Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 26. Jan 2012, 16:06

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich fasse zusammen: Du lehnst jegliche vereinbarte Regel ab, da sich Deiner Ansicht nach daraus automatisch Herrschaft ergibt und Herrschaft ist für Dich per se schlecht.

Falsch, ich lehne Regeln ab, die erstens starr sind und zweitens mit Gewalt durchgesetzt werden bzw. die nur aus Gründen des Gehormsams eingehalten werden. Dann ist es Herrschaft.

Hm. Nehmen wir einfach mal ein Beispiel eines Rechtes: das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Nun gibt es Leute, die den Sinn dessen einsehen und das Verbot, andere mutwillig zu verletzen, aus Einsicht einhalten. Und es gibt Leute, die das nicht einsehen, es aber aus Gründen des Gehorsames einhalten.

Also ist es Herrschaft in Deinem Sinne. Wie aber stellst Du Dir das konkret vor, damit es keine Herrschaft wäre? Die, die den Sinn des Verbotes einsehen, sollen sich daran halten, die anderen brauchen sich nicht daran zu halten, weil das eine gemeine Unterdrückung von ihnen wäre? Oder wie jetzt?

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Was folgt nun daraus? Eine regel- und somit rechtlose Gesellschaft, das Recht des Stärkeren.

Die Folgerung ist schon mal falsch, da das Recht des Stärkeren wieder ein spezielles Recht ist und eben auch wieder Regeln einführt, nämlich die des Stärkeren. Somit kann das auch nicht der Zustand sein, den ich mir wünsche.

Einen anderen Zustand gibt es aber nicht. Die Regel: "keine Regeln" ist auch eine Regel. Die aber, wenn es keine Herrschaft in Deinem Sinne geben darf, nicht durchgesetzt werden darf.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Do 26. Jan 2012, 16:18

@ AgentProvocateur

Ich wollte eh demnächst mal einen Thread zu dem Thema eröffnen. Lass uns das bis dahin vielleicht noch ruhen lassen, damit hier nicht zu viel vom eigentlichen Thema abgekommen wird. Auf Deinen letzten Post werde ich da dann eingehen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ujmp » Do 26. Jan 2012, 19:45

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Folgerung ist schon mal falsch, da das Recht des Stärkeren wieder ein spezielles Recht ist und eben auch wieder Regeln einführt, nämlich die des Stärkeren.


Das "Recht des Stärkeren" ist keine Regel, die auf Vereinbarung beruht. "Recht" wird in dieser Redewendung metaphorisch gebraucht.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 26. Jan 2012, 23:23

AgentProvocateur hat geschrieben:Nehmen wir also einen Steuerhinterzieher. Er überlegt sich, die Steuer zu hinterziehen, er meint, er würde dabei nicht erwischt werden und tut es.

Nun nehmen wir einen Zeitpunkt t0, sagen wir einen Tag vor der Steuerhinterziehung zum Zeitpunkt t1. Und spulen die Zeit 1.000 mal zurück zu t0 und lassen sie wieder ablaufen. Nehmen wir einmal an, er würde jedesmal an t1 die Steuer hinterziehen, nehmen wir versuchshalber auch mal an, er würde sie 999 mal hinterziehen und einmal nicht.

Im ersten Falle wäre er also unschuldig Deiner Ansicht nach, aber im zweiten Falle schuldig? Falls ja: wieso? Falls nein: wieso nicht, was müsste noch hinzukommen?

Du und deine ewigen Fangfragen :) Also es stimmt, im ersten Fall hielte ich den Steuerhinterzieher für unschuldig. Und nun die Frage an dich: hälst du ihn ebenfalls im ersten Fall, wo er 1000 mal hinterzieht, für unschuldig?

Denn der erste Fall entspricht meiner Folgerung aus dem Determinismus: der Mann konnte in der Situation nicht anders.

Und auf meine Ausgangsfrage hast du, soweit ich sehe, auch noch nicht geantwortet. Glaubst du ebenfalls, dass wir den ersten Fall bekommen würden, wenn wir in dieser Welt zurückspulen könnten? Glaubst du ebenfalls, dass in der gleichen Situation der Mensch auch immer gleich handelt? (was ich übersezten würde mit: Wenn S1==S2 und S1=>H1 dann gilt: S2=>H1). Oder glaubst du nicht, dass die Welt deterministisch ist?
Dein zweiter Fall, wo einmal von 1000 ein H2 erfolgt, passt zu meiner Annahme nicht. Da gilt: S1==S2==...==S1000, aber es gilt nur S2=>H1, S3=>H1,...,S999=>H1 und S1000=>H2. Der zweite Fall ist nach meiner Auffassung in einer determinierten Welt unmöglich.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 26. Jan 2012, 23:47

Vollbreit hat geschrieben:Was um alles in der Welt ist denn der Grund dafür, dass jemand zum Zeitpunkt S1 nicht anders kann?
Das ist doch nur eine Behauptung wie: Brillenträger essen gerne Hühnersuppe. Kann ja sein, aber warum?

Ich verstehe die Frage aus zwei Gründen nicht ganz. 1) Du hast doch zugestimmt, dass jemand zum Zeitpunkt S1 nicht anders kann. Oder irre ich mich da? Und 2) ist die Frage trivial zu beantworten. Was immer der Grund dafür war, dass der Mensch in S1 die Handlung H1 vollzog, wenn wir zurückspulen und den Menschen erneut in die Situation S1 versetzen, wird er exakt die gleichen Gründe haben, exakt wieder H1 auszuführen.

