Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Dez 2011, 20:19

Darth Nefarius hat geschrieben:Doch, du gibst doch selbst zu, dass sie rational sind, und jedes Wesen ist aus eben der biologischen Sicht rational, wenn es seinen Trieben folgt.


Äh, ja, aber damit hast Du die andere, wesentlichere Hälfte meiner Aussage einfach unterschlagen.

Darth Nefarius hat geschrieben:Das hat natürlich nichts mit Denkleistung zu tun, aber das "Programm" funktioniert und abgesehen davon ist der Begriff unpassend und missverständlich, denn man könnte leicht in Versuchung kommen, mit dem Rationalismus zu argumentieren, der alles andere als "rational" ist.


Auf die Denkleistung, mit der das nichts zu tun hat, wollte ich ja hinaus.

Darth Nefarius hat geschrieben:Lies nochmal genauer: Ich schreibe, dass die Bestrebung, Schaden zu vermeiden auch ein Trieb ist, oder denkst du, dass ein Vogel nicht die Bestrebung hat, nicht gegen das nächste Gebäude zu fliegen?


Du verwendest den Begriff Schaden hier in äquivoker Weise (= selber Begriff, aber unterschiedliche Bedeutung). Der „Schaden“ den Du zunächst angesprochen hast, bezieht sich klar und eindeutig auf eine gesellschaftliche Rücksichtnahme und fordert demzufolge zwingend eine Mindestmaß an gesellschaftlicher Empathie.
Der „Schaden“ von dem jetzt die Rede ist, ist eine Art Selbsterhaltungstrieb, ein blindes biologisches Programm, von dem das Wesen, was es ausführt keinen Schimmer haben muss.
Wie ein doofer Fisch der 500 Mal eine Attrape attackiert, bist die Kräfte erlahmen.

Darth Nefarius hat geschrieben:Die Triebe haben unterschiedliche Prioritäten und über allen steht eben dieser, ich werde lieber vor einem Dinosauriere weglaufen, als mich vor seiner Nase zu paaren, soetwas setzt sich durch, das ist ein Trieb.


Ja, der Selbsterhaltungstrieb ist sehr grundlegend, ohne Frage.
Doch die Willensfreiheit überwindet auch ihn, wenn man z.B. Märtyrer ist.

Darth Nefarius hat geschrieben:Die Erziehung, welcher Art sie auch ist, leitet sich aus unserer Kultur ab, diese von Ihrer Vorgängerkultur, usw.. Die basieren letztlich auf unseren Trieben, wenn im 18. Jh. die Töchter erzogen wurde, keusch zu leben bis zur Heirat, dann entsprach das der Überlebensstrategie der Monogamie, die Schwangerschaft war eine Investition und brauchte eine gesicherte Umgebung. Sobald die äußeren Umstände diese Erziehungen überflüssig und schädlich machen, fallen sie weg, denn sie stehen der Auslebung der Triebe im weg.


Erziehung und Kultur ist kein Trieb, sondern folgt überwiegend der Eindämmung derselben.

Darth Nefarius hat geschrieben:Zum letzten Punkt: Ja, es ist letztlich eine falsche Terminologie, "triebgesteuert" sind wir alle, aber neuerdings verwendet man auch den Begriff "triebgestört", was bedeutet, dass die Triebe in falschen Prioritäten vorliegen können, also dann schädlich sind.
[/quote]

„Schädlichkeit“ ist ein Begriff der aus der reinen Triebsphäre hinausragt, denn die Natur kennt Unterscheidunegn wie schädlich/nützlich nicht. Das sind menschengemachte Begriffe, mit denen wir uns die Welt erklären. Die Natur unterteilt auch nicht in richtig/falsch.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Do 15. Dez 2011, 21:14

Vollbreit hat geschrieben:Niemand der Kompatibilisten ist Cartesianer und niemand außer harten Liberterianern, die man ebenso mit der Lupe suchen muss, vertritt überhaupt diese Auffassung.

Ich führe jetzt nicht Buch über die par Philosophen die ich persönlich kenne... mir geht es dabei zum Beispiel um einen Psychologen, Universitätsprofessor, der sich in einer Diskussion beharrlich weigerte von einem freien Willen abzurücken, der "von irgend wo außerhalb" kommt in das System aus Erfahrung, Genen, bla. Fand ich erschreckend und ist für mich ein Zeichen das es doch noch Leute gibt mit so Ideen, die sie sogar öffentlich vertreten.

Vollbreit hat geschrieben:Gesetzt jemand will eine Bank überfallen. Zufällig hält im Moment der beabsichtigten Tat ein Mannschaftswagen der Polizei vor der Bank. Wer jetzt die Nummer durchzieht, dem darf man unterstellen, dass er nicht anders kann. Wer abwartet und sein Vorhaben überdenkt, der kann offensichtlich auch anders.
Und du meinst, der ändert das von "wenn keine Polizei da ist überfalle ich die Bank" zu "ich überfalle keine Bank" durch einsperren Monate nach der Tat?

Vollbreit hat geschrieben:Entscheidungen treffen kann jede Lichtschranke, aber es gibt einen Unterschied zwischen reiner Reaktion auf einen Reiz und dem Verstehen, dieses Vorganges, der einen in die Lage versetzt eine Metaposition einzunehmen (die nichts mit Metaphysik zu tun hat).
Auch eine Lichtschranke hat physikalisch und Elektronisch eine Metaposition. Da kommt mal mehr, mal weniger Licht an und wenn es eine Schwelle erreicht, und die für einen ausreichenden zeitraum überschritten wurde schaltet sie. Hat sie jetzt einen "freien Willen" weil sie basierend auf ihren Schaltvorgaben entscheidungen trifft? Hat sie einen Freien Willen, wenn sie ein gedächtniss hat und immer nur 10 Besuchern in der Stunde die Tür öffnet? Oder wenn gar zwei Lichtschranken und ein Schaltkreis an der Frequenz in der Leute die Jahrmarktsattraktion verlassen abwägt, wievielen sie die Tür vermutlich öffnen kann? Da schreit doch jeder nein, auch wenn er dazu geneigt ist, der Lichtschranke eine Entscheidung und sogar intention zuzusprechen, wenn sie mal nicht so funktioniert wie sie soll. So wie Leute mit ihrem Computer reden. Sobald es so komplex ist, das ich es nicht mehr einfach durchschauen kann muß es einen Willen, eine Inention haben. Wir projezieren dann etwas in dei Gegenstände hinein, einen Handlungsagenten, wo keiner ist. Warum tun wir das? Ich denke, wir tun das, weil unser Hirn durch die Evolution drauf getrimmt wurde absichten zu erkennen, das ist überlebenswichtig und lieber mal eine Absicht sehen wo keine ist, als eine Absicht die einem Schadet zu spät erkennen. Da wir unser Gehirn (und das von anderen) auch nicht durchschauen hat es also einen Freien willen...?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Dez 2011, 22:05

mat-in hat geschrieben:Ich führe jetzt nicht Buch über die par Philosophen die ich persönlich kenne... mir geht es dabei zum Beispiel um einen Psychologen, Universitätsprofessor, der sich in einer Diskussion beharrlich weigerte von einem freien Willen abzurücken, der "von irgend wo außerhalb" kommt in das System aus Erfahrung, Genen, bla. Fand ich erschreckend und ist für mich ein Zeichen das es doch noch Leute gibt mit so Ideen, die sie sogar öffentlich vertreten.


Dass Psychologen nicht von der Idee des freien Willens abrücken, hat seinen guten Grund, denn es gibt den freien Willen. Gerade für Psychologen steht er im Zentrum, denn an wen sollte man den Therapie (natürlich ist nicht jeder Psychologen Therapeut) denn adressieren, wenn nicht an ein Ich, was den Willen hat gesund zu werden und genau deshalb zur Therapie kommt.

mat-in hat geschrieben:Und du meinst, der ändert das von "wenn keine Polizei da ist überfalle ich die Bank" zu "ich überfalle keine Bank" durch einsperren Monate nach der Tat?


Nein, mein Beispiel richtete sich deutlich erkennbar auf die Frage nach dem Willen, der zum Beispiel Bankräubern von Hirnforschern abgesprochen wird – da ist dann irgendwas in der Birne falsch verdrahtet und darum können sie angeblich nicht anders – das ich ihnen aber qua Beispiel nicht abspreche. Wer sich im Angesicht eines Mannschaftswagens der Polizei doch noch anders entscheiden kann, ist offenbar nicht so ganz und gar festgelegt, wie man das gerne mal liest.

mat-in hat geschrieben:Auch eine Lichtschranke hat physikalisch und Elektronisch eine Metaposition. Da kommt mal mehr, mal weniger Licht an und wenn es eine Schwelle erreicht, und die für einen ausreichenden zeitraum überschritten wurde schaltet sie. Hat sie jetzt einen "freien Willen" weil sie basierend auf ihren Schaltvorgaben entscheidungen trifft? Hat sie einen Freien Willen, wenn sie ein gedächtniss hat und immer nur 10 Besuchern in der Stunde die Tür öffnet? Oder wenn gar zwei Lichtschranken und ein Schaltkreis an der Frequenz in der Leute die Jahrmarktsattraktion verlassen abwägt, wievielen sie die Tür vermutlich öffnen kann? Da schreit doch jeder nein, auch wenn er dazu geneigt ist, der Lichtschranke eine Entscheidung und sogar intention zuzusprechen, wenn sie mal nicht so funktioniert wie sie soll. So wie Leute mit ihrem Computer reden. Sobald es so komplex ist, das ich es nicht mehr einfach durchschauen kann muß es einen Willen, eine Inention haben.


Irgendwie scheinst Du Schwierigkeiten zu haben, zu verstehen, was ich meine, dabei schreibe ich doch gar nicht so unklar, oder?
Ich habe nicht der Lichtschranke einen freien Willen unterstellt, sondern ich habe die Lichtschranke als ein weiteres Beispiel für Entscheidungsfähigkeit genommen, wenn auch auf denkbar simplem Niveau.
Das habe ich getan, um zu zeigen, dass Entscheidungsfähigkeit kein Kriterium für Willensfreiheit ist, da Du sagtest, dass auch Computer entscheiden können.
Damit man von freiem Willen reden kann, ist eine reflexive Position nötig, von der aus man bewusst, also verstehend, entscheidet, was man macht. Das ist kein einfacher, „wenn …, dann …“ Vorgang, also keine simple Reizreaktion. Wenn Hammer auf Punkt unterhalb der Kniescheibe, dann Unterschenkel strecken, ist kein freier Wille, sondern ein Reflex. Den muss man nicht verstehen (auch wenn man ihn ausführt) und den kann man nicht verhindern (auch wenn man ihn versteht), hier ist man sozusagen ganz Teil der Natur. Aber wenn das Handy klingelt und ich die Nummer sehe, dann kann ich schon überlegen, wer das jetzt ist und ich kann dran gehen oder es lassen.
Hier habe ich 20 Kriterien nach denen ich blitzschnell beurteile, ob ich drangehe oder nicht.
Ob mir die alle bewusst sind, ist dabei egal, entscheidend ist, dass ich die Wahl theoretisch auch begründen könnte.

mat-in hat geschrieben:Wir projezieren dann etwas in dei Gegenstände hinein, einen Handlungsagenten, wo keiner ist. Warum tun wir das? Ich denke, wir tun das, weil unser Hirn durch die Evolution drauf getrimmt wurde absichten zu erkennen, das ist überlebenswichtig und lieber mal eine Absicht sehen wo keine ist, als eine Absicht die einem Schadet zu spät erkennen. Da wir unser Gehirn (und das von anderen) auch nicht durchschauen hat es also einen Freien willen...?


Unser Gehirn hat doch keinen freien Willen. Wir haben einen freien Willen. Ich. Du.
Das ist ja nun entgegen der Absicht auch der Hirnforscher und die ist schon daneben.
Das Problem der Hirnforscher war unter anderem, dass wie auf eine subjektivierende Sprache verzichten wollten, zugunsten einer objektivierenden und da wurde dann auch das selten dämliche Descartes, Homunkulus und so weiter Argument aus der Tüte gekramt. (Selten dämlich ist es deshalb, weil ich niemals jemanden gefunden habe, der mit einem Homunkulus argumentiert und das einzige Mal wo ich diese Homunkulus-Projektion gesehen habe, war in den Lehrbüchern der Hirnanatomie, dort findet man so einen zum Homunkulus stilisierten Menschen in der Tat.)
Aber statt dann eine objektivierende Sprache zu gestalten, fingen dieselben Hirnforscher an, nun dem Gehirn auf einmal Begrifflichkeiten zuzuschreiben, die man nur aus der Beschreibung der 1. Person kannte (die die Hirnforscher gerade abschaffen wollte, weil dualistisch usw.), sagten, dass Gehirn „wolle“ dies und das (das legendär absurde Gespräch von Singer mit Nida-Rümelin), Roth meinte, das Gehirn sei sogar „perfide“ und so weiter.
Das heißt, dass was eben als zutiefst dualistische Metaphysik falsch deklariert und bekämpft werden sollte, kam zwei Minuten später durch die Hintertür wieder rein, die von den Hirnforschern weit aufgerissen wurde. Aber dass das Gehirn nun einen freien Willen hätte, dazu haben selbst sie sich nicht verstiegen.

Dennoch, Deine Intention ist ja richtig, irgendwer in dem Spiel scheint einen freien Willen zu haben und probier es einfach mal damit, dass Du derjenige Akteur bist und schalte Deine Denkdrüse ein, schließlich ist selber denken das Gebot der Aufklärung.
Lass Dich also nicht mit vorgestanztem Müll zulallern und beeindrucken, nur weil da so schöne bunte Wärmebildchen flimmern, sondern denk nach.
Determiniert, hin oder her, beschreib‘ was Du unter freiem Willen verstehen würdest und dann prüf‘ einfach selbst, ob ein beliebig determiniertes Universum, Dir da in die Suppe spucken kann.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Fr 16. Dez 2011, 08:55

Vollbreit hat geschrieben:Dass Psychologen nicht von der Idee des freien Willens abrücken, hat seinen guten Grund, denn es gibt den freien Willen. Gerade für Psychologen steht er im Zentrum, denn an wen sollte man den Therapie (natürlich ist nicht jeder Psychologen Therapeut) denn adressieren, ...

