob man so viel Hoffnung in geschriebene Worte stecken sollte. Zumal es weitaus besser formulierte Grundrechte gibt als im deutschen Grundgesetz (siehe USA, aber selbst die sind ja durch Sachen wie der Patriot Act leicht zu umgehen). Und man kann sich ja auch, wie Heiner Bielefeldt auch sagt, sogar auf die Menschenrechte beziehen um auf Minderheiten einzudreschen. Damit will ich jetzt nicht sagen, dass die Menschenrechte unbrauchbar sind, aber man sollte generell aufpassen, dass man nicht zu viel Vertrauen ins gesprochene oder geschriebene Wort setzt, da es auch immer eine andere Bedeutung beim Empfänger haben kann, sofern es überhaupt ankommt.
Und dazu kommt, dass wenn man trotz universeller Menschenrechte ums Töten nicht rumkommt, immer grenzwertige Erklärungen dafür notwendig sind, leider. Denn „Wir verletzen jetzt die Menschenrechte gegenüber einem Mitmenschen, aber wir können leider nicht anders.“ klingt auch recht zynisch und heuchlerisch. Das Problem ist für mich, dass Tyrannenmord immer erst dann legitim ist, wenn es schon zu viele Opfer gab, wo ich mich dann frage, was das im Sinne des Opferschutzes dann noch bringt. Vor allem dann, wenn die Tyrannen keinen Macht mehr haben. Ich finde, dass Deine Rechtfertigung dann auch ziemlich bröckelt. Vielleicht gibt es auch einfach keine gute Rechtfertigung dafür und man tut es trotzdem (was ich jetzt mit der Feststellung nicht gutheißen will).

Noch mal zusammengefasst: Ich denke, das ist eine Situation, indem es nur die Wahl zwischen zwei schlechten Lösungen gibt. Aber wenn ich die Möglichkeit hätte, die Person, die „Mein Kampf“ geschrieben hat, abzuknallen, wenn sie gerade an die Macht kommt, würde ich es wahrscheinlich tun.

Nanna hat geschrieben:Ich finde es z.B. auch wichtig, dass der Prozess gegen Eichmann, so halbschattig vieles in dessen Umfeld lief, dem Angeklagten ermöglicht hat, sein ganzes krudes Weltbild auszubreiten und einen fairen Prozess zu bieten. Sie haben ihn dann trotzdem umgebracht, aber das war immer noch zivilisierter als z.B. das Kommandounternehmen gegen bin Laden.


Hat ja nichts genützt, die meisten glauben trotzdem noch an Kants Pflichtethik. ;-) Nein, ich bin mir hier nicht sicher, was besser ist, ich denke, dass es auch hier viel eher auf den Fall ankommt. Das Weltbild von Osama bin Laden dürfte ohnehin schon mehr als bekannt gewesen sein und ihm die Chance zu geben, sich noch mal als Märtyrer aufspielen zu können, wäre auch nicht unbedingt gut gewesen. Ich denke nicht, dass man die beiden Fälle einfach vergleichen kann.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Darth Nefarius » Di 29. Nov 2011, 21:05

Ehrlich gesagt, muss ich da Asphyx zustimmen, es ist durch aus heuchlerisch auf die Menschenrechte zu setzen, wenn man weiss, dass sie manchmal verletzt werden müssen, um größeren Schaden zu vermeiden, oder andere Rechte zu schützen. Ich spreche keinem Menschen das Menschsein ab, (im Gegenteil, das Schlechte am Menschen muss in die Bedeutung "menschlich" miteinfließen) wie bereits nachzulesen, aber man muss sich mal die Gedanken machen, was ein Regelwerk taugt, das nicht genügend Situationen abdeckt und die menschliche Natur nicht erfasst. Diese Rechte sind nun mal nicht heute geschrieben worden, selbst wenn sie es wären, wären sie lückenhaft. Und wir hatten eigentlich, dachte ich, das Thema abgeschlossen.
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