Ich könnte also mein Argument umformulieren: Wenn ein Krimineller die Straftat H1 begeht, dann hat er Gründe dafür. Wenn man ihm die Schuld an dieser Straftat geben wollte, müsste man dafür sorgen, dass er auch anders gekonnt hätte. Man hätte ihn dann entweder a) ein bisschen frei von den Gründen machen müssen, oder b) man hätte die Gründe ändern müssen.
a) bedeutet, ihm einen freien Willen im Sinne der Inkompatibilisten zu schenken, was nach der Auffassung des Inkompatibilisten in einer determinierten Welt nicht möglich ist.
b) bedeutet, mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit zu fahren und die Situation zu manipulieren. Geht aber, soweit ich weiß, physikalisch auch nicht.
Also, ohne (a) und (b) ist der Mann unschuldig. Oder?


Vollbreit hat geschrieben:dann zieht so ein Argument, aber nicht, weil jetzt S2 ist und eben S1 war, sondern, weil Du denkst: Er hat fast den gleichen Geschmack wie ich, wenn ihm das gefällt, ist es hoch wahrscheinlich dass das kein völliger Reinfall ist. Noch kürzer: Du machst Deine Entscheidungen von rationalen Gründen abhängig.

Du scheinst meine S1 und S2 nicht zu mögen und dich nicht auf diese abstrakte Ebene einlassen zu wollen. Dabei sagst du genau dasselbe. Denn S1 ist hier die Situation, wo du keine rationalen Gründe hast, mir zu glauben. Und S2 ist die Situation, wo du genügend rationale Gründe hast, mir zu glauben. In S1 wirst du logischerweise deine Meinung nicht ändern und dich nicht von mir überzeugen lassen. In S2 wirst du es.

Wenn ich deine Situation also nicht ändere (zum Beispiel indem ich dir keine rationalen Gründe liefere), dann hast du natürlich keinen Grund, deine Meinung zu ändern. Oder simpler ausgedrückt, solange du in S1 bist, wirst du immer die Meinung M1 haben. Und da du in S1 auch gar nicht anders konntest, als die Meinung M1 zu haben, warst du unschuldig.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Fr 27. Jan 2012, 07:56

Wir sind endlich bei der Schuldfrage angekommen :)

Was haltet ihr davon, Leute nicht "durch wegsperren zu bestrafen", sondern - vor allem widerholungstäter - zu therapieren? Den ansatz gibt es schon in ganz bescheidenem umfang in der ein oder anderen Strafanstalt und die Rückfallquote wird erheblich gesenkt. Das kann doch der einzig gangbare Weg sein -> Wenn sich ein gehirn aus sicht der Gesellschaft (oder: Politiker und Lobbyisten) Schuldig macht, muß man ihm neue Verhaltensmuster beibringen die gesellschaftskonform sind. Wegsprerren oder früher: verprügeln scheinen ja von einer falschen Annahme aus zu gehen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ujmp » Fr 27. Jan 2012, 08:18

Es gibt nicht wenige Neurologen, die eine Therapierbarkeit für unwahrscheinlich halten. Ohne alte Vorurteile bedienen zu wollen, sind leider manche Verhaltensweisen angeboren. Genau so, wie es Talente für Mathematik oder Musiklalität gibt, gibt es offenbar vom Durchschnitt abweichende Neigungen zur Assozialität. Es gibt kein "Verbrecher-Gen", aber die Überlagerung von angeborenen inneren Antrieben, sozialen Instinkten usw. kann in bestimmten Konstellationen zu verbrecherischem Verhalten führen. Ich hab mal gelesen, dass Chirurgen eine ähnliche "Abgebrühtheit" haben müssen, wie Raubmöderer - sie dürfen ja nicht umkippen, wenn sie Blut sehen... Ich habe durch ehrenamtliche Sozialarbeit ein paar Erfahrungen mit einer gewissen Clientel. Manche stoppt man nicht mit Freundlichkeit, die ticken einfach so. Es ist u.U. ein ganz falscher Ansatz, wenn man meint, man könne ihr Verhalten doch verstehen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 27. Jan 2012, 12:50

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Was um alles in der Welt ist denn der Grund dafür, dass jemand zum Zeitpunkt S1 nicht anders kann?
Das ist doch nur eine Behauptung wie: Brillenträger essen gerne Hühnersuppe. Kann ja sein, aber warum?


Ich verstehe die Frage aus zwei Gründen nicht ganz. 1) Du hast doch zugestimmt, dass jemand zum Zeitpunkt S1 nicht anders kann. Oder irre ich mich da?


Was heißt nicht anders kann? Sein Denken, Wollen und Verhalten ist vollkommen determiniert, ja, so lauten die Bedingungen des Gedankenexperiments. Diese Bedingungen durchschaut aber nur Gott, sonst niemand.
Was durchschauen wir? Das, was wir an Fakten, Informationen usw. vorfinden. Anhang dessen sind wir in der Lage uns ein Urteil zu bilden – und aus Sicht eines Gottes steht auch schon fest, welches Urteil wir uns bilden werden, nur Gottes Sicht ist nicht unsere – indem wir rational das Für und Wider abwägen und wenn wir es auch vielleicht nicht immer tun, wir könnten es wenigstens tun.
Das ist Freiheit aus kompatibilistischer Sicht.
Warum sollte diese Eigenschaft verloren gehen? Nur weil Gott vorher weiß, wie wir uns entscheiden?
Wir wissen es nicht. Können aber dennoch rational entscheiden.