Vollbreit hat geschrieben:Nein, mein Beispiel richtete sich deutlich erkennbar auf die Frage nach dem Willen, der zum Beispiel Bankräubern von Hirnforschern abgesprochen wird – da ist dann irgendwas in der Birne falsch verdrahtet und darum können sie angeblich nicht anders ...
Du verwechselst hier Entscheidungsfindung und Impulskontrolle mit Willen (oder ist das für dich Wille? dann können wir uns den Rest der Diskussion sparen). Ich bin davon überzeugt das in allen von uns die gleichen Vorgänge ablaufen. Von der Oma die sich entscheidet welche Schokolade sie den Enkeln kaufen soll bis zum Serienkiller der eben diese Enkel einen Tag später erwürgt. Bei all diesen Leuten finden im Kopf entscheidungen statt, auf Grund ihrer Gene (oder sagen wir moderner: ihrer Entwicklung), ihres bisher Erlernten und der inneren und äußeren Situation in der sie sich befinden. Selbst bei den seltenen Fällen mit... einem Hirntumor oder ähnlichen Störungen findet das statt. (Bei solch seltenen Fällen, in denen ein Teilaspekt ausfällt kann man jedoch schön sehen wie er sonst arbeitet.)
Bei keinen 2 Menschen ist dieses System in irgend einem Moment gleich. Das macht es so schwierig zu überblicken. Mit der Einstellung das von irgend wo außerhalb dieses Systems auf die Entscheidungsfindung ein "Freier Wille" (der jeglicher Grundlage entbehrt) einwirkt wird sich ein Psychologe über kurz oder lang lächerlich machen, so wie der Psychologe heute vielleicht Schamanen oder Priester belächelt die gegen böses Verhalten Dämonen und Geister austreiben. Eine Therapie funktioniert auch nicht auf argumentativ-rationaler Ebene. Du wirst niemals jemanden dazu bringen, der schon ein par Kinder umgebracht hat ihm logisch, philosophisch zu erklären, warum das eine Handlung ist, die man nicht begeht und er wird nicken, sagen "das hab ich so ja noch nie gesehen" und es nie wieder tun. Du mußt in einer Therapie dran arbeiten, das Entscheidungsfindungsystem umzukrempeln.

Vollbreit hat geschrieben:Aber wenn das Handy klingelt und ich die Nummer sehe, dann kann ich schon überlegen, wer das jetzt ist und ich kann dran gehen oder es lassen. Hier habe ich 20 Kriterien nach denen ich blitzschnell beurteile, ob ich drangehe oder nicht. Ob mir die alle bewusst sind, ist dabei egal, entscheidend ist, dass ich die Wahl theoretisch auch begründen könnte.

So sehr reden wir doch nicht aneinander vorbei :-) Ich sage ja nur, daß die Lichtschranke eben ein viel simpleres System ist (wie du auch sagst), ich gehe nur den Schritt weiter zu sagen, das entsprechend Komplexen Systemen ein Willen unterstellt wird.


Vollbreit hat geschrieben:Unser Gehirn hat doch keinen freien Willen. Wir haben einen freien Willen. Ich. Du. Lass Dich also nicht mit vorgestanztem Müll zulallern und beeindrucken, nur weil da so schöne bunte Wärmebildchen flimmern, sondern denk nach. Determiniert, hin oder her, beschreib‘ was Du unter freiem Willen verstehen würdest und dann prüf‘ einfach selbst, ob ein beliebig determiniertes Universum, Dir da in die Suppe spucken kann.

Keine Angst, ich laß mich nicht (unkritisch) von bunten Bildern mitreißen, der Bennett-Lachs ist mir durchaus bekannt :applaus: Ich würde unter freiem Willen - ähnlich wie oben beschrieben - ein frei von zwängen die gegen meine natur sind verstehen. In dem Sinne bin ich natürlich nie ganz frei, weil immer Zwänge da sind, andere Menschen zu berücksichtigen, usw. ich bin aber auch nicht determiniert-unfrei im Sinne davon, die nächsten 30 Jahre nur noch Entscheidungen treffen zu können die ohnehin fest stehen, da es keine Alternativen gibt. Was ich jedoch nicht sehe ist, daß da "irgend was von außerhalb eingreift". Auch wenn die Wortwahl mancher Forscher (und vielleicht auch ihre Summe aus Entwicklung und Erfahrung ;) etwas ungeschickt sein mag, glaubt doch niemand der "und jetzt will die Zelle Botenstoffe ausschütten", daß da ein Wille, ein Handlungsagent mit einer Absicht, gar irgend etwas metaphysisch-philosophisches dahinter steckt...
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 16. Dez 2011, 11:23

mat-in hat geschrieben:Du verwechselst hier Entscheidungsfindung und Impulskontrolle mit Willen (oder ist das für dich Wille? dann können wir uns den Rest der Diskussion sparen).


Was ich unter freiem Willen verstehe, hatte ich gesagt: Nach rationalen Gründen entscheiden zu können. Dabei entscheidet man sich natürlich auch, aber eben nicht impulsiv, sondern reflektiert.
Wer einzig impulsiv handelt, der ist gefangen in einem recht unfreien Reiz-Reaktions-Muster und hat nicht die Möglichkeit innerlich einen Schritt zurück zu treten, den spotanen Impuls aufzuschieben, die Sache zu überdenken, von hier, da und dort zu betrachten, Ratschläge einzuholen, auf sein Bauchgefühl zu hören, noch mal drüber zu schlafen und sich dann gemäß dieser (oder einer ähnlichen) Mischung zu entscheiden.

mat-in hat geschrieben:Ich bin davon überzeugt das in allen von uns die gleichen Vorgänge ablaufen. Von der Oma die sich entscheidet welche Schokolade sie den Enkeln kaufen soll bis zum Serienkiller der eben diese Enkel einen Tag später erwürgt.


Das mag ja sein, dass Du davon überzeugt bist, aber das ist eine Frage des Glaubens.
Interessanter ist, wie Du das belegen möchtest. Menschen verhalten sich ja erkennbar unterschiedlich, wenn man davon ausgeht, dass ihr Gehirn ihr Verhalten steuert und dann in allen die gleichen Vorgänge ablaufen, müssten sich ja alle gleich verhalten.
So wirst Du das zwar vermutlich nicht meinen, aber Du müsstest dann schon genauer darstellen, was Du meinst.

mat-in hat geschrieben:Bei all diesen Leuten finden im Kopf entscheidungen statt, auf Grund ihrer Gene (oder sagen wir moderner: ihrer Entwicklung), ihres bisher Erlernten und der inneren und äußeren Situation in der sie sich befinden.


Ja, aber nichts davon ist doch wie bei einem anderen Menschen.
Meine Gene sind nicht Deine (vielleicht würdest Du nicht mal eine Bluttransfusion von mir vertragen), unsere Erziehungserfahrungen und Lebensumstände unterscheiden sich auch.
Das ist, als wenn Du sagst, Gemälde interessieren mich nicht, ist eh immer dasselbe, Leinwand, paar Grundfarben und Pinselstriche. So gesehen ist das schon richtig, wäre nur der Sache vollkommen unangemessen.

mat-in hat geschrieben:Selbst bei den seltenen Fällen mit... einem Hirntumor oder ähnlichen Störungen findet das statt. (Bei solch seltenen Fällen, in denen ein Teilaspekt ausfällt kann man jedoch schön sehen wie er sonst arbeitet.)


Dass man daran erkennen kann, wie das Gehirn arbeitet, ist richtig, aber es sagt nichts über den freien Willen aus.

mat-in hat geschrieben:Bei keinen 2 Menschen ist dieses System in irgend einem Moment gleich.


Eben, das macht den harten Reduktionismus auch so öde. Man meint alles zu wissen und tritt doch auf der Stelle.

mat-in hat geschrieben:Das macht es so schwierig zu überblicken. Mit der Einstellung das von irgend wo außerhalb dieses Systems auf die Entscheidungsfindung ein "Freier Wille" (der jeglicher Grundlage entbehrt) einwirkt wird sich ein Psychologe über kurz oder lang lächerlich machen, so wie der Psychologe heute vielleicht Schamanen oder Priester belächelt die gegen böses Verhalten Dämonen und Geister austreiben.


Auch Psychologen sind nicht der Ansicht, dass da irgendwo außerhalb ein Geist rumschwirrt. Es mag hier und da Spinner geben, die gibt es überall, aber der Konstruktivismus ist nicht erst seit gestern in der Psychologie angekommen.

mat-in hat geschrieben:Eine Therapie funktioniert auch nicht auf argumentativ-rationaler Ebene.


Das kommt auf die Therapie an, sehr viele funktionieren so.

mat-in hat geschrieben:Du wirst niemals jemanden dazu bringen, der schon ein par Kinder umgebracht hat ihm logisch, philosophisch zu erklären, warum das eine Handlung ist, die man nicht begeht und er wird nicken, sagen "das hab ich so ja noch nie gesehen" und es nie wieder tun. Du mußt in einer Therapie dran arbeiten, das Entscheidungsfindungsystem umzukrempeln.


Das kommt drauf an, man weiß heute sehr gut, welche Therapien bei welcher Störung geeignet sind und welche weniger. Soziopathen, also antisoziale Persönlichkeiten im engen Sinne, sprechen allesamt auf kein einziges therapeutisches Verfahren an, erschwerend kommt hinzu, dass sie wissen, was sie tun, also nicht psychotisch sind. Das ist gewissermaßen eine Sondergruppe und zum Glück sehr selten.
Doch die besten Therapien für sonstige sehr schwere Fälle sind fast alle diskursiver Art, dass dabei auch Emotionen ins Spiel kommen, bestreite ich nicht. Dass es andere Therapieformen gibt, die primär über Bilder arbeiten und heute immer mehr gewürdigt werden, bestreite ich auch nicht.

mat-in hat geschrieben:So sehr reden wir doch nicht aneinander vorbei :-)


Den Eindruck habe ich eigentlich auch nicht.

mat-in hat geschrieben: Ich sage ja nur, daß die Lichtschranke eben ein viel simpleres System ist (wie du auch sagst), ich gehe nur den Schritt weiter zu sagen, das entsprechend Komplexen Systemen ein Willen unterstellt wird.


Was Du meinst, ist, dass wenn der eigene PC mal wieder Mucken macht oder der Wagen nicht anspringt, man ihn beschimpft und so tut als hätte er ein Eigenleben, wo er doch in Wirklichkeit eine etwas bessere Blechdose ist. Ja, aber ich glaube, die meisten werden nicht wirklich denken, dass ihr Auto lebt und bewusst ist und absichtlich nicht anspringt, sondern einfach ihre Spannungen abbauen, wenn sie die Karre beschimpfen.

Die Frage darüber hinaus ist aber, wann darf man einem System Bewusstsein zuschreiben?
Weißt Du, wie wir das machen? Reichlich cartesianisch. Wir schauen auf das Verhalten von diesem System, Dennett hat sich dazu ja ausgelassen und der Turing-Test besagt kaum was anderes.
Wir schauen was jemand (etwas) macht und schreiben diesem Verhalten dann ggf. Intentionen zu.
Doch nur physikalische Systeme von intentionalen Systeme zu unterscheiden, ist zu undifferenziert.
Intentionen hat eine Katze auch, aber die ist nicht diskursiv. Diskursive Systeme können uns aus erster Hand berichten, was in ihnen vorgeht, man fragt sie ganz einfach (sofern man ihre Sprache spricht und diese hinreichend komplex ist). Beim Rest muss man interpretieren, ob das Schwanzwedeln des Hundes nun Freude oder Demutsgeste oder sonst was ist.
Diskursive Systeme können uns sagen, was sie empfinden, welche Absichten sie haben und so weiter.

Cartesianisch ist daran, dass wir folgenden Schritt machen, der zumeist in den Darstellungen unterschlagen wird. Wenn wir Intentionen, Bewusstsein, Diskursivität, Intelligenz und dergleichen zuschreiben, dann gibt es dazu genau einen Weg. Wir schauen den anderen an, sehen was der macht – oder hören, was der sagt – und urteilen: Hm, so wie der sich verhält, könnte ich mich auf verhalten, wenn ich in seiner Situation wäre, daran erkenne ich, der muss rational handeln und folgt nicht einfach einer Erbkoordination. Noch stärker gilt das für das, was gesagt wird.
Was wir aber tun, ist, dass wir in tief gefühlter Sicherheit unseren Zustand – wir erleben uns nämlich als freies, bewusstes, wollendes, rationales, diskursives Wesen – auf den anderen übertragen und ihn vor dem Hintergrund, was wir über uns selbst wissen, deuten und beurteilen.
Eine Lichtschranke verhält sich sehr eingeschränkt, ein Regenwurm ist da schon weiter, eine Katze noch weiter und bestimmtem tierischen Verhalten von Delphinen, Affen, Elefanten und Krähenvögeln schreiben wir sogar ein rudimentäres Ich-Bewusstsein zu, weil wir unterstellen: Wer das kann, der muss über Ich-Bewusstsein verfügen. Der stillschweigende Hintergrund ist: Ich kann das und weiß, dass ich mich als Ich empfinde. Ein Sittich verhält sich stutendoof vor dem Spiegel, der denkt, das sei ein anderer, andere Tiere benutzen Spiegel und dergleichen, um sich staunend und systematisch zu untersuchen, oder eben zielgerichtet Neonflecken die im Spiegelbild erscheinen, nicht im Spiegel, sondern bei sich selbst zu entfernen.

mat-in hat geschrieben:Ich würde unter freiem Willen - ähnlich wie oben beschrieben - ein frei von zwängen die gegen meine natur sind verstehen.


Warum ist denn bei Dir Freiheit nur denkbar, wenn man gegen Naturgesetze verstoßen kann?
Man kann natürlich dieser Ansicht sein (schließlich sind wir frei ;) ) aber dieser Freiheitsbegriff hat einen entscheidenden Nachteil. Wenn man Gott mal ausklammert, was in diesem Umfeld nicht weiter schwer sein dürfte, gibt es schlicht nichts und niemanden der frei wäre.

Das kann man meinen, muss aber dann auf Unterscheidungen verzichten, die verschiedene Freiheitsgrade zuschreibe und die Du mit hoher Wahrscheinlichkeit teilen wirst.
Ein Felsbrocken folgt einfach nur physikalische Einflüssen, auf anderes reagiert er nicht. Ein vollkommen reizreaktionsgeprägtes Tier mag uns limitiert vorkommen, hat aber mehr Möglichkeiten als der Felsen. Ein Tier, was sehr intelligent ist, offenbar Absichten verfolgt und auf diese auch reagieren kann, so das Verhalten nicht blind bis zum Ende und immer wieder ausgeführt wird, erscheint uns freier und vor allem zwischen Menschen und Menschen sehen wir doch beträchtliche Unterschiede. Der eine erscheint uns dumpf und unreflektiert, zum anderen schauen wir bewundernd auf, weil wir ihn für klug halten. Niemals würde wir uns im Ernst mit einem Colaautomaten unterhalten und Antworten von ihm erwarten, oder, dass er seine Reaktion ändert und die Pulle doch noch rausrückt, nach dem er unser Geld gefressen hat.
Und auch wenn ein Beo dressiert wurde kluge Sätze zu sagen, wie: „Ich finde, dass Obama den Friedensnobelpreis zu früh erhalten hat“, würden wir uns nicht zu ihm setzen und sagen: „Oh, du interessierst dich für Politik, erklär mir mal, warum du dieser Ansicht bist“, sondern wir würden amüsiert lächeln, darüber, was der Besitzer da originell andressiert hat.