Ich glaube das Problem liegt darin, dass Du das Gefühl hast, man könne „in Wirklichkeit“ eben doch nicht anders, nur was ist hier die „Wirklichkeit“? Offensichtlich Gottes Sicht. Eine Sicht, die alles haarklein überschaut, vom Urknall an alles Determinanten durchrechnen kann und aufgrund der Berechnung zu dem Schluss kommt. Mit den Genen, der Einstellung, jener Erziehung, diesem momentanen Informationsstand wird er sich für Nudelsuppe und Weizenbier entscheiden.
Du wirst, wenn Du mich gut kennst auch gewisse Treffer landen, in der Prognose meines Verhaltens, aber Du weißt es nicht ganz genau. Und auch ich kenne weder mich in- und auswendig, noch weniger kann ich abschätzen, was die Zukunft bringt, also entscheide ich – wie wir alle – auf dem Boden der Infos die mir zur Zeit vorliegen, so wie meiner Neigungen, Absichten, Einschränkungen, usw.
Beides geht zusammen.

ganimed hat geschrieben:Und 2) ist die Frage trivial zu beantworten. Was immer der Grund dafür war, dass der Mensch in S1 die Handlung H1 vollzog, wenn wir zurückspulen und den Menschen erneut in die Situation S1 versetzen, wird er exakt die gleichen Gründe haben, exakt wieder H1 auszuführen.


Ja, der Meinung bin ich auch.
In der Situation hat er nicht anders gekonnt, aber auch dort hat er freiwillig und rational entschieden.
Man tut nicht grundlos was man tut, aber freiwillig.

ganimed hat geschrieben:Ich könnte also mein Argument umformulieren: Wenn ein Krimineller die Straftat H1 begeht, dann hat er Gründe dafür.


Genau.

ganimed hat geschrieben:Wenn man ihm die Schuld an dieser Straftat geben wollte, müsste man dafür sorgen, dass er auch anders gekonnt hätte.


Er hat ja bewusst entschieden, keine Ahnung, die Bank auszurauben.
Stell Dir mal vor, was das für eine minutiöse Planung sein könnte, wochenlange Beobachtung und Vorbereitung, warten auf den bestem Moment, der Plan mit Fluchtwagen etc. meinst Du das geschieht einfach so, wie Verdauung und so wie man das Gefühl hat, „oh, ich muss mal“ hat man auf einmal das Gefühl „oh ich habe da so einen starken Drang ganz plötzlich und unerklärlich eine Bank auszurauben“?

ganimed hat geschrieben:[Man hätte ihn dann entweder a) ein bisschen frei von den Gründen machen müssen, oder b) man hätte die Gründe ändern müssen.

a) bedeutet, ihm einen freien Willen im Sinne der Inkompatibilisten zu schenken, was nach der Auffassung des Inkompatibilisten in einer determinierten Welt nicht möglich ist.


Darum geht das wohl aus imkompatibilistischer Sicht nicht und alle Menschen müssen entweder vollkommen frei von Ursachen durch die Welt laufen (wie immer das gehen soll) oder ferngesteuert wie Zombies zwar Dinge tun, aber bar jedes Wissens darüber und erst recht jeder Verantwortung.
Da war ich doch heut mal wieder arbeiten, warum nur? Würde sich so eine Mensch fragen, wenn er reflektieren könnte, kann er aber auch nicht aus der Sicht harter Inkompatibilisten.

ganimed hat geschrieben:[b) bedeutet, mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit zu fahren und die Situation zu manipulieren. Geht aber, soweit ich weiß, physikalisch auch nicht.
Also, ohne (a) und (b) ist der Mann unschuldig. Oder?


Nein, ich bin ja der Meinung, dass der Mensch einen freien Willen hat.
Er ist geprägt, konditioniert, steht hier und da unter Druck, hat vielleicht Geldnot und spielt mit dem Gedanken eine Bank zu überfallen, aber dass das keine geplante, freiwillige, bewusste Entscheidung sein soll…
Oder auch die Steuerhinterziehung. Huch, hab ich da mal ganz zufällig schwarz gearbeitet und hoppla aus meiner selbstständigen Arbeit einige Rechnungen übersehen, sowas aber auch. Es mag determiniert sein, dass ich so entscheide, aber Wahl habe und hätte ich schon.