Das heißt aber und das ist der entscheidende Unterschied, dass wir (zurecht) unterstellen, dass der Beo nicht weiß, was er sagt, obwohl das, was er sagt, als sinnvoller und richtiger Satz angesehen werden könnte.
Das heißt, nicht die Richtigkeit von Aussagen und Verhalten ist entscheidend, sondern die Frage, ob derjenige der das kann, auch versteht, was er tut und sagt. Und das bekommen wir durch Nachfragen heraus: „Wieso bist Du dieser Ansicht, warum tust du das, erklär mir das mal?“ Und anhand der Antworten erkennen wir, „ah, nur auswendig gelernt, aber nicht begriffen“ (beim Vogel, altklugen Kindern und Blendern). Der Hintergrund ist aber wieder der, dass man sich denkt: „Wäre ich an der Stelle, ich würde das ungefähr so erläutern: …“ Und wir wissen von uns, ob wir etwas verstanden haben, oder nicht und wie man rausbekommt, ob der andere etwas verstanden hat, oder nicht. Indem er nämlich nicht nur immer dasselbe wiederholt, sondern den Sachverhalt unter einem anderen Blickwinkel, mit eigenen Worten erklären kann, oder tun kann, was er behauptet tun zu können.

Und das ist unsere Freiheit, vor einer Handlung oder Antwort innehalten zu können, neue Informationen zu integrieren und sie erkennbar zu verarbeiten. Zu begründen, warum wie meinen, was wir meinen, tun, was wir tun. Wir verstehen, was wir tun und wir können zeigen, das wir es verstehen, oder zumindest über eine plausible Theorie verfügen. Denn oftmals, da gebe ich Dir Recht und das sagte uns schon Freud, sind die Erklärungen für unsere Handlungen nur Rationalisierungen.
Wir kennen die wahren Gründe und heimlichen Motive nicht immer, aber man kann sie erkennen, sonst wäre eine solche Aussage, wie die von Freud, sinnlos.

Unsere Motive könnten falsch sein, aber wenn wir überzeugt wären, sie seien richtig und das gut begründen könnten, wäre wir erkennbar rationale Wesen, die wenigstens der Meinung sind, sie wüssten was sie tun und über eine halbwegs kohärente Theorie ihres Innenlebens verfügen.
Die Freiheit ist also auch hier noch steigerbar, aber ich denke, Grade von Freiheit wirst Du auch anerkennen?

mat-in hat geschrieben:In dem Sinne bin ich natürlich nie ganz frei, weil immer Zwänge da sind, andere Menschen zu berücksichtigen, usw. ich bin aber auch nicht determiniert-unfrei im Sinne davon, die nächsten 30 Jahre nur noch Entscheidungen treffen zu können die ohnehin fest stehen, da es keine Alternativen gibt.


Ja.
Und der Kompatibilismus setzt noch eins drauf und sagt: Selbst wenn fest stünde, was Du am 2.12.2023 um 15:25 tun wirst und Du dem nicht entrinnen könntest: Deiner Freiheit das dann zu wollen, was Du tust, täte das keinen Abbruch und Du könntest sagen, ich mache es aus dem und dem Grund und ich will es aus diesem Grund genau so tun und nicht anders.
So, wie Du mir ja heute begründen kannst, ob und inwieweit Dir die These der Freiheit zusagt oder es eben nicht tut und Deine Meinung aus bestimmten Gründen hast, welche auch immer das seien.

mat-in hat geschrieben: Was ich jedoch nicht sehe ist, daß da "irgend was von außerhalb eingreift".


Ich auch nicht, aber ich kann mich da nur wiederholen. Keiner der Philosophen und Psychologen, die den Namen verdienen, ist heute überzeugter Cartesianer und das aus gutem Grund. Die Problematik des Dualismus ist wirklich jedem der das dritte Semester überstanden hat überbekannt. Dass es irgendwo auf der Welt noch einen Freak gibt, der diese Auffassung dennoch vertritt, geschenkt, aber wenn etwas out ist, dann der cartesische Dualismus.
Es gibt in der Tat einige, die intelligente Varianten des Dualismus vertreten, aber diese Varianten sind dann in auch intelligent und die reichlich naiven Zurückweisungen der Form: „Da glaubt ja jemand an Geister“ sind dem nun wirklich nicht angemessen.

mat-in hat geschrieben:Auch wenn die Wortwahl mancher Forscher (und vielleicht auch ihre Summe aus Entwicklung und Erfahrung ;) etwas ungeschickt sein mag, glaubt doch niemand der "und jetzt will die Zelle Botenstoffe ausschütten", daß da ein Wille, ein Handlungsagent mit einer Absicht, gar irgend etwas metaphysisch-philosophisches dahinter steckt...


Eben, das glaubt niemand, das ist aber auch nicht das Problem.
Das besteht darin, dass mehr oder weniger blinde, ungerichtete Abläufe der Natur, überhaupt so etwas wie Bewusstsein, Intelligenz und Reflexionsvermögen konstituieren und dass das der Fall ist, stehst außer Zweifel Du und ich sind der Beweis dafür.
Es geht um die reichlich komplizierte Frage, ob zwischen Bewusstheit und richtiger Reaktion ein qualitativer Graben gezogen ist (und was ihn, falls ja, ausmacht) oder ob das einfach nur eine Frage der besseren Rechenleistung ist (was sein könnte, aber freilich nichts erklärt).
Die Naturalisten ziehen sich gerne auf die Antwort zurück, dass es da ganz einfach sehr viel Zeit und sehr viele sehr kleine Optimierungsschritte gegeben hat, was bei Licht betrachtet aber eine Nullnummer ist, weil der Erklärung schlicht die Erklärung fehlt. Übersetzt heißt es: Ist halt so gekommen, warum, wissen wir auch nicht.
Die Philosophen wollen diesen Qualitätssprung einkreisen und bestimmen und die Fähigkeit des Verstehens, ist da eine gute Adresse.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 16. Dez 2011, 13:15

Ich muss momentan hier etwas kürzer treten, weil ich gerade viel zu tun habe, deswegen hat meine Antwort etwas gedauert.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, natürlich sprechen wir davon, aber warum sollte es keine Rolle spielen, dass Du nach Gründen handelst? Erklär mir doch einfach, was Du unter freiem Willen verstehst.


Unter einem freien Willen verstehe ich in erster Linie das Konzept aus dem alten Testament, das versucht, einem Fatalismus zu entgehen indem es zwar eine von Gott gelenkte Welt postuliert, dem Menschen darin aber als Ausnahme einen freien Willen gibt, sodass der Mensch nicht vorbestimmt ist, sondern sich völlig frei verhalten darf, wobei dann anschließend über ihn gerichtet wird (und genauso hat unser Justizsystem das Ganze ja auch übernommen und somit haben wir immer noch eine religiöse Justiz).
Der Unterschied zwischen Fatalismus und Determinismus (da das hier ja mittlerweile auch aufkam) ist lediglich der, dass ein Fatalismus von einer universell wirkenden Instanz (wie einem Schöpfer) ausgeht, wohingegen der Determinismus ohne Zweck auskommt und nur auf naturgesetzliche Kausalität aufbaut. Beides lässt im Prinzip keine Freiheit zu, es sei denn (wie im AT) der Mensch wird als Ausnahme deklariert, für den die Gesetze nicht gelten.
Der freie Wille kann also in dem Sinne zwar schon im Zusammenhang mit Determinismus auftreten, aber dann trotz und nicht wegen des Determinismus, eben als große Ausnahme. Dafür sehe ich aber keine Anhaltspunkte.

Vollbreit hat geschrieben:Bleibt der Begriff der Freiheit übrig. Mein Angebot, Freiheit des Willens sei, gemäß eigener Überlegungen zu entscheiden, ist nur ein Angebot, Du kannst es verwerfen und ein beliebiges anderes vorschlagen. Du musst mir einfach nur sagen, was Du unter Freiheit verstehst.


In der Form eines solchen Gedankenspiels schlage ich eine wirklich radikale Definition von Freiheit vor. Der Begriff „Freiheit“ wird für meinen Geschmack viel zu inflationär verwendet. Ich möchte dann lieber davon sprechen, wie weit die Freiheit eingeschränkt ist, anstatt den Freiheitsbegriff immer wieder so zu dehnen, dass man sich immer frei fühlen kann.
Wenn wir Deine Definition nehmen, dann muss ich mal den Sokrates spielen und Dich fragen, wie wir dann eigene Überlegungen definieren wollen. Reicht es, wenn die Überlegungen in meinem Gehirn stattfinden, oder dürfen sie auch nicht durch äußeres beeinflusst sein. Wenn das erste reicht, dann muss man allerdings auch einräumen, dass es der freie Wille der Angeklagten bei Stalins Schauprozessen war, der sie dazu gebracht hat, sich schuldig zu bekennen, da die Überlegung zwar durch fremde Einflüsse gesteuert war (was ja eben immer der Fall ist, weil man immer in der Welt ist) aber dennoch im Gehirn des Angeklagten letztendlich die Wandlung zum Schuldbekenntnis stattfand.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, aber das ändert nichts daran, dass ich mich nach Gründen entscheiden kann.
Wenn Du mit den Gründen nicht einverstanden bist, wie gesagt, jede andere Definition ist mir recht.

[…]

Ja, ich bin ja determiniert, total sogar. Aber ich kann mich dennoch frei entscheiden, wenn Freiheit bedeutet, nach eigenen Gründen und Überlegungen zu wollen, zu entscheiden, zu handeln.
Wenn Freiheit das nicht bedeutet, was bedeutet Freiheit dann?


Aber wenn Du determiniert bist, dann sind die Gründe und Überlegungen auch determiniert, dementsprechend hast Du nur die Illusion, nach eigenen Gründen und Überlegungen zu wollen, zu entscheiden und zu handeln. Wenn Freiheit und Illusion von Freiheit das gleiche sind, dann kann man einen freien Willen auch so haben, ja.

Vollbreit hat geschrieben:In dem Fall ist das völlig legitim, wir suchen ja den besten Begriff für die Freiheit des Willens.


Aber wir müssen dann aufpassen, dass das Ergebnis nicht auf etwas übertragen wird, wo es auch „freier Wille“ heißt, aber was ganz anderes gemeint ist. Die juristische Schuldfähigkeit hat eben mehr mit dem freien Willen als Ausnahme vom Fatalismus aus der judäo-christlichen Religion zu tun.

Vollbreit hat geschrieben:Das ist im Fall der Juristerei ja auch gegeben. Wenn jemand nicht unter Drogen, psychotisch, schwer dement oder ein debil ist, also verstehen kann, was er getan hat, geht man davon aus, dass der schuldfähig ist. Wer nicht verstehen kann, was er getan hat, der wird auch nicht bestraft.
Vielleicht muss man die Gesellschaft vor ihm schützen, aber Strafe im eigentlichen Sinne ist das nicht.


Das Problem hier ist nur, sollte ich eine Liste schreiben müssen mit den dämlichsten Sachen, die mir je zu Ohren gekommen sind, die Unterscheidung zwischen „schuldfähig“ und „nicht schuldfähig“ in den obersten Rängen stehen würde.
Ich verstehe diese Unterscheidung schon, aber sie ergibt in mehrerlei Hinsicht keinen Sinn für mich.
Sofern ich zu einem bestimmten Zeitpunkt weiß, was ich tue, dann macht mich die Entscheidung, Drogen zu nehmen, in dem Sinne schon schuldig, da ich wissen muss, dass ich mich als Konsequenz eventuell nicht mehr kontrollieren kann und Mist baue. Dass Strafe da aus psychologischen Gründen aber trotzdem nichts bringt, ist klar.
Auf der anderen Seite würde aber kein Mensch, der nicht schon irgendwie einen Schaden hat, einem anderen Schaden zufügen, außer vielleicht aus einer äußersten Notsituation heraus. Unsere Schuldfähigkeit ist also in erster Linie dafür da, den Menschen klarzumachen, dass sie einen erlittenen Schaden gefälligst einfach zu dulden haben. Wobei ich jetzt auch nicht dafür bin, dass jeder geschädigte Mensch einfach anderen schaden sollte, klar, aber das ganze würde jetzt ausschweifen und wäre eher Stoff für ein eigenes Thema. Für hier sollte es erstmal reichen, dass ich das Justizsystem nicht als sinnvoll ansehen kann und dafür auch gute Gründe habe.

Vollbreit hat geschrieben:Das wäre doch blödsinnig, wenn man sich auf eine Theorie stützt, die in der Praxis nichts hält.
Tatsächlich hält sie aber doch. Manche können halt verstehen, was sie getan haben, die sind dann schuldfähig, andere können das nicht verstehen, die sind nicht schuldfähig. Das ist eher die Frage nach dem Ich, als nach dem Willen.


So ganz blödsinnig ist das nicht, wenn man dadurch Verhältnisse bestimmen kann. Oder meinst Du bestimmte Berechnungen in der theoretischen Physik hätten keinen Wert, weil sie nicht praktisch durchführbar sind?
Zu dem anderen siehe oben.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Fr 16. Dez 2011, 15:04

Vollbreit hat geschrieben:Dass man daran erkennen kann, wie das Gehirn arbeitet, ist richtig, aber es sagt nichts über den freien Willen aus.
Auch nicht, wenn der Freie Wille nach deiner Definition (rational entscheiden) beschädigt oder nicht mehr gegeben ist?

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Bei keinen 2 Menschen ist dieses System in irgend einem Moment gleich.

Eben, das macht den harten Reduktionismus auch so öde.

Es wird nur leider nicht all zu einfach, das gesamte System das irgend wo zwischen "Stimmungsmache zwischen Nationen" und Methylgruppen an der DNA einzelner Zellen im Gehirn eines Individuums zu verstehen, wenn man es versucht auf einen Happen zu verstehen. Daher muß man - was vor allem mit der sehr beschränkten Leistungsfähigkeit unseres hirns zu tun hat - notwendiger Weise reduzieren und vereinfachen. Im Moment verlieren wir uns in der Biologie ziemlich in Details, ja. Aber langsam können wir versuchen das alles zusammen zu setzen. Anders wird es nicht gehen, es sei denn wir wollen weiter versuchen das alles rein mit Philosophie und Glauben zu lösen.

Vollbreit hat geschrieben:Auch Psychologen sind nicht der Ansicht, dass da irgendwo außerhalb ein Geist rumschwirrt.
Der mann hat vehement und mit nachdruck, auch gegen mehrere "wir reden aneinander vorbei" Schlichtungsversuche hinweg darauf bestanden das seine Patienten mehr sind als was ich oben geschrieben habe... ich kann den Namen mal raussuchen.