Die Sache ist ja die. Wenn Du glaubst, dass Argumente nutzen und das glaubst Du ja, warum nutzen, helfen, oder überzeugen die denn nur in der Zukunft?
Wenn Du davon überzeugt bist, dass Aufklärung oder so etwas demnächst Verhalten ändern kann, warum sollte die Möglichkeit dazu nicht gestern auch bestanden haben?
Vielleicht sieht man mal eine Sendung über Steuersünder oder diskutiert das Thema oder hört, dass die Strafen verschärft oder die Kontrollen ausgeweitet werden und plötzlich ändert man sein Verhalten. Du kannst sagen aus Einsicht oder Angst vor Strafe, aber man könnte es ändern.
Die Information, die mich heute dazu bringt, morgen mein Verhalten zu ändern, die hätte ich auch schon gestern haben können. Ich hatte sie nicht, aber ich bin nicht über Nacht erst rational gewoden, ich bewerte und gewichte nur anders, die Prämissen haben sich geändert.
Ich wusste vorher schon, dass man Steuern nicht hinterziehen darf, aber vielleicht dachte ich „Ph, macht doch eh jeder“ oder „Ach, der Staat der schröpft uns doch eh alle, also muss man sehen wo man bleibt“ oder „Naja, merkt schon keiner und so viel ist es ja auch nicht.“ Das sind andere Prämissen, aber ein rationaler Schluss, vielleicht augenzwinkernd, pokernd, vielleicht nicht bös gemeint, vielleicht voll krimineller Energie, aber rational.
Nun auf einmal denke ich vielleicht anders, weil ich ein Buch gelesen habe, weil mein bester Freund erwischt wurde, weil mein Gewissen drückt und schwupps ist alles auf der nächsten Steuererklärung drauf. Aber das eine ist nicht rationaler als das andere, beides sind Möglichkeiten und diese liegen immer bei mir.
Strafrelevant ist nicht, was Du weißt, sondern was Du wissen hättest können.
Wenn man Dir attestiert, Du hättest etwas prinzipiell nicht wissen können, aus Erkrankung, Drogeneinfluss oder sonst etwas, wäre es meiner Meinung nach unfair zu strafen und nicht zu begründen.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:dann zieht so ein Argument, aber nicht, weil jetzt S2 ist und eben S1 war, sondern, weil Du denkst: Er hat fast den gleichen Geschmack wie ich, wenn ihm das gefällt, ist es hoch wahrscheinlich dass das kein völliger Reinfall ist. Noch kürzer: Du machst Deine Entscheidungen von rationalen Gründen abhängig.


Du scheinst meine S1 und S2 nicht zu mögen und dich nicht auf diese abstrakte Ebene einlassen zu wollen. Dabei sagst du genau dasselbe. Denn S1 ist hier die Situation, wo du keine rationalen Gründe hast, mir zu glauben. Und S2 ist die Situation, wo du genügend rationale Gründe hast, mir zu glauben. In S1 wirst du logischerweise deine Meinung nicht ändern und dich nicht von mir überzeugen lassen. In S2 wirst du es.


Ja, ich bin ganz Deiner Meinung.
Du handelst, wenn irgendwelche Gründe für Dich zu guten oder überzeugenden Gründen werden (oder geworden sind), freiwillig und rational.
Überzeugen sie Dich nicht, wirst Du Dich anders entscheiden.
Das ist die kompatibilistsche Einstellung.

ganimed hat geschrieben:[Wenn ich deine Situation also nicht ändere (zum Beispiel indem ich dir keine rationalen Gründe liefere), dann hast du natürlich keinen Grund, deine Meinung zu ändern.


Exakt.

ganimed hat geschrieben:[ Oder simpler ausgedrückt, solange du in S1 bist, wirst du immer die Meinung M1 haben. Und da du in S1 auch gar nicht anders konntest, als die Meinung M1 zu haben, warst du unschuldig.


Das ist ne andere Frage.
Es kann natürlich sein, dass jemand leichtfertig mit der Gesundheit anderer Menschen umgeht, warum auch immer, das Schicksal anderer interessierte ihn bisher nicht so sehr.
Auf einmal bringt man jemanden in den Rollstuhl, gar nicht mal sonderlich bösartig, sondern unachtsam. Nun sieht er das Opfer, die entsetzten Angehörigen, steht vor Gericht wegen fahrlässiger Körperverletzung, hat Bilder und Gedanken im Kopf, die er vorher nie im Kopf hatte und wird vielleicht denken: „Meine Güte, hätte ich das nur vorher gewusst. Hätte ich nur besser aufgepasst“, oder worum es auch immer geht. Er bereut ehrlich, aber … war das alles vorher nicht zu wissen? In gewisser Weise, ist dieser Mensch jetzt erst „aufgewacht“ bezogen auf diese Situation.
Aber natürlich wusste er vorher, was man richtigerweise hätte tun sollen, meistens denkt man nur: „Ich hab’s schon im Griff“, „Wird schon nichts passieren“, „Einmal ist keinmal“, „Ist bis jetzt noch immer gut gegangen“… die Prämissen waren andere. Rational war das Spiel auch vorher schon.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 27. Jan 2012, 13:36

Vollbreit hat geschrieben:Strafrelevant ist nicht, was Du weißt, sondern was Du wissen hättest können.
Wenn man Dir attestiert, Du hättest etwas prinzipiell nicht wissen können, aus Erkrankung, Drogeneinfluss oder sonst etwas, wäre es meiner Meinung nach unfair zu strafen und nicht zu begründen.

Das heißt, wenn ich determiniert bin, zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas nicht zu wissen und aufgrund dessen dann eine bestimmte Handlung durchzuführen, dann darf man mich dafür bestrafen. Bestechende Logik. :applaus: :kopfwand: Das ist wie bei Per Anhalter durch die Galaxis, wo es hieß, dass die Papiere ja die ganze Zeit im Amt vorlagen, man hätte ja nur hingehen müssen und sie sich angucken …
Bist Du eigentlich zufällig Polizist?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Darth Nefarius » Fr 27. Jan 2012, 13:57

Vollbreit hat geschrieben:Strafrelevant ist nicht, was Du weißt, sondern was Du wissen hättest können.
Wenn man Dir attestiert, Du hättest etwas prinzipiell nicht wissen können, aus Erkrankung, Drogeneinfluss oder sonst etwas, wäre es meiner Meinung nach unfair zu strafen und nicht zu begründen.