Vollbreit hat geschrieben:Das kommt drauf an, man weiß heute sehr gut, welche Therapien bei welcher Störung geeignet sind und welche weniger.
Es ging mir nicht um einzelne Formen der Therapie und wie sehr die auf der (künstlichen) Trennung von Emotion und Ratio fußen. Es ging mir darum, das man im Gehirn des Individuums eine Veränderung herbeiführen muß, wenn es sein Verhalten ändern soll. Man hat das mal ohne all zu viel Wissen was man noch kaputt macht mit der groben Kelle ...äh... Eispickel getan, dann hat man nur geredet, im Moment scheinen Reden und Pillen (als weniger grobe Kelle) in zu sein, das schwankt zyklisch und ändert sich mit unserem Wissensstand. Worauf ich hinaus wollte sind zwei Dinge: Unser Wille (in Sinne von entscheidungsfindung, etc.) ist ein gradueller Prozess, mal mehr mal weniger da, je nach dem wie die Beteiligten systeme arbeiten. Um etwas am Verhalten zu ändern - so daß Verhalten änderungswürdig ist - müssen wir was an den grundvoraussetzungen für das Verhalten ändern. Ganz grob verallgemeinert: Jemand der den Impuls zum Händewaschen nicht unterdrücken kann und sich 60x am Tag die Hände seift und jemand der den Impuls nicht unterdrücken kann im Kaufhaus was einzustecken, sollten nicht unterschiedlich behandelt werden. Gut, letzteren vielleicht verwahren, bis man ihn "geheilt" hat, weil er sonst an anderen personen statt nur an sich schaden anrichtet. Aber im Prinzip bedürfen beide einer Therapie und nicht einer Therapiert und eine Weggesperrt und dann wieder frei gelassen, ohne das man versucht was zu ändern. Das ist nämlich die falsche Auffassung von Freiem Willen, wenn man denkt er würde das "einsehen während seiner Haftstrafe" und dann selbst seine Impulskontrolle ohne weiteren Input ändern können.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, aber ich glaube, die meisten werden nicht wirklich denken, dass ihr Auto lebt und bewusst ist und absichtlich nicht anspringt, sondern einfach ihre Spannungen abbauen, wenn sie die Karre beschimpfen.
Aber es ist ein schlöne Beispiel dafür, daß wir schnell hier und da und hinter jeder Ecke Intention, Absicht, Wille sehen. die Scheißkarre macht das mit Absicht, weil man es heute besonders eilig hat (und nicht: ich hab ihn abgewürgt weil ich in meiner Eile nicht so gut den Wagen anwerfe und hektisch bin). Auch wenn den standpunkt niemand rational argumentativ vertreten wird, sind es doch genau diese Vorgänge um die es mir im zweiten Teil der Argumentation ging.

Vollbreit hat geschrieben:Die Frage darüber hinaus ist aber, wann darf man einem System Bewusstsein zuschreiben?
...
Intentionen hat eine Katze auch, aber die ist nicht diskursiv. Diskursive Systeme können uns aus erster Hand berichten, was in ihnen vorgeht, man fragt sie ganz einfach (sofern man ihre Sprache spricht und diese hinreichend komplex ist).
Diskursive Systeme können uns sagen, was sie empfinden, welche Absichten sie haben und so weiter.

Wenn also zur Entscheidungsfindung, Durchführung und Bewertung noch die Fähigkeit dazu kommt uns zu kommunizieren, wie das abgelaufen ist, hat es bewußtsein? Ich denke nicht das an einer Katze etwas grundlegend anders ist als an einem Menschen. Was den Mensch da (ein wenig) unterscheidet ist wohl, das man in die Vergangenheit zurück gehen kann, weit in die Zukunft (versuchen) kann zu planen, sich viel länger den kopf zerbricht als ein Schimpanse. Aber viel Abstand ist da nicht. Mir kommt das immer mehr so vor als wäre Bewußtsein ein modewort, das immer dann neu in inrgend eine Ritze im Teppich des Wissens gepreßt wird, wenn jemand sagt das der Mensch nichts besonderes, einmailiges, weit über allem stehenden ist. So ähnlich wie mit Kultur. Kultur sind lokal weitergegebene Techniken, Verhaltenweisen, usw. dann findet man Plötzlich über 40 erlernte, lokal unterschiedliche Verhaltensweisen bei Schimpansen, die sei auch in anderen gebieten in denen es nicht nötig wäre beibehalten (Nestbau im Baum oder auf dem Boden) und schon zieht sich irgend ein Geisteswissenschaftlerlein was neues aus der Nase und definiert Kultur um, damit Schimpansen ja keine haben und dem Mensch sein alleinstellungsmerkmal erhalten bleibt... reichlich lächerlich, aber so sind wir nun mal.

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Ich würde unter freiem Willen - ähnlich wie oben beschrieben - ein frei von zwängen die gegen meine natur sind verstehen.

Warum ist denn bei Dir Freiheit nur denkbar, wenn man gegen Naturgesetze verstoßen kann?
Das verstehe ich nicht. Ich meinte nicht "naturgesetze" sondern "meine natur" im Sinne von "was mir Spaß macht". Wenn ich gerne ausgibig in der Nase bohre, das aber beim Weihnachtsdinner mit der Abteilung nicht mache, bin ich nicht frei. Vielleicht frei mich anders zu entscheiden, aber nicht wenn ich die konsequenzen, vorteile, nachteil, usw. abwäge. Ich kontrolliere den Impuls und bin damit unfrei. Da ist aber nichts außerhalb der Naturgesetze, so tief komme ich mit der Hand nun auch nicht in die Nase :mg:

Vollbreit hat geschrieben:Und das bekommen wir durch Nachfragen heraus: „Wieso bist Du dieser Ansicht, warum tust du das, erklär mir das mal?“ Und anhand der Antworten erkennen wir, „ah, nur auswendig gelernt, aber nicht begriffen“ (beim Vogel, altklugen Kindern und Blendern).
Würde auch ziemlich überraschen, wenn er sagt "um die eine Freude zu machen, du freust dich immer wenn ich es sage" :^^:

Vollbreit hat geschrieben:Unsere Motive könnten falsch sein, aber wenn wir überzeugt wären, sie seien richtig und das gut begründen könnten, wäre wir erkennbar rationale Wesen, die wenigstens der Meinung sind, sie wüssten was sie tun und über eine halbwegs kohärente Theorie ihres Innenlebens verfügen.
Die Freiheit ist also auch hier noch steigerbar, aber ich denke, Grade von Freiheit wirst Du auch anerkennen?

Mal abgesehen davon das viele Leute die mir so im Alltag begegnen nicht ganz den Eindruck machen... aber jetzt nicht gemein werden... kann ich da durchaus zustimmen, nichts davon widerspricht was ich gesagt habe. Jeder ist davon überzeugt, das was er tut die richtige Entscheidung in der Situation ist, sonst würde er anders handeln. Richtig jetzt nicht im Sinne von "moralisch richtig", manchmal muß man ziemlich böse Dinge tun, und es ist doch die "richtige" Entscheidung. Ob wir das was die anderen tun dann für gut oder böse halten hängt wieder mit unserer Reflektion dessen und wie sehr es unserem Eigenen entscheidungsystem entgegenläuft zusammen.

Vollbreit hat geschrieben:Und der Kompatibilismus setzt noch eins drauf und sagt: Selbst wenn fest stünde, was Du am 2.12.2023 um 15:25 tun wirst und Du dem nicht entrinnen könntest: Deiner Freiheit das dann zu wollen, was Du tust, täte das keinen Abbruch und Du könntest sagen, ich mache es aus dem und dem Grund und ich will es aus diesem Grund genau so tun und nicht anders.
So, wie Du mir ja heute begründen kannst, ob und inwieweit Dir die These der Freiheit zusagt oder es eben nicht tut und Deine Meinung aus bestimmten Gründen hast, welche auch immer das seien.

Da widerspreche ich ja gar nicht? Ich sage nur, daß es nichts außerhalb der Faktoren die in unserer physikalischen Welt dazu geführt haben einen Einfluß darauf hatte. Es kommt nichts von außerhalb dazu im Sinne von... hab ich schon ein par mal gesagt. Und ob wir jetzt erst eine Entscheidung treffen und sie dann rechtfertigen oder sie erst lange rechtfertigen und dann eine Entscheidung treffen ist dafür letzten Endes egal (wenn auch interessant ;). Was wir tun wird aber von diesen Faktoren bestimmt und es gibt keine darüber reichende oder außerhalb stehende "Freiheit".

Vollbreit hat geschrieben:Es geht um die reichlich komplizierte Frage, ob zwischen Bewusstheit und richtiger Reaktion ein qualitativer Graben gezogen ist (und was ihn, falls ja, ausmacht) oder ob das einfach nur eine Frage der besseren Rechenleistung ist (was sein könnte, aber freilich nichts erklärt).
Die Naturalisten ziehen sich gerne auf die Antwort zurück, dass es da ganz einfach sehr viel Zeit und sehr viele sehr kleine Optimierungsschritte gegeben hat, was bei Licht betrachtet aber eine Nullnummer ist, weil der Erklärung schlicht die Erklärung fehlt. Übersetzt heißt es: Ist halt so gekommen, warum, wissen wir auch nicht.
[/quote]Zwischen deinem Bewußtsein und deiner richtigen reaktion in der Situation? Da sehe ich keinen Graben. Du wirst so handeln, wie es für dich die beste Entscheidung erscheint.
Was spricht gegen viele kleine optimierungsschritte (und meinetwegen ein par sprünge)? Es geht in der wissenschaft doch nur um "wie". Das erklärt es sehr gut, was es nicht liefert ist: Ein Grund. Ein "Warum". Das will die Wissenschaft aber auch gar nicht liefern (es sei denn man bedrängt sie oder trifft vertreter die sich gerne weit aus dem Fenster lehnen und ihre Eigenen Ideen des "Warum" mit Wissenschaft verbinden) und auch der Naturalist kann meist ganz gut ohne. für das Warum sind aber dann die Philosophen wirklich die Richtige Ecke.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 16. Dez 2011, 18:50

Teh Asphyx hat geschrieben:Unter einem freien Willen verstehe ich in erster Linie das Konzept aus dem alten Testament, das versucht, einem Fatalismus zu entgehen indem es zwar eine von Gott gelenkte Welt postuliert, dem Menschen darin aber als Ausnahme einen freien Willen gibt, sodass der Mensch nicht vorbestimmt ist, sondern sich völlig frei verhalten darf, wobei dann anschließend über ihn gerichtet wird (und genauso hat unser Justizsystem das Ganze ja auch übernommen und somit haben wir immer noch eine religiöse Justiz).“


Hm.
Ich sehe eine Widerspruch darin, dass Du einerseits mit Miller sagst, man solle den Eltern nicht zu früh verzeihen, andererseits aber meinst, der Mensch habe keine Verantwortung, da er ja über keinen freien Willen verfügt. Wie kannst Du jemandem böse sein, der nichts dazu konnte, zu dem, was er tat?
Man kann doch nur jemandem etwas vorwerfen, der auch anders gekonnt hätte, wie willst Du das auflösen?

Teh Asphyx hat geschrieben:Der Unterschied zwischen Fatalismus und Determinismus (da das hier ja mittlerweile auch aufkam) ist lediglich der, dass ein Fatalismus von einer universell wirkenden Instanz (wie einem Schöpfer) ausgeht, wohingegen der Determinismus ohne Zweck auskommt und nur auf naturgesetzliche Kausalität aufbaut.


Das sehe ich auch so.

Teh Asphyx hat geschrieben:Beides lässt im Prinzip keine Freiheit zu, es sei denn (wie im AT) der Mensch wird als Ausnahme deklariert, für den die Gesetze nicht gelten.


Doch, das habe ich doch zu skizzieren versucht, man kann determiniert sein und dennoch gemäß guter Gründe entscheiden. Sag‘ mir doch mal, warum das nicht gehen soll.

Teh Asphyx hat geschrieben:Der freie Wille kann also in dem Sinne zwar schon im Zusammenhang mit Determinismus auftreten, aber dann trotz und nicht wegen des Determinismus, eben als große Ausnahme. Dafür sehe ich aber keine Anhaltspunkte.


Nein, nicht als Ausnahme, ganz regelgemäß. Wenn ich den Wunsch habe zu fliegen, braucht sich ja die Schwerkraft nicht aufzuheben.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn wir Deine Definition nehmen, dann muss ich mal den Sokrates spielen und Dich fragen, wie wir dann eigene Überlegungen definieren wollen. Reicht es, wenn die Überlegungen in meinem Gehirn stattfinden, oder dürfen sie auch nicht durch äußeres beeinflusst sein.


Wie sollte mein Wollen nicht von Äußerem beeinflusst sein? Ich will vielleicht diese Frau, diese Pizza, den Sportwagen, das Buch, das setzt doch voraus, dass ich beeinflusst bin. Was kann man überhaupt wollen wollen, wenn man keine Erfahrung des Anderen hat?

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn das erste reicht, dann muss man allerdings auch einräumen, dass es der freie Wille der Angeklagten bei Stalins Schauprozessen war, der sie dazu gebracht hat, sich schuldig zu bekennen, da die Überlegung zwar durch fremde Einflüsse gesteuert war (was ja eben immer der Fall ist, weil man immer in der Welt ist) aber dennoch im Gehirn des Angeklagten letztendlich die Wandlung zum Schuldbekenntnis stattfand.


Schauprozesse sind je eher der Klassiker für Zwang, nicht für Freiheit.

Teh Asphyx hat geschrieben:Aber wenn Du determiniert bist, dann sind die Gründe und Überlegungen auch determiniert, dementsprechend hast Du nur die Illusion, nach eigenen Gründen und Überlegungen zu wollen, zu entscheiden und zu handeln.


Ja, meine Gründe und Überlegungen sind determiniert, vollkommen sogar (in unserem Beispiel), aber was hindert mich daran, sie frei zu treffen, indem ich von ihnen überzeugt bin.
Ein allsehendes Wesen (das es zwar nicht gibt, aber egal) könnte sagen: „Ah, der Vollbreit, jetzt macht er das und denkt jenes, in 5 Minuten wird ihm x passieren und er wird seine Meinung komplett revidieren.“ 5 Minuten später geschieht mir x, ich schmeiße alles über den Haufen und revidiere meine Einstellung total und sage: „Vor 5 Minuten dachte ich noch dies und das, aber dann habe ich x erfahren und im Lichte dieser Erfahrung muss ich meine Aussagen revidieren.
Das tue ich dann freiwillig, auf dem Boden guter Gründe und das allsehende Wesen hat es vorher gewusst. Ich aber nicht, ich folge nur meinen Gründe, gemäß der Erkenntnis, die mir gerade zur Verfügung steht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn Freiheit und Illusion von Freiheit das gleiche sind, dann kann man einen freien Willen auch so haben, ja.


Das ist ja keine Illusion von Freiheit.
Wenn ich Dich gut kennen würde und wüsste, dass Du total auf Scampi-Pizza abfährst und ich sehe, dass Du zum Italiener gehst, dann würde ich tippen: Mensch, der isst bestimmt gleich Pizza Scampi. Wenn Du das dann tatsächlich tust und ich das geahnt haben (und das allsehende Wesen es sicher gewusst hat), hast Du dann irgendwie unter Zwang gehandelt? Nein, Du bist zum Italiener gegangen, hast Pizza Scampi gelesen, meinetwegen wurdest Du auf die Dinger auch noch geprägt und so machte es bling und Du hast sie bestellt. Aber Du hättest es aus freiem Willen getan, es hätten auch die scharfen Nudeln sein können.

Teh Asphyx hat geschrieben:Aber wir müssen dann aufpassen, dass das Ergebnis nicht auf etwas übertragen wird, wo es auch „freier Wille“ heißt, aber was ganz anderes gemeint ist. Die juristische Schuldfähigkeit hat eben mehr mit dem freien Willen als Ausnahme vom Fatalismus aus der judäo-christlichen Religion zu tun.