Nein, strafrelevant ist, was man einem nachweisen kann, oder wenn die Indizien auf etwas lückenlos hindeuten. Es gilt im Zweifel für den Angeklagten, weil es eben um das geht, was man einem nachweisen kann, weder Richter noch Anwälte können zwweifelsfrei und immer beurteilen, was ich hätte wissen können. Teh Asphyx, das klingt nicht nach einem Polizisten, sondern nach einem Rechtsverdreher/Anwalt. Du brauchst dir aber keine Sorgen zu machen, die müssen naturgemäß im Dreck suchen, aber sie werden niemals Richter abgeben können, dazu fehlt ihnen eben diese Erkenntnis.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 27. Jan 2012, 14:12

Darth Nefarius hat geschrieben:Teh Asphyx, das klingt nicht nach einem Polizisten, sondern nach einem Rechtsverdreher/Anwalt.


Stimmt, ich dachte nur wegen Polizeilogik … ;-)

Der Satz „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“ – bevor den jemand hier als Argument einbringt – bedeutet übrigens nur, dass die Unkenntnis eines Gesetzes nicht vor der Wirksamkeit des Gesetzes schützt. Das hat nichts mit der Kenntnis irgendwelcher Umstände zu tun.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 27. Jan 2012, 20:05

@ganimed

ich weiß nicht, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht, aber ich halte das auch für eine uninteressante Frage, weil ich meine, dass das prinzipiell nicht feststellbar ist. Das ist Metaphysik, eine, die keinen Nutzen hat, (meine ich). Wir könnten das nur feststellen, wenn wir in der Lage dazu wären, die Zeit zurückzuspulen. Aber das sind wir nicht. Mag also sein oder auch nicht, aber da es in unserer Welt eh niemals zwei identische Situationen gibt, halte ich das für unwesentlich.

Hier aber reden wir nicht darüber, was ist, sondern darüber, was wäre, wenn. Was wäre, wenn unsere Welt determiniert wäre, was wäre, wenn sie es nicht wäre?

Determinismus bedeutet nun: wenn man die Welt zurückspulte, würde alles immer wieder gleich ablaufen, (also, so wie Du auch sagst: wenn S1==S2 und S1=>H1 dann gilt auch: S2=>H1).

Hier steckt aber meiner Ansicht nach kein Nicht-Anders-Können drin, denn anders-können bedeutet meiner Ansicht nach: jemand kann anders handeln, wenn es an ihm liegt, wie er handelt, wenn er nach seinen Ansichten, Gründen, Intuitionen etc. handelt und es keinen ersichtlichen Grund gibt, wieso er nicht anders handeln könnte, wieso es nicht in seinen Fähigkeiten liegt, anders zu entscheiden und handeln.

Determinismus bedeutet: es wird, unter Annahme der Ausgangssituation S, (also: S1==S2==S3...), immer so sein, dass jemand H1 ausführt.

Aber das bedeutet nun nicht, dass es nicht an ihm liegt, dass er H1 ausführt. Und nur das ist meiner Ansicht nach entscheidend für die Zuweisung von Verantwortung und - im Falle eines Normverstoßes, für den er verantwortlich ist - Schuld.

Was Deiner Ansicht nach in einer determinierten Welt unmöglich ist, ist hier irrelevant. Von Dir kann erwartet werden, dass auch Du das Gedankenexperiment einer indeterminierten Welt durchführst - ansonsten bräuchte ich mich auch nicht auf das Gedankenexperiment des Determinismus einzulassen, könnte dann auch einfach sagen, Determinismus sei meiner Ansicht nach unmöglich.

Und dann musst Du sagen, wieso und unter welchen Bedingungen in einer indeterminierten Welt Schuld in Deinem Sinne zugewiesen werden könnte.

Wenn Du das könntest, dann hättest Du hier einen sehr viel sichereren Argumentationsstandpunkt. Da Du das aber nicht kannst, sieht Deine Behauptung, Determinismus würde Schuldzuweisungen unrechtmäßig machen, wie eine reine ad-hoc-Behauptung aus.

Anders gesagt: es reicht nicht, zu sagen: "im Determinismus kommt es immer so, wie es kommt, daher darf man keine Verantwortung und keine Schuld zuweisen", sondern Du müsstest zeigen können, wie ein "er konnte auch anders" einen Sinn ergeben könnte, vorstellbar wäre.

Also nicht nur: "es konnte nicht anders kommen", sondern ein: "er hätte auch anders handeln können". Das ist nicht dasselbe, die ersten Formulierung hat nichts mit Kontrolle zu tun, die zweite Formulierung enthält Kontrolle über die Handlung. Und wenn ich in der Zeit zurückreiste und die Umstände ein bisschen änderte, dann unterläge das ja wohl nicht seiner Kontrolle. Deswegen wäre er also nicht freier. Und also muss hier wohl noch etwas hinzukommen: und was das sein, das muss der Inkompatibilist plausibel darlegen können. Ansonsten ist seine Position uninteressant, nicht nachvollziehbar.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Gandalf » Fr 27. Jan 2012, 22:14

Teh Asphyx hat geschrieben:
Gandalf hat geschrieben:Verantwortung:
Wie kann etwas, das eine Begründung für eine Handlung in Form einer Antwort liefert ein "juristischer Begriff" sein? Eine "juristischer Begriff" wurde erst dann daraus gemacht, als diese Antwort zur Begründung nicht konform mit dem jeweiligen Moral- und Herrschaftsmodell der Gesellschaft stand!?