Wieso meinst Du überhaupt, dass es so ist?
Ich glaube, es hat schlicht damit zu tun, ob jemand Einsicht in das hat (oder haben könnte) was er getan hat. Ist das gegeben, muss er sich verantworten, ich sehe das eigentlich ganz nüchtern.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das Problem hier ist nur, sollte ich eine Liste schreiben müssen mit den dämlichsten Sachen, die mir je zu Ohren gekommen sind, die Unterscheidung zwischen „schuldfähig“ und „nicht schuldfähig“ in den obersten Rängen stehen würde.
Ich verstehe diese Unterscheidung schon, aber sie ergibt in mehrerlei Hinsicht keinen Sinn für mich.
Sofern ich zu einem bestimmten Zeitpunkt weiß, was ich tue, dann macht mich die Entscheidung, Drogen zu nehmen, in dem Sinne schon schuldig, da ich wissen muss, dass ich mich als Konsequenz eventuell nicht mehr kontrollieren kann und Mist baue. Dass Strafe da aus psychologischen Gründen aber trotzdem nichts bringt, ist klar.


Das wird ja auch berücksichtigt, wenn Du ein Verbrechen begehen willst und Dir arglistig die Kelle gibst, damit Du straffrei aus der Nummer raus kommst, nur muss man Dir eben nachweisen, dass Du das gezielt gemacht hast, um sagen zu können: Ich wusste nicht mehr, was ich tat, ich war völlig prall und hatte einen Filmriss.
Und ich finde es gut, dass man jemandem das abnehmen muss, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Auf der anderen Seite würde aber kein Mensch, der nicht schon irgendwie einen Schaden hat, einem anderen Schaden zufügen, außer vielleicht aus einer äußersten Notsituation heraus. Unsere Schuldfähigkeit ist also in erster Linie dafür da, den Menschen klarzumachen, dass sie einen erlittenen Schaden gefälligst einfach zu dulden haben.


Ja, ich weiß, was Du meinst und stimme Dir da zu, das ist ein moralisches Problem.
Der ewig besoffene prügelnde Vater der seinen Sohn zum Seelenkrüppel macht, so dass dieser im Wiederholungszwang andere krankenhausreif prügelt. Hier kommt zur unverschuldeten Pathologie noch die Strafe.

Dennoch sollte man hier zwei Dinge betrachten: Ist jemand in der Lage zu erkennen, was die Gesellschaft von ihm erwartet? Wenn ja und das wissen die meisten Gewalttäter durchaus, muss man zeigen, dass man das als Staat nicht toleriert, denn dass ich geprügelt wurde, gibt mir nicht das Recht, andere zu prügeln.

Und da Du fit bist in Psychologie, eine Überlegung aus der Ecke. Du wirst wissen, dass chronische Gewalt zu schweren Persönlichkeitsstörungen führt und diese oft mit Entwertung anderer verbunden ist und Gewalt gegen andere begünstigt. Aber mit der Krankheit hängt noch was zusammen, die kompensatorische Grandiosität. Mir kann keiner was, ich bin sowieso schlauer, dreister, gerissener, die anderen sind alles nur Lutscher, Opfer, selbst schuld, hätten ja woanders herlaufen können.
Dieser Grandiosität muss man Grenzen setzen, durch Strafe, denn wenn man nur auf Therapie setzt, was meinste wie viele mit bravem, artigen Gesicht bei der Therapie mitmachen, die sich als etwas für Warmduscher ansehen, nur um raffinierterweise ihrer Strafe z entgehen. Ist doch super, 10 Jahre Knast oder 2 Jahre Psychogequatsche, die Wahl ist schnell getroffen.
Deshalb braucht es aus meiner Sicht ein Signal, a) hier ist eine Grenze und b) Du bist nicht Gott, egal, was Du meinst, egal wie gerissen Du Dich fühlst, auch Du sitzt hier im Knast. Und dann meine ich, wie die meisten hier glücklicherweise auch, dass man sehr viel mehr auf Therapie und eine faire Chance setzen sollte, ich würde aber Therapie nicht an die Stelle von Strafe setzen, wenn sich jemand als schuldfähig erweist.
(Eine der beeindruckendsten Dokus die ich mal gesehen habe, handelte von einem netten Junge so um die 17, der wegen schwerster Sexualdelikte saß. Er nahm an einem Therapieprogramm teil und war – er sah auch noch freundlich aus – ein netter, bereuender, liebenswerter Junge, der in der Therapie vorbildlich mitmachte, alle Therapeuten um den Finger wickelte, hgervorragdnede Prognosen hatte, den ersten kurzen Freigang am Wochenende dazu nutze, seine kleine Schwester zu vergewaltigen und danach wieder in traurigster Einsicht sagte, wie entsetzt er von sich selbst sei.
Eine antisoziale Persönlichkeit in Reinform, die, da sie vollkommen ohne Gewissen sind, problemlos und geschickt lügen und jedem (wenn sie intelligent sind) genau das erzählen, was er hören will, um maximale Vorteile für sich zu erlangen.)

Teh Asphyx hat geschrieben:Wobei ich jetzt auch nicht dafür bin, dass jeder geschädigte Mensch einfach anderen schaden sollte, klar, aber das ganze würde jetzt ausschweifen und wäre eher Stoff für ein eigenes Thema. Für hier sollte es erstmal reichen, dass ich das Justizsystem nicht als sinnvoll ansehen kann und dafür auch gute Gründe habe.


Ich hab’s ja schon etwas ausfeführt, gehört auch zum Thema, da die Forderung nach der Änderung des Strafrechts eine zentrale und kontroverse Geschichte in der Willensfreiheitsdiskussion spielte.

Teh Asphyx hat geschrieben:So ganz blödsinnig ist das nicht, wenn man dadurch Verhältnisse bestimmen kann. Oder meinst Du bestimmte Berechnungen in der theoretischen Physik hätten keinen Wert, weil sie nicht praktisch durchführbar sind?
Zu dem anderen siehe oben.
[/quote]

Wenn die Berechnungen in der Physik empirisch nichts hergeben, sind sie für die Urne, klar.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Fr 16. Dez 2011, 19:07

Schuldunfähigkeit ist auch so eine Sache, die davon ausgeht, das man "eine Wahl hat". Dabei trifft auch der Schuldunfähige eine Wahl, die aus seiner sicht die beste ist die er treffen kann. Nur weicht er damit so viel weiter von der Norm ab, was sein System für die beste Wahl hält, daß man es in eine andere kategorie steckt...
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 16. Dez 2011, 19:49

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Dass man daran erkennen kann, wie das Gehirn arbeitet, ist richtig, aber es sagt nichts über den freien Willen aus.


Auch nicht, wenn der Freie Wille nach deiner Definition (rational entscheiden) beschädigt oder nicht mehr gegeben ist?


Dann kann man eventuell sehen, welche Teile im Hirn funktionieren müssen um rational zu argumentieren, aber was der freie Wille nun ist, weiß man so noch nicht.
Wir definieren ja, was er sein soll und sind bestrebt das möglichst widerspruchfrei zu tun.

mat-in hat geschrieben:Es wird nur leider nicht all zu einfach, das gesamte System das irgend wo zwischen "Stimmungsmache zwischen Nationen" und Methylgruppen an der DNA einzelner Zellen im Gehirn eines Individuums zu verstehen, wenn man es versucht auf einen Happen zu verstehen.


Vor allem sind hier zwei Kategorien gemischt.
Einmal gehet es um ethnozentrische Identifikation, ein anderes Mal um (eingeschränkte) Funktionsfähigkeit auf Nanoebene.

mat-in hat geschrieben:Daher muß man - was vor allem mit der sehr beschränkten Leistungsfähigkeit unseres hirns zu tun hat - notwendiger Weise reduzieren und vereinfachen. Im Moment verlieren wir uns in der Biologie ziemlich in Details, ja. Aber langsam können wir versuchen das alles zusammen zu setzen. Anders wird es nicht gehen, es sei denn wir wollen weiter versuchen das alles rein mit Philosophie und Glauben zu lösen.


Philosophie hat mit Glauben nichts zu tun, das Werkzeug der Philosophie sind die rationalen Begründungen. Ich finde es ärgerlich dass im Zuge der Diskussion um Willensfreiheit dieser Graben gezogen wurde, der zu nichts außer Vorurteilen führt.
Wir werden das Ich niemals allein durch Neurologie verstehen, weil in der Neurologie gar kein Ich vorkommt, dass die dann keins finden, ist so verwunderlich wie nach 20 Jahren Angeln zu behaupten, Elefanten gäbe es nicht, nie hätte man einen gefangen.
Nein, das Ich ist sein soziopsychologisches Konstrukt, aber eines, was man empirisch durchaus festnageln kann. In der Soziologie gibt es keine Aktionspotentiale und ind er Neurologie eben kein Ich, warum die Neurologie dann aber meint alles beantworten zu können, ist wenig nachvollziehbar.
Hat ja dann auch nicht geklappt.

mat-in hat geschrieben:Der mann hat vehement und mit nachdruck, auch gegen mehrere "wir reden aneinander vorbei" Schlichtungsversuche hinweg darauf bestanden das seine Patienten mehr sind als was ich oben geschrieben habe... ich kann den Namen mal raussuchen.


Mach mal, würde mich interessieren. Wie gesagt ein paar Freaks laufen immer rum.

mat-in hat geschrieben:Es ging mir nicht um einzelne Formen der Therapie und wie sehr die auf der (künstlichen) Trennung von Emotion und Ratio fußen. Es ging mir darum, das man im Gehirn des Individuums eine Veränderung herbeiführen muß, wenn es sein Verhalten ändern soll.


Klar, und im Bewusstsein, das eine bedingt das andere.

mat-in hat geschrieben: Man hat das mal ohne all zu viel Wissen was man noch kaputt macht mit der groben Kelle ...äh... Eispickel getan, dann hat man nur geredet, im Moment scheinen Reden und Pillen (als weniger grobe Kelle) in zu sein, das schwankt zyklisch und ändert sich mit unserem Wissensstand.


Ja, Pillen und Reden bei Zwängen und Depressionen, ansonsten gibt es viele andere Ansätze und Konzepte. Und Reden ist ja auch nicht gleich Reden.

mat-in hat geschrieben:Worauf ich hinaus wollte sind zwei Dinge: Unser Wille (in Sinne von entscheidungsfindung, etc.) ist ein gradueller Prozess, mal mehr mal weniger da, je nach dem wie die Beteiligten systeme arbeiten. Um etwas am Verhalten zu ändern - so daß Verhalten änderungswürdig ist - müssen wir was an den grundvoraussetzungen für das Verhalten ändern. Ganz grob verallgemeinert: Jemand der den Impuls zum Händewaschen nicht unterdrücken kann und sich 60x am Tag die Hände seift und jemand der den Impuls nicht unterdrücken kann im Kaufhaus was einzustecken, sollten nicht unterschiedlich behandelt werden. Gut, letzteren vielleicht verwahren, bis man ihn "geheilt" hat, weil er sonst an anderen personen statt nur an sich schaden anrichtet.


Also sollten sie doch anders behandelt werden. Aber Du meinst therapeutisch, okay.

mat-in hat geschrieben:Aber im Prinzip bedürfen beide einer Therapie und nicht einer Therapiert und eine Weggesperrt und dann wieder frei gelassen, ohne das man versucht was zu ändern. Das ist nämlich die falsche Auffassung von Freiem Willen, wenn man denkt er würde das "einsehen während seiner Haftstrafe" und dann selbst seine Impulskontrolle ohne weiteren Input ändern können.


Da bin ich ganz und gar Deiner Meinung.

mat-in hat geschrieben:Aber es ist ein schlöne Beispiel dafür, daß wir schnell hier und da und hinter jeder Ecke Intention, Absicht, Wille sehen. die Scheißkarre macht das mit Absicht, weil man es heute besonders eilig hat (und nicht: ich hab ihn abgewürgt weil ich in meiner Eile nicht so gut den Wagen anwerfe und hektisch bin). Auch wenn den standpunkt niemand rational argumentativ vertreten wird, sind es doch genau diese Vorgänge um die es mir im zweiten Teil der Argumentation ging.


Ja, so redet man im Affekt, aber nicht im Ernst, also bei einer Uniprüfung, vor Gericht oder bei einer psychiatrischen Befragung.

mat-in hat geschrieben: Wenn also zur Entscheidungsfindung, Durchführung und Bewertung noch die Fähigkeit dazu kommt uns zu kommunizieren, wie das abgelaufen ist, hat es bewußtsein?


Wir haben es dann relativ leicht das zu beurteilen.

mat-in hat geschrieben: Ich denke nicht das an einer Katze etwas grundlegend anders ist als an einem Menschen.


Ich würde mit einer Katze keine Diskussion über Willensfreiheit führen.

mat-in hat geschrieben: Was den Mensch da (ein wenig) unterscheidet ist wohl, das man in die Vergangenheit zurück gehen kann, weit in die Zukunft (versuchen) kann zu planen, sich viel länger den kopf zerbricht als ein Schimpanse. Aber viel Abstand ist da nicht.


Naja, von den Bäumen zu kacken, Blätter zu mampfen und dann und wann seine Artgenossen totzuschlagen hier und PCs bauen, Spitzenküche und Demokratie dort (oder meinetwegen Tötungen mit ferngesteuerten Drohnen) … in die Lücke passt ganz schön was rein.

mat-in hat geschrieben: Mir kommt das immer mehr so vor als wäre Bewußtsein ein modewort, das immer dann neu in inrgend eine Ritze im Teppich des Wissens gepreßt wird, wenn jemand sagt das der Mensch nichts besonderes, einmailiges, weit über allem stehenden ist. So ähnlich wie mit Kultur. Kultur sind lokal weitergegebene Techniken, Verhaltenweisen, usw. dann findet man Plötzlich über 40 erlernte, lokal unterschiedliche Verhaltensweisen bei Schimpansen, die sei auch in anderen gebieten in denen es nicht nötig wäre beibehalten (Nestbau im Baum oder auf dem Boden) und schon zieht sich irgend ein Geisteswissenschaftlerlein was neues aus der Nase und definiert Kultur um, damit Schimpansen ja keine haben und dem Mensch sein alleinstellungsmerkmal erhalten bleibt... reichlich lächerlich, aber so sind wir nun mal.


Ich finde es gerade umgekehrt. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist sicher fließend, aber insgesamt gesehen eklatant. Und das bisschen Kultur, das macht schon was aus, denn eigentlich ist das Brights-Forum aus keinen anderen Grund gegründet, als einem kulturellen Streit zwischen ihnen und Menschen, die ihnen biologisch zum verwechseln ähnlich sind, nur eben an Gott glauben.
Aber eine kleine Gruppe von Menschen, macht aus dieser biologisch lächerlichen Geschichte ein sehr sehr großes Fass, nicht wahr?

mat-in hat geschrieben: Das verstehe ich nicht. Ich meinte nicht "naturgesetze" sondern "meine natur" im Sinne von "was mir Spaß macht". Wenn ich gerne ausgibig in der Nase bohre, das aber beim Weihnachtsdinner mit der Abteilung nicht mache, bin ich nicht frei. Vielleicht frei mich anders zu entscheiden, aber nicht wenn ich die konsequenzen, vorteile, nachteil, usw. abwäge. Ich kontrolliere den Impuls und bin damit unfrei. Da ist aber nichts außerhalb der Naturgesetze, so tief komme ich mit der Hand nun auch nicht in die Nase :mg:


Doch Du bist frei. Du beugst Dich gewissen sozialen Normen, aber niemand hindert Dich in bei der Weihnachtfeier hingebungsvoll in der Nase zu bohren, laut zu rülpsen und zum Dessert die Frau von Chef zu schwängern. Du hast halt nur hochgerechnet, Kosten und Nutzen verglichen und Dich dann freiwillig den Normen der Gemeinschaft angepasst, aber Du würdest sagen: „Okay, der kurze Spaß mag nett sein, einmal so richtig die Sau rauszulassen, aber unterm Strich, währen die Kosten unangemesssen.“ Vielleicht bist Du ein Softie, oder einfach nur vernünftig?

mat-in hat geschrieben: Würde auch ziemlich überraschen, wenn er sagt "um die eine Freude zu machen, du freust dich immer wenn ich es sage" :^^:


Na, der Vogel würde mir in der Tat eine Freude machen.
Ich warte schon darauf, dass mein PC mich eines Abends anquatscht und mit mir diskutiert, dass er noch 5 Minuten am Saft bleiben will. :)

mat-in hat geschrieben: Mal abgesehen davon das viele Leute die mir so im Alltag begegnen nicht ganz den Eindruck machen... aber jetzt nicht gemein werden... kann ich da durchaus zustimmen, nichts davon widerspricht was ich gesagt habe. Jeder ist davon überzeugt, das was er tut die richtige Entscheidung in der Situation ist, sonst würde er anders handeln.


Jepp.

mat-in hat geschrieben: Richtig jetzt nicht im Sinne von "moralisch richtig", manchmal muß man ziemlich böse Dinge tun, und es ist doch die "richtige" Entscheidung. Ob wir das was die anderen tun dann für gut oder böse halten hängt wieder mit unserer Reflektion dessen und wie sehr es unserem Eigenen entscheidungsystem entgegenläuft zusammen.


Ja.


mat-in hat geschrieben: Da widerspreche ich ja gar nicht?


Das „?“ is’n Ausrutscher nehme ich an?
Wenn Du dem nicht widersprichst, widersprichst Du dem Kompatibilsmus nicht und kannst in Frieden, wollen was Du willst, egal wie determiniert das Universum sein mag.
Das ist eine Geschichte bei der der Groschen wirklich centweise fällt, aber irgendwann hat man es dann (ich musste noch emotionale Hürden und Vorurteile überwinden).
Und wenn man sieht, dass der Determinismus den freien Willen nicht anficht und es wirklich kapiert hat, lösen sich Postulate à la Singer, Roth und Schmidt-Salomon sehr schnell in Luft auf.
Das heißt nicht, dass wir die Neurologie nicht brauchen, die Erkenntnisse von denen sind mitunter toll, aber philosophisch ist das eben nicht haltbar.

mat-in hat geschrieben: Ich sage nur, daß es nichts außerhalb der Faktoren die in unserer physikalischen Welt dazu geführt haben einen Einfluß darauf hatte. Es kommt nichts von außerhalb dazu im Sinne von... hab ich schon ein par mal gesagt. Und ob wir jetzt erst eine Entscheidung treffen und sie dann rechtfertigen oder sie erst lange rechtfertigen und dann eine Entscheidung treffen ist dafür letzten Endes egal (wenn auch interessant ;). Was wir tun wird aber von diesen Faktoren bestimmt und es gibt keine darüber reichende oder außerhalb stehende "Freiheit".


Streich das „außerhalb“. Keine Sau vertritt das, das ist wirklich ein Strohmann gewesen.
Dann fühlt man sich gleich zur Komplizenschaft gegen die doofen Philosophen verpflichtet, (was ich dann sogar noch nachvollziehen könnte), aber in Wahrheit hat es diese Dualisten nie gegeben, zumindest nicht in der Diskussion.

mat-in hat geschrieben: Zwischen deinem Bewußtsein und deiner richtigen reaktion in der Situation? Da sehe ich keinen Graben. Du wirst so handeln, wie es für dich die beste Entscheidung erscheint.


Klar, aber damit muss ich kapieren, was das Beste für mich ist und das ist nicht nichts.

mat-in hat geschrieben: Was spricht gegen viele kleine optimierungsschritte (und meinetwegen ein par sprünge)?


Gar nichts. Es erklärt nur nichts.

mat-in hat geschrieben: Es geht in der wissenschaft doch nur um "wie".


Ja, und das schließt andere Fragen, zum Teil a priori aus.
Ist an sich nicht schlimm, wenn man sich dessen bewusst ist.

mat-in hat geschrieben: Das erklärt es sehr gut, was es nicht liefert ist: Ein Grund. Ein "Warum". Das will die Wissenschaft aber auch gar nicht liefern (es sei denn man bedrängt sie oder trifft vertreter die sich gerne weit aus dem Fenster lehnen und ihre Eigenen Ideen des "Warum" mit Wissenschaft verbinden) und auch der Naturalist kann meist ganz gut ohne. für das Warum sind aber dann die Philosophen wirklich die Richtige Ecke.


Ja, und wenn man das so nüchtern sieht, Eitelkeiten und Kernverwirrte auf beiden Seiten subtrahiert, sind beide Lager eigentlich gar nicht so dämlich, zumindest fußen beide auf der Einsicht, dass man rationale Gründe haben sollte (bei der Naturwissenschaft geht das über den Umweg des Experiments, ist aber im Kern dasselbe). Das unterscheidet sie von den Religionen, auch wenn ich die Religionen und mehr noch die Spiritualität auch nicht als Totalausfall deute, aber das ist wirklich eine andere Baustelle.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Fr 16. Dez 2011, 23:06

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Es wird nur leider nicht all zu einfach, das gesamte System das irgend wo zwischen "Stimmungsmache zwischen Nationen" und Methylgruppen an der DNA einzelner Zellen im Gehirn eines Individuums zu verstehen, wenn man es versucht auf einen Happen zu verstehen.

Vor allem sind hier zwei Kategorien gemischt.
Einmal gehet es um ethnozentrische Identifikation, ein anderes Mal um (eingeschränkte) Funktionsfähigkeit auf Nanoebene.

Aha. Kein Reduktionismus, denn es sind ja zwei Kategorien. Aber wenn ich den Geruchssinn bei der Partnerwahl und die optische Wahrnehmung getrennt untersuche, weil es zwei unterschiedliche Kategorien der Entscheidungsfindung bei der Partnerwahl sind, ist das einer? hmhmhm... scheint mir alles sehr willkürlich?

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Anders wird es nicht gehen, es sei denn wir wollen weiter versuchen das alles rein mit Philosophie und Glauben zu lösen.

Philosophie hat mit Glauben nichts zu tun, das Werkzeug der Philosophie sind die rationalen Begründungen.


Vollbreit hat geschrieben:Wir werden das Ich niemals allein durch Neurologie verstehen, weil in der Neurologie gar kein Ich vorkommt, dass die dann keins finden, ist so verwunderlich wie nach 20 Jahren Angeln zu behaupten, Elefanten gäbe es nicht, nie hätte man einen gefangen.
Nein, das Ich ist sein soziopsychologisches Konstrukt, aber eines, was man empirisch durchaus festnageln kann. In der Soziologie gibt es keine Aktionspotentiale und ind er Neurologie eben kein Ich, warum die Neurologie dann aber meint alles beantworten zu können, ist wenig nachvollziehbar.

Oder aber (und das ist für mich die elegantere Erklärung): Das "ich" ist ein aus der individuellen Warhnehmung und naiven Beschreibungen entstandenes Kunst Produkt aus einer Vielzahl von Systemen (und deren aktionspotentialen). Nur weil ich keine einzelne Nervenzelle für Elefanten finde bedeutet das nicht, das Elefanten, das Bild das ich davon habe, der Geruch den ich damit assoziiere, usw. nicht irgend wo in meinem Gehirn präsent ist.

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Der mann hat vehement und mit nachdruck, auch gegen mehrere "wir reden aneinander vorbei" Schlichtungsversuche hinweg darauf bestanden das seine Patienten mehr sind als was ich oben geschrieben habe... ich kann den Namen mal raussuchen.

Mach mal, würde mich interessieren. Wie gesagt ein paar Freaks laufen immer rum.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Thomas Fuchs (Uni HD) in dieser Diskussion: http://lhg-bw.de/heidelberg/?p=535

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Gut, letzteren vielleicht verwahren, bis man ihn "geheilt" hat, weil er sonst an anderen personen statt nur an sich schaden anrichtet.

Also sollten sie doch anders behandelt werden. Aber Du meinst therapeutisch, okay.
Ja, entschuldige die unsaubere Wortwahl, ich meinte mit behandeln die Therapie, bzw. daß man auch "normalen" Straftätern eine passende Tehrapie angedeihenlassen sollte. Die Diskussion hatten wir hier schon mal... wo war noch mal das Thema...

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Ich denke nicht das an einer Katze etwas grundlegend anders ist als an einem Menschen.

Ich würde mit einer Katze keine Diskussion über Willensfreiheit führen.

Mal als hypothetische Frage (ist ja nicht ganz so einfach mit Katzen zu diskutieren): Warum? Weil ihre Entscheidungsfindungen und Abwägungen eingeschränkter sind als deine und sie nicht für "freien Willen" qualifiziert?

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben: Was den Mensch da (ein wenig) unterscheidet ist wohl, das man in die Vergangenheit zurück gehen kann, weit in die Zukunft (versuchen) kann zu planen, sich viel länger den kopf zerbricht als ein Schimpanse. Aber viel Abstand ist da nicht.

Naja, von den Bäumen zu kacken, Blätter zu mampfen und dann und wann seine Artgenossen totzuschlagen hier und PCs bauen, Spitzenküche und Demokratie dort (oder meinetwegen Tötungen mit ferngesteuerten Drohnen) … in die Lücke passt ganz schön was rein.
Technologisch mit Sicherheit. Unsere Stöcke haben jetzt interkontinentale Reichweite. Verhaltenstechnisch? Kaum. Trotzdem prügeln wir uns nachdem wir uns an gegorenen Früchten berauscht haben oder versuchen Artgenossen das Weibchen auszuspannnen. Und von "an Bäume kackenden Artgenossen" kann dir so einige Geschichten erzählen, etwa 2-3 pro erlebtem Musikfestival...

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Wenn ich gerne ausgibig in der Nase bohre, das aber beim Weihnachtsdinner mit der Abteilung nicht mache, bin ich nicht frei. Vielleicht frei mich anders zu entscheiden, aber nicht wenn ich die konsequenzen, vorteile, nachteil, usw. abwäge. Ich kontrolliere den Impuls und bin damit unfrei.

Doch Du bist frei. Du beugst Dich gewissen sozialen Normen, aber niemand hindert Dich in bei der Weihnachtfeier hingebungsvoll in der Nase zu bohren, laut zu rülpsen und zum Dessert die Frau von Chef zu schwängern. Du hast halt nur hochgerechnet, Kosten und Nutzen verglichen und Dich dann freiwillig den Normen der Gemeinschaft angepasst, ...
Aber was unterscheidet mich dann in meiner Freiheit von der Unfreiheit des Hundes der keinen Eigenen willen hat, aber nicht auf den teppich macht, weil er gelernt hat wo anders hin zu machen und der sich nicht Frauchens Bein zur Feier des Tages ran nimmt, weil er weiß, das er dafür bestraft wird?

Vollbreit hat geschrieben:Ich warte schon darauf, dass mein PC mich eines Abends anquatscht und mit mir diskutiert, dass er noch 5 Minuten am Saft bleiben will.
Ich denke an dem Tag wird es Zeit den Stecker zu ziehen und nie wieder in die Steckdose zurück zu tun... Sprechen? gerne. Diskutieren und dann doch uneinsichtig sein und nicht aus gehen? Hmhmhmh... hast du "Dark Star" gesehen?

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben: Es geht in der wissenschaft doch nur um "wie".

Ja, und das schließt andere Fragen, zum Teil a priori aus.
Ist an sich nicht schlimm, wenn man sich dessen bewusst ist.

Darf ich ganz ehrlich sein? Eine gute handvoll dieser anderen Fragen halte ich - für mich persönlich - für so überflüssig wie ein Kropf und reine Zeitverschwendung, bestenfalls akademische Trockenschwimmübungen darüber nach zu denken. Auch wenn andere Leute damit ihr Leben verbringen.

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben: Da widerspreche ich ja gar nicht?

Das „?“ is’n Ausrutscher nehme ich an?
Wenn Du dem nicht widersprichst, widersprichst Du dem Kompatibilsmus nicht und kannst in Frieden, wollen was Du willst, egal wie determiniert das Universum sein mag.
Das ist eine Geschichte bei der der Groschen wirklich centweise fällt, aber irgendwann hat man es dann (ich musste noch emotionale Hürden und Vorurteile überwinden).
Und wenn man sieht, dass der Determinismus den freien Willen nicht anficht und es wirklich kapiert hat, lösen sich Postulate à la Singer, Roth und Schmidt-Salomon sehr schnell in Luft auf.

Das ? stand für ein zustimmen unter Vorbehalt:

Ich sehe immer noch nicht, wo der Mensch besonders ist, das er als einziger einen "Freien Willen" hat.

Zusätzlich ist jetzt hinzu gekommen das ich nicht weiß, wo das Problem mit der oben ausgebreiteten Definition von Freiem Willen, Handlungs und Entscheidungsfreiheit auf der einen und Determinismus in einem Physikalisch/Biologisch/Psychologischen Sinne auf der anderen Seite (de sich nicht im Weg stehen) nicht Aussagen von Singer oder Schmidt-Salomon (ich nehme an du meinst die Idee, der Mensch sei egoistisch und um ihn glücklich zu machen muß man das ausnutzen und in produktive Bahnen lenken anstatt es zu bekämpfen?) folgen können. Es geht dabei ja nicht darum, das von unserer Geburt bis zu unserem Tod alles determiniert und betoniert und durch unsere tiefsten Triebe bestimmt wird. Keiner der oben zitierten Herren wird das von uns hier ausgewaltze voll ablehen, im Gegenteil, es ist vollkommen Kompatibel. Und wenn die Leute Angst davor haben ihren "Freien willen zu verlieren", nur weil jemand sagt das sie nicht so frei in ihrer entscheidungsfindung sind, wie sie immer dachten, aber ohne das sich tatsächlich etwas ändert in ihrer Entscheidungsfindung durch diese Feststellung, dann ist das irgend wo schon albern.
Um das nicht mit dem größten Schachtelsatz meiner Forumsgeschichte hier zu beenden: Wo ist das Problem? Wir müssen eben ein par Dinge ändern, um auf unser aktualisiertes Menschenbild einzugehen. Das ist doch was sozial"wissenschaft" und ähnliche Wissenschaften von Religion unterscheiden soll? Warum pocht man trotzdem weiter auf unserem überholten Justizsystem? auf Sinnlosen unterscheidungen die keine sind?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 17. Dez 2011, 10:38

mat-in hat geschrieben:Aha. Kein Reduktionismus, denn es sind ja zwei Kategorien. Aber wenn ich den Geruchssinn bei der Partnerwahl und die optische Wahrnehmung getrennt untersuche, weil es zwei unterschiedliche Kategorien der Entscheidungsfindung bei der Partnerwahl sind, ist das einer? hmhmhm... scheint mir alles sehr willkürlich?