Verantwortung bedeutete Ursprünglich „Sich vor Gericht verteidigen“. Und es steckt ja auch „Antwort“ drin. Das gleiche ist auch in anderen Sprachen zu finden (habe Englisch und Französisch überprüft). Es ist tatsächlich so, dass es erst das (positive) Recht gab und dann der Begriff Verantwortung da heraus gefunden wurde und nicht umgekehrt.
.


Ds möchte ich weiterhin anzweifeln.

Klar ist: Verantwortung kann ich nur für mich selbst übernehmen. - Dazu brauch ich kein Gesetz, das mir das zuweist.

Verantwortung für andere zu übernehmen heisst, das der anderem unmündig ist ("Ohne Mund" = "nicht zur Antwort fähig"), bzw. wohl eher: "Von mir für unmündig erklärt wurde"

Das ist auch in einem 'Sklavenstaat' der Fall, in dem Menschen von anderen Menschen die Selbstverantwortlichkeit abgesprochen wird.

Das heißt: Verantwortung ist unmittelbar mit 'persönlicher Freiheit' verbunden (bzw. umgekehrt), - nur um dem Menschen Freiheit und Selbstverantwortung zu entziehen, sind "Rechtsinstrumente" erforderlich, die dies thematisieren.


Grüße
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 27. Jan 2012, 22:28

@ Gandalf

Klar, „sich vor Gericht verteidigen“ zu können ist ja auch nur dann möglich, wenn man sprechen kann und das möglichst frei (in Kenntnis der geltenden Gesetze).
Deswegen ist das ganze ja auch so absurd, je mehr Freiheit dem Menschen zugesprochen wird, desto eher wird dies als Rechtfertigung gesehen, ihm diese zu entziehen.
Das führt dann zu dem merkwürdigem Schluss, dass ein Mensch, der „böse“ handelt, weil er (äußeren) Sachzwängen unterworfen ist, bestraft gehört (er hätte ja nicht den Apfel nehmen müssen, er hätte ja auch an Hunger sterben können, die Wahl stand ihm frei) während ein Mensch, der aus irgendwelchen „inneren Gründen“ so handelt, nicht schuldfähig ist, obwohl gerade ihm ja „innere Gründe“ zugesprochen werden.
Letztlich geht es doch nur um die eine einzige Sache: Die herrschende Ordnung zu stören ist unerwünscht und wer das irgendwie nachweislich tut oder vorhat, wird aus dem Verkehr gezogen, selbst der, der nicht schuldfähig ist, weil er ja trotzdem Maßnahmen kriegt. Und dieses Verhältnis kann nicht durch Freiheit begründet werden, sondern nur aus der Macht, die sich selbst erhalten will heraus. Wer diese Macht innehat weißt Du ja, zumindest entnehme ich das Deinen Beiträgen im (Geld-)Systemkrise-Thread. ;-)
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 28. Jan 2012, 13:08

Zur Thematik der Strafen, ihrem Sinn, Unsinn, ihrer Legitiamtion usw., besteht die Möglichkeit diese in einem eigenen Thread zu diskutieren:
viewtopic.php?f=29&t=4053
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Sa 28. Jan 2012, 23:26

AgentProvocateur hat geschrieben:Determinismus bedeutet: es wird, unter Annahme der Ausgangssituation S, (also: S1==S2==S3...), immer so sein, dass jemand H1 ausführt.
Aber das bedeutet nun nicht, dass es nicht an ihm liegt, dass er H1 ausführt. Und nur das ist meiner Ansicht nach entscheidend für die Zuweisung von Verantwortung und - im Falle eines Normverstoßes, für den er verantwortlich ist - Schuld.

Ich unterscheide zwischen Verantwortung (die Gründe einer Handlung lagen zu einem ausreichend großen Teil bei der handelnden Person) und Schuld (die Person hätte aber auch anders handeln können, tat dies aber nicht).

AgentProvocateur hat geschrieben:Was Deiner Ansicht nach in einer determinierten Welt unmöglich ist, ist hier irrelevant.

Es ist nur irrelevant, wenn es im Hinblick auf Schuld für dich keinen Unterschied macht, ob jemand anders konnte oder nicht. Für mich macht es einen Unterschied.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und dann musst Du sagen, wieso und unter welchen Bedingungen in einer indeterminierten Welt Schuld in Deinem Sinne zugewiesen werden könnte.
Wenn Du das könntest, dann hättest Du hier einen sehr viel sichereren Argumentationsstandpunkt.

Das ist Unsinn. Wenn ich behaupte, dass es in unserer Welt keine rosa Elefanten gibt, dann soll es meinen Standpunkt untermauern, wenn ich dir sagen kann, wie rosa Elefanten in einer Phantasiewelt möglich wären und aussehen würden? Ich habe eher den Eindruck, du willst mich nur aufs Glatteis führen (und das hast du ja auch schon einige Male geschafft, muss ich zugeben). Mein Argumentationsstandpunkt scheint mir ausreichend gefestigt, denn alles was du dem substantiell entgegensetzt ist deine unterschiedliche Begriffsdefinition. Hier nun beim Begriff "Schuld" und ansonsten beim Begriff "freier Wille". Aber echte Argumente, wieso meine Sicht logisch falsch sei oder welche Implikation daraus nicht zur Welt passten, sah ich bisher nicht. Und ich achte sehr darauf, denn das fände ich ziemlich spannend.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und wenn ich in der Zeit zurückreiste und die Umstände ein bisschen änderte, dann unterläge das ja wohl nicht seiner Kontrolle. Deswegen wäre er also nicht freier. Und also muss hier wohl noch etwas hinzukommen: und was das sein, das muss der Inkompatibilist plausibel darlegen können. Ansonsten ist seine Position uninteressant, nicht nachvollziehbar.