Geruchssin und optische Wahrnehmung sind ja beides Sinneswahrnehmungen, das wäre kein kategorialer Fehler. Aber Politik und Biologie passen wirklich nicht so gut zusammen. Dass sich irgendwie die ganze Welt „im Kopf“ abspielt, mag ja sein, aber Esoterikern würde man vors Schiebein treten, wenn sie sagen, dass irgendwie alles eins ist.

mat-in hat geschrieben:Oder aber (und das ist für mich die elegantere Erklärung): Das "ich" ist ein aus der individuellen Warhnehmung und naiven Beschreibungen entstandenes Kunst Produkt aus einer Vielzahl von Systemen (und deren aktionspotentialen).


Kann man so sagen, aber was dann?
Das Ich mag auch in aller letzter Konsequenz physikalisch sein, da wir aus der Nummer, dass irgendwie alles Physik ist schwer rauskommen.
Die Frage ist nur die: Inwieweit ist die Sprache der Physik eigentlich in der Lage mit einem Begriff wie „Ich“ oder auch „Familienglück“, „Weltkrieg“, „Ruhmeshalle“, „Sommerabend“ oder „Kirmesplatz“ umzugehen? Da ist kein Instrumentarium dafür da, Dennett beömmelt sich über Penrose und seine quantenphysikalischen Bemühungen zum Gehirn, genau mit dem Argument, er sagt, (quaten)physikalisch kann man ein Gehirn nicht von einem Topf Hefe unterscheiden, die wesentlichen Differenzen seine biologischer Natur und damit meint er, nur in den Begriffen der Biologie fassbar. Die Physik verstummt hier.
Warum Dennett dann seinerseits so viel auf die Biologie setzt, für die, eine Ebene höher im Grunde das gleiche gilt, habe ich nicht ganz kapiert, aber so wie die Physik keine Triebe, Reflexe, Rudelbildung und sonst was kennt, kennt die Biologie in dem Sinne kein Ich, da ein Ich ein Zuschreibung von Menschen ist, der bestimmte soziale Eigenschaften-, Verhaltens-, Denk- und Sprechweisen entsprechen, die nicht notwendig biologisch darstellbar sein müssen.
Dass da Ich ganz sicher auch einen biologischen Anteil hat, sei unbestritten, dass der Begriff ausschließlich oder auch nur dominant in Begriffen der Neurobiologie abzuhandeln sein, ist wirklich nicht einleuchtend.

mat-in hat geschrieben:Prof. Dr. med. Dr. phil. Thomas Fuchs (Uni HD) in dieser Diskussion: http://lhg-bw.de/heidelberg/?p=535


Danke für den link, ich habe ihn bisher nur kurz reingehört, werde mir das aber mit Sicherheit anhören. Thomas Fuchs ist aber nun gewiss kein durchgeknallter Freak, sondern jemand der die Diskussion vorangebracht hat, indem er die Hirnfixiertheit der Neurologie sehr infrage gestellt hat, der ganze Körper ist beteiligt, gerade wenn man in Systemen denkt, ist das sinnvoll.
Und wenn er von zwei Wegen redet, durch die man die Psyche beeinflussen kann, von unten, durch Medikamente einerseits und durch Gespräche (Therapie) andererseits, die man sehr schlecht, um nicht zu sagen gar nicht biologisch darstellen kann, dann hat er ja vollkommen Recht.
Du hast das Beispiel ja selbst gebracht. Man hat zwar eine grobe Ahnung, wie bspw. ein Neuroleptikum auf die Psyche einwirkt, man kann auch nachweisen, dass Therapie das Gehirn verändert, aber welche biologischen Wege da beschritten werden und wie und warum, der eine Satz ungehört verhallt und der andere zündet, das weiß doch kein Mensch.
Es gibt zwar haufenweise gute Theorien auch der Psychologie, durchaus verbunden mit neurobiologischen Grundlagen, aber eine Neurose nur neurobiologisch zu beschreiben, ist schwer möglich.


mat-in hat geschrieben:Ja, entschuldige die unsaubere Wortwahl, ich meinte mit behandeln die Therapie, bzw. daß man auch "normalen" Straftätern eine passende Tehrapie angedeihenlassen sollte. Die Diskussion hatten wir hier schon mal... wo war noch mal das Thema...


Wie gesagt, ich bin dafür.

mat-in hat geschrieben:Mal als hypothetische Frage (ist ja nicht ganz so einfach mit Katzen zu diskutieren): Warum? Weil ihre Entscheidungsfindungen und Abwägungen eingeschränkter sind als deine und sie nicht für "freien Willen" qualifiziert?


Weil ich mich nicht mit ihr unterhalten kann und bisher nichts dafür spricht, dass es eine Katzensprache gibt, die auch eine philosophische Diskussion ermöglichen würde.
Nimm wieder den Beo. Der kann Sprechen, also Laute imitieren, aber niemand würde sich auf eine echte Unterhaltung mit ihm einlassen. Die Biester sind wirklich schlau, aber sehr intelligent im Tierreich heißt immer noch ziemlich dumm als Mensch.
(Das heißt nicht, dass man schlecht mit Tieren umgehen sollte und es heißt auch nicht, dass bestimmte Tiere uns nicht in vielem überlegen sein können.)

mat-in hat geschrieben:Technologisch mit Sicherheit. Unsere Stöcke haben jetzt interkontinentale Reichweite. Verhaltenstechnisch? Kaum. Trotzdem prügeln wir uns nachdem wir uns an gegorenen Früchten berauscht haben oder versuchen Artgenossen das Weibchen auszuspannnen. Und von "an Bäume kackenden Artgenossen" kann dir so einige Geschichten erzählen, etwa 2-3 pro erlebtem Musikfestival...


Schon klar, aber man muss sich klar machen, dass der freie Wille nicht zwingend bedeutet ein besseres Wesen zu sein. Es sind die intelligenten und einigermaßen freien Tiere, die zu unserer Bestürzung auf einmal beginnen, aus purer Lust und Langeweile andere zu prügeln oder zu morden, das ist ja bereits ein Zeichen, dass sie nicht mehr ganz und gar in die Natur (im Sinne fest kodierter und starrer biologischer Verhaltensmuster) eingebunden sind. Die meisten Tiere können nicht töten, jedenfalls nichts ihre Artgenossen, die höher entwickelten können es dann.
Freiheit heißt eben auch die Freiheit zu töten, ein Egozentriker zu sein, ein Sadist zu sein.
Aber auch ein Menschenrechtler, Heiliger, politischer Visionär oder Krebsforscher zu sein.
Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

mat-in hat geschrieben:Aber was unterscheidet mich dann in meiner Freiheit von der Unfreiheit des Hundes der keinen Eigenen willen hat, aber nicht auf den teppich macht, weil er gelernt hat wo anders hin zu machen und der sich nicht Frauchens Bein zur Feier des Tages ran nimmt, weil er weiß, das er dafür bestraft wird?


Der Unterschied ist der, dass Hasso und Waldi konditioniert sind und nur konditioniert sind.
Wenn Hasso nicht auf die Straße rennt, sondern brav Sitz macht, dann ist das prima, aber sein Motiv dabei ist, Vermeidung von Unlust und Steigerung von Lust. Der weiß nicht, dass Autos gefährlich sind.
Wenn man Kindern eintrichtert, gefälligst nicht auf die Straße zu rennen, weil Autos gefährlich sind, dann konditioniert man auch sie, hoffentlich mit genügend Nachdruck, dass sie das auch kapieren, denn von Kevin gegen Brummi gibt es kein Rematch.
Aber im Laufe der Zeit begreift das Kind, dass Autos gefährlich sind, der Ball nicht so wichtig ist, wie das eigene Leben und versteht die Gründe, die es zuerst nicht verstand und das ist bei Dir nicht anders.
Unser Leben ist eine bunte Mischung, die Pupille reagiert noch immer reflexhaft, vieles ist automatisiert, Autofahren zum Beispiel, bei manchem reagieren wir wie konditionierte Hunde, aber bei einigem können wir auch erkennen und erklären, was wir tun und warum. Man muss sich die Zähne nicht gerne putzen, aber den Zahnarztbohrer muss man auch nicht lieben und so entscheiden sich die meisten dann doch mit dem Gedanken an die Folgen, für die Zahnbürste.
Dazu muss man aber die Möglichkeiten abschätzen können, Gedanken in die Zukunft projizieren und dazu braucht man eine Sprache, die das ermöglicht, über Konditionale verfügt und der ganze Kram hängt sehr eng zusammen. Das Hirn eines Genies unterrichtet von Wölfen, ergibt einen intelligenten Wolf, aber nicht viel mehr, da sieht man wie begrenz die reine Biologie ist.
Andersrum, wird man einen Beo eben durch noch so viel Unterricht nicht zum Diplombiologen oder Philosophen machen.

mat-in hat geschrieben:Ich denke an dem Tag wird es Zeit den Stecker zu ziehen und nie wieder in die Steckdose zurück zu tun... Sprechen? gerne. Diskutieren und dann doch uneinsichtig sein und nicht aus gehen? Hmhmhmh... hast du "Dark Star" gesehen?


Nee.

mat-in hat geschrieben:Darf ich ganz ehrlich sein? Eine gute handvoll dieser anderen Fragen halte ich - für mich persönlich - für so überflüssig wie ein Kropf und reine Zeitverschwendung, bestenfalls akademische Trockenschwimmübungen darüber nach zu denken. Auch wenn andere Leute damit ihr Leben verbringen.


Das ist ja in Ordnung und nebenbei auch ein Zeichen unserer Freiheit.
Es muss sich niemand mit Philosophie beschäftigen, das ist irgendeine komische Neigung, bei der auch nicht immer ganz sicher ist, wie sinnvoll die ist, bspw. wenn man keinen Nagel mehr in die Wand bekommt. Unterm Strich schließe ich mich aber der Meinung an, dass ein reflektiertes Leben reicher ist, weil man dann nicht gezwungen ist, immer der neuesten Trends zu folgen und so nach und nach seine eigenen Bedürfnisse kennenlernt und von den wirklich nur antrainierten lassen kann.

mat-in hat geschrieben:Das ? stand für ein zustimmen unter Vorbehalt:


Okay.

mat-in hat geschrieben:Ich sehe immer noch nicht, wo der Mensch besonders ist, das er als einziger einen "Freien Willen" hat.


Er kann kapieren, nach welchen Regeln er funktioniert, die naturgegebenen kann er kaum ändern, auf Umwegen über technische Hilfsmittel ein wenig, die sozialen Regelwerke, die uns überragend prägen, die kann man aber mindestens hinterfragen.
Man ist vielleicht christlich erzogen, fragt sich irgendwann, warum man eigentlich etwas glauben sollte, was sich in vielem nicht mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften deckt und zieht eventuell seine Schlüsse daraus. Wenn man dann das schwarze Schaf der Familie ist, kommt man vielleicht in Zwickmühlen und kann das Thema natürlich auch beliebig platt oder differenziert angehen.

mat-in hat geschrieben:Zusätzlich ist jetzt hinzu gekommen das ich nicht weiß, wo das Problem mit der oben ausgebreiteten Definition von Freiem Willen, Handlungs und Entscheidungsfreiheit auf der einen und Determinismus in einem Physikalisch/Biologisch/Psychologischen Sinne auf der anderen Seite (de sich nicht im Weg stehen) nicht Aussagen von Singer oder Schmidt-Salomon (ich nehme an du meinst die Idee, der Mensch sei egoistisch und um ihn glücklich zu machen muß man das ausnutzen und in produktive Bahnen lenken anstatt es zu bekämpfen?) folgen können.


Ich meinte die Idee der beiden, dass der Mensch, da biologisch determiniert nicht frei sein könne.
Die Kompatibilisten sagen, der Mensch kann determiniert und dennoch frei sein (wenn Freiheit bedeutet, gemäß guten Gründen und eigener Überzeugung zu handeln).

mat-in hat geschrieben:Es geht dabei ja nicht darum, das von unserer Geburt bis zu unserem Tod alles determiniert und betoniert und durch unsere tiefsten Triebe bestimmt wird. Keiner der oben zitierten Herren wird das von uns hier ausgewaltze voll ablehen, im Gegenteil, es ist vollkommen Kompatibel. Und wenn die Leute Angst davor haben ihren "Freien willen zu verlieren", nur weil jemand sagt das sie nicht so frei in ihrer entscheidungsfindung sind, wie sie immer dachten, aber ohne das sich tatsächlich etwas ändert in ihrer Entscheidungsfindung durch diese Feststellung, dann ist das irgend wo schon albern.


Das letzte Argument von Dir ist sehr gut, ich verwende es auch immer gerne, nur genau anders herum. Aber Du hast vollkommen Recht. Neutral formuliert darf und muss man die Frage stellen, was sich denn nun eigentlich für Dich und mich ändert, wenn es so sein sollte, wie die Hirnforscher (damals) sagten, dass es nämlich a) kein Ich gibt und b) auf jeden Fall keinen freien Willen?

Was heißt das konkret für Dich im Bezug auf Deine Partnerschaft, Dein Lieblingsessen, Deinen Beruf, Deine Hobbies, Dein Interesse am Brights-Forum., Dein Vorlieben beim Essen und Trinken?
Was folgt praktisch aus diesem theoretischen Erdrutsch?
Wenn man ehrlich ist, gar nicht so viel, um nicht zu sagen, wenig, eigentlich sogar lächerlich wenig.
Man bekommt erklärt, eigentlich gäbe es einen gar nicht, dass man frei entscheidet, kann man eh vergessen, dann schüttelt man sich kurz und sagt: „Schatz, wo wollen wir nächstes Jahr in den Urlaub hinfahren?“, geht seiner Arbeit, seinen Hobbies nach und nichts ändert sich. Das macht die Diskussion so virtuell und steril.
Eine Kündigung, die Scheidung, eine Krankheitsdiagnose, ein Lottogewinn, das alles kann das Leben fundamental ändern, aber wenn wirklich fast alles was wir so dachten falsch sein soll und sich nichts ändert?

mat-in hat geschrieben:Um das nicht mit dem größten Schachtelsatz meiner Forumsgeschichte hier zu beenden: Wo ist das Problem? Wir müssen eben ein par Dinge ändern, um auf unser aktualisiertes Menschenbild einzugehen.


Genau das ist es: Welche denn eigentlich?

mat-in hat geschrieben:Das ist doch was sozial"wissenschaft" und ähnliche Wissenschaften von Religion unterscheiden soll? Warum pocht man trotzdem weiter auf unserem überholten Justizsystem? auf Sinnlosen unterscheidungen die keine sind?


Ich weiß gar nicht, warum sich alle so an dem Justizsystem abarbeiten.
Dass man mehr therapieren sollte, ist doch von der Frage nach dem freien Willen unabhängig.
Mehr noch, in die Zwickmühle kommt man überhaupt erst, wenn man wirklich meint, der Mensch sei unabänderlich determiniert, dann kann man Therapie nämlich knicken, da jeder gemäß seiner Verschaltungen funktioniert und gar nicht anders können kann. Strafe setzt auf Einsicht (wenn auch in einem sehr überschaubaren Maße, das oft das genaue Gegenteil bringt, viele werden erst im Knast richtig kriminell), Therapie natürlich noch mehr.
Der Rest der bleibt, wäre, wenn es stimmt, was die Hirnforscher sagen, mehr oder minder gute Gehirnwäsche, der falsch verdrahtete biologische Apparat wird irgendwie umprogrammiert, das ist ein Menschenbild was mir ausgesprochen unsympathisch ist, da sind mir virtuelle Grundlagen wie die Menschwürde bedeutend lieber, auch wenn Forscher die beim Hirnscan ebenfalls nie finden werden.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 17. Dez 2011, 13:10

Zu dem anderen äußere ich mich später, weil ich gerade nicht so viel Zeit habe, aber hier juckt es mir gerade in den Fingern.

Vollbreit hat geschrieben:Ich weiß gar nicht, warum sich alle so an dem Justizsystem abarbeiten.
Dass man mehr therapieren sollte, ist doch von der Frage nach dem freien Willen unabhängig.


Da ich mal annehme, dass das auch unsere Diskussion darüber betrifft, will ich doch mal kurz was dazu erklären.
Mir geht es beim Justizsystem gar nicht so sehr darum, um welche Konsequenzen es geht, sondern darum, dass die Ursachen überhaupt nicht beachtet werden. Immer nach dem Motto wir machen ein Gesellschaftssystem, das ein paar Menschen zufrieden stellt, andere weniger und wenn die anderen dann irgendwie aufmucken (das schöne dabei ist ja, dass sie nicht mal bewusst aufmucken, die wissen meistens gar nicht, wie ihr Verhalten damit zusammenhängt, weil man ihnen ständig eintrichtert, sie wären selbst für ihr Schicksal verantwortlich und sie sich deswegen als Versager fühlen, was wiederum dazu führt, dass man zum Beispiel irgendwelche Gott-Komplexe aufbaut um das zu kompensieren), dann gibt es eben Konsequenzen, um sie ruhig zu stellen. Es ist mir im Prinzip in der Hinsicht egal, ob Therapie, Wegsperren oder Erschießen als Konsequenz in Betracht gezogen wird, mich stört, dass es überhaupt vermeintlich so was geben muss, anstatt, dass man sich mal Gedanken über die Ursachen macht.
Und daran werde ich mich noch sehr lange abarbeiten. Die Frage ist nur, inwieweit das von jemanden nachzuvollziehen ist, der auf der „bequemeren“ Seite der Gesellschaft aufgewachsen ist und vor allem ist die Frage, inwieweit so jemand überhaupt bereit ist, das nachvollziehen zu wollen. Das versuche ich momentan herauszufinden.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 17. Dez 2011, 15:10

Man macht sich doch Gedanken über die Ursache.
Es gibt doch alle möglichen Varianten der Strafmilderung und Rücksichtnahme.
Ansonsten ist es immer bequem, wenn jemand die eigene Meinung nicht teilt, als bequem darzustellen, oder als dumm oder Mitläufer.

Du hast ja durchaus kluge Gedanken, aber bei dem Thema – aus meiner Sicht – einen Hang zu starker Übertreibung. Vielleicht bin ich aber auch nur zu konservativ.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 17. Dez 2011, 18:17

@ Vollbreit

Nein, mit konservativ hat das nichts zu tun, offensichtlich missverstehen wir uns hier nur. Mir geht es um den Umgang mit der Ursache, nicht darum, wie aufgrund der Ursache mit dem Täter umgegangen wird, sondern wie mit der Ursache selbst umgegangen wird, was da gemacht wird. Und da passiert einfach nicht viel. Es gibt hier kaum ein Bewusstsein dafür, weil man hier viel zu sehr im Schuld-Denken drin ist und immer nur den einzelnen Menschen betrachtet.
Ich spreche hier nicht von Meinungen, sondern von Tatsachen und mit bequem meine ich tatsächlich, dass es Leute gibt, die nie erlebt haben, wie es ist, im tollen freien Westen unter dem Teil der Bevölkerung zu leben, die von dem Wohlstand nicht so viel abbekommt. Und oft sind die das, die sich am meisten anmaßen, da irgendwelche Urteile drüber fällen zu können (ob psychologisch, soziologisch, kriminalistisch oder sonst wie). Und da spreche ich nicht nur von den „bösen Konservativen“, das trifft auch volle Kanne auf die in linken Kreisen sehr beliebte Frankfurter Schule zu.

Aber bevor hier jetzt zwei parallele Diskussion entstehen, werde ich erstmal das andere Zeug noch beantworten. Wollte nur eben klarstellen, worum es mir geht. Ich kann auch (aber das sollte dann wirklich in einem anderen Thread passieren) ein paar Beispiele nennen, um das anschaulicher zu machen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ujmp » Sa 17. Dez 2011, 19:01

Teh Asphyx hat geschrieben:Nein, mit konservativ hat das nichts zu tun, offensichtlich missverstehen wir uns hier nur. Mir geht es um den Umgang mit der Ursache, nicht darum, wie aufgrund der Ursache mit dem Täter umgegangen wird, sondern wie mit der Ursache selbst umgegangen wird, was da gemacht wird. Und da passiert einfach nicht viel.

Man kann leider die Ursachen für das Verhalten eines Menschen nicht so einfach feststellen, die sind halt oft einfach so. Wir hatten das Thema hier schon des öfteren. Genau so wie es Leute gibt die besonders musikalisch oder sportlich sind oder umgedreht, die es eben in besonderem Maße nicht sind, gibt es Menschen die eine besonders Starke Neigung haben, gewalttätig, betrügerisch oder destruktiv zu sein, oder denen es an Mitgefühl in besonderem Maße mangelt. Wenn man eine Ursache ausgemacht hat, ist es sehr oft so, dass sich unzählige Gegenbeispiele finden lassen, wo die selben "Ursachen" nicht zu dem selben Ergebnis geführt haben, weshalb es nicht die Ursachen sein können.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 17. Dez 2011, 19:15

ujmp hat geschrieben:Man kann leider die Ursachen für das Verhalten eines Menschen nicht so einfach feststellen, die sind halt oft einfach so.


Unsinn, man will oder darf es oft nur nicht.

ujmp hat geschrieben:Wir hatten das Thema hier schon des öfteren. Genau so wie es Leute gibt die besonders musikalisch oder sportlich sind oder umgedreht, die es eben in besonderem Maße nicht sind, gibt es Menschen die eine besonders Starke Neigung haben, gewalttätig, betrügerisch oder destruktiv zu sein, oder denen es an Mitgefühl in besonderem Maße mangelt.


Ja, und? Für all das gibt es Gründe.

ujmp hat geschrieben:Wenn man eine Ursache ausgemacht hat, ist es sehr oft so, dass sich unzählige Gegenbeispiele finden lassen, wo die selben "Ursachen" nicht zu dem selben Ergebnis geführt haben, weshalb es nicht die Ursachen sein können.


Das liegt einfach daran, dass es nicht einfach „diese eine Ursache“ gibt, sondern viele Faktoren eine Rolle spielen. Dennoch brauche ich mich nicht zu wundern, wenn in einer Gesellschaft Gewalt in bestimmten Formen idealisiert wird, auch andere Formen von Gewalt auftreten. Und das liegt nicht daran, dass manche einfach gewaltbereiter sind.

Der Bremer Pädagogikprofessor Freerk Huisken hat das hier sehr gut erklärt: http://www.fhuisken.de/gewalt.htm und http://www.fhuisken.de/Jugendgewalt.htm
Zuletzt geändert von Teh Asphyx am Sa 17. Dez 2011, 19:28, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 17. Dez 2011, 19:26

Ich fasse nochmal kurz zusammen:

Ein Kompatibilist versteht unter dem "freien Willen" folgende Entscheidungen:

1. (hinreichend) frei von Zwängen
2. (hinreichend) frei zu Reflexion, Erkenntnis, Abwägen von Gründen

Was ein Inkompatibilist darunter versteht, ist mir immer noch unklar.

Mir scheint, "freier Wille" aus Sicht des Inkompatibilisten sind folgende Entscheidungen:

1. frei von Determination (d.h. unabhängig von allen Umständen?)
2. frei von Zufall, Willkür

Aber das funktioniert so nicht, denn entweder ist etwas abhängig von etwas anderem oder es ist zufällig. Dazwischen gibt es nichts Drittes.

Wenn man nun aber einen "unbewegten Beweger" vertreten will, dann muss man das näher erläutern und zeigen, wie man sich das praktisch vorstellen kann, (ich kann mir darunter überhaupt gar nichts vorstellen, ich meine, das ist ein leerer Begriff).

Außerdem ist mir unklar, was das Ganze nun mit dem Strafrecht zu tun haben soll. Ein Verbrecher sei nicht schuldfähig, weil er keinen freien Willen (was auch immer man darunter versteht, ist mir wie gesagt, unklar, was der Inkompatibilist überhaupt damit meint) habe, weil es keinen freien Willen gäbe und somit niemand verantwortlich für seine Handlungen/Taten sei und somit niemand Rechenschaft ablegen müsse?

Wieso aber, falls man das mal vorläufig als richtig anerkennen würde, wieso sollen dann Juristen Rechenschaft ablegen und ihre Handlungen/Vorgehensweisen ändern, weil die moralisch falsch seien? Wieso nicht die Verbrecher? Inwiefern unterscheiden sich Verbrecher von Juristen, wieso haben die einen (die Verbrecher) keine Verantwortung, weil sie keinen freien Willen haben, warum sind sie nicht schuld-, nicht zurechnungs- und nicht rechenschaftsfähig, aber die anderen (die Juristen, bzw. die Restgesellschaft exklusive Verbrecher) sind dennoch all dies?

Das ist ohne weitere Begründung erst mal furchtbar unplausibel:

1. "Alle Menschen haben keinen freien Willen, sind daher nicht verantwortlich für ihre Handlungen, nicht rechenschaftspflichtig, denn alles kommt ja so, wie es kommt, alles läuft determiniert ab, niemand kann was tun, niemand hat einen Einfluss auf das Geschehen".
Okay, meinetwegen kann der Inkompatibilist das vertreten. Ich sehe zwar kein Argument dafür, (da hat wohl schlicht jemand falscherweise Determinismus mit Fatlismus verwechselt), aber nun gut, sein Problem, für mich nicht nachvollziehbar ohne Argumente.

2. "Also muss die Gesellschaft (alle außer den Verbrechern, bzw. außer denen, die das nicht tun) dies und jenes tun, z.B. das Strafrecht ändern, mehr Therapien einführen, Nachsicht üben, verzeihen, großzügig, gnädig und geduldig sein, gerecht sein, etc. pp."
Hier aber gibt es nun ein kleines logisches Problem. Wenn 1. gelten soll, dann ist der Appell in 2. absolut sinnlos. Das sollte hoffentlich evident sein.
----
Mein Problem ist nach wie vor, dass ich einfach nicht verstehen kann, was der Inkompatibilist eigentlich genau unter "Freiheit", bzw. einem "freien Willen" versteht, weil der das niemals klar sagt. Alles, was ich immer verstehe, ist dies:

Inkompatibilist: "Freiheit ist, wenn etwas weder determiniert noch Nicht-[determiniert] ist."

Und das ist einfach nur schlichter Unsinn, per se logisch unmöglich, nicht nachvollziehbar, irrelevant, uninteressant.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 17. Dez 2011, 19:39

@ AgentProvocateur

Ich sage ja nicht, dass der Mensch keinen freien Willen hat, sondern nur, dass er ihn nicht hat, wenn alles determiniert ist. Ich habe aber nirgends gesagt, dass ich denke, dass alles determiniert ist. Die ganze Diskussion ist ja von Anfang an quasi im Konjunktiv.

Und was das Juristikzeug angeht, da geht es mir einfach darum, dass der freie Wille der Kompatibilisten nicht der freie Wille ist, der juristisch oder politisch eine Rolle spielt, beide aber die gleiche Bezeichnung haben.
Dennoch bleibe ich dabei, wenn alles determiniert ist, kann der Wille gar nicht frei von Zwängen sein, es kann höchstens sein, dass er nicht merkt, dass er Zwängen unterworfen ist. Wenn alles determiniert ist, kann man eben nicht anders als so zu handeln wie man handelt und hätte auch nicht anders gekonnt. Es geht nicht darum, was tatsächlich ist, es geht darum, wie sich zwei Begriffe per Definition ausschließen. Daraus kann man eben schließen, dass eben nicht alles so determiniert ist, wie manche annehmen. Und es gibt da auch gute Theorien, die statt von Determinierung von Tendenzen ausgehen, siehe zum Beispiel Karl Poppers „World of Propenisities“.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 17. Dez 2011, 20:04

@ Agent Provocateur:

Es gibt mehrere inkompatibilistische Positionen.
Das heißt ja erst mal nur, dass Determinismus und freier Wille sich ausschließen.

Es gibt Libertarier, die meinen, der Mensch könne frei von allein Einflüssen etwas wollen.
Das erscheint mir kaum haltbar oder formulierbar zu sein.

Ein harter Determinist ist auch ein Inkompatibilist, der kann sagen, dass es den freien Willen nicht gibt, wenn alles determiniert ist.

Es gibt differenzierte inkompatibilistische Posotionen, die eine gewisse Zufälligkeit ins Spiel bringen.
Ich glaube, dass diese Position bezogen darauf, wie die Welt so funktioniert – wenn wir nicht in einem Ausmaß daneben liegen, das wir uns nicht mal vorstellen können – richtig ist.
Ich glaube, dass ein harter Determinismus einfach nicht existiert und dass vermutlich die Quantenphysiker diesen Zahn gezogen haben. Die Welt ist dann schon determiniert, in dem Sinne, dass auch quantenphysikalischen Prozesse nicht außerhalb der Naturgesetze stattfinden, aber vermutlich gibt es nur einen statistischen prognostizierbaren Verlauf, keinen für jedes Teilchen.

So richtig das aus meiner Sicht ist, liegt das entscheidende Problem woanders. Denn wenn ein geringer (oder auch großer) Zufall ins Spiel kommt, inwiefern erhöht dieser Zufall denn eigentlich die Freiheit?
Ist ein Zufallsprozess wirklich in der Lage die Freiheit meiner Entscheidungen zu gewährleisten?
Es ist ja gerade kein Ausdruck von Freiheit, wenn ich etwas zufällig, statt nach Gründen will und entscheide und das ist eigentliche Problem dabei.

Insofern machen die Kompatibilisten es richtig, wenn sie gedanklich maximale Determination unterstellen (die es empirisch vermutlich nicht gibt), um dann philosophisch zu argumentieren:
Wenn schon die äußerste Determiniertheit nicht der Freiheit des Willens in die Quere kommt – und das können sie nachweisen –, dann jede geringere Determiniertheit erst recht nicht.
Philosophisch ist das die einzige Position, die sich nach meiner Erkenntnis widerspruchsfrei vertreten lässt, aber vermutlich ist die Welt nicht total determiniert. Gelten würde der Kompatibilismus freilich dann immer noch.
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