In meiner Antwort auf Vollbreit habe ich genau diesen Punkt ausführlich dargelegt. Und dir gegenüber bestimmt auch schon einige male. Es darf als sicher gelten, dass du diese Darlegungen nicht überzeugend findest. Das ist legitim. Dass du aber immer behauptest, ich (oder sogar alle Inkompatibilisten) würde es nie darlegen, darüber beschwere ich mich nun schon eine ganze Weile. Das Spiel hatten wir einige Male. Ich lege dar, dass hier etwas hinzukommen müsste, nämlich kausale Freiheit. Dann widersprichts du, weil bei dir Freiheit für rationale Sachen reserviert ist. Dann wiederspreche ich, weil ich diese Assoziation in meinem Sprachverständnis nicht habe. Usw. Es wäre fairer von dir, wenn du anerkennen könntest, dass meine Argumente sowohl dargelegt wurden als auch nachvollziehbar sind, wenn man meine Begriffe akzeptieren würde. Auch jemand, der die Begriffe normalerweise anders verwendet, muss wenigstens die logische Konsistenz meiner Position akzeptieren. Oder wenn nicht, dann sagen, wo meine Inkonsistenzen liegen. Das üb mal bitte.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 2. Feb 2012, 20:55

Das, was Du unter "anders handeln können" verstehst, musst Du nachvollziehbar darlegen können. Das kann nicht lediglich ein "es hätte auch anders kommen können" sein, es muss mehr sein als das. Und ich möchte einfach mal wissen, was dieses "mehr" sein soll / sein könnte. Meiner Ansicht nach bezieht sich das auf gar nichts, ist ein leerer Begriff, logisch unmöglich. Völlig egal, ob eine Welt kausal determiniert ist oder nicht. Vielleich irre ich mich ja, aber das können wir nur feststellen, wenn Du mal hinreichend dargestellt hast, was Du damit eigentlich meinst. In Deiner Antwort oben an Vollbreit sieht es so aus, als ob Dir ein "es hätte auch anders kommen können" (wenn ein Dritter in der Zeit zurückreist und die Situation ändert) schon völlig ausreichen würde. Ist das so?

Und klar hatten wir das Spiel schon einige Male; ich hatte das nicht nur mit Dir, sondern schon mit vielen Inkompatibilisten. Und natürlich werde ich immer in diesem wunden Punkt der Inkompatibilisten herumbohren, ich möchte, dass sie ihre Behauptung ("Determinismus und [Willens]-Freiheit sind unvereinbar") begründen, denn die ist keineswegs einfach so aus sich heraus plausibel. Sie können meiner bisherigen Erfahrung nach nicht darstellen, was "kausale Freiheit" (oder "echte / einzige / wahre" Freiheit) bedeuten soll. Du darfst Dich gerne darüber beschweren, dass ich das einfach so behaupte und Du das mal irgendwo dargestellt hättest. Hast Du aber nicht. Oder Du lieferst einen (oder mehrere) Links dazu. (Oder aber Du stimmst zu, dass [Willens]-Freiheit sich für Dich automatisch in einer indeterminierten Welt ergibt, also echter Zufall notwendige und hinreichende Bedingung für Willensfreiheit sei. Dann hätten wir das geklärt und könnten näher untersuchen, wie plausibel das ist.)

Du hältst Dich in der Beziehung immer schön bedeckt. Wenn es an's Eingemachte geht, sagst Du nichts mehr dazu. Z.B. auf diesen Beitrag von mir bist Du nicht eingegangen. Dabei wäre das interessant gewesen, um Deinen Freiheitsbegriff man auf den Prüfstand zu stellen, mal zu schauen, ob andere dem zustimmen würden: Dein Tombola-Beispiel, jemand, der akausal eine ihm unbekannte Option wählt, sei frei, jemand, der nach seinen Gründen - also kausal - eine bestimmte Option auswählt, sei unfrei.

(Und der Erstere sei deswegen schuldig, der zweite unschuldig? Wäre dann die naheliegende Folgerung nach Deinen bisherigen Ausführungen - oder?)

Es geht hier nicht darum, dass Deine Ansicht unlogisch sei, das kann ich nicht zeigen. Akzeptiert man Deine Prämisse, ("notwendige Bedingung für echte Freiheit und für die gerechtfertigte Zuweisung von Schuld ist Unabhängigkeit von Kausalität, also irgendwo vorkommende echt zufällige Ereignisse"), dann sind Deine Schlussfolgerungen logisch konsistent. Die Frage ist aber erst mal, wieso man die Prämisse akzeptieren sollte, woher die kommt. Ohne Erläuterung / Herleitung akzeptiere ich die nicht. Weil Akausalität meiner Ansicht nach keine Freiheit herstellen kann, ich wüsste nicht, wie das gehen könnte.

Und noch was: ich leugne auch, dass Deine Begriffsverwendung die Gebräuchliche ist. Und außerdem meine ich nicht, dass das was mit dem juristischen Begriff 'Schuld' zu tun hat. Auch das müsstest Du irgendwie zeigen, bisher hast Du das einfach nur behauptet.

Juristische Schuld hat zwar durchaus etwas mit "er konnte nicht anders" zu tun, aber nicht in Deinem Sinne - den Du Dich weigerst, mal explizit darzustellen, (es sei denn, wie gesagt, das wäre einfach nur ein "es hätte bei identischen Ausgangsbedingungen auch anders kommen können") - sondern dabei wird gefragt, ob die jeweilige Handlung an dem Betreffenden lag oder nicht. "Konnte er den im See ertrinkenkenden Menschen retten?" - "Nein, er ist Nicht-Schwimmer, egal, ob er wollte oder nicht, er hätte es nicht tun können". "Hätte er die Beleidigung unterlassen können?" - "Nein, er leidet unter dem Tourette-Syndrom, er hat keine Kontrolle über seine Äußerungen".

Und übrigens: wenn jemand in Deinem Sinne frei wäre, nämlich dass er grundlos und für ihn unkontrollierbar etwas Zufälliges getan hätte, dann würde man ihn nicht als schuldig ansehen. Denn dann würde ein Vorwurf und eine Strafe keinen Sinn ergeben, könnte keinen Einfluss auf ihn oder andere, die ebenfalls unkontrollierbar handeln, haben.

Und nochwas: Deine Weigerung, zu überlegen und zu beantworten, was wäre, wenn unsere Welt indeterminiert wäre, wenn also der Steuerhinterzieher in meinem Beispiel 999mal die Steuer hinterzieht und einmal nicht, ob er dann in Deinem Sinne schuldig wäre oder nicht und wenn nicht, was noch hinzukommen müsste, kannst Du nicht einfach mit der Annahme, unsere Welt sei determiniert, abbügeln. Natürlich wäre das in einer determinierten Welt unmöglich, die Frage wäre aber: was wäre, wenn dem so wäre? Als Gedankenexperiment? Schuldig in Deinem Sinne? Oder was müsste noch hinzukommen?

Und, last but not least: Deinen Einwand mit dem rosa Elefanten kenne ich so: "Um sagen zu dürfen, dass es keinen 'Gott' gibt, muss ich keineswegs darlegen, was ich hier mit 'Gott' meine, ich kann die Behauptung dennoch aufstellen". Und das ist jedoch falsch; wenn jemand sagt, es gäbe kein 'xyz', dann muss er sehr wohl sagen, was er mit 'xyz' meint. (Ebenso natürlich im umgekehrten Fall einer Existenzbehauptung - auch da muss das jeweilige 'xyz' hinreichend bestimmt werden, ansonsten ergibt die Aussage schlicht keinen Sinn.)

Oder, wenn Du es so meinst: "in unserer Welt gibt es keine rosa Elefanten, also dürfen wir niemandem Schuld zuweisen" - dann kann ich nur sagen: das eine folgt schlicht nicht aus dem anderen. Sollte also begründet / plausibel gemacht werden.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Fr 3. Feb 2012, 15:46

Wie oft Steuern hinterziehen und wie oft nicht noch "normal" sind, ist eine Frage, wie die Gesellschaft es definiert. In manchen Ländern ist es Sport das zu tun und man gibt bei einem Bier damit an, in anderen Ländern kuscht sogar der Geheimdienst vor der Steuerfahndung...

Man muß also:

  • Definieren, was der gesellschaftlich / ethisch / soziale Rahmen vertretbaren Verhaltens ist
  • Sich überlegen, wie man bei einer (widerholten) übertretung dieser Norm reagiert:
    • Wegschließen um die Gesellschaft vor Widerholungstat zu schützen
    • Verhaltenstherapie um diese Verhaltensweisen zu verändern
    • ???
Nach der langen diskussion hier sollte doch klar geworden sein, daß man eben nicht an der 200 Jahre alten Vorstellung vom Menschen festhalten kann, daß man "einsieht" das was falsch war am Verhalten und sich dann "zum Guten ändert". So funktionieren Gehirne nicht.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 4. Feb 2012, 02:28

mat-in hat geschrieben:Nach der langen diskussion hier sollte doch klar geworden sein, daß man eben nicht an der 200 Jahre alten Vorstellung vom Menschen festhalten kann, daß man "einsieht" das was falsch war am Verhalten und sich dann "zum Guten ändert". So funktionieren Gehirne nicht.

Auf wen beziehst Du Dich, wer hat derartiges hier behauptet? Und wenn nicht hier: wer sonst behauptet das oder hat es vor 200 Jahren behauptet? Und wenn das niemand vertritt: ist es nicht extremst langweilig, weil völlig sinnlos, Positionen anzugreifen, die gar nicht existieren, die man sich mal schnell einfach so ausgedacht hat?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Sa 4. Feb 2012, 07:30

Ich kann ja nun nicht alle Arbeit für dich machen? Mal von einem Herrn Liszt und Co gehört? Gut, der ist jetzt erst 100 Jahre tot, aber das Menschenbild gibt es länger und unser Rechtsystem baut drauf auf. Stichwort Bewährungsstrafen als Denkzettel, zum Beispiel. Unser heutiges Strafsystem geht bis auf wenige pionierprojekte und Ausnahmen davon aus, das sowas funktioniert.